Die neue Friedrichschule in Gumbinnen
Der Neubau ist auf einem Eckgrundstück errichtet, welches an der Meiserstraße und einer diese rechtwinkelig schneidenden, neu anzulegenden Straße gelegen ist. Er wurde im Frühjahr 1901 auf Grund eines im Ministerium der öffentlichen Arbeiten aufgestellten, von dem Kreisbauinspektor Gyßling in Gumbinnen ausgearbeiteten und im genannten Ministerium super¬ revidierten Entwurfes in Angriff genommen und Anfang Juli 1903 zur Benutzung übergeben. Die Anordnung der Bauanlage ist auf dem folgenden Lageplan dargestellt.
Die Hauptfronten des Gebäudes sind rund 6,8 m bezw. 7,8 m hinter die Baufluchten zurückgerückt und zwar in dem Bestreben, die an diesen Fronten gelegenen Klassen den durch das Geräusch der Straßen verursachten Störungen möglichst zu entziehen und den an der Südseite gelegenen Räumen auch für den Fall einer spätem Bebauung des gegenüberliegenden Platzes dauernd eine gute Beleuchtung zu sichern. Der Hauptfront gegenüber jenseits der Meiserstraße liegt der Turnplatz mit Turnhalle, welcher der Stadt gehörte und durch Eintausch gegen die bisherige Gymnasialturnhalle für die Neubauanlage erworben wurde. Die Befürchtung einer Entziehung des Tageslichtes durch spätere Bebauung des gegenüberliegenden Geländes besteht somit für die an dieser Front mit Rücksicht auf die Himmelsrichtung so günstig gelegenen Klassen nicht.
Die Wohnung für den Direktor ist in einem besondern Gebäude untergebracht, steht jedoch in unmittelbarer Verbindung mit dem Schulhause, insbesondere mit dem im Schulhause gelegenen Amtszimmer. Das Abortgebäude musste getrennt vom Schulhause angelegt werden, weil die Stadt nicht kanalisiert ist und deshalb auf eine Wasserspülung verzichtet werden musste.
Während der Bautätigkeit wurde der an der Ostseite des Grundstückes gelegene 20 m breite Geländestreifen (c, d, f, e) hinzuerworben, sodass der Schulhof, „welcher bisher nur mit Rücksicht auf teilweise Benutzung des gegenüberliegenden Turnplatzes seitens der Schüler während der Zwischenpausen als auskömmlich erachtet werden konnte", nunmehr eine angemessene Flächenausdehnung erhielt. Eine Folge dieses Zukaufs war die Verlegung des Abortgebäudes von der mit 1, 2, 3, 4 bezeichneten Stelle an die neu geschaffene Ostgrenze des Grundstückes und die Anordnung eines zweiten Hofausganges am Ostgiebel des Schulgebäudes. Der Grundriss des Schulhauses, welches sich in drei Stockwerken über dem Kellergeschoss erhebt, ist außerordentlich klar. Die Lage des Grundstückes an zwei Straßen in westlicher und südlicher Himmelsrichtung forderte geradezu heraus zu einer winkligen Anordnung dergestalt, dass die meisten Lehrräume in dem längern nach Westen gelegenen Flügel untergebracht wurden, während diejenigen Räume, für welche Südlicht erforderlich oder wenigstens unbedenklich erschien, in dem kürzern an der neu auszubauenden Straße gelegenen Flügel angeordnet wurden. Dass außer dem physikalischen Lehr- und Sammlungszimmer auch noch einige andere Unterrichtsräume an der Südseite ihren Platz erhielten, liess sich mit Rücksicht auf die große Zahl der unterzubringenden Räume nicht vermeiden.
Da die Anlage Gymnasium und Realschule aufnehmen sollte, musste für 18 Klassen (3 Vorschulklassen, 9 Gymnasialklassen und 6 Realklassen) Raum geschaffen werden; außerdem sollte noch eine kombinierte Klasse nach dem Programm vorhanden sein.
Bemerkenswert ist, dass außer den Sammlungs- und Bibliothekräumen, den Amtszimmern, dem Sitzungszimmer und dem Festsaal, Räumen, welche sich bei jeder derartigen Neubauanlage wiederholen, noch ein Raum zur Unterbringung der dem Gymnasium gehörigen reichhaltigen Gipssammlung eingerichtet wurde. Im Kellergeschoss enthält das Gebäude die Schuldienerwohnung neben dem Haupteingang, ferner Räume für die Sammelheizung usw. Die Wohnung des Heizers ist in der gegenüberliegenden Turnhalle eingerichtet. Die Geschoßhöhen betragen für den Keller 3,14 m, für die aufgehenden Geschoße je 4,32 m von Oberkante zu Oberkante Fussboden. Grössere Höhe hat nur das Haupttreppenhaus 12 m im II. Stock, wo es gleichsam die Vorhalle zur Aula bildet, und die Aula selbst, die im Mittel rund 8,5 m hoch ist.
Die Architektur der Außenfronten zeigt eine Verbindung von Putzbau und Ziegelrohbau unter sparsamer Verwendung von Form- und Verblendsteinen. Im Kellergeschoss, im untern Teil das Erdgeschosses sowie im obern Teil des II. Stockwerkes sind die Fronten in Rohbau ausgeführt, ferner haben alle Mauerkanten sowie alle Architekturgliederungen, welche nicht wie die Fensterfohlbänke und Gesimse aus dunkelgrün glasierten Steinen zusammengesetzt sind, als Material rote Verblender oder Formsteine erhalten. Die übrig bleibenden Flächen sind mit rauhem Putz beworfen.
Der innere Ausbau ist der Bestimmung des Gebäudes angemessen durchgeführt. Sämtliche Räume mit Ausnahme der Aula und der Klassen des obersten Stockwerks sind massiv überdeckt; die Klassen haben waagerechte Decke mit Vouten, Eisenfederdecke, nach dem System Müller, Marx & Co. erhalten. Die unteren sichtbaren Trägerflanschen sind mit Ölfarbe gestrichen. Der Flur der Haupttreppe ist im obersten Geschoß mit Moniergewölben überdeckt, sonst mit massiven Kreuzgewölben überwölbt.
Die Kellerräume werden mit Ausnahme der beiden langen Flure, der Schuldienerwohnung und des Heizraumes durch preussische Kappen nach oben abgeschlossen.
Für die Flure des Kellers wurden gerade massive Decken gewählt, um unbeschadet der bequemen Begehbarkeit der Flure selbst dem unter der Kellerflurdecke sich hinziehenden Warmluftkanal einen möglichst großen Querschnitt geben zu können.
Die Dachstühle mit Ausnahme des Auladachstuhls, welcher, aus Eisen konstruiert, die hölzerne innen sichtbare, gebrochene Auladecke trägt, sind von Holz. Als Dachdeckungsmaterial sind die landesüblichen holländischen Pfannen auf Schalung verwendet.
Für die Fussböden in den Geschoßen und der Schuldienerwohnung ist mit Ausnahme der Flure, welche mit Tonplatten belegt sind, durchgängig Linoleum verwendet worden. Der Keller hat Zementestrich erhalten.
Die Stufen beider Treppen sind gleichzeitig mit den Unterkonstruktionen, welche in Kreuz- und Tonnengewölbe bestehen, in Beton gestampft, die Trittstufen mit Linoleum gedeckt, die Setzstufen mit Ölfarbe gestrichen und die Kanten mit Messingschienen geschützt. Die von den Vorfluren zu dem Erdgeschoss führenden kurzen Treppenläufe werden aus Granitstufen gebildet.
Die Gewölbestützen, Säulen, Pfeiler und Konsolen sind aus rotem Schlegler Sandstein gemeisselt, der sich durch außerordentliche Härte und lebendige Farbenwirkung auszeichnet.
Die Wände und Decken haben auf glattem Putz Leimfarbenanstrich erhalten, die Wände ein rund 1,5 m hohes Ölfarbenpanneel. Durch die Wahl verschiedener Farbenzusammenstellungen ist eine Abwechslung erzielt.
Sämtliche Räume mit Ausnahme der Flure und der Aula haben Doppelfenster erhalten; für die Klassen ist als Verschluss der Regnersche Klappflügelverschluß gewählt. Die äusseren Türen sind massiv Eichen, die inneren sämtlich aus Kiefernholz, sie sind in einfachster Weise aus Rahmen und Füllungen zusammengesetzt; als Ziermittel sind nur Türschilder und Schlüsselschilder herangezogen. Eine reichere Ausbildung haben die Umrahmungen der Aulatüren. Die innere Einrichtung ist zum größten Teil neu beschafft. In allen Klassen mit Ausnahme des physikalischen Lehrzimmers sind zweisitzige (auch einige einsitzige) Rettigbänke aufgestellt. Das physikalische Lehrzimmer mit Abdampfnische, Verdunkelungsvorrichtung und Experimentiertisch, sowie der Zeichensaal mit Zwischenvorhängen, Modellhaltern und Beleuchtung sind nach den letzten Erlassen eingerichtet, den neuesten Forderungen der Wissenschaft und Technik Rechnung tragend.
Das Schulgebäude wird durch eine Sammelheizung erwärmt; der Träger der Wärme ist niedrig gespannter Dampf. Die Heizkörper, bestehend aus schmiedeeisernen Rohrschlangen ohne Verkleidung, sind an den Fensterwänden angebracht. Die den Räumen zugeführte frische Luft wird in besonderen Vorwärmkammern erwärmt. Die der Aula zugeführte Luft wird durch Rippenheizkörper, die in die Zuluftkanäle eingebaut sind, nachgewärmt. Diese Rippenheizkörper bilden zugleich eine Zirkulationsfläche für das Durchheizen der Aula vor Benutzung (Umluftheizung). Alle Klassen haben besondere Zuführungskanäle für frische Luft und Abführungskanäle für verbrauchte Luft. Letztere werden zusammengefasst über Dach geführt.
Das Gebäude ist an die örtliche Gas-, Wasser- und Entwässerungsleitung angeschlossen. Die Räume werden durch Gasglühlicht erleuchtet. Für den Zeichensaal sind Starklichtbrenner mit Reflektoren zur Anwendung gekommen. Reichere Beleuchtungskörper sind nur für die Aula, das Sitzungszimmer und den Haupttreppenflur verwendet.
Was über das Schulgebäude hinsichtlich der Außenarchitektur und des innern Ausbaues gesagt ist, gilt im allgemeinen auch für das Direktorwohnhaus. Auch hier sind alle Räume bis auf das Obergeschoss massiv überdeckt. Die Stockwerkshöhen betragen für Keller 3,14 m, für Erdgeschoss 4,00 m, für I. Stock 3,50 m. Den Verkehr zwischen Erdgeschoss und I. Stock vermittelt eine in die Diele eingebaute Holztreppe. An das Speisezimmer schliesst sich, zugänglich von der Veranda, der Garten an.
Das Abortgebäude enthält 18 Zellen in der Mitte und an den Außenwänden die Pissoirstände.
Mit Rücksicht auf das Fehlen einer Kanalisation erschien die Anordnung der Sitze in der Mitte des Raumes geeigneter, wenn auch auf Kosten der direkten Zuführung von Luft und Licht. Um jedoch auch hierfür Genüge zu leisten, wurde der obere Teil der Außenwände in Fensteröffnungen gänzlich aufgelöst, sowie auch das Dach durch eine um drei Seiten herumlaufende Reihe von Fensteröffnungen unterbrochen.
Die Fäkalien werden in einem im Keller aufgestellten Bassin aus Monier gesammelt und aus diesem mittels Abfuhrwagen fortgeschafft. Ein im Kellerraum aufgestellter Ofen verhindert das Einfrieren der Fäkalien.
Außer den Sitzen und Pissoirständen für Schüler enthält das Abortgebäude noch 2 Aborte für den Schuldiener und Heizer, sowie einen Geräteraum.
Von bemerkenswerten Konstruktionen ist die Gründung des östlichen Teiles des Aulaflügels zu nennen. Der aus Torf und Schluff bestehende schlechte Baugrund liess hier ein verbreitertes Fundament, wie es an dem übrigen Teil des Gebäudes verwendet wurde, nicht zu; ein Ausheben des Moorbodens bis auf den Kies unter Wasserhaltung und ein unmittelbares Aufmauern der Fundamentpfeiler gestatteten die Bodenbildung und ein hoher Wasserstand ebenfalls nicht, es musste daher das Gründungsverfahren mittels Senkkästen zur Anwendung kommen. Abweichend von dem früher üblichen Verfahren, die durch das Füllen der Kästen entstandenen Fundamentpfeiler mittels Bogenmauerwerk zu verbinden, wurden auf die Pfeiler Betonbalken mit Eiseneinlage aufgebracht. Die hierzu gebrauchten Träger wurden mit wechselndem Stoß verlegt und mit einander verlascht. Da das Eisen völlig von Beton umgeben wurde, war die Befürchtung des Rostens ausgeschlossen. Eine derartige Konstruktion hat den Vorteil der größeren Solidität als ein gemauerter Bogen von entsprechender Stärke, außerdem wird Seitenschub oder Eckschub hierdurch vermieden.
Die Kosten der 15 gesenkten Kästen in Größen von 1,0. 1,0 m bis 2,0. 2,0 und i. M. 4,50 m hoch betrugen einschl. der Ausgaben für die zur Verbindung hergestellten Betonbalken zusammen 6500 Mark. Die Baukosten einschl. der vorgenannten künstlichen Fundierung betragen für das Hauptgebäude 233774 Mark, für das Direktorwohnhaus 30359 Mark, für das Abortgebäude 12131 Mark, hierzu kommen für Terrainregulierung und Entwässerung 11953 Mark, für Umwehrungen 4645 Mark, für innere Einrichtung 27138 Mark, für Einfriedigung des Turnplatzes 3000 Mark,
Die gesamten Baukosten betragen somit 323000 M.
In dieser Summe sind die Kosten für Bauleitung und Grunderwerb nicht einbegriffen.
Für das Hauptgebäude berechnet sich der Preis für den Kubikmeter umbauten Raumes unter Zugrundelegung der für derartige Berechnungen aufgestellten ministeriellen Bestimmungen auf 12,7 Mark, für das Direktorwohnhaus auf 13,3 Mark und für das Abortgebäude auf 14,8 Mark.
Die Baubeaufsichtigung wurde von dem Königl. Kreisbauinspektor Gyßling als Lokalbaubeamten ausgeübt, die örtliche Bauleitung lag in den Händen des Regierungs-Baumeisters Menzel.
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