Ostpreußen-Warte, Folge 12 vom Dezember 1958

Ostpreußen-Warte

Folge 12 vom Dezember 1958

 

Seite 1   Hoffnung der Menschheit

Dieser Tage fiel mir ein Ausspruch Albert Schweitzers in die Hand, und ich möchte ihn hier an den Beginn dieser kurzen Betrachtung zum Weihnachtsfest und Jahresausklang stellen. Albert Schweitzer sagt: „Kommt es zum Aufhören der Versuche mit Atombomben, so ist dies die Morgendämmerung des Aufgehens der Sonne in der Hoffnung, nach der unsere arme Menschheit aufschaut“.

 

Aus diesen wenigen Zeilen wird die ganze furchtbare Ausweglosigkeit, in der sich unsere Politik verstrickt hat, sichtbar und der gähnende Abgrund, auf den die gesamte Menschheit zutreibt; sie lassen aber auch zugleich der Hoffnung Raum, dass es noch nicht zu spät ist, dass es heute noch nicht zu spät ist, eine Katastrophe unvorstellbaren und nie dagewesenen Ausmaßes von der Menschheit abzuwenden, wenn die Verantwortlichen auf beiden Seiten endlich aufhören, auf diesem Wege der Rüstung und Gegenrüstung, der Drohung und Gegendrohung fortzuschreiten.

 

Doch ich will diese Worte Albert Schweitzers nicht nur so verstehen, dass sie allein für die Ohren dieser Verantwortlichen in Ost und West gesagt sein wollen; sie sind in diese Zeit gesprochen, in unsere Zeit, und wir alle, du und ich und du, sind die Empfangsadresse. Wer sich heute dieser ‚Mahnung in letzter Stunde' entzieht, sei es aus Bequemlichkeit, sei es im Glauben und in der törichten Hoffnung, auf der Seite des Stärkeren, vielleicht auch des größeren Rechts zu stehen und damit zu überleben, oder aus welchen Gründen auch immer, macht sich mitschuldig an der Vernichtung millionenfachen Lebens, und diese Vernichtung — sollte es danach noch eine Geschichtsschreibung geben — wird sich durch nichts rechtfertigen lassen. Am wenigsten aber, meine ich, mit ideologischen Argumenten; denn — das können wir in der Geschichte der Menschheit nachlesen — alle geistigen Bewegungen sind einer ständigen Wandlung unterworfen. Sie ändern sich automatisch mit den Lebensgesetzlichkeiten, an denen wachsende Erkenntnis und fortschreitende Entwicklung unaufhörlich formen. Unwandelbar aber durch die Zeiten ist das Leben, nach ewigen Schöpfungsgesetzen sich ständig selbst erneuernd. Das heißt, dass heute gegen ein Wandelbares das Leben an sich, die gesamte Schöpfung auf dem Spiele steht. Schauen wir nicht zurück bei diesem Gedanken? Ist es nicht die allerhöchste Zeit, den entscheidenden Schritt zur Umkehr zu tun!

 

Und diesen Schritt müssen wir alle tun!

 

Albert Schweitzer zeigt den einzig möglichen Weg (Alternativlösungen gibt es heute nicht mehr), der die Menschheit über die Schwelle eines neuen Zeitalters zu einem neuen Morgen führen kann. Sein Beschreiten aber setzt voraus, dass zu der Erkenntnis, auf allen bisherigen Wegen nicht weiterzukommen — denn allein schon die Fortsetzung der Versuchsexplosionen, je länger, je mehr, bedroht ja das Leben —, zwangsläufig die Erkenntnis treten muss, zu einem völlig neuen Denken, zu dem es in den bisherigen Kategorien kein Vorbild und keine Parallele gibt, durchzustoßen.

 

Und das ist es, wozu heute der einzelne aufgerufen ist, überall in der Welt, über Grenzen und Ideologien hinweg: diesem neuen Denken und damit dem Fortbestand der Menschheit den Boden zu bereiten. Denn geistige Bewegungen von so umwälzender Art haben den Ursprung in ihrer Zeit, sie können nicht diktiert und befohlen und nicht an Konferenztischen entworfen werden. Sie müssen aus dem Volke hervorbrechen, wenn ihre Zeit reif, als eine breite, nicht aufzuhaltende Welle, und die Mächtigen der Eide müssen sich schließlich von ihr tragen lassen, um nicht an ihr Schiffbruch zu erleiden. Und unsere Zeit ist reif für dieses Neue! Verschließen wir nicht Augen und Ohren, folgen wir nicht den Flötentönen, die uns ein Rückdrehen des Rades der Geschichte glaubhaft machen wollen, so angenehm sie unseren Ohren auch klingen mögen. Die Geschichte kennt kein Zurück, es gibt nur ein ewiges Vorwärts. Erkennen wir dies in dieser Stunde, und die Zukunft wird unser sein.

 

Du, du und du, wir alle sind aufgerufen in dieser äußersten Notstandsphase der Menschheit, an dieser Zukunft, dieser vielleicht doch noch möglichen Zukunft mitzubauen, dem neuen Menschen eine Heimat zu bauen. Lesen wir sehr genau die Worte Albert Schweitzers, die ich an den Beginn dieser kurzen Betrachtung gestellt habe. Sie sind mehr als eine Mahnung, sie sind der einzig gültige Wegweiser, an dem wir uns mit Sicherheit im Widerstreit der Meinungen orientieren können; denn ihr Verkünder ist erhaben über jede einseitige Auslegung, aus ihm spricht allein die tiefe Sorge um den Menschen. Sie sind der Samen einer neuen Menschheitsepoche; wir sind der Boden, sorgen wir dafür, dass die Saat aufgeht und ihre Früchte trägt.

 

Vielleicht ist es zu vermessen, von hier aus den Bogen zu jenem Stall in Bethlehem zu schlagen, von dem die göttliche Verheißung mit der Geburt Christi in die Welt kam: und Friede den Menschen auf Erden! Aber glauben wir nicht, dass uns dieser Frieden durch ein Wunder geschenkt werde. Richten wir endlich all unser Tun darauf, selbst das Unsere dazu beizutragen!

 

In der Hand der Menschheit liegt es, und so sichtbarlich noch nie wie heute, dieser verheißenen Gnade von Bethlehem teilhaftig zu werden. Und nur so dürfen wir hoffen auf einen neuen Morgen.

 

Seite 1   Foto: Weihnachtsabend / Holzschnitt von Bodo Zimmermann

 

Seite 2   Polnische Bevölkerungsstatistik unglaubwürdig. Widerlegung am Beispiel des südlichen Ostpreußens – Das flache Land zu 50% wiederbesiedelt.

Polnische Agenturen verbreiten in letzter Zeit häufig die Behauptung, dass sich die Bevölkerungszahl der polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße auf rd. 7,5 Millionen Personen belaufe. Eine genauere Untersuchung des Standes der Bevölkerung im südlichen Ostpreußen ergibt jedoch, dass die hierfür von polnischer Seite angegebenen Bevölkerungszahlen viel zu hoch gegriffen sind und im Widerspruch stehen zu sonstigen polnischen Angaben und Meldungen über die allgemeinen Verhältnisse.

 

Nach den Zahlenangaben des Amtlichen Statistischen Jahrbuches der Volksrepublik Polen für 1957 soll die Bevölkerung des südlichen Ostpreußens insgesamt 1 055 000 Personen umfassen, und zwar ergibt sich diese Zahl aus den folgenden Einzelangaben:

 

1.     „Wojewodschaft" Allenstein 839 000

2.     Die Kreise Treuburg, Goldap und Lyck, die verwaltungsmäßig der Wojewodschaft Bialystock zugewiesen wurden 99 000

3.     Die Stadt- und Landkreise Elbing, Marienburg, Stuhm und Marienwerder, die zur „Wojewodschaft" Danzig gehören 210 000

Zusammen 1 148 000 Hiervon ist abzurechnen die Bevölkerung der polnischen Kreise, die in die „Wojewodschaft" Allenstein einbezogen wurden 93 000.

Damit ergäbe sich ein Bevölkerungsstand im polnisch verwalteten südlichen Ostpreußen in Höhe von 1 055 000.

 

Wenn diese Zahlen des Amtlichen Polnischen Statistischen Jahrbuches zuträfen, würde dies bedeuten, dass das polnisch verwaltete südliche Ostpreußen im Vergleich zum Vorkriegsstande zu 80 Prozent besiedelt wäre. Demgegenüber stellte jedoch der polnische Sejm-Abgeordnete J. AI. Krol in einer Rede, die er im Rahmen der 10. Sitzungsperiode des polnischen „Parlaments" hielt, für die gleiche Zeit (Ende 1956) fest, dass die Bevölkerungsdichte des flachen Landes in der „Wojewodschaft" Allenstein sich, auf nur 26 Personen je Quadratkilometer belaufe (gegenüber einer gesamten Bevölkerungsdichte im jetzigen polnischen Verwaltungsteil Ostpreußens in der Vorkriegszeit in Höhe von 56,4 je Quadratkilometer). Die hohen Angaben des „Rocznik Statystyczny" wären also nur dann glaubhaft, wenn sämtliche Städte des südlichen Ostpreußens im Vergleich zur Vorkriegszeit erhöhte Einwohnerzahlen aufweisen würden. Dies ist aber (mit Ausnahme von Allenstein) nicht der Fall. Im Gegenteil verzeichnet das Amtliche Polnische Statistische Jahrbuch z. B. für Elbing 69 000 Einwohner (gegenüber 86 000 vor dem Kriege), wobei der Stadtbezirk unter polnischer Verwaltung stark erweitert wurde. Aus zahlreichen weiteren Stadtgemeinden — vor allem aus Kleinstädten — wurde von polnischer Seite berichtet, dass die Einwohnerzahlen gering sind und sich im Vergleiche zum Stand in der Vorkriegszeit auf etwa 60 bis 70 Prozent belaufen.

 

Die polnische Bevölkerungsstatistik erweist sich also zum mindesten hinsichtlich des südlichen Ostpreußens als stark manipuliert und völlig unglaubwürdig. Das gleiche gilt zweifelsohne auch für die übrigen deutschen Ostprovinzen, vornehmlich bezüglich Ostpommerns. Wie wenig zuverlässig die amtlichen polnischen Angaben sind, geht auch daraus hervor, dass die Polnische Militärmission in Westberlin schon im Jahre 1947 (!), also unmittelbar nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung, in der Sonderbeilage Nr. 141 ihres Pressedienstes die Behauptung verbreitete, die Zuwanderung polnischer Neusiedler habe für Teile der deutschen Ostgebiete gesperrt werden müssen, weil die „Grenze der Aufnahmefähigkeit in der Landwirtschaft" angeblich bereits erreicht sei.

 

Seite 2   Weniger Reisen in die Ostgebiete

Nach einem dpa-Bericht hat ein Beamter der polnischen Passabteilung in Breslau mitgeteilt, dass die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen an deutsche Heimatvertriebene für Reisen in die Oder-Neiße-Gebiete künftig weiter eingeschränkt werde. „Wir können es nicht mehr zulassen" — so erklärte er wörtlich —, „dass ein unabsehbarer Strom von Deutschen kreuz und quer durch unsere Westgebiete reist und Erinnerungen an die alte Heimat auffrischen will“.

 

Wie aus anderen Quellen hierzu bekannt wird, ist von polnischer Seite auch vorgebracht worden, die deutschen Heimatvertriebenen hätten bei ihrem Aufenthalt in den Oder-Neiße-Gebieten Beunruhigung unter der polnischen Bevölkerung verursacht, weil sie beständig offenherzig ihre Absicht kundgetan hätten, im Falle einer Änderung der polnischen Verhältnisse in ihre Heimat zurückzukehren.

 

Seite 2   Deutscher Osten gefährlicher Konfliktstoff. Englischer Autor fordert „Revision der Oder-Neiße-Linie"

Unter dem Titel „Wächter am Rhein" veröffentlichte der britische Autor Brian Connell einen „Bericht über das neue Deutschland", in dem u. a. auch das Vertriebenenproblem und die Oder-Neiße-Frage behandelt werden. Der Verfasser weist darauf hin, dass aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße so viele Deutsche vertrieben worden seien, dass ihre Zahl der Gesamtzahl der Bevölkerung Kanadas gleiche. Diese Menschen, die man „wie das Vieh" aus ihrer Heimat „transferiert" habe, strebten in unveränderter Sehnsucht in ihre Heimat zurück, und dieses Streben sei so stark, dass sie selbst wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen würden, wenn sie nur in ihre Heimatgebiete zurückkehren könnten.

 

Kein westdeutscher Politiker könne es wagen, zu erklären, „dass die Revision der Oder-Neiße-Grenze nicht eines der Hauptziele seiner Tätigkeit sei". Es lasse sich aus der Erinnerung der Vertriebenen nicht auslöschen, dass Ostdeutschland jenseits der Oder und Neiße einst eine Kornkammer und zugleich das Land der hervorragendsten preußischen Traditionen gewesen sei, die durch die Ordensritter ebenso symbolisiert würden wie von Friedrich dem Großen, Stein, Scharnhorst und Gneisenau bis hin zu Bismarck und Hindenburg.

 

In diesem Zusammenhang befasst sich der britische Autor auch mit der Lage in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten und berichtet aus eigener Erinnerung über eine Reise durch diese Gebiete im Winter 1947/1948, dass selbst damals noch ein unheimliches Schweigen über dem Lande gelegen habe, dessen Dörfer und Kleinstädte oftmals vom Kriege überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen worden seien. Die unbewohnten Häuser, in denen sich noch der zurückgelassene Hausrat befunden habe, hätten an mittelalterliche Ortschaften erinnert, durch welche die Pest geschritten sei. Schließlich sei es den Polen gelungen, den „Schein eines normalen Lebens" hervorzurufen.

 

Der britische Autor gibt verschiedentlich der Besorgnis Ausdruck, dass hier ein gefährlicher Konfliktstoff gegeben sei und betont, dass die Oder-Neiße-Gebiete Moskau einerseits gegenüber den Polen als Druckmittel und andererseits den Deutschen gegenüber als Lockung dienen könnten.

 

Seite 2   Pressespiegel

Es muss verhandelt werden!

„So bietet die gegen Berlin ausgesprochene Drohung auch einen positiven Ansatzpunkt für Verhandlungen. Es genügt deshalb nicht, sich darauf zu beschränken, die russische Forderung nach einer ‚Freien Stadt Westberlin' einfach abzulehnen. Man könnte das tun, wenn man sicher wäre, diese Haltung auch, komme was da wolle, durchzustehen. Doch damit können nur die Illusionisten rechnen.

 

Es muss also verhandelt werden, und für diese Verhandlungen stehen nicht einmal mehr sechs Monate Zeit zur Verfügung. Die Sowjets dürften diese Frist nicht gesetzt haben, weil sie unbedingt auch nach Ablauf der sechs Monate ihre Pläne in Bezug auf Berlin durchgeführt sehen möchten, es kommt dabei auf einige Monate oder ein halbes Jahr mehr oder weniger sicher nicht entscheidend an. Die Frist wurde gesetzt, um der anderen Seite die Dringlichkeit der Sache vor Augen zu führen. Die erwarteten Verhandlungen werden fruchtlos sein, wenn man in sie hineingeht mit keinem anderen Rüstzeug als dem Versuch, am bisherigen Zustand festzuhalten. Dadurch wird man Berlin nicht retten. Der Augenblick ist gekommen, an dem man in Bonn nicht mehr daran vorüberkommt, sich mit Gedanken anzufreunden, die man jahrelang verdammt hat, mit der Herausnahme des mitteleuropäischen Raumes aus dem militärischen Gegeneinander von Ost und West“. „Neue Politik“, Hamburg

 

Versäumte westliche Initiative

„Wir hätten nicht darauf warten müssen, bis die Sowjets handelten. Zu Jeder Zeit in den letzten beiden Jahren hätten wir im Rahmen eines ‚Disengagementplanes' eine Regelung für Berlin vorschlagen können. Ein solcher Plan, wie er von der Labour Party vorgeschlagen wurde, würde einen stufenweisen Rückzug sowjetischer und amerikanischer Truppen aus ganz Mitteleuropa einschließlich Polens und Deutschlands in sich schließen“. „Daily Mirror“, London

 

Realitäten anbieten

„In der gegenwärtigen Krise um Berlin wird auch die Bundesregierung nicht umhin können, ihre bisherige Politik einer ernsten Prüfung zu unterziehen. Wir sind nicht der Meinung, dass die Sowjets durch eilfertige Zugeständnisse milder zu stimmen wären. Bei ihnen zählen nur die Realitäten. Ob diese Realitäten aber in atomaren Waffen bestehen müssen, ist eine Frage. Zumindest wäre sie so zu stellen, ob der Verzicht auf Atomwaffen nicht ebenfalls eine Realität sein könnte, wenn man darauf ausgeht, mit ihm politische Zugeständnisse des Ostens einzutauschen“. „Westdeutsche Rundschau“, Wuppertal

 

Seite 2   Über zwei Millionen Opfer der Vertreibung. Statistisches Bundesamt veröffentlicht erschreckende Zahlen über Ostgebiete

Nach einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes über die deutschen Vertreibungsverluste muss damit gerechnet werden, dass 1,2 Millionen Bewohner aus den zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebieten des Deutschen Reiches im Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 Opfer von Kämpfen, Flucht, Vertreibung und Gewaltmaßnahmen geworden sind. Hinzu kommen rund 890 000 Deutsche aus Danzig, dem Memelgebiet, den baltischen Staaten, Polen, der Tschechoslowakei Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien.

 

Die Gesamtzahl der militärischen und zivilen Verluste in den unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebieten betragen fast 1,9 Millionen oder 19,6 Prozent der deutschen Vorkriegsbevölkerung. In den anderen Vertreibungsgebieten forderte die Kriegs- und Nachkriegszeit 1,3 Millionen Opfer, das sind 17,8 Prozent der deutschen Bevölkerung bei Kriegsbeginn.

 

Die Zahl der Deutschen in den Vertreibungsgebieten zu Beginn des zweiten Weltkrieges wird mit rund 17 Millionen angegeben. Hiervon entfielen 9,6 Millionen auf die Ostgebiete und fremder Verwaltung und 7,4 Millionen auf die anderen Gebiete. Die Zahl der Wehrmachtstoten in allen diesen Gebieten während des Krieges von 1939 bis 1945 beziffert sich auf über eine Million.

 

In den Aufnahmegebieten lebten nach den Untersuchungen des Statistischen Amtes im Herbst 1950 über zwölf Millionen Vertriebene. Davon stammen 7,1 Millionen aus den deutschen Ostgebieten. In den übrigen Vertreibungsgebieten wird noch mit 1,5 Millionen Deutschen gerechnet.

 

Seite 2   „Welt-Flüchtlings-Jahr“

Bei den Vereinten Nationen haben zehn Staaten gemeinsam eine Resolution eingebracht, in der den Vereinten Nationen vorgeschlagen wird das Jahr 1959 als Welt-Flüchtlingsjahr zu proklamieren. Unter den unterzeichneten Staaten befinden sich u. a. USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Norwegen und Österreich. Die Anteilnahme am Flüchtlingsproblem zu steigern, die Regierungen, privaten Institutionen und die Öffentlichkeit zu ermutigen, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, sollen das Ziel dieses geplanten Weltflüchtlingsjahres sein.

 

Seite 2   Studenten nach Posen

Der vor einiger Zeit abgebrochene Studentenaustausch zwischen den Universitäten Göttingen und Posen soll wieder anlaufen. Wie der Erste Vorsitzende des Göttinger Allgemeinen Studentenausschusses mitteilte, sind mit dem polnischen Studentenverband entsprechende Vereinbarungen getroffen worden. Die Universität Posen habe schon zwei deutsche Studenten eingeladen.

 

Seite 2   Erste Ausstellung westdeutscher Künstler in Polen

Der Ring bergischer Künstler wurde eingeladen, in Warschau eine Ausstellung mit Werken seiner Mitglieder, zu denen u. a. Adolf Roeder, Walter Wohlfeld, Wilfried Reckwitz, Hans Priebe und Hermann Ueberhold gehören, durchzuführen. Einige der deutschen Künstler sind bereits nach Warschau abgereist, um die Ausstellung, die ca. 50 Bilder und Architekturmodelle umfassen wird, aufzubauen.

 

Seite 2   Unsere Heimat heute.

Die Steppe wächst

Auf der Autobahn von Elbing nach Königsberg fangen in den Rissen des Asphalts an Bäume zu wachsen. Die in Allenstein erscheinende Zeitung „Zycie Olsztynskie", die dies berichtet, schreibt ferner, die Autobahn führe heute durch die am meisten vernachlässigten Gegenden des nördlichen Teils der Woiwodschaft Allenstein. Der Kreis Braunsberg sei am schlimmsten dran. Man fahre durch „leere und brachliegende Steppen, Sümpfe und Wiesen". Dabei sei dieser „fast völlig weiße Fleck auf der Karte" vollkommen erforscht.

 

„Es geschehen noch Wunder“

Unter dieser Überschrift berichtet eine polnische Zeitung über einen Betrunkenen in der westpreußischen Stadt Bromberg, der auf einer Bank vor dem Bahnhof mehrere Stunden schlief und dem eine Aktentasche mit 6000 Zloty nicht gestohlen wurde. So etwas gäbe es nur in Bromberg, kommentierte das polnische Blatt.

 

Kirche als Schrottlager

Die frühere Ordenskirche von Tilsit dient heute als Schrottlager und -sammelplatz Das Schenkendorf-Denkmal ist abgetragen worden.

 

1000 neue Wohnungen

Die Stadtverwaltung von Lötzen hofft, etwa 1000 neue Wohnräume bis 1960 freigeben zu können.

 

Holz unter Wasser

In den Seen um Mohrungen sollen 70 000 rm Holz lagern. Das Holz soll von einem Tauchertrupp aus Danzig gehoben werden.

 

Aufbaumittel für Artus-Hof

Das Warschauer Binnenhandeisministerium hat einen Kredit von 4 Millionen Zloty für die Instandsetzung und Einrichtung des Zeughauses und des Artus-Hofes zur Verfügung gestellt. In den Bogengängen des Zeughauses sollen 40 Einzelhandelsgeschäfte errichtet werden.

 

40 Prozent der Häuser schwammverseucht

In den nächsten Jahren müssen Gebäude mit 26 700 Wohnräumen abgerissen werden, weil sie vom Verfall bedroht sind. Im Stadtzentrum sind 40 Prozent aller Häuser schwammverseucht.

 

Bäder sollen „europäisiert" werden

Die drei Danziger Strandbäder Brösen, Glettkau und Heubude sollen — ebenso wie das Strandbad Zoppot — „europäisiert" werden, berichtet die in Danzig erscheinende Zeitung. Diese Bäder dürften „in keiner Hinsicht hinter den berühmten Seebädern zurückstehen". Zurzeit seien sie allerdings vollkommen verwahrlost.

 

Tempo „Allenstein“

Der Ausdruck „Allensteiner Tempo" wurde jetzt in Polen für lange Verzögerungen geprägt. Wie der Göttinger Arbeitskreis ostdeutscher Wissenschaftler berichtet, geht er auf die Vorgänge beim Bau eines größeren Gebäudes in Allenstein zurück, dessen Fertigstellung bereits vierzehnmal verschoben worden ist.

 

Kein Facharzt

In der ganzen „Woiwodschaft" Allenstein gibt es keinen einzigen Facharzt für Heilgymnastik, obwohl bei 30 Prozent der Schuljugend Haltungsschäden festgestellt worden sind.

 

Chruschtschow betonte Sowjetposition in Königsberg

Wie aus gut unterrichteten Kreisen in Warschau bekannt wird, hat der Erste Sekretär der „Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei", Wladyslaw Gomulka, nach seiner Rückkehr aus Moskau die Spitzen seiner Partei eingehend über den Verlauf seiner Gespräche mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow unterrichtet und dabei insbesondere geschildert, auf welche Weise Chruschtschow auf den „Notplan" zu sprechen gekommen ist, nach dem im Falle polnischer Renitenz eine „Ausdehnung der DDR auf Kosten der polnischen Westgebiete" ins Auge gefasst werden würde. Wie hierzu des Weiteren bekannt wird, hat Chruschtschow in seinen Gesprächen auch die „Bedeutung der Position des Gebietes von Kaliningrad" — also das sowjetisch besetzten Gebietes um Königsberg — unterstrichen. Als von polnischer Seite daraufhin bemerkt worden sei, dass die sowjetische Position in Nord-Ostpreußen eine „Bastion gegen die NATO" darstelle und den „Schutz des gesamten sozialistischen Lagers" gewährleiste, habe Chruschtschow — den Berichten aus polnischer Quelle zufolge — „dröhnend gelacht' und erklärt: „Natürlich, natürlich! Es ist schließlich eure Sache, wenn ihr diese Bastion so betrachtet". Sogleich habe er hinzugefügt, auch diese sowjetische Position habe dazu beigetragen, dass in Polen „automatisch größere Dummheiten vermieden" worden seien.

 

Seite 2   Ostpreußen-Warte. Verlag und Redaktion

Allen unseren treuen Lesern, Freunden und Mitarbeitern. Ein Frohes Weihnachtsfest und Glückliches Neues Jahr. 

 

Seite 3   Polen und Russen in Ostpreußen. Hier wie dort Widerstand gegen die Ansiedlung.

Wenn wir heute wieder einmal darauf verzichten, an dieser Stelle ein ausführliches aktuelles Städtebild aus Nord- oder Südostpreußen zu veröffentlichen, so deswegen, weil wir aus sowjetischen und polnischen Radiomeldungen, Reiseberichten usw. eine Anzahl detaillierter Informationen über die Ansiedlung in unserer Heimat gewonnen haben.

 

Wenden wir uns als erstes dem von der Sowjetunion verwalteten Teil Ostpreußens zu. Radio Charkow berichtete unseres Wissens erstmalig über Einzelheiten der russischen Siedlungsversuche in diesem Teil unserer Heimat. Der Sprecher sagte: „.... ist es daher eine Hauptaufgabe der Parteigruppen, Interessenten für die Ansiedlung im Rayon Königsberg zu werben und sie entsprechend in ihrer Meinung zu unterstützen. Es erwartet uns die ehrenvolle Aufgabe, bis zum neuen Jahr (die Sendung war Anfang November 1958, die Red.) sechs Kolchosen im Königsberger Rayon einzurichten. Technisch bereitet das keine Schwierigkeiten, und das meiste benötigte Material ist bereits mit der Eisenbahn verladen. Nun geht es darum, Menschen für die sechs Betriebe zu finden. Zu kritisieren bleibt, dass die Parteigruppen auf den Kolchosen noch nicht genügend Aktivität für eine Umsiedlung entwickelt haben. Es geht natürlich auch nicht an, dass die Vorsitzenden der Kolchosen sich bemühen, missliebige Genossen nach dem Westen abzuschieben. Dadurch könnte der unter allen Umständen zu vermeidende Eindruck entstehen, die Umsiedlung in den Königsberger Rayon stelle eine Strafe dar. Wir werden jeden Genossen, gleichgültig welche Stellung er bekleidet, zur Rechenschaft ziehen, wenn er sich von persönlichen Motiven bei der Werbung bestimmter Personen leiten lässt. Dieser Beschluss des Parteikomitees in Charkow sollte allen Verantwortlichen zu denken geben. Das Prinzip der Freiwilligkeit muss gewahrt bleiben. Es ist auch ein Fehler, dass in manchen Dörfern und Kolchosen ausschließlich ältere Menschen nach Westen geschickt werden. Was soll das, wenn man die Jugend nicht herauslässt? Dann wird der Königsberger Rayon ja wieder nicht exakt besiedelt, weil die Älteren früher sterben als die Jüngeren. Die Parteigruppen müssen also ihr Augenmerk darauf richten, in erster Linie jüngere Genossen und Bürger für den Umzug zu gewinnen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen außerdem auch, dass der Prozentsatz der nach dem Königsberger Rayon umgesiedelten und später wieder zurückgekehrten Bürger unter den Älteren um das Vierfache höher ist als unter Jugendlichen. Wollen wir also gute Arbeit im westlichen Grenzgebiet leisten, dann müssen wir von der großen Aufgabe überzeugte junge Bürger dorthin schicken!"

 

Aus diesen Sätzen geht folgendes hervor:

 

1.     im Charkower Gebiet besteht wenig Interesse daran, in unsere Heimat umzusiedeln;

2.     die Funktionäre versuchen oft ihnen persönlich unliebsame Menschen einfach nach dort abzukommandieren, um sich ihrer auf diese Weise zu entledigen;

3.     bisher ist mehr abkommandiert als geworben worden;

4.     und dabei hat man in erster Linie ältere Personen nach Nord-Ostpreußen geschickt und die Jüngeren im eigenen Land behalten;

5.     aus dem russischen Verwaltungsgebiet in Ostpreußen wandern ebenso wie aus dem polnischen sowjetische Ansiedler wieder in ihre Heimat ab!

 

Die polnische Parallele

Eine interessante Parallele hierzu wird aus der zentral-polnischen Woiwoschaft Lublin gemeldet. Dort hielt der für die Ansiedlung in Ostdeutschland verantwortliche PZPR-Funktionär Jerzy Srem vor der „Kommission zur Entwicklung der Westgebiete“ einen Vortrag. Darin hieß es unter anderem: „. . .und nun zum Stand der Ansiedlung in den Woiwodschaften Danzig und Allenstein. Wie ich schon bezüglich der Woiwodschaft Stettin ausgeführt habe besteht bei vielen Einwohnern kaum ein Interesse, in diese Gebiete zu gehen. Die einen sagen, sie wollen nicht in die großen Städte weil sie sie nicht kennen und weil sie dort nicht in der Industrie zu arbeiten imstande wären. Die anderen sagen, sie kämen vom Land, wollten aber in den Westgebieten nicht aufs Land, weil sie in jenen Gebieten die Bodenverhältnisse nicht kennen. Dass diese Einstellungen um sich greifen konnten haben wir nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken dass die Regierung viel zu wenig gegen die Rückwanderung von Ansiedlern in den Westgebieten getan hat. Viel schärfere Maßnahmen wären notwendig gewesen, um diese Rückwanderung zu unterbinden. Jeder Rückkehrer aus den Westgebieten wird hier in unserer Woiwodschaft ein Propagandist dafür, auf keinen Fall in die Westgebiete zu gehen. Diese Leute verbreiten die tollsten Gerücht um ihre Wiederkehr zu motivieren.

 

Ganze Landstriche sind von diesen Personen erschreckt worden. Wo wir mit Mühe einige Siedler gefunden haben, bekommen wir plötzlich Ablehnungen. Geht man dann den Dingen auf den Grund, dann stößt man mit Sicherheit auf Rückwanderer, die mit ihren Geschichten die Menschen unsicher und nervös gemacht haben. Genossen, ich könnte schon ein reicher Mann sein, wenn ich die mir täglich angebotenen Gelder nehmen würde, die mir Leute bieten, die sich für die Umsiedlung in die Westgebiete schon verpflichtet haben und die nun wieder von ihrer Verpflichtung zurücktreten wollen! Ihr wisst alle, dass es leider Angestellte des Staatsapparates und leider sogar Mitglieder unserer Partei gibt, die auf solche Bestechungsversuche positiv reagieren und für Geld die Umsiedlung einer Familie wieder rückgängig machen! Auch dass sich diese Tatsache herumgesprochen hat, hat viel zum Misslingen unserer bisherigen Anstrengungen beigetragen. Die Leute meinen nun, das alles könne nicht so ernst sein, wenn man sich für Geld oder ein halbes Schwein wieder loskaufen kann.

 

Ihr werdet daher verstehen, wenn ich ganz energisch fordere, die Korruption und Bestechlichkeit in unseren eigenen Reihen als erstes mit Stumpf und Stiel auszurotten! Wenn erst ein paar eingesperrt sind, wird sich die Sache schon bessern. Studiert ihr die Listen und Pläne wie ich, dann werdet ihr bemerken, dass sich vor allem solche Bauern vor der Umsiedlung zu drücken versuchen, die in die Woiwodschaft Allenstein gehen sollen. Warum ist das so? Nun bin ich bei Beantwortung dieser Frage gezwungen, festzustellen, dass auch Kritik gegenüber der Woiwodschaftsverwaltung in Allenstein angebracht ist. Sie hat wirklich nicht genügend getan, um gewisse uns allen bekannte Missstände in ihrem Verwaltungsbereich zu beseitigen. Und ihr wisst alle, dass sich solche Dinge schneller als gute Taten herumsprechen. Spreche ich heute mit einer Familie, dann sagt sie mir oft: „Warum sollen wir denn gerade gehen — warum sollen wir unglücklich werden?" Da sieht man doch, dass die Menschen Angst haben. Unsere Arbeit hier nützt oft deswegen nichts, weil die Allensteiner Genossen eine schlechte Arbeit geleistet haben und noch immer leisten“.

 

Soldaten wollen nicht Bauern sein.

Radio Königsberg hat sich nun mit einem Thema beschäftigt, das speziell für Nord-Ostpreußen von Bedeutung ist. Und zwar geht es um den Moskauer Plan, in Nord-Ostpreußen stationierte Soldaten und Offiziere dazu zu bewegen, nach Beendigung ihrer Dienstzeit in unserer Heimat als Zivilisten ansässig zu werden. Die Radiostation brachte nun in einer kurzen Meldung zum Ausdruck, dass der Stand der Werbung in den Streitkräften für die Ansiedlung im ‚Kaliningrader Oblast' kein guter ist und dass sich viele Genossen Kommandeure dazu entschlossen haben, gemeinsam ein neues Aktionsprogramm für dieses Vorhaben auszuarbeiten". Einige Tage später kam der Sender noch einmal in einem Kommentar auf dieses Thema zurück. Er gab den Truppenverbänden den Rat, den Soldaten schon während der Dienstzeit Gelegenheit dazu zu geben, sich im Land umzusehen und nach möglichen Wohn- und Arbeitsstellen zu suchen. Größere Einheiten sollten jeweils Soldaten einer bestimmten Berufsgruppe zusammenfassen und sie in einer Gemeinschaftsfahrt mit entsprechenden Betrieben bekanntmachen. Vor allem müsse man in der Armee dienende junge Bauern auf Musterkolchosen führen oder ihnen noch gut erhaltene, aber noch leer stehende Dörfer zeigen, in denen sie leicht eine Existenz finden könnten. Bereits vor ihrer Entlassung sollten die Politoffiziere sich bemühen, dass in ihren Einheiten Gruppen ansiedlungswilliger Soldaten gebildet würden, die dann unter den übrigen Kameraden die Propaganda für dieses Projekt übernehmen sollten.

 

Weiter wird vorgeschlagen, die betreffenden Einheiten sollten über solche Gruppen nach ihrer Entlassung eine Art Patenschaft übernehmen. Der betreffende Truppenverband wäre dann in der Lage, durch Feiertagsarbeit der Soldaten den Entlassenen beim Aufbau einer Kolchose oder eines staatlichen Gutes zu helfen. Der Kommentar ließ immer wieder durchblicken, dass sich bisher nur wenige russische Soldaten dazu bereitgefunden haben, nach ihrer Entlassung in Nord-Ostpreußen zu bleiben und dort ansässig zu werden. Auch das Fehlen junger Mädchen im sowjetischen Verwaltungsteil unserer Heimat wurde bemängelt. Die Soldaten hätten kaum Gelegenheit, hier im Land eine Frau zum Heiraten zu finden. Aus diesem Grund soll der sowjetischen „Komsomol"-Staatsjugendverband in Russland ledige weibliche Mitglieder auffordern, nach Nord-Ostpreußen zu ziehen und dort Arbeit aufzunehmen …

 

Reizen uns diese Überlegungen vielleicht zum Lachen, so sollten wir jedoch Mitgefühl mit Vorgängen in Zentralpolen haben. Dort nämlich ist man unter anderem in der Woiwodschaft Lodz dabei, ganze Dorfgemeinschaften geschlossen nach Süd-Ostpreußen umzusiedeln. Das wird unter unmenschlichen Bedingungen vor sich gehen! Die Behörden in Innerpolen zwingen die zur Umsiedlung ausgesuchten Einwohnergruppen dazu, hier Häuser abzumontieren, auf Transportmittel zu laden und komplett wieder in Ostpreußen aufzubauen! Damit will man diesen bedauernswerten Menschen die Rückkehr in ihre Heimat auf alle Zeit verbauen: bestehen doch nun ihre alten Ortschaften nicht mehr! Um hinter ihnen auch die restlichen Brücken zu verbrennen und um sie immer in dem fremden Land zu halten, werden die Felder in Innerpolen an Güter aufgeteilt oder zu Wäldern gemacht! Die polnische Verwaltung sieht in diesem brutalen Verhalten die einzige Möglichkeit, um die Aussiedlung doch noch durchzudrücken und um vor allem die Abwanderung von Siedlern aus Ostdeutschland unmöglich zu machen. Man will jetzt die Menschen mit Haus und Hof „total umsiedeln", wie in Lodz verschiedentlich zu hören war.

 

Als Argument für diese harten Bestimmungen wird der Bevölkerung gesagt, in Ostpreußen und anderen Teilen der „Westgebiete" gebe es nun keine beziehbaren Gebäude mehr. Da der Neubau zu lange dauere, sei die Mitnahme der Häuser notwendig. Nun weiß aber jedes Kind in Polen, dass es in unserer Heimat noch tausende unbewohnter Häuser gibt, die jeden Tag bezogen werden könnten. Dass diese Tatsache nun einfach geleugnet wird, zeigt, wie radikal man vorzugehen gedenkt. Nun ist es aber so, dass sich gerade wegen dieser Dinge die innenpolitische Lage in Zentralpolen sehr verschärft. Weite Bevölkerungskreise sind nicht gewillt, sich zwangsweise nach Ostpreußen und den anderen ostdeutschen Provinzen umsiedeln zu lassen! Das Regime wird wieder zu den nach dem Oktober 1956 zeitweise abgebauten Terrormaßnahmen zurückkehren müssen, will es seine Pläne in die Wirklichkeit umsetzen. Die Ansiedlung auf Grund der völligen Existenzvernichtung in Zentralpolen und der Aussichtslosigkeit, jemals wieder nach dort zurückwandern zu können, kann nur noch mit terroristischen Mitteln erzwungen werden. Ob und wie weit sich die polnische Bevölkerung das gefallen lässt, bleibt abzuwarten. Schon heute aber erkennt man, wie der Besitz Ostdeutschlands Polen belastet und in gefährliche Schwierigkeiten bringt!

 

Wir wollen unseren Bericht über diese drängenden Zeitprobleme mit der Schilderung eines Vorfalles im Landkreis Goldap abschließen, der so ganz die Situation beleuchtet. In diesem Kreis kamen im Herbst dieses Jahres laut polnischer Zeitungsmeldungen aus Bialystok — von wo Goldap heute verwaltet wird — 214 Neusiedler an. Ihre Heimat war bisher der Landkreis Debica (Woiwodschaft Rzeszow) gewesen. Es handelte sich bei diesem Schub durch die Bank um ganz arme Menschen, die praktisch in Südpolen bisher keinen Besitz hatten und als schlecht bezahlte Gutsarbeiter ihr Leben fristeten. Man hatte sie unter der Versprechung in das Goldaper Gebiet geholt, jeder würde dort einen eigenen Bauernhof erhalten.

 

So weit so gut. Was aber geschah, nachdem diese Personen in Ostpreußen angekommen waren? Sie setzten sich Familie auf Familie wieder in ihre Heimat ab. Nach genau sieben Wochen waren von den 214 Familien noch ganze 9 (neun!) in Ostpreußen. Die anderen zogen es vor, weiter in ihrer Heimat als Arme zu leben, als fragwürdige „reiche Bauern" in der Fremde zu sein.

 

Seite 3   Foto: Weihnachtliches Tilsit.

Blick aus der Schloßmühlenstraße auf die vielhundertjährige Deutsch-Ordenskirche. Der berühmte Turmaufbau, den Napoleon 1807 seiner Eigenart wegen als Kriegsbeute nach Paris schaffen lassen wollte, ist dem Vernehmen nach seit einigen Jahren abgerissen worden. Rechts im Bilde das Tilsiter Grenzzollamt, wo die Zollabfertigung nach dem Memelland und Baltikum erfolgte.

 

Seite 3   Polnische Zeitung verhöhnt „Recht auf Heimat"

In einer Polemik mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erklärt die Kattowitzer Zeitung „Dziennik Zachodni" zynisch, dass die Deutschen, die einstmals in den Oder-Neiße-Gebieten wohnten, „diese nicht mehr brauchten". Sie hätten sich bereits weitgehend vor dem Einmarsch der sowjetisch-polnischen Truppen im Kriege aus „unseren" (d. h. polnischen) Gebieten „entfernt". Weitere Millionen, die es zur rechten Zeit nicht schafften", hätten „bereitwillig die Umsiedlungsaktion benützt, indem sie anerkannten, dass in das deutsche Staatsterritorium zurückgekehrt werden musste". Schließlich verwendet der „Dziennik Zachodni" sogar noch die Zusammenführung der durch die unmenschlichen Massenaustreibungen getrennten Familien, um gegen die „Theorie" vom Recht auf Heimat zu polemisieren. Abschließend wird behauptet, die deutschen Heimatvertriebenen hätten sich in „ihren Aufenthaltsorten häuslich eingerichtet" und zeigten angeblich kein Interesse an der Rückkehr in ihre angestammte Heimat.

 

Seite 4   Ihr Sterne, seid mir Zeugen. Zum 175. Geburtstag von M. von Schenkendorf am 11.12.1958.

Die Völkerschlacht von Leipzig war geschlagen. Napoleon besiegt. Die Franzosen über den Rhein getrieben. Das rechte Rheinufer war frei. Max von Schenkendorf war nach den kriegerischen Ereignissen, an denen er wegen seines gelähmten Armes nicht mit der Waffe in der Hand hatte teilnehmen können, in Leipzig geblieben. Seine Kriegsgesänge waren von Mund zu Mund gegangen, oftmals von einem Lagerfeuer zum andern gewandert. Der junge Dichter war über Nacht berühmt geworden. Er und sein Kampfgenoss Theodor Körner waren die Freiheitsdichter jener großen Zeit.

 

Unerwartet erhielt Schenkendorf eine Stelle als Agent des Verwaltungsrats in Karlsruhe, wo er Freundschaft schloss mit dem Senator Smidt, dem Abgeordneten Bremens im Hauptquartier der Verbündeten. Niemand nahm die Gedichte Schenkendorfs begeisterter auf als dieser um ein Jahrzehnt ältere Mann mit dem offenen heiteren Wesen, worin er so ganz dem jungen Dichter glich. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Schenkendorfs Gedichte überall zu verbreiten. Er las sie dem greisen Dichter Johann Georg Jacobi am Krankenlager vor und machte ihm damit wenige Tage vor seinem Tode eine große Freude. Und eines Tages, im Frühjahr 1815, erschien er in der Redaktion des „Rheinischen Merkur" in Koblenz, den der berühmte Gelehrte und Publizist Joseph Görres herausgab.

 

Görres, der tagsüber in seinem mit Büchern und Manuskripten angefüllten Arbeitszimmer hauste und gerade über eine vaterländische Schrift des unglücklichen Heinrich von Kleist gebeugt saß, erhob sich in freudiger Bewegung, als er den Freund eintreten sah. „Was bringen Sie mir denn heute Neues, mein Bester", sagte er gut gelaunt.

 

„Sie suchen doch immer gute Beiträge für Ihre Zeitschrift, den Merkur", gab Smidt zurück. „Diesmal sind es keine glühenden Streitschriften gegen den Korsen und die Tyrannen überhaupt, ich bringe auch nichts, das Sie mit Ihrem Ingenium und Ihrer schreibgewandten Feder für Ihre Zeitschrift erst noch zurecht machen müssen. Heute sollen Sie etwas bekommen, das schon fertig ist, so vollendet und schön, dass selbst Sie nichts mehr daran zu bessern vermöchten“.

 

„Sie machen mich neugierig, mein Freund. Zeigen Sie her!" Smidt entnahm einer Mappe einige engbeschriebene Blätter und reichte sie Görres. Dieser warf einen schnellen Blick auf die Zeilen. „Aber das sind ja Gedichte! Signiert von Max von Schenkendorf, alle sorgfältig, fein säuberlich zu Papier gebracht von seiner eigenen Hand. Lassen Sie sich umarmen, Freund. Sie wissen nicht, was gerade diese Verse für mich bedeuten“. Er trat an sein Bücherbord und zog eine kleine Schatulle hervor. „Hier — sehen Sie, was sie enthält“. Er nahm ein schmales Bändchen heraus. „Ich habe alle Gedichte des jungen Freiheitshelden, die mir einzeln gedruckt oder abgeschrieben in die Hand gekommen sind, hier binden lassen. Ich hoffe sehr, dass Cotta sie bald als Buch erscheinen lässt. — Das Geschäft mit ihm soll ja zur Zufriedenheit des Dichters ausgefallen sein. Ich habe mir vorgenommen, die schönsten, hinreißendsten dieser Gedichte nach und nach in meinem „Merkur" zu veröffentlichen. Aber lassen Sie mich sehen, ob die Verse, die Sie mir bringen, nicht schon in diesem Bändchen enthalten sind“.

 

Er verglich sie miteinander und fand heraus, dass er „Das Lied vom alten Helden" bereits gedruckt hatte, auch „Andreas Hofer", ebenso „An das Haus Habsburg" und „Der Stuhl Karls des Großen". Er sah dem Freunde in das erregte Gesicht. „Diese vier finden Sie bereits im ersten Jahrgang meiner Zeitschrift. Die andern, die Sie mir bringen, sind mir noch nicht bekannt. Ich will sie in Ruhe lesen. Seien Sie überzeugt, dass ich sie heilig halten werde. Es sind die ersten Gedichte in meinem Besitz, die von des jungen Dichters eigener Hand stammen“. Nun erfragte Görres die näheren Lebensumstände, in denen sich Schenkendorf zurzeit befand und ob er sich für ihn sonst irgendwie einsetzen könne. „Ich hörte", fuhr er fort, „dass er sich mit einer lieben, anmutigen Frauenperson ehelich verbunden hat, die ihn vergöttern soll. Aber ist unser Bruder in Apoll nicht schon durch seine unsterblichen Verse zu den Göttern erhoben? Erzählen Sie mir von ihm. Berichten Sie mir alles, was ich wissen muss“.

 

„Schenkendorf hat einen väterlichen Freund und einen mächtigen Fürsprecher im Reichsfreiherrn vom Stein gefunden", belehrte, ihn Smidt. „Er sorgte auch dafür, dass der Dichter das Amt in Karlsruhe erhielt, leider zunächst noch ohne feste Anstellung“.

 

Görres schüttelte bedenklich den Kopf. „Es wird ein hartes Stück Arbeit kosten, den Stockpreußen aus Königsberg im Rheinländischen heimisch zu machen. Sie wissen, wie man hierzulande von den Preußen denkt. Aber das ist nicht meine Meinung“.

 

 „Ich glaube, Sie irren sich Görre, Schenkendorf ist keineswegs Stockpreuße. Er hat die Rheinländer ganz in sein Herz geschlossen. Wissen Sie, was er zu mir sagte? Als ich im Herbst 1811 nach dem Mittel- und Niederrhein kam, behagte es mir gar nicht unter den Preußen. Die Offiziere schienen mir so arrogant, stolz und dumm, die Zivilisten beschränkt und einseitig preußisch. Ich habe lange Zeit im ewigen Streit mit ihnen gelebt, und sie nennen mich dort alle Österreicher“.

 

„Nun ja, das glaube ich wohl, Schenkendorf ist wie viele der führenden Preußen hier am Rhein ein warmer Anhänger des deutschen Einheitsgedankens. Mir fällt da eines seiner schönsten Gedichte ein, der herrliche Frühlingsgruß an das Vaterland, in dem es heißt: „Nimmer wird das Reich zerstöret, wenn ihr einig seid und treu!“ Das sollten sich alle Preußen und Rheinländer merken. Aber einer ihrer Besten, der scharf beobachtende Clausewitz — wenn ich mich nicht irre, steht auch er unserm jungen Dichter freundschaftlich nahe — spricht mir aus dem Herzen. Lassen Sie mich mal nachschauen..." Er blätterte in einer Mappe. „Hören Sie, was Clausewitz sagt: Die Beamten, welche die Regierung an den Rhein geschickt hatte, konnten zwar nicht das Vertrauen der Einwohner gewinnen, weil diese am liebsten lauter Rheinländer gehabt hätten und sich dabei etwas vor dem alten preußischen Dünkel fürchteten. Indessen war die Wahl mit wahrer Sorgfalt geschehen. Alle höheren Beamten waren Leute von ausgezeichneter Rechtschaffenheit, auf deren Ruf kein Flecken war. Die meisten von ihnen waren auch in eben dem Maße tüchtig“. Auch von den subalternen Beamten ist Clausewitz kein einziges Beispiel bekannt geworden, dass sich einer durch Schlechtigkeit bemerkbar gemacht hätte. Sie sehen, mein Freund, dass ich in diesem Punkte als Rheinländer sogar den Preußen Schenkendorf korrigieren muss. Ich habe die Zuverlässigkeit, Unbestechlichkeit und Tüchtigkeit der preußischen Beamten schätzen gelernt, trotz des mitunter uns Rheinländern unbequemen Befehlstons. Aber ich spürte immer bei ihnen den hohen Wert des kategorischen Imperativs der Pflicht. In einem aber muss ich Schenkendorf recht geben: die preußischen Militärs haben sich am Rhein wenig glücklich aufgeführt. Diesem Offizierskorps, meist vom altpreußischen Adel, fehlt nun mal das Verständnis für rheinische Art. Sie betrachten die Westmark als eroberte Provinz, nicht als wiedergewonnenes deutsches Land. Sehen Sie: und dann ist da noch die Konfessionsfrage. Sie lastet als ein dunkler Schatten zwischen dem bewusst protestantischen Preußen und dem überwiegend katholischen Rheinland. Ich fürchte, dass es eines Tages zu bürokratischen Gewaltmaßregeln kommt“.

 

„Dann müssen Sie auch erfahren, dass Schenkendorf bei der rheinischen Bevölkerung durchaus beliebt ist. Er neigt zum Katholizismus, oder sagen wir besser, er propagiert eine Katholiken und Protestanten einträchtig umfassende, volkstümliche germanisch-katholische Kirche als Gegenstück zu einem alle Stände und Stämme ausgleichenden deutschen Brudervolk“.

 

„Das ist ja sehr interessant. Wenn dem so ist, dann wird man wohl bald eine ideenlose Bürokratenseele auf seinen Posten am Rhein setzen, als den allzu offenherzigen tapferen Schenkendorf. Vielleicht wird man ihn sogar strafversetzen, zurück ins streng protestantisch Preußische. Jedenfalls haben Sie mich begierig gemacht, lieber Smidt, möglichst bald eine Unterredung mit ihm selbst überall diese Probleme anzubahnen“.

 

„Ich vertraue auf das ruhige, unbeirrbare Urteil des Freiherrn vom Stein. Er hat Schenkendorf protegiert, und er weiß seine Leute zu wählen. Er braucht die Elite der Nation für seine vaterländischen Ziele. Und wo könnte er einen größeren Idealisten finden als in Schenkendorf, bei dem man den Menschen nicht von dem Patrioten und Dichter zu scheiden vermag. Wie bei keinem sonst schmilzt alles dies in eins zusammen. O ja, Schenkendorf ist schon ein Mann, wie er sein muss“.

 

Görres Blick ruhte mit Wohlgefallen auf dem Freunde aus Bremen, der so beredt, mit so viel Herzenswärme, den Anwalt für den abwesenden Freund machte. „Ich habe längst aus seinen Gedichten erkannt", sagte er zu Smidt, „dass die wirkliche Welt niemals seine Empfindung für das Erhabene und Heilige abzustumpfen vermag, andererseits hält ihn auch die Dichterwelt nicht so fest, dass sie ihn für die wirkliche untauglich machte. Er ist im Begriff, die wahre Volkstümlichkeit zu erwerben. Sein Lied ist einer der allerbesten Klänge, die sich an diesem Kriege entzündet haben und wohl wert, dass es auf allen Straßen und Wegen vom Volke gesungen werde“. —

 

Seit dieser denkwürdigen Unterredung zwischen den beiden vortrefflichen Männern waren einige Monate verstrichen. Görres hatte durch den Abdruck der Gedichte Schenkendorfs viel zu seiner Popularität beigetragen. Er hatte ihn sogar noch Kleist, Brentano und Stolberg vorgezogen, die des Öfteren im „Merkur" zu Wort kamen. Welcher junge Dichter durfte sich rühmen, in der berühmtesten Zeitschrift jener politisch bewegten Jahre, der „fünften Großmacht", auf die das ganze Europa horchte, so auffallend an die erste Stelle unter den Dichtern gesetzt zu werden? Und dann kam auch der Tag, an dem die beiden in vielem so ähnlichen Männer, nur durch sieben Lebensjahre getrennt, sich gegenüberstanden und vom ersten Augenschein schon das Gefühl einer echten Freundschaft in sich aufkeimen fühlten. —

 

„Seien Sie mir herzlich willkommen, Herr von Schenkendorf", wandte sich Görres an seinen Gast, „Ihr Besuch ist mir schon lange durch unsern gemeinsamen Freund, den Senator Smidt, angekündigt worden. Sie haben mir auch durch ihn einige Gedichte geschickt. Andere sind mir schon auf oftmals seltsamem Wege in die Hände gekommen. Nun, Sie wissen, dass ich die schönsten und zutreffendsten in meinem „Merkur" abgedruckt habe. Zutreffend, weil Sie in diesen Versen die tiefsten Quellen unserer Volksseele angeschlagen haben: die Vaterlandsliebe, die Freiheitsliebe und die allgemeine Sehnsucht nach einem besseren, größeren, nach einem einigen deutschen Vaterland“.

 

„Ich danke Ihnen, verehrter Meister für Ihre Anteilnahme an meinen dichterischen Bemühungen. Ich weiß die Ehre, die Sie mir mit dem Abdruck meiner Verse in Ihrem allerseits hoch gerühmten „Rheinischen Merkur" umso mehr zu schätzen, als Sie mich, einen Preußen, über Gebühr darin herausstellen. Aber ich darf wohl sagen, dass unser beider Streben auf das gleiche Ziel gerichtet ist“.

 

„O ja. ich hörte, der Kern Ihrer politischen Wünsche sei, ein deutsches Reich und ein Kaiser, aus denen allen Deutschen des Vaterlandes Größe her, frei und unverletzbar erwachsen kann“.

 

„Die Krönung eines deutschen Kaisers hat mir immer als die höchste und letzte Stufe der Erfüllung der vaterländischen Träume aller guten Deutschen vorgeschwebt. Die Freiheit des Rheines scheint mir jedoch das erste Ziel zu sein, denn durch diese Freiheit erst glaube ich des ganzen Deutschlands Freiheit gewährleistet zu sehen. Ich darf wohl auf die Worte meines Freundes Ernst Moritz Arndt hinweisen: „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“.

 

„Ganz gewiss bedarf es noch mancher Voraussetzungen, ehe wir den Traum von der Wiederherstellung des deutschen Kaiserreichs verwirklicht sehen können. Man sagte mir, Sie setzten dabei ihre Hoffnung auf die Habsburger“.

 

„Allerdings habe ich eine Zeitlang an Franz I. gedacht als Erneuerer der Kaiserwürde und als Retter in der deutschen Not. Aber ich habe erkannt, dass es diesem Manne nicht gelingen kann, den Widerstand der oberrheinischen Fürsten zu brechen. Ich habe während meiner Tätigkeit in Karlsruhe Gelegenheit gehabt, tiefe Einblicke in ihr geheimes, geradezu landesverräterisches Treiben zu gewinnen. Sie haben nur ihre partikularistischen, kleinstaatlichen Interessen im Auge. Sie wollen nichts von ihrer Souveränität einbüßen. Warum hat sich das süddeutsche Volk nicht gleich dem norddeutschen erhoben? Seine Fürsten haben dies verhindert, aus Furcht vor der Volkserhebung, welche die Freiheit und Gerechtigkeit als Prinzip und Verpflichtung von ihnen gefordert hätte. Nein, nein, Franz allein kann es nicht schaffen. Es muss ein Kaiser sein, der mit starker Hand die unselige Zersplitterung und Kleinstaaterei beseitigt. Österreich und Preußen müssen sich zusammentun und allen Deutschen das neue Reichsoberhaupt schenken“.

 

„Ich glaube nicht, dass Österreich jetzt dazu zu bewegen ist. Hätte es nach der großen Völkerschlacht bei Leipzig die Kaiserwürde wieder angenommen, gern hätte man sich ihm auf Gnade oder Ungnade ergeben. Aber man hat es versäumt, sie ihm anzubieten, und heute ist es dazu zu spät".

 

„Dann blieben also nur noch die Hohenzollern“.

 

„Ja, wir alle müssen erst noch lernen, an die deutsche Sendung der Hohenzollern zu glauben. Ihnen als Preußen kann das ja nicht schwer fallen“.

 

 „Oh, ein Fürst aus dem alten siegreichen Geschlechte der Hohenzollern — ein wahrer Fürst von Gottes Gnaden, vom ganzen deutschen Volke auf den Schild erhoben, wie einst der germanische Herzog Hermann der Cherusker! Wie neu würde dem Volke alter Heldensang erklingen! Wie würden sich alle deutschen Dichter in der Verherrlichung des neuen Kaisers zusammentun, dass ihr Lied emporschwelle zum Herrn der himmlischen Heerscharen, dessen Gnade wir ihn verdanken“.

 

Görres musste lächeln, als er seinen jungen Freund in solchem Feuer der Begeisterung reden hörte. Er, der Mann der nüchternen Erwägungen und Erkenntnisse, der kühl und richtig schauende Politiker, er sagte: „Fürs erste dürfen wir wohl erwarten, dass unsere Fürsten uns jetzt nicht wieder zu Aufopferungen und Leistungen, zu Schlacht und Sieg rufen werden, ehe sie uns die Güter versichert haben, wegen deren allein der Sieg alle Anstrengung wert ist“.

 

Max von Schenkendorf war aufgesprungen. Er hielt die Lehne des Sessels mit beiden Händen fest umkrampft. „Ein pereat allen Fürsten, die die Versprechungen nicht geben, die sie dem Volke schuldig sind und was es nach dem Geist der Zeit zu fordern berechtigt ist: die Vereinigung aller Deutschen in ein festes wohlgeordnetes Reich unter einem starken Kaiser“. Seine Augen leuchteten, als er mit hocherhobener Stimme sprach, ein Seher seines Volkes:

 

„Ihr Sterne, seid mir Zeugen,

die ruhig niederschaun:

wenn alle Brüder schweigen

und falschen Götzen traun,

Ich will mein Wort nicht brechen

und Buben werden gleich,

will predigen und sprechen,

von Kaiser und von Reich“. Franz Erdmann

 

Seite 4   Herders Vermächtnis. Zum 155. Todestag des großen Ostpreußen.

Der Geist seiner Zeit war erstarrt. Nicht das Leben galt, sondern die Regel. Da fegte Herders Wort wie ein Sturmwind den Staub aus den Stuben und zerzauste die Perücken. Es öffnete geistige Räume von ungeahnter Weite und gab damit der Entwicklung der deutschen Kultur eine völlig neue und entscheidende Wendung.

 

Der Osten hatte Johann Gottfried Herder geprägt und zum Erzieher seiner Nation geformt: In dem ostpreußischen Städtchen Mohrungen, weltabgeschieden in der Wald- und Seenlandschaft halbwegs zwischen Elbing und Tannenberg gelegen, wurde er als Sohn eines Lehrers und Kantors am 25. August 1744 geboren. Aus der verträumten Stille seiner Heimat, aus engsten Verhältnissen und mit dürftigster Vorbildung, kam er in die geistig lebendigste Stadt seiner Zeit, nach Königsberg, um zunächst Medizin, dann Theologie und Philosophie zu studieren. Zwei mächtige Geister, Kant und Hamann, der ‚Magus im Norden', wurden seine Lehrer. Immanuel Kant führte ihn in die Philosophie ein; von ihm gewann er die sein späteres Schaffen bestimmende Erkenntnis, dass die Philosophie zur Antropologie werden müsse, also zu einer Wissenschaft vom Menschen, in deren Mittelpunkt das Volk stehen muss. Und von Hamann lernte er, dass die Vernunft nicht das Höchste und ausschließlich Maßgebende sei, sondern Ahnung und Glauben die Vernunft ergänzen müssten.

 

Schon mit zwanzig Jahren ging Herder als Lehrer der Domschule nach Riga, und hier öffnete sich ihm die ganze Weite des Ostens. Hier erfuhr er die Vielfalt und Eigenart der Stämme und Völker, und er erfasste sie als gewachsene Organismen von besonderen Werten. Mit dem Erkennen der Unterschiede der Völker erwachte zugleich das Bewusstsein der eigenen Art seines Volkes, das letzte Krönung wenige Jahre später, auf einer Reise durch Frankreich als Begleiter des Erbprinzen von Holstein-Gottrop finden sollte.

 

In Riga entstanden seine ersten Werke, in denen er bereits den Plan zu seiner Lebensarbeit festlegte, von dem er kaum jemals abwich, 1767 „Über die neuere deutsche Literatur" und 1769 „Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend", über die Gesetze der Sprache, der Geschichte und der Dichtung und die Fragen nach ihrem Ursprung und ihren Verschiedenheiten. Seinem freien und lebendigen Geist wurde jedoch Riga bald zu eng. Er drängte ungestüm hinaus. Er wollte die Welt sehen, erleben, durchschauend und mitfühlend erfassen. Im Herbst 1769 verließ er Livland zu Schiff und entwarf auf hoher See das Erziehungsprogramm, mit dem er sich an die Jugend seiner Zeit wenden wollte und das er im „Journal meiner Reise" aufzeichnete: „Philosoph der Natur, das sollte dein Standpunkt sein mit dem Jüngling, den du unterrichtest. Stelle dich mit ihm aufs weite Meer und zeige ihm Fakta und Realitäten und erkläre sie ihm nicht mit Worten, sondern lass sie ihn sich selbst erklären!" So wie er den Einzelnen auf die Lehrmeisterin Natur verwies, um aus der Anschauung des Ursprünglichen zu lernen, nahm er sich vor, angesichts der großen Werke der Dichtung aller Völker und Zeiten von Homer bis Shakespeare und Ossian den Deutschen die größten Ziele zur Entfaltung ihrer künftigen Dichtung zu setzen.

 

Davon erfüllt, begegnete er im Herbst 1770 in Straßburg dem Studenten Goethe: ein schicksalhaftes Zusammentreffen von umformender Wirkung! Denn was Herder von Hamann erfahren und was er sich selbst erworben hatte, gab er nun an den Mann weiter, von dem er die Verwirklichung einer neuen Dichtung erhoffte, seine Wertung des Volksliedes als Ausdruck des Volksgeistes, sein Wissen um die Ureinheit von Sprache, Dichtung und Mythos, die Bekanntschaft mit dem Genie Shakespeare. Begeistert wurde Herder von dem Kreis junger Menschen um Goethe und Lenz als ihr Lehrer und Führer begrüßt. Wie eine Flamme zündete sein Wort, dass „Regeln kein Genie erwecken, noch weit weniger schaffen können, ja, dass sogar die größten Genies zügellos und regellos sind". Er leitete damit die geistige Revolution ein, die ihren ersten Ausdruck im ‚Sturm und Drang' fand. Mit seinen Freunden gab er als Kampfschrift Blätter mit dem bezeichnenden Titel „Von deutscher Art und Kunst" heraus. Unter seiner Führung ging Goethe dem deutschen Volksliede im Elsaß nach und eröffnete ihm den Blick für die Schönheit und die Bedeutung der Gotik angesichts des Straßburger Münsters. Das war etwas Unerhörtes in einer Zeit, die sie mit Lessing noch als Barbarei abgelehnt hatte.

 

Als Herder 1771 Prediger in der kleinen Residenz Bückeburg wurde, konnte das für ihn nur eine Zwischenstation zur Vorbereitung auf Weimar sein, wohin er durch Goethes Vermittlung 1776 als Generalsuperintendent berufen wurde. In Weimar blieb er bis zu seinem Tode. Hier gab er 1778 - 1779 mit der zweibändigen Sammlung nachschaffend übersetzter „Volkslieder" jenes umfassende Liederbuch der Völker heraus, das beispielhaft für alle künftigen Arbeiten wurde, vor allem für „Des Knaben Wunderhorn" der Romantik, und hier entstand schließlich zwischen 1784 und 1791 sein Hauptwerk, „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit".

 

Allerdings ging die Dichtung zunächst andere Wege, als er gefordert hatte: im Weimarer Klassizismus sah er eine der Jugend und dem Leben feindliche und gefährliche Entwicklung. Es kam darüber zu einer Entfremdung von Goethe und Schiller? nur in Jean Paul fand er einen letzten Freund. Herder starb am 18. Dezember 1803, wie Josef Nadler sagt, „ohne zu ahnen, dass er die Zukunft für sich hatte, dass in der Romantik die geistige Nachkommenschaft von ihm und Hamann her die Führung in Deutschland ergriff, ohne zu ahnen, dass Goethe in seinen letzten Jahrzehnten zu dem gemeinsamen Straßburger Erlebnis zurückzukehren und sich im Sinne von Hamanns und Herders Volksliedauffassung um eine Dichtung aus der wahren Volkheit bemühen werde“.

 

Herders weit über den Tod hinauswirkende revolutionäre Kraft, mit der er die geistigen Grundlagen seiner Zeit erneuerte, ist kaum zu ermessen! Nicht nur, dass von ihm die gesamte neuere Sprachforschung und Sprachkritik befruchtet wurden, dass er mit seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" den Zusammenhang zwischen der Natur der Völker und ihrer geschichtlichen Entwicklung aufzeigte und die moderne Geschichtsschreibung begründete, dass er wesentlich zur Überwindung der Aufklärung beitrug und ohne seinen Einfluss die Romantik kaum denkbar wäre, dass erst seine Lehre vom Eigenwert der Völker das Nationalgefühl nicht nur der Deutschen, sondern vor allem auch der kleinen Völker Osteuropas entzündete und damit ihr politisches Schicksal bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein bestimmte. Herder hat uns über seine Kulturtheorien hinaus auch ein geistiges Vermächtnis hinterlassen, das gerade in unserer Zeit, die mit der seinen so manche Ähnlichkeiten aufweist, wieder wirksam werden will: Als Herder in Erscheinung trat, hatten die Deutschen keinen echten Staat, Kunst und Dichtung waren überfremdet und stagnierten in der Zwangsjacke starrer Regeln, das Volksbewusstsein war fast erloschen, den Deutschen war allein noch die Sprache geblieben und auch diese schon von modischen Einflüssen aus Italien und Frankreich angegriffen Die Entwicklung war an einem Ende angelangt, hinter dem der endgültige Verfall drohte, wenn es nicht gelang, das Allzufertige, die Perfektion des augenscheinlich Falschen umzustürzen.

 

Herder, und das ist beispielhaft für uns, hatte den Mut ganz neu, ganz von vorn zu beginnen. Das Gewohnte und in der Gewohnheit Tote fegte er beiseite. Er führte zu den Ursprüngen zurück, denn das, was naturhaft und ursprünglich aus dem Volksgeist gewachsen war, erschien ihm als das Echteste, von intellektuellen Erwägungen Unverfälschte. Er fand es im Schaffen der unverbrauchten Völker und erkannte, was immer wieder vergessen wurde und doch heute noch gilt, dass Kunst und Dichtung nicht auf nur ihnen eigenen, vom Leben abgesonderten Kunstgesetzen beruhen, sondern auf den allgemeinen Lebensgesetzen, und da diese Lebensgesetze besondere Völker formten, dass das Besondere und Eigenartige nur dann geschaffen werden kann, wenn es das Wesen der einzelnen Völker ausdrückt.

 

Diese Hinwendung zu den Ursprüngen hatte nicht eine Verengung der Sicht, sondern eine bis dahin ungeahnte Erweiterung der geistigen und künstlerischen Möglichkeiten zur Folge: Herder hatte erkannt, dass die bedeutendste Schöpfung immer zugleich die bodenständigste ist, dass die Weltkultur Volkskulturen voraussetzt und dass sie nichts anderes sein kann, als deren Mosaik, nicht Vereinheitlichung und Nivellierung zum Allgemeinen — denn das wäre der Tod jeder Kultur —, sondern lebensvoller Zusammenklang der besonderen Leistungen der Völker. Darum verlangte er nicht ‚klassische' Dichter, sondern den Deutschen eigentümliche.

 

Dieser große Gedanke Herders ist heute noch nicht zu Ende gedacht und auch heute noch nicht verwirklicht. Er ist sein Vermächtnis an uns. Es wird fruchtbar werden, wenn wir nur erst anfangen, einen eigenen Weg aus der Verwirrung der Gegenwart zu suchen! Hans Teichmann.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 12. Dezember 1958.

Wie feiert man.

Weihnachten woanders.

In Frankreich – stehen nicht in allen Wohnungen Weihnachtsbäume. In den großen Städten gleichen die Weihnachtsfeiern eher Silvester - Veranstaltungen. Überall wird getanzt, und auf den Straßen werden Knallfrösche losgelassen.

 

In Spanien — gilt Weihnachten auch als Fest der Lebensfreude. Nur in den Kirchen versammeln sich die Gläubigen zu mittelalterlichen Laienspielen. Der eigentliche Geschenktag ist im Januar, am Tage der „Heiligen Drei Könige".

 

In Portugal — ist es ähnlich. In allen Häusern sind die Tische reich gedeckt zum Essen und Trinken, und nur die bunte Krippe erinnert an den eigentlichen Sinn des Festes.

 

In England — gehört auch der Truthahn neben dem mit Rum übergossenen brennenden Plumpudding zu dem traditionellen Weihnachtsessen. Statt Weihnachtsbaum wird meistens der Mistelzweig gebracht, der überall aufgehängt wird.

 

In Italien — ist die Krippe der Mittelpunkt aller Weihnachtsfeiern. Erst nach der feierlichen Mitternachtsmesse setzen sich die Italiener zu Tisch, auf dem Truthahn und Topfkuchen nicht fehlen dürfen. Die Weihnachtsmärkte beginnen erst nach dem Weihnachtsabend, denn zum Geschenktag ist der Dreikönigstag bestimmt.

 

In Griechenland — gibt es wie bei uns Lichterbäume und Familienfeiern am Heiligenabend. Die Verteilung großer Kuchen und Torten mit eingebackenen Münzen stellen den Höhepunkt des Festes dar.

 

In Schweden — und in den übrigen nordischen Ländern herrscht noch ein alter Brauch: das Julfest. Es dauert bis zum Dreikönigstag und beginnt am ersten Weihnachtsfeiertag mit der Krönung der Sonnengöttin Lucia — dargestellt vom jüngsten Mädchen jeder Familie.

 

In Afrika — veranstalten die Negerkinder genau wie bei uns Krippenspiele, mit einem Negerbaby als Christkind in der Krippe. Jedes Volk feiert das Fest nach überlieferten Sitten und Gebräuchen.

 

Seite 5   Foto: Vor dem Stadttor / Holzschnitt von Franz Neundlinger.

 

Seite 5   Advent / Von Fritz Kudnig.

Nun nahst du wieder, tiefste Nacht,

aus der das Licht will kommen,

das uns zu neuen Menschen macht,

zu Liebenden und Frommen.

 

Du Gottes-Licht, im grauen Jahr

der Sorgen fiel begraben,

weil wir, des Seelenfriedens bar,

uns selbst verloren haben.

 

Du Liebe-Licht, nun füll uns ganz

mit deinem Sonnensegen.

Erleuchte still mit deinem Glanz

die Nacht auf unsern Wegen.

 

Und mache unsre Herzen weit


 

für alle Nöte unsrer Zeit,

die sonst an sich nur denken,

zum Opfern und zum Schenken!

 

Seite 5   Aus unserer Bücherkiste

Liebe Leseratten!

Heute wollen wir einen tiefen Griff in die Bücherkiste tun, gewissermaßen in letzter Minute; denn jetzt muss der Wunschzettel ausgefüllt werden.

 

Da möchten wir euch zunächst mit zwei Jahrbüchern bekannt machen.

Überall dabei. Das große Jahrbuch für Jungen. 4. Jahrg. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 240 Seiten, 40 Farbtafeln und Farbfotos, über 200 Schwarzweißfotos, 150 zum Teil farbige Zeichnungen, Preisausschreiben. Großformat (30 x 21,9 cm), Halbleinen DM 13,10.

Dies ist ein Jahrbuch, wie man es sich wünscht. „Überall dabei" hat es sich zur Aufgabe gesetzt, in Wort und Bildern einen Ausschnitt aus der Farbigkeit und dem Reichtum der Welt einzufangen und weiterzuvermitteln. Das Buch ist „überall dabei", ob es sich nun um Abenteuer unter Indianern, mit wilden Tieren oder um interessante Reisen nach Indien, Burma, Neuguinea, Zypern und Afrika handelt. Auch den Wissenschaftler und Techniker begleitet es auf seinen nicht minder abenteuerlichen Pfaden. Aber es führt nicht nur in ferne Länder, technische Wunder und in die Zukunft, es geht auch in die eigene deutsche Vergangenheit, zeigt uns neben den gigantischen technischen Wunderleistungen zu den mehr unscheinbaren, wenn man es aber recht besieht, viel größeren Wundern der Natur. Auch die Bastler, Sportler und Sammler kommen voll auf ihre Kosten. Das wäre schon was für deinen Wunschzettel!

 

Natürlich gibt es auch Jahrbücher für Mädchen; hier ist schon eins:

Für Dich. Ein Jahrbuch für Mädchen. 3. Jahrg. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 312 Seiten. Mit 62 Fotos und (mehrfarbigen Reproduktionen auf Kunstdruckpapier, 120 Zeichnungen im Text; Leinen DM 11,50.

Auch die jungen Leserinnen werden begeistert sein, sollte dieser gewichtige Band mit unter den Geschenken liegen. Informieren wir uns kurz an Hand des Inhaltsverzeichnisses: da gibt es die Abschnitte „Schöne Heimat — lockende Ferne", „Von Kunst und Kultur", „Von Pflanzen und Tieren", „Menschen und Schicksale" und „Von Alltag, Sonntag und von praktischen Dingen". Jeder Abschnitt mit einer Fülle von verschiedenartigen Beiträgen, die der gestellten Aufgabe von Verlag und Herausgeber gerecht werden: das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, unterhaltend und bildend zu sein, praktische Fingerzeige für das Alltagsleben zu geben und den Blick für das Wunderbare in Gottes weiter Welt zu schärfen. Aus dem Abschnitt „Menschen und Schicksale" möchten wir besonders auf zwei ausführliche Lebensbilder über bedeutende ostdeutsche Frauengestalten hinweisen: über die aus Königsberg gebürtige Künstlerin Käthe Kollwitz (mit drei Wiedergaben aus ihrem Schaffen) und über die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach. — Ein gutes Mädchen-Jahrbuch, das wir bedenkenlos empfehlen können!

 

Und nun wieder etwas für richtige Jungen!

F. W. Kuck: Männer entdecken die Welt. Die großen Entdeckungsreisen. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 248 Seiten. Mit 8 vierfarbigen, z. T. doppelseitigen, 38 zwei- und einfarbigen Abbildungen, 6 zweifarbigen Karten. Halbln. DM 7,80.

4000 Jahre Entdeckungsreisen, 4000 Jahre voller Abenteuer, Opferbereitschaft und Forscherdrang! Groß ist die Zahl der Männer, die von Fernweh und Wissensdrang in fremde Länder hinausgetrieben wurden. Groß und oft erschütternd war ihr Schicksal auf der Höhe des Erfolges oder in den Stunden der Verzweiflung.

In diesem Buch erwachen sie zu neuem Leben: die Kapitäne, Kaufleute, Landsknechte, Forscher und Wissenschaftler, die uns erste Kunde von dem Aussehen der Erde brachten. Nicht immer sind es Europäer gewesen, die die großen Leistungen vollbrachten: da waren in frühester Zeit schon die Perser und Ägypter, die Phönizier, Chinesen und Polynesien. Langsam und nur widerwillig entschleierte sich die Erde unserem Blick. Spät erst entstand das endgültige Bild der Kontinente, der unendlichen Meere und arktischen Eiswüsten.

 

Wir verdanken es Männern wie James Cook und Adolf Lüderitz, Vitus Bering und Christoph Columbus, Ibn Batuta und David Livingstone. In 24 Kapiteln schildern namhafte Autoren die Höhepunkte aus dem Leben dieser und vieler anderer großer Entdecker. Sachliche Zwischentexte und Karten geben dem Band geschichtlichen Wert.

 

Willi Probst schuf die vielen, größtenteils farbigen Illustrationen dieses Werkes, das in der Bertelsmann-Reihe „Mein Bücherschatz" erschien.

 

Und natürlich auch wieder ein Schneider-Buch, und diesmal eins für unsere Mädchen!

Gustl Kernmayr: Gitta, der Stolz der Klasse. Franz Schneider Verlag, München. 144 Seiten, in abwaschbarem Einband, DM 3,80.

Das ist eine recht abenteuerliche Geschichte um unsere Gitta. Sie hört da eines Tages, dass für die Hauptrolle in einem Film ein junges Mädchen gesucht wird, und da steht ihr Entschluss fest. Heimlich fährt sie ins Atelier — und hat Glück: durch Ihre unbefangene Art und Natürlichkeit bekommt sie die Rolle. Der Film wird ein großer Erfolg, und die ganze Klasse ist stolz auf Gitta. Und da sie auch keinerlei Starallüren entwickelt, haben sie sie alle nur noch mehr in ihr Herz geschlossen. Doch eines Tages steht sie vor der großen Entscheidung: soll sie ein neues Filmangebot annehmen? Die Verlockung ist natürlich groß, das lässt sich denken; aber Gitta tut genau das Richtige. Sie bleibt, was sie immer war: ein frohes Schulmädel, das alle gern haben. (Lesealter ab 8 Jahre.)

 

So — und damit verabschieden wir uns für dieses Jahr. Wir hoffen, dass wir euch für das Ausfüllen des Wunschzettels heute und in den letzten Ausgaben manch nützlichen Rat geben konnten, und wünschen, dass Ihr recht viel Freude mit Euren Büchern habt. Im nächsten Jahr hören wir wieder voneinander.

 

Seite 5   Auf dem Wunschzettel nicht vergessen. Ein Buch.

E. J. Görlich. Aufstand im Ordensland. Eine atemberaubende, packende Erzählung aus der Ordensritterzeit. Mit vielen Zeichnungen. 169 Seiten. Hln. DM 5,80

 

Franz Heinrich Pohl.

Tine Kristandt. Ein Mädchen aus dem Samland. Für die reifere Jugend. 192 Seiten. Gebunden DM 2,95

 

Alte und neue Geschichten vom Berggeist Rübezahl. Erzählt von Hermann Gebhardt. Mit Zeichnungen von Toni Schönecker. In Cellophan gebunden DM 5,80

 

Otfried Preußler. Bei uns in Schilda. Die wahre Geschichte der Schildbürger nach den Aufzeichnungen des Stadtschreibers Jeremias Punktum. Mit vielen lustigen Zeichnungen von F. J. Tripp. 128 Seiten. Hln. DM 5,90

 

Für jeden, der einmal von Herzen lachen will! Ein Buch, mit dem man gleichzeitig einen Schatz von Freude verschenkt! Nicht nur für Kinder!

 

Ost- und westpreußischer Märchen- und Sagenborn. Erzählt von Jochen Schmauch. Illustr. Vierfarbiger Einband. Hln. 68 Seiten DM 4,50

 

Schlesischer Märchen- und Sagenborn. Erzählt von Alfons Hayduk. Illustr. Vierfarbiger Einband. 84 Seiten. Hin. DM 4,50

 

Sudetendeutscher Märchen- und Sagenborn. Erzählt von Robert Lindenbaum. Illustriert. Vierfarbiger Einband. 100 S. Hln. DM 4,80

 

Ostdeutscher Märchen- und Sagenborn. Die vorstehenden drei Bände in einem Band. Über 40 farbige Textillustrat. Vierfarbiger Einband. 240 Seiten DM 9,80

 

Gerda von Kries. Ich warte auf Waldemar. Eine schöne Kindergeschichte aus Westpreußen. Besonders geeignet für das jüngste Lesealter. Reich illustriert. 64 Seiten Gebunden DM 2,40.

 

Ostpreußische Märchen. Was die Sonnenstrahlen erzählen, und noch mehr fürs Kinderherz von Herbert Meinhard und Sanderein Mühlpfordt.

Die beiden Autoren – Vater und Tochter – haben in einem seltsamen Gleichklang einen völlig neuen Märchenbuchtyp geschaffen. Eltern und Kinder werden diese spannenden Märchen immer wieder mit Freude lesen. 112 Seiten, Halbleinen, 4,80 DM.

 

Seite 6   Bauernregeln.

Grüne Christtage, weiße Ostern.

Wenn’s nicht vorwintert, wintert’s nach.

Geht Barbara (4.) im Grünen, geht’s Christkind im Schnee.

Fließt noch Nikolaus der Birkensaft, dann kriegt der Winter keine Kraft.

Regnet es an Nikolaus, wird der Winter streng und graus.

Große Schneemassen, große Kornhaufen.

Im Dezember sollen Eisblumen blühn, Weihnacht sei nur auf dem Tische grün.

Kommen Hasen und Ammern in die Gärten, will der Winter sich verhärten.

Wenn Luzia (13.) die Gans geht im Dreck, dann geht sie am Christtag auf Eis.

Herrscht in der ersten Adventswoche strenges, kaltes Wetter, so soll dasselbe acht Wochen lang anhalten.

Ein kalter Dezember, ein zeitiger Frühling.

Sturm im Dezember und Schnee, da schreit der Bauer „juchhe!"

Klappern die Bäume von Eis an den Weihnachtstagen, dann werden sie im nächsten Jahr viel Früchte tragen.

Wie es Adam und Eva (24.) spendt, bleibt das Wetter bis ans End.

An Stephan (26.) muss es windstill sein, sonst fällt die Hoffnung auf den Wein.

Christnacht hell und klar, deutet auf ein gutes Jahr.

Dezember kalt mit Schnee, gibt Frucht auf jeder Höh‘.

Wind in Silvesters Nacht, hat nie Korn und Wein gebracht.

Hängt zu Weihnachten Eis von den Weiden, kannst zu Ostern Palmen schneiden.

 

Seite 6   Vom Ursprung der Glocken.

Die ersten Glocken, die im 6. Jahrhundert in vielen Klöstern nachgewiesen werden, waren noch nicht gegossen, sondern in bienenkorbähnlicher Gestalt genietet.

 

Man nimmt an, dass es auch in vorchristlicher Zeit bereits Glocken gegeben hat — sichere Beweise dafür findet man in China —, doch die weite Verbreitung brachte ihnen erst das Christentum. Aus Nordafrika kamen die Glocken über Italien nach Mitteleuropa.

 

Die größte Glocke der Welt befindet sich in Moskau. 1734 wurde sie im Auftrag der Kaiserin Anna gegossen. Sie wiegt 270 000 Kilogramm, kann aber nicht geläutet werden.

 

Seite 6   Wie der Pfannkuchenberg in Neuhäuser entstand. Ein ostpreußisches Märchen von Herbert Meinhard Mühlpfordt.

In alten grauen Zeiten lebten noch Riesen am Frischen Haff; die Geschichte von den beiden Riesenbrüdern, die nur eine Axt besaßen, über die sie dann in Streit gerieten, ist ja bekannt.

 

Noch der Königsberger Chronist Caspar Stein, ein weitgereister Mann, der eine interessante Geschichte seiner Vaterstadt geschrieben hat, berichtet, dass er am Turm der Braunsberger Stadtkirche die Knochen eines solchen Riesen aufgehängt gesehen hat. Die Riesen selbst sollen aber damals schon ausgestorben gewesen sein.

 

Ihnen verdankt auch der Neuhäuser Pfannkuchenberg seine Entstehung und seinen Namen. Und das kam so:

 

Auf der Frischen Nehrung, in der Gegend von Neuhäuser, das damals freilich noch längst nicht vorhanden war, lebte auch so ein Riese. Er hatte drüben in der Gegend des jetzigen Fischerdorfes Kahlholz einen Freund, dem er sehr zugetan war und mit dem er sich oft durch Rufen über das Haff unterhielt. Er besuchte ihn auch öfters, denn der kurze Weg über das Frische Haff, dessen Wasser dem Riesen kaum bis ans Knie reichte, war für sie, wie ihr euch denken könnte, nicht das geringste Hindernis.

 

Der Riese auf der Nehrung, die damals noch ein wehender grundloser Sand und nur an einzelnen Stellen von Eichen bestanden war, von denen heute nur ganz wenige alte Stämme vorhanden sind, lebte in seiner Sandwüste ziemlich kärglich, der Riese auf dem Festland aber, wo es wohlhabende Bauern gab, die ihm zudem tributpflichtig waren, führte ein ganz schönes Leben und wusste seinen Bauch zu pflegen.

 

So war er es, der seinem Freund gelegentlich auch einen schönen Schinken oder ein Fass Butter oder sonst was Gutes mitbrachte, wenn er ihn besuchte.

 

Nun ist das Pfannkuchenessen und das Punschtrinken zu Silvester eine erfreuliche alte Sitte, und schon damals verstand ein Zuckerbäcker im nahen Braunsberg, ganz besonders schöne Pfannkuchen zu backen; sie waren so weich wie ein Federkissen, glänzten von Fett, trugen auf ihrer appetitlich braunroten Haut ein Gespinst von Zuckerkrümeln, als wären sie mit Perlen besät, und wenn man hineinbiss, so duftete und schmeckte der gelbweiße Teig so herrlich, dass man mit dem Pfannkuchenessen am liebsten gar nicht wieder aufgehört hätte.

 

So war es nur selbstverständlich, dass die Pfannkuchen dieses Zuckerbäckers reißenden Absatz fanden, und auch der Kahlholzer Riese hatte von ihnen gehört und, ein Feinschmecker wie er war, beschloss er, diese ihm bisher unbekannten Leckerbissen nun auch einmal zu erproben.

 

Gesagt, getan. Er trat gebückt in des Bäckers hohes Gewölbe, griff von der großen Schüssel gleich acht Pfannkuchen auf einmal und steckte sie in seinen breiten, von einem langen, auf die Brust herabhängenden roten Vollbart umrahmten Mund, zerdrückte sie laut schmatzend mit der Zunge, und während ein breites wohlgefälliges Grinsen über seine ungeschlachten Gesichtszüge ging, schluckte er mit behaglichem Grunzen den kleinen Bissen hinunter. Ihr könnte euch denken, dass er nicht aufhörte, bis die Schüssel leer war! — Der Zuckerbäcker, der seinen Silvestervorrat auf diese Weise schnell losgeworden war, stand mit ängstlicher Miene dabei; der Riese aber war genauso gutmütig, wie er gefräßig war, bezahlte die Summe, die jener für die Kuchen forderte, bis auf den letzten Kreuzer und wandte sich zum Gehen.

 

Der Zuckerbäcker hatte schon aufgeatmet, denn immerhin sah er solche Gäste lieber von hinten als von vorn, da drehte sich der Riese noch unter der Tür um und bestellte mehrere Pfannkuchen zum morgigen Silvester — aber groß wie ein Berg und genau so gut wie die soeben verspeisten müssten sie sein!

 

Der Zuckerbäcker war nicht sehr froh über diesen Auftrag, aber er beschaffte sich so viel Mehl, als er nur auftreiben konnte, buk den ganzen Tag über, und am Nachmittag des letzten Tages des Jahres hatte er fünf ungeheure Pfannkuchen fertig — duftig und lecker lagen sie im geräumigen Hofe mit riesigen Zeltplanen bedeckt da.

 

Pünktlich erschien der Riese, schmunzelte, als er das köstliche Backwerk sah, bezahlte alles, wie es der Bäcker rechtens forderte, und lud sich die mächtigen Kuchen auf seinen breiten Rücken. Dazu klemmte er sich ein gewaltiges Fass Punsch, das er auch bereits in Braunsberg erstanden hatte, unter den Arm und zog mit zufriedenem Grinsen heimwärts.

 

Als er nun von den Dorfkirchen die Glocken das neue Jahr einläuten hörte, da nahm er von dem dampfenden Punsch, den er sich gebraut, einen hübschen Schluck, der ausgereicht hätte, um einen Lokomotivkessel zu füllen, und ließ sich vier von den köstlichen Pfannkuchen gut schmecken.

 

Darüber fiel ihm sein Freund auf der Nehrung ein.

 

Er trat vor das Haus, blickte über das weite Haff, auf dessen spiegelblankem Eis das Licht des Vollmonds einen langen gelben schimmernden Streifen zog und über dem der funkelnde Sternhimmel sich wölbte, und rief seinen Freund in Neuhäuser an. Aber er erhielt keine Antwort, denn der, der nichts und niemanden hatte, womit er Silvester hätte feiern können, lag schnarchend in seiner Höhle und schlief den Schlaf der Gerechten.

 

Da dachte der Kahlholzer Riese: Nun, so soll er am Neujahrstage eine Freude haben, wenn er etwas von mir vorfindet, und er nahm ein kleines Fässchen Punsch, das er von seinem großen abgezapft hatte, und warf es mit kühnem Schwung hinüber auf die Nehrung.

 

Weil sich der gute Riese aber doch an dem Punsch, den er sich gebraut, etwas übernommen hatte und nicht mehr so ganz fest auf seinen Beinen stand, so ging der Wurf zu weit, und das Fässchen fiel in die Ostsee und nach einigen Tagen wurde es in Schweden an den Strand gespült. Dort fanden es ein paar trinkfrohe Schweden, erkannten sehr bald, welch köstliches Getränk ihnen als Geschenk des Meeres zuteil geworden war und stellten es seitdem im Großen her. Daher kommt der gute Schwedenpunsch.

 

Der Kahlholzer Riese aber hatte in seiner guten Laune, die ihn an der frischen Winterluft immer vergnügter werden ließ, so dass er zwar nicht schön, aber recht laut ein lustiges Lied vor sich hingröhlte, den missglückten Wurf gar nicht bemerkt; jetzt nahm er den fünften Pfannkuchen und schleuderte ihn ebenfalls zu seinem Freunde hinüber.

 

Der Pfannkuchen flog wie ein glitzernder brauner Ball durch die Luft und schlug mit einem kleinen Bumms just an der Stelle auf, wo eben heute der Pfannkuchenberg ist.

 

Da lag er nun — duftete und glitzerte im Mondlicht, und es ist jammerschade, dass wir alle damals nicht schon in Neuhäuser wohnten, denn dann hätten wir uns herrlich daran sattessen können!

 

Aber der schnarchende Riese ahnte nichts von seinem Glück, und weil es bald danach zu schneien anfing und dann immer stärker und stärker schneite, so wurde der Pfannkuchen allmählich vom Schnee zugedeckt, und als der Riese am Neujahrsmorgen brummend aus seiner Höhle hervorkroch, da sah er zwar den Hügel, der vorher nicht dagewesen war, ahnte aber nicht, welch Leckerbissen darunter verborgen war.

 

Und er hat es auch nie erfahren, denn der Pfannkuchen fing unter seiner Schneelast allmählich zu vergehen an, und als endlich der Frühling kam und den Schnee wegtaute, da war er schon ganz zu Lehm und Erde geworden — just so, wie er heute noch ist. Aber an seiner Form könnt ihr noch heute erkennen, dass es einmal ein richtiger riesiger Pfannkuchen gewesen ist.

 

Dieses schöne Märchen aus unserer Heimat entnahmen wir dem Band ostpreußischer Märchen „Was die Sonnenstrahlen erzählen und noch mehr fürs Kinderherz" von Herbert Meinhard und Sanderein Mühlpfordt (112 Seiten, Geb. DM 4,80).

 

Seite 6   Gerhard Bedarff. Der Befehl. Eine Erzählung aus der Geschichte des Bernsteins. (Alle Rechte beim Autor. 2. Fortsetzung.

Ein Sturm widerstreitender Empfindungen durchwogte ihn: „Beim Jupiter! Sollte ich mich doch in den beiden getäuscht haben! Sie, die zu den treuesten bisher zählten, sollten mich verlassen haben?!" — Einen Augenblick war er ratlos. Grimmig entschloss er sich, keinem Germanen mehr zu trauen. Zwei Stunden später tauchten die beiden Freunde wieder auf. Sie waren dem Geräusch gefolgt und auf ein germanisches Dorf gestoßen. Friedlich lag es mitten im Walde. Gerade waren die Späher zurückgekehrt, und sie berichteten von dem Zuge, der die große Straße entlang zog. Eiligst wurde der Rat der Männer zusammengerufen und beschlossen, Handelsbeziehungen aufzunehmen.

 

„Herr, wir fanden ein germanisches Dorf und hörten, dass seine Bewohner mit uns handeln wollen!" So begrüßten Bodo und Theobald den römischen Offizier.

 

„Den Göttern sei Dank! Ich habe mich doch getäuscht!" atmete Publius auf.

 

„Wir sind schnell zurückgekommen!“ rief Theobald dem Offizier zu. „Gleich müssen Männer aus dem Dorf auftauchen!" Mehr vermochte er nicht zu sagen; denn gleich darauf erschienen einige Germanen. Sie entdeckten gleich den Führer des Zuges, der in seiner reich geschmückten Rüstung sofort ins Auge fiel. Theobald machte den Dolmetscher. Er und sein Kamerad waren ja selbst Markomannen, die um diese Zeit im heutigen böhmisch mährischen Raum wohnten. Publius begrüßte die Abgesandten des Dorfes sehr höflich. Er hatte diesen Rat von Theobald erhalten. Sie würden sonst in ihrer Ehre gekränkt sein, meinte er, und das könnte Schwierigkeiten mit sich bringen. Und Publius war klug genug, diesem guten Rat zu folgen.

 

„Darf ich euch zu Gast laden?“ lud er den Dorfältesten und seine Begleiter höflich ein. Er ließ Becher mit südlichem Wein füllen und kredenzte ihn seinen Gästen. Bedächtig tranken die Germanen und musterten dabei unauffällig die Fremdlinge aus dem Süden. Wohlgefällig ruhten ihre Blicke auf den reichverzierten silbernen Bechern.

 

 „Wogegen können wir diese Becher bei dir eintauschen?" ließen sie durch Theobald fragen.

 

„Gegen Bernstein!" kam die blitzschnell gegebene Antwort. Bedauernd schüttelten die Germanen ihre Köpfe. „Das wird wohl nicht gehen", meinten sie. „Warum nicht?" ließ Publius fragen. „So viel haben wir nicht, um die Becher bezahlen zu können.

 

Wenn du weiter nach Norden kommst, da könnte es schon eher möglich sein, dass du viel erhältst. Wir sind nur arme Waldbauern. Wir bieten dir Honig!" versuchten die Männer zu handeln. — Sie könnten mit dem Honig nichts anfangen, ließ Publius durch Theobald übersetzen. Es täte ihm zwar leid, aber dann könne aus dem Handel eben nichts werden.

 

Die Fuhrleute hatten aufmerksam zugehört. Sie sahen sich bedeutsam an. Hier könnte man doch Geschäfte machen! Ein vorsichtiger Blick auf die Legionäre belehrte sie, dass ein „Geschäft unter der Hand" für sie ganz aussichtslos war. Die Legionäre passten zu gut auf.

 

Schließlich handelten die Germanen ein paar Tontöpfe gegen Lebensmittel ein. So begehrliche Augen sie auch auf die Waffen warfen, Publius tat so, als wenn er es nicht bemerkte. Er dachte noch zu genau an die Warnung von Julianus: „Sieh dich vor mit dem Waffenhandel! Jedes getauschte Schwert und jede verhandelte Speerspitze kann sich morgen gegen uns richten. Nimm die Waffen nur zum eigentlichen Bernsteinhandel an Ort und Stelle. So weit weg können sie uns nicht schaden. Aber in unserer Nähe hüte dich vor diesem Handel!" Höflich, aber bestimmt lehnte er einen Tauschhandel mit Waffen ab, auch als sie bereit waren, den wenigen Bernstein, den sie tatsächlich hatten, dafür zu geben.

 

Bei beginnender Dunkelheit zogen sich die Germanen zurück, und Publius blieb mit seinen Fuhrleuten und Legionären allein. Die Vorsichtsmaßnahmen, die er für die Nacht traf, waren unnötig, denn die „Heilige Straße" wurde nicht angetastet; sie wurde von allen anliegenden Stämmen respektiert.

 

Unbehelligt und unaufhaltsam ging die Reise weiter. Der Weg wurde allerdings nicht besser. Immer dichter drängten sich die Täler zusammen, bis sie in die sogenannte „Mährische Pforte" kamen, die von den Ausläufern der Beskiden und den Sudeten gebildet wird.

 

Schon lange hatten sie die Marsch verlassen. Es war ihnen ausgesprochen unheimlich in diesem dicht bewaldeten Gebiet. Bei jedem Rascheln am Wegesrand vermuteten sie einen Feind. Und kein Wasser, nach dem sie sich richten konnten! Die beiden Germanen waren vorausgeritten. Eines Tages kamen sie in rasender Eile zurückgesprengt. „Ein Fluss! Ein Fluss!" riefen sie den Nachkommenden laut entgegen.

 

Publius war lange nicht mehr der feine und geschniegelte Offizier, wie wir ihn von Carnuntum her kennen. Stoppelig war sein Gesicht, und seine Beine waren bis zu den Knien mit Lehm bespritzt „Dieser verd... Regen! Ob der jemals wieder aufhört!" fluchte er still vor sich hin. Bei dem frohen Zuruf der beiden Germanen atmete er auf. Endlich einmal sich wieder waschen können!

 

Seinen Soldaten ging es nicht besser. Sie sahen aus wie lebende Dreckklumpen und zitterten vor Kälte und Müdigkeit.

 

„Dieser dreckige Weg! Dieser dreckige Weg!" hörte man einen der Fuhrleute dauernd jammern. Die Zugtiere waren die reinsten Kleiderständer geworden, soweit ragten die Knochen aus den Lenden heraus. Auch sie brauchten eine längere Rast dringend. Stunden später hatten sie auch einen geeigneten Rastplatz entdeckt, und Menschen und Tiere ruhten sich gründlich aus. Diese Rast geschah etwa in der Nähe von Mährisch-Ostrau. Ganz plötzlich war der Blick freigeworden, sie waren zur Tiefebene durchgestoßen.

 

Der Vandalenfürst

Nach einer ausgedehnten Ruhepause ging es weiter.

 

Der Weg führte jetzt den Fluss entlang, der zusehends breiter wurde. Er wurde immer besser, dieser Weg; er umging sorgfältig sumpfige Stellen und machte einen auffällig stark benutzten Eindruck. Publius wunderte sich. Er winkte Theobald heran. „Wie ist es möglich", fragte er, .dass hier ein solch guter Weg ist. Ob hier wohl Menschen in der Nähe wohnen?"

 

Theobald zuckte mit der Schulter. „Das kann ich dir nicht sagen", meinte er nachdenklich. .Aber halt! Vielleicht doch! In ganz jungen Jahren bin ich einmal hier gewesen, mit meinem Vater. Hier in der Nähe muss ein Fürst seinen Sitz haben". Er dachte scharf nach: „Jawohl, so ist es!" Er rief Bodo und beriet sich mit ihm. Dann wandte er sich wieder an Publius: „Wir wollen vorausreiten und feststellen, ob meine Vermutung stimmt. Es kann eigentlich nicht weit sein“.

 

Ehe sich Publius versah, waren die beiden Freunde schon verschwunden. Er schüttelte den Kopf. Für ihn, als einen Sohn des gepflegten Roms, war es immer wieder wie ein Wunder, wie die beiden Markomannen sich so schnell im Walde zurechtfanden, obwohl er auch nicht gerade ein Anfänger war. Theobald und Bodo brauchten nicht weit zu reiten, um ihre Vermutung bestätigt zu finden.

 

Da lag der vandalische Fürstensitz am Strom, den wir inzwischen als unsere Oder erkennen. Die Siedlung ganz in der Nähe von Oppeln in Oberschlesien. Und was das für eine Siedlung war! Alle Häuser waren aus Holz gebaut; es standen hier aber so viele Häuser, dass man den Eindruck einer richtigen Stadt hatte. Sie stand da, wo heute Goslawitz liegt (dort hat man nämlich ein vandalisches Fürstengrab gefunden).

 

Die beiden Freunde kamen sehr schnell zurückgeritten. „Jawohl!" rief Bodo schon von weitem – „es ist derselbe Ort, in dem Theobald schon einmal gewesen ist!"

 

„Dann werden wir auch Lebensmittel erhalten!" atmete Publius tief auf.

 

Seine Leute bewegten sich nur noch mühsam vorwärts. Sie sahen sehr mitgenommen aus. Es war ja auch kein Wunder. Sie waren schon Wochen über Wochen unterwegs. Wie lange würde diese Fahrt noch dauern? — Fortsetzung folgt.

 

Seite 7   Suchdienst

Schönwiese bei Landsberg/Ostpreußen. Wer von den ehemaligen Bewohnern dieses Ortes oder der Stadt Landsberg kann Auskunft geben, an welchem Tage diese Orte 1945 durch die Russen besetzt wurden? Wer von den Einwohnern der Gemeinde Schönwiese hat sich an der Beerdigung der Familie Liedtke beteiligt? Zweckdienliche Angaben erbittet Albert Liedtke,  Bischofswiesen/Obb., Moosweg 71 ½ .

 

Seite 7   Wir gratulieren!

93. Geburtstag

Renate Schönhoff, aus Großwerder/Ostpreußen am 21. November 1958 in Delmenhorst, Brendelweg 112, wo sie bei ihrer Tochter ihren Lebensabend verbringt.

 

84. Geburtstag

Eduard Schischke, aus Braunsberg, ehemals Lokführer der Haffuferbahn Braunsberg— Elbing, am 15. Dezember 1958 in Seesen a. H., Bornhäuser Straße 4, in geistiger Regsamkeit und körperlicher Rüstigkeit.

 

80. Geburtstag

Albert Heidenreich, aus Braunsberg, Arendtstraße 33, Postbeamter i. R., am 28. Dezember 1958 in Kassel, Grüner Weg 10.

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit!

 

Seite 7   Landschaftliche Nachrichten.

„Komm nun wieder, stille Zeit... " Feierstunde zum Advent bei der Landsmannschaft Ostpreußen in Wilhelmshaven.

Eine musikalische Adventsstunde besonderer Art erlebten die sehr zahlreich erschienenen Ostpreußen als sie Rektor Rudert mit Chor und Streichorchester der Schule Neuende kürzlich zu Gast hatten Schlichte und kunstvoll gesetzte Weisen wurden von den Jungen, nicht über 14 Jahre alten Sängern gemeistert, als wäre das die einfachste Sache der Welt. Das Streichorchester brachte Musik von Händel und Massas, und ein Flötenkonzert blies glockenklar seine Weisen. Das hatte man von so jungen Menschen nicht erwartet; alle Darbietungen zeigten eindrucksvoll, welch hoher Leistungsstand erreicht werden kann, wenn ein so in der Musik aufgehender Lehrer wie Rektor Rudert seine Schüler für edle Musik zu begeistern vermag.

 

Wiederholter sehr lebhafter Beifall dankte Rektor Rudert und seinen Jungen und Mädeln, die auch Gedichte von Ernst Wiechert und von Ernst von Wildenbruch vortrugen, für den schönen Abend und Obermedizinalrat Dr. Zürcher drückte in seinen Dankesworten das aus, was alle empfangen: „Auf baldiges Wiederhören".

 

Mit einem schlichten, doch erschütternden Gedicht von Baladin erwärmte Dr. Zürcher dann nochmals die Herzen seiner Landsleute für die Ostpreußen in der Sowjetzone und bat, die bisher schon geleisteten Spenden gerade zum Weihnachtsfest noch erheblich zu vermehren, wobei er auch der tapferen Berliner gedachte, die gerade jetzt einem neuen Nervenkrieg ausgesetzt werden.

 

Aber auch Worte der Mahnung hörten die Ostpreußen von ihrem Vorsitzenden. Der zahlreiche Besuch — die Sitzplätze des Saales reichten nicht aus — bewog ihn zu einem aufrüttelnden Appell an die Erschienenen, immer so interessiert die Veranstaltungen der Landsmannschaft zu besuchen, nicht nur zu besonderen Feierstunden. Dann las er besinnliche Worte aus dem Tagebuch einer Mutter über die Weihnachtstage seit 1944, die jeden angingen, und gab schließlich einen Bericht über die Landesdelegiertentagung in Hannover.

 

Als er hierbei „vergaß" mitzuteilen, dass die Gruppe Wilhelmshaven ein Sonderlob für ihre vorbildliche kulturelle Arbeit erhalten habe, die zur Nacheiferung empfohlen wurde, griff der 2. Vorsitzende Schlokat ein und berichtete von der Anerkennung, die Dr. Zürcher „vor versammelter Mannschaft" erhalten habe. Er überreichte ihm als Zeichen des Dankes seiner Landsleute in humorvollen Worten einen „Orden" in Form der Elchschaufel aus Königsberger Marzipan.

 

Anhaltender Beifall dankte dem Vorsitzenden Dr. Zürcher für ein weiteres Jahr selbstloser Arbeit im Dienste seiner ostpreußischen Heimat und Landsleute.

 

Die nächste Zusammenkunft der Landsmannschaft Ostpreußen findet am 5. Januar 1959 statt.

 

Itzehoe

Der letzte Heimatabend der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen, der einen sehr guten Besuch verzeichnen konnte, wurde im ersten Teil bestimmt durch ein heimatliches Referat des Vorsitzenden, Schulrat i. R. Grohnert. Daran anschließend folgte der Lichtbildervortrag „Eine Fahrt durch die nordostdeutsche Heimat", zu dem Hans Handt und Herbert Rüge die Texterläuterungen gaben. Eine Ergänzung erfuhr dieser Vortrag von ostpreußischen Volksliedern, die der hiesige Chor der Ost- und Westpreußen vortrug. — Der Vorsitzende sprach gleichzeitig seinen Dank den Leitern der Mittelschule und der Volksschulen dafür aus, dass sie es ermöglicht hatten, diesen eindrucksvollen Lichtbildervortrag vor den Schülern der Abschlussklassen zu zeigen. — Das Veranstaltungsprogramm dieses Jahres wird eine Vorweihnachtsfeier für die Erwachsenen am Mittwoch, dem 17. Dezember. 20 Uhr, in Baumanns Gesellschaftshaus beschließen, bei der die Gäste Vorführungen und sonstige Überraschungen erwarten werden.

 

Seesen a. Harz

Die Vorbereitungen für die Adventsfeier am 13. Dezember sind in vollem Gange und liegen in den bewährten Händen der Kulturleiterin, Lmn. Lieselotte Donnermann (Weihnachtsspiel) und der Musiklehrerin Annemarie Patett (gemischte Chöre). Besonderen Anreiz wird eine Ausstellung von Königsberger Randmarzipan (der Firma Bader-Allenstein) geben, deren Schaustücke anschließend zur Verlosung kommen.

 

Die Vorweihnachtsfeier für Kinder der Jahrgänge 1945 — 1956 findet am 14. Dezember, 15.30 Uhr, mit einer Adventstafel bei Kakao und Kuchen statt. Wertvolle Gabenpäckchen wurden von hilfsbereiten Spendern zur Verfügung gestellt. Auch lässt Fleischermeister Kussat (fr. Königsberg, Rhesastraße 13) wieder jedem Kind ein paar Würstchen überreichen.

 

Lübbecke i. Westf.

Bei der November-Monatsversammlung der hiesigen Ortsgruppe sprach der Vorsitzende Lm. Hardt in einem volkskundlichen Vortrag über Sinn und Bedeutung des Erntedankfestes und der Toten-Gedenktage dieses Monats. Umrahmt wurde der Vortrag mit Gedichtrezitationen und gemeinsam gesungenen Liedern der Heimat.

 

Traunstein

In der letzten Mitgliederversammlung der hiesigen Ortsgruppe der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen, die sich eines guten Besuchs erfreute, wurde der Lichtbildervortrag „Masuren — das Land der dunklen Wälder im Zauber der Farben und im Spiegel der Dichtung" dargeboten.

 

Den Vorstandsmitgliedern Schadau und Folkerts wurde von der Landesgruppe Bayern der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen das Ehrenzeichen in Silber verliehen.

 

Am 2. Dezember 1958 beging das Ehrenmitglied David Junker, der im Oktober dieses Jahres mit seiner Ehefrau die goldene Hochzeit feiern konnte, seinen 82. Geburtstag.

 

Am 14. Dezember findet im Hofbrauhaus eine Weihnachtsfeier mit Kinderbescherung statt.

 

Seite 7   Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen.

Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33

Herzlichste Geburtstagsglückwünsche allen Christmondkindern, besonders wieder jenen, die in ein neues Jahrzehnt eintreten, und den Ältesten:

 

am 18.12.1958: Armin v. Schewen (Elbing),30 Jahre;

 

am 01.12.1958: Hildegard Jankowski-Borchert (KMTV Kbg.), 40 Jahre;

am 06.12.1958: Gretel Bending-Romba (KMTV Kbg.) 40 Jahre;

am 12.12.1958: Marianne Perrey-Ewert (Tilsit), 40 Jahre;

am 20.12.1958: Christel Zobel (TuF, Danzlg), 40 Jahre;

am 20.12.1958: Martha Krause-Kudritzki (Lyck), 40 Jahre;

 

am 03.12.1958: Gerhard Spiewak (Tilsit), 50 Jahre;

am 04.12.1958: Johannes Quell (Marienburg Wpr.), 50 Jahre;

am 31.12.1958: Helma Rettig (TuF Danzig), 50 Jahre;

 

am 25.12.1958: Mieze Koewius (Lyck), 60 Jahre;

 

 am 14.12.1958: Grete Scheffke-Basner (Zoppot), 70 Jahre;

 am 23.12.1958: Rudolf Edse (KMTV Kbg.), 70 Jahre);

 

am 11.12.1958: Eduard Klutke (Graudenz), 76 Jahre;

 

am 03.12.1958: Karl Knie (Zoppot), 77 Jahre;

 

am 16.12.1958: Franz Segger (TC Danzig), 79 Jahre;

 

am 14.12.1958: Elisabeth Schmidt-Raudies (KMTV 1842), 80 Jahre;

 

am 05.12.1958: Paul Ortmann (TC Danzig), 85 Jahre.

 

Der Weihnachtsbrief 1958 wird im Dezember an alle im Anschriftenverzeichnis erfassten Turnerinnen und Turner aus Ostpreußen, Danzig und Westpreußen versandt. Wer ihn nicht bekommt, fordere ihn bitte bei mir an. Außer einem ausführlichen Bericht über das Wiedersehenstreffen und das Deutsche Turnfest in München sind darin Beiträge aus 27 Vereinen unserer Heimat. Wegen der aus technischen Gründen sehr früh beginnenden Drucklegung konnten die später eingegangenen Mitteilungen aus drei weiteren Vereinen nicht mehr aufgenommen werden.

 

Es wünschen daher hierdurch

 

Für den MTV Bartenstein Tbr. Willy Marczinski, Bielefeld, Poststraße 19a;

für den TuS Kuckerneese Tbr. Alfred Gose, Nordleda (Niederelbe) 170, über Otterndorf;

für den TV 1864 Pillau Tbr. Erich Bruchmann, Neumünster, Händelstraße 7,

 

allen ehemaligen Mitgliedern ihrer Vereine fröhliche Weihnachten und ein glückliches neues Jahr.

 

Ein Alterstreffen des Deutschen Turnerbundes wird in Mainz vom 07. bis 09.08.1959 durchgeführt. Wer daran teilnehmen will, muss sich über einen Verein des DTB melden, sobald die Ausschreibung ergangen und der Termin dafür festgelegt worden sein wird. Das Fest bietet günstige Gelegenheit zu Freundschaftstreffen ehemaliger Vereinskameraden.

 

Anschriftenänderungen für die Kartei und Anschriften neu auftauchender Turnschwestern und Turnbrüder aus der Heimat bitte ich mir jeweilig Zug um Zug bekanntzugeben. Onkel Wilhelm.

 

Seite 7   Kameradschaft Luftgau I

Schriftführer W. Gramsch, (20a) Celle. Waldweg 83.

Unser letztes Treffen am 11. Oktober in Düsseldorf vereinigte die im Raum Nordrhein-Westfalen wohnenden Kameraden. Besonders zahlreich waren die ehem. Angehörigen der Werften vertreten. Der Schriftführer erklärte den Anwesenden die Notwendigkeit des Zusammenschlusses in der Kameradschaft sowie deren Aufgaben. Von allen Teilnehmern wurde der Wunsch geäußert, derartige Zusammenkünfte öfter zu veranstalten.

 

Nun wieder unser Suchdienst!

Gesucht werden:

Vom Bauamt Pillau die Bauleiter Frindt und Dorband sowie andere Angehörige dieser Dienststelle,

 

ferner vom Fliegerhorst Gutenfeld die Zahnärztin Lisel Eichler,

 

vom Fliegerhorst Elbing der Reg.- Insp. Mundt von Percy Müller, Gelsenkirchen, Wilhelmdnenstraße 94;

 

vom Lgk. I: Oberstleutnant Hauptmann. Techn. Ober-Insp. Ernst Raabe. Stabsfeldw. Ernst Marquardt. Oberfeldw, Fritz Schwetlick und die RA Max Schlicht, Erwin Heßke und Karl Meißner, von Willi Grunwald, Schwäb. Gmünd, Gutenbergstraße 51.

 

Wer kennt Peter Neumann, ehem. Wachmann bei verschiedenen Bauleitungen (Neukuhren, Prowehren, Brüsterort) und kann über dessen Tätigkeit Angaben machen, die für das anlaufende Rentenverfahren von Wichtigkeit sind? Gesucht werden in diesem Zusammenhange der Reg.-Baumeister Froese (Brüsterort), die Ang. Egon Bedarf und Paul Blum (Lgk. I) von Peter Neumann, (14b) Oberkochen, Kreis Aalen/Württemberg. Gerhart-Hauptmann-Weg 71.

 

Bei allen Anfragen wird um Beifügung von Rückporto gebeten.

 

Seite 8   Familienanzeigen

Torsten Volker, geboren 12. November 1958. Dankbar zeigen wir die Geburt unseres Sohnes an. Karin-Ingrid Bednarski und Gerhard Bednarski. Hannover-Linden, Röttgerstraße 24

 

Der Turnverein Marienwerder und mit ihm unsere ganze Turnerfamilie beklagen den Tod unseres Turnbruders Carl Jander, der am 30. Oktober 1958 im 63. Lebensjahr plötzlich und unerwartet verstorben ist. Als langjähriger Jugend- und Männerturnwart stand er als eine der stärksten Stützen im Vereinsleben und vermittelte vielen jungen Menschen deutsches Turnertum. Nach dem Kriege schloss er sich in Berlin einem Turnverein als aktives Mitglied an und hielt auch unserer Gemeinschaft bis zuletzt die Treue. Sein Andenken werden wir in Ehren halten! Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen. Wilhelm Alm

 

Seite 8   Dr. Walther Grosse 75 Jahre

Am 1. Januar 1959 kann General a.D. Dr. Walther Grosse auf 75 Jahre seines Lebens zurückblicken, 75 schaffensreiche Jahre für seine ostpreußische Heimat, an deren Marksteinen sich zugleich das Schicksal dieses Landes ablesen lässt. Wir benutzten daher gern dieses Jubiläum für eine kurze Rückschau auf Leben und Wirken dieses Mannes, umso lieber, da wir damit zugleich unseren Lesern das Porträt eines unserer geschätztesten Mitarbeiter entwerfen können.

 

Schon bald nach seiner Geburt am 1. Januar 1884 in Marienburg siedelte die Familie nach Heiligenbeil über, wo der Vater als Schuldirektor tätig war. Hier verlebte Walther Grosse eine sorglose Kindheit und Jugend. Das Gymnasium besuchte er zunächst in Braunsberg und später das Wilhelm-Gymnasium in Königsberg. Nach dem Abitur trat er 1903 als Fahnenjunker in das Pionier-Bataillon Fürst Radziwill (Ostpreußen) Nr. 1 ein. An der militärtechnischen und Kriegsakademie in Berlin erhielt er in fünf Jahren eine umfassende militärische Ausbildung. 1910 heiratete er die Tochter des angesehenen, für die industrielle Entwicklung seiner Heimat so bedeutenden Kommerzienrat Dr. h. c. Franz Komnick-Elbing.

 

Der Erste Weltkrieg sah Walther Grosse im schicksalhaften Ringen um seine Heimat, in dem er bei Tannenberg schwer verwundet wurde. Im Jahre 1920 nahm er seinen militärischen Abschied und war zunächst einige Jahre bei der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“ und später in den Elbinger Werken seines Schwiegervaters tätig. In dieser Zeit promovierte er an der „Albertina“ zum Doktor der Staatswissenschaften. 1930 trat er, einem Rufe seiner alten Waffe folgend, wieder in den Militärdienst.

 

Den Zweiten Weltkrieg machte er teils als Truppenführer, teils bei verschiedenen Armeen der Heeresgruppe Mitte in Polen, Frankreich und Russland bis zum letzten Tage als Höherer Pionierführer und stellvertretender Armee-Pionierführer mit.

 

Über seinen soldatischen Wirkungskreis hinaus ist Dr. Grosse durch zahlreiche kriegs- und heeresgeschichtliche Publikationen, auch solche heimatkundlichen Inhalts, auf Grund deren er zum Mitglied der von Friedrich dem Großen gegründeten „Königlichen Deutschen Gesellschaft" der Universität gewählt wurde, in weitesten Kreisen der Fachwelt und seiner Heimat bekannt geworden. So galt er in Berlin als der beste Kenner ostpreußischer Truppengeschichte und der Kämpfe auf ostpreußischem Boden, vor allem der Schlacht bei Tannenberg. Er ist der Verfasser mehrerer Bücher, von denen das bekannteste „Ostpreußische Soldaten in sieben Jahrhunderten" ist.

 

Vor drei Jahren etwa nahm General a. D. Dr. Grosse seinen ständigen Wohnsitz im Markgräflerland (in Müllheim/Baden), im Anschluss an einen Kuraufenthalt in Badenweiler, bei dem er dieses Stückchen Land lieben lernte. Hier in seiner neuen Wahlheimat, in der er sich ein Häuschen gebaut hat, gilt auch heute noch seine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit als Mitarbeiter an Büchern (wie z. B. dem kürzlich von Hans Joachim Schoeps herausgegebenen „Das war Preußen" oder dem von Dr. Fritz Gause herausgegebenen „Ostpreußen —Schicksal und Leistung") und Zeitschriften vornehmlich seiner ostpreußischen Heimat.

 

Die „Ostpreußen-Warte" verbindet mit diesen wenigen Zeilen, die Leben und Wirken dieses bedeutenden Sohnes ostpreußischer Heimat nur streifen können, die herzlichsten Wünsche für noch viele fruchtbare Schaffensjahre des Jubilars in alter Frische und Gesundheit.

 

Seite 8   Kulturelle Nachrichten

Fördert ostdeutsche Künstler

Die Künstlergilde Eßlingen, die als die größte Vereinigung zur Erhaltung und Pflege des ostdeutschen Kulturschaffens angesprochen werden kann, hat jetzt einen Aufruf erlassen, zum bevorstehenden Weihnachtsfest wieder stärker an die vertriebenen und geflüchteten Künstler zu denken. Es wird vor allem daran gedacht, kulturelle Vereinigungen, die Verbände der Heimatvertriebenen und bei Behörden Ausstellungen anzuregen, in denen Werke heimatvertriebener Künstler gezeigt werden.

 

Die Künstlergilde Eßlingen, Augustinerstraße 22, Telefon 3 77 59, ist bereit, Interessenten für kleinere und größere Ausstellungen, die Vermittlung von Werken der Malerei, der Plastik, von Graphiken, Kunsthandwerklichen Gegenständen, Weihnachtskrippen und anderen vorzunehmen. Der Verwaltungsdienst der Künstlergilde vermittelt auch Dichterlesungen, Rezitatoren und Musiker.

 

Tagung des Steinbacher Kreises

Vom 12 bis 14. Dezember treffen sich Gäste und Mitglieder des Steinbacher Kreises in Espelkamp-Mittwald zu einer Tagung, bei der im Mittelpunkt die Erörterungen über die Zusammenhänge von Heimatverlust und Heimatdichtung stehn. Neben dem Schriftsteller Dr. Josef Mühlberger werden Johannes Weidenheim und Prof. Dr. Martin Greiner sprechen. An der Tagung nehmen zahlreiche heimatvertriebene Künstler teil.

 

Danziger erhielt Schriftstellerpreis

Der Danziger Schriftsteller Günther Grass erhielt den diesjährigen Literaturpreis der „Gruppe 47" in Höhe von 5000 DM. Günther Grass, der als Lyriker und Dramatiker schon hervorgetreten ist, erhielt den Preis für seinen Roman „Die Blechtrommel".

 

Auszeichnung für Emil Merker

Der bekannte sudetendeutsche Schriftsteller Emil Merker erhielt die vom Kulturwerk der vertriebenen Deutschen gestiftete Eichendorff-Plakette als Anerkennung für sein Gesamtwerk.

 

Ostpreußischer Studententag 1958

Im Mittelpunkt des diesjährigen „Ostpreußischen Studententages", der in der Zeit vom 3. bis 29. Oktober 1958 in Marburg abgehalten wurde, stand der großangelegte Vortrag des Bonner Historikers Prof. Dr. Walther Hubatsch über Ostpreußens Beitrag zur europäischen Geistesgeschichte. Die Teilnahme namhafter ostpreußischer Politiker an der Veranstaltung des „Bundes Ostpreußischer Studierender" ließ das Interesse an der politischen Wirksamkeit dieses Studentenverbandes erkennen.

 

Seite 9   Weihnacht in der Erinnerung.

Foto: Gotische Chorfigur im Königsberger Dom

Foto: Weihnachtsmarkt / Holzschnitt von Franz Neundlinger.

Meine frühesten Erinnerungen an die Tage und Wochen vor Weihnachten reichen in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Zusammen mit den Eltern verbrachte ich sie häufig im großelterlichen Lehrerhause in Sobiechen im Kreise Angerburg.

 

Wenn nach der langen Eisenbahnfahrt durch die tief verschneite Landschaft der Zug auf dem Angerburger Bahnhof ankam, wartete dort bereits Großvater Fago mit seinem Pferdeschlitten. Nachdem wir uns gehörig in Decken und Pelze eingemummelt, ging es auf der Launingker Chaussee in flottem Trab dem auf einer Anhöhe gelegenen Schulhaus entgegen. Lustig bimmelten die Glöckchen auf dem Pferdegeschirr. Mit schnaubenden Nüstern jagten die forschen Trakehner dahin, und ab und zu rieb mir Mutter Wangen und Nasenspitze, damit sie vom Frost nicht allzu sehr mitgenommen wurden. Endlos schien sich die Allee mit dem jetzt schwarz und kahl in den Himmel greifenden Geäst, zu dehnen; aber endlich langten wir doch auf dem großväterlichen Grundstück an. Hier empfing uns Großmutter mit Umarmungen und Küssen, und der Hofhund Pascha jaulte vor Wiedersehensfreude; ich aber hatte längst erspäht, dass auf der Pumpe der frischgebackene Kuchen dampfte, um noch rechtzeitig für unseren Empfang abzukühlen.

 

Binnen kurzem hatte ich mich wieder in Haus und Hof eingelebt. Zwar konnte man in Feld und Flur nicht wie in den sommerlichen Ferientagen herumtollen und etwa auf den Walnussbaum klettern, weil ja über alles eine dichte Schneedecke gebreitet war und die Stämme eisig und glatt waren, dafür aber gab es in Haus, Stall oder Scheuer gar mancherlei zu entdecken. Wo hätte sonst ein Stadtjunge Gelegenheit gehabt, in Heuböden und Dachokeln herumzuspüren! Und an den frühen Abenden, wenn Großmutter am Spinnwocken saß, durfte ich dabei sitzen, und mit angehaltenem Atem lauschte ich ihren Geschichten.

 

Und dann kamen die Tage der Weihnachtsbäckerei. Schon in den ersten Adventwochen war der Pfefferkuchenteig nach alten handgeschriebenen Rezepten unter Verwendung von Honig, Pottasche, Hirschhornsalz und anderen Zutaten vorbereitet worden.

 

Jetzt wurde er ausgeformt, und ich durfte die Mandeln hineinspicken. Waren die Pfefferkuchen und Pfeffernüsse fertig, kamen die Mürbteige an die Reihe. Eine besondere Auszeichnung war es dann für mich, wenn ich Großmutter beim Ausstechen der Figuren, allerlei Getier, Monde und Sterne, helfen durfte; dies geschah mit selbstgeschnitzten hölzernen Formen.

 

Höhepunkt der Weihnachtsvorbereitungen war jedoch immer die traditionelle Marzipanherstellung. Wieviel duftende Zutaten gehörten allein schon dazu: süße Mandeln und Puderzucker, Rosenöl und Fruchtgelees! Und wer dies selbst als Kind einmal miterlebt hat, der wird mir gern glauben, dass ich jede Gelegenheit beim Schopfe packte, um heimlich ein paar Krümel zu probieren. Besonders spannend wurde es dann, wenn Großvater das mit Holzkohle zum Glühen gebrachte Bügeleisen vorsichtig auf die Marzipanränder setzte, damit sich diese schön braun färbten.

 

Aber auch tagsüber gab es hier allerhand interessante Abwechslungen. Ich durfte auf dem sonst streng verbotenen, jetzt aber mit einer dicken Eisschicht bedeckten Ententeich mit dem Stuhlschlitten umherschliddern oder gar als Hilfstreiber an der Hasenjagd teilnehmen. Mitten im Walde wurde dabb ein Feuer entfacht, auf dem die unvermeidliche Erbsensuppe gekocht wurde.

 

Am letzten Tag vor Weihnachten wurde der Baum geschmückt. Aus Kisten und Truhen wurden vorsichtig die bunten Glanzpapierketten und kleinen Papiernetzte hervorgeholt, Nüsse mussten vergoldet und Äpfel und Kringel angefädelt werden. Und ich war mit heißen Wangen und einer seltsam erwartungsvollen Erregung dabei.

 

Und dann der Weihnachtsabend selbst! Er gehört wohl zu den unvergesslichsten Eindrücken einer jeden Kindheit, und jeder hat ihn in ähnlicher Weise in seiner Erinnerung, als das tiefste und innerlichste Fest der Familie.

 

Unvergesslich auch die Schlittenpartien in den Tagen nach dem Fest, um die Verwandten in den umliegenden Dörfern zu besuchen, die Heimfahrten unter dem klaren Sternenhimmel, während die Wälder zu Seiten wie verzaubert in ihren glitzernden Mänteln standen.

 

Dunkel ist mir noch in Erinnerung geblieben, dass den zwölf letzten Tagen, des Jahres besondere Bedeutung zugemessen wurden. Geheimnisvoll wurde erzählt, dass während dieser „Zwölfe" bei Leibes- und Lebensgefahr keine Wäsche gewaschen und kein Wocken gedreht werden durfte. Seltsam vermummte Männer kamen auf den Hof; der eine war „der Storch" und hatte einen aufklappbaren Schnabel, mit dem er die Frauen und Mädchen behelligte, der andere hieß „der Bär" und war in Erbsenstroh gehüllt. Sie sagten alte Sprüche her und empfingen dafür Gaben, die sie in einem Kartoffelsack verstauten. Auch warf unser Hausmädchen Stine ihre Pantoffel rückwärts über den Kopf und brummelte dazu:

 

„Schlorr hin, Schlorr da, wo bin ich im nächsten Jahr?" Morgens wurde man dann gefragt, was man geträumt habe; denn dies sollte Bedeutung für die kommenden Monate des neuen Jahres haben.

 

So mischen sich halbversunkene Bräuche und Gewohnheiten, sehr viel Trauliches und Anheimelndes in meine frühesten dörflichen Weihnachtserinnerungen an meine ostpreußische Heimat und erhellen eine Zeit, in der die Technik noch nicht auch in dieses Fest eingegriffen, sondern es sich, lange ersehnt und von viel geheimnisvollem Zauber umgeben, im Schoße der Familie zu diesem Höhepunkt des Jahres entfalten konnte.

 

Als ich nach dem Ersten Weltkrieg Weihnachten in Königsberg feierte, war schon vieles anders geworden. Schon die Zeit hatte an ihrer Sorg- und Schwerelosigkeit eingebüßt; die Schatten eines verlorenen Krieges, die damit verbundenen wirtschaftlichen Lasten und das politische Auf und Ab jener Jahre griffen auch nach dem einzelnen Menschen. Und auch selbst konnte man nicht mehr so naiv glücklich sein wie in den frühen Kindertagen, hinzukam, dass nun auch die Technik ihren Siegeszug anzutreten begann und die weihnachtliche Zeit nicht davon ausnahm. Gewiss, es gab noch freundnachbarliche Beziehungen, die gerade in diesen Tagen besonders gepflegt wurden, und der Schornsteinfeger kam noch wie früher, um mit einer Schmuckkarte Glück zu wünschen. Bei dem abendlichen Bummel durch die Stadt entdeckte man am Münzplatz zum Schlossteich hin einen stattlichen Tannenbaum, dessen elektrische Kerzen ein viel strahlenderes Licht als die des Bäumchens zu Haus verbreiteten. In den Spielwarengeschäften von Hanemann und Weiß erregten die neuesten Spielzeugerfindungen unser Interesse, und in den Schaufenstern der weltbekannten Geschäfte von Gehlhaar und Schwermer waren Postpakete aufgestapelt, die das berühmte Königsberger Marzipan in alle Welt hinaustrugen. Auf vieles wurde jetzt kaum noch Zeit verwendet, was früher den Reiz der vorweihnachtlichen Tage ausmachte: das Selbstanfertigen des Baumschmucks zum Beispiel oder das Backen des Weihnachtgebäcks — man konnte es ja jetzt viel einfacher und müheloser haben, statt der vergoldeten Nüsse funkelnde, in allen Farben schimmernde Glaskugeln, die selbstgefertigten Papierketten lösten solche aus Silberhaar ab, und die Pfefferkuchen kaufte man fertig beim Lebkuchen-Schulz. Selbst der Weihnachtsmarkt verlor immer mehr von seiner früheren anheimelnden Traulichkeit.

 

Ein schöner alter Brauch aber hatte sich in Königsberg bis in die jüngste Zeit erhalten: immer noch zog die Stadtkapelle am Heiligen Abend durch alle Straßen der Stadt und blies, begleitet von einer begeisterten und staunenden Kinderschar, die vertrauten alten Weihnachtslieder. Es war selbstverständlich, dass man den Weihnachtsbaum nicht eher anzündete, bis die Kapelle auch in „unserer" Straße gewesen war. Dann erst vereinte sich die Familie unter dem Lichterbaum, und vieles von der alten Stimmung kehrte mit den Liedern und den strahlenden Kinderaugen ein. Weihnachten bleibt unter den teuren Erinnerungen an Königsberg haften als eine Stadt, die fast noch dem Kinderland angehört und nun versunken scheint; versunken, aber nicht vergessen, und das wird gerade in diesen Tagen eines in die Heimat greifenden Träumens um das liebe alte Königsberg spürbar.

 

Seite 9   Elbinger Weihnachtsbilderbogen.

Foto: Madonna von St. Marien in Elbing

Foto: Adventsmütterchen beim Elbinger Markttor. 2 Zeichnungen: Inge Heister.

Wer von uns kann sich Weihnachten ohne Weihnachtsbaum denken? Den „Tannenbaum" nannten wir ihn zu Hause, obwohl er meist eine Fichte und selten eine „echte Tanne", wie wir sagten, war.

 

Ja, Advent und Weihnachten daheim in unserem Elbing! Adventsmütterchen wanderten durch die Straßen. Heimelige Dämmerstunden am warmen Kachelofen, während der Duft von Bratäpfeln durch die Stube zog, umschlossen Wochen hindurch vor Weihnachten eine Märchenwelt, in der wir Kinder glücklich lebten.

 

Der Christbaum der Kinderwelt war mit bunten Kugeln reich behängt, mit Lametta, Äpfeln vergoldeten Nüssen und Süßigkeiten, die zwischendurch ein paar Mal ergänzt werden mussten, bis das Fest des „Plieserns" kam. Bis zum Dreikönigstag stand unser Tannenbaum meist in der Stube.

 

Der Weihnachtsbaum im Markttor bei unseren Bubenweihnachtsfeiern in der „Gruppe" war schlichter und strenger, außer mit Kerzen nur mit Lametta geschmückt. Unter diesem Weihnachtsbaum saßen wir Jungen in weißen Hemden an einem langen Tisch voller Äpfel, Nüsse, Kuchen und Marzipan. Der Weihnachtsmann kam persönlich, und einmal hat er einen ganz bösen Kerl in seinen ausgeleerten Sack gesteckt und den Sack zugebunden draußen vor das Tor unter die Laterne auf den Alten Markt gestellt.

 

Zu unseren Jungenweihnachten gehörte auch die Wintersonnenwende im verschneiten Vogelsanger Walde. Schweigend zogen wir durch den Wald und sahen plötzlich mitten in einer Schonung auf einem schneebedeckten Bäumchen Kerzen brennen. Vorangegangene Kameraden hatten sie angezündet. Wir bildeten einen Kreis, und in die stille Winternacht erklang unser Lied „Es ist ein Ros entsprungen".

 

Überall hinter den Fenstern brannten die Kerzen an den Weihnachtsbäumen, wenn wir am Heiligen Abend durch die Straßen unserer Stadt gingen. Strahlender Lichterglanz füllte die St. Nikolaikirche bei der Christmesse zu mitternächtlicher Stunde. Dicht gedrängt standen die Menschen in dem großen Kirchenschiff.

 

Elbinger Weihnachten, das war auch der gewaltige Christbaum im alten Gotteshaus von St. Marien, der neben dem Hochaltar mit der herrlichen vergoldeten Schutzengel-Schrein-Madonna aus dem 15. Jahrhundert stand. Alljährlich gab es beim weihnachtlichen Kindergottesdienst am ersten Feiertag in der Kirche große bunte Tüten mit vielen guten Sachen, vor allem mit herrlich duftenden Pfefferkuchen.

 

Jahre lagen dazwischen, als ich, längst erwachsen, mit der Braut zu Weihnachten heimkam. Ein großer Tannenbaum mit elektrischen Kerzen grüßte vor dem Bahnhof in kalter Winternacht tröstlich alle, die unterwegs sein mussten. Wir fuhren mit der Straßenbahn in die Stadt und stiegen am Rathaus aus. Auch da erstrahlte ein glänzender Lichterbaum und sagte: „Herzlich willkommen!" Wie schön diese Sitte, vor dem Bahnhof und im Herzen der Stadt die großen Christbäume aufzustellen, sehr im Gegensatz zu der Unsitte, das Symbol der deutschen Weihnacht aus Geschäftsgründen all überall in die Schaufenster zu bringen.

 

Dann saßen wir in der warmen Weihnachtsstube bei den Eltern. Der Weihnachtsbaum war schlichter geworden, nicht mehr so bunt. Wir waren ja keine Kinder mehr. Doch der Glanz der Kerzen strahlte in unseren Augen wieder wie einst in unseren Kinderjahren. Neben mir saß das Mädchen, das meine Frau werden sollte, und uns gegenüber die Eltern. Der Grog dampfte in den Gläsern vor uns. Wir knabberten von unseren Bunten Tellern, denn wo gibt es Elbinger Weihnachten ohne Bunten Teller? Es war mein letztes Weihnachten im Elternhaus.

 

Der Krieg zog alles in seinen Bann. Das erste Weihnachten nach seinem Ende fand mich als russischen Kriegsgefangenen in Heydekrug im Memellland, im äußersten Nordosten der altpreußischen Heimat. Elend war es, aber in der großen Baracke hatten wir an allen Wänden und auch an unseren Betten Fichtenzweige angebracht. Da lagen wir fast wie in einem Walde auf unseren Strohsäcken, als es dunkel wurde am Heiligen Abend. In der Mitte der Baracke stand eine frischgeschlagene Fichte, ein großer Baum mit Zapfen daran. Wir hatten ihn mit Papierwolle geschmückt, die wir in einem Strohsack gefunden hatten, und mit Sternen, Herzen und Pferdchen, aus einem alten grauen Pappkarton geschnitten. Kerzen hatten wir keine. Nur ein einsames Hindenburglicht flackerte im Raum, aber unser Weihnachtsbaum und die vielen Fichtenzweige dufteten so stark, dass es uns fast den Atem nahm. Mit dem Nadelduft vermeinten wir ausgemergelten und hungrigen Männer den Geruch von Pfefferkuchen und Bratäpfeln zu spüren. Die allerengste Heimat war uns in Gedanken nahe wie unsere ach so fernen Frauen und Kinder. Da scharren Füße vor unserer Tür den Schnee von den Holzschuhen, und eine ganze Gruppe von Sängern kam herein, mit Kienspänen bewaffnet in Ermangelung einer anderen Beleuchtung. Im Licht der brennenden Kienspäne sangen sie uns das „Hohe Nacht der klaren Sterne" und viele alte Weihnachtslieder, bevor sie weiterzogen von Baracke zu Baracke. Es war das letzte Weihnachten in der alten Heimat.

 

In diesem Sommer besuchte ich mit den Meinen den Bildhauer Fritz Viegener in seinem Heim am Möhnesee im schönen Sauerland. Er zeigte uns unter anderem eine große Relieffolge, die Geschichte unserer Welt darstellend, wie sie die Bibel berichtet. Auf allen Bildern aber sahen wir die Heimatstadt Viegeners, das mittelalterliche Soest. Da war die Arche Noah als Schiff gestaltet, das die Stadt Soest trägt, und vieles andere. So wie Viegener überall seine Stadt hinstellte, als Hintergrund, Vordergrund oder im Mittelpunkt, so sehe ich in den Weihnachtstagen immer mehr hinter dem Weihnachtsbaum die alte Heimat. Sie breitet sich unter ihm aus, sie schimmert zwischen den Zweigen hindurch. Da ist das hohe Dach von St. Marien, das Markttor, die schneebedeckte Höhe, die weite Niederung. Groß und mächtig steht der Weihnachtsbaum, unser alter, guter „Tannenbaum" mitten im Bilde der Heimat. Bernhard Heister

 

Seite 10   Maud Günther-Liederwald. In meinem Garten blühen Mimosen.

Wenn wir früher um diese Zeit mit dicken Mänteln und Galoschen, vielleicht sogar Mauchen an den Händen, über den Paradeplatz in Königsberg durch den Schnee stapften, stand oft in der Nähe von Café Bauer ein verhutzeltes Männchen oder Weibchen, den Kopf eingepummelt in ein Wolltuch, denn der Wind wehte eisig, und hielt in den frostklammen Händen einen Gruß aus dem sonnigen Süden: an grünen, zartgefiederten Zweigen leuchtend gelbe und süß duftende Püschelchen. „Kauft, liebe Leute, kauft Mimosen, zum Weihnachtsfest", so klang es an unser Ohr, und manch einer nahm den duftenden Gruß mit ins warme Zimmer.

 

Daran muss ich nun denken, wo wieder einmal Weihnachten vor der Tür steht. Ja, in meinem Garten blühen nun diese gelben Püschelchen an einem zierlichen Bäumchen, aber ich brauche keinen Mantel und keine Galoschen, um mir einen Zweig davon ins Zimmer zu holen, denn ich lebe nun im sonnigen Süden, in Ägypten, wo der Himmel strahlend blau ist, wo fast immer die Sonne scheint. Es gibt aber auch im Winter Sturm und Regen, die Zimmer, groß und luftig, ohne Heizung, sind kühl in dieser Jahreszeit. Es gibt keinen gemütlichen Kachelofen, in dessen Röhre die Bratäpfel, oben mit einem weißen zischenden Schaumkrönchen, schmurgeln — aber: im Hause leuchten die Weihnachtskerzen.

 

Wir Ostpreußen, die wir hier seit fast acht Jahren in einem Gartenvorort von Cairo leben, haben unsere liebe Heimat nicht vergessen. Wir machen nun die gleichen Vorbereitungen wie zu Hause. Wir backen, wir kneten Marzipan am letzten Adventssonntag, wir haben einen Adventskranz aus Zweigen des Lebensbaums (Tuja) mit roten Beeren eingeflochten. Ein Rauschgoldengel, mit zwei winzigen Kerzen in den Händen, steht davor. Vier rote Kerzen wetteifern am Abend zur besinnlichen Stunde mit den gelbroten Flammen des Kaminfeuers. Am Heiligen Abend wird am Vormittag der Baum geschmückt — es ist keine Tanne, die gibt es hier leider nicht; wir nehmen einen Lebensbaum, der im Wuchs der Tanne sehr ähnlich ist. Wenn er sein Festgewand mit silbernen Kugeln, Lametta, Engelhaar, den schimmernden Kerzen, an der Spitze einen Weihnachtsstern, angezogen hat, sieht er fast so aus, wie unser Weihnachtsbaum. Am Spätnachmittag fahren wir in die deutsche Kirche nach Cairo. Sie erinnert mich etwas an die Steindammer Kirche, wo wir immer die Christvesper erlebten. Auch in diesem Kirchlein brennen nun Wachskerzen an einem großen Tannenbaum, der von Freunden aus der Heimat gespendet wird. Vom Chor klingt's: „Es ist ein Ros' entsprungen" und „Oh, du fröhliche, oh, du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit", wie zu Hause.

 

Ja, die Gedanken wandern in dieser Zeit besonders nach unserem Königsberg, zu all den festlich geschmückten Läden, großen und kleinen, zu Gräfe & Unzer, zur Bücherstube Rudolf Haffke, wo man gern durch den Laden ins kleine Hinterstübchen durchging und dort lange in all den Buchschätzen kramte — oder zu Backe (ich habe noch einen hübschen schmiedeeisernen Wandleuchter mit Honigkerzen von dort) durch die Tür mit der klingenden Glasharfe und die steile Treppe zur Weihnachtsausstellung empor.

 

Ist es nicht so, liebe Freunde, gleich, wo uns die größte Völkerwanderung aller Zeiten hinverschlagen hat, ein Stückchen Heimat lässt sich trotzdem aufbauen, ein paar Bilder aus der Heimat schmücken die Wände, gute Bücher, die von der Heimat erzählen, erfreuen uns, alte Sitten und Gebräuche pflegen wir weiter — wenn wir die Tür hinter uns schließen, ist es dann nicht wie daheim? Und in meinem Garten blühen Mimosen, und im Haus brennen die Weihnachtskerzen.

 

Seite 10   Ernst Wiechert. Die Krone aller Feste.

Ich darf, da ich die vergangene Welt einmal beschwöre, nicht an dem vorübergehen, was die Krone aller Feste und Spiele war, worin des Jahres Anfang und Ende sich zusammenzog und was über allen zweiundfünfzig Wochen wie ein sich langsam hebender Stern der Verheißung stand: Das Weihnachtsfest.

 

Wenn ich es recht bedenke, begann es für mich im Frühjahr, wenn ich auch auf meinen Waldwegen nach dem nächsten Weihnachtsbaum Umschau zu halten begann. Und glaubte ich ihn dann gefunden zu haben, manchmal früh, manchmal spät im Jahr — denn die alten Waldleute pflegten zu sagen, einen richtigen Weihnachtsbaum zu finden, sei mindestens ebenso schwer, wie die richtige Frau zu finden —, so konnte ich ein paarmal in der Woche vor ihm sitzen, der noch durch nichts über seine Umgebung erhoben war, und mir vorstellen, wie ich ihn auf dem Rücken heimtragen und wie das Fest unter seinen Zweigen sein würde. Auch tat es diesem schönen Amt keinen Abbruch, als einmal am Heiligen Abend, als ich mit der Axt über der Schulter ihn holen kam, ein Wildschwein von nicht geringer Majestät sich unter seinen Zweigen erhob und zornig schnaufend aus dem gestörten Lager sich davonmachte. Vielmehr habe ich diesen Baum in einer besonders schönen Erinnerung, und ich weiß, dass ich mich nicht ohne Scheu umblickte, ob nicht vielleicht das Dach eines Stalles durch den verschneiten Wald zu sehen wäre und das Licht über der Krippe, das allen Tieren des Waldes eine Freistatt verheißen sollte.

 

Je tiefer ich zurückzugehen versuche in das Land der verfließenden kindlichen Erinnerung, desto mehr scheint mir, als ob nicht das erste Weihnachtslicht es sei, das sich aus dem Dunkel der Heiligen Nacht vor meinen Augen aufhebt, sondern als sei vielmehr die erste Erinnerung an den Glockenton gebunden, der an jedem Adventssonntag und in der letzten Adventswoche an jedem Abend „vom Himmel hoch" bis an die Fenster unserer Wohnstube kam. Die Knechte, die wir während meiner Kinderzeit hatten, mögen in ihrer Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit verschieden gewesen sein, aber in einer Hinsicht war ihre Fertigkeit gleicher Bewunderung würdig: in der Kunst, den Klang der Schlittenglocke von der Stalltür bis zum Fenster so allmählich anschwellen zu lassen, dass auch der verstockteste Heide auf die Knie gezwungen worden wäre, weil eben kein Zweifel daran sein konnte, dass dieser Glockenton aus dem Himmel herabgestiegen kam, von Schneeflocken umweht, vom Winde leise vertrieben, bis das Metall sich draußen auf das Fensterbrett legte und nun das Schweigen eintrat, das nur über zwei gefalteten Engelsschwingen wohnen konnte.

 

Ich kann nicht glauben, dass die „Hirten auf dem Felde" überwältigter gewesen sind vom Licht und Chor der himmlischen Heerscharen, als ich es damals war. Voller Ernst und Spannung wandten die Gesichter der Großen sich uns zu, indes wir die Hände falteten und nacheinander die Gebete sprachen, die man uns gelehrt hatte, wobei das Herz uns im Halse schlug und unsre Augen auf das verhängte Fenster gerichtet waren, hinter dem doch kein Schatten verriet, ob ein Engel oder Gottvater selbst davorstand. Und dann kam die dunkle fremde Stimme von jenseits der Sterne: „Sind's art'ge Kind? Sind's böse Kind?" Dann hob die Glocke sich auf, immer höher, leiser und ferner, bis sie verstummte und das Blut wieder zum Herzen strömte. Eine Weile später führte die Mutter uns in die Vorderstube, wo auf der Ecke des Tisches eine Pfeffernuss für jeden für uns lag. Nur ein einziges Mal, wenn ich mich recht erinnere, lag ein Stock statt der Kuchen da, und wiewohl das sicherlich seinen zureichenden Grund gehabt hat, so ist mir nicht ein tiefes Schuldgefühl mit dieser Erinnerung verknüpft, sondern ein fassungsloses Erstaunen, dass dieser Stock schwarz und glänzend von Ruß und Fett war, genau wie die Stöcke, über denen in der Räucherkammer die Würste und Schinken zu hängen pflegten. Doch mag ich mich wohl damit getröstet haben, dass dieser Stock aus höllischen Bezirken entliehen sein konnte und dass es dort vielleicht nicht viel anders aussehen mochte als in unserer Räucherkammer, die an und für sich ein Ort des Schreckens für uns war, weil mitunter Feuer in ihr ausbrach und mein Vater dann auf das Dach steigen musste, um feuchte Betten auf den Schornstein zu pressen.

 

Trat also mit diesem Glockenton die jenseitige Welt bis an die Schwelle unseres Hauses und Lebens, so hatten wir in der diesseitigen doch das Unsrige zu tun, um ihr auch würdig und feierlich zu begegnen. Das Landleben war ja damals noch auf eine altertümliche Weise an den Gang des Jahres und der Feste angeschlossen, und die Zurüstung zu den Heiligen Nächten mochte bei uns nicht viel anders gewesen sein als auf einem Bauernhof Schwedens oder Norwegens, weil die Bedürfnisse, die Frömmigkeit und der Aberglaube der nordischen Seele sich überall auf die gleiche Weise bewahrt hatten. Und wenn auch die wirtschaftliche Seite, das heißt das Schweine schlachten, mit auf eine unpassende Art in diesen Kreislauf eingeschlossen schien, so war mein Reich doch unter dem milden Licht der Hängelampe, und dort entstanden unter unseren Händen alle die Zauberwerke, die dieser verzauberten Zeit vorbehalten waren: Ketten aus rotem und blauem Glanzpapier, versilberte und vergoldete Nüsse und Äpfel und bronzierte Tannenzapfen. Auch musste heimlich angefertigt werden, was wir selbst auf den Gabentisch zu legen hatten, und dann wurde unter der Leitung des Letzten der Mohikaner unsere Oberstube mit dem grünen Kachelofen und dem Duft der Bratäpfel ein Paradies, in dem wir nicht viel anders schalteten und walteten als Gottvater zu seiner Zeit, wenn er Tiere und Vögel bunt und fröhlich anmalte, um die frohe Erde damit zu erfüllen.

 

So hatte das Allerheiligste dieses Festes den schönen Vorzug, dass vor ihm eine Reihe von „Vorhöfen" lagen, in denen das Letzte bereits zu ahnen war, und nicht der geringste von ihnen war die Stätte der Weihnachtsbäckerei, die vom Reiben der Mandeln bis zur Herstellung des Marzipangusses alle Künste erforderte, derer wir fähig waren, und bei der nicht etwa das Recht auf Abfälle und Reste das Beseligende war, sondern die schöne Feierlichkeit alter Gebräuche und Rezepte, die Eintracht, der Friede, das stille Geborgensein im tief verschneiten Haus und in der Liebe der Eltern, die um diese Zeit ja von besonderer Innigkeit war.

 

Und gingen bei aller Tätigkeit die Tage auch mit erschreckender Langsamkeit dahin, so kam doch einmal der Morgen, an dem der Baum hereingeholt und in seinen Fuß gestellt wurde, worauf er in der Vorderstube verschwand und damit das Haus und das Leben in zwei Hälften zerfielen, eine irdische und eine himmlische. Früher als sonst wurde die Wirtschaft „beschickt", wie man bei uns sagte, und während wir beim Licht der Stalllaterne auf der Futterkiste saßen, indes die Pferde gefüttert und die Kühe gemolken wurden; während die großen Schatten der Tiere an den Wänden auf und nieder glitten, die Ketten sich leise rührten und aus den Wäldern der Ruf der Eulen über die verschneite Erde ging, hörten wir den Geschichten des Knechtes und des Mädchens zu, biblischen, weltlichen und jenseitigen Geschichten, mit der Gläubigkeit einfacher Seelen erzählt, und Haus und Stall erschienen unseren erschauernden Herzen als der stille, verschollene Mittelpunkt aller Welt, umgeben von himmlischen Heerscharen, überstrahlt vom Stern von Bethlehem, und wir selbst auf eine unverlierbare Weise eingebettet in eine göttliche Vaterhand, aus der uns kein Leben und kein Tod jemals würden vertreiben können.

 

Unendliche Stunden am Ofenfeuer der Wohnstube, indes nebenan hinter der verschlossenen Tür Schritte und Stimmen heimlich gehen, Papiere rascheln und ab und zu ein Ton leise aufklingt, als habe man eine Geige berührt oder ein geheimnisvolles Instrument, von den Engeln bis in unsere Wälder gebracht. Hoffnung, Verzagtheit, Seligkeit lind Angst. Bis doch einmal die Tür sich öffnet und in unsere fassungslosen Augen und Herzen das Allerheiligste überwältigend sich stürzt.

 

Was gab es auf dem kleinen Gabentisch, was ich noch besitzen möchte? Einen Taubenschlag, anderthalb Spannen hoch, und wenn man eine Kurbel dreht, ertönt eine ganz zarte, leise und verstimmte Melodie. Einen Leierkasten an einem breiten grünen Band, und wenn man den Deckel öffnet, sieht man die Walzen mit glänzenden Stiften sich langsam gegeneinander drehen. Ein Paar Schlittschuhe für uns drei Brüder zusammen, eine Kegelbahn und eine Kanone. Ein Buch vom Schmied von Ruhla und vom Rattenfänger von Hameln. Holztiere mit steifen Beinen und herrliche Bäume, die man hinstellen kann, wo man will, und die so grün sind, dass sie sicherlich nicht von dieser Welt stammen. Und dann der erste kleine Tesching, den ich ins Bett nehme, und einen Säbel, über dem ich vor dem Einschlafen auf der Brust die Hände falte, so dass ich daliege wie ein kleiner Ritter in einer Kirchengruft.

 

Täuscht mich die Erinnerung oder liegt ein ganz kleiner Schmerz neben allen diesen Freuden? Und ist es nicht deshalb, weil meine Mutter leise weint unter dem brennenden Baum? Zuerst ist es der gestorbene Bruder, den sie nie vergisst, und dann ist es wohl ein leiser Gram um manches, was im Jahr gewesen ist, und um manches, das sich nicht erfüllt hat und von dem sie weiß, dass es sich nie erfüllen wird. Und dann ist es wohl die Ahnung, dass der Tod früher für sie kommen wird als für uns andere und dass sie gehen wird, ohne zu wissen, was aus uns werden wird, und ob wir auch nie vergessen werden, dass Gott durch alle Wände sieht.

 

Aber für ein Kind ist das ein kleiner Schmerz, denn wenn die Träne vorbei ist glaubt es, dass alles andere vorbei sei. Und niemals kann dieser Abend aufhören, weil es ihn noch in seine Träume mitnimmt, die Hände um die kostbaren Geschenke gefaltet, und jedes Erwachen versichert es der Seligkeit des Gestern und des Morgen.

 

Aus Ernst Wiechert: Am Himmel strahlt ein Stern. Ein Weihnachtsbuch. Verlag Kurt Desch, München.

 

Seite 10   Winterbild. Von Ruth Syring

Vom Schneien ist der Himmel müd,

ruht dämmernd aus im Grau,

und sorglich deckt der Wind ihn zu

— wann fände der wohl einmal Ruh? —

mit dickem Bett der Wolkenfrau.

Und kalt der Nebel sprüht ...

 

Der fahlen Sonne Rund

blickt durch die Schleier, schemenhaft,

ermattet, kraftlos, krank,

auf die vermummte Gartenbank,

indes der Frost am Eise schafft.

Und fernwo bellt ein Hund.

 

Der Schlitten gleitet sanft entlang

den weiß verschneiten Weg

bis hin zum dunklen Winterwald;

der flüstert leis: Ich grüne bald! —

Beglückt hört es der schmale Steg.

Am Schlitten tönt der Glöckchen Sang.

 

Seite 10   Die Straße zum Christkind. Von Edith Mikeleitis.

Die Rappen meines Vaters Gestüt schnaubten vor Lust. Von ihren Hufen stob der Schnee. Über die weite östliche Ebene schimmerte eine blasse Mitwintersonne, und das Geklingel der Schellen auf dem Pferdegeschirr entzückte mein elfjähriges Herz. Ich durfte die Zügel halten, der Kutscher Heinrich hinter mir in Bärenmütze und Pelzumhang döste vor sich hin. Wir beide sollten in der nahen Kreisstadt allerlei Vergessenes für den Heiligen Abend einholen, der sich in wenigen Stunden über die verzauberte Welt senken würde. Die Rappen ließen sich mühelos lenken, und meine erwartungsvolle Freude schien sich auf sie zu übertragen, so lustig schüttelten sie die Mähnen.

 

Aber plötzlich wichen sie mit einem Sprung zur Seite, so dass der Schlitten bedenklich schwankte, und blieben wie angewurzelt vor einem Schneehaufen stehen, der inmitten der Straße lag. Über ihre glänzenden Leiber liefen Schauer. Sichtlich erregt drängten sie zurück. Heinrich griff in die Zügel und schnalzte beruhigend mit der Zunge.

 

Ich verstand sogleich, dass die Tiere nicht auf den Schneehügel treten wollten, weil sie etwas witterten, was uns Menschen entging. Mit einem Satz sprang ich aus dem Schlitten und näherte mich dem Hindernis. Besser als Heinrich spürte ich das Ungewöhnliche. Mir klopfte das Herz bis zum Halse. Meine Phantasie malte mir ungerufene Bilder. Es konnte ein Erfrorener unter dem Schnee liegen, und die Nähe des Todes umwitterte mich.

 

Es gehörte mehr Mut dazu als ich bisher jemals aufgebracht hatte, in den Schnee hineinzugreifen, bis ich auf etwas Weiches, Stoffliches stieß und eine Mütze hervorzog. Entsetzt hielt ich sie Heinrich hin. Er bedeutete mir, mit dem Peitschenstiel weiter zu graben. Ich tat, innerlich vor Furcht erstarrt. Immer hastiger warf ich den Schnee zur Seite. Wahrhaftig — ein Kind lag darunter. Es hatte einen Wollschal schützend über das Gesicht gezogen, ehe es eingeschlafen war. Zögernd entfernte ich das Tuch und erkannte Karlchen, den fünfjährigen Sohn unserer Nähbetty.

 

Was hatte das Kind hier zu suchen gehabt? Mit den vertrauten Zügen Karlchens war meine Fassung zurückgekehrt, und ich versuchte mit allen Kräften, ihn aufzuheben; aber er war zu schwer für mich. Heinrich musste mir zu Hilfe kommen. Unter Gemurmel und Kopfschütteln nahm er den starren Körper auf und kletterte damit wieder auf seinen Sitz. „Wir müssen umkehren", sagte er.

 

Ich ergriff die Zügel. Die Rappen ließen sich jetzt wieder gehorsam lenken. In mir war es sehr still geworden. Hatten wir einen Schlafenden oder einen Toten geborgen?

 

Als wir unsere starre Fracht ausluden, wurde die weihnachtliche Geschäftigkeit im Hause jäh unterbrochen. Meine Mutter nahm sich des Kindes sogleich an. Wortlos befragte sie ihr dickes Buch, das Buch des Pfarrers Kneipp. Bald sah ich sie mit Tüchern, Schüsseln und Wasser um Karlchen beschäftigt. Ich saß in einem dunklen Winkel und hatte die Hände gefaltet. Denken konnte ich nicht.

 

Doch als meine Mutter nach einer mir endlosen Zeit sagte: „Er atmet wieder", schluchzte ich laut heraus. Das war zu viel! Die Spannung meines Herzens machte sich in einem Schrei Luft, und ich taumelte benommen aus dem Zimmer.

 

Erst als die Weihnachtsglocke ertönte wie jedes Jahr, hatte ich mich soweit beruhigt, dass ich in das von Lichtern strahlende Zimmer treten konnte. Ich sah die Nähbetty mit Karlchen auf dem Schoß neben dem Baum sitzen. Ich lief zu ihm und streichelte immer wieder seine hellen Haare. Die Geschenke waren mir gleichgültig geworden. Ich untersuchte sie nur, um auszusondern, was davon für Karlchen geeignet war.

 

Seine Hände konnten gar nicht alles halten, was ich ihm hineinlegte. Sein unvermuteter Reichtum mochte einen Zusammenhang mit seinem einsamen und tapferen Gang in ihm wachrufen, denn er sagte plötzlich mit seligem Lächeln: „Straße zum Christkind … Es hat gesungen, und ich war im Himmel …“

 

Seite 11   Das Fest der Weihnacht. Adalbert Stifter.

Unsere Kirche feiert verschiedene Feste, welche zum Herzen dringen. Man kann sich kaum etwas Lieblicheres denken als Pfingsten und kaum etwas Ernsteres und Heiligeres als Ostern. Das Traurige und Schwermütige der Karwoche und darauf das Feierliche des Sonntags begleitet uns durch unser Leben. Eines der schönsten Feste feiert die Kirche fast mitten im Winter, wo beinahe die längsten Nächte und kürzesten Tage sind, wo die Sonne am schiefsten gegen unsere Gefilde steht, und Schnee alle Fluren deckt, das Fest der Weihnacht.

 

Wie in vielen Ländern der Tag vor dem Geburtsfeste des Herrn der Christabend heißt, so heißt er bei uns der Heilige Abend, der darauf folgende Tag der Heilige Tag und die dazwischen liegende Nacht die Weihnacht. Die Kirche begeht den Christtag als den Tag der Geburt des Heilandes mit ihrer allergrößten kirchlichen Feier, in den meisten Gegenden wird schon die Mitternachtsstunde als die Geburtsstunde des Herrn mit prangender Nachtfeier geheiligt, zu der die Glocken durch die stille, finstere, winterliche Mitternachtsluft laden, zu der die Bewohner mit Lichtern oder auf dunklen, wohlbekannten Pfaden aus schneeigen Bergen an bereiften Wäldern vorbei und durch knarrende Obstgärten zu der Kirche eilen, aus der die feierlichen Töne kommen, und die aus der Mitte des in bereifte Bäume gehüllten Dorfes mit den langen, beleuchteten Fenstern emporragt.

 

Mit dem Kirchenfeste ist auch ein häusliches verbunden. Es hat sich fast in allen christlichen Ländern verbreitet, dass man den Kindern die Ankunft des Christkindleins — auch eines Kindes, des wunderbarsten, das je auf der Welt war — als ein heiteres, glänzendes, feierliches Ding zeigt, das durch das ganze Leben fortwirkt und manchmal noch spät im Alter bei trüben, schwermütigen oder rührenden Erinnerungen gleichsam als Rückblick in die einstige Zeit mit den bunten, schimmernden Fittichen durch den öden, traurigen und ausgeleerten Nachthimmel fliegt. Man pflegt den Kindern die Geschenke zu geben, die das heilige Christkindlein gebracht hat, um ihnen Freude zu machen. Das tut man gewöhnlich am Heiligen Abend, wenn die tiefe Dämmerung eingetreten ist. Man zündet Lichter, und meistens sehr viele an, die oft mit den kleinen Kerzlein auf den schönen, grünen Ästen eines Tannen- oder Fichtenbäumchens schweben, das mitten in der Stube steht. Die Kinder dürfen nicht eher kommen, als bis das Zeichen gegeben wird, dass der Heilige Christ zugegen gewesen ist und die Geschenke, die er mitgebracht, hinterlassen hat. Dann geht die Tür auf, die Kleinen dürfen hinein, und bei dem herrlichen, schimmernden Lichterglanze sehen sie Dinge auf dem Baume hängen oder auf dem Tische herumgebreitet, die alle Vorstellungen ihrer Einbildungskraft weit übertreffen, die sie sich nicht anzurühren getrauen, und die sie endlich, wenn sie sie bekommen haben, den ganzen Abend in ihren Ärmchen herumtragen und mit sich in das Bett nehmen. Wenn sie dann zuweilen in ihre Träume hinein die Glockentöne der Mitternacht hören, durch welche die Großen in die Kirche zur Andacht gerufen werden, dann mag es ihnen sein, als zögen jetzt die Englein durch den Himmel, oder kehre der Heilige Christ nach Hause, welcher nunmehr bei allen Kindern gewesen ist und jedem von ihnen ein herrliches Geschenk hinterbracht hat.

 

Wenn dann der folgende Tag, der Christtag kommt, so ist es ihnen so feierlich, wenn sie frühmorgens mit ihren schönsten Kleidern angetan in der warmen Stube stehen, wenn der Vater und die Mutter sich zum Kirchgange schmücken, wenn zu Mittage ein feierliches Mahl ist, ein besseres als an jedem Tage des ganzen Jahres, und wenn nachmittags oder gegen den Abend hin Freunde und Bekannte kommen, auf den Stühlen und Bänken herumsitzen, miteinander reden und behaglich durch die Fenster in die Wintergegend hinausschauen können, wo entweder die langsamen Flocken niederfallen, oder ein trübender Nebel um die Berge steht, oder die blutrote kalte Sonne hinabsinkt. An verschiedenen Stellen der Stube, entweder auf einem Stühlchen oder auf der Bank oder auf dem Fensterbrettchen, liegen die zauberischen, nun aber schon bekannteren und vertrauteren Geschenke von gestern Abend herum.

 

Hierauf vergeht der lange Winter, es kommt der Frühling und der unendlich dauernde Sommer — und wenn die Mutter wieder vom heiligen Christe erzählt, das nun bald sein Festtag sein wird, und dass er auch diesmal herabkommen werde, ist den Kindern, als sei seit seinem letzten Erscheinen eine ewige Zeit vergangen, und als liege die damalige Freude in einer weiten, nebelgrauen Ferne. Weil dieses Fest so lange nachhält, weil sein Abglanz so hoch in das Alter hinaufreicht, so stehen wir so gern dabei, wenn Kinder dasselbe begehen und sich darüber freuen.

 

Seite 11   Foto: Die Marienburg im Raureif

 

Seite 11   Traumschöne Stille. Von Margareta Pschorn.

Unterm Schnee verborgen liegt das Land,

Die Heide träumt. Im Nebel ruht die Ferne.

Der Hochwald trägt sein himmlisches Gewand.

Zu Häupten glühen tausend Sterne.

 

Durch den Forst schwingt fernher Glockenklang

Das Reh zieht auf verwehten Steigen.

Christrosen blühen au! dem Hang,

Wo unter Schneelast sich die Äste neigen.

 

Traumschöne Stille geht durchs Waldgezelt,

Die Hasen bergen sich ins Strauchgeflechte.

Im Sternenlicht der winterlichen Welt

Entschwebt die heiligste der Nächte.

 

Seite 11   Wer tuts? Johannes Trojan (1837 – 1915).

Die Bäume fangen an zu wandern,

Das muss wohl Weihnachtszauber sein,

Ein Tannenbäumchen nach dem andern

Kam in das große Haus herein.

 

Das hab ich staunend wahrgenommen

Und hab die Bäumchen all' gezählt,

Ich weiß, wieviel ins Haus gekommen,

Und weiß, dass jetzt noch eines fehlt.

 

Ja, dieses eine fehlt noch heute,

Obgleich das Fest schon gar so nah.

Ich glaub', hoch unterm Dach die Leute,

Für die ist noch kein Bäumchen da.

 

Doch auf dem Markte steht noch eines —

Ich sah es im Vorübergehn —

Ein Tannenbäumchen, nur ein kleines,

Doch gar nicht übel anzusehn.

 

Es kann nicht von der Stelle rücken

Und käme gern doch an den Mann.

Wollt einer kaufen es und schmücken,

Dem sagt ich, wer es brauchen kann.

 

Und kam es dann zum ärmsten Manne,

Wie viele Freude rief es wach!

Wer kauft und schmückt die kleine Tanne

Und trägt hinauf sie unters Dach?

 

Seite 11   Das Christkind zu Bilderweitschen. Von Annemarie in der Au.

Foto: Die heilige Familie. Zeichnung von Elisabeth Mühlenweg.

Es ist schon sehr, sehr lange her, dass sich diese Geschichte zutrug, damals nämlich, als es in Ostpreußen noch ein Dorf namens Bilderweitschen gab. Und damals gab es zu Bilderweitschen einmal zum Heiligen Abend ein Christkind, von dem man im Dorfe noch lange sprach. Das war ein Christkind aus Wachs und dichtem Haarflausch, der Mutters Haar auffallend glich, oder manchmal auch Lieses Pferdemähne — um nicht gar vom Schwanz zu sprechen —, sondern das war das wirkliche, lebende Christkind mit merkwürdig rotem, gefaltetem Gesichtchen und wenigen Haaren. Aber es war unendlich viel schöner als jedes wächserne Christkind je hätte sein können.

 

Und das war so:

Es war wie immer gewesen, fanden alle Kinder, wie immer vor Weihnachten mit dem Pfefferkuchenbacken, dem Scheuern, dem Schimpfen, wenn einer zu viel gemacht hatte, mit den Heimlichkeiten voreinander, mit Vaters geheimnisvollen Abendspaziergängen und mit dem ereignisreichen Fellabziehen der Hasen. Alles war wie immer gewesen.

 

Und ausgerechnet heute, am Heiligen Abend, wo sich alle Kinder schon in Hochstimmung befanden und zum hundertsten Male unermüdlich ihre Wünsche und Hoffnungen austauschten, ausgerechnet da musste diese fremde Frau zu ihnen auf den Hof kommen.

 

Niemand wusste, woher sie gekommen war, außer vielleicht die Mutter, mit der sie heimlich und ganz leise gesprochen hatte. Vielleicht kam sie von sehr weit her. Die Grenze war nahe und ließ mancherlei Vermutungen zu. Die Mutter jedenfalls hatte nach diesem Gespräch, das draußen auf dem Hofe stattgefunden, ihren Arm um die Frau gelegt und sie in die Küche geleitet, ganz einfach in die Küche und sogar an den Tisch, was sie sonst gewiss nicht mit jeder hergelaufenen Frau tat. Dann hatte die Mutter mit dem Vater ein paar Worte gewechselt, hatte das kleine Bündel der Frau an sich genommen und in die Bodenkammer gebracht, und die Frau blieb.

 

Das war am frühen Morgen geschehen, und die Kinder wussten nicht, welchen Reim sie sich darauf machen sollten. Die Frau blieb, machte sich ein wenig in der Küche nützlich, und schließlich schwand die erste Neugier der Kinder, und sie nahmen die Frau hin.

 

Aber dann war eigentlich erst das eingetreten, was den Kindern den Heiligen Abend ganz und gar zu zerstören schien. Die fremde Frau war plötzlich krank geworden. Auguste, das älteste Mädchen, hatte alles genau beobachtet und wusste es ihren Geschwistern aufgeregt zuzuflüstern.

 

Und dann beginnt ein aufgeregtes Hin- und Hergelaufe, vom Weihnachtszimmer, das nun mit einem Mal das Krankenzimmer der fremden Frau ist, zur Küche, zum Boden, zum Wäscheschrank auf dem großen Vorflur, zum Weihnachtszimmer und die Kathinka ruft zwischendurch immer wieder: Ach, du liebes Gottchen, ach du liebes Gottchen! Auch der Vater wird aus dem Schuppen geholt und mit in die Aufregung hineingezogen. Während die Kinder verschüchtert und eng aneinandergerückt in einem Winkel der großen Küche hocken, läuft der Vater, so wie er gerade ist, in den Frost hinaus und ins Dorf hinunter, wobei er vor lauter Aufregung beinahe den Gartenzaun umrennt. Um die Kinder kümmert sich niemand mehr, selbst die Mutter hat kein Auge für sie.

 

Dann sehen die Kinder die alte Stragiesin durch den Schnee auf das Haus zustapfen, und der Vater ist bei ihr und trägt ihre große Tasche. Wo die Stragiesin hinkommen muss, da steht es gewiss sehr schlimm, finden die Kinder denn von der Stragiesin geht so etwas Geheimnisvolles, Ehrfurchtgebietendes aus. Vater und die Stragiesin verschwinden im Weihnachtszimmer.

 

Alles bleibt still, unheimlich still. Allmählich bricht die frühe Dämmerung herein. Niemand denkt an seine Mahlzeit, niemand denkt an die Kinder, und Weihnachten — gibt es wohl überhaupt nicht mehr.

 

Ganz plötzlich wird es wieder lebhaft im Haus. Die Mutter und Kathinka laufen mit großen Töpfen heißen Wassers von der Küche in das Krankenzimmer, der Vater läuft hinter ihnen her und wieder zurück, und nur die Stragiesin bleibt zunächst unsichtbar. Als sie nach einer schier endlosen Zeit wieder in der Küche erscheint, lässt sie sich schwer auf den Stuhl fallen, schnauft fürchterlich und schüttelt ihren Kopf. Noch während Kathinka, die ihr gefolgt ist, sie mit Kaffee und Kuchen reichlich versorgt, muss sie immer wieder den Kopf schütteln und Unverständliches in sich hineinmurmeln. Dann geht sie, und zurück bleiben wieder nur die ratlosen Kinder.

 

Es ist schon dunkel geworden, als endlich, endlich die Mutter zusammen mit dem Vater in die Küche kommt. Die Kinder! Die Mutter fasst sich an den Kopf, als müsse sie sich erst besinnen was nun zu tun sei; aber ehe der Vater noch etwas sagen kann, hat sie ihm schon ein Zeichen gegeben und dabei leise gelacht. Und dieses Lachen ist so seltsam, dass es die Kinder noch hilfloser macht als alles andere zuvor.

 

Und nun fühlen sich die Kinder in einen neuen Wirbel hineingezogen, dessen Mittelpunkt aber diesmal die Mutter ist und das Weihnachtsfest und sehr viel Freude.

 

Die Kinder kommen erst wieder zu sich, als sie im weihnachtlichen Krankenzimmer bei der fremden Frau stehen, wo unter dem Lichterbaum eine Wiege mit einem Christkindchen steht.

 

Wahrhaftig, es ist so! Das Christkindchen, das richtige, lebendige Christkindchen liegt da vor ihnen, und die fremde Frau sieht von ihrem Bett aus immerzu zu dem Christkind hin und lächelt.

 

Die Kinder wagen nicht zu sprechen. Sie sehen kaum nach dem Lichterbaum und werfen keinen Blick auf ihre Geschenke, sie sind nur Auge, Ohr und Staunen für das Wunder in der Wiege. Und erst als die Mutter vor sich hinflüstert, dass das Christkindchen versprochen habe, nicht nur für diesen Abend, sondern noch ein paar Tage über Weihnachten hinaus zu bleiben, erst da wagen die Kinder zu lachen und sich auf das kleine Christkind aufmerksam zu machen, auf das kleine Mündchen, die süßen Fingerchen, das Näschen, die wenigen dunklen Härchen, und bald die Mutter und bald den Vater zu umarmen und ihnen für das Christkind zu danken, und auch der fremden Frau ein Lachen und ein Nicken zu schenken, weil sie ja wohl irgendwie zu dieser Freude gehört.

 

Ja, das ist die Geschichte vom Christkind zu Bilderweitschen.

 

Seite 11   Lena Merker: Das Licht geht aus.

Draußen in der kleinen stillen Vorstadt, wo winklige Häuser sich zwischen Bäume und Gesträuch verkuscheln, von entlegenen Gärten her ein einsamer Wachhund jault, in der Dämmerung graue Katzen lautlos um unsere Füße streichen, saßen sie um den runden Tisch unter der grünen Lampe: die Mutter, der Tertianer, der Student. Die Mutter stopfte, wie alle Mütter in solchen Stunden tun, der Junge haderte mit störrischen Quadratwurzeln und mit Phileas Fogg, dem ruhelos über die Kontinente und Meere Hastenden, der nun schon seit Ostern auf seiner hindernisreichen ‚Reise um die Welt in achtzig Tagen' begriffen war und den die vertrackten kleinen Dickschädel aus der U II noch immer nicht nach London zurückgebracht hatten. Und der Student paukte: Cogito, ergo sum. Cogito, ergo sum — ich denke, also bin ich.

 

Mitten hinein ging plötzlich das Licht aus, und die Drei hockten fremd und schweigend beieinander. Ihre Blicke spürten in das Dunkel, in dem all die altvertrauten Dinge ringsum unversehens wie abgerückt erschienen, zurückgesunken in ihre eigene ferne Hoheit. Auf der Straße flackerten vereinzelt Kerzen auf, beim Bäcker, beim Krämer, und Kinder standen davor und tuschelten voll erregter Neugier, ob das wohl schon der Nikolaus gemacht habe, den sie seit Wochen sehnlich erwarteten. Aus grau überglänzten Gewölk stieg langsam der Mond herauf, der gute alte Mond. Seine Strahlen glitten durch die dünnen Mullvorhänge über den Mahagoniflügel, dass das tiefe Rot verhalten leuchtete, tasteten zu den Gesichtern der Stillen am Tisch und wischten unmerklich alle Spannung und Kümmernis des Tages aus ihren Zügen. Die Mutter ließ die fleißigen Finger ruhen, sie träumte sich zurück zu jenem Adventsabend, wo die Petroleumlampe niedergebrannt war und der Vater, der nun schon längst unter einem verfallenen Kreuz irgendwo im Osten dem ewigen Morgenrot entgegenschlief, ihr als junger Kandidat zum ersten Mal verstohlen die Hand gedrückt hatte. Der Student, dem es vorhin im Hellen so gar nicht hatte aufgehen wollen, was das nun eigentlich für eine Sache sei mit diesem berühmten ‚Cogito, ergo sum', ahnte jetzt, an sich selbst verloren, eine Herrlichkeit, die sicherer war als alle logischen Erkenntnisse der Philosophie: er fühlte sich leben! Und der Junge vergaß das drohende exercice und die Mathematische und dachte sich in ferne Länder voll kühner Abenteuer. Der große gelbe Kater im Ofenrohr bei den pruzzelnden Bratäpfeln, dessen grüne Augen unheimlich glommen, wurde ihm zum reißenden Tiger in der Wüste, und die dröhnenden Schläge der Uhr, die eben die siebente Stunde anzeigten, klangen ihm wie Kriegsmusik der Urwaldneger, — da flammte plötzlich das Licht grell und schmerzend wieder auf und der holde Bann zerfiel. Die Kerzen in den Geschäften wurden ausgeblasen, die Menschen bekamen wieder ihre gewöhnlichen Gesichter. Der Kater blinzelte schläfrig-verstört, dehnte sich gähnend, dass die Knochen knackten, machte einen großen Buckel und rollte sich unter Schniefen und Schnurren wieder zusammen. Und der kleine Junge ärgerte sich, weil er nun doch noch seine englischen Vokabeln lernen musste.

 

Seite 11   Richard von Schaukal.

Erblicke dich in jedem Blatt, das sich vom Aste trennt und niederschwebt.

 

Seite 12   Bücher für den Weihnachtstisch.

Hans Lipinsky-Gottersdorf: Stern der Unglücklichen. Weihnachtsgeschichten. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. 112 S., Ln. DM 5,80.

Man wird lange suchen müssen, um auch nur etwas annähernd Ähnliches unter dem Buchangebot der letzten Jahre zu entdecken, das so die Atmosphäre ostdeutschen Landes einzufangen versteht: unaufdringlich, gewissermaßen nur am Rande der vier Geschichten, in denen Menschen das Wunder der Christgeburt im armen Gleichnis ihrer Art anrührt und ihnen die Entscheidung dieser Stunde abverlangt. Weihnachtsgeschichten, die ohne Flitterbeiwerk und dem süßlichen Klischee einer Abziehbilderfrömmigkeit auskommen. Ärmlich geschehen die Wunder, aber wie echt und ergreifend für den, der ihr Gleichnis versteht. Man möchte hoffen, dass recht viele Menschen in diesen Tagen der Weihnacht zu diesem Bändchen finden und sich dieser Stimme anvertrauen.

 

Else Hueck-Dehio: Er aber zog seine Straße: Geschichte einer Wandlung. Eugen Salzer Verlag, Heilbronn. 184 Seiten, Ln. DM 8,50.

In dem neuen Buch von Else Hueck-Dehio begegnen die Leser des Romans „Liebe Renata" bereits vertrauten Menschen wieder, wobei diese „Geschichte einer Wandlung" aber eine in sich geschlossene Erzählung darstellt. Man schreibt das Jahr 1945. Herbert Haller, Physiker von Beruf, kommt als ein Flüchtender unverhofft in die geliebte baltische Heimat. In der Fischerhütte des alten Indrik findet er Hilfe und Obdach, und die kurze Zeit, da er als Fischer das Leben dieses treuen Esten teilt, ist ihm Vergangenheit, traumhafte Gegenwart und Abschied in einem. Dann zieht er wieder seine Straße, die ihn nach Westdeutschland führt zu Renata, der Kusine und Jugendfreundin. Das Haus dieser mütterlichen Frau besitzt eine seltsam verwandelnde Atmosphäre. Herbert Haller wird miteinbezogen in Renatas Welt und in den Kreis ihrer großen Familie. Er erlebt, wie die „moderne" Jugend um Probleme ringt, aber er lernt sie auch in ihrer Unternehmungslust und Festfreude kennen. Ihm, dem Suchenden, wird hier etwas Verlorenes neu geschenkt; er fasst wieder Mut zu seinem eigenen Geschick.

 

Das Ermland in 144 Bildern. Hrgg. von Martin Kakies. Verlag Gerhard Rautenberg, Leer. In der Reihe „Ostdeutsche Bildbände". Großformat. Ktn. DM 8,50, Ln., DM 10,80.

In der Reihe, in der bereits und in gleicher Ausstattung die vielbeachteten Bildbände über ostpreußische Landschaften erschienen sind, kommt nun, noch rechtzeitig zum Fest, der ermländische Anschlussband heraus. Die Einführung schrieb Maria Elisabeth Franzkowiak-Bischoff. Für alle Ermländer ein Buch köstlicher Erinnerung! Man möchte zuversichtlich hoffen, dass ihm die gleiche Aufnahme wie seinen Vorgängern beschieden sein möge.

 

Zwischen Breslau und Danzig. Deutsche Heimat im Osten heute. Hrgg. von Ulrich Blank, Fotos von H. Wesemann. Fackelträger-Verlag, Hannover. 112 S., Ln. DM 12,80.

Das heutige Bild der ostdeutschen Heimat als Ergebnis einer mehrwöchigen Fahrt zweier westdeutscher Journalisten im Land zwischen Breslau und Danzig. Eine erschütternde Dokumentation, die besonders dort noch an Eindringlichkeit gewinnt, wo vergleichsweise Bilder aus der Zeit vor 1945 gegenübergestellt werden. Das südliche Ostpreußen, Westpreußen und Danzig ist besonders reich mit Fotos und Berichten vertreten.

 

Rainer W. Goch: Claudia von Trebitz. Roman. Engelhornverlag GmbH, Stuttgart. 400 Seiten, Ln., DM 15,80.

Der Roman beginnt in der Zeit vor dem letzten Krieg auf einem ostpreußischen Gut. Eine Fülle von Personen tritt auf: die Gutsherrschaft in drei Generationen, der Inspektor, die Dienerschaft, Hofleute, die Nachbarn, die Bürger der Kreisstadt, Landstreicher und östliche Erntearbeiter. Aus dem Wandelspiel menschlicher Konstellationen, das auch über Spannungen und untergründige Drohungen hinwechselt, hebt sich die scheue und verhaltene Beziehung zwischen der jungen Claudia vom Gut und dem Inspektor Thomas hervor. Der Krieg beginnt. Die Männer rücken ein, unter ihnen auch Thomas. Er wird verwundet; Claudia spürt stärker denn je, wie nahe sie ihm verbunden ist. Sie wartet auf ihn. Dann, plötzlich, wälzt sich der vorher so fern scheinende Krieg auf das Land zu, die Heimat muss verlassen werden. Ehe der Treck aufbricht, ist auch Thomas wieder da. Er fährt mit Claudia nach Berlin, wird dort in den Bombennächten von ihr getrennt. Sie suchen sich an den vereinbarten Treffpunkten vergebens. Endlich in Dresden, nach dem furchtbaren Untergang der Stadt, stößt Thomas auf eine Spur Claudias. Mit einer Liste weiterer Treffpunkte bricht er auf. „Er würde sie finden. Irgendwo".

 

Dichter. Autoren der Gegenwart. Texte von G. Steinbrinker. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 24 Seiten Text, 96 schwarzweiße Kunstdrucktafeln mit über 150 Porträtaufnahmen. Format 19,5 x 23,5 cm. Zellophanierter Einband. DM 9,80.

Ein Buch, wie man es sich lange gewünscht hat, gewissermaßen als Begleiter zur Hausbibliothek. Die bedeutendsten Autoren der Gegenwart werden hier in ausgesuchten Porträtaufnahmen vorgestellt. In kurzen Begleittexten wird versucht, im Hintergrund der Autoren die Zeit und das persönliche Schicksal mit zu erfassen. Im Anhang gibt eine kurze Biographie Auskunft über die einzelnen Dichter.

 

Mirko Jelusich: Der Stein der Macht. Roman. Pilgram Verlag, Salzburg - München. 460 S., Ln., DM 16,80.

Der Autor der weithin bekannten historischen Romane „Cäsar", „Hannibal" und „Der Soldat", um nur einige zu nennen, wendet sich auch in diesem neuesten Werk einem geschichtlichen Stoff zu. In der deutschen Kaiserkrone, die in der Schatzkammer der Wiener Hofburg aufbewahrt wird, befand sich ursprünglich unter dem Kreuz ein Edelstein, ein roter „Karfunkel", der von den Dichtern des deutschen Mittelalters „Der Weise" genannt wurde. Er geriet um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Verlust und ist heute durch einen blauen Saphir ersetzt. Um diesen Stein webt Jelusich einen Mythos, der in einem großartigen Bilderstrom durch die Menschheitsgeschichte führt. In der Urzeit gefunden, wird der Stein auf magische Weise zum Sinnbild der Macht. Nach der Zeit der dorischen Wanderung ziert er den Knauf des Königsschwertes von Sparta, das auch Leonidas führt. Xerxes schleudert es in den Brand der Akropolis, wo es von den Dienern des delphinischen Orakels geborgen wird. So taucht der Stein immer wieder auf am Ort der Macht, in der Hand des Mächtigen. Die römischen Cäsaren besitzen ihn ebenso wie Jahrhunderte später Karl der Große, unter dessen Nachfolgern er in die deutsche Kaiserkrone gelangt und aus der er auf rätselhafte Weise verschwindet. Ein Ausblick in die Zukunft Europas beschließt das ungewöhnliche, spannungsreiche Buch.

 

Will Vesper: Seltsame Flöte. Hundert Geschichten. Hünenburg-Verlag, Burg Stettenfels b. Heilbronn. 340 S., Ln., DM 14,50.

Man freut sich über diese Wiederbegegnung mit Will Vesper nach so vielen Jahren des Schweigens. Und es ist keine Enttäuschung. Der Band vereinigt hundert Geschichten (teils aus früheren Werken zusammengetragen, um manche neue ergänzt), in denen sich eine Welt spiegelt. Märchen, Sage, Anekdotisches, wirkliche und unwirkliche Erlebnisse schmelzen zu einem bunten Gebilde zusammen, von dem sich der Leser gern tragen und verzaubern lässt. Vor allem für junge Menschen ein empfehlenswertes Geschenk.

 

Bertelsmann Hausarzt. Von Dr. med. Kurt Pollak. Ein praktischer Ratgeber für die Familie. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 450 Seiten mit über 400 Zeichnungen, 39 vierfarbigen und 95 einfarbigen Abbildungen. Ln., DM 9,80.

Der Hausarzt von einst gehört der Vergangenheit an. Die Tage sind längst vorüber, da „der gute Onkel Doktor" routinemäßig und gewissermaßen im Vorbeigehen ein wachsames Auge auf die von ihm betreuten Familien warf und bei seinen fast freundschaftlichen Hausbesuchen manche beginnende Krankheit rechtzeitig genug erkannte. Der „Bertelsmann Hausarzt" will diese Lücke ausfüllen helfen. Sich selbst, seinen Körper, seine Organe und ihre Funktionen zu kennen, zu wissen, welche Störungen sie bedrohen und wie man sie erkennen und mit ärztlicher Hilfe bekämpfen kann, ist schon ein große Stück Erster Hilfe. Dr. med. Kurt Pollak, selbst praktizierender Arzt, schildert in diesem Buch klar, anschaulich und leicht verständlich das Bild der Krankheiten von ihren ersten Anzeichen über ihren Verlauf, von der Vorbeugung über die Behandlung bis zur Genesung. Er berichtet über die verschiedenen Heilweisen, über Medikamente, Krankenpflege im Hause, Erste Hilfe, Ernährung und Hygiene und Krankenversicherung. Über 400 Textzeichnungen unterrichten über die beste Krankenpflege und viele farbige und schwarzweiße Abbildungen zeigen Beschaffenheit und Funktion der menschlichen Organe und die wichtigsten Heilanwendungen. Ein praktischer Ratgeber, der gleich neben der Hausapotheke stehen sollte.

 

Ernst Frank: Heimat ohne Vaterland. Lebenszeugnissen deutscher Menschen nacherzählt. Der Heimreiter-Verlag, Frankfurt/M., 368 S., Ganzln., DM 12,80.

In diesem neuen Buch des aus dem Sudetenland gebürtigen Schriftstellers wird versucht, ein lebensvolles Bild der letzten fünfzig Jahre zu zeichnen. Dass dabei alle brennenden Fragen der Gegenwart berührt werden, ergibt sich von selbst, da in dem Buch ja alles das behandelt wird, was zu ihnen führte. Der Roman — wie im Untertitel zum Ausdruck kommt, dem Leben selbst abgelauscht — bringt unterhaltsam erzählend alles, was eine grenzlanddeutsche Volksgruppe zwischen der Jahrhundertwende und ihrer Austreibung erlebt hat. Alle Freuden und alle Leiden, alle Liebe und aller Schmerz, die nur immer Heimatmenschen ohne Vaterland erleben können, finden hier lebendigen Ausdruck.

 

Aus der Erkenntnis, dass in allen Völkern das Gute lebt, das Böse aber oft nur unter größter Kraftentfaltung zu überwinden ist, wird der tröstliche Schluss gezogen, dass alles in der Welt seinen Sinn hat und dem Menschen auf seinem Wege zum Ausleben des in ihn Gelegten hilft.

 

Georg Lentz: Leitfaden für Preußen in Bayern. Econ Verlag GmbH, Düsseldorf. Mit zahlreichen Zeichn. v. Regine Ackermann-Ophuls. 196 S., Ln., DM 9,80.

Ein köstliches Buch. Man sollte es jedem, der aus dem kalten Norden ins gastliche bajuwarische Land reist, mit auf den Weg geben; es wird ihm mehr nützen können — vor allem im Umgang mit den Ureinwohnern — als der beste Reiseführer. Auch als Geschenkbuch vorzüglich geeignet, wenn man jemandem, einem lieben Bekannten etwa, eine besondere Freude bereiten will.  

 

Da lacht selbst der Leuchtturm. Witzchen und Wippchen von heimatlichem Strand. Zusammengestellt, Illustriert und hrsg. von Georg Grentz mit Gedichten von Dr. Alfred Lau. F. W. Siebert Verlag, Oldenburg i. O., 64 S., DM 2,50.

Ein Bändchen, das seine Freunde finden wird, und nicht nur unter den Memelländern, sondern unter allen Ostpreußen, die der Zeit zum Trotz gerne lachen. Auch als Vortragsmaterial für Heimatabende wird man gern darauf zurückgreifen. Die dazwischen gestreuten Gedichte von Alfred Lau und die witzigen Zeichnungen des Herausgebers geben dem Bändchen einen besonders reizvollen Akzent.

 

Kalender

Der redliche Ostpreuße. Ein Hauskalender für 1959. Hrgg. von Martin Kakes. Verlag Gerhard Rautenberg, Leer. 128 S., DM 2,50.

Ein Haus- und Familienkalender für alle Ostpreußen! Nun bereits im 8. Jahrgang, erfreut sich dieses Kalenderbuch von Jahr zu Jahr größerer Beliebtheit in den ostpreußischen Familien. Neben einer Fülle von Kalendergeschichten auf dem Hintergrund der unvergesslichen Landschaft der Heimat stehen Beiträge volksfeindlicher und heimatgeschichtlicher Art. Zahlreiche z. T. ganzseitige Fotowiedergaben und Textillustrationen lassen auch das Auge bei der Lektüre nicht zu kurz kommen. Dieser Kalender sollte in keiner ostpreußischen Familie fehlen.

 

Ostpreußen im Bild 1959. Westpreußen im Bild 1959. Danzig im Bild 1959. Bild- und Wandkalender mit je 24 Postkarten auf Kunstdruckkarton, ausführlichen Bildbeschreibungen, Kalendarium. Verlag Gerhard Rautenberg, Leer. Je DM 2,50.

Beliebte Heimatbildkalender, die sich seit Jahren einer treuen Anhängerschaft erfreuen! Ausgewählte Motive aus den Städten und Landschaften unserer Heimat, Ein Schmuck für den Wohnraum und ein schöner Begleiter durch das Jahr.

 

Seite 12   Gepflegte Hausbücherei

Welcher Bücherfreund denkt nicht immer wieder schmerzlich an die verlorenen Schätze seines Bücherschrankes, die er entweder in Trümmern untergehen sah oder bei der Flucht aus der Heimat zurücklassen musste, und er wird auch heute noch oft in seiner Erinnerung davorstehen und einen seiner „Lieblinge" herausgreifen, wie er es früher getan, sei es, um eine liebgewonnene Stelle nachzulesen, einen Rat oder Trost zu suchen, oder auch nur aus der Freude am Buch und dem Stolz des Besitzers, um verstohlen mit den Fingern über die Rücken zu streichen. Und wie viele der Heimatvertriebenen, weilen sie in Gedanken bei diesen ihren verlorenen Schätzen, denken da nicht gleichzeitig auch an eine der ältesten deutschen Buchgemeinschaften, die früher in Berlin ansässige deutsche Buchgemeinschaft, und ihr gepflegtes Programm, gleicherweise in Auswahl und Ausstattung. In den zwanziger Jahren, gewissermaßen aus der Not unseres Volkes und dem Hunger nach schöngeistigen Dingen entstanden, entwickelte sich diese Buchgemeinschaft innerhalb kurzer Frist zu einem der bedeutendsten Kulturträger im ganzen deutschsprachigen Raum und einem Mittler zum Ausland- und Überseedeutschen. Mehr als Worte vermag vielleicht eine einzige Zahl die kulturelle Breitenwirkung dieser Buchgemeinschaft deutlich zu machen: Innerhalb dieser drei Jahrzehnte wurden von ihr mehr als 2 ½  Millionen Mitglieder betreut.

 

Auch an dieser Buchgemeinschaft sind die Ereignisse von 1945 nicht spurlos vorübergegangen, und es war ein recht mühevoller Weg bis zu dem Neubeginn in Darmstadt, wo sie heute ihren Hauptsitz hat. Bedenkt man dabei noch, dass mehr als die Hälfte ihres alten Mitgliederstammes ihren Wohnsitz in den Vertreibungsgebieten und der heutigen DDR hatte. Aber sie steht heute wieder, und man ist erfreut, die bibliophilen Kostbarkeiten, die ausnahmslos alle Bände aus ihrem Schaffen darstellen, in der Hand zu halten. Sie behauptet mit ihrem Schaffen, das ist nicht zu viel gesagt, in dem Überangebot des heutigen Buchmarktes jene Sonderstellung, die sie seit je auszeichnete.

 

Inzwischen sind längst wieder Tausende alter Mitglieder aus den deutschen Ostgebieten zu dem Kreis ihrer begeisterten Anhänger gestoßen, um ihre Buchwünsche zu erfüllen und von neuem wieder eine gepflegte Hausbibliothek aufzubauen. Heute möchten wir aus der Auswahlliste, die bereits wieder mehrere hundert Titel nennt, drei Bände herausgreifen, die unseren Lesern von der Thematik her — obgleich völlig unterschiedlich — besonders ansprechen werden

 

Die Waterkant, vom Emsland bis zur Kurischen Nehrung. Ein Bildband mit 135 Fotos, 2 Kartenzeichnungen, ausführlichen Bilderläuterungen und einer Einführung. Herausgegeben von Th. Müller-Alfeld. 120 Seiten. Halbleder. Format 21 x 28 cm.

Dieser Bildband erfüllt eine doppelte Aufgabe: Einmal unternimmt er gleichsam zusammen mit dem Betrachter eine Wanderung entlang den deutschen Meeresküsten, vom Emsland und von den ostfriesischen Inseln bis zum Samland und zur Kurischen Nehrung. Zum anderen aber will dieses Buch nicht nur eine Aneinanderreihung von schönen oder interessanten Bildern sein, sondern es ist zugleich bemüht, die Kenntnis von den Kräften und dramatischen geologischen Vorgängen zu vermitteln, die zur Bildung dieser so verschiedenartigen Küstengebiete geführt haben und die diese Küste auch noch heute ständig verändern. Ein besonderes Verdienst des Buches sehen wir Vertriebenen aber darin, dass es Deutschland als etwas Geschlossenes, als eine Einheit darstellt, ungeachtet der heutigen Willkürgrenzen.

 

Kant-Brevier. Herausgegeben von Johannes Pfeiffer. 308 Seiten. Halbleder.

Allen, die nicht Fachphilosophen sind, ebnet dieses ausgezeichnete Kant-Brevier einen Zuweg zu einem der ganz Großen der Weltweisheit. Dem Leser wird zunächst in einer klaren Einleitung die Gestalt und Bedeutung Kants nahegebracht, in knapper Form wird das Wesentliche ausgesprochen und so vermag man den Texten, die der Herausgeber sorgfältig nach einem festen Plan ausgewählt hat, ohne Schwierigkeit zu folgen. Man kann für die Herausgabe dieses ‚volkstümlichen' Kant nicht dankbar genug sein.

 

Hans W. Fischer: Das Leibgericht. Mit 100 zum Teil farbigen Illustrationen von Karl Voß. 400 Seiten, Halbleder.

Die Lieblingsspeisen der Deutschen in den einzelnen Landschaften mit Kochanweisungen, Bräuchen und Gewohnheiten, gesammelt von den Mitgliedern der Deutschen Buch-Gemeinschaft. Diese Zusammenstellung der Lieblingsspeisen aller deutschen Stämme und Landschaften, in der Ostpreußen mit seinen kulinarischen Besonderheiten keinen geringen Raum einnimmt, ist eine einzigartige Gemeinschaftsleistung der Mitglieder der DBG. An anderer Stelle bringen wir einige Proben aus diesem schönen, in seiner Art wohl einmaligen Buch.

 

Seite 12   Kleine Geschenkbändchen.

Benno Schöke: Und sie fanden das Kind. Weihnachtsgeschichten.

Mia Munier-Wroblewski: Frühe Gestalten. Blätter der Erinnerung.

Werner May: Gebändigter Strom. Mosaik eines Lebens.

Eugen Salzer Verlag, Heilbronn. In der Reihe „Salzers Volksbücher“. Jeder Band 80 Seiten. Farbiger Einband, gebunden, DM 2,80

Aus den neuen Bändchen der Reihe „Salzers Volksbücher" in der — das möchten wir besonders hervorheben — viele ostdeutsche Autoren mit literarischen Kabinettstücken vertreten sind, möchten wir heute drei herausgreifen, die sich vorzüglich als kleines Geschenk für Weihnachten eignen. — Unter dem Titel „Und sie fanden ein Kind" hat Benno Schöke acht Weihnachtsgeschichten zusammengefasst, die in Kindheit und Heimat des Autors, dem winterlichen Riesengebirge in seiner märchenhaften Verzauberung, angesiedelt sind. Die letzte Erzählung, ein Erlebnis der Flucht, schlägt eine Brücke herüber in unsere Zeit der Heimatlosigkeit, über allem aber strahlt der Stern der Hoffnung, dass am Schicksal von 1945 die Welt sich erneuere. — Das neugeborene Kind steht symbolhaft in allen Geschichten. — Die baltische Dichterin Mia Munier-Wroblewski greift mit diesen Blättern der Erinnerung zurück in ihre Kindheit und Jugend. Mit feiner Feder zeichnet sie die Menschen ihrer Heimat in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sie gibt damit zugleich ein Zeitgemälde mit dem Signum unbedingter Echtheit. Man wird sich gern ihrer Hand anvertrauen. — In dem dritten Bändchen „Gebändigter Stram" zeichnet Werner May (von dem in der gleichen Reihe das Bändchen „Otto, mein Küster von Gottes Gnaden" in kürzester Frist mehrere Auflagen erlebte) ein Lebensbild seines Vaters Emil May, des Erbauers der Oder-Weichsel-Wasserstraße. Im Hintergrund dieser Erzählung und des Schicksals seiner zentralen Figur vollzieht sich wetterleuchtend die Geschichte unseres Landes, die ihre Wellen auch bis nach Bromberg schlagen lässt und als drohende Wolke über dem Lebenswerk dieses Mannes steht. Es Ist zugleich ein Stück Geschichte des deutschen Ostens und seiner Pionierleistungen. Ein Büchlein, dem wir recht viele Leser wünschen.

 

Im Hause der Ehe. Ein Brevier.

Richard Wolf: Peggy. Erzählungen.

Beide im Kreuz-Verlag. Stuttgart. Je 64 Seiten, Ln. mit Cellophanumschlag, DM 3,80.

In der kleinen bibliophilen Reihe des Kreuz-Verlages (solche ansprechenden kleinen Bändchen findet man selten) erschienen als neue Titel das Brevier „Im Hause der Ehe" und „Peggy", zwei Erzählungen von Richard Wolf. — Das erste Bändchen ist ein rechtes Feiertagsbüchlein, das in jeder jungen Ehe seinen Ehrenplatz haben und recht oft im Auf und Ab der Jahre zu gemeinsamer Lektüre aufgeschlagen werden sollte. Gewiss ließe sich dann vieles an kleinen und großen Streitigkeiten vermeiden, und für deren Glättung oft nichts weiter fehlt als die gemeinsame Formel für das scheinbar so Gegensätzliche der Meinungen. Das Bändchen ist eine Sammlung von Aussprüchen, Zitaten, Anekdoten, Gedichten und Bibelsprüchen, auf das man immer wieder mit großem Gewinn zurückgreifen wird. — In den beiden Erzählungen von Richard Wolf stehen zwei Tiere im Mittelpunkt der Handlung, in der ersten der Jagdhund Peggy und in der zweiten Vinzenz der Kater. Das Bändchen wird vor allem von Tierfreunden mit großer Freude gelesen werden, man sollte es aber auch recht vielen jungen Menschen in die Hand geben. Den reizvollen landschaftlichen Hintergrund der Erzählung „Peggy" bildet China. Unaufdringlich, nur andeutungsweise wie mit flüchtigen Pinselstrichen, blendet der Verfasser Eindrücke und Bilder in die Handlung. Ein Geschenkbändchen, das dem Schenkenden das Zeugnis eines guten Geschmacks ausstellt.

 

Wolfgang Schneditz: Alfred Kubin. 7 Textseiten, dazu 36 ganzseitige Bilder. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. „Das Kleine Buch" Nr. 117. Geb., DM 2,20.

Der Herausgeber dieses Bändchens über den „Magier der Zeichenfeder", Wolfgang Schneditz, kennzeichnet das Werk Kubins „als ständigen Akt der Selbstbefreiung. Hier sind sie niedergeschrieben: sein Leid, seine Freuden, seine Ängste und Träume, seine grotesken und humorvollen Visionen. Jede der 47 charakteristischen, weniger bekannten Zeichnungen, auch die Landschaften aus dem Böhmischen und Politisch-Satirisches führen in Dämmerwelten, ja an die Grenze der vierten Dimension, des „Drüben".

 

Hans Bahrs: Alles wird sein, was von Dauer ist. Gedichte. Verlag Der Karlsruher Bote. 32 Seiten. DM 2,--. (Bestellungen nur direkt an: Der Karlsruher Bote, Karlsruhe, Weinbrennerstr. 47.)

Hans Bahrs, von dem wir seit Jahren Beiträge in unserem Heimatblatt veröffentlichen konnten und der daher unseren Lesern kein Unbekannter ist, legt hier rechtzeitig zum Weihnachtsfest ein Bändchen Gedichte vor, auf das hinzuweisen wir nicht versäumen möchten. Sorgfältig ausgestattet, bringt es eine Auswahl von Gedichten, die sich in Liebe und Demut der Natur und dem Ewigen zuwenden.

 

Otto Schlisske: Apfel, Nuss und Mandelkern. Was unsere Advents- u. Weihnachtsbräuche eigentlich bedeuten. Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Frau und Mutter e. V. Kreuz-Verlag, Stuttgart, 64 Seiten, brosch. DM 1,--

Ein Bändchen, das schon lange auf dem Buchmarkt gefehlt hat! Sagt der Titel schon, um was es bei dieser Zusammenfassung geht, so machen dies die einzelnen Abschnitte vielleicht noch deutlicher. ‚Das Fest geht durch den Magen', ‚Ursprung und Sinn des Weihnachtsgebäckes', ‚Gebäcke und Brauchtum der Adventszeit', ‚Die Ordnung des Christfestes und rechtes weihnachtliches Brauchtum' und ‚ .... und die Weihnachtsgeschenke'. Das Bändchen möchte mithelfen, aus dem reinen Geschäftsrummel wieder auf den ursprünglichen Sinn des Weihnachtsfestes zurückzuführen. Ein dankenswertes Unternehmen!

 

Seite 12   Ferienlager für Königsberger Kinder

Wie in den Vorjahren will die Stadt Duisburg in der Zeit vom 22. Juli bis 11. August 1959 wieder ein Ferienlager für Königsberger Kinder in einem Jugendheim im Westerwald veranstalten. Diese Zeit fällt in die für Nordrhein-Westfalen festgesetzten Schulferien. Auf Kosten der Patenstadt Duisburg werden etwa 20 Schüler und Schülerinnen im Alter von 10 bis 14 Jahren eingeladen werden. Kinder aus bedürftigen kinderreichen Familien, die in den Industriegebieten Nordrhein-Westfalens wohnen, werden bevorzugt. Kinder, die an diesem Lager schon einmal teilgenommen haben, sollen zugunsten anderer Königsberger Kinder zurückstehen. Interessierte Eltern werden gebeten, sich bis 31. Dezember 1958 schriftlich an die Stadt Duisburg, Patenstadt für Königsberg, zu wenden. Um folgende Angaben wird gebeten: Name, Beruf, Anschrift und ehemalige Königsberger Anschrift der Eltern; Name und Geburtsdatum des gemeldeten Kindes; Zahl und Alter der Geschwister.

 

Seite 12   Kräuterweiblein von anno Dazumal!

Sie mit einem höhnischen Lächeln abzutun, ist ein großes Unrecht. Die moderne Medizin hat manches in verbesserter Form wieder aufgegriffen und zum Erfolg geführt. Dazu gehören einige Terrasinal-Kuren, insbesondere für Flechten und sonstige hartnäckige Hautkrankheiten, ferner für Krampfadern, offene Beine, Hämorrhoiden usw. Fordern sie kostenlose Aufklärungsschriften von Terrasinal 980E in Wiesbaden.

 

Seite 13   Diese Seite besteht aus Bücher zum Wünschen und Schenken.

 

Seite 14   Tilsiter Weihnachten. Anno 1812.

Seit dem Friedensschluss auf dem Memelstrom im Jahre 1807, der Tilsit eine Zeitlang in den Mittelpunkt der Welt gerückt hat, waren fünf scheinbar friedliche Jahre vergangen. Nun stand wieder der Krieg vor der Tür, denn seit den Morgenstunden des 24. Juni klebte am Rathaus, an den Stadttoren die unmissverständliche Proklamation des großen Korsen:

 

„Soldaten! Der zweite polnische Krieg hat begonnen! Der erste ist beendigt worden in Friedland und in Tilsit. In Tilsit hat Russland uns ewige Bundesgenossenschaft und England den Krieg geschworen. Es bricht heute seine Schwüre. Russland stellt uns zwischen Schande und Krieg. Gehen wir also vorwärts! Überschreiten wir den Njemen und tragen den Krieg in sein Gebiet, Der Friede, welchen wir schließen werden, wird eine sichere Garantie in sich tragen und den verderblichen Einfluss, welchen Russland seit 50 Jahren auf die Angelegenheiten Europas ausgeübt hat, ein Ziel setzen!

 

Aus unserm Kaiserl. Hauptquartier zu Wilkowiszki, am 2. Juni 1812. Napoleon. Marschall Berthier, Fürst zu Neuchatel“.

 

(Übrigens lasen etwa 130 Jahre später, auf den Tag genau (!), die Tilsiter eine ähnlich lautende Proklamation, als wieder ein Krieg vor ihrer Tür ausgebrochen war.)

 

In aller Eile rückte die Armee Marschall Macdonalds in das Grenzgebiet zwischen Picktupönen und Laugszargen verstärkt durch preußische Hilfstruppen unter General Yorck. Zwei Pionierkompanien und tausend Arbeiter schlugen bereits eine Brücke über den Memelstrom, zu deren Sicherung der französische Ingenieur General Campredon ebenso eilig eine Schanze am jenseitigen Brückenkopf bauen ließ. (Die Schiffbrücke hat dann noch, einige Male erneuert, bis 1907 bestanden und aus der Brückenkopfschanze ist das beliebte Etablissement „Brückenkopf" geworden.)

 

Von nun an zogen bis in den Herbst hinein französische Armeen und Hilfsvölker vieler Nationalitäten über die neue Brücke nach Russland hinein. Immer drückender wurden die Zwangseinquartierungen in der Stadt und die Kontributionen; denn es herrschte schon Mangel an Lebensmitteln. Tilsit war zum Heerlager geworden. Dazu stand der Winter vor der Tür.

 

Über die letzten Wochen dieses Schicksalsjahres lassen wir die Aufzeichnungen damaliger Tilsiter sprechen.

 

14. Dezember. In elendstem Zustande, halberfroren und waffenlos wanken die ersten französischen Flüchtlinge über den zugefrorenen Strom in die Stadt. Bei solchem Anblick vergessen die Tilsiter das erlittene Unheil und nehmen sich der Unglücklichen an, helfen, soweit sie es vermögen . . .

 

15. Dezember. Im offenen Schlitten, aus Wilna kommend, hetzt der französische General Rapp in die Stadt. Der preußische Major Schenk begleitet ihn. Dieser hat wehrwichtige Nachrichten von Marschall Berthier an Macdonald, übergibt sie aber erst am nächsten Tage. Denn zuerst sucht er die Familie seiner in Tilsit lebenden Braut auf, der Tochter des Generals von Baczko. Durch Schenk erfährt man von der Schlacht bei Borodino und vom großen Brande Moskaus, vom Rückzuge der Armee über die Beresina. Und dass bereits Kosaken auf Tilsit reiten. In der Stadt wächst die Unruhe  

 

18. Dezember. Die Lage wird immer verworrener. Franzosen und Preußen stehen noch immer, scheinbar ahnungslos, bei Picktupönen, während Kosakenpulks bereits durch das Land streifen. Sie kommen auch zum Memelufer geritten und winken herüber. Und da die Landleute erzählen, dass sie freundlich seien und sich gut benähmen, fällt den Bürgern ein Stein vom Herzen . . .

 

21. Dezember. Auf Befehl Macdonalds geht der preußische Stadtkommandant Major von Kall mit seinen Husaren über das Memeleis und drängt die Russen bis zum Dorfe Schakeningken zurück. Trotz der Winterkälte drängen sich in dichten Scharen Neugierige auf dem hohen Uferbollwerk, an den Fenstern der Memelstraße, auf den Kirchtürmen und beobachten das Gefecht auf den Memelwiesen. — Von den Russen verfolgt, preschen die Husaren wieder nach Tilsit zurück, über den Getreidemarkt (Fletcherplatz) in die Hohe Straße hinein. An der Landkirche wird ein Leutnant vom Pferd heruntergestochen. Leicht verwundet läuft er in das nächste Haus und ist verschwunden. Auch in der Hohen Straße säumen beide Seiten Schaulustige, als ob es ein friedliches Reiterschauspiel wäre. Ein Kosak reitet auf einen jungen Stutzer zu, reißt ihm den blauen Mantel vom Leibe und ist schon auf und davon. Das war übrigens die einzige Gewalttat in jenen bewegten Tagen. — Auf der Heide hinter dem Hohen Tore sammeln sich die Husaren, atemlos von der wilden Jagd . . .

 

22. Dezember. Um 4 Uhr nachmittags rückt der russische Oberst von Tettenborn, ein Balte, mit 400 Reitern in die Stadt ein und wird am Rathause vom Bürgermeister empfangen, dem er eine Proklamation General Kutusows übergibt:

 

„Der Zar, mein Souverain, befiehlt, dass seine Armee bei dem Eintritt in das Königreich Preußen die strengste Manneszucht halten und das Eigentum jedes Einwohners gesichert sein soll. Ich mache dieses Preußens Einwohnern bekannt mit der Bemerkung, dass, da man nicht über einen jeden einzelnen wachen kann, derjenige, der verletzt werden sollte, sich nur gerade an mich zu wenden hat, wo er gleich Hilfe und Genugtuung unfehlbar erhalten soll.

 

Gegeben in meinem Hauptquartier zu Georgenburg. Kutusow, Gen. Adjutant Sr. Majestät des Zaren“.

 

In der breiten Deutschen Straße, wo meterhoch Schnee liegt, binden die Muschiks ihre Pferde an die Haustüren. Bald lodern mächtige Biwakfeuer auf der Straße, aus den Kesseln dampft die Kesseln (Grützbrei). Und bald erschallen aus rauen Kehlen die schwermütigen Lieder des fernen Russland.

 

Oberst von Tettenborn hat auf Bitten des in der Deutschen Straße wohnenden Kaufmanns Geduhn in dessen Haus Quartier bezogen . . .

 

23. Dezember. General Kutusow ist nun auch in Tilsit eingetroffen und wird von den Stadtvätern feierlich begrüßt. Sie sind entzückt über das bescheidene Auftreten des berühmten Heerführers. Kutusow hat sein Quartier im Hause des Kaufmanns Lutterkorth, Hohe Straße 82, Ecke Kirchenstraße (später stand hier die Bürgerhalle) . . .

 

24. Dezember. Heiligabend und zugleich 35. Geburtstag des Beherrschers aller Reußen. General Kutusow empfängt in seinem Quartier die Stadtnotabeln zur Gratulationscour. Dann zelebrieren vor dem Hause Popen in kostbaren Brokatgewändern einen feierlichen Dankgottesdienst, an den sich die Truppenparade anschließt . . .

 

Abends sind Rathaus und fast alle Häuser zum Geburtstag des Zaren festlich illuminiert. Sowas hat die vieldrangsalierte Stadt nicht gesehen. Jubelnd und singend ziehen russische Soldaten, Arm in Arm mit Tilsitern, durch die verstiemten Gassen. Bei Kutusow erscheint eine Magistratsabordnung und überreicht ihm nach Tilsiter Brauch als Weihnachtsgeschenk Marzipan, was sehr freudig aufgenommen wird. Dafür bittet der General die Herren, bei Sakuska, Piroggen und Wodka seine Gäste zu sein, und bis in die Nacht wird Verbrüderung gefeiert . . .

 

Die Bürger feiern den Heiligen Abend nach altgewohnter Weise. Stadt- und Landkirche sind diesmal überfüllt mit Andächtigen. In der Bürgerressource, bei Mademoiselle Schnitzelbäumer, verteilen nach altem Brauch die Stadtväter die diesmal bescheidenen Weihnachtsgeschenke an Waisenkinder und Stadtarme, denn das Geld ist sehr knapp geworden. Auch in den Bürgerhäusern geht es diesmal sehr bescheiden zu. Aber der übliche Weihnachtspunsch, Bischof genannt, darf trotzdem nicht fehlen . . .

 

(Einen geputzten Lichterbaum kannte man Weihnachten 1812 in Tilsit noch nicht. Der erste Weihnachtsbaum Ostdeutschlands wurde erstmalig 1815 in Danzig angezündet Auch das Lied „Stille Nacht“ entstand erst 1818.)

 

Vom Stadtkirchenturm blasen die Stadtmusikanten Choräle. Und über Stadt und Land klingen die Weihnachtsglocken . . .

 

25. Dezember. Am 1. Weihnachtstage kommen preußische Reiter von Picktupönen bis an den Memelstrom. Bald reiten Freund und Feind einträchtig am Ufer auf und ab. Währenddessen sitzen die Tilsiter bei der traditionellen Weihnachtsgans, sofern sie für teures Geld noch ergattert werden konnte. — Abends hört man die erschreckende Nachricht, dass die Franzosen von Baubeln bereits auf Tilsit marschieren . . .

 

 26. Dezember. Am 2. Weihnachtstage ist der Burgfriede zu Ende. Aus Baubeln sind Gewehrschüsse und Kanonendonner zu hören. Auf Befehl Macdonalds mussten die preußischen Reiter die Russen angreifen und liegen jetzt im Gefecht mit ihnen bei Picktupönen. (Hier fielen der preußische Major von Manstein und zehn Reiter. Ihre Gräber waren noch bis zuletzt auf dem Picktupöner Friedhof vorhanden.) Um 7 Uhr abends sind die Russen von der Picktupöner Bataille wieder in Tilsit und biwakieren in den Straßen . . .

 

27. Dezember. Bis zum Jahresende überschlagen sich die Ereignisse. Kutusow will eine Schlacht vermeiden und zieht sich deshalb nach Ragnit zurück. Preußische Dragoner kommen bei Paskallwen wieder ins Gefecht mit den Russen. Hierbei fällt Leutnant von Podßarly. — Abends zieht die Armee Macdonalds in Tilsit ein und bringt 450 gefangene Russen . . .

 

29. Dezember. Immer wilder sind die Gerüchte Man will wissen, dass die Preußen nicht mehr gegen die Russen kämpfen wollen. Es wird geraunt, dass Dragonerleutnant von Treskow von Fürst Repin heimlich einen Brief zur Weitergabe an General Yorck erhalten hat . . .

 

30. Dezember. General von Massenbach erhält am Nachmittag durch einen Geheimboten einen Brief von General Yorck. Darin wird mitgeteilt, dass General Yorck mit den Russen heute in Tauroggen eine Konvention geschlossen hat, wonach preußische Truppen als parteilos gelten und sich daher von den Franzosen zu lösen haben. — In aller Heimlichkeit rücken am späten Abend die in Tilsit befindlichen preußischen Regimenter über die Memel nach Baubeln ab und vereinigen sich mit den Truppen General Yorcks. — In der Stadt sind nur ein paar preußische Offiziere, zwei Unteroffiziere und 30 Dragoner geblieben . . .

 

31. Dezember. Marschall Macdonald sitz gerade in seinem Quartier in der Deutschen Straße beim Frühstück, als General Bachelu aufgeregt meldet, dass die preußischen Einheiten heute Morgen nicht am Sammelplatz erschienen sind. Gleichzeitig wird Macdonald ein Schreiben General Yorcks übergeben. Er liest und ist tief erschüttert. Zu seinem preußischen Ordonanzoffizier, Leutnant von Korff, sagt der ritterliche Marschall beim Abschied: „Ich sehe, Sie wollen nicht bei mir bleiben. Gehen Sie mit Ihrer Abteilung über die Memel zurück. Es ist möglich, dass sich die Umstände ändern. Sonst sehen wir uns auf dem Felde der Ehre wieder“. Als Abschiedsgeschenk nötigt er dem Leutnant 60 Friedrichsdor auf und übergibt den preußischen Soldaten ebenfalls Geld. — Die Franzosen rücken in Richtung Skaisgirren nach Labiau ab . . .

 

1. Januar 1813: Beim Geläute der Kirchenglocken zieht General Yorck in Tilsit ein . . .

 

Seite 14   Christkind / Von Robert Reinick

Die Nacht vor dem Heiligen Abend,

Da liegen die Kinder im Traum,

Sie träumen von schönen Sachen

Und von dem Weihnachtsbaum.

 

Und während sie schlafen und träumen,

Wird es am Himmel klar,

Und durch den Himmel fliegen

Drei Engel wunderbar.

 

Sie tragen ein holdes Kindlein,

Das ist der Heil'ge Christ,

Es ist so fromm und freundlich,

Wie keins auf Erden ist.

 

Und wie es durch den Himmel

Still über die Häuser fliegt,

Schaut es in jedes Bettchen,

Wo nur ein Kindlein liegt.

 

Und freut sich über alle,

Die fromm und freundlich sind;

Denn solche liebt von Herzen

Das liebe Himmelskind.

 

Wird sie auch reichlich bedenken

Mit Lust aufs allerbest'

Und wird sie schön beschenken

Zum lieben Weihnachtsfest.

 

Heut schlafen noch die Kinder

Und sehn es nur im Traum,

Doch morgen tanzen und springen

Sie um den Weihnachtsbaum.

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (64)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Wir missen uns noch emal ieberm Grog unterhalten. Das is wichtiges Getränk, und Se kennen ja auch aller das alte Rezept: Rum muss, Zucker kann, Wasser brauch nich.

 

Dem besten Grog gab es zu Haus beim Karbau in Willenberg, der war weit und breit beriehmt. Sehr gutem Rum, und so steif, dass der Löffel drin stand. Und wem trotzdem noch zu schwach war, der konnd Rumche nachfordern, denn an dem Grogche wolld der Karbau nuscht verdienen, das war seine Reklame.

 

Da huckt bei ihm mal e Reisender aus Allenstein, sein Tulpche vore Nas, und wie er dem ersten Schlubberche nimmt, kriegt er dem Ober am Scheeßke zu fassen, wo gerad vorbeirennt, und sagt: „Oberche, noch e Rumche!" Er kriegt e Glas Rum, gießt ein, trinkt. „Oberche, noch e Rumche!" Noch emal krieqt er e Glas und noch emal winkt er: „Oberche, noch e Rumche!" Denn is er endlich zufrieden, kippt dem Grogche hinterm Schlips und bestellt sich noch e Tulpche, wo der Wirt nu aber gleich richtig mischt: Zweidrittel heißem Rum und ein Drittel heiß Wasser. Aber auch das geniegt ihm nich, und der Ober muss wieder dreimal „noch e Rumche" bringen. Das ärgert dem Wirt ganz aasig, und wie der Gast nu das dritte Tulpe bestellt, kriegt er reinem heißem Rum und nich ein Tropfche Wasser drin. Er probiert e Schluckche und winkt: „Oberche noch e Rumche!" Da platzt dem Karbau endlich aber der Kragen: „Mein Grog is so gut, dass Sie all beim ersten Glas keine Verstärkung brauchden. Im zweiten Glas war doppelt so viel Rum wie Wasser drin, und im dritten Glas haben Se reinen Rum gekriegt. Nu is Ihnen der Grog immer noch zu schwach?" Da meint der Gast ganz erstaunt: „Aber Mannche, wer sagt was von zu schwach? Zu heiß is er!"

 

Und weil wir nu gerad in die Ortelsburger Gegend sind, gehen wir gleich e Endche weiter bis Friedrichshof, das heiß zuerst bloß bis Puppen, da steigen wir inne Kleinbahn ein. Wissen Se, auf diese Kleinbahn waren de Friedrichshöfer orndlich stolz. Eigentlich war es ja man e Feldbahn, wo vom Krieg liegen geblieben war. Aber wer Geduld hädd, konnd ihr benutzen, und damals hadden wir alle noch so viel Zeit. Es gab natierlich beesartige Menschen, die sagden, im Sommer kann einer bequem nebenbei rennen und Erdbeeren pflicken, so langsam fuhr se. Sicher, se fuhr e bissche gemietlich, aber einer soll auch nich iebertreiben.

 

Einmal hädd se sechs Passaschiere geladen, es war auch im Sommer, und se schlich mit viel Gepuste und Gestank durches Gelände. Mit eins, nich weit von Adamsverdruß, blieb se stehen. Da streckd der Bäcker Pogorny seinem Kopp durch das kleine Fensterche und wolld wissen, was los is. Er fuhr nach Friedhofshof seine Schwester besuchen. „Pschakrew", sagd der Schaffner, „haben wir Kuh vor Lokomotiewe, frisst und geht nich weg. Können nich ieberfahren, sonst wer bezahlt Schaden? Muss ich erst Kuh vertreiben“. De Kuh war eigensinnig und gehörend nich. Deshalb missden alle Passaschiere aussteigen und helfen. Endlich ging es weiter, aber heechstens bloß e gute Viertelstunde, denn war wieder halt. Wieder war es Kuh aufes Gleis, und wieder missden aller aussteigen und ihr schichern. Da meind der Pogorny: „Finden die Kiehe hier so wenig zu fressen, dass se auf die paar Grashalme angewiesen sind, wo zwischne Schienen wachsen? Vor e Viertelstund all e Kuh, jetzt de zweite Kuh!“ „Wieso zweite Kuh“, sagd der Schaffner, „is doch selbe Kuh, pschakrew, hat uns nur ieberholt".

 

Ja, das waren noch Zeiten! Von Schwentainen war sogar noch e richtige gelbe Postkutsch nach Friedrichshof gefahren. Da huckd mal der Dorka drin und der Pawelzik aus Willamowen. „Wirst Du mir nei anstreichen meinem Tafelwagen?" fragd der Pawelzik. „Warum nich?" sagd der Dorka. „Wann wirst Du anstreichen?" „Wann wirst Du schicken Tafelwagen?" fragd der Dorka. „Ich werde schicken Donnerstag, mein Sohn wird bringen". „Pscherunje, Du willst geben Deinem Sohn Pferde in di Hand, wo er doch erst ist zwölf Jahre?" „Warum Pferde? Wird er bringen in Aktentasche!" „In Aktentasche? Tafelwagen in Aktentasche? Ach — jetzt ich weiß, Du meinst Wagentafel!"

 

Aber nu will ich Ihnen noch was erzählen, da missen Se mir versprechen, dass Se das fier sich behalten. Es is nämlich wirklich passiert, und die beteiligte Perseenlichkeiten leben noch. Wo sich das ereignet hat, sag ich auch nich, sonst giebt vleicht noch Ärger. Deshalb missen Se sich damit begniegen, dass es in e großes masurisches Kirchdorf war. Da war e neier Lehrer hinversetzt, und wie er sein Gefliegel im Stall reinließ, da waren aus die zwölf Gänse mit eins dreizehn geworden. Dem andern Morgen ieberzeigd er sich noch emal, dass er sich nich verzähld hadd, und da sah er auch all die dreizehnte Gans, nich so rund und blank wie de andre, sondern spiddrig und verhubbert. Die war von irgendwo zugelaufen. Deshalb ging er gleich beim Herr Amts- und Gemeindevorsteher, und der mussd de Gans ausklingern lassen. Dem andern Morgen ging er fragen, aber es hädd sich keiner gemeldet. Aber wie noch e Nacht rum war, kam der Herr Amts- und Gemeindevorsteher de Gans abholen. Se war ihm selbst weggelaufen, und er hädd gar nich dadran gedacht, in seinem eigenen Stall nachzukicken. Es war im November, und der Herr Lehrer ging e paar Tage später in Krug e Tulpche Grog trinken — nu sind wir all wieder bei der trostreiche Flissigkeit angekommen — da traf er dem Herr Amts- und Gemeindevorsteher. „Wissen Se", sagd der, „unter uns gesagt, mir is gar keine Gans nich weggelaufen. Weil sich aber aufes Ausklingern keiner melden tat, wussd ich gleich, dass de Gans außem Schmuggeltransport ausgerickt war. Jedes Jahr werden viele polnische Stoppelgänse klammheimlich iebre Grenz gebracht. Und was meinen Se, was das fier Schreibereien und Scherereien giebt, wenn so es ungesetzliche Gans erst aufes Papier kommt! Deshalb hab ich ihr von Ihnen abgeholt, de Gurgel umgedreht und im Kochtopp reingestochen. Nu kann nuscht mehr passieren“.

 

Sehn Se, das war e einfaches Verfahren und es klappd immer. Zu Haus hadden wir auch jedes Jahr e paar Weihnachtsgänse, jetzt in die Fremde natierlich nich. Es haut nich aus! Aber vleicht is das auch ganz gut, denn so e fetter Gänsebraten kann einem unverhofft aufe Plautz schlagen. Einer is es nich mehr so gewehnt, einer wird langsam alt. Das hab ich vor virzehn Tage inne Stadt gemerkt, wo ich iebre Straß gehen wolld. Aber einer dirfd nich gehen, wie einer wolld, sondern einer mussd lauern, bis se einem rieberließen. Denn da hädden, se e Lamp mit rotes Licht aufgehongen. Solang wie rot war, missden aller stehen bleiben. Erst wenn grien kam, dirften se gehen. Und denn hädd sich inzwischen immer e großer Humpel Menschen angesammelt, und die rissen denn aus wie Schafsleder und schubbsden sich inne Rippen und liefen wie verspackte Eimer iebre Straß. Da stand ich nu zwischen und dachd, lässt erst dem greeßten Humpel vorbei, dass se dir nich zertrampeln. Und wie ich so steh und kick, da geht e altes Muttche an mir vorbei und sagd im scheenston Ostpreißisch: „Nu gehen Se man, Mannche, griener wird nich!"

 

So wird einem heeflich beigebracht, dass einer langsam alt geworden is. Einer merkt es auch an die Karosserie, annes Fahrgestell, wo all ziemlich klabastrig und verrostet is. Da brauch einer denn oben e Tulpche Grog zum Durchspülen. Nu winsch ich Ihnen glickliche und scheene Weihnachtstage. Verderben sich nich dem Magen und schorren Se vergniegt innes neie Jahr rein.

Herzliche Grieße von Ihrem alten Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 15   Werbung von Firmen.

 

Seite 16   Ein Silvestererlebnis von R. Pawel. Sonderbar, sonderbar …   … ich kann es doch nicht geträumt haben.

„Nein, ich kann's nicht geträumt haben — ausgeschlossen. Sonst würde ich doch nicht den richtigen Straßenbahnfahrschein unserer guten KWS und die Dauerkarte zum Tiergarten noch haben. Überzeugen Sie sich doch bitte selbst, ob diese beiden denn nicht echt sind! Sie wissen doch sicher noch, wie solche Sechser-Fahrscheine bei uns in Königsberg aussahen?"

 

Ich gebe allerdings zu, dass es mir jetzt auch etwas abenteuerlich vorkommt, was ich da am Silvesterabend erlebt habe. Aber es war alles so echt und vertraut, dass ich mich doch nicht geirrt haben kann! Und wenn Sie vielleicht meinen sollten, ich hätte etwas zu tief in die Silvesterbowle geschaut, dann muss ich entgegnen, dass es nur echter Bärenfang war, und dem kann man doch nichts Böses zutrauen. Aber hören Sie doch mal selbst, wie sich alles abgespielt hat.

 

 Als ich aus der Eingangshalle unseres Hauptbahnhofs in Königsberg hinaustrete — Gedanken darüber, wie ich dorthin gekommen bin, machte ich mir nicht —, da bimmelte gerade eine Elektrische zur Abfahrt. Da ich den noch nicht abgefahrenen Fahrschein und die Tiergartenkarte gerade in der Hand habe, gibt es kein Besinnen: ich springe auf, ohne noch viel nachzuschauen, ob es auch die richtige Bahn ist. Über solche Kleinigkeiten bin ich erhaben, denn mein Ziel steht ja fest: ich will in unseren Tiergarten.

 

Im Nu ist die Rechtskurve um die alte Haberberger Kirche geschafft, auch durch die Vorstädtische Langgasse ist's nur ein Katzensprung. Donnerwetter, fährt die Bahn schnell — so kenne ich sie noch gar nicht —, doch warum sollen sie die nicht modernisiert haben? Kaum habe ich Zeit, an der Grünen Brücke nach vielleicht bekannten Schiffen, die dort liegen könnten, zu schauen, da sind wir auch schon über die nächste, die Krämerbrücke, gerattert. Schnell noch um das Eckhaus von Gebr. Siebert, da biegen wir auch schon auf den Kaiser-Wilhelm-Platz ein.

 

Doch kein Halten gibt's, — ich finde das auch nicht einmal merkwürdig. Da sind wir auch schon die Kantstraße hoch, ohne dass ich noch nach dem alten Kaiser Wilhelm und der grünlichen Patina der Kanttafel sehen kann, wie ich's sonst immer tat. Auch den Gesekusplatz (unter diesem Namen ist er mir vertrauter) muss ich übersehen haben, denn schon kommt links das Alhambra-Kino, das wuchtige weiße Gebäude, heran, und mir fallen gerade die gemütlichen Pferdedroschken ein, die einmal hier an der Ausbuchtung vor dem Berliner Hof und vor „Kücken" gestanden hatten.

 

Hinter dem vorspringenden Krauskopfschen Haus grüße ich noch schnell die alten Linden vor dem Steindammer Kirchlein — welche Erinnerungen! —, so dass mir keine Zeit bleibt, mich noch nach den Todtenhöferschen Schaufenstern umzuwenden. Und da sind wir auch schon den ganzen Steindamm entlanggerattert, — komisch, wie mir jetzt gerade einfällt, dass ich hier im längst verschwundenen „Apollo" am Heumarkt den ersten Film2 Schlachtenbilder vom Alten Fritz" bestaunt habe! Rechterhand erwische ich noch gerade den roten Schimmer von der Front des Physikalischen Instituts, von den beiden alten Wagenhäusern, ehe ich über das altvertraute Messegelände her — richtig: dahinter geht's ja zur See hinaus — so etwas wie eine salzige Brise zu spüren glaube.

 

Wie im Fluge entschwinden Stadthaus hier und Amtsgericht wie Polizeipräsidium drüben, und nur die alten Glacisbäume, hinter denen sich Funkhaus und Staatsarchiv verbergen, rauschen zu mir herüber. Und richtig, auch das so eigentümlich langgezogene Quietschen vernehme ich wieder — so unendlich vertraut —, als die brave Bahn an den Anlagen vorbei um das Schauspielhaus biegt. Nun aber brennt mir die Tiergartenkarte mit einem mal richtig in der Hand und erinnert mich nachdrücklich an mein eigentliches Vorhaben. Die nächste Haltestelle, links davon das helle Gebäude von Café Amende, kommt immer näher. Was aber, wenn die Bahn nun wieder nicht hält? Angst ergreift mich, und ich wiederhole für mich den alten, kindlich-törichten Spruch von einst: „Bei Amende sind wir am Ende“.

 

Doch da finde ich mich auch schon draußen vor dem Tiergartenportal wieder und sehe gerade noch meine gute Elektrische um die Ecke der Freigrabenschlucht biegen. Wirklich eine Zauberbahn! All die verlockenden Möglichkeiten, die unser Tiergarten immer für uns bereithält, liegen nun vor mir: die Freigehege, das Affenhaus, die gute „Jenny" hinter ihren dicken Eisenstangen, der Aussichtsturm, der Pavillon über dem Teich, das Café Benther mit seinen bequemen Korbstühlen vor dem Kängurugehege — oder soll es nur die Hauptpromenade mit den „Hungerbänken" sein? Mir auch recht!

 

So schlendere ich also voll kaum bezähmter Erwartung auf den Eingang zu und zücke gerade stolz meine Dauerkarte . . . Doch mit einer Handbewegung werde ich jäh gebremst: „Aberrr Mannchen!" grollt mir eine gutmütig brummende Stimme entgegen, „mit der alten, abgelaufenen Karte gibt's doch keinen Eintritt nich!!" Noch ganz verwirrt, weil mir so etwas noch nie passierte, doch zugleich erbost, weil ich mich so darauf gefreut hatte, versuche ich, an dem Zerberus vorbei doch noch hineinzukommen. Dabei stoße ich aber unsanft gegen einen Torpfosten . . . Das jedenfalls war das Letzte, was mich noch lange eindringlich an dieses seltsame Erlebnis erinnert.

 

Mit schmerzendem Kopf blickte ich um mich im schummrigen Silvesterzimmer. Tatsächlich — da hatte ich mit der Stirn auf der harten Tischkante, gelegen! Doch das kann ja nicht sein! Ich war doch eben noch ganz woanders, im Lande meiner Sehnsucht . . . Und richtig, da vor mir, in Reichweite, liegt doch auch noch meine Tiergartenkarte, die mir bei dem Anprall entfallen sein muss. Nachdenklich sammle ich meine Gedanken und grüble, warum ich damit nicht hineingekommen bin. Ich schaue noch einmal genau hin. Richtig: sie trägt die Jahreszahl 1943! Na ja dann . . .

 

Foto: Eintrittskarte für den Tiergarten von 1943 und die Bahnkarte.

Hier bitte: die Beweise! Oder glaubt jetzt immer noch jemand, dass ich mir da was zurechtphantasiert habe? Dann müsste ich allerdings den „Bärenfang“ mal untersuchen lassen.

 

Seite 16   Arthur Schopenhauer.

Ganz glücklich hat sich noch kein Mensch gefühlt, er wäre denn betrunken gewesen.

 

Seite 16   Tagung des Ost- und Mitteldeutschen Arbeitskreises. Matull neuer Vorsitzender.

Bei der kürzlich in Düsseldorf stattgefundenen Tagung des Ost- und Mitteldeutschen Arbeitskreises bat der bisherige Vorsitzende, der ostpreußische Bundestagsabgeordnete Richard Kinat, ihn von diesem Amte unter Berücksichtigung seines hohen Alters und seiner Verpflichtungen als Bundestagsabgeordneter zu entbinden. Als neuer Vorsitzender wurde einstimmig der ebenfalls aus Ostpreußen stammende Reg. Dir. Wilhelm Matull, Leiter der Staatsbürgerlichen Bildungsstelle des Landes Nordrhein-Westfalen, gewählt. Die nächste Jahreskonferenz des Arbeitskreises soll in Verbindung mit einer Kulturveranstaltung im Januar in Düsseldorf stattfinden.

 

Seite 16   Unsere Serie. Die Stadt Tilsit. Ostpreußische Geschichte am Beispiel einer Stadt, setzen wir in der nächsten Ausgabe fort.

Inhaltspezifische Aktionen