Ostpreußen-Warte, Folge 11 vom November 1958

Ostpreußen-Warte

Folge 11 vom November 1958

 

Seite 1   Foto: Elbing heute. Der Blick durch das Markttor auf den alten Markt zeigt, in welch unfassbarem Ausmaß die Vernichtung hier wütete. Bis heute hat man im Stadtmittelpunkt weder mit dem Wiederaufbau von Häusern, noch mit der Instandhaltung der Straßen begonnen. Nur die alten Straßenbahnen und die breiten Straßen erinnern noch daran, dass hier vor 14 Jahren ein Leben pulste wie heute in den Städten Westdeutschlands. Foto: Schneege.

 

Seite 1   Polens Umsiedlung gescheitert. Alarmierende Zahlen – Verheißungsvollem Anfang folgte ein „klägliches Fiasko“

Das Zentralorgan der kommunistischen „Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei", die Warschauer Zeitung „Trybuna Ludu“, befasst sich in mehreren Artikeln mit der Frage des Landverkaufs in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten und gibt darin zu, dass die Umsiedlungs-Aktionen des Jahres 1958, die Zehntausende polnischer Bauernfamilien in die Oder-Neiße-Gebiete bringen sollten, völlig gescheitert sind. Das Parteiorgan stellt zunächst fest, dass an sich eine halbe Million Hektar Land den Neusiedlern zur Verfügung gestellt werden sollte, wobei aber von diesen riesigen Flächen tatsächlich nicht mehr als 2 000 Hektar abgesetzt werden konnten. Dies aber, so heißt es hierzu, sei „ein minimaler Prozentsatz, eine alarmierende Zahl".

 

Besonders aufschlussreich sind die folgenden Ausführungen des Parteiorgans über die Gründe, aus denen die polnische Bevölkerung es ablehnt, in den Oder-Neiße-Gebieten Grund und Boden zu erwerben. Es wird dabei darauf hingewiesen, dass hier eine „emotionale Seite" in Erscheinung trete, die man nicht unterschätzen dürfe; denn hier präge sich ein „Konflikt zwischen der Verbundenheit mit dem Heimatdorf (in Polen) und dem Verstande" aus, der eine Übernahme des Bodens zu den gebotenen günstigen Bedingungen nahelege.

 

Zur Frage der Gewinnung von Umsiedlern für die Oder-Neiße-Gebiete erklärt die „Trybuna Ludu", dass „nach den ersten lobenswerten Anstrengungen im Mai und Juni" nunmehr „ein völliger Stillstand" zu verzeichnen sei. Beispielsweise seien „Bauernkomitees" aus der Wojewodschaft Warschau in das südliche Ostpreußen gekommen, um sich ins Bild zu setzen, und sie hätten auch erklärt, dass an sich „keine Hindernisse" bestünden, um Interessenten und Umsiedler für 10 000 Hektar Ackerland anzuwerben. Danach seien auch einige Rundschreiben versandt und Versammlungen veranstaltet worden, aber „seit einigen Monaten ist nichts mehr von der Sache zu hören". Auch eine weitere Aktion zur Anwerbung polnischer Neusiedler aus der Wojewodschaft Lublin für den Kreis Lyck sei gescheitert, indem auch hier „einem überaus verheißungsvollen Anfang ein klägliches Fiasko folgte".

 

In einem weiteren Artikel zum gleichen Thema behauptet die „Trybuna Ludu", das eine allzu große finanzielle Belastung der Neusiedler der vornehmlichste Grund für das Scheitern der Umsiedlungsaktionen des Jahres 1958 sei. So habe es sich beispielsweise ergeben, dass im Kreise Goldap „viele schone Gehöfte, die vor einigen Monaten instandgesetzt wurden, keine Interessenten und Käufer finden". Diese Lage aber sei „paradox", und die Aufbaumaßnahmen erwiesen sich als „sinnlos", da „die nicht besetzten Gehöfte verfallen und ausgeplündert werden, so dass sie nach mehreren Monaten eines vergeblichen Wartens auf einen Käufer erneut instandgesetzt werden müssen".

 

Die „Trybuna Ludu" ruft zur Verstärkung der „informatorischen und propagandistischen Tätigkeit" zur Gewinnung von Neusiedlern auf, da der Herbst für eine Umsiedlung günstig sei, während sich derartige Vorhaben im Winter schwieriger durchführen ließen. Doch müsste die polnische Regierung weitere Förderungsmaßnahmen für die Umsiedler vorsehen. — Auch diese letztere Aufforderung bestätigt das Scheitern der Umsiedlungsaktion, da die Liegenschaften in den Oder-Neiße-Gebieten bereits bisher schon um 60 v. H. billiger als der entsprechende Grundbesitz in Polen abgestoßen werden sollten, weitere Preisnachlässe sowie Kredite und Zuschüsse vorgesehen waren und die Vergünstigungen sich auch auf die Ablieferungsverpflichtungen erstreckten, zu schweigen davon, dass sowohl die geringe Kaufsumme sowie die Kredite bei fortschreitender Geldentwertung erst binnen zwanzig Jahren zurückgezahlt zu werden brauchen.

 

Seite 1   Sowjetisches Wirtschaftsgutachten. Ohne polnische „Unterlagen“.

Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, hat die Sowjetbotschaft in Warschau ein umfangreiches Gutachten über die allgemeine Wirtschaftslage in der Volksrepublik Polen unter besonderer Berücksichtigung der polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebiete erstellt. Das sowjetische Gutachten wird als Unterlage für die Verhandlungen zwischen einer polnischen Regierungs- und Parteidelegation und sowjetischen Stellen dienen, die für die nächste Zukunft vorgesehen sind. Wie der „Pressedienst der Heimatvertriebenen" hierzu erfährt, ist von polnischer Seite der Sowjetbotschaft in Warschau „umfangreiches Informationsmaterial", insbesondere „dokumentarische Unterlagen und Statistiken", angeboten worden. Dieses Material sei jedoch von den Gutachtern der Sowjetbotschaft „weder berücksichtigt noch verwendet" worden.

 

Wie ferner bekannt wurde, will die polnische Delegation, die unter der Leitung Gomulkas demnächst nach Moskau reist, der Sowjetregierung vorschlagen, die Sowjetunion solle dabei helfen, Schlesien zu einem „Ruhrgebiet des sozialistischen Lagers" zu machen. Zugleich aber verlautet, dass Moskau diesen „perspektivischen Planungen" skeptisch gegenüberstehe, und so sei nicht zu erwarten, dass eine umfangreichere sowjetische Mitwirkung an deren Verwirklichung erfolgen werde.

 

Anlässlich des Besuches der polnischen Delegation in Moskau wird sich auch der sowjetische Botschafter in Warschau, Abrasimow, mit weiteren Beamten der Warschauer Sowjetbotschaft in der sowjetischen Hauptstadt aufhalten.

 

Seite 1   Zahl der Deutschen „nicht feststellbar"

In einer auf amtliche Quellen gestützten Übersicht des polnischen Rundfunks über die Lage der Minderheiten in „Volkspolen" wurde mitgeteilt, dass „die genaue Zahl der gegenwärtig noch im Lande lebenden Deutschen nicht feststellbar" sei; erst nach Abschluss der noch andauernden Familien-Zusammenführung werde man genauere Ergebnisse der dann anzustellenden Zählungen in den sogenannten „Westgebieten" vorlegen können. In dem gleichen Rundfunkbericht wurde zugegeben, dass die noch vor zwei Jahren polnischerseits genannte Zahl von nur ca. 60 000 jenseits der Oder-Neiße ansässigen Deutschen sich als unzutreffend erwiesen habe, seien doch inzwischen mehr als 200 000 Menschen nach dem Westen ausgereist.

 

Da die Zahl der „Autochthonen" — also der deutschen Staatsbürger — in den Oder-Neiße-Gebieten vor zwei Jahren von polnischer Seite auf 1,3 Millionen beziffert wurde, ergibt sich, dass auch nach der Umsiedlung von 200 000 Ostdeutschen noch über 1 Million Deutsche in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten wohnhaft sind.

 

Seite 1   „Ständiges schwindendes kulturelles Kapital"

Über den immer noch fortschreitenden Verfall von Kulturdenkmälern im polnisch verwalteten südlichen Ostpreußen heißt es in einem polnischen Bericht, diese Erscheinung müsse als ein „ständiges Dahinschwinden kulturellen Kapitals" bezeichnet werden. Allmählich zerstöre die Zeit historische Bauten, da der Konservator nicht genügend Mittel zur Verfügung habe, um die Bauwerke vor dem weiteren Verfall schützen zu lassen. Nur im Schlosse von Mehlsack würden Arbeiten durchgeführt, um weiteren Verfall vorzubeugen. Einschlägige Arbeiten seien u. a. in Allenstein, Rastenburg und Riesenburg ins Auge gefasst worden. Bei alledem sei es aber besonders wichtig, dass für die Kulturdenkmäler dann auch die „richtigen Benutzer" gefunden würden.

 

Seite 1   Erdölvorkommen in Nordostpreußen

Wie sowjetische Zeitungen berichten, ist in dem nördlichen Teil Ostpreußens ein großes Ölgebiet entdeckt worden. In den nächsten Wochen werden die Bohrungen mit den modernsten Geräten bis zu einer Tiefe von 2500 Meter durchgeführt.

 

Seite 1   Polnische „Oder-Neiße-Gesellschaft“.

Die Ende Mai 1957 mit großem propagandischen Aufwand gegründete polnische „Gesellschaft für die Entwicklung der Westgebiete, das heißt der polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete, hat dermaßen versagt, dass sie dringend ersucht wird, sich nunmehr endlich ein konkretes Aufgabengebiet zu suchen. Dies geht aus einem Bericht der Warschauer Zeitung „Slowo Powszechne" hervor, in dem besonders betont wird, dass es der Gesellschaft bisher nicht gelungen sei, einen Arbeitsplan aufzustellen. Sie lebe von staatlichen Zuwendungen ihr „Kredit" in der allgemeinen polnischen Öffentlichkeit sei seit ihrer Begründung immer mehr dahingeschwunden; denn sie habe „durch ihre Tätigkeit mehr Verbitterung geschaffen als Nutzen gebracht“. Solange die Gesellschaft kein „vernünftiges Programm" entwickele, würden auch ihre eigenen Mitglieder immer wieder die Frage stellen, welchem Zweck denn die Organisation eigentlich diene. Es gehe also um „den Sinn einer Fortexistenz" dieser Gesellschaft. Dazu wurde vorgeschlagen, sie solle künftighin „Klagen und Beschwerden" aus der Bevölkerung der Oder-Neiße-Gebiete entgegennehmen und weiterleiten. Wenn die „Gesellschaft für die Entwicklung der Westgebiete“ sich dieser Aufgabe schon früher gewidmet hätte, „würde man heute nicht dem sich immer noch so scharf abzeichnenden Problem gegenübergestellt sein, dass die Bevölkerung die Westgebiete verlässt".

 

Seite 2   „Bund der Vertriebenen“ gebildet. BVD und Landsmannschaften in Niedersachsen schließen sich zusammen.

Den sofortigen Zusammenschluss des BVD und der Landsmannschaften auf Landesebene zum „Bund der Vertriebenen, Landesverband Niedersachsen, Vereinigte Landsmannschaften und Kreisverbände" beschloss die außerordentliche Delegiertenversammlung des Landesverbandes Niedersachsen im Bund der Vertriebenen Deutschen in Hannover. Der BVD-Vorstand wird bis zu den Neuwahlen durch eine Delegiertenversammlung die Geschäfte der einheitlichen Vertriebenenorganisation führen und die bisher selbständigen Verbände liquidieren.

 

Die Landsmannschaften in Niedersachsen hatten bereits vorher einen solchen Beschluss gefasst und den niedersächsischen Vertriebenenminister Höft zum Vorsitzenden gewählt.

 

Als vordringlichstes Problem seines Hauses bezeichnete Minister Höft auf der vorhergehenden BVD-Arbeitstagung den Wohnungsbau für Vertriebene, Zuwanderer und Aussiedler. Bis 1962 hoffe man, die noch bestehenden Lager beseitigen zu können. Voraussetzung sei dabei eine Erhöhung der Bundesmittel.

 

Minister Höft wies ferner darauf hin, dass die Eingliederung der vertriebenen Landsleute

in Niedersachsen gute Fortschritte gemacht habe. In der Zukunft würden sich jedoch Schwierigkeiten ergeben, da es dem Land an Mitteln für die Vertriebenensiedlung fehlt sowie die NATO und die Bundeswehr erhebliche Gebietsforderungen stellten. Die Mittel für die kulturelle Betreuung der Vertriebenen bezeichnete der Minister als zu gering.

 

„Die Heimatvertriebenen stehen in der Gefahr, dass sie mit ihren Forderungen den Wettlauf mit der politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt verlieren", erklärte der Bundestagsabgeordnete Rehs. Die Grundlage für eine konstruktive deutsche Ostpolitik zu schaffen, sei mit einer Aufgabe der Vertriebenenorganisation. Grundkonzeption dieser Ostaußenpolitik müsse die Aussöhnung und friedliche Ordnung mit den Nachbarn sein. Dieses Ziel sowie die Wiedervereinigung und die Rückgewinnung der Ostgebiete bedürfen der psychologischen Vorbereitung. Auf diesem Gebiet hätten Bundesregierung und Vertriebene bisher viel versäumt.

 

Seite 2   Wieder Wolfsjagden in Ostpreußen. Starker Einfall aus der Sowjetunion — Abschussprämie pro Tier 1575 Mark

Im polnischen Verwaltungsteil Ostpreußens haben wieder Wolfsjagden begonnen, die vom staatlichen polnischen Jägerverband veranstaltet werden. Die polnischen Forstbehörden in der Allensteiner Wojewodschaft rechnen für den Winter 1958/1959, wie aus polnischen Presseberichten hervorgeht, mit der größten Zunahme des Wolfseinfalls aus der Sowjetunion nach Polen seit Kriegsende.

 

Gleichzeitig wurden umfangreiche Spürjagden in den pommerschen Wäldern aufgenommen, da eine zunehmende Westwanderung der eingefallenen Wölfe in Richtung Ostpommern und Posen festgestellt wurde. Obwohl auch im sowjetischen Verwaltungsteil Ostpreußens von den sowjetischen Behörden in Königsberg seit längerer Zeit regelmäßig Wolfsjagden veranstaltet werden, ist es nach polnischen Presseberichten nicht gelungen, die Westwanderung der Wölfe aufzuhalten oder einzudämmen. Voraussichtlich sollen die Abschussprämien die 1000 Zloty (nach offiziellem Kurs 1050 Mark) für jeden erlegten Wolf betragen, in diesem Winter auf 1500 Zloty erhöht werden. Auch polnische Militäreinheiten werden sich in den kommenden Monaten an der Wolfsjagd im Allensteiner Gebiet beteiligen. Abgelegenen ostpreußischen Ortschaften ist vom polnischen Jägerverband empfohlen worden, möglichst rasch einen Selbstschutz zu organisieren.

 

Seite 2   Westdeutsche Wolfsjäger gelobt

Namentlich genannt wurden im polnischen Rundfunk die westdeutschen Jäger Jummel und

Rohr, die zum wiederholten Male in Polen eingetroffen seien, um an Wolfsjagden teilzunehmen. Besonders wertvoll sei — so wurde betont — die Teilnahme der Waidmänner an Wolfsjagden in Ost- und Westpreußen sowie in der „Wojewodschaft" Köslin.

 

Seite 2   Umstellung der Wirtschaftsplanung

Das absolute Scheitern aller bisherigen Wirtschaftspläne, wonach die „Wojewodschaft" Allenstein wirtschaftlich auf die zentralpolnischen Wojewodschaften und insbesondere auf die Hauptstadt Warschau ausgerichtet werden sollte, wird in einem polnischen Bericht zugegeben, in dem es heißt, für Süd-Ostpreußen müsse ein völlig neues Wirtschaftsprogramm aufgestellt werden, das der Tatsache Rechnung trägt, dass die „Wojewodschaft" Allenstein einen weiten Küstenbereich habe. Die „Wojewodschaft" Allenstein müsse nunmehr wirtschaftlich so eng wie möglich mit Polens maritimer Entwicklung verbunden werden. Man müsse in Allenstein also „den Blick auf das Meer richten", von dem die „wirkliche Entwicklung" der „Wojewodschaft" abhänge.

 

Seite 2   Polen wirbt Rückwanderer. Ansiedlung in den Oder-Neiße-Gebieten — Hohe Kredite als Lockung.

Die polnische Regierung bemüht sich seit einiger Zeit, möglichst alle im Ausland lebenden Polen und fremden Staatsangehörigen polnischer Abstammung zur Rückwanderung in die Volksrepublik zu bewegen. Nach einer Mitteilung der polnischen Militärmission in Westberlin sind von Januar 1955 bis Juli 1958 im Zuge dieser Rückführungsaktion 190 657 Personen, davon 184 134 aus der UdSSR, nach Polen zurückgekehrt. Im ersten Halbjahr 1958 wurden 46 661 Personen repatriiert. Davon kamen 46 231 aus der UdSSR, 111 aus Großbritannien, 66 aus Frankreich, 62 aus der Bundesrepublik Deutschland und 51 aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Zwei Drittel der Heimkehrer waren Bauern. Die Rückwanderer wurden durch den Staat mit Krediten unterstützt und hauptsächlich in den ehemals deutschen Gebieten mit den Schwerpunkten Allenstein, Köslin, Stettin, Breslau, Liegnitz und Waldenburg angesiedelt.

 

Seitdem in Warschau ein milderer Kurs gesteuert wird, versucht die Regierung, alle Polen im Ausland, besonders aber die Bergarbeiterbevölkerung polnischer Abkunft im Ruhrgebiet und die in Westeuropa verstreuten ehemaligen Angehörigen der Armee des Generals Anders zur Rückkehr zu bewegen.

 

Seite 2   Bernsteinwerk Palmnicken eine „Goldgrube“.

Das einzige Bernsteinbergwerk der Welt in Palmnicken — russisch jetzt „Swtlogorsk" — im Samland/Ostpreußen, wird von den Russen als eine ihrer wichtigsten „Goldgruben" betrachtet. Um die Ausbeute zu erhöhen, soll das Werk noch bedeutend erweitert und technisch besser ausgerüstet werden. Die Sowjets exportieren heute den samländischen Rohbernstein, von denen es Fundstücke mit 2,5 kg in Palmnicken gibt, in fast alle Länder der Erde.

 

Seite 2   Wormditt „nicht gerade erfreulich".

Ein Überblick über die Entwicklung, welche die Stadt Wormditt/Ostpr. nach der Übernahme in polnische Verwaltung nahm, biete „nicht gerade erfreuliche" Aspekte, heißt es in einem polnischen Bericht, in dem vor allem beklagt wird, dass Wormditt beständig gegenüber der Stadt Braunsberg benachteiligt werde. An sich sei Wormditt in einer weitaus günstigeren Lage als Braunsberg gewesen, aber obwohl Worrndit verkehrsgünstiger gelegen sei und auch weniger Kriegszerstörungen als Braunsberg aufgewiesen habe, habe man Braunsberg zur Kreisstadt erklärt. Infolge der Bevorzugung Braunsbergs seien in Wormditt historische Bauwerke sowie Häuser, die man durch einige Reparaturen hätte instand setzen und instand halten können, in Trümmer gesunken. Erst nach dem „polnischen Oktober" des Jahres 1956 habe sich auch für Wormditt die Lage gebessert; denn es seien seitdem in Wormditt — zwei Häuser errichtet worden, und überdies sei man daran gegangen, nunmehr einen „Volkssaal" zu renovieren.

 

Seite 2   Liebemühl zum Dorf degradiert.

Die Stadt Liebemühl im Kreise Osterode/Ostpreußen ist zu einer Dorfgemeinde degradiert worden, weil von allen Gebäuden nur noch 50 kleine Häuser übrig geblieben sind, heißt es in einem polnischen Bericht, der die gegenwärtigen Verhältnisse in der einstigen Stadt schildert. In dem polnischen Bericht wird des Weiteren festgestellt, dass das Stadtzentrum auch heute noch auf den Besucher den Eindruck mache, als befände er sich auf einem Friedhof. Lediglich die große gotische Kirche sei hier stehen geblieben und beherrsche nach wie vor das Bild, das die verfallene Ortschaft biete. Die noch vorhandenen Häuser seien fast sämtlich vom Schwamm befallen, die polnischen Zuwanderer hätten in Ställen und Kellern Unterkunft gesucht, und so herrschten in Liebemühl wahrhaft skandalöse Zustände". Der Stichkanal, der von Liebemühl aus zum Elbinger Kanal führe, sei völlig zugewachsen und verschlammt.

 

Seite 2   Danziger Hafen wird erweitert.

Nach mehrjähriger Planung ist — nach polnischen Presseberichten — mit den Erweiterungsbauten im Danziger Hafengebiet begonnen worden. Die im vergangenen Jahr eingeleiteten Arbeiten am Hafenkanal, der auf 150 Meter verbreitert und auf 10 Meter vertieft werden soll, sind beschleunigt worden. Auch die Krümmung der „Fünf Pfiffe" soll begradigt werden, während die Fahrrinne Gdingen—Danzig ebenfalls vertieft werden soll.

 

Hauptziel der Arbeiten ist — wie die Zeitungen schreiben — die Modernisierung des Danziger Hafens, die bisher infolge fehlender Investierungsmittel nicht erfolgen konnte. Bis 1960 sollen moderne Speicher errichtet und die Zahl der Lösch- und Ladevorrichtungen erhöht werden.

 

Wie von deutschen Umsiedlern aus Danzig berichtet wird, sind weiterhin zahlreiche deutsche Facharbeitskräfte im Danziger Hafengebiet beschäftigt. Die polnischen Erweiterungsbauten gingen größtenteils auf deutsche Pläne aus dem Jahr 1938 zurück, die von den polnischen Behörden beschlagnahmt worden sind.

 

Seite Pressespiegel

Kein Hass mehr.

„Das Verhältnis der Deutschen und Polen zueinander ist nicht mehr so krass wie vor Jahren, als die Deutschen völlig rechtlos waren und böse Zeiten durchstehen mussten. Alle bedrückt heute die gleiche Not und die graue Sorge des Alltags. Die Angst vor russischen Übergriffen und die Furcht vor einem neuen Kriege hat hüben wie drüben mit dazu beigetragen, Hass- und Rachegefühle zu überwinden. Im Laufe der jüngsten Geschichte geschahen Misshandlungen von Angehörigen des anderen Volkes auf beiden Seiten, aber diese waren stets das Werk einer kleinen Gruppe von irregeleiteten Fanatikern oder ehrgeiziger Gewaltmenschen. Wenn die beiden Völker wieder wie früher — und dies ist jahrhundertelang möglich gewesen — einträchtig nebeneinander leben wollen, so müssen neue Wege dazu gefunden werden.

 

Als im Mai des vergangenen Jahres das Bundestreffen der Ostpreußen in Bochum stattfand, nahmen polnische Journalisten als geladene Gäste an diesem Treffen teil. Ihre Anwesenheit wurde mit Beifall begrüßt. Der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Gille. fand lebhafte Zustimmung, als er erklärte, dass aus einer machtpolitischen Entscheidung niemals eine dauernde Ordnung und ein dauernder Friede geschaffen werden könne. Er äußerte seine Meinung, dass Fachkenner und Wissenschaftler beider Nationen darüber sachlich beraten sollten, was der polnische Staat benötige, um der Wohlfahrt seines Volkes zu dienen, und wieweit wirtschaftliche Hilfe von deutscher Seite aus möglich sei. Das mit Frankreich erzielte Abkommen über das Saarland biete ein Beispiel für den guten Willen zur Verständigung. In einem einheitlichen Europa ließe sich eine leichtere Lösung der schwebenden Fragen erhoffen, als dies heute erscheint. — Es lohnt sich über diesen Vorschlag nachzudenken; er weist einen Weg zur Beruhigung im osteuropäischen Raum."

„Sonntagsblatt", Hamburg

 

Sackgasse Wiedervereinigung

„Der Ost-West-Gegensatz bildet ohne Zweifel die Voraussetzung zum Wiederaufstieg Deutschlands aus seiner verzweifelten Lage und totalen Unfreiheit, aber auch zur Teilung Deutschlands. Wir verkennen nicht die schwerwiegenden Gründe, die zur gegenwärtigen Außenpolitik der Bundesregierung geführt haben, und zweifeln auch nicht, dass die derzeitigen deutschen Staatsmänner aus Verantwortungsgefühl gehandelt haben. Das darf uns aber nicht hindern, immer wieder die Voraussetzungen dieser Politik auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Adenauer hat dem deutschen Volk immer wieder gesagt, dass seine Westpolitik zur Wiedervereinigung führe. Die Haltung Russlands hat sich mit wachsendem Anschluss Deutschlands an den Westen immer mehr verhärtet. Wir sind in der Sackgasse der Wiedervereinigungspolitik, die heute aussichtslos erscheint. Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit aus ihr herauszukommen?" „Voix d'Alsace', Straßburg

 

Zuerst diplomatische Beziehungen.

„Die Möglichkeiten einer Wiedervereinigung Deutschlands werden auf dem Verhandlungswege und der friedlichen Verständigung gefunden werden müssen. Alles andere ist falsche Sicherheit und Illusion, auch für die Menschen in der Zone. Wer ihnen wirklich helfen und ihr schweres Los erleichtern will, muss nach diesen Wegen der Verständigung und Entspannung suchen. Deutschland liegt mit seinen Grenzen zum Osten. Deshalb sollten von der Bundesregierung diplomatische Beziehungen auch zu den Staaten Osteuropas und der Volksrepublik China gepflegt werden, weil sie geeignet sind, zur Entspannung beizutragen und das Bemühen um die Wiedervereinigung Deutschlands zu fördern. Sie würden für das deutsche Volk ein Beitrag zu seiner Sicherheit in der Todesgefahr der atomaren Aufrüstung sein“. Helene Wessel MdB in „Die Friedensrundschau", Hamburg

 

Oberstes Gebot: Selbst handeln.

„Nur wer überhaupt nicht handelt, braucht auch nichts zu wagen. In den Kreisen, die es am liebsten ablehnten, über einen Friedensvertrag mit der Sowjetunion zu verhandeln, vernimmt man immer häufiger die Auffassung, jede diplomatische Anstrengung für die Wiedervereinigung sei doch nutzlos, man müsse eben warten, bis bei den Satelliten oder bei den Sowjets die herrschenden Mächte durch andere, freiheitliche und verständnisbereite, abgelöst seien. Das gibt sich sehr realpolitisch. Aber es ist in Wirklichkeit grausam gegenüber den Leiden der siebzehn Millionen, und dazu ist es nach aller politischen Erfahrung wahrscheinlich eine Illusion. Politik im eigentlichen Sinne könnte sich eine solche Haltung des tatenlosen Abwartens erst recht nicht nennen. Wer sich zu ihr bekennt, möge aber wenigstens aufhören, von seinem tiefen Mitempfinden mit dem Leiden der Menschen jenseits von Elbe und Werra zu sprechen. Wenn ein Mann erfährt, dass sein Bruder in einem Hause schläft, das zu brennen begonnen hat, so kann er hineinstürzen und versuchen, den Bruder zu retten; er wird dabei das ganze Wagnis auf sich nehmen müssen, das dieser Versuch in sich trägt. Er kann sich freilich auch vor das brennende Haus stellen, sich In ein stilles Gebet versenken und hoffen, ein Regen werde den Brand schon löschen. Aber es wird schwer erträglich, wenn der draußen Wartende in lautes Klagen über das Los des Gefährdeten ausbricht und die Vorübergehenden auffordert, seinen Bruder zu retten“. Paul Sethe in „Die Welt", Hamburg

 

Seite 2   Ich möchte Fremdenführer werden.

Die Verbitterung, mit der die verantwortungsbewussten polnischen Journalisten den Verfall und die Verwahrlosung alter Baudenkmäler in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten beobachten, ohne dabei infolge der zunehmenden Presseknebelung die Vorgänge in Berichten schildern zu können, findet in einer Glosse ihren Ausdruck, welche eine polnische Zeitung kürzlich an versteckter Stelle veröffentlichte. Da hier der polnische Autor in eindrucksvoller Weise die Mittel der Satire anwendet, um die tiefere Bedeutung seiner Ausführungen erkennbar zu machen, sei dieser aufschlussreiche „Kommentar" im Folgenden in wörtlicher Übersetzung wiedergegeben:

 

„Wenn mir der Journalismus zum Halse heraus hängen wird, wisst ihr, was ich dann tun werde? Ich werde dann Fremdenführer und werde Touristen durch Schlösser mit Altertumswert führen. Ich denke, dass ich sogar in unserer Wojewodschaft Arbeit finden würde.

 

Ich sehe bereits vor meinem geistigen Auge eine Besuchergruppe und ein altes Schloss. Die Touristen strengen Augen und Gehör an, und ich erkläre: „Und hier, verehrte Besucher, befand sich einst ein im 17. Jahrhundert erbautes Tor. Es ergab sich, dass kein Mähdrescher hindurch fahren konnte, und so erging der Befehl, es niederzureißen. Dies ist der beste Beweis dafür, dass der Adel niemals für den Fortschritt war. Mit Kutschen sind sie herumgefahren, und von Mähdreschern wollten sie nicht einmal etwas hören. Aber gehen wir weiter.

 

In jener Ecke da, verehrte Touristen, wo diese schöne Muttersau liegt, hat einst — wie die Legende verkündet — Ludwig XIV. geruht. Und sicher hat er damals nicht einmal davon geträumt, dass an der gleichen Stelle in einigen hundert Jahren das Staatsgut „Vorwärts, doch niemals zurück“ so schöne Baconschweine züchten wird.

 

Und was sehen wir an diesem Nagel? Ein ganz gewöhnliches Geschirr. Hat es hier immer gehangen? Nein! Denn so lange das Dach unbeschädigt war, hing hier ein echter Rembrandt. Aber nun, das Dach begann endlich undicht zu werden, und der Rembrandt war mit Ölfarbe gemalt; also hat man mit ihm das Loch zugestopft. Und er dichtet das Dach ausgezeichnet ab. Besichtigen kann man ihn allerdings nur noch aus der Vogelschau.

 

Vielleicht gehen wir jetzt hinüber zur Bildergalerie? Die erste von links — das ist unsere ‚Bunte'. 15 Liter Milch täglich. Die nächste — das ist unsere Kuh Kaschka. Sie brüllt und gibt wenig Milch. Die Melkerin hat sogar über ihren Trog ein Bild aufgehängt. Jedoch spricht die Kunst die Kaschka nicht an. So wie sie bisher nur vier Liter täglich gegeben hat, bleibt sie auch weiter dabei. Der Rest der Galerie, Entschuldigung, der Rest der Kühe weiß den Einfluss der ‚Landschaftsbilder' auf die tägliche Milchleistung zu schätzen, dank deren das Staatsgut ‚Vorwärts, doch nie zurück' täglich eine Rekordmenge von Milch an die Molkerei liefert …“

 

Jemand aus der Gruppe fragt, wo der Silo ist: ‚Nun, der Silo befindet sich im alten Familienmausoleum im Park. Die Leitung des Staatsgutes ist nämlich zu der Ansicht gekommen, dass das Futter am besten in Marmor eingesäuert wird. An dieser Stelle möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dieses Schloss einst zwei Flügel besaß. Den ersten Flügel besichtigen wir gerade, und im Zweiten hat es gespukt. Deshalb wurde er für alle Fälle abgebrochen. Jetzt spukt es dort nicht mehr. Aber dafür hat jemand versucht, den Leiter des Staatsgutes mit dem Staatsanwalt zu schrecken. Ha — ha — ha! Da kennt man den Direktor schlecht! Er hat es verstanden, dem herumspukenden Geist ein Schnippchen zu schlagen — und da sollte er nicht mit einem lebendigen Staatsanwalt fertig werden?

 

Was mit den Teppichen passiert ist? Sie wurden als Lumpen abgeliefert. Für die Kühe sind sie nicht erforderlich; denn das Staatsgut ‚Vorwärts, und nie zurück' pflegt die Viehzucht auf kühler Ebene ---

 

Dergestalt also, meine geschätzten Leser, würde ich die Touristen durch die Schlösser führen …“

 

Seite 3   Bischofsburg / Symbol des leidenden Ermlands. Ein Bischofsburger erzählt von seinem Wiedersehen in seiner Heimatstadt.

Unseren heutigen Großbericht über eine ostpreußische Stadt wollen wir in etwas veränderter Weise von unserer bisherigen Methode abfassen. Wollen wir doch unseren Lesern einen unmittelbaren Eindruck von dem Gespräch mit einem Landsmann ermitteln, der dieser Tage das Ermland besuchen konnte und jetzt zurückkehrte. In Westberlin unterhielten wir uns mit ihm über seine Eindrücke. Wir glauben, dass eine möglichst genaue Wiedergabe dieses Gesprächs in diesem Falle für die Leser der „Ostpreußen-Warte“ interessanter ist als unsere sonst chronologisch gehaltenen Berichte.

 

„Ich weiß gar nicht, wo ich zu erzählen anfangen soll“, sagte unser Besucher. „Ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen, was man nach einer solchen Fahrt alles erzählen kann. Überhaupt ist es ein Schock, wenn man das frühere Bischofsburg kennt und heute nach dort kommt...

 

Was einem zuerst auffällt? Wisst ihr, ich war als erstes davon schockiert, so viele Frauen und Kinder auf den Straßen zu sehen, wo sie aus Pumpen und Brunnen Wasser holten. Natürlich erkundigte ich mich. Und was erfuhr ich? In einem ganzen Jahr ist die Bischofsburger Wasserleitung nur wenige Zeit richtig in Ordnung. Die andere Zeit über ist das Leitungsnetz gesperrt, und die Menschen müssen sehen, woher sie was zu Trinken bekommen. Das mutet dann sehr mittelalterlich an, und oft brechen Krankheiten deswegen aus. Ich hatte auch den Eindruck, dass sich so manche der heutigen Bewohner nur dann waschen, wenn das Wasser aus den Hähnen läuft. Das aber ist, wie gesagt, nicht oft der Fall.

 

Nun aber will ich von anderem reden. Bischofsburg ist stark zerstört. Denkt ihr noch an den furchtbaren Januar vor 13 Jahren, als um unsere Stadt gekämpft wurde? Ein halbes Tausend Häuser sanken damals in Schutt und Asche! Und ein weiteres Hundert steckten die Russen an, oder die Polen rissen sie ab. Ihr müsst rechnen, dass von je zehn Häusern heute nur noch vier stehen. Lasst mich darüber schweigen, wie diese erhaltenen Häuser aussehen! In die meisten würde keiner einziehen wollen, bis sie nicht vom Dach bis zum Erdgeschoss gesäubert und renoviert worden sind. Ich bin vielleicht in einem Dutzend von Bischofsburger Häusern gewesen, die heute noch stehen — Privat- und Amtshäuser. Ihr könnt mir glauben, dass ich in jedem dieser Gebäude Wanzen oder anderes kriechende oder springende Ungeziefer gesehen habe . . .

 

Ich ging zuerst bis zum Markt, um mich näher umzusehen. Erst am Markt begann ich, mir alles genauer anzusehen. Nun ist es leider so, dass das Marktviertel im Verhältnis zur übrigen Stadt noch mehr gelitten hat. Ich will nicht alles an Häusern aufzählen, was vernichtet oder verbrannt ist. Es ist einfacher euch zu sagen, was noch steht. Und das ist wenig genug: Apotheke, Haus Rogalla, Kreissparkasse, Haus Burdzy, Haus Rochkowski, Haus Frankenstein und Haus Babiel. Nun werdet ihr euch denken, was alles nicht mehr vorhanden ist. Wenn ihr heute im Marktviertel geht, dann wisst ihr, dass das alte Bischofsburg tot ist und dass wir viel Arbeit haben werden, wenn wir ein neues Bischofsburg aufbauen werden.

 

Nun will ich euch von unserer schönen Pfarrkirche erzählen. Man sieht es gleich, dass auch sie nicht von den Zerstörungen verschont geblieben ist. Der mächtige Turm sieht heute ganz anders aus — er ist wie ein Sinnbild für die zerstörte Stadt unter ihm. Einige Teile fehlen, und sonst sieht man tiefe Löcher. Zwar ist einiges ausgeflickt worden, aber die Turmkuppel mit der Spitze ist nicht mehr aufgeführt worden. Der Turm endet jetzt, wo früher die Kuppel begann. Mut bekommt man wieder, wenn man in das Gotteshaus hineingeht. Da haben die Polen doch ziemlich viel repariert und ganz erneuert. Die beiden polnischen Geistlichen sagen, Staat und Kirche würden viel Geld geben, damit die Pfarrkirche wieder so schön wird wie früher. Gebe es Gott! Gnädiger ist der Krieg mit der evangelischen Kirche umgegangen, die von größeren Schäden verschont geblieben ist. Ich bin aber besorgt, dass man für sie lange nicht so viel tut wie für die Pfarrkirche. Verfallserscheinungen kann man jedenfalls heute schon bemerken. Und vor allem lasst mich davon schweigen, wie die meisten Gräber auf den Gottesäckern aussehen!

 

Was sind das für Menschen, die heute bei uns zu Haus wohnen? Ich möchte annehmen, dass von den vielleicht viertausend Polen (in Bischofsburg lebten bei Beginn des zweiten Weltkrieges 8500 Deutsche) höchstens zehn Prozent dableiben wollen, wenn eines Tages die polnische Verwaltung aufhört und wir zurückkehren. Man findet kaum einen, der sich wohlfühlt. Halten tut sie nichts bei uns. Außerdem geht es ihnen ja auch materiell nicht gut. Wer nicht in der Landwirtschaft arbeitet oder Kaufmann oder Beamter ist, lebt schlechter als bei uns ein Hilfsarbeiter. Neue Sachen kann sich keiner leisten. Alle sehen lustlos und abgerissen aus.

 

Dann trifft man auf Deutsche, die einem gleich auffallen. Viele kommen von draußen, wo sie auf ihren Bauernwirtschaften sitzen, in die Stadt oder sie arbeiten in Bischofsburg als Handwerker. Die ich sprach, wollen alle bleiben. Sie sagen, dass sie so lange bleiben, bis die Polen rausziehen. Da ist wohl mancher lustlos im Reden, aber im Dortbleiben und Aushalten sind sie stark!

 

Einer erzählte mir, dass es seine größte Angst ist, einmal krank zu werden. In ganz Bischofsburg findet ihr heute nur einen einzigen polnischen Arzt. Das Krankenhaus verdient seinen Namen gar nicht. Das ist nur eine bessere Krankenstation. Arzt und Station können nur kleine Sachen behandeln und Erste Hilfe leisten. Wer ernstlich etwas hat, muss in ein Krankenhaus der umgebenden Städte geschafft werden. Ich habe mir die Arztpraxis und die Krankenstation angesehen. Also, da möchte ich wirklich nicht hineinmüssen! Was für eine Überfüllung! Arzt und Schwestern arbeiten wie die Pferde und kommen doch nicht gegen die vielen Patienten an, die oft einen ganzen Tag warten müssen. Und wie viele Menschen sind wegen der schlechten Lebensverhältnisse krank! Das ist ein großes Elend, und man kann diese armen Menschen nur bedauern. Sie sind schlimm gestraft, in unserer Heimat zu leben.

 

Natürlich haben die Polen auch etwas gebaut in Bischofsburg. Doch das ist sehr wenig. Wenn ich vorhin sagte, was man von den alten Bauten noch sehen kann, dann will ich jetzt berichten, was man an Neubauten sieht. Das ist einmal ein größeres Haus am Markt, wo die Polen staatliche Läden eingerichtet haben. Doch ist dort noch längst nicht alles fertig. Während unten schon provisorisch verkauft wird, sind in den oberen Stockwerken die Handwerker noch am bauen und zimmern.

 

Was weiter Neubauten betrifft, so sieht man am Markt die ersten Ansätze zum Wiederaufbau der Seite, wo die Apotheke noch steht. An dieser Seite sind Fundamente in den Lücken ausgehoben worden, wo neue Häuser entstehen sollen. Vor 1959 wird dort aber nichts Wesentliches zu sehen sein. Es scheint auch so — wie ich hörte —, dass sich die polnischen Architekten noch gar nicht einmal darüber im Klaren sind, ob man diese Häuser so wie früher oder in ganz neuem Stil errichten will. Die polnische Verwaltung drängt natürlich nach einem diesbezüglichen Gutachten des Wohnungsamtes darauf, man möge die Neubauten im Stil von kleineren Wohnblocks bauen. Unter diesen Umständen nämlich wäre man in der Lage, dort mehr Menschen unterzubringen. Das Architektenbüro, das für den Neuaufbau verantwortlich ist, hat diese Häuser aber ziemlich in ihrer früheren uns bekannten Form geplant.

 

Ein weiteres Neubaugebiet stellen die Grundstücke der Landsleute Schultz und Mecklenburg — ebenfalls im Marktviertel — dar. Dort werden nicht die alten Häuser wieder aufgebaut, sondern man baut so eine Art von modernen Mietskasernen nach polnischer Manier. Die Häuser sehen wenig schön aus. Verputz gibt es entweder gar nicht oder er ist bereits wieder abgefallen. Obwohl diese Häuser — eigentlich muss man an dieser Stelle von einem größeren Hauskomplex sprechen — noch ziemlich neu sind, sehen sie bereits reichlich verwahrlost aus. Auch das ist typisch für die Polen in Bischofsburg! Neue Sachen wie Häuser unterscheiden sich schon nach kurzer Zeit kaum noch von Altbauten. Es wird alles ziemlich schnell hingehunzt und nicht geachtet. Daher muss man auf den ersten Blick auch zu dem Eindruck gelangen, in Bischofsburg sei überhaupt nichts neues entstanden.

 

Viel besser gefiel es mir dagegen in der Siedlung am Kraxsee. Dort ist der Verfall bei weitem nicht so fortgeschritten wie anderswo! Fast alle der alten Häuschen kann man dort noch finden. Man sieht auch keine abgeschlagenen Fenster, schadhafte Dächer usw. Ja, dort haben die Polen sogar die Vorgärten nicht verwahrlosen lassen. Sähe man dort jetzt nicht die fremden Menschen und hörte die fremden Laute, dann könnte man sich durchaus vorstellen, es sei eigentlich alles noch so wie früher!

 

Komisch sieht es dagegen auf dem Viehmarkt aus, wo die Polen heute ihre Bauern- und Stadtmärkte mehrmals wöchentlich abhalten. Dort merkt man am deutlichsten, dass Bischofsburg eine Stadt unter polnischer Verwaltung geworden ist. Auf dem Viehmarkt ist heute alles anders als zu unserer Zeit — ein einziger großer Trödelmarkt, wobei es den angebotenen Nahrungsmitteln gar nicht bekommt, dass sie inmitten von Schund und Plunder verkauft werden. Zu unserer Zeit wäre ein solcher Markt nach wenigen Minuten von der Gesundheitspolizei oder anderen Institutionen geschlossen worden!

 

Doch weiter zu den Bauten bei uns zu Hause. Mir fällt gerade ein, dass das Magistratsgebäude von den Polen renoviert worden ist. Auch drinnen fand ich einige Veränderungen, als ich dort einmal Devisen wechseln musste. In diesem Gebäude ist jetzt die polnische Bank. Nun mal zu den Kasernen. Daran ist einiges gebaut worden. Auch mussten von der Stadt Wohnungen errichtet werden, in die nur Familien von Offizieren einziehen durften. Das hat eine Menge Ärger gegeben. Immer wieder habe ich davon gehört. Zieht mal solch eine Familie aus, dann muss gleich die Miliz die leere Wohnung bewachen, weil sonst irgendeine polnische Zivilisten-Familie einzieht und weil es danach natürlich viel Ärger gibt. Wegen solcher Sachen ist es ja mancherorts in Ostpreußen schon zu kleinen Stadt-Revolutionen gekommen. Auch sind diese Häuser besonders verschlossen.

 

Anders ist es auch in unserem Kreisamtsgebäude geworden. Man hat dort Umbauten vorgenommen. Ich fand mich erst gar nicht zurecht. Die Beamten waren aber sehr höflich und machten keinerlei Schwierigkeiten. Auch Verlängerung meines Aufenthaltes boten sie mir gleich an. Ich hatte eine Reihe von Postkarten aus Bischofsburg dabei, die vor dem zweiten Weltkrieg aufgenommen worden waren. Das interessierte sie sehr. Da kamen auch gleich zwei Höhere, um zu sehen. Einer der Leute sagte hinterher, dass ich wohl nicht viel von ihrer Verwaltung halten würde. Ich sagte dazu auch ganz ehrlich ja. Da meinte der Mann, von ihnen — also den Polen — könne man ja auch wenig Interesse erwarten. Es sei eben doch so, dass viele polnische Menschen glaubten, die Verwaltung höre eines Tages auf. Der Mann war sehr offen. Er sagte mir noch, ich könne in der Bundesrepublik sagen, dass es wenige Polen gebe, die wegen Ostdeutschland in den Krieg gegen Deutschland ziehen würden.

 

Ich sah mir am Schluss noch mal den Markt an, weil mir einer auf dem Kreisamt gesagt hatte, es gebe auch noch einen weiteren Neubau. Das war bei Reblin, wo auch so ein neues Mietshaus aufgebaut worden ist. Dann ging ich noch mal durch die Stadt zurück. In der Spiering-Straße fand ich den Bürgersteig und Teile der Straße aufgerissen. Warum, weiß ich nicht. Arbeiter waren keine zu sehen. Das Kriegerdenkmal ist nicht mehr so wie wir es kennen. Die Polen haben dort für sich irgendein Gedenkmal aufgestellt. Auch unser Nepomuk hat einen neuen Platz gefunden. Er ist von der Brücke fort und befindet sich jetzt an einem Haus in der Königsberger Straße. Das Krankenhaus ist noch da, wie ich wohl schon angedeutet habe.

 

Sonst aber war dieser Rückweg noch einmal herzbeklemmend, wenn man daran dachte, was an dieser oder jener Stelle früher einmal gestanden hat und wie damals alles aussah. Doch das war einmal, und es wird für uns viel Arbeiten kosten, dass einmal alles so wird wie früher!"

 

Seite 3   Kaschuben erstreben kulturelle Autonomie.

Seit dem letzten Kriege haben Vertreter der kleinen kaschubischen Minorität immer wieder darauf gedrungen, dass ihnen größere Selbständigkeit auf kulturellem Sektor gewährt wird. Nach 1956 wurde ihnen vom Gomulka-Regime eine eigene Zeitung zugestanden sowie die Abhaltung von Volkstumsabenden. Neuerdings machen sich auch politische Selbständigkeitsbestrebungen bemerkbar, die von Warschau aus jedoch mit starkem Misstrauen beobachtet werden. Man ist nur zu einem Entgegenkommen bereit, wenn die Kaschuben ausdrücklich ihre enge Verbundenheit mit dem slawischen Volkstum dokumentieren wollen. Hieran fehlt es jedoch gerade, da ein großer Teil der kaschubischen Bevölkerung pro-deutsch eingestellt sind und die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und besonders vor dem ersten Weltkrieg als „gute alte Zeit" hinstellt. Aus diesem Grunde hat man die Selbständigkeitsbestrebungen der Kaschuben, die man hauptsächlich im Raume Danzig-Gdingen beobachten kann, in Warschau mit wenig Freude zur Kenntnis genommen.

 

Seite 3   Fundamente ohne Mauern

Der Schulbau und die Errichtung von kulturellen Neubauten zeichnen sich in verschiedenen Kreisen Masurens durch unüberlegtes, chaotisches Planen sowie durch mangelnde Koordinierung mit sonstigen Plänen aus. Entweder nehme man Bauten in Angriff, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wie man sie fertigstellen könne, oder man sehe sich plötzlich dem Mangel von Baumaterialien gegenüber So stellt die Zeitung „Glos Olsztynski" in einer bewegten Klage fest, die an die

Adresse der Bauunternehmer und der Kreisplanüngsämter gerichtet ist. Es gibt — dem polnischen Blatt zufolge — heute in Südostpreußen „mindestens zwei Dutzend Objekte", die „mit viel Elan in Angriff genommen wurden", die nun jedoch ungenutzt und unfertig dastehen: „Gemeindehaus - Fundamente ohne Mauern, Kulturpavillons ohne Fenster und Türen, Schulen ohne Dach" legten von unbedachter Planung Zeugnis ab. Manche dieser unfertigen Bauten würden seit Jahren durch eigens für diesen Zweck angestellte Wächter bewacht, andere seien dem Verfall völlig preisgegeben. Hunderttausende von Zloty gingen auf solche Art jahraus, jahrein verloren.

 

Seite 3   Riesige Verluste in Danzigs Molkereien

Einem Bericht der in Danzig erscheinenden polnischen Zeitung „Dziennik Baltycki" zufolge, hat eine Inspektion der Molkerei-Genossenschaften in Danzig ein enttäuschendes Ergebnis gehabt. Es wurde nämlich festgestellt, dass der „Schwund" an Molkereiprodukten seit April in geradezu unvorstellbarer Weise angestiegen ist. Während im April „10 000 Fett-Einheiten" irgendwohin „verschwanden", waren es im Mai 33 000, im Juni 158 000 „Einheiten". Der Rekord wurde aber erst im Juli erreicht: In der ersten Monatshälfte allein wurde ein „Schwund" von 132 000 „Einheiten" verzeichnet. .Auch der sanitäre Zustand der kontrollierten Molkereien erwies sich als unbefriedigend", und alle Schuldigen seien nur mit „milden Verweisen" bestraft worden, heißt es in dem polnischen Bericht abschließend.

 

Seite 3   Kurzberichte aus der Heimat.

Schiffsbau-Programm

Die Danziger Werft will in diesem Jahr den ersten Tanker mit 18 000Tonnen und einer Länge von 177 m bauen. Es soll das größte Schliff werden, das bisher auf polnischen Werften gebaut worden ist. Bis 1961 soll die Danziger Werft insgesamt sechs solcher Tankschiffe fertigstellen.

 

Einzelgehöfte an Stelle von Staatsgütern

In der Wojewodschaft Allenstein wurde bekanntgegeben, dass in diesem Jahr der bisher von Staatsgütern bewirtschaftete Boden in 650 Einzelgehöfte aufgeteilt werden soll. Die Ernteergebnisse der Staatsgüter blieben bekanntlich stets weit unter der Norm, nun versucht man, auf diese Weise Abhilfe zu schaffen.

 

USA-Spenden in Danzig festgehalten

Kleiderspenden aus den Vereinigten Staaten im Werte von 500 000 Dollar, die zur Verteilung durch kirchliche Behörden an bedürftige Gemeindemitglieder bestimmt waren, werden von der polnischen Verwaltung immer noch in den Hafenspeichern von Danzig festgehalten. Kirchliche Kreise in Warschau bestätigten amerikanische Informationen, wonach es bisher zu keiner Verständigung zwischen Kirche und Staat über die Verteilung der Spenden gekommen ist.

 

Verhaftungen im Danziger Hafen

Schon seit 1954 haben ausländische Firmen und polnische Handelsstellen im Auslande Klage über unvollständige Lieferungen führen müssen, berichtet die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Dziennik Baitycki", und zwar habe es sich um Textilwaren gehandelt, die über Danzig verschifft wurden. Auf Grund der Reklamationen musste der polnasche Staat Entschädigungen im Wert von 700 000 Zloty — in Devisen — zahlen. Erst jetzt sei es gelungen, eine Anzahl von Hafenbeamten und Magazinverwaltern zu überführen die die Ladungen beraubt und Teile der wertvollen Güter beiseite gebracht haben. Insgesamt wurden bisher fünfzehn Personen verhaftet.

 

Touristen-Zentrum erster Ordnung

Mit Vermessungs- und Ausgrabungsarbeiten größeren Stils wurde an mehreren historischen Stätten Südostpreußens begonnen. Wie das AIlensteiner Wojewodschaftsamt bekanntgab sollen an mittelalterlichen Kriegsschauplätzen, so vor allem bei Tannenberg, "Touristen-Zentren erster Ordnung" entstehen. Unter anderem ist die Errichtung von Hotels, Camping-Bauten und Garagen geplant.

 

Ostpreußisches Seengebiet beliebt

In diesem Sommer setzte ein Massensturm auf die masurischen Kurorte in Ostpreußen ein. Nikolaiken und Lötzen sind bei den polnischen Urlaubern und Touristen am beliebtesten. Sonderzüge und Omnibusse des polnischen Reisebüros „Orbis“ bringen die vorwiegend staatlichen Urlauber an das ostpreußische Seengebiet. Darunter befinden sich viele Wassersportler, die auf dem Spirdingsee ideale Möglichkeiten vorfinden. Seefeste mit Lampionbeleuchtung und Tanzturnieren hatte die polnische Kurverwaltung in dieser Saison vorgesehen.

 

Naturschutzgebiete.

In den letzten Jahren sind in der heutigen ostpreußischen Wojewodschaft Allenstein 45 Naturschutzgebiete mit einer Fläche von 5000 Hektar entstanden. Elf dieser Naturschutzgebiete sind der Vogelwelt vorbehalten.

 

Seite 4   Geschenksendungen für Deutsche in der Sowjetunion.

Alle Personen, die nach den Vereinbarungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik als Deutsche in der Sowjetunion verschiedener Kategorien gelten, können Geschenksendungen erhalten. Für die Einbeziehung in die Hilfsmaßnahmen ist die Bedürftigkeit ausschlaggebend, die sich insbesondere aus dem Alter, aus Krankheiten und aus einer hohen Zahl von Kindern bei kargen Einkommensverhältnissen ergibt.

 

Über Unterlagen darüber verfügen die vier helfenden Wohlfahrtsverbände — nämlich das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt (Hauptausschuss Bonn), der Deutsche Caritasverband (Caritas-Kriegsgefangenenhilfe Freiburg) sowie das Evangelische Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene in München — die Heimatortskarteien, die Landsmannschaften sowie die deutsche Botschaft in Moskau.

 

Seit einiger Zeit besteht die Möglichkeit, Geschenkpakete durch das Intourist-Büro in Ost-Berlin sowie durch verschiedene ausländische Liebesgaben-Versandunternehmen vorverzollen und versenden zu lassen. Durch eine solche Vorverzollung wird dem Empfänger in der Sowjetunion die Pflicht abgenommen, die hohen Zollgebühren zu entrichten. Oft nämlich konnten die Gebühren nicht aufgebracht werden, so dass die Pakete zurückgehen mussten.  Schon aus diesem Grunde empfiehlt es sich für die Absender, von den Möglichkeiten der Vorverzollung Gebrauch zu machen.

 

Außerdem kann die deutsche Botschaft in Moskau durch Geldunterstützungen den Deutschen wirksame Hilfe leisten. Sie übernimmt die Kosten der Reise, wenn diese von den Personen, die bereits eine Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik erhalten haben, nicht getragen werden können. Wenn Deutsche in der Sowjetunion sich in einer Notlage an die Botschaft wenden, werden auch sie mit Geldbeträgen unterstützt. Bitten um eine derartige finanzielle Hilfe — für die Rückführung oder für die Unterstützung in einer Notlage — müssen an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau, Ul Bolschaja-Grusinskaja 17, gerichtet werden.

 

Seite 4   Urkunden aus der DDR

Entgegen irrigen Auffassungen können standesamtliche Personenstandsurkunden von Heimatveririebenen, Umsiedlern und Heimkehrern nach folgendem Verfahren aus der DDR bezogen werden:

 

Die in der Bundesrepublik einschließlich des Landes Berlin wohnhaften Antragsteller aus dem vorstehend erwähnten Personenkreis können im Bedarfsfalle durch die Standesbeamten der DDR, die dort „Beauftragte für Personenstandswesen" heißen standesamtliche Personenstandsurkunden bei dem für ihren Wohnsitz zuständigen Standesbeamten in der Bundesrepublik einschließlich Westberlins beantragen. Der Antrag wird an den Beauftragten für das Personenstandswesen weitergeleitet. Dieser stellt die Urkunde kostenlos aus und übersendet sie dem Standesamt in der Bundesrepublik. Hier erfolgt die Aushändigung bei Einziehung der entsprechenden Gebühr.

 

Von den Standesämtern im Bundesgebiet einschließlich Westberlin werden Urkunden, die den Standesämtern in der DDR beantragt werden, ebenfalls zunächst kostenlos ausgestellt und den sowjetzonalen Dienststellen übersandt. Urkunden, die von Einwohnern der DDR unmittelbar bei den westdeutschen bzw. Westberliner Standesämtern angefordert werden, werden in jedem Falle wegen der Gebührenverrechnung an das für den Wohnsitz des Antragstellers zuständige Standesamt abgegeben. Die vereinnahmten Gebühren verbleiben bei dem Standesamt, das die Urkunden ausgehändigt hat. Für die Urkundenanforderung aus der DDR muss erfahrungsgemäß mit einer Laufzeit von etwa zwei bis vier Wochen gerechnet werden.

 

Seite 4   Familiensendungen wieder erlaubt

Das Ostberliner Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs hat eine Ende August getroffene Verfügung wieder rückgängig gemacht, nach der der Versand von Familiensendungen verboten worden war. Die Paketkontrollämter in der Sowjetzone sind angewiesen worden, keine Einwände gegen diese Sendungen zu erheben, sofern damit die Bestimmungen über den Paketverkehr eingehalten werden. Nach diesen Bestimmungen dürfen Bewohner der Sowjetzone einmal monatlich eine Familiensendung empfangen oder zum Versand bringen. Bei den Familiensendungen handelt es sich um Pakete, die zwischen Familienangehörigen in beiden Teilen Deutschlands, meist mit Wäsche oder Kleidungsstücken zwecks Reinigung und Ausbesserung, verschickt werden.

 

Seite 4   Zehn Jahre Lastenausgleichsausschuss

Zum zehnjährigen Bestehen gab der Lastenausgleichsausschuss seiner 100. Sitzung im Presseklub zu Bonn ein stilvolles festliches Gepräge.

 

Dem Lastenausgleichsausschuss, der vom Bund der vertriebenen Deutschen ins Leben gerufen wurde, gehören heute die Vertreter aller Vertriebenen und Kriegssachgeschädigtenverbände und der Landsmannschaften an. Der Vorsitzende des Ausschusses, Dr. Neuhoff, konnte alle, die von Amtswegen da sein mussten, und die dem Ausschuss freundschaftlich gesinnt sind, und mit ihm seit Jahren auch verbunden, begrüßen. Aber es schien, dass alle die Anwesenden mehr als eine pflichtgemäße Reverenz erwiesen und durch ihr Dasein die Wichtigkeit und damit auch den Dank für eine langjährige selbstlose Arbeit den Mitgliedern des Ausschusses abstatten wollten. Bundesfinanzminister Etzel, Bundesvertriebenenminister Prof. Dr. Dr. Oberländer, Staatssekretär Nahm, Präsident des Lastenausgleichsamtes Dr. Kaess, der Direktor der Lastenausgleichsbank Dr. Ziemer, Dr. Linus Kather, Reichsminister a. D. von Keudell, Bundesminister a. D. Waldemar Kraft und viele andere prominente Mitglieder aus Wirtschaft und Politik waren unter den Gästen.

 

Aus den Reden klang viel Dank, aber auch mancherlei Kritik und wohlgeformte Forderungen für die Zukunft.

 

Noch einmal wurde die Schwierigkeit der Materie, mit der man sich hier zu befassen hat, klar umrissen und Bundesminister Prof. Dr. Oberländer hatte recht, wenn er die Arbeit des Ausschusses und den ganzen Komplex des Lastenausgleichs als eine Arbeit ohne geschichtliches Beispiel in seiner Rede darzustellen wusste. Die große Sorge über die Verschlechterung der Sozialstruktur klang aus seiner Rede ebenso stark hervor wie aus der des Präsidenten des Lastenausgleichsamtes, Dr. Kaess, des Direktors der Lastenausgleichsbank und auch aus den Worten von Bundesminister a. D. Kraft. Zahlen, wie diese, dass von 400 000 selbständigen Bauern heute 56 Prozent abhängige Arbeiter sind und dass von der großen Zahl der Selbständigen unter den Flüchtlingen heute nur noch ein Fünftel selbständig tätig ist, das sind Zahlen, die sehr nachdenklich stimmten.

 

Seite 4   Umsiedlung jetzt auch noch „Ferntrauung“

Auf eine Leseranfrage hin teilt die deutschsprachige Breslauer Wochenzeitung „Die Woche in Polen" mit, dass neuerdings auch „Ferntrauungen" zwischen Partnern im Bundesgebiet und in den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten möglich seien, nach deren Vollzug der Umsiedlung des Partners nach Westdeutschland nichts mehr im Wege stehe.

 

Der in der Bundesrepublik ansässige Partner müsse seine Unterlagen, durch Bundesbehörden und die Westberliner polnische Militärmission bestätigt, an den Ehepartner absenden, der sie von einem vereidigten Dolmetscher übersetzen lässt. Er bevollmächtigte außerdem einen „Stellvertreter", der ihn beim polnischen Standesbeamten vertreten soll. Der Partner in Westdeutschland hat Namen, Geburtstag und -ort, sowie die entsprechenden Angaben über seine Eltern mitzuteilen. Nach nochmaliger Prüfung aller Dokumente durch das zuständige polnische Kreisgericht in den Oder-Neiße-Gebieten gebe dieses seine Zustimmung zur „Ferntrauung" mit dem in der Bundesrepublik ansässigen Partner. Nach vollzogener „Ferntrauung" erfolge dann die Umsiedlung im Zuge der Familienzusammenführung.

 

Seite 4   40 Jahre Mutterhaus Bethanien

Das Evang.-luth. Diakonissen-Mutterhaus Bethanien, das nach seiner Vertreibung aus Lötzen (Ostpr.) in die hannoversche Landeskirche kam und jetzt in Quakenbrück seine Wirkungsstätte hat, beging am 5. Oktober sein 48. Jahresfest. In dem festlichen, auch von der Quakenbrücker Gemeinde stark besuchten Erntedankfest-Gottesdienst hielt Pastor Maltusch, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes der Inneren Mission, die Predigt. Anschließend segnete der Vorsteher des Hauses, Pastor Kueßner, vier Jungschwestern zum Diakonissenamt ein, und zwar die Schwestern Käthe Hoffmeister, Doris Kirn, Renate Noller und Hilda Schirmanski. Auch von den Außenstationen, so aus dem Emsland, aus Hamburg und Wanne-Eikel, waren zu diesem Festtag Bethanien-Schwestern nach Quakenbrück gekommen. Am Abend berichtete der Vorsitzende der Anstalt, Präsident D. Adolf Wischmann, einem großen Hörerkreis über seine Eindrücke und Begegnungen auf einer Reise nach Afrika.

 

Seite 4   „Und woher das Geld zum Bauen/Kaufen!"

Von Fritz Wübbenhorst, öffentl. best, und vereid. Sachverständiger, Oldenburg (Oldb.), Lange Str. 7. Selbstverlag. 17. Auflage, 91 Seiten, Stand 30.09.1958, Preis DM 3,--.

Nach 3 Jahren erschien diese Schrift jetzt schon in 17. Auflage, inzwischen noch wesentlich ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht. Von einem erfahrenen Praktiker für die Praxis geschrieben, ist auf 91 Seiten der umfangreiche Stoff klar und übersichtlich dargestellt. Auch wir sind mit dem Bundeswohnungsbauminister davon überzeugt, dass die Schrift allen gute Dienste leisten wird, zumal das Zweite Wohnungsbaugesetz und die neuesten Förderungsbestimmungen des Sozialen Wohnungsbaues in besonderen Kapiteln eingehend behandelt sind.

 

Seite 4   Neuerscheinungen des „Karlsruher Boten“

Wir möchten heute auf vier weitere Neuerscheinungen aus der Werkstatt des „Karlsruher Boten“ hinweisen: Sergius Golowin: BERNER JOHANNIS, Kleine Prosa für Kinder und die es wieder werden wollen (DM 2,--); GESCHICHTE DER FRÜHE. Eine Sammlung junger Stimmen der im Kriege Geborenen (DM 3,--): Hermine Maierheuser: DTE RHEIN-KIESELKETTE, Märchen, Sachen und Erzählungen für Kinder von zehn bis hundert Jahren (DM 3,--). Alle vorstehenden Bände mit zahlreichen ganzseitigen Farblinolschnitten von Fritz Möser. Wilhelm Tochtermann: RECREATIO IN VITAM. Ein Zyklus von Sinngedichten (DM 2,--).

 

Seite 4   Elbinger Heimatbrief

Der neue Elbinger Heimatbrief (Folge 9) steht diesmal unter dem Titel „Deutsche Heimat im Osten“. Der Auswahl gelingt es, die Stadt Elbing in die großen Zusammenhänge ostdeutschen Schicksals zu stellen. Aus dem Kreis der Mitarbeiter möchten wir nur einige Namen hervorheben, um zu zeigen, auf welch schönem Niveau sich auch diese Folge des Heimatbriefes wieder befindet: Paul Fechter, Agnes Miegel, Ottfried Graf Finckenstein, Martin Damß, Heinrich Eichen. Zahlreiche Illustrationen begleiten die Texte. Dem Herausgeber Bernhard Heister muss für dieses gelungene, nun schon im neunten Jahrgang stehende Werk gedankt werden. Bestellungen direkt an den Herausgeber: Bernhard Heister, Berlin-Steglitz, Kühlebornweg 17/II. 52 Seiten, farbiger Umschlag, DM 1,25.

 

 

Seite 4   Staatssekretär Dr. Nahm über ostdeutsche Künstler

Die ostdeutschen Künstler sind nicht versunken in Selbstbespiegelung und Mitleid mit sich selbst. Sie haben erkannt, dass ihre besondere Berufung ebenso im Tragen und Bringen, wie auch im Suchen und Nehmen besteht, dass sie das spezifisch Ostdeutsche an der deutschen Kultur lebendig erhalten müssen. Sie sind Elemente des deutschen Geistes- und Kulturschaffens das ohne das Fortleben und Fortwirken der östlichen Quellgebiete der Verkümmerung anheimgegeben wäre . . . Aus der Bewahrung und dauernden Funktion der alten Gewichte, aus dem Fließen der alten Quellgebiete erfährt Westdeutschland eine Bereicherung, und der Osten bleibt in seiner unentbehrlichen Funktion für die eine deutsche Kultur. Darum ist die vom gläubigen Optimismus getragene Arbeit der Künstlergilde lebendiges, zukunftsträchtiges Gesamtdeutschland.

 

Seite 4   300-Jahresplan für Danzig.

„Große Heiterkeit" riefen, einem polnischen Bericht zufolge, Ausführungen des Vorsitzenden der „Städtischen Kommission für Bauwesen und Kommunalwirtschaft" in Danzig, Wladyslaw Mylosz, hervor, der in einer Sitzung des polnischen „Städtischen Volksrats" erklärte, das „Ressort für Energiewirtschaft" arbeite gegenwärtig einen Dreihundert-Jahres-Plan für die Verbesserung der Straßenbeleuchtung Danzig aus. Mylosz führte aus, es werde von nun an alljährlich ein Kilometer städtischer Straßen mit Beleuchtung versehen werden. Da die Länge der Straßen in Danzig insgesamt 300 Kilometer betrage, werde also die Straßenbeleuchtung in 300 Jahren perfektioniert sein. In dem polnischen Bericht wird hierzu ironisch bemerkt, dies sei fürwahr „eine klare Rechnung".

 

Seite 4   Das „Archiv für Grundbesitz e.V." in Bad Ems, Römerstraße 34, bearbeitet Grundbuchfragen und Grundstücksrechte von Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen.

 

 

Seite 4   Lastenausgleich auf Umwegen

Über eine neue Möglichkeit zur Beschleunigung des Lastenausgleichs wird zur Zeit in Bonn verhandelt. Bundesvertriebenenminister Prof. Oberländer hat Besprechungen mit den Bausparkassen eingeleitet, um folgendes Verfahren zu verabreden: Entschädigungsberechtigte sollen Gelegenheit erhalten, ihren Anspruch auf Hauptentschädigung ganz oder teilweise an eine Bausparkasse abzutreten. Die Bausparkassen sollen vom Bundesausgleichsamt die Zusicherung erhalten, dass sie mit bestimmten jährlichen Mindestzahlungen aus diesen abgetretenen Ansprüchen rechnen können. Dafür sollen sich die Bausparkassen bereit erklären, den betreffenden Geschädigten unter besonders günstigen Bedingungen den Wohnungsbau oder den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser zu ermöglichen.

 

Seite 4    Arbeitslosigkeit der Vertriebenen

Der Anteil der Vertriebenen an der Gesamtarbeitslosigkeit im Bundesgebiet nach dem Stand vom 30. Juni 1958 ist noch immer höher als wie der Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Vertriebenen am 30.06.1958 an der Gesamtarbeitslosigkeit im Bundesgebiet betrug 20,1 v. H., der an der Gesamtbevölkerung am 01.04.1958, 18,1 v. H. Die Arbeitslosigkeit der Vertriebenen muss also noch stärker zurückgehen.

Seite 4    Umsiedlung aus Polen erschwert

Die in Breslau erscheinende deutschsprachige Wochenzeitung „Die Woche in Polen" teilte mit, dass eine Umsiedlung von Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten in die Bundesrepublik auch weiterhin möglich sei. Hingegen sei die sogenannte „Familienzusammenführung", die sich hauptsächlich auf die Zusammenführung von Familienangehörigen ersten Grades erstreckt, im Wesentlichen abgeschlossen. Das Blatt bestätigt, dass die polnischen Behörden in der jetzigen Wojewodschaft Oppeln seit dem 9. September keine Anträge auf Familienzusammenführung mehr entgegennehmen. Es gebe jedoch noch die Möglichkeit, sich um die Umsiedlung beim Passbüro der Wojewodschafts-Kommandantur der Bürgermiliz in Oppeln zu bemühen. „Die Woche in Polen" kündigt an, dass in Kürze neue zentrale Bestimmungen zur Ausreise der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten bekanntgegeben werden sollen. Künftig werden jedoch bei der Umsiedlung in die Bundesrepublik sämtliche Vergünstigungen, die bisher im Rahmen der Aktion Familienzusammenführung bestanden, entfallen. Jeder Deutsche werde dann wie ein polnischer Staatsbürger behandelt, der sich ins westliche Ausland begibt, wofür Passgebühren in Höhe von 2000 Zloty (etwa zwei Durchschnitts-Monatseinkommen) entrichtet werden müssen.

 

Seite 4   Für Heimatveranstaltungen stellt sich mit Vorträgen ernster und heiterer Art Hermann Bink (früheres Mitglied des Stadttheaters und Mitarbeiter beim Sender Königsberg) aus ideellen Gründen unentgeltlich zur Verfügung. Nur die Fahrtkosten vom Wohnort werden beansprucht. Anschrift: Hermann Bink, Göttingen. Telefon 5 99 71, Waldheim der Mittelschule a. d. Warteburg.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 11. November 1958.

 

Foto: Abgebildet ist ein Kriegsgräberfeld.

 

Seite 5   Von Goethe zu Eckermann.

Es ist mit dem Nationalhass ein eigenes Ding. Auf den untersten Stufen der Kultur wird man ihn immer am stärksten und heftigsten finden. Es gibt aber eine Stufe, w er ganz verschwindet und wo man gewissermaßen über den Nationen steht, und man ein Glück oder ein Wehe seines Nachbarvolkes empfindet, als wäre es dem eignen begegnet.

 

Seite 5   Wenn der Ostwind weht. Von Hanna Stephan.

Wenn der Ostwind weht

Aus der eiskalten Ferne,

Wenn der Ostwind weht

Und den Mond und die Sonne jagt

Und die klirrenden Sterne —

Ach, wie ginge ich gerne

Ihm entgegen bei Tag und Nacht.

 

Würde frieren nicht

Und auch nicht irregehen,

Mein Herz ist lauter Licht,

Brennt und brennt bei Tag und bei Nacht:

Möchte noch einmal sehen,

Wie die Eisbüsche wehen,

Da sie des Kindleins Bett gemacht.

 

Hab mein Kind geborn

Irgend an einem Raine —

Hab es auch verlorn.

Weiß ich ewiglich, wo es war.

War unterm Mondenscheine.

Mond flocht Edelsteine —

Tränentotenkranz ihm ins Haar.

 

Klirrt der Pferdehuf,

Schrien die schwarzen Raben,

Droht des Nachbars Ruf:

Floh der Tross mit dem Ostwind fort.

Hat man mein Kind begraben,

Und nur die Flocken haben

Zärtlich geschmückt den armen Ort.

 

Liebe ich den Schnee,

Und die eiskalten Winde

Tun mir nie mehr weh,

Ist das weite weiße Land

Wiegenbett meinem Kinde

Rufe ich leise und finde

Silbernen Schneestern auf meiner Hand.

 

Seite 5   Aus unserer Bücherkiste.

Liebe Leseratten!

Alle unsere heute aus der großen Bücherkiste gegriffenen Bände wollen euch in die weite Welt entführen, zu anderen Völkern und über die Meere in andere Erdteile.

 

Da sind zunächst drei Bücher, die ursprünglich in fremden Sprachen erschienen sind, und dann eigens für die Kinder in Deutschland übersetzt wurden. Alle drei berichten von seltsamen Begebenheiten jenseits der Grenzen, aber nicht nur der Grenzen unseres Vaterlandes, sondern auch jenseits der Grenze zwischen der Wirklichkeit und dem Märchenland. Obwohl sie für Kinder von sieben bis acht Jahren aufwärts bestimmt sind, werden daran auch die Älteren ihren Spaß haben. Als erstes nennen wir:

 

DER STARKE PETER. Eine slowenische Volkssage, erzählt von France Bevk, mit bunter Vorsatzkarte und vielen Zeichnungen von Heinz Aulig. Ensslin & Laiblin Verlag, Reutlingen. 108 S., Hln. DM 4,93.

Vor ungefähr 700 Jahren bedrohte ein gewaltiges Mongolenheer das Ungarland. In höchster Not — so erzählt die slowenische Volkssage — rettete ein Hirtenjunge aus dem Bergdorf Ossilnitza (im heutigen Jugoslawien) den Ungarnkörnig und seine Krieger vor dem sicheren Untergang. Dieser Junge hieß Peter Kiepetz. Wie er zunächst von seinen Kameraden als Schwächling verspottet wird, dann aber buchstäblich über Nacht auf wunderbare Weise in den Besitz wahrer Riesenkräfte gelangt; wie er sich bei den Dorfgenossen Respekt verschafft, wie er dem König Bela gegen die Mongolen beisteht, und wie er zu guter Letzt auch noch die Ungarn aus seiner slowenischen Heimat hinauswirft: das ist eine zugleich spannende und lustige Geschichte, die euch bestimmt gefallen wird.

 

Die beiden anderen Bücher stammen aus Finnland. Eine junge schwedische Malerin hat sie geschrieben und ist dafür voriges Jahr im Rahmen des „Hans-Christian-Andersen-Preises" ausgezeichnet worden. Wie diese beiden Bücher heißen? Hier ihre Titel:

 

EINE DROLLIGE GESELLSCHAFT und STURM IM MUMINTAL. Zwei reizende Kinderbücher von Tove Jansson, von der Verfasserin selbst Illustriert, Benziger Verlag, Köln. Jeder Band 160 S., Ln. DM 6,80.

 

Das Mumintal liegt einsam inmitten der weiten Wälder und Felsenberge an der finnischen Meeresküste. Dort, wohin sich nicht einmal die Jäger und Waldläufer verirren, haust die Muminfamilie. Die Mumins sind Trolle, winzige Märchenwesen von merkwürdigem Aussehen und noch merkwürdigeren Gewohnheiten. Sie und ihre Freunde — das eitle Snorkmädchen, der reiselustige Schnupferich, die furchtsame Filifjonka und viele andere — erleben von Tag zu Tag neue und manchmal nicht ungefährliche Abenteuer. Einmal finden sie den Hut eines Zauberers, mit dessen Hilfe sich alle Gegenstände, die man hineinwirft, verwandeln lassen; ein andermal unternehmen sie eine Entdeckungsfahrt nach der Insel der Hattifnatten, bei der sie um Haaresbreite umkommen; und schließlich wird ihr Tal sogar vorübergehend von einer Sturmflut unter Wasser gesetzt. Aber keine Angst! Diese lustigen kleinen Wesen lassen sich durch nichts und von niemand unterkriegen. Deshalb werdet auch ihr — wie vor euch schon die Kinder in Finnland, Schweden und England — die unverwüstliche Muminfamilie liebgewinnen.

 

In das Abenteuer der weiten Welt, ferner Kontinente und gefahrvollen Lebens entführt uns das große Schneider-Buch von M. Z. Thomas

 

DRAUSSEN WARTET DAS ABENTEUER. Ein Buch um den großen Forschungsreisenden Alexander von Humboldt, reich illustr. von Ulrik Schramm. Franz Schneider Verlag, Manchen. 256 S., Ln, DM 9,80.

Das ist ein Jugendbuch, wie man es nur höchst selten findet (Lesealter ab zwölf Jahre)! Wie ein einziges großes Abenteuer läuft das Leben des größten Forschungsreisenden aller Zeiten, Alexander von Humboldt, vor den Augen des Lesers ab. Viele Jahre lebt er mit seinem treuen Freund Almé in der Wildnis der südamerikanischen Urwälder und der grandiosen Welt der Hochebenen. Weite, dem Abendland bislang völlig unbekannte Länder werden durch sie entdeckt. Sie legen Landkarten an, zeichnen, sammeln Pflanzen und Tiere. Unter unsäglichen Mühen steigen sie zu den Gipfeln der Anden auf und blicken in die Krater rauchender Vulkane. Ständig bedroht durch tödliche Pfeile der Indianer, durch Riesenschlangen, Krokodile und Jaguare, erforschen sie neues Gebiet. Der letzte Nachkomme der Inkas führt sie zu den Heiligtümern seines Volkes. Sie erfahren von den sagenhaften Schätzen dieser versunkenen Kultur.

 

Die Forschungsreise der beiden Freunde wird zu einer Sensation. Alexander von Humboldt und Almé Bonpland werden die Wegbereiter für Generationen von Forschern — bleiben Vorbild durch ihre edle Gesinnung. — Während nach der Trennung der beiden Freunde das Leben Almés eine tragische Wendung erhält (zehn Jahre Gefangenschaft), durchzieht Alexander von Humboldt weiter die Welt.

 

„Draußen wartet das Abenteuer" ist die erste, mit Vergnügen zu lesende, vorzüglich und spannend erzählte Geschichte von Buch, das wir nicht warm genug jedem Alexander von Humboldts Leben.

 

In das Südamerika unserer Tage, genauer gesagt in das Land am Paraguy-Fluss, führt uns das folgende Buch:

 

COMO NO. Wir siedeln im Urwald. Von Hedwig Weiß-Sonnenburg. Mit vielen Zeichnungen im Text. D. Gundert Verlag, Hannover. 160 S., Hln. DM 6,80.

Como no — das heißt: Warum nicht? — das ist die gleichmütige Antwort der einheimischen Peonen auf alle Überraschungen, die ihr Land dem Neuling bietet. Daran muss sich auch die deutsche Einwanderer-Familie Reinhardt mit ihren vier Sprösslingen Heinz, Gerda, Klaus und Erika gewöhnen, als sie sich auf der verlassenen Farm „La Consolacion" ansiedelt. Aber Eltern und Kinder meistern doch schließlich gemeinsam das Neue, das auf sie mit jedem Tag einstürmt, und alle unvorhergesehenen Schwierigkeiten; vor allem der siebzehnjährige Heinz erweist sich bald als der geborene Urwaldsiedler. Aber das neue Leben im Urwald ist auch nicht ohne Gefahren und Abenteuer. Der Leser wird gefesselt von den Jagden auf Jaguare und Wasserschweine, die Bedrohungen durch Giftschlangen, Stachelrochen und anderes gefährliches Getier. Aber die Reinhardt-Familie lässt sich durch nichts entmutigen, auch nicht durch wirtschaftliche Rückschläge infolge Dürre und Heuschreckenplage — Ausdauer, guter Mut und Frohsinn helfen ihr über alles hinweg; das fremde Land ist ihr zur neuen Heimat geworden.

 

Nun aber machen wir einen Sprung zurück in unser altes Europa. Auch hier ist noch das echte Abenteuer zu Haus. Wir erleben es in dem Buch

 

DIE WÖLFE KOMMEN! Eine Tiergeschichte aus der Karpatenwildnis. Von Erich Kloß. Mit vielen Zeichnungen von Moritz Pathé. Franz Schneider Verlag, München. 96 S., in abwaschbarem Einband. DM 3,80.

 

Erich Kloß, einer der namhaftesten deutschen Jugendbuch-Autoren, dessen Bücher bereits eine Gesamtauflage von drei Millionen überschritten haben, führt uns mit diesem neuen Werk in die Gebirgswelt der Karpaten. Es ist finstere Nacht, und das ganze Dorf ist wach. Die Wölfe sind da! Sie überfallen die Höfe, hetzen das Wild. Schließlich zwingen die Bauern den Jagdherrn, eine große Treibjagd zu veranstalten. Unheimlich spannend ist der Kampf zwischen Mensch und Raubtier. Wolf und Mensch — beide wollen leben. Einer versucht den anderen zu überlisten. Ein meisterhaftes Tierbuch aus einer unberührten, großartigen Landschaft.

 

In die Wunderwelt und das Abenteuer der Technik führt das Buch

 

FORSCHER UND ERFINDER. Hrgg. von Heinz Sponsel. Mit 10 vierfarbigen, z. T. doppelseitigen Tafeln und 42 zwei- und einfarbigen Zeichnungen. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. Aus der Reihe „Mein Bücherschatz". 248 S., Hln. DM 7,80.

 

Es ist ein weiter Weg von dem Steinzeitmenschen Gidu, der mit Pfeil und Bogen eine neue, gefahrlosere Art des Tötens erfand und dafür totgeschlagen wurde, bis zu unserem Zeitalter der vieltausendfach furchtbareren Atombombe und der Weltraumrakete. Dazwischen liegen Stationen, die das Gesicht der Welt immer wieder verwandelten, und Erkenntnisse, die den rastlos forschenden Menschen dem Ursprung allen Seins immer näher brachten. Wie groß auch heute noch ist die Zahl der Erfindungen, die das Leben immer von neuen revolutionieren. In diesem von Heinz Sponsel zusammengestellten Werk marschieren aus der riesengroßen Zahl der kleinen und der großen Erfinder und der erfolgreichen Forscher Männer und Frauen auf, die teilhaben an dem, was heute unsere Welt ausmacht: Leonardo da Vinci, Kopernikus. James Watt, Benz und Daimler, Röntgen, Marie Curie und Emil Behring, Edison, Graham, Bell, Einstein, Piccard und wie sie alle heißen, die in Studierzimmer, Labor und Werkstatt forschten und bastelten, bis der zündende Blitz der Erkenntnis ihre Mühe lohnte. 10 000 Jahre rastlosen Fortschritts in interessant plaudernder Form, das ist dieses Buch.

 

Für jeden der Technik aufgeschlossenen Jungen das passende Weihnachtsgeschenk! Und damit soll es genug sein für heute. Für die nächste Ausgabe versprechen wir euch wieder eine schöne Auswahl von Büchern.

 

Ein schönes Weihnachtsgeschenk für alle ostpreußischen Kinder! Ostpreußische Märchen. Was die Sonnenstrahlen erzählen und noch mehr fürs Kinderherz. Von Herbert Meinhard und Sanderein Mühlpfordt.

Die beiden Autoren — Vater und Tochter — haben in einem seltsamen Gleichklang einen völlig neuen Märchenbuchtyp geschaffen. Eltern und Kinder werden diese spannenden Märchen immer wieder mit Freude lesen. 112 Seiten, Halbln., DM 4,80. Heimatbuchdienst, Braunschweig, Donnerburgweg 50

 

Wie ihr aus der Unterschrift seht, ist Gert, der fast drei Jahre die Bücherkiste mitbetreut hat, nicht mehr dabei. Wahrscheinlich hat er zu viel in den Büchern von fremden Ländern gelesen, dass er der Sehnsucht nicht mehr widerstehen konnte; er ist vergangenen Monat Richtung Kanada in See gestochen, um dort für eine Zeit — wie lange wissen wir nicht — seinem Beruf nachzugehen. Sicher hören wir bald etwas von ihm. Die besten Wünsche der „Kogge" sollen ihn begleiten.

 

An Stelle von Gert hat sich nun Ute Otfried gestellt. Auch von ihm werdet ihr bald mehr erfahren. Er ist selbst ein bekannter Jugendbuch-Schriftsteller. Ein Hinweis im Vertrauen: Blättert einmal die letzte „Kogge" aufmerksam durch, vielleicht entdeckt ihr ihn.

So — und damit auf Wiederhören! Otfried und Ute.

 

Seite 6   Bauernregeln.

Wenn um Martini Nebel sind, dann wird der Winter meist gelind.

Allerheiligen klar und helle, sitzt der Winter auf der Schwelle.

An Allerheiligen der Schnee in den Winkeln, an St. Andreas der Schnee auf der Straße.

Wirft herab Andreas Schnee, tut’s dem Korn und Weizen weh.

Nach der Allerheiligen-Misse sind wir des Winters gewisse; wenn er dann nicht kommen mag, dauerts bis Martinitag (11.).

Kommt St. Martin mit Winterkält, ist's gut, wenn bald ein Schnee einfällt, man hat ihn lieber dürr als nass, so hälts sichs auch mit St. Andreas.

Bleibt vor Martin Schnee schon liegen, wird man gelinden Winter kriegen.

Der Sommer, den uns St. Martin beschert, drei volle Tage und ein bisschen währt.

Dem heiligen Klemens (23.) traue nicht, denn selten zeigt er ein mild Gesicht.

 

Seite 6   Meine erste Reise in die Welt. Eine Kindheitserinnerung von Ernst Wichert.

In meinem elften Lebensjahre machte ich den ersten Ausflug in die Welt. Das geschah folgendermaßen. Auf dem Haff verkehrten schon seit längerer Zeit die kleinen Dampfschiffe „Falke" und „Schwalbe" regelmäßig zwischen Königsberg, Pillau und Elbing. Der erste Dampfer, der sich meines Wissens weiter über See bis Danzig wagte, war die „Gazelle". Wenn sie, von Königsberg kommend, in Pillau anhielt, war immer ein munteres Getreibe am Bollwerk in der Nähe des Leuchtturms.

 

An einem Sommertage zu Anfang der Schulferien sah mein Vater dort den jungen Lehrer Born mit einer Anzahl größerer Knaben in Turnkleidern, das Ränzel auf dem Rücken, zur Abfahrt bereit stehen. Er wollte nach Danzig, von dort zu Fuß nach Marienburg und Elbing, endlich wieder mit dem Dampfboot nach Pillau zurück. Die Frage, ob er mich mitnehmen wolle, bejahte er freundlichst. So wurde ich denn aufgesucht, in einer Viertelstunde ausgerüstet und ihm anvertraut.

 

Es war mir alles wie ein Traum, in den sich doch auch ängstliche Empfindungen mischten, als nun die Ladebrücke eingezogen wurde, die Dampfpfeife schrill ertönte, die Räder sich in Bewegung setzten und das Schiff an unserem Hause vorübersauste, in dessen Tür meine Mutter stand und gewiss mit schwerem Herzen ihren ältesten Jungen auf die tückische See hinausfahren sah. Es wehte ein frischer Wind, und hinter der Mole bespritzten die Wellen mit ihrem Schaum das Verdeck. Doch hielt ich mich längere Zeit ganz tapfer gegen die Seekrankheit.

 

Gegen Abend aber blies uns ein so kräftiger Sturm entgegen, dass das kleine Schiff arg zu schwanken anfing und meine leichten Kleider bald völlig durchnässt waren. In der Kajüte wurde mir unwohl; ich musste wieder auf Deck und lag da unter einer Bank, durch den niedrigen Bord nur wenig geschützt gegen Wind und Wetter, in traurigstem Zustande.

 

Mit einer Verspätung von vier Stunden langten wir endlich schon zur Nachtzeit in Neufahrwasser an. Am anderen Morgen war freilich alle Not vergessen, als wir nach Danzig wanderten und die Wunder der alten Hansestadt anstaunten: die Festungstore, die Straßen mit den hohen Giebelhäusern und Beischlägen, das Rathaus mit seinem mächtig aufstrebenden Turm, den Artushof mit seinen alten Bildern und Schiffsmodellen, die gewaltige Marienkirche mit ihrem wundersamen Gewölbe.

 

Auch im Kloster Oliva schauten wir uns um, und vom Bischofsberge aus genossen wir die schöne Aussicht. Dann ging‘s weiter nach Marienburg, wo das alte Ordensschloss an der Nogat mit seinen stolzen Erinnerungen die jugendliche Phantasie völlig gefangen nahm.

 

Ich hatte mir Blasen an den Füssen gelaufen und war froh, dass mich auf dem weiteren Wege ein Planwagen, wenn auch nur schrittweise, beförderte. In Elbing war schließlich von dem sehr mäßigen Reisegelde für jeden nur noch ein kleiner Betrag übrig geblieben. An die Rückfahrt zu Dampfboot war nicht mehr zu denken. Da am anderen Morgen ein Frachtkahn abgehen sollte, verschafften wir uns hier gegen Vergütung von fünf Silbergroschen pro Person Unterkunft. Der Rest des Geldes wurde leichtsinnig in Kuchen angelegt. Wir meinten, nachmittags schon in Pillau zu sein, täuschten uns aber sehr.

 

Der Kahn musste den Elbingfluss hinab bis zum Haff mühsam getreidelt werden, lag dann eine gute Weile still, um auf Wind zu warten und lavierte darauf Tag und Nacht und bis zum Nachmittag des nächsten Tages. Ich schlief in einem Stapel Taue und befleckte mir dabei den ganzen Anzug mit Teer. Dazu der Hunger! Zum Glück hatte der Schiffer Kartoffeln an Bord; sie schmeckten mit Salz vortrefflich.

 

So kam ich trotz mancherlei Strapazen vergnügt im Vaterhause an. Die in Danzig und Marienburg gewonnenen Eindrücke, allerdings wiederholt aufgefrischt, wirkten noch stark nach, als ich vierzig Jahre später meinen Roman „Heinrich von Plauen" schrieb.

 

Aus der Selbstbiographie des in Insterburg geborenen Dichters Ernst Wichert (nicht zu verwechseln mit Ernst Wiechert). der mit seinen „Litauischen Geschichten" eine völlig neue Landschaft der deutschen Literatur erschloss. In seinem Roman und Erzählungen wandte er sich mit Vorliebe historischen Stoffen seiner Heimat zu, am bedeutendsten wurde sein dreibändiges Romanwerk „Heinrich von Plauen". Wichert lebte von 1831 bis 1902.

 

Seite 6   Einladung zur Martingans. Von Simon Dach (1605 – 1659)

Wann der heil'ge Sankt Martin

Will der Bischofsehr entfliehn,

Sitzt er in dem Gänsestall.

Niemand findet ihn überall,

Bis der Gänse groß Geschrei

Seine Sucher ruft herbei.

 

Nun dieweil das Gigackslied

Diesen heil'gen Mann verriet,

Dafür tut am Martinstag

Man den Gänsen diese Plag,

Dass ein strenges Todesrecht

Gehn muss über ihr Geschlecht

 

Drum wir billig halten auch

Diesen alten Martinsbrauch,

Laden fein zu diesem Fest

Unsre allerliebsten Gäst'

Auf die Martinsgänslein ein

Bei Musik und kühlem Wein.

 

Seite 6   Ludwig Passarge. Der Appetit verging ihm.

Die schönste Geschichte vom guten alten Schönräde aber war die, als er einst im Spätherbst mit dem Schiffer Unruh nach Pillau fuhr und nach Erledigung der Geschäfte, auf der Rückkehr, mitten im Haff einfror. Es kann hier nämlich der Frost mit ungeheurer Stärke, gleichsam wie ein Dieb in der Nacht, über den Schiffer kommen. Geschieht dieses bei Windstille, so bildet sich sehr rasch ein starkes Eis, das einem Segelschiff die Weiterfahrt verbietet.

 

Unruh hatte, als Kenner des Haffs, den kommenden Frost wohl gerochen, aber gehofft, Fedderau noch erreichen zu können, da ein guter Westwind wehte. Dieser ließ aber mitten auf der zwei Meilen weiten Fahrt plötzlich nach, und der Frost setzte ein.

 

Unheimlich rasch schossen die Eispfeile auf der stillen Wasserfläche hin, sich erst zu „Fenstern", dann zu einer einzigen Kristalldecke verbindend. Es dauerte nicht lange, so lag die Jacht fest; sie konnte weder vorwärts noch zurück. Um sich aber auf die nur langsam stärker werdende Eisdecke zu wagen, dazu gehörte ein Frost von etwa drei Tagen. Welch eine Aussicht!

 

Trotz der warmen Kleidung, die sie trugen, litten sie sehr unter der Kälte und durften die kleine Kajüte achtern, eigentlich nur ein finsterer Verschlag, nicht verlassen. Es war ein Glück, dass Schönrade wenigstens eine Tüte mit Rosinen und eine Flasche Rum mithatte. Dieses war aber auch ihre einzige Nahrung und Erquickung. Doch der Appetit verging dem ängstlichen und aufrichtig feigen Manne, wenn er an seinen sehr strammen Geldbeutel dachte und auf den stillen Unruh blickte, dem alles zuzutrauen war.

 

Am dritten Tage war das Eis stark genug, um sie zu tragen, doch nicht, wenn sie darauf aufrecht gingen; sie banden sich also unter jeden Fuß eine Stange und nahmen in jede Hand ein Ruder. Mit Mühe gelangten sie aus der Jacht auf die knisternde Eisdecke und krochen so langsam der nördlichen, samländischen Küste, als der nächsten, zu, in jedem Augenblick gewärtig, durch die Eisdecke zu brechen. So kamen sie endlich an Land und wurden von den Leuten, welche sie schon lange beobachtet hatten, in Empfang genommen.

 

Dass man sie anfangs für Eisbären gehalten und auf sie habe schießen wollen, war eine jener Ausschmückungen, die sich eine solche Geschichte gefallen lassen muss.

 

Seite 6   Der Befehl. Von Gerhard Bedarff. Eine Erzählung aus der Geschichte des Bernsteins. (1. Fortsetzung).

Sie sahen sich bedeutungsvoll an. Ihnen schwirrte der Kopf von den Preisen, die ein Händler mit lauter Stimme, grausigem Augenrollen und einem fürchterlichen Fuchteln seiner Hände und Arme verkündete. Die beiden machten bekümmerte Gesichter, als sie die Preise hörten, hatten sie doch gehofft, sich auch solch ein Stück Stein zu erhandeln.

 

Julianus hatte inzwischen seine Gespräche beendet und ritt weiter. Dieser Bernstein war ja viel zu teuer. Seine Schar folgte ihm. Abends saßen sie in einem Gasthaus und rätselten noch immer am Auftrag des Julianus herum. Solch ein Tempo hatten sie noch nie vorgelegt, wenn sie auf einer Reise waren. Da sie alle müde waren, begaben sie sich bald zur Ruhe, einsehend, dass ihre Grübeleien zwecklos waren. Es sollte am nächsten Tag in aller Frühe weitergehen.

 

Ein herrlicher Morgen brach an. Ausgeruht und tatendurstig machte sich die Kolonne auf den Weg. War es bisher beinahe ein Spaziergang auf der glatten Straße Padua — Verona — Aquileia gewesen, so wurde die Reise bald wesentlich anstrengender. Die Reiter benutzten den Weg, der von Aquileia nach Laibach an der Sawe führte. Dabei hatten sie die östlichen Ausläufer der Alpen zu überwinden. Es war ein hartes Stück Arbeit. In Laibach, dem römischen Kastell, hielten sie sich nicht lange auf. Sie waren froh, dass sie einen Teil der Sawe entlangreiten konnten, bis sie am nächsten Nebenfluss nach Norden abschwenkten, um Cilli zu erreichen. Nach tagelangen Ritten hatten sie die Alpen überwunden und waren, über den Alpenpass Semmering reitend, endlich in Carnuntum an der Donau, ihrem Standort, angekommen.

 

Natürlich wurden die beiden Freunde Theobald und Bodo von ihren Kameraden nach Strich und Faden ausgefragt.

 

 „Wie kommt es, dass ihr so frühzeitig zurück seid?" fragte Julius, ein altgedienter römischer Unteroffizier. Bodo und Theobald machten geheimnisvolle Gesichter. „Wir wissen es auch nicht!" meinten sie, was ihnen niemand glaubte.

 

Ein guter Gedanke

Das eintönige Leben im Kastell ging weiter. Ein einziger Mann brütete darüber, wie er den Befehl des Imperators am besten ausführen könne. Für ihn stand fest, dass Bodo und Theobald mitreiten sollten. Sie stammten aus dem benachbarten Gebiet und würden bei einer Fahrt durch das unbekannte Land bis zum Bernsteinland gute Dienste leisten. Es galt jetzt nur noch, einige Fuhrleute zu finden, die bereit waren, gegen eine gute Belohnung diese weite und bestimmt nicht ungefährliche Fahrt mitzumachen. Im Grunde genommen hatte er mit diesen Fuhrleuten nicht viel im Sinn. Sie waren nicht zuverlässig, und Julianus sah sie nur als ein notwendiges Übel an.

 

„Und wen nehme ich als Führer dieses Zuges?" murmelte er nachdenklich vor sich hin. Geschickt und kühn musste er sein, umsichtig und tapfer, allen Lagen gewachsen. Denn er konnte bei dem Ritt allerlei unangenehme Überraschungen erleben.

 

In diesem Augenblick klopfte es. Auf ein aufforderndes Zeichen trat Publius herein, ein junger Offizier. Er gehörte einem alten römischen Rittergeschlecht an und hatte dank seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit alle Aussichten, auf der militärischen Stufenleiter recht hoch zu steigen. Blitzartig erkannte Julianus: „Das ist mein Mann!"

 

„Hast du Lust, einmal ein Abenteuer zu erleben?" fragte er den jungen Offizier. Julianus hob beschwichtigend den Arm, als er das Aufleuchten der Augen sah. „Hör erst, worum es geht!" sagte er, und er erzählte ihm von dem Befehl Neros, so viel Bernstein heranzubringen, dass die Circusspiele in Rom einen ganzen Tag damit ausgestattet werden konnten. „Überlege es dir genau. Zeit spielt nur bedingt eine Rolle. Hauptsache, du bringst genügend Bernstein mit“.

 

„Jawohl, Statthalter, ich bin bereit, den Auftrag zu übernehmen!" antwortete ohne Zögern Publius.

 

„Ich wusste es!" rief Julianus aus, „denn einem römischen Offizier und Ritter ist nichts unmöglich!"

 

Publius salutierte und verließ klirrend den Raum. Julianus rief ihn zurück: „Bodo und Theobald werden dich auf jeden Fall begleiten. Du kannst dich auf sie verlassen. Außerdem kennen sie das Land“.

 

Das Gespräch war endgültig beendet. Publius war ein umsichtiger Mann. Sofort ließ er sich die beiden Germanen kommen und von ihnen weitere Soldaten benennen, die für die Fahrt eventuell in Frage kämen. Es waren insgesamt 25 Mann, die sie als zuverlässig kannten. Publius suchte sich 15 von ihnen aus.

 

Römische Offiziere konnten auch „zaubern", wenn es sein musste. In unwahrscheinlich kurzer Zeit „organisierte" er alles, was zu solch einer weiten Fahrt notwendig war, und eines Morgens stand die Kolonne mit allem, auch mit Tauschwaren und Transportwagen ausgerüstet, fertig zum Abmarsch.

 

Publius meldete sich beim Statthalter ab, das Tor wurde geöffnet, rasselnd setzte sich die Abteilung in Marsch, überquerte die Schwimmbrücke über die Donau und war aus der Stadt verschwunden.

 

Eine Fahrt, die es „in sich" hat. Nichts ist so ungemütlich, wie in einem fremden Landstrich, der dazu noch ziemlich unwegsam ist, auf sich selbst gestellt zu sein. Publius war es noch ungemütlicher, weil er ja nicht wusste, wie sich die Bewohner dieses Landes bei einer Begegnung verhalten würden. Zunächst hatte er es verhältnismäßig leicht, weil er die Marsch zu seiner rechten Seite hatte.

 

Er war in Carnuntum nicht müßig gewesen. Mit viel List und Tücke hatte er wenigstens einen Teil des Weges erfahren können. Denn kein Händler verriet gern seine Geheimnisse.

 

Leise vor sich, hinlachend erinnerte er sich, wie er einen Tag zuvor mit einem dieser Leute am Tische gesessen und ihn regelrecht übertölpelt hatte. Während des Zechens hatte er ihn herausgefordert: „Ich glaube dir ja doch nicht, was du mir von dieser Straße erzählst! Und du willst so weit gekommen sein? Du siehst mir gar nicht danach aus, als wenn du mit den Leuten Handel treiben könntest. Und ausgerechnet du willst den Weg wissen? Dass ich nicht lache!“

 

Der Händler ließ sich hinreißen. „Doch, doch, Herr, ich weiß den Weg!" „Dann sage ihn mir doch, sonst glaube ich dir nicht!"

 

Geld tat das Übrige.

 

Als der Händler seinen Rausch ausgeschlafen hatte, war Publius verschwunden. -  An diese Unterhaltung musste er denken, als er seiner Kolonne vorausritt. Er wurde aus seinen Gedanken aufgestört. Hinter ihm war ein Schimpfen und Fluchen zu hören.

 

„Beim Jupiter!" brüllte einer der Soldaten, „ich schlage dir den Schädel ein, wenn du mit deinem blöden Wagen nicht bald flott wirst!" — Was war denn da los? Ein Wagen in der Kolonne, der letzte, war in ein Sumpfloch gefahren, und trotz Hü und Hott schafften die Pferde es nicht, um aus dem Dreck herauszuziehen. — Natürlich war mit einem bloßen Gebrüll nichts zu erreichen. Einige scharfe Befehle, die Legionäre fassten zu, und schon war der Wagen wieder flott. Publius sah schon, dass die ganze Fahrt nicht so einfach werden würde; denn die Wege nördlich der Donau waren keine römischen Militärstraßen!

 

Er befahl Rast zu machen. Überraschend schnell hatten die Soldaten die Wagen zur Mitte hin zusammengeschoben, eine kleine behelfsmäßige Umwallung gegraben, und schon lagerten sie bequem an einem wärmenden Feuer.

 

Die Nacht brach herein. Die Wachtposten, die sich alle zwei Stunden ablösten, lauschten aufmerksam in das nächtliche Rauschen der sie umgebenden Wälder.

 

Es war ihnen doch etwas unheimlich zumute, schließlich war es ein absolut unbekanntes Land, das sie Im Begriff standen zu durchqueren, und seine Bewohner kannten sie eigentlich nur als furchtbare Feinde, denen sie oft genug vor den Mauern Carnuntums begegnet waren. Aber die Nacht verlief ohne Zwischenfall, und am nächsten Morgen quälte sich der Zug weiter aber den schlechten Weg. Theobald und Bodo sahen sich mit glänzenden Augen um.

 

„Ehrlich gesagt", meinte Bodo zu seinem Freunde, „ich freue mich sehr, dass wir beide mitreiten dürfen“.

 

„Wie lange habe ich die heimatlichen Wälder nicht gesehen!" seufzte Theobald.

 

„Achtung!" rief er plötzlich, „dort in dem Busch bewegt sich etwas!"

 

Sofort wandten sich aller Augen nach der angedeuteten Stelle. Die Fuhrleute zogen das Genick ein und wollten auf die Pferde einpeitschen, als sie ein donnerndes Halt von Publius erschreckt einhalten ließ. Die Legionäre hatten ganz automatisch einen Kreis um die Fahrzeuge gebildet, so gut es möglich war. Von ihren Schilden gedeckt, kielten sie ihre Kurzschwerter abwehrbereit vor sich. Regungslos erwarteten sie einen Angriff von allen Seiten, die Fuhrleute ängstlich, um die Ware und vor allen Dingen um ihr Leben besorgt, die Legionäre ruhig, wie sie es seit jeher gewohnt waren. Aber nichts geschah. Publius Augen schweiften über seine Mannschaft. Er wollte nach den beiden Germanen rufen. Aber das Wort blieb ihm im Halse stecken — sie waren verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. (Fortsetzung folgt)

 

Seite 7   „Polen züchten Trakehner“. Das ehemalige Kaiserschloss Cadinen heute Gestüt für Warmblutpferde.

Foto: Der Hauptbeschäler mit seinem polnischen Pfleger vor den neuen Stallungen des Gestüts in Cardinen. Foto: Schneege.

An der sanften Küste des Frischen Haffes im Landkreis Elbing liegt die Ortschaft Cadinen. Drei Dinge haben dieses Dorf am Fuße der Berge, die Elbing als Ausläufer des Baltischen Höhenrückens umgeben, bekannt gemacht: das im 18. Jahrhundert erbaute kaiserliche Schloss, die weltbekannte Fayencetöpferei anknüpfend mit seiner Tradition an die Keramikarbeiten der Germanen an dieser Küste in vorchristlicher Zeit, und seine viel mehr als 1000 Jahre alte Eiche, in deren Stamm ein großer runder Tisch mit acht Stühlen Platz findet.

 

Vieles und Unübersehbares ging in dem reichen Land der Elbinger Umgebung, das jetzt wie ganz Westpreußen unter polnischer Verwaltung steht, für alle Ewigkeit unter. Nur Cadinen blieb fast unberührt von der Vernichtung und der sinnlosen Verwüstung des letzten Krieges. Schon längst arbeitet unter polnischer Regie wieder die Fayencetöpferei. Im vergangenen Jahr wurde sie von dem Schauspielerehepaar Sir L. Olivier — Vivian Leigh aufgesucht, das dort einige der schönsten Keramikarbeiten mit in sein Haus nach England nahm. Auch die alte 1000-jährige Eiche hat dem Inferno von Tod und Untergang getrotzt und streckt ihn knorriges Geäst noch so in den Wind, als wenn das Geschehen der letzten 13 Jahre ihr nichts anzuhaben vermöchte.

 

Das alles wäre nicht einmal erwähnenswert, wenn es nicht seit einigen Jahren etwas ganz Neues in diesem verträumten Dorf gäbe. Der Pferdebestand Ost- und Westpreußens war 1945 untergegangen. Unter den pferdezüchtenden Betrieben Ostpreußens nahm das Gestüt Trakehnen im Kreise Stallupönen eine überragende Rolle ein. Dieses Gestüt bestand seit 1732 und war zu einem festen Begriff für Ostpreußen und alle Pferdefreunde der Welt geworden.

 

Die Trakehner sind leichte Warmblutpferde, die sowohl für leichte, als auch für schwere Arbeiten verwendbar sind. Darüber hinaus sind sie aber auch begehrte Reit- und Rennpferde. Sie zeichnen sich durch ihre Eleganz und ihr Temperament aus, ererbt von ihren englisch-arabischen Vorfahren. Zugleich vereinigten sie aber mit diesen Vorteilen auch die Kraft, Anspruchslosigkeit und Ausdauer des baltischen Landpferdes in sich.

 

Gegründet wurde das Gestüt Trakehnen von König Friedrich Wilhelm I., der eine Vereinigung der in seinem Lande zerstreuten königlichen Gestüte wünschte. Aber schon vor dieser Zeit berichtet die Chronik, dass Ostpreußen ein Land der Pferde gewesen sei. Der angelsächsische Wiking Wulfstan, der vor 1000 Jahren Ostpreußen besuchte, berichtet davon, dass es bei den Totenfeiern der alten Pruzzen Site war, tote Krieger mit ihrem Streitross zusammen zu bestatten. Auch aus den Kämpfen des 14. Jahrhunderts wird berichtet, dass die Samländer im Kriegsfalle 4000 Reiter und die Sudauer 6000 Reiter zu stellen hatten.

 

Heute noch geht aus der ostpreußischen Ortsbezeichnung Szirgupönen hervor, welche Bedeutung die Pruzzen der Stutenmilch beimaßen. Dieses Getränk war den Edlen des Volkes vorbehalten, und nach ihm benannte man auch den Ort Szirgupönen, dessen Name verdeutscht Stutenmilch heißt. Erhaltene Urkunden sprechen auch davon, dass sich Wildpferde in Ost- und Westpreußen bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts in freier Wildbahn halten konnten.

 

Die polnische Landwirtschaft in den verwalteten deutschen Ostgebieten leidet im besonderen Maße unter dem Mangel an notwendigen Zugmaschinen und Traktoren für land- und forstwirtschaftliche Arbeiten. So blieben als einziger Ausweg und Helfer nur noch die Pferde. Pferde aber gab es nach 1945 kaum noch in Ostpreußen. Von den 24 000 des Gestüts Trakehnen gelangten mit den Trecks der vertriebenen Bauern einige wenige Exemplare nach Westdeutschland, die anderen verbluteten, vor die Protzen der Geschütze gespannt, an allen Fronten die Krieges. Der Zuchtbestand des Gestüts Trakehnen fiel den Sowjets in die Hände. Es schien so, als sei das Ende der mühseligen Arbeit von Generationen an der Aufzucht ostpreußischer Pferde gekommen.

 

Doch nach den ersten Jahren der Nachkriegszeit tauchte hier und da auf einem kleinen Bauernhof in dem polnisch verwalteten Masuren oder Ermland ein Pferd mit dem Brandzeichen der Elchschaufel auf der Hinterhand auf. Die Elchschaufel war das Symbol des Trakehner Gestüts. Der polnische Staat setzte hohe Prämien für diese Tiere aus und kaufte sie auf. Es waren nicht viele, die die Sowjets übersehen hatten, aber ihre Zahl genügte dennoch, um im kleinen Rahmen mit der Aufzucht von Trakehnern zu beginnen.

 

So führt denn diese wenigen Trakehner der Weg nach Cadinen. Die kaiserlichen Schlossanlagen wurden von den Polen mit allen Stallungen zu einem neuen Gestüt ausgebaut, und dann begann die Aufzucht. Die deutschen Hengste „Traum", „Flötenspieler" und „Tamerlan“ waren inzwischen hinzugekommen, andere Zuchthengste kaufte man von der Sowjetunion zu hohen Preisen zurück. So entstand zwar in Cadinen nicht ein neues Trakehnen, aber es war doch darum ein sehr erfreulicher Anfang für die dringend auf Pferde wartenden polnischen Kleinbauern und staatlichen Kolchosen.

 

Sehr bald erinnerten sich aber die Polen auch der Preise, die Trakehner auf den Ostpreußenauktionen erzielten. Damals brachten die Trakehner-Stuten „Olly" und „Neck" Höchstpreise von 15 000 und 10 000 RM auf.— Wenn es heute für den polnischen Staat noch irgendeine Möglichkeit gibt, die bedenklich brüchig gewordene Zlotywährung abzustützen, so ist es die, den ausländischen Markt für heimische Produkte zu gewinnen. Bisher ist das in nennenswertem Maße nicht geschehen, weil Polen seit 1945 ärmer ist als je zuvor in seiner Geschichte. Inzwischen ist es jedoch dem staatlichen polnischen Gestüt in Cadinen gelungen, einige wenige ausländische Käufer auf seine neuen Zuchtergebnisse aufmerksam zu machen. Jedoch blieb es den Polen versagt, auf die traditionellen Erfolge des Gestüts Trakehnen zurückzugreifen, einmal scheut man sich vor dieser peinlichen deutschen Bezeichnung der Tiere, und zum anderen entstammen auch die neuen Pferde nicht mehr unbedingt dem reinen Trakehnerblut, da man zur schnellen Aufzucht auch anderes Pferdematerial benutzt hat.

 

Trotzdem hat das Cadiner Gestüt seine ersten Erfolge zu verzeichnen. In den beiden letzten Jahren ist es ihm gelungen, einige Tiere an Privatinteressenten nach Belgien und in die Schweiz zu verkaufen. Neuerdings sollen auch Kaufangebote aus der deutschen Bundesrepublik vorliegen.

 

Dies ist kein großer, aber trotzdem ein nicht zu übersehender Erfolg unermüdlicher polnischer Pferdezüchter, wenn man bedenkt, dass auch Vertriebene aus ihrer Liebe zu den Pferden in Westdeutschland Gestüte aufbauten, die sich mit der Aufzucht von Trakehnern beschäftigen. Auf dem Gut Rantzau in Schleswig-Holstein und in Eddinghausen im Kreise Alfeld an der Leine hat man aus den wenigen Trakehnern, die 1945 mit dem Strom der Flüchtlingstrecks hierherkamen, neue Gestüte aufgebaut. 750 reinrassige Trakehner gibt es heute wieder in der Bundesrepublik. Die Rantzauer und Eddinghauser Gestüte haben aber gegenüber dem polnischen in Cadinen den Vorteil, ihre gezüchteten Tiere, versehen mit dem Elchschaufelbrand, als echte Trakehner anzubieten. Dem polnischen Gestüt in Cadinen bleibt zunächst die Hoffnung, durch den ersten Start mit seinen Pferden ins Ausland durch zielstrebige Zuchtarbeit größere Erfolge zu erreichen.

 

Seite 7   Wieder Thorner Kathrinchen

Zur Wiederaufnahme der Erzeugung der weltbekannten „Thorner Kathrinchen" wurden in dem westpreußischen Thorn die beiden bekannten Werke Gustav Weese und Hermann Thomas zu den „Thorner Honigkuchenfabriken Kopernikus" zusammengeschlossen. Die Erzeugnisse dieser Fabrik sollen in allen Ostblockstaaten und auch nach dem Westen exportiert werden.

 

Seite 7   Igelchen, du wandernde Distel. Kleine Betrachtung von Margareta Pschorn.

Es ist lange her, seit ich dich das erste Mal sah. Damals fuhren wir noch unsere spitzenverhangenen Puppenwägelchen durch den Garten meiner Schulfreundin. Du kamst aus den Hecken hervorgewackelt, und wir begrüßten dich mit lautem Hallo. Ein wenig ängstlich schautest du uns aus deinen verschmitzten Äuglein an, aber was solltest du fürchten, du kleine wandernde Distel? Wir liebten dich ja schon aus unseren Märchenbüchern, als du mit dem Hasen um die Wette liefest. Wenn es auch damals nicht sehr nett von dir war, wie du den Armen an der Nase herumgeführt hast.

 

Im Volksglauben giltst du als Glücks-, andererseits auch wieder als Unglücks- und Hexentier. Begreife einer warum! Aber wahrscheinlich wohl wegen deiner Stacheln, die die Menschen fürchten. Der liebe Gott, voll der Weisheit, wusste wohl, warum er sie dir gab. Es mag nicht bloß aus einer heiteren Laune heraus geschehen sein. Bist du in Gefahr, rollst du dich zusammen und gleichst nun einer borstig gepanzerten Kugel. Soll jetzt einer kommen! Du hältst dir die Feinde vom Leib. Manchmal möchte man dich darum beneiden! Dir gefällt es, tagsüber versteckt zu leben, unter Büschen und am Waldesrand. Nachts aber ziehst du auf Nahrungssuche aus: Insekten, Mäuse, Schlangen (sogar an giftige gehst du heran, alle Achtung!); leider aber auch Junghasen und Vogeleier, das ist weniger lieb vor dir.

 

Natürlich suchst du dir auch ein Weibchen und freust dich, wenn es dir im Sommer nach siebenwöchiger Tragzeit gleich drei bis sieben nette Igelkinderchen zur Welt bringt. Nach einem Monat, siehe da, haben diese kleinen Igelmädchen und -buben sogar fast schon ein ebenso gut entwickeltes festes Stachelkleid wie dein väterliches.

 

Im „Klugen Alphabet" bist du auch zu finden — unter „Gemeiner Igel". Der Titel klingt gewiss nicht sehr schmeichelhaft, doch solltest du ihn nicht missverstehen, denn es steht — was dich versöhnen wird — ausdrücklich dabei: „im allgemeinen nützlich"! Und in Westasien bist du ebenso beheimatet wie in Europa.

 

Gestern Abend — oh, wie freute ich mich — sah ich dich wieder. Im Schein der Laterne kamst du in unseren Garten. Jetzt ist bald die Zeit, da dir die Welt nicht mehr gefällt. Wenn die Bäume, kahl geworden, frierend den ersten Schnee erwarten, häufst du dir einen Berg von Laub und Moos auf und kugelst dich darin zu einem langen Winterschlaf zusammen. Ganz einfach machst du das, drehst der Welt deinen stachligen Rücken zu. Soll sie sehen, wie sie's treibt, Gute Nacht für lange Zeit, Ei, was bist du für ein schlauer, kleiner Kerl!

 

Schlaf wohl, du lustiger, stachliger Freund, bis die Maisonne dich erneut weckt und wir uns im nächsten Sommer wieder an dir freuen dürfen!

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kinder Suchdienst Hamburg-Osdorf, Blomkamp 51, unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Canditten-Schatzberg, Kr. Preußisch-Eylau: Bruno Sohn, geboren am 28. April 1936 in Canditten-Schatzberg, von seinen Eltern Franz Sohn, geboren am 23. Februar 1904, und Helene Sohn, geboren am 21. Februar 1905.

 

Aus Cranz, Kreis Samland, Korsostraße 7, Elvira Rogge, geboren am 23. Oktober 1938, und Siegfried Rogge, geboren am 16. August 1935, von ihren Eltern Ernst Rogge, geboren am 23. März 1910, und Margot Rogge, geboren am 8 Mai 1915. Angeblich sind die Kinder in das Waisenhaus Pobethen, Kreis Samland, gekommen.

 

Aus Dallwitz, Krs. Insterburg, Margarete Czepull, geboren am 21. Januar 1942 in Dallwitz, von ihren Eltern Fritz Czepull und Ella Czepill geborene Bolz, geboren am 21. Januar 1921.

 

Aus Gallingen, Kreis Bartenstein, die Geschwister Helmut Schulz, geboren am 21. September 1938, Reinhold Schulz, geboren am 12. Februar 1937, und Ilse Schulz geboren am 23. März 1935 in Gallingen, Kreis Bartenstein, von ihrer Tante Amanda Gottschalk geborene Schulz, geboren am 4. September 1902 in Gallingen. Die Kinder sind mit ihren Eltern Hermann Schulz und Irma Schulz, geborene Gottschalk im Januar 1945 aus Ostpreußen geflüchtet.

 

Aus Groß-Gotteswalde, Kreis Mohrungen, die Geschwister Klaus-Dieter Möller, geboren am 23. April 1944 und Heinz-Edi Möller, geboren am 19. November 1942, von ihrem Vater Heinrich Möller, geboren am 14. Februar 1915. Die Geschwister Möller sollen nach dem Tode ihrer Mutter im November 1946 in ein Kinderheim in Mohrungen gekommen sein.

 

Aus Insterburg Hindenburgstraße 58, Angelika Lempio, geboren am 26. Juni 1940 in Insterburg, von ihrem Vater Hans Lempio, geboren am 26. September 1913. Angelika Lempio wurde im März 1945 in der Nähe von Greifenberg/Pommern von verwundeten Soldaten auf einem Pferdewagen mitgenommen.

 

Aus Kamnicken, Kreis Heiligenbeil, Eckhard Klang, geboren am 3. September 1941, von seiner Mutter Edith Klang. Der Junge, der sich mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern auf der Flucht befand, erkrankte in Kolberg und wurde zusammen mit seiner Schwester Christel, geboren am 1. März 1938, in die Isoliertenstation des dortigen Krankenhauses eingeliefert. Die beiden Kinder wurden später mit einem Schiffstransport nach Swinemünde gebracht. Ein Matrose nahm das Kind Eckhard Klang damals an sich.

 

Aus Königsberg, Königstr. 18, Karin Fleischer, geboren 1942 in Königsberg von ihrem Onkel Willi Fleischer, geboren am 26. August 1903 in Königsberg.

 

Aus Königsberg, Schnürlingstraße 20, Hans Specht, geboren am 2. Januar 1936 in Königsberg, von Franziska Ratke, geborene Specht, geboren am 1. November 1888, und von Erika Tomuschat, geboren am 10. September 1898.

 

Aus Lötzen, Hermann-Löns-Straße 13, Magdalene Dembeck, geboren am 1. August 1941, und Helmuth Dembeck, geboren am 20. April 1939 in Lötzen, von ihrem Vater Willi Dembeck, geboren am 27 April 1906, und von Willi Kleint.

 

Aus Neuhausen - Tiergarten, Kreis Samland, Birkenallee, Edita Schneider, geboren am 19. Januar 1944, Ewald Schneider, geboren am 23. September 1939, Greta Schneider, geboren am 5. August 1936, Otto Schneider, geboren am 6. Dezember 1934, und Ellam Schneider, geboren am 26. Juni 1933 in Litauen, von ihrer Tante Marie Schneider, geboren am 14. Mai 1918 in Kowno/Litauen.

 

Aus Pareiken, Kreis Wehlau, Dorothea Kähler, geboren am 8. Februar 1940 in Pareiken, von ihrer Großmutter Elise Lange, geborene Beckmann, geboren am 9. Juni 1903. Das Mädchen befand sich in Begleitung ihrer Mutter, Erna Kähler, geborene Beckmann, geboren am 8. Januar 1924. Sie wurden zuletzt am 20. Januar 1945 auf dem Bahnhof in Königsberg gesehen.

 

Aus Sensburg, Königsberger Straße 34, Armin Tafel, geboren 1941, und Benno Tafel, geboren 1937 in Siegen/Westfalen, von ihrer Großmutter Marie Grünheid, geboren am 28. November 1888 in Nikolaiken. Die Kinder Tafel sind im Dezember 1945 von einem Transport bei Nikolaiken vermisst.

 

Aus Skören, Kreis Elchniederung, die Geschwister Marianne Gudat, geboren am 11. August 1944, Renate Gudat, geboren am 5. Dezember 1941, Ingeborg Gudat, geboren am 16. Mai 1940, und Ursula Gudat, geboren am 15. Februar 1939, von ihrem Vater Kurt Gudat, geboren am 14. März 1915.

 

Aus Sorgenau, Kreis Samland, Dora Goerke, geboren am 16. September 1939, und Gerhard Goerke, geboren am 17. Juli 1935 in Königsberg, von ihrem Vater Hanns Goerke, geboren am 21. Juni 1900. Die letzte Nachricht war vom 14. April 1945 aus Sorgenau, Kreis Samland.

 

Aus Sudauen, Bahnhofstr. 8, bei Familie Muranko, Ruth Schmidt, geboren am 22. Mai 1936 in Plaschken, von ihrem Vater Erich Schmidt, geboren am 18. Januar 1910 in Natkischken, und ihrer Schwester Edith Eder, geborene Schmidt, geboren am 3. August 1928. Ruth Schmidt wurde im Juli 1944 mit ihren Pflegeeltern Muranko nach Putzig oder Krockow evakuiert.

 

Aus Schmilgen, Kreis Schloßberg, Horst-Werner Bergau, geboren am 7. Mai 1941 in Schmilgen, von seinem Vater Ernst Bergau, geboren am 17. Dezember 1902. Der Junge flüchtete 1945 mit seiner Mutter, Minna Bergau, geborene Ney, geboren am 7. Mai 1904, und seinem Bruder Günther Bergau, geboren am 20. Februar 1931, von Schmilgen, Kreis Schloßberg, nach Königsberg/Ostpreußen, Bornstr. 3/4. Die Mutter erkrankte im Mai 1945 an Typhus und kam in das Elisabeth-Krankenhaus in Königsberg. Sie soll hier verstorben sein. Der Knabe wurde nach dem Tode der Mutter in das Ambulatorium Königsberg, Staegemannstr., gebracht. Von hier soll er dann in ein Waisenhaus gekommen sein.

 

Aus Zimmerbude, Kreis Samland, die Geschwister Reinhard Fischer, geboren am 28. März 1944, und Margitta Fischer, geboren am 19. April 1943, von ihrer Mutter Lieselotte Fischer, geborene Lange, geboren am 12. September 1916 in Preußisch-Eylau. Die Kinder wurden in Zimmerbude von ihrer Mutter getrennt. Auf der Ortsgruppe in Zimmerbude wurden die Geschwister im April 1945 einer älteren Frau übergeben. Wer war die unbekannte Frau, die sich der Kinder Fischer annahm?

 

Aus Ackermühle. Kreis Schloßberg, die Geschwister Erwin Reiter, geboren am 3. September 1940, und Ursula Reiter, geboren am 2. Januar 1942, von ihrem Vater Fritz Reiter, geboren am 28. Januar 1909 in Ackermühle. Die Geschwister befanden sich mit ihrer Mutter, Erna Reiter, geborene Schlemminger, geboren am 24. Februar 1913 in Osterode, auf der Flucht von Ackermühle nach Gumbinnen. Mutter und Kinder haben, da der Zug in Gumbinnen bereits fort war, mit dem Pferdefuhrwerk eines Landwirtes, dessen Name nicht bekannt ist, Gumbinnen verlassen.

 

Aus der Kinderklinik in Allenstein, Hilmar Gantowski, geboren am 30. März 1944 in Königstal, Kreis Johannisburg, von seiner Mutter Gertrud Ziegler, verwitwete Gantowski, geborene Szucka, geboren am 20. Februar 1912. Im August oder September 1944 kam Hilmar Gantowski in die Kinderklinik in Allenstein.

 

Aus Birkenstein, Kreis Tilsit-Ragnit, Roswitha Schneppat, geboren 1943, Helgard Schneppat, geboren 1939, Hildegard Schneppat, geboren am 11. Januar 1938, Gerh. Schneppat, geboren 1937, und Waldemar Schneppat, geboren am 25. Juni 1935, von ihrem Vater Erich Schneppat. Mit den Kindern wird auch die Mutter, Helene Schneppat, vermisst. Die Mutter flüchtete mit ihren Kindern 1944 von Birkenstein, Kreis Tilsit-Ragnit, nach Landskron, Kreis Bartenstein/ Ostpreußen. Sie sollen im Februar 1945 bis an die Weichsel gekommen sein und werden seitdem vermisst.

 

Aus Königsberg-Tannenwalde, ehemalige Fritz-Tschierse-Str. 25, Brigitte Manneck, geboren am 12. Februar 1943, und Gisela Manneck, geboren am 5. März 1941, von ihrem Vater Heinz Manneck. Die Kinder waren mit ihrer Mutter, Erna Manneck geborene Gau, geboren am 5. Februar 1923, und vermutlich auch mit ihrer Tante Marie Gau, geborene Schulz, die ebenfalls noch gesucht werden, während der Flucht zusammen.

 

Steckbrief mit Foto.

Name: Wenzel

Vorname: Dora

Geboren: etwa 1936/1937

Die Jugendliche Dora Wenzel sucht Eltern und Angehörige. Ihr Heimatort ist ihr unbekannt. Sie gab jedoch an, dass sie in der Nähe von Memel gelebt haben muss. Dort haben scheinbar die Eltern einen Bauernhof gehabt. Es ist aber auch möglich, dass diese Angabe verwechselt wird mit dem Evakuierungsort der Familie. Dora Wenzel erinnert sich, dass unten im Hause die Küche und Wohnräume der Eltern gewesen seien. Im ersten Stock hat ihre Cousine Lotte Gerullus gelebt. Die Cousine soll zwei bis drei Jahre älter gewesen sein als Dora. Der Vater der Dora Wenzel soll den Vornamen Erich gehabt haben. Geschwister sollen nicht vorhanden gewesen sein. Auf dem Hof seien Kühe, Schweine und Hühner gewesen. Die Familie ging mit dem eigenen Pferdefuhrwerk auf die Flucht. Der Vater kam als Soldat öfter auf Urlaub und brachte „Soldatenbrot" mit. Hin und wieder sei auch ein Onkel zum Besuch gekommen, der ein Auto hatte, welches er selbst steuerte. Nur kurze Zeit sei sie zur Schule gegangen und erlitt dann einen Unfall, so dass sie fehlen musste. Sie war gegen den glühenden Ofen gefallen und hatte dadurch Verbrennungen. Es wurde eine Hautverpflanzung vorgenommen. Haut aus dem Nacken wurde auf die Stirnwunde verpflanzt. Sie hatte über dem Auge eine Narbe. Bei der Flucht lenkte die Mutter das Pferdefuhrwerk. Sie und ihre Cousine saßen auf dem Wagen. Sie fuhren mit anderen Leuten ihres Heimatortes im Treck zusammen. Die Mutter sei aber auf der Flucht verstorben. Da Dora Wenzel selbst stark erfrorene Füße hatte, nahmen andere Flüchtlinge sich ihrer an. Dadurch verlor sie auch ihre Cousine Lotte Gerullus. Sie sei dann in Rastenburg in ein Kinderlager gekommen. Bei Ausweisung dieser Kinder wurde sie dann im Transport mitgenommen. Ob diese Angaben alle den Tatsachen entsprechen, wissen wir nicht. Sofern eine doppelte Evakuierung nach Verlassen des Heimatortes stattgefunden haben sollte, besteht die Möglichkeit, dass Dora früher Erlebtes mit später Erlebtem verwechselt. Bild-Nr. 708

 

Steckbrief mit Foto

Name: Waitschus

Vorname: Albert Erich

Geboren: 29.11.1940

Augen: graubraun

Haar: dunkelblond

Gesucht werden Angehörige des Albert Erich Waitschus, geb. 29.11.1940 in Wallehnen/Ostpr. Die Mutter, Stase Waitschus, hat 1941/1942 bei einer Familie Michel Szardenings in Wallehnen gewohnt und gearbeitet. Die Kindesmutter soll angeblich auf der Flucht bei einem Angriff der Russen auf Heydekrug ums Leben gekommen sein. Bildnr. 0891.

 

Aus Gnadenheim, Kreis Goldap, wird Hans Dieter Krebstakies, geboren am 6. September 1936, von seiner Mutter Erika Krebstakies. Hans Dieter Krebstakies hat sich bis 4. Mai 1956 in Hamburg-Moorburg, Moorburger Elbdeich, bei Westfalen aufgehalten. Seit dieser Zeit ist er unbekannten Aufenthaltes.

 

Aus Klein-Körpen, Kreis Braunsberg, die Brüder Reinhard Woelk, geboren am 13. Oktober 1940, und Heinz Woelk, geboren am 28. Februar 1942, von ihrer Tante Anna Krause, geborene Stobinski, geboren am 23. Januar 1903 in Wusen. Die Eltern der Kinder, Fritz Woelk und Maria Woelk, geborene Stobinski, geboren am 3. Mai 1907, werden ebenfalls noch gesucht.

 

Seite 8   Suchdienst

Königsberger! Gesucht werden Erich Sommer, geboren 27.08.1906 und dessen Ehefrau Elfriede Sommer, geborene Rohn, geboren 10.12.1910 sowie deren Kinder Inge Sommer und Siegfried Sommer, aus Königsberg/Pr., Knochenstr. 49. Angaben erbeten an Rudolf Kuebart, Wiesbaden, Blumenthalstraße 9.

 

Seite 9   Alt-Königsberger Grabinschriften

„Der wohlgeborene, ehr- und tugendsamen, durch unvergleichliche Reinheit ihrer Sitten und ihres Lebenswandels ausgezeichneten Hausfrau Frau Anna Salietin, des hochedlen und wohlgeborenen Herrn, Hrn. Christoph von Saliet ehrwürdigen Angedenkens hinterlassenen Tochter und seiner freundlichen liebwertesten Ehegattin hat Friedrich von Nostiz in Lampersdorf, des durchlauchtigsten Herzogs von Preußen Rat, voll aufrichtigen Schmerzes in aufrichtigster Liebe dieses Denkmal gesetzt. – Fromm und friedvoll ist sie in Christo entschlafen und aus diesem Jammertal ins himmlische Vaterland abgeschieden nach Erschaffung der Welt im Jahre 1585.

 

Also nimmst du mir, Tod, meine teure Ehegenossin, / Oh, wie selig lebt sie jetzo im Schoße bei Gott! / Nach des Herrn Geburt Anno 15 auch fünfundachtzig / Hat sie am zwanzigsten Wein-Mondes die Ehe gelöscht. Die aus dem Leben gut abschied, wird selig auch leben, / Und es verbindet uns einst der ewige Tag. / Schon ein Tropfen hilft von dem köstlichen Heilandsblute / Mehr als uns schaden kann alle Sünde der Welt!

 

Hier lieg Anna ich, aus Saliets edlem Stamme/ Einst entsprossen, und bin jetzt mit Erde bedeckt. / Haben mich doch gelehrt, was lobenswert, meine Eltern, / Recht vom Herzen heraus fürchten den ewigen Gott! / Und so wuchs meine Frömmigkeit von zartesten Jahren / Da ich mit erster Milch Glaubenssamen empfing. / Darum hielt ich in Ehren stets die liehen Eltern, / Habe sie nie, auch nicht mit einem Worte, verletzt, / Durch einen jähen Tod verlor ich leider den Vater, / O du Schmerz, da war ich ein zehnjähriges Kind. / Jetzo berief die Fürstin mich Marieeleonore, / Weil sie meine gewahr geworden, an ihren Hof, / Da ich voll Zucht und Sitte und anmutsvollen Benehmens / Und meine Jungfernschaft unberührt auch war. / Aber nachdem ich siebzehn Jahre, so ging ich im achten / Monde bereits unter das Ehejoch. / Friedrich hatte sich nun, ein edler Herr von Nostiz, / Mir verbunden und auch eheliche Treue gelobt. / Mit ihm hab ich gelebt fünf Jahre, dazu acht Monde / Und sechs Tage noch, leider nur kurze Zeit! / Mutter geworden schenkte ich ihm den männlichen Erben / Und als Pfänder der Lieb auch drei Mädchen noch. / Goldene Eintracht hat uns stets mit lieblichem Bande, / Treue auch ohne Fehl, Liebe geeint ohne Streit. / Und es schien ein Geist nur in beiden Leibern zu walten, / Gleichen Wollen und Nicht-Wollen war uns gemein / Gott und den Guten genehm, den Bösen ein Dorn im Auge, / Habe ich immer gelebt und die Armen beschenkt. / Fromm, gescheit und gerecht, auch keusch und freundlich dem Gatten, / War ich an Tugenden reich, schön und schamhaft zugleich, / Und ich habe verdient als treffliches Vorbild zu gelten / Und als Krone und Zier meines ganzen Geschlechts / Aber wie wandelbar ist alles unter der Sonne, / Und nichts hat Bestand bei dem Menschengeschlecht! / Gottfried, mein Söhnchen, wie bald jagst Du begraben. / Und das Sophiechen auch raubte die Parze hin!  / Aber später sodann und nach meines Schwagers Tode / Wandl an der Oder ich hier, wo sie Schlesien teilt, / Meinen Weg und teile die Mühsal meines Mannes,  / Mutter und Töchterlein aber begleiten mich. / Kaum von da zurück, eil ich zu den heimischen Küsten, / Wo ich im Wochenbett lag vier Monate krank. Doch es gefiel mir nicht, hier in der Fremde zu bleiben, / Sondern ich wollte, krank, immer wieder zurück. / Daselbst angelangt. nach tausenderlei Gefahren / Von der herrschenden Pest und den Mühen des Wegs. / Ward ich am vierten Teige sogleich somit dem lieblichen Kinde / Durch einen sanften Tod von dem Leiden erlöst, / Doch zuvor trug ich Sorge noch, dass mit heiliger Zehrung / Und dem geweihten Kelch ich meine Seele lab. / Meine Gebete hab ich getan und nach Deinem Worte, / Herr, meine Augen dann ganz ohne zu ahnen / Ging ich dahin und schien wie in seligem Traum, / Dreiundzwanzig Jahr, vier Monat habe ich vollendet, / Doch mein jetziges Sein währet in Ewigkeit. / Gruß Dir und Lebewohl, o vielgeliebetester Gatte, / Du meine Zier, mein Herz, Stück meines eigenen Selbst! / Lebewohl o lieb Mütterlein und getreue Schwestern, / Auch Ihr Brüder und Ihr, liebste Kinder, ade! / Bleibet all am Leben und überlasset dem Schmerze / Euch nicht gar zu sehr, haltet mit Weinen Maß! Von dem Herrn  sind mir solche himmlischen Freuden bereitet, / Wie sie der Menschenverstand gar nicht begreifen kann. / Einst wird kommen der Tag, da mit lautem Ton die Drommete / Unsere Leiber all ruft aus der Grabesnacht. / Was der Tod uns geraubt, mit Zinsen wird er vergelten / Der Gott, der uns erschuf, los und lebendig macht. / Mög in rosigem Lichte der Tag der Frommen erscheinen. / Dass sie ergreifen auch ewigen Lebens Freud!“

 

Die Grabtafel in der Barbarakirche auf dem Löbenicht mit der ergreifenden Inschrift enthält nach dem damaligen Zeitgeschmack die lange Lebensgeschichte einer jungen Frau, die schon im zarten Mädchenalter Hoffräulein bei der Herzogin Marie Eleonore am Königsberger Hofe gewesen war und dann die Gattin des herzoglichen Rates von Nostiz wurde, der dem ersten Preußenherzog Albrecht besonders nahe stand.

 

Nicht minder ergtreifend, historisch interessant und Kulturspiegel zugleich ist auch die Grabinschrift der Hausfrau Anna Sabinus, der Tochter von Luthers Freund Philipp Melanchthon:

 

„Anna liegt hier im Grab, des gelehrten Sabinus Gattin. / Am Elbufer ward sie, Melanchthons Tochter, geboren, / Wo, gar rühmlich, das Spiel aller Musen erklang. / Und gleichwie ihr Vater hervorragt unter Gelehrten. / Der ja die größte Zier unserer Zeiten ist, / So auch ward sie selbst unter allen ehrbaren Frauen / Ausgezeichnet und des großen Erzeugers wert. / Denn es hatte sie Luther noch aus der Taufe gehoben, / Wie sie als Kindlein ward mit Weihwasser besprengt, / Und er hat sie belehrt mit frommen Mahnungen, dass sie / Später übe vor Gott wahre Religion. / Ja, sie war auch gelehrt und lateinischer Rede kundig, / Dass sie nicht nur verstand, sondern auch sprach das Latein. / War nicht minder begabt mit schönem vornehmem Antlitz, / Wenn man auch das nicht darf rechnen als ihr Verdienst. / Vierzehn Jahre war sie erst alt, in blühender Jugend, / Als sie schon legitim ward zur Ehe geführt. / Seit der Zeit aber fern dem Lande der Kindheit, / Hat sie mit ihrem Gemahl nur zehn Jahre gelebt. / Nur ein einzig Mal mit dem männlichen Erben gesegnet, / Brachte in leichter Geburt sie fünf Töchter zur Welt. / Sanft hat der kalte Tod ihrem Leibe entführt das Leben, / Aber ihr besseres Teil kehrt zum Himmel zurück!

 

Gestorben am 4ten März im Jahre des Heils 1547“.

 

Zwei junge Frauen und Mütter, deren Leben sich früh vollendete.

 

Die sonderbarste Grabinschrift, die das mittelalterliche Königsberg wohl hervorgebracht haben dürfte, ist die des Pfarrers D. Georg Martin, gesetzt von einem gewissen Arnold Maubach, der wohl ein guter Freund des Verblichenen gewesen sein mag. Sie hat Mutterwitz und Lebensweisheit:

 

 „Doktor war ich und Pfarrer zugleich. / Bevor ich berufen war ich acht Jahre schon Priester an diesem Haus. / Mehlsack hat mich erzeugt, es lehrte mich Braunsbergs Schule, / Bis ich vierzigsten Jahr etwa, von dannen ging. / Es staunte der Tod, der Überwinder, / Hier über diesen Denkmalsgründer. / Den Hirten soll kein Schaf, nein, jener dies begraben. / Wie sehr das fromme Schaf auch wünscht, es so zu haben. / Die Ordnung ist es nicht, die man bewundern kann, /  Arnold Maubach, das Schaf, ist ein vernünftiger Mann“.

 

Seite 9   Foto: Ehrenmal auf der Bunelka am Saarker See bei Lyck. Foto: Archiv.

 

Seite 9   Die Stadt Tilsit / Ostpreußische Geschichte am Beispiel einer Stadt. (Fortsetzung)

Ausschlaggebend für den Burgbau zu Tilsit war nicht allein das hohe und daher besser zu verteidigende Memelufer, sondern auch die Kontrolle und Sicherung der hier am ehemaligen Rast- und Stapelplatz der Ordensritter über den Strom nach Szemaiten (Litauen) und weiter ins Rigaische führenden Straße; denn die ungestörte Verbindung zu den im Baltikum liegenden Ordensburgen war für den Orden auch eine Lebensfrage. Zur Schaffung eines lückenlosen Verteidigungsgürtels am linken Memelufer, wie ihn bereits Henning von Schindekopf begonnen, sollte gleichzeitig die 1365 durch den litauischen Großfürsten Keistutis zerstörte Ragniter Burg wieder aufgebaut werden.

 

Wie ehedem in Splitter so begannen auch in Tilsit die Vorarbeiten mit der Errichtung einer Ziegelei die bereits im Sommer 1404 erstand; denn der Orden drängte aus berechtigter Sorge zur Eile. „Item 12 mark und 8 scot vor die cleyne zigilschunen of der Tilsyt zu buwen", berichtet das Treßlerbuch. In vier Öfen brannte Ziegelmeister Hermann mit seinen Gesellen aus dem schalauischen Splitter die dicken Ziegelsteine für die künftigen beiden Burgen, und in einem anderen Ofen brannte Kalk. Das Brennholz wurde in den Wäldern am Oberlauf des Stromes und unter Lebensgefahr geschlagen und mühselig auf dem Land- und Wasserwege „ken der Tilsyt" gebracht.

 

„Item 3 mark und 8 scot vor ruhten holzes zu hauwen, item 5 mark und 8 scot die 8 ruhten zum wasir zu furen, item 2 mark 16 scot daselbe holz im schiff zu Tilsyt zu furen, item dieselben 8 ruhten holzes und 1 ½  schog ronen (Rundhölzer) zu den leczten 4 oven vom wasir bis zum oven zu furen", lautet die genaue Kostenabrechnung über den letzten Holztransport. Bis Ende 1404 war die nötige Anzahl Ziegelsteine fertiggestellt, worüber ebenfalls das Abrechnungsbuch Auskunft gibt: „Item 76 mark und 1(!) scot Herman dem zigilstrichirn, do vor hat her 200 000 muwersteyns of den rasen geantwert (gehandwerkt). Das gelt berechnete uns der kompthur an sente Thomas obunde (20 Dezember 1404)“.

 

Da Nikcolaus Fellenstein bei dem damaligen Umfang der Ordensbauten nicht ständig in Tilsit sein konnte, reiste er extra nach Danzig und fand in dem dortigen Baumeister Hans Bolle einen geeigneten und zuverlässigen Vertreter, der mit folgendem Vertrag in den Ordensdienst genommen wurde: „Man sal wissen, das unser bruder homeister Conradt von Jungingen mit Hannus Bollen muwerer von Danczk obir eyn ist komen umbe das gemuwirde zu Ragnith (!) und of der Tylsit also das wir ym von eym seyle lang ruten hoch und zigils dicke 9 firdung solen geben, item sullen wir ym vier Pferde zu den zwen wercken geben, iclichs von vier marken und die weyde dorzu vorlegen item sal her allem synen gesind byr brot fleisch salz zu irer notdurft frey haben zu vorkoufen, ouch solen wir ym siene muwerer und steynknecht, die her of eyn halp yar haben sal, drey wochen heen of zu zihende of das irsten frey halden, als sie alsampt in dryen wochen vordinen mochten " Gegeben und geschehen zu Marienburg im Jahre 1406.

 

Hanns Bolle bekleidete demnach die geachtete Stelle eines Baumeisters. Er durfte sich Gesinde halten und frei schalten und walten bei guter Besoldung. Unverzüglich muss Bolle nach Tilsit weitergereist sein und den Bau begonnen haben, denn bis April 1407 hatte ihm der Orden bereits die stattliche Summe von 95 mark preuß. auszahlen müssen. Die Abrechnungen hierüber, die mit der kleinsten Münze als „Gottespfennig" zum guten Gelingen des Baues beginnen, lauten:

 

„Item 1 firdung demselben (Hanns Bolle) zum gotesfennige“.

„Item 20 mark Hannus Bollen of sin gedinge gegeben am tage sente Johannis evangeliste (Juni 1406)“.

 

„Her Brendil his item 5 mark Hannus Bollen of syn gedinge gegeben am donrstage nach lichtmesse, das gelt nam her selben“. (Februar 1407.)

 

„Item 30 mark Hannus Bollen of sien gedinge geben am obunde Mathie apostoli (23. Februar 1407)“. „Item 40 mark Hannus Bollen of sien gedinge gegeben von des großkompthurs geheise am sonabunde vor Quasimodogeniti. Summe 95 mark und 1 firding (2. April 1407)“. Diese letzten vierzig Mark waren ein Geschenk des Ragniter Komturs für besonders gute Leistung.

 

Anfang April kam Baumeister Fellensteyn nach Tilsit, um sich vom Fortgang der Arbeiten zu überzeugen. Zusammen mit Bolle reiste er nach Ragnit weiter. „Item 2 mark Fellensteyn dem muwirer zu zerunge gegeben von des groskumpthurs geheise, als her mit Hannus Bollen ken Ragnit solde zihen am Frytage vor Quasimodogeniti." (Wird fortgesetzt)

 

Seite 9   Kreuze über Masuren. Von Fritz Kudnig.

Kreuze, hohe Kreuze ragen im Land

wie Beterhände überm Himmelsrand:

Gebet für die Heimat, in der sie stehn,

die heiligen Wälder, die heiligen Seen;

für die Heimat, die so todeinsam ist,

wie du, liebe Schwester, lieber Bruder, nun bist;

Gebet für die Mütter, deren Söhne tot,

für die Äcker, die nimmermehr tragen Brot,

die Höfe, die ohne Korn und Vieh,

und für uns in der Fremde, die arm wie sie. —

 

Kreuze, hohe Kreuze ragen im Land.

Wie Schwurhände stehn sie im Abendbrand

 

Seite 10   Drama eines Lebens / Hermann Sudermann zum 30. Todestag.

Foto: Hermann Sudermann (Lithographie von Hans Fechner)

Der Vorhang fiel, ehe der letzte Akt seines Lebensdramas begonnen hatte. Hermann Sudermann erlebte ihn nicht mehr. Er starb ohne Hoffnung vor dreißig Jahren. Erst vor unseren Augen hat sich die Szene wieder geöffnet: Wird sich der Konflikt lösen? Wird die Gerechtigkeit siegen?

 

Maßlos war der frühe Ruhm, der den Dichter aus einer von Not und Sorge überschatteten Jugend auf die höchste Stufe literarischen Ansehens hob. Und maßlos war der Hass, der ihn bis nach seinem Tode verfolgte.

 

Sudermann war eine leidenschaftliche Natur, und er weckte die Leidenschaften im Guten und im Bösen. Er kämpfte für sein Werk und für seine Überzeugung. So sehr entzündete sich der Streit um sein dramatisches Werk, dass er auch heute noch nicht beendet ist.

 

Es gab allerdings eine Zeit — und sie liegt gar nicht weit zurück — da man glaubte, ihn endgültig registriert und etikettiert zu haben. Man braucht nur die älteren Literaturgeschichten nachzuschlagen: einhellig werden seine Romane anerkannt, „Frau Sorge", „Der Katzensteg" und vor allem seine „Litauischen Geschichten", und fast ebenso einhellig wurde über ihn als Dramatiker der Stab gebrochen. Er sei kein Dichter gewesen, sondern ein kalter Bühnentechniker, nur auf sensationelle dramatische Wirkungen bedacht. Er habe „weder ein eigentümliches Bild seiner Zeit noch im höheren Sinne lebenswahre menschliche Gestalten hinzustellen vermocht, sondern nur mit einem pikanten Gemisch aus schlechtem Allen und wenig besserem Neuen dem großen Publikum gedient".

 

Wie sehr wurde er doch verkannt! Und wie sehr hat Sudermann trotz stürmischer Erfolge, trotz seines Lebens im großen Stil, trotz der Reichtümer, die er erwarb, bis an sein Ende unter dem Unrecht gelitten, das ihm Unverstand und böser Wille zufügten!

 

Gewiss war Hermann Suderrnann ein Dichter der zu Ende gehenden großbürgerlichen Epoche des vorigen Jahrhunderts. Weitgehend bediente er sich noch alter Stilelemente. Aber er wusste auch, dass er an einer entscheidenden Wende der künstlerischen und geistigen, ja, auch der nationalen und sozialen Entwicklung stand, dass neue Kräfte aufzusteigen begannen, dass neue Ideen zur Herrschaft strebten. So bildete er aus Altem und Neuem eine ganz eigene künstlerische Form, die nur aus dem Geist seiner ostpreußischen Heimat zu verstehen ist. Dass sie nicht verstanden wurde, ist die Tragödie seines Lebens und seines Schaffens.

 

Von den Gegensätzen und Spannungen seiner Zeit war dieses Leben und Schaffen beherrscht: im äußersten deutschen Nordosten, in der urtümlichen Landschaft des Memeldeltas wurde er am 30. September 1857 in Matziken bei Heydekrug unweit der litauischen Grenze geboren. Sein Vater führte eine kleine Gutsbrauerei, die nur knapp die Familie ernährte. So wuchs Sudermann in engen Verhältnissen auf und lernte früh die Not und den Kampf um das tägliche Brot kennen.

 

Aber hinter dem Elternhause dehnten sich Moor und Heide und die geheimnisvoll lockenden, unendlich weiten Wälder, die seine Sehnsucht nach unbekannten Fernen lenkten. Das war seine Heimat, die er geistig nie verlassen hat. In Elbing besuchte er das Realgymnasium. Und hier tat sich vor ihm eine neue Welt auf: Schichau hatte dort seine Werft; da klangen die Niethämmer, da wurden die Dampfer und Kriegsschiffe vom Stapel gelassen, die die Weltmeere überquerten. Er, der aus einer patriarchalisch geordneten bäuerlichen Welt kam, begegnet dem Industriearbeiter und dem harten Realismus der sozialen Frage. Beide Mächte, der Traum seiner Heimat im Osten und der unerbittliche Anspruch der Zeit, sollten ihn nie mehr loslassen. Beide formten sein Werk.

 

Zunächst aber studierte er in Königsberg, dann in Berlin. Hier blieb er. Die Reichshauptstadt wurde ihm zum Schicksal, ihre Bühnen und mehr noch ihre Kritik, auch als er längst schon zum Schlossherrn auf Blankensee in der Mark aufgestiegen war.

 

In Berlin begann Hermann Sudermann als Journalist, als Redakteur einer kleinen liberalen Korrespondenz und als Parlamentsberichterstatter. Er begegnete Bismarck im Reichstag; er hasste den harten Konservativen, der ihm nichts von der sozialen Not des Volkes zu wissen schien, und er wurde doch von dessen Größe überwältigt. Langsam wandelte er sich zum Schriftsteller, vom Schriftsteller zum Dichter.

 

Hermann Sudermann hatte schon einen kolportagehaften Roman in einem Familienblatt veröffentlicht, als ihm schon 1887 der große Wurf mit dem Roman „Frau Sorge", seinem zweiten Werk, gelang, der, aus Erinnerungen an Heimat und Jugend erwachsen, starke biographische Züge trägt und den viele für seinen besten halten. Drei Jahre später erschien „Der Katzensteg", mit dem er sein Ansehen als Erzähler bestätigte.

 

Fast gleichzeitig begann sein kometenhafter Aufstieg als Bühnendichter, als das Berliner Lessing-Theater, umjubelt von einem überwältigenden Premierenpublikum, sein erstes Drama „Die Ehre" herausbrachte. Damit hatte er gesiegt, wirtschaftlich für alle Zukunft, als Künstler für den Augenblick. Das Wagnis, Menschen des Vorder- und des Hinterhauses, die Bürger- und die Proletariersphäre kontrastreich gegenüberzustellen und die soziale Frage dramatisch zu behandeln, hatte, überrascht. Das war damals etwas absolut Neues. Die Kritik feierte ihn als „rechten Erben des jungen Schiller". Sie hatte richtig erkannt, dass es seit Schiller einen so blutvollen, einen so echten Dramatiker noch nicht wieder gegeben hatte. Aber die gleiche Kritik sollte ihm bald bitteres Unrecht tun und zur Quelle der Leiden werden, die er nie wieder ganz überwand.

 

Schon sein nächstes Stück brachte sie gegen ihn auf: er war in ihren Augen so vermessen gewesen, in „Sodoms Ende" nicht nur die sozialen Gegensätze zu zeigen, sondern seine Stimme gegen die Zeit zu erheben und in grellen Bildern die herrschende Gesellschaft des Berliner Westens, ihren Snobismus und ihre Würdelosigkeit, zu geißeln! Und diese Gesellschaft wusste sich zu rächen. Seine bisherigen Bewunderer wurden seine erbittertsten Feinde, die hämisch das Wort von „Sudermanns Ende" kolportierten. Wohl gelang es ihm, mit dem Schauspiel „Heimat" 1893 noch einmal einen Welterfolg zu erringen, aber die maßgebende Presse führte gegen ihn einen Feldzug, der seinen Ruhm als Theaterdichter zerstören sollte, obwohl das Publikum nach wie vor zu ihm hielt.

 

Hermann Sudermann suchte seine Stellung verbissen zu Halten. Er litt, aber er kämpfte weiter und wartete fast Jahr für Jahr, wenn auch mit wechselnden Erfolgen, mit neuen Theaterstücken auf, unter denen sein „Johannisfeuer" für seine künftige Bedeutung als Bühnendichter erst in unserer Zeit eine unerwartete, zu seinen Lebzeiten ungeahnte Bedeutung gewinnen sollte.

 

Aber schließlich zerstörte die jahrelange Hetze seine innere Sicherheit. Er wandte sich wieder der Erzählung zu. Als im November 1917 seine „Litauischen Geschichten" erschienen, darunter die berühmte „Reise nach Tilsit", war er nicht nur geistig in das Land seiner Väter zurückgekehrt, sondern errang auch einen literarischen Erfolg, der seine Stellung als Dichter erneut festigte.

 

Trotzdem kam er vom Theater nicht los: Er war schon halb vergessen, als er sich ein Menschenalter nach seinen großen Erfolgen in einer völlig veränderten Welt und vor einer Generation, die kaum noch viel von ihm wusste, im Jahre 1920 mit dem Schauspiel „Die Raschhoffs" die Bühne zurückeroberte und einen Erfolg errang, fast strahlender noch, als in seinen Glanzzeiten.

 

Allerdings war dieser Erfolg zugleich ein Erfolg seines ostpreußischen Landsmannes Paul Wegener, der die Bühnenfassung bearbeitet hatte und in der Rolle des alten Gutsbesitzers Raschhoff den ostpreußischen Menschen schlechthin verkörperte. Und die Zeit kam ihm entgegen: zum ersten Mal in der neueren Geschichte war Ostpreußen vom Reich abgetrennt worden: Die deutsche Insel im Völkermeer war bedroht. Da zeigten Sudermann und Wegener, was sie dem Reich bedeutete!

 

Hermann Sudermann starb am 21. November 1928. Wieder wurde es still um ihn. Trotz seiner letzten Bühnenerfolge verzichteten die Literarhistoriker darauf, das bisherige Schema ihrer Wertung zu korrigieren. Immer noch wurde er als „naturalistischer" Dramatiker neben Gerhart Hauptmann gestellt und verworfen. Noch hatte man nicht begriffen, dass seine Werke wohl starke realistische Züge tragen, dass er aber in ganz anderen Schichten wurzelt als der große Schlesier.

 

Da nahm sich mitten im Kriege, noch rechtzeitig genug, ehe der Einsatz aller Kräfte die Schließung der Theater erzwang, der große Regisseur Jürgen Fehling des Dichters an: im Jahre 1943 inszenierte er in Berlin „Johannisfeuer" und entdeckte damit den eigentlichen und wirklichen Dramatiker Sudermann. Von neuem stellte er die Frage nach seinem Wert und seinem Wesen. Seine Antwort lautete grundsätzlich anders als die aller seiner Vorgänger und er zeigte endlich den Weg zu einem richtigen Verständnis, er zeigte den Dramatiker Sudermann, so wie ihn noch niemand gesehen hatte.

 

Es ist das Verdienst des in Elbing geborenen Publizisten Paul Fechter, auf Jürgen Fehlings „Johannisfeuer"-Inszenierung und ihre Bedeutung für die Beurteilung Sudermanns aufmerksam gemacht zu haben; dass sie zeigte, dass die ganze bisherige Vorstellung, die Kritik und Theater von Sudermann und seinen Dramen haben, eine falsche, nämlich eine Vorstellung von außen her war, die ungeeignete Maßstäbe benutzte:

 

„Fehling gehört zu den ganz wenigen Menschen des modernen Theaters, die hinter der Welt des zeitlich bestimmten Sudermann der Jahre von 1914 den Wirklichen erkannt haben, nämlich den dramatischen Balzac des deutschen Ostens, dessen Wirklichkeit auch nicht die bloße äußere Realität, sondern die geträumte Wirklichkeit seiner eigenen Seelenspiegelungen vor dieser heute so fernen, versunkenen Welt des preußischen, des deutschen Ostens war. Er deckte auf, was in seiner Dichtung das Eigentliche, die von innen durchlebte Welt war, zeigte den großen, sehnsüchtigen Traum vom Osten, aus dem seine ganze dichterische Welt einmal aufgestiegen war. Fehling hat zum ersten Mal sichtbar gemacht, wie die Welt Sudermanns überhaupt aussieht und was sie wirklich ist. Dass sie mit Realität nichts, mit Traum und Sehnsucht und suchendem Gefühl alles zu tun hat, und dass man sie nur von dieser Erkenntnis aus spielen darf“.

 

Den letzten Akt des Lebensdramas eines der großartigsten Menschen des deutschen Ostens hat Jürgen Fehling eröffnet. Dass die deutschen Bühnen ihn nun zu Ende spielen und dem Beispiel folgen, das der große Regisseur mittten im halbzerstörten Berlin, mitten im Inferno der Bombennächte gab, ist gerade heute eine unabdingbare Verpflichtung. Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, nun, da wir wissen, wer Hermann Sudermann in Wirklichkeit war. Nicht allein um des Toten willen: wir werden die Beschenkten sein. Hans Teichmann

 

Seite 10   Hermann Sudermann. An die Heimat.

Heimat! Nun der Frühling naht,

lass mich deines Segens fromm gedenken

und zum Torweg und zum Wiesenpfad

meiner Sehnsucht schwanke Schritte lenken!

Lass mich schauen, ob der Hahnenfuß

und die Primeln aufgegangen sind,

und verzeihe, wenn bei ihrem Gruß

aus den Augen mir die Träne rinnt.

Heimat! Diese Zeit will harte Seelen,

und wir sind hart; denn du schufst uns so.

Du gabst uns die Kraft, uns zu zerquälen,

und aus Qualen machtest du uns froh.

Unsre Hand ist schwielig und zur Tat bereit,

und wenn unser Pflug an Steine dröhnt,

fachen wir und tragen sie beiseit'.

Deine Erde hat uns dran gewöhnt,

Heimat!

Heimat! Schickst du uns auf Wanderschaft?

Lässt uns fremden Lenzes Wunder schauen?

Und daheim quillt schon der Birkensaft,

und der Kiebitz schwenkt sich hoch im Blauen.

Ach, was soll uns hier der Blütenrausch,

der in tausend Farben ringsher gleißt!

Um den Frostwind geb ich ihn in Tausch,

der daheim auf kahlen Ebenen kreist.

Heimat, schmückst du dich mit neuem Kleide?

Ist's auch kärglich nur, wie ist es schön!

Talwärts blüht der Raps wie gelbe Seide,

und der Weißdornbusch blüht auf den Höhn

Grüne Schutzwehr bietet der Jasmin

um das Trümmerwerk des Erdegrunds,

doch der Storch, der kam, muss weiterziehn.

Wann wirst du ihm Obdach baun — und uns,

Heimat?

Heimat, segne unsre Wiederkehr!

Segne unsre blutgetränkten Äcker!

Und den Mauern, die nun schwarz und leer,

schenk vom Flammentode den Erwecker,

der dem Dach die Richtfestkrone bringt,

Hausrat hobelt und die Wände weißt,

dass, wenn einst der Friede niedersinkt,

uns dein Mutterblick willkommen heißt!

Heimat! Haben wir um dich gelitten,

schweigend taten wir's und ohne Prunk;

steif im Nacken sind wir und erbitten

keines Nachruhms eitle Würdigung.

Helden mag man andere heißen,

wir sind Pflichtvolk, wir sind Preußen,

das ist uns genug an Wert.

Gebt uns wieder Haus und Hof und Herd!

Schlagt uns Balken, brennt uns Steine!

Wir begehren nur das eine:

Heimat!

 

Dieses Gedicht wurde im Ersten Weltkrieg nach dem Einfall der Russen in Ostpreußen geschrieben und von Hermann Sudermann am 28. April 1915 ostpreußischen Flüchtlingen in Berlin vorgelesen. Entnommen dem Jubiläumsband zum hundertsten Geburtstag des Dichters „Heimat im Osten“, Verlag J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachf. GmbH, Stuttgart.

 

Seite 10   Fragmente große Dichtung. Zum 190. Geburtstag von Zacharias Werner.

In der Romantik war der Geist des deutschen Ostens zum Selbstbewusstsein erwacht. Sie war die Krönung einer jahrhundertelangen Entwicklung, in der die Kultur des alten Reiches sich auf ostdeutscher Erde zu etwas Neuem und durchaus Eigenem umgestaltete. Zwar ist die Romantik nicht allein ostdeutscher Herkunft, aber sie wurde sehr wesentlich vom Osten mitgestaltet.

 

Neben E. T. A. Hoffmann war es vor allem Zacharias Werner aus Königsberg, der der Literatur seiner Zeit wesentliche Antriebe für den Übergang von der Weimarer Klassik zur Spätromantik gab, wenn er auch trotz genialer Begabung und äußerer Erfolge — Goethe ließ mehrere seiner Dramen in Weimar spielen - nicht zur vollen Entfaltung seiner Möglichkeiten gelangte. Grillparzer, der sein Talent schätzte, urteilte über ihn: „Werner war der Anlage nach bestimmt, der dritte große deutsche Dichter zu sein. Er musste viel dagegen arbeiten, um sein Geburtszeugnis unwahr zu machen“. Vielleicht war seine Neigung zu Extravaganzen und Übersteigerungen, zu einer seltsamen Mischung von wahrhaft Starkem und Tragischem mit abenteuerlich Absurdem, ja, manchmal fast Krankhaftem, ein Erbteil seiner Mutter, die an religiösen Wahnvorstellungen litt und in geistiger Umnachtung starb. Neben glänzenderen Namen blieb er zwar der Unbekannteste unter den Romantikern; sein Einfluss wirkte aber noch über seinen Tod hinaus nach von Grillparzer und Hebbel bis Richard Wagner.

 

Dieser ungewöhnliche Mensch wurde als Sohn eines Universitätsprofessors vor einhundertundneunzig Jahren am 18. November 1768 in Königsberg geboren. In seiner Nachbarschaft wuchs der etwas jüngere E. T. A. Hoffmann auf, doch begegnete er ihm bewusst erst später, als er nach seinen Universitätsstudien — er hörte neben den Rechtswissenschaften auch Kant — als Kammersekretär in die damals südpreußische Hauptstadt Warschau kam und von ihm in die Literatur eingeführt wurde.

 

Hier in Warschau ereilte ihn die Nachricht, dass seine Mutter und sein bester Freund an einem Tage, am 24. Februar 1804, gestorben waren. Sie erschütterte ihn tief und wurde für ihn zum Anlass, das Drama „Der 24. Februar" zu schreiben, das seinen Namen bis heute unvergessen sein ließ, obgleich es nicht seine stärkste Leistung ist: Mit ihm eröffnete er die lange Reihe der Schicksalstragödien, an deren Ende als große Dichtung Grillparzers „Ahnfrau" steht.

 

Das Vermögen seiner Mutter und der Zusammenbruch der preußischen Verwaltung in Polen im Jahre 1805 befreiten ihn von seinem Amt. Seitdem führte er ein unstetes Wanderleben: Er ging nach Weimar, wo er mit dem Drama „Wanda, Königin der Sarmaten“ einen stürmischen Erfolg errang; in der Schweiz besuchte er Frau von Staël; schließlich wandte er sich nach Italien, wo er 1811 in Rom zum Katholizismus übertrat. Obwohl dreimal geschieden, empfing er in Aschaffenburg die priesterlichen Weihen, hielt während des Wiener Kongresses eigenartig fanatische Predigten und wurde Domherr in Kamieniec. Er starb, mit fünfzig Jahren schon ein Greis, am 17. Januar 1823 im Redemptoristenkloster zu Wien, ein halbes Jahr nach seinem Freunde E. T. A. Hoffmann.

 

Wesentlicher als das erfolgreiche Drama „Wanda", als sein bekanntestes, „Der 24. Februar" und als die heute vergessenen, wie „Attila, König der Hunnen", „Heilige Kaiserin Kunegunde" oder „Die Mutter der Makkabäer", ist das zweiteilige dramatische Gedicht „Die Söhne des Tals" vom Leben und Untergang der Tempelritter. Vor allem aber „Martin Luther oder Die Weihe der Kraft" aus dem Jahre 1805, das, sehr bühnenwirksam, noch in den siebziger Jahren vom Berliner Hoftheater gespielt wurde, das bedeutendste Lutherdrama überhaupt ist. Nach seinem Glaubenswechsel widerrief er es mit einem ,Anti-Luther' „Weihe der Unkraft".

 

Für die Problematik seines Lehens und Schaffens ist bezeichnend, dass seine größte Dichtung unvollendet blieb. Von dem Drama „Das Kreuz an der Ostsee" schrieb er nur den ersten Teil; den Inhalt des geplanten zweiten überlieferte E. T. A. Hoffmann, und er lässt ahnen, dass sich der Dichter hier zu letzter Größe erhoben hätte. Zacharias Werner war mit diesem Werk, das den Kampf zwischen den pruzzischen Heiden und dem siegreichen Christentum gestalten sollte, geistig in seine ostpreußische Heimat zurückgekehrt. Es beginnt damit, wie Herzog Konrad von Masovien den deutschen Ritterorden in sein Land ruft, um den Krieg mit den heidnischen Preußen zu beenden, und wie der heilige Adalbert in der Gestalt eines alten Spielmanns die Ritter zu Konrads umkämpfter Burg Plotzk führt.

 

Mit diesem Fragment einer großen Dichtung gelang dem zeitlebens zerrissenen und von innerer Unruhe umhergetriebenen Dichter der Vorstoß in den tiefsten Grund seines Schaffens, in dem sich sein Suchen nach dem Religiösen mit der Kraft seiner ostdeutschen Heimat vereinigte. Im „Kreuz an der Ostsee" zeigte Zacharias Werner, was er hätte werden können, nämlich, wie Josef Nadler sagt: zum Verkünder des preußischen Ordensgedankens im Sinne Hamanns und Herders.

 

Uns bleibt, sein Werk als das, eines großen Ostpreußen zu bewahren, der dem Reich zurückgab, was Ostpreußen vordem an Kulturgütern vom Reich empfangen hatte. Hans Teichmann

 

Seite 11   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

Foto: Verwitterte Kreuze mahnen / Holzschnitt von Bodo Zimmermann

 

Seite 11   Herbert Schmidt-Kaspar. November, November.

November, November — der erste Schnee!

Die Vögel beginnen zu frieren.

Der Wind ist traurig, klagt mir sein Leid.

Er steht vor dem Fenster, geht davon,

zieht seinen Rechen durch die Allee

und harkt das Laub in die Wälder.

 

Drunten am Fluss der Fährmann, mein Freund,

raucht scharfen Tabak und teert sein Boot,

wartet murmelnd auf Kunden.

 

Leichtsinnig, sagt er, allzu gewitzt,

Bruder, bist du gewesen.

Die Dahlien sind, siehst du, verlöscht,

das Zinnkraut wird spröde, der Boden hart.

Wo willst du hingehn? Die Straßen

sind von Schotter und Sand.

 

Warte! sag ich. Ich fahre

bald mit dir. Nur solang meine Sohlen

halten, geh ich allein.

 

Dummkopf sagt er. Allein,

im Herbst, mit deinem letzten Paar Schuh?

Lang tuns die nicht mehr.

Nein, sag ich. Auf bald!

 

Seite 11   Die Heimat wächst. Novemberbetrachtung von Jochen Hoffbauer.

Mein Weg in einer kleinen westdeutschen Stadt führte mich kürzlich über den Friedhof. Die Sommersonne flimmerte grell in schlanken Birken, und gedörrtes Gras verschmachtete am bröckelnden Mauerrand. Vögel und Wolken zogen dahin, unbekümmert der Toten und hatten ihr Ziel. Es war heiß, und ich setzte mich müde auf die grüne Bank. Vielerlei Gedanken gehen dem durch den Kopf, der als Gast bei den Toten sitzt. Aber immer wieder brach durch die Gedanken der helle Sommer und das Leben flammte so stark, dass die Toten keine Gewalt über mich bekamen.

 

Vor einem Kindergrab bog sich blütenüberladen der Rosenstock. Er mochte noch nicht lange da stehen. Im hinteren Teil des Friedhofes sah es unordentlich aus. Die Steine hingen schief über dem wuchernden Grasboden, und kaum noch waren Buchstaben und Zeichen zu erkennen. Die Veteranen des Friedhofs. Nicht weit davon entfernt jedoch frische Hügel mit Kränzen und Schleifen. Hier konnten die Tränen noch nicht getrocknet sein.

 

Lange schon hatte mich die Sonne von der einladenden Bank hochgetrieben. Kein Baum über der Ruhestatt spendete kühlenden Schatten. Ich ging zwischen Grabsteinen hindurch und hielt mich nicht an die sauberen, kiesbestreuten Wege. Namen und Zahlen, halb gelesen, kaum bedacht, vorbeigeflogen und — vergessen.

 

Da blieb mein Blick plötzlich auf einem schwarzen Grabstein haften. Namen und Zahlen sagten mir nichts, aber es stand noch etwas unter den Zahlen und das machte mich still: Geboren in Hirschberg im Riesengebirge. Und andere Grabsteine folgten mit ähnlichen Inschriften: Geboren in Königsberg; Justitiar in Stolp; Kaufmann aus Pilsen; Vertrieben aus Liegnitz.

 

Ich spürte den Sommer nicht mehr; fühlte die unerträgliche Hitze nicht. Meine Hände schlossen sich ineinander, und ich war nicht mehr in der kleinen westdeutschen Stadt; nein, ich stand auf allen Friedhöfen unserer ostdeutschen Heimat:

 

Dorfkirchen, weißgetüncht, einfach und klar; ausgetretene Fliesen führten zum Gottesacker. Hügelig breitete sich das Gelände um die Kirche aus, und immer wieder wurde die harte Erde aufgerissen zu einem frischen Grab.

 

Dome und Kathedralen, Gebirge Gottes, in den steinernen Städten mit wohlgehegten, mauerumwehrten, parkähnlichen Totenstätten. Kirchhöfe im Flachland und in der Heide, kieferumrauscht; schwarz verrußt im oberschlesischen Kohlenrevier; zwischen Fluss und Fluss im Seengebiet der Oder, Weichsel, Elbe und Moldau. Karg und mühsam die Kirchhöfe der frommen Gebirgsgemeinden.

 

Alle unsere Orte der Besinnung von daheim standen vor mir. So wächst die Heimat von Jahr zu Jahr auf Deutschlands Friedhöfen, auf den Friedhöfen der ganzen Welt. Noch über den Tod hinaus bleibt die Heimat lebendig in der Fremde. Langsam und nachdenklich schloss ich das eiserne Friedhofstor. Die Sonne hatte ihre Kraft verloren. Dieses Sommererlebnis rückt in den Tagen, da wir unserer Toten gedenken, immer stärker in mein Bewusstsein. Nun fährt der Herbststurm in die letzten Blätter und schüttelt die morschen Zweige mit gewaltiger Kraft. Mit anderen Gedanken als im Sommer gehen wir jetzt über die Friedhöfe. Die Natur stimmt besinnlich, und wir erleben den Wechsel der Jahreszeiten als Sinnbild unseres eigenen Vergehens. Verse und Lieder, fast vergessene, klingen in unseren Ohren:

 

Freundlich neigt sich die Kirche.

Wildwein umrankt das Gemäuer.

Die Berge sind klar.

Irgendwo lauert der Winter.

Immer mehr Tage vergehen.

Immer mehr Stunden verträumen...

 

Noch künden auch drüben, in der alten Heimat, die Grabsteine von unseren Vätern und Vorvätern, Müttern und Kindern. Noch sind die Namen der Bewohner ostdeutscher Lande nicht gänzlich von Wind und Regen, von Zeit und Vergessen, verwischt. Die Grabhügel werden verfallen, und kein Blumenflor wird von der Liebe eines Volkes zu seinen Toten zeugen. Aber die hölzernen und geschmiedeten Kreuze tragen weiße oder schwarze Tafeln mit unseren Namen, mit Namen wie: Abromeit, Kuhlmann, Beier, Dreßler, Gläser, Kiesewalter, Baumert, Kittelmann, Schieberle, Wagner und Jandrei. Was mögen die Fremden denken, wenn sie scheuen Blickes an diesen Namen vorbeigehen? Die Toten reden zu ihnen genauso wie hier zu uns. Wohl denen, die ihre Stimmen hören im lauten Tag und denen der Abendwind die Worte zuträgt aus einer anderen, reiferen Welt.

 

Wenn die Dämmerung immer früher kam, brachte der November am Anfang seines Monats das Allerseelenfest. Ängstlich drückte ich die große Hand des Vaters, wenn wir, umhüllt von völliger Dunkelheit, den Friedhof betraten. Wann jemals wäre ich kleiner Bub um diese ungewöhnliche Zeit hierher gegangen?

 

Unheimlich drohten die Eckpfeiler der klobigen Mauer. Aus Büschen und Sträuchern konnten jederzeit Gestalten auftauchen, lebende oder überirdische, das wusste ein Kind an solchen Orten nie. Die Schulkameraden erzählten genug Geschichten davon, und darum fasste ich ängstlich Vaters Hand.

 

Aber dann, als das Tor durchschritten war, löste sich die kindliche und törichte Angst. Ein Meer von Lichtern, kleinen und großen, spiegelte sich in meinen Augen. Tulpenwiesen im Märchen konnten nicht schöner sein. Zuweilen rote Ampeln dazwischen oder eine Lichtpyramide aus mehreren Kerzen. Dann wieder kleine, schmale Lichter auf ärmlichen Gräbern. Zum Schutz gegen den rauen Novemberwind waren durchsichtige Behälter aufgesetzt, oder eine zerfurchte Hand hielt die zuckende Flamme umschlossen. Hielt sie fest gegen allen Sturm. Ich stand freudig erregt und sah die festlichen Lichter. Langsam gingen wir den Hauptweg entlang. Vater war still. Ich glaube, er betete.

 

Doch vor dem Gehen wagte ich die lang zurückgehaltene Frage: Vater, was bedeuten die Lichtlein? — Das sind die Seelen der Toten, mein Kind. Die treten aus den dunklen Gräbern heraus und sagen es uns. — Was sagen sie uns, Vater? — Dass die Seele das höchste und größte ist und immer noch besteht, wenn Körper und Geist lange vergangen sind. —

 

So war das also mit der zarten Seele, mit der unsterblichen Seele, wie wir im Religionsunterricht lernten. Ich glaubte dem Vater in jener stürmischen Novembernacht jedes Wort.

 

Und so erwächst aus der Erinnerung auch uns Heutigen mancher Trost. Aus dem Sommer kommend, greifen meine Gedanken in den Frühling. Neben Totensonntag und Allerseelen muss in goldenen Lettern das Wort vom kommenden Ostern stehen: Auferstehung! Nur von daher rundet sich unser Weg. Schon tritt aus den Nächten der Bedrängnis und des Leidens wie eine Lichtgestalt, als heilendes Allerseelenlicht, der Auferstandene in unsere Mitte.

 

Auf den Grabsteinen fanden sich oft die Worte: Ruhe in Frieden! Unsere heimischen Kirchhöfe atmeten diesen Frieden, sie wurden wahrhaftig zu Friedhöfen für jeden, der den Frieden wahrhaft suchte. —

 

In Wimpfen am Neckar werden die aus der Benediktinerabtei Grüssau vertriebenen Mönche in diesen Nächten die Totenliturgie singen. Durch die dunklen Gänge kommen ernste Männer mit den Lichtern in der Hand. Das alte Gewölbe der Kirche hallt wider vom liturgischen Gesang. Er füllt auch unsere Tage aus, und wir sehen das Bild und hören die Worte, schwer und wuchtig: REQUIESCANT IN PACE — RUHET IN FRIEDEN!

 

Seite 11   BEGEGNUNG/ Von Karl-Heinz Jarsen

Er griff in den goldgelben, sonnenwarmen Sand, als wollte er graben, hob seinen Arm, den Ellbogen gewinkelt, spreizte die Finger, wie traumverloren. Der Sand rann hindurch, Sprühstrahlen, trocken, sacht verebbend. Er legte sich rücklings nieder, faltete die Hände im Nacken und blinzelte empor zum wolkenlos heiteren, ultramarinblauen Sommerhimmel. Möwen, heiser krächzend, kreuzten das Blickfeld. Ihre Schwingen blitzten. Die Sonne glich flüssiger Bronze, füllte die Augenschlitze mit grellem Glanz. Der lockere, mollig warme Strandteppich tat seinen Nieren wohl. Der Wind glühte. Das Meer, nur leichtgekräuselt und ohne Gischtkrone, rauschte leise, kaum vernehmbar. Er hatte sie oft gehört, diese traute heimatliche Melodie, früher als Kind und Pennäler. Erinnerungen wurden wach: Ostseeküste — Bernsteinstrand — Kiefernwälder ... Jetzt, nach so und so viel Jahren, sah er die Ostsee wieder, verlebte hier seinen Urlaub und war doch über tausend Kilometer von der Heimat entfernt. Keine Ressentiments, dachte er. Richtete sich auf, zog beide Knie an den Körper, schlang die sonnengebräunten Arme herum und spähte westwärts, das Rückgrat gekrümmt. Hitzeschleier waberten. Der schmale, ockerfarbene Strandstreifen war flach, kahl und flimmerte. Dünen fehlten, weitgewölbte, distelbewachsene Dünen; sie hätten die Illusion der Heimatküste vollkommen gemacht. Drüben, im Bad, lagerten die meisten Urlauber und Kurgäste. Er hingegen liebte die Stille, suchte die Einsamkeit, blieb Sonderling, wider Willen. Krieg, Gefangenschaft und der Verlust der Heimat hatten ihn gründlich verändert. Gewiss er sehnte sich nach einem Menschen, wünschte, erhoffte eine Frau, die Mutter und Geliebte zugleich war und fürchtete, enttäuscht zu werden. Träume jedoch enttäuschen nie; das erfuhr er, jede Nacht, jetzt auch am Tage. Er sprang hoch, stapfte zum blinkenden, knapp geriffelten Meer.

 

Die Sonne näherte sich dem Zenit.

 

Triefnass, erfrischt und hungrig trabte er zurück, schlüpfte in Bademantel, Galoschen, erreichte die kiesbestreute Strandpromenade, trippelte der Kurpension entgegen. Unterwegs traf er eine junge, adrett gekleidete Dame, deren Haar, weizenblond und glatt gekämmt, in einem Knoten endete. Er stutzte, jäh erstaunt. Das Blut jagte empor. Die Schläfen tuckten. Sie ging vorbei, sehr gerade. Beachtete ihn nicht. Er presste die Lippen. Seine Nasenflügel bebten. An der Stirnnarbe, schräg und enggefurcht, hatte er sie erkannt. Ja, es gab keinen Zweifel, trotz der Jahre, die dazwischen lagen. Seine Wangen glühten. Er wollte sich umdrehen. Schritt aber weiter, mühsam beherrscht. Die Gedankenhämmer klopften. — Weißt du noch? —

 

Herbst 1939. Der im Polenfeldzug eroberte Ostseehafen Gdingen. Transportschiffe mit baltendeutschen Umsiedlern werfen Anker. Sechzehn- bis siebzehnjährige Jungen, von der Schule befreit und hierher beordert, helfen beim Gepäckausladen. Tief und katzenfellgrau hängt der Novemberhimmel. Schieferfarbene Wellen klatschen gegen Mole und Kaimauer. Die Passagiere trappeln über das Fallreep, empfangen in der riesigen Halle nahe am Kai warme Getränke, belegte Brote ... Steigen, etwas gestärkt, metallene Treppen hinab. Personenzüge warten.

 

Sie ist müde. Die Reisestrapazen — die Luftveränderung ... Ihr wird schwindelig. Sie wankt. Stolpert. Verfehlt die nächste Stufe. Fällt... Er kniet neben ihr, starrt auf das rinnende, sickernde, Blut. Ihr blonder Schopf färbt rot an Stirn und Schläfen. Er drückt sich vom Gepäckausladen, aber nur für ein paar Stunden. Besucht sie im Krankenhaus. Schenkt ihr Obst: Bananen, Feigen, Apfelsinen ... (Die Schüler haben einen Keller entdeckt, unter der Halle, voll mit Südfrüchten) Manchmal sind ihre Eltern bei ihr. Ihren Kopf hüllt ein turbanähnlicher Mullverband.

 

Das Mädchen lächelt, wenn er kommt. Sie sprechen wenig. Was sollen Worte! Auch Schweigen kann beredt sein. — Ich muss gehn. Bis morgen. — Er hält ihre Hand, die bleich ist wie das Betttuch, aber warm. Blick taucht in Blick, scheu, verwirrt. — Auf Wiedersehn! —

 

Eines Tages trifft er sie nicht an. Der Stationsarzt hat sie entlassen. Sie und ihre Eltern sitzen dichtgedrängt in einem Personenzug, der nach Polen rollt. Er weiß es nicht. Trottet zurück. Trägt Säcke, Kisten, Reisekörbe ... und träumt dabei.

 

Beim Abendspaziergang sah er sie erneut auch ihren Mann, der sie begleitete. Sie hatte ihn eingehakt. Beide lächelten. Plauderten vergnügt.

 

Am nächsten Morgen, obwohl der Urlaub noch nicht um war, packte er seinen Koffer.

 

Seite 11   Die Kugel im Herzen / Von Julian Kawalec

Er verhaftete sie auf dem ärmlichen Platz, auf dem Ziegen weideten. Er verhaftete sie nach den Regeln einer Verhaftung. Er rief laut: Halt! Hände hoch! Kehrt! Hinlegen! . . .

 

Mit dem Revolver in der Hand ging er zu ihnen hin, betrachtete interessiert ihre Rücken und begann mit einem gelben Kupferdraht ihre Hände zu fesseln. Der Draht reichte nicht für alle, so band er Ludwikas Hände mit einer festen schwarzen Schnur.

 

Dann fasste er sie einzeln am Kragen und riss sie auf die Beine.

 

Marsch! — schrie er — Kopf 'runter!

 

Er trieb die Verhafteten vor sich her in Richtung auf einen Neubau. Den Revolver hatte er schussbereit. Er lenkte sie über den verlassenen Platz und suchte eine geeignete Wand. In der Ruine fand er eine rote Mauer. Dort stellte er sie auf; er würde in den Rücken schießen.

 

Ludwika befreite ihre Hand aus der gelockerten Fessel, griff in die Tasche, holte eine Semmel heraus und begann zu essen.

 

Hör auf zu essen, Ludwika! — schrie er und fuchtelte mit der Waffe. Ludwika steckte die angebissene Semmel in die Tasche, legte die Hände auf den Rücken und senkte den Kopf.

 

Achtung! Bei Kubalski fange ich an — schrie er und richtete den Revolver auf den Rücken des auf der linken Seite stehenden Verhafteten. Ein gedämpfter Knall. Kubalski sackte zusammen, ging in die Knie und legte sich zur Seite in den gelben Sand. Wieder ein Schuss. Der nächste der Verhafteten legte sich unter die Wand. Zum dritten Male ein Schuss aus dem Revolver, doch der Dritte in der Reihe fiel nicht um.

 

Kotula!— schrie der Schießer — du bist erschossen! Warum stehst du noch?

 

Aha — murmelte Kotula und begann sich bequem auszustrecken.

 

Laffel — schrie der Schießer. Stille! Der nächste Schuss hätte fallen müssen, aber er blieb aus.

 

Stattdessen vernahmen die Verhafteten die ungeduldige Stimme des Exekutors. — Der Revolver hat eine Hemmung! —

 

Hat eine Hemmung? — wiederholten die Arrestanten, — schade —.

 

Was ist los? — fragte einer besorgt, — aber das lässt sich doch reparieren? — Die an der Mauer standen, drehten sich um; ein lebhaftes Gespräch begann, Ratschläge wurden erteilt; in kurzer Zeit war der Revolver wieder heil.

 

Ludwika, die nicht gedacht hatte, dass dies so schnell gelingen würde, biss noch an ihrer Semmel herum.

 

Ludwika, hör auf zu essen! — rief der Exekutor — alle an die Mauer zurück!

 

Von neuem fielen Schüsse. Die Verhafteten legten sich in den Sand. Vom letzten Schuss fiel Ludwika; sie hatte es geschafft, die Semmel vor dem Tode aufzuessen.

 

Da ging ich weiter. Auch mich hatte eine Kugel getroffen, eine Kugel aus dem hölzernen Revolver eines Schülers der ersten Klasse. Ich trage die Kugel noch heute im Herzen.

(Deutsch von Robert Lipinsky-Gottersdorf)

 

Seite 12   So fiel Königsberg / Ein authentischer Bericht vom Kampf und Untergang der preußischen Krönungsstadt

General Otto Lasch: SO FIEL KÖNIGSBERG. Kampf und Untergang von Ostpreußens Hauptstadt. Graefe und Unzer Verlag, München. 144 Seiten, 14 Kunstdrucktafeln. Leinen DM 12,80.

Recht weit muss man schon in der Geschichte zurückgehen, um ein Geschehen zu finden, das sich an Dramatik und Tragik vergleichen ließe mit dem Schicksal der alten preußischen Krönungsstadt. Und ebenso schwer wird man ähnliche Ereignisse finden, die derart erschütternde Folgen hatten.

 

Mancherlei ist über die Königsberger Tragödie geschrieben worden, Wahrheit hat sich vermischt mit dichterischer Freiheit. Umso mehr können wir es begrüßen, dass in diesem vom Verlag würdig ausgestatteten Buche endlich ein wirklich authentischer Bericht vorliegt. Denn sein Verfasser ist der letzte Kommandant von Königsberg, der erst im Herbst 1955 aus russischer Gefangenschaft heimgekehrte General Otto Lasch, vielen schon vor dem Kriege bekannt durch seine lange Garnisonzeit in Ostpreußen. Sein Werk kann fraglos als kriegsgeschichtliche Quelle gelten, es ist sachlich, aber überall mit menschlicher Wärme geschrieben und mit wohltuender Liebe zu Königsberg und zu Ostpreußen mit seinen Menschen. Zahlreiche, zum Teil noch unbekannte Bilder beleben die Darstellung, und besonders sei erwähnt, dass die Karten — leider so oft ein Stiefkind derartiger Veröffentlichungen — hier in außerordentlich klarer, fachmännischer Weise ausgeführt sind durch einen Mitkämpfer, den als ostpreußischer Kriegsgeschichtler bekannten Oberbaurat und Major der Reserve Kurt Dieckert.

 

Nicht ohne innere Bewegung wird man das Buch lesen können. Von vornherein geht es auf höheren Befehl um die Verteidigung eines verlorenen Postens, um eine Festung, die längst keine mehr ist. Umso erstaunlicher erscheint, was diese, mit Ausnahme einiger an Zahl schwacher ostpreußischer Regimenter fast nur zusammengewürfelte, immer an Munitionsmangel leidende Truppe mit ihren kärglichen Verteidigungsmitteln in wochenlangen heroischen Winterkämpfen leistete: 35 000 Mann gegen mehr als 250 000, nur zwei Panzer gegenüber hundert russischen, kaum ein einziges Flugzeug gegen ein Drittel der gesamten sowjetischen Luftflotte, ganz zu schweigen von der überwältigenden artilleristischen Überlegenheit. Trotzdem wurde Königsberg vom Beginn des Angriffs am 26. Januar bis zum 9. April gehalten, wobei der russische Würgegriff mit einer kurzen Ausnahme im Februar von Tag zu Tag immer drückender wurde. Viel hätte nicht gefehlt, so wäre der Russe bereits am 28. Januar mitten in die Stadt hineingestoßen. Von einer durchgehenden Hauptkampflinie konnte bald fast auf keiner Front mehr die Rede sein, die Verteidigung musste sich auf einzelne Stützpunkte beschränken, bis dann zuletzt, vom 6. bis 9. April, als nur noch Teile vom Sackheim, vom Rosengarten, vom Tragheim, Schloss und Steindamm in deutscher Hand waren, vier Tage lang nur noch gekämpft wurde um Häuserblocks und einzelne Häuser. Wie aus General Laschs Bericht klar hervorgeht, hätte sich vieles, vor allem der rechtzeitige Abtransport von 130 000 Einwohnern, ganz anders gestaltet, wenn es allein nach dem Willen der militärischen Dienststellen gegangen wäre und wenn nicht Hitler, dauernd beeinflusst durch prahlerische Meldungen der Gauleitung, immer wieder bestanden hätte auf den nutzlos gewordenen „Kampf um jeden Fußbreit Bodens" — zu einer Zeit, wo schon fast kein Boden mehr zu verteidigen war. Da nun am 9. April die Lage völlig hoffnungslos geworden war und da auch Königsberg angesichts des bereits im Herzen Deutschlands stehenden Gegners vom strategischen Standpunkt aus keinerlei Bedeutung mehr hatte, schloss General Lasch die Kapitulation ab, um das wenige zu retten, was noch zu retten war. Hitler ließ ihn dafür in Abwesenheit zum Tode verurteilen und seine Familie in Sippenhaft nehmen — nur mit knapper Not entgingen seine Töchter dem Tode. Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Koch, hatte es vorgezogen, schon am 26. Januar mit seinem Anhang die gefährdete Stadt zu verlassen, um seinen Mut von Neutief aus durch Funksprüche an Hitler zu beweisen.

 

Es ist im Übrigen ein Buch, das nicht nur dem Soldaten ein Denkmal setzt, sondern nicht minder der tapferen Königsberger Bevölkerung, die bei allem Unheil nie den Mut sinken ließ. Es sollte auf möglichst vielen ostpreußischen Weihnachtstischen zu finden sein. Dr. Gr.

 

Wer weiß was über Ostpreußen.

Ein neues originelles Ostpreußenbuch. Witz, Sachkenntnis und vor allem herzliche Heimatliebe bewiesen die Herausgeber dieses originellen Ostpreußenbuches, das die Erinnerung an die Heimat mit seinem lustigen unterhaltsamen Frage- und Antwortspiel lebendig erhalten will. Kulturelles, Geschichtliches, Geographisches. Anekdotisches, Mundartliches — alles wird hier „geprüft". Zahlreiche Illustrationen beleben diesen idealen Geschenkband für Alt und Jung. (WER WEISS WAS ÜBER OSTPREUSSEN. Ein lustiges Quizbuch mit 350 Fragen und Antworten. Gräfe und Unzer Verlag. München. 96 Seiten, Pappband mit zellophanierten mehrfarbigem Überzug, DM 5,50). Besonders für die Gestaltung von Heimatabenden vorzüglich geeignet.

 

Ostpreußenkalender 1959

Wenn ein Kalender bereits im 21. Jahrgang erscheint, dann kann man mit Recht von einem alten Bekannten und Familienfreund sprechen. Er wird auch in diesem Jahr keinen enttäuschen, sondern aufs Neue Freude durch ein ganzes Jahr hindurch schenken. Gepflegt in seiner Ausstattung, sorgsam die Auswahl der Bilder, in sinnvollem Zusammenklang die begleitenden Textbeiträge bekannter ostpreußischer Autoren, zusammen eben der Ostpreußenkalender, wie wir ihn schätzen und lieben! (Gräfe und Unzer Verlag. München. Format 14,8 x 21 cm, feiner Kunstdruckkarton, DM 3,75).

 

Ostpreußisches Wippchen

Dot is dot

Johanna Kurz war ein sehr energisches Weib und ihr Karl hatte nichts zu lachen. Seinem Ärger konnte er nur dadurch Ausdruck geben, dass er ihr heimlich einen Schabernack spielte. So hatte er ihr schon Kalk ins Butterfass gemogelt; Kaddik statt Stroh in den Bettsack gestopft und derlei Dinge mehr. Als sie ihn aber dabei überraschte, dass er sich über die Erdbeeren hergemacht hatte, die sie bei der Apothekerin zu Geld machen wollte, schmiss sie ihn kurzerhand in die Brahe, die am Haus vorüberfloss.

 

Karl Kurz holte sich dabei eine Lungenentzündung und lag eines Morgens leblos im Bett. Johanna schickte zum Arzt, dass er den Totenschein ausstellen komme. Als der erschien, begann Kurz aber zu sprechen. Da schrie Johanna: „Jetzt spielst du mir keinen Schabernack mehr! Aus! Oder meinst', ich hätt' den Doktor umsonst geholt? Dot is dot!" — Da erschrak Kurz so sehr, dass er auf der Stelle starb.

 

Wildgewordener Liebhaber

Auf einem Spaziergang im Stadtpark an einem kühlen Mai-Abend wird die Hausfrau zufällig Augenzeugin, wie ihre tüchtige und treue Hausgehilfin Anna von ihrem Liebhaber, einem Fleischergesellen, breit wie ein Kleiderschrank, mehrmals geohrfeigt wird. Natürlich hat sie Angst, auf ihn zuzugehen, aber am nächsten Morgen fragt sie das Mädchen: „Wie konnten Sie sich nur das bieten lassen?! Haben Sie wenigstens gleich mit dem Kerl Schluss gemacht?"

 

„Wieso denn? Es steht geschrieben: „Er soll dein Herr sein!“ Es steht doch nicht geschrieben: „Du sollst von ihm weglaufen!“

 

Er musste heiraten

„Ach, Frau Pokriefke, Ihr Sohn hat jeheiratet? Wie is das denn so schnell jekommen?" „Schnell gar nich, aber so pöh a pöh ließen meine Augen immer mehr nach“.

 

„Was hat das denn mit die Heiraterei zu tun?" „Sehr viel, Frau Lehmann: Wir mussden uns doch nu nach einer umsehen, die was ihm benäht und beflickt!"

 

Das sind nur drei kleine Kostproben aus der Fülle von über zweihundert, die von Hans Bernhard Meyer in dem Band „Westpreußische Wippchen" (Verlag Gerhard Rautenberg, Leer. 148 S., Geb. DM 4,80) gesammelt wurden. Ein köstlicher Strauß heimatlichen Humors! Und ein wahrer Leckerbissen! Wer ihn sich entgehen lässt, ist eigentlich selbst daran schuld, er bringt sich um einen großen Genuss und um manche frohe Stunde. Der Verfasser, der diese Wippchen mit leichter Hand, immer treffend pointiert, niedergeschrieben hat, muss in seinem Leben viel dem Volk auf den Mund gesehen haben. Zur Illustration hat er selbst eine Reihe humorvoller Zeichnungen beigesteuert, die ihn als Doppelbegabung kennzeichnen. Was soll noch mehr darüber gesagt werden? Kaufen und lesen!

 

Ei kick dem!

Lustige ostpreußische Mundartgedichte Das nebenstehende Gedicht „Klogschieter“ entnahmen wir dem neuen Band lustiger ostpreußischer Mundartgedichte von Dr. Alfred Lau (Gräfe und Unzer Verlag, München. 48 Seiten, DM 2,50). Derb, deftig und von einer herzerfrischenden Ursprünglichkeit präsentiert sich auch diese neue Sammlung; eine schöne Ergänzung zu seinen drei Vorgängern ‚Schabbelbohnen', ‚Plidder-Pladder' und ‚Kriemelchens', die sich zum Teil bereits in der Heimat eines großen Freundeskreises erfreuten, wer lachen will, so frei von der Leber weg, dem sei diese Kost als Medizin verordnet.

 

Seite 12   Klogschieter / Von Dr. Alfred Lau

Wie einst der liebe Gottcbe

De Menschlichkeit erschuf,

Formd außem letzten Dreck er

Klogschieter von Beruf.

Die reden so geschwollen

Und geben schaurig an,

Dass einer all von weitems

Se leicht erkennen kann.

Die heeren Flöhe husten

Drei Meilen gegen Wind

Und wissen alles besser,

Weil se „gebüldet" sind.

Auf alle Fachgebiete

Da kennen se sich aus.

So einer war der Kallweit

Bei uns im Dorf zu Haus.

Da hädd emal der Dunskus

E Dackel sich gekauft

Fier runde dreißig Gulden

Und Waldmann ihm getauft.

Gleich kam der kluge Kallweit

Und nahm, das Maul verquer,

Dem Dunskus seinem Dackel

Klogschietrig im Verheer.

„Mensch, Dunskus, dreißig Gulden!

Das is ja viel zu viel,

Das is doch gar kein Dackel,

Das is e Kaffeemiehl.

Kick bloß die kurze Ohren,

Das is doch kein Behang

De Schnauz nich spitz und lang,

Wie gute Dackels haben,

Nei, richtig stumpf und breit.

Dem schmeiß man weg, ich weiß doch

Mit Hunde gut Bescheid.

E Rasse-Dackel kaufen,

Das is e große Kunst,

Und du, mein lieber Dunskus,

Hast davon keinen Dunst!

Plieraugen hat er auch noch!

Und denn die Fieße! Nei,

Fier sowas dreißig Gulden,

Das is Betriegerei!"

Da wurd der Dunskus wietend:

„Nu wird es mir zu dumm.

Was willst bloß von die Fieße?

Na, sind die nich scheen krumm?"

„Was nitzt das ganze Krumme

Das is doch piep und schnurz,

Die Fieße von dem Dackel

Die sind doch viel zu kurz!"

„Na scheen", sagd drauf der Dunskus

„Hast recht, ich seh es ein.

E bissche kurz geraten?

Na ja, das meeg schon sein.

Bloß eins is an die Fieße

Die dreißig Gulden wert:

De Hauptsach is, se reichen

Direkt bis aufe Erd!“

 

Seite 12   Bücher – die uns angehen.

Ingeborg von Hubatius-Himmelstjerna: HOCHZEITSREISE IM BASCHKIREN-LAND. Erlebnisse einer Baltin. Eugen Salzer Verlag, Heilbronn. 192 S., Ln. DM 8,50.

Die Autorin erzählt breit und anschaulich, plastisch und farbig ein Stück ihrer Lebensgeschichte. Sie führt in die Zeit des untergehenden Zarenreiches und in die Fährnisse des Weltkrieges, die ihr zu Unrecht den Verdacht der Spionage für Deutschland einbringen und sie nach der Befreiung aus Lebensgefahr nach dem Osten, an den Ural fliehen lassen, wo sie ihren Lebensgefährten kennenlernt. Die Bedrängnis des Exils, Gefahren und Nöte lassen sie aber nie den exotischen Reiz des Lebens der Stämme im Baschkirenland übersehen, deren Gestalten sie trefflich und oft mit deftigem Humor schildert. Die Welt, die uns in dieser Erzählung lebhaft aufleuchtet, wird heute gewiss viel von ihrer Besonderheit und Ausgeprägtheit verloren haben. So mischt sich in die Freude über Landschaft, Volksbräuche und Volkstypen die schmerzliche Erinnerung an Unwiederbringliches.

 

Karl Hermann Böhmer: BILDER AUS DER UDSSR. Georg Westermann Verlag, Braunschweig. 140 Abb. auf Kunstdruckpapier, 1 Faltkarte.

Wer sich in Zukunft über die Sowjetunion informieren möchte, der findet in dem Band des Westermann-Verlages nach einem einleitenden, sehr sorgfältig und sachlich geschriebenen Überblick über die wirtschaftlichen und technischen Bedingungen des Landes eine Fülle von fast anderthalb Hundert zum Teil hervorragender Fotografien. Verlag und Verfasser haben sich jeglicher politischen Polemik enthalten: das ist ihnen hoch anzurechnen, gibt es doch dem Betrachter der Bilder die Möglichkeit, sich ungehindert von Vorurteilen und unterstützt von den knappen, instruktiven Bildtexten die kaum fassbare Größe und Vielfalt des roten Riesenreiches klarzumachen. Die Bilder: sie zeigen die Weizensteppe der Ukraine und die kahlen Sandhügel turkmenischer Wüsten, die Stromgebiete Sibiriens und die düsteren Felsengipfel des Dachs der Welt; einsame Häfen an nördlichen Meeren tauchen auf, von denen wir kaum die Namen kennen und die doch eines nicht fernen Tages in aller Munde sein werden, weil sie die Vorposten der umwälzenden Pläne der Sowjets sind. Neue, prunkvolle Städte und alte, deren Namen in jedem Geschichtsbuch Europas stehen, wechseln ab mit ärmlichen Dörfern, die heute noch aussehen wie zu Gontscharows, zu Gogols Zeiten — wie lange noch? Anmut und Titanengröße, Einöde und Menschengewimmel, Palmen und Eisberge, reitende Hirten und Atomreaktoren — das ist Russland. Es lohnt, dieses Buch zu betrachten und immer wieder in die Hand zu nehmen. Der Verlag hat es gut ausgestattet; besonders ist ihm zu danken für die beigefügten Tabellen und die große Karte. 

 

Neue schlesische Bücher

SCHLESISCHER KALENDER 1959. Abreißkalender mit 24 Fotopostkarten und Beiträgen schlesischer Autoren auf feinem Kunstdruckkarton. Format 14,8 X 21 cm (DIN A 5). DM 3,75.

Man weiß nicht, was man mehr loben soll: die saubere, plastische Bildwiedergabe, oder die literarisch hochstehende Auswahl der Verse und Prosastücke. Auf jeden Fall: der beste schlesische Bildkarten-Abreißkalender, der in den letzten Jahren vorgelegt wurde. Autoren wie Paul Keller, Cosmos Flam, Friedrich Bischoff, Hermann Stehr, Max Herrmann-Neiße u. a. verbürgen die Qualität des Kalenders, zu der sich 24 Meisteraufnahmen gesellen. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass in den Spalten dieses Kalenders auch jährlich der leider so arg vergessene schlesische Lyriker Richard Schiedel seinen Erinnerungsplatz findet.

 

Rößl, Hans: IS SCHLÄSICH IHS MER OAGEBOARN. Lustige und besinnliche Gedichte und Geschichten in schlesischer Mundart. 52 Seiten. Kartoniert. DM 2,80.

Der Band enthält zusammenfassend die Vortragsstücke des Autors, wozu sich manches Neue gesellt. Im Ganzen muss gesagt werden, dass die Qualität recht unterschiedlich ist. Eine Reihe der Verse sind offenbar auch mehr auf Publikumswirkung angelegt, als dass sie echtem Volkstum entsprächen, wie es in unverfälschter Form immer wieder von Männern wie Prof. Wilhelm Menzel und Ernst Schenke interpretiert und gestaltet wird. Unbeschadet dessen wird freilich die ältere Generation beim Lesen in Lachen und Schmunzeln geraten. — Dem Verlag ist zu danken, dass er in dieser Zeit das Wagnis unternimmt, einen Mundartband vorzulegen.

 

DER GARTENFREUND 1959. Ein Tagesabreißkalender mit farbiger Rückwand für den Garten- und Blumenfreund. Energie-Verlag GmbH., Heidelberg. DM 2,20.

Ein hübscher Wandschmuck für den Garten- und Blumenfreund. Der Jahresblock bringt auf der Rückseite eines jeden Tages Hinweise auf die notwendigen Gartenarbeiten und viele neue Anregungen und nützliche Ratschläge, von sachkundiger Hand zusammengestellt.

 

Seite 12   Farbige Welt. Ein einmaliges Bildwerk.

Ein Bildwerk, wie es der 1722 in Königsberg (Pr.) gegründete Verlag Gräfe & Unzer, jetzt München, nun mit seiner Reihe „Farbige Welt" in Angriff genommen hat, ist ebenso einmalig, was gepflegte Ausstattung betrifft, wie originell in seiner Auffassung und hat nichts seinesgleichen auf dem deutschen Buchmarkt. Dies zeigen bereits die ersten drei Bände, die den Städten Rom, Paris und Florenz gewidmet sind (in Vorbereitung befindet sich „Venedig"). Wenn ein Buch die Mittlerstellung zwischen Kunstwerk und Publikum eindringlich deutlich machen kann, so diese Bände; sie können schlechthin als Musterbeispiele zitiert werden. Schönheit und Ausgeglichenheit, Harmonie von Format und Bild, Text und Typographie — alles dies finden wir hier in idealer Weise verwirklicht.

 

Wenden wir uns den einzelnen Bänden zu (den Rom-Band haben wir bereits in einer unserer früheren Ausgaben entsprechend gewürdigt): da ist zunächst Paris. Wie in allen diesen Bänden geht dem eigentlichen Bildteil ein Textteil voraus. In seiner Einführung schildert Sven Stolpe die Geschichte der Stadt, immer wieder durchbrochen von kleinen Betrachtungen über Bau- und Kunstwerke, verträumte Gässchen und Winkel und die landschaftlichen Schönheiten, die sich auf die einzelnen Bilder beziehen; auf diese Weise gelingt es ihm, einen lebendigen Kontakt zwischen Beschauer und der Atmosphäre dieser einmaligen Stadt, wie sie sich dem Auge heute bietet, und ihrer glanzvollen Vergangenheit herzustellen. Ein Cicerone von klassischem Format! Dieser Einführung folgt eine Auswahl von Bekenntnissen zu dieser Stadt, Briefstellen und Tagebuchaufzeichnungen berühmter Persönlichkeiten der Vergangenheit und Jetztzeit. Im Bildteil aber erlebt der Betrachter dann die Stadt in ihrer ganzen Einmaligkeit und Schönheit. Die Farbtafeln im Format von 24 X 22 cm sind nach Coloraufnahmen von Kurt Otto-Wasow hergestellt. Was dieser Meister der Kamera eingefangen hat, von der Motivwahl her gesehen und seiner farbigen Leuchtkraft, sind Meisterwerke ersten Ranges der Fotografie, hier in kongenialer Weise mit den Mitteln der Technik, der Reproduktions- und Druckerkunst, wiedergegeben. Für dieses Bildwerk ist dies der erste Eindruck, nimmt man einen dieser Bände in die Hand, haben sich die Besten ihres Faches zu einer Kollektivarbeit zusammengefunden; das Ergebnis ist ein Kunstwerk unter den Druckerzeugnissen unserer Zeit. Der Band „Florenz" ist in der gleichen Weise angelegt und vom gleichen Team „gemeistert" worden. Es ist ein Genuss, in diesem Werk zu blättern.

Farbige Welt. Einzelbände ROM (Ln. DM 14,50, Halbleder DM 18,--, Leder DM 25,--), PARIS (Ln. DM 15,80, Leder DM 28,--), FLORENZ (DM 16,80 bzw. DM 29,50). Jeder der Bände 96 Seiten, davon 24 Farbtafeln. 24 Seiten Bilderläuterungen, 48 Seiten Text. Verlag Gräfe und Unzer, München.

 

Seite 12   Das klassische Weihnachtsbuch

WESTERMANNS WEIHNACHTSBUCH. Zusammengestellt von Hermann Boekhoff. Mit zahlreichen Illustrationen im Text und ganzseitigen mehrtägigen Bildern und Liedsätzen von Karl Voß. Verlag Georg Westermann, Braunschweig. Format 24 X 19 cm. 70. Tsd.! 308 S., Ln. DM 14,80.

Dieses Werk kann als klassisches Weihnachtsbuch schlechthin angesprochen werden. Die schönsten Weihnachtsgeschichten, Gedichte und Lieder der Welt sind in ihm vereinigt. Nur einige Namen können wir stellvertretend aus der reichen Fülle des Gebotenen herausgreifen: Storm und Timmermanns, Raabe und Lagerlöf, Stifter und Hamsun, Wiechert und Dostojewski, Hebbel und Andersen, Rosegger und Dickens, und natürlich Eichendorff, Goethe und Mörike, Trojahn, Falk und Reinick; nein, es ist nicht möglich, alle Namen aufzuzählen, und es könnte auch dann nicht nur annähernd deutlich gemacht werden, welchen Schatz dieser Band in sich birgt, und es wäre auch noch nichts darüber ausgesagt, welche Überraschungen sich dem Auge des Lesers fast auf jeder Seite erschließen. Die bibliophile Ausstattung hat nicht ihresgleichen! Hier ist von Verlag und Herausgeber ein Hausbuch geschaffen worden, dem man gern den Eingang in jede deutsche Familie wünschen möchte. Ein Buch, das einen immer wieder von neuem reich beschenken und das über alle Zeiten hinweg nichts an Wert und Leuchtkraft verlieren wird: das klassische Weihnachtsbuch schlechthin!

 

Seite 12   Ostpreußen-Humor-Schallplatten

DAS FLOHCHE und andere lustige ostpreußische Gedichte, verfasst und gesprochen von Dr. Alfred Lau. Moderne Norm-Langspielplatte, 17 cm Durchmesser, 45 Umdrehungen pro Minute, je Plattenseite 7 ½ Minuten Spieldauer. DM 7,50. Hier kann man wirklich im wahrsten Sinne des Wortes sagen, diese Auswahl lustiger ostpreußischer Gedichte ‚spricht' für sich! Dr. Lau hat hier seine Glanzstücke, die bei allen seinen Vorträgen Stürme der Begeisterung hervorrufen, auf die Platte gesprochen: Das Flohche, Pilze, Einst und jetzt, De Brill, Nächtliche Schlittenfahrt und Mein Hund. Wer Dr. Lau einmal in einem Vortrag gehört hat, wird gern nach dieser Platte greifen, um sich die Höhepunkte seines Vortrags beliebig oft in Erinnerung zu rufen oder Freunden vorspielen zu können. Diese Platte bringt echten, urwüchsigen ostpreußischen Humor in jedes Haus!

 

Seite 13 und Seite 14   Buchvorschläge

 

Seite 15   MdB Richard Kinat 70 Jahre, mit Foto.

Am 19. November 1958 begeht der Bundestagsabgeordnete Richard Kinat seinen 70. Geburtstag. Er ist in Königsberg (Pr) im Dreikaiserjahr 1888 geboren. In seiner Vaterstadt besuchte er die Volksschule, erlernte anschließend das Maurerhandwerk und hat sich in ihm als geschätzter Geselle und Polier jahrzehntelang betätigt. Schon früh wandte er sich der Gewerkschaftsbewegung zu, der er 1908 beitrat. 50 Jahre lang hat er in ihr seinen Mann gestanden. Auch der SPD schloss er sich schon mit jungen Jahren an.

 

Nach dem Weltkrieg von 1914/1918, in dem er seine ostpreußische Heimat als Soldat verteidigte, trat er im masurischen Abstimmungskampf an die Seite der für Deutschland aktiv Eintretenden. Von 1919 bis 1933 hat er dann als Gewerkschaftssekretär im Baugewerksbund in Allenstein und zuletzt als Bezirksleiter für ganz Ostpreußen in Königsberg gewirkt. Nachdem er in Stadt- und Kreistagen seine ersten parlamentarischen Erfahrungen sammeln konnte, wurde er 1929 in den ostpreußischen Provinziallandtag gewählt und war hier bald Mitglied des Provinzialausschusses. 1933 verlor er unter den Nationalsozialisten Arbeitsplatz und Ehrenämter, wurde sogar zeitweise inhaftiert.

 

Nachdem er, wie wir alle, infolge des Zusammenbruchs von 1945 seine geliebte Heimat verlassen musste, fand er beim Arbeitsamt Detmold Beschäftigung. Bald trat er aktiv in der Vertriebenenbewegung hervor und hat seitdem zahlreiche Ehrenämter bekleidet. Zuletzt war er u. a. 1. Vorsitzender des Ost- und Mitteldeutschen Arbeitskreises. 1949 wurde er als zweiter auf der Landesliste von Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt, dem er in ununterbrochener Folge bis heute angehört. Namentlich im Petitionsausschuss konnte er so zahlreichen Vertriebenen und Einheimischen helfen.

 

Wenn Richard Kinat mit Frau und Tochter sowie zahlreichen Freunden und Bekannten am 19. November 1958 in Spork-Detmold, Talstr. 3, seinen 70. Geburtstag in echt ostpreußischer Rüstigkeit feiert, werden ihm viele zubilligen, dass er ein Leben voll untadeliger Charakterfestigkeit, voll ostpreußischer Kernigkeit, aber auch mit Lebenshumor, in Schlichtheit und Gradheit geführt hat. Gerade diese Seiten seines Wesens haben ihm Wertschätzung und Liebe in weiten Kreisen eingetragen.

 

Seite 15   Wir gratulieren!

Diamantene Hochzeit

Eheleute Karl Brandt und Auguste Brandt, geb. Nasner aus Lötzen am 9. Oktober 1958 in Nordhorn, Möllerskamp 5. Aus der Ehe gingen 10 Kinder hervor. Der jüngste Sohn ist im zweiten Weltkrieg gefallen, und von den 15 Enkeln ist einer vermisst. Inzwischen erfreut auch schon ein Urenkel den Lebensabend der Jubilare.

 

Goldene Hochzeit

Eheleute Franz Pieck und Auguste Pieck, geb. Volkmann aus Tilsit am 4. Oktober 1958 in Sottrum, Kreis Rotenburg/Hann, Der Jubilar war 41 Jahre bei der Eisenbahn beschäftigt, bis er 1947 in den Ruhestand trat.

 

90. Geburtstag

Witwe Martha Künzle, geb. Reiß aus Reineu, Kreis Kulm, am 3. Oktober 1958 in Wolfenbüttel, Sürmannstraße 9. Mit Stolz kann die Jubilarin auf ein arbeitsreiches und inhaltsvolles Leben zurückblicken.

 

81. Geburtstag

Elina Schischke, geb. Schelonka, aus Braunsberg am 26. November 1958 in Seesen/Harz, Bornhäuser Str. 4, wo sie mit ihrem 84-jährigen Ehemann, dem ehemaligen Lokführer der Haffuferbahn Elbing—Braunsberg ihren Lebensabend verbringt.

 

75. Geburtstag

Witwe Margarethe Unterberger, aus Königsberg, Gattin des Prof. Unterberger von der Barmherzigkeit, am 4. November 1958 in Braunschweig.

 

November-Geburtstagskinder in Flensburg

Emma Matthe, aus Ostpreußen am 1. November 1958, 80 Jahre, wohnhaft Glücksburger Straße Nr. 107.

 

Frieda Krumm, aus Königsberg am 1. November 1958, 75 Jahre, wohnhaft Toosbüystnaße 32 I.

 

Lina Hensel, aus Richtenberg, Kreis Johannisburg am 1. November 1958, 75 Jahre, wohnhaft Niedermai 5.

 

Antonie Langenbusch, aus Königsberg am 1. November 1958, 70 Jahre, wohnhaft Angelsunderweg Nr. 34,I.

 

Olga Hinz, aus Modgarben, Kreis Rastenburg, am 12. November 1958, 83 Jahre, wohnhaft Ochsenweg Nr. 300.

 

Karl Wylk, aus Seeburg am 15. November 1958, 70 Jahre, wohnhaft Weichselstieg 3.

 

Anna Dietrich, aus Wehlau am 17. November 1958, 70 Jahre, wohnhaft Sophienstraße 12.

 

Marie Fischer, aus Königsberg am 28. November 1958, 75 Jahre, wohnhaft Eckernförder Landstraße 25.

 

Jürgen Matthiesen, aus Osterode/Ostpreußen am 30. November 1958, 70 Jahre, wohnhaft Kastanienweg 8.

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit.

 

Seite 15   Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen.

Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

Zum Geburtstage herzliche Glückwünsche allen Novemberkindern, wobei wir besonders der Jahrzehntjubiläen und unserer Senioren gedenken.

 

Es vollenden:

am 06.11.:1958 Renate Bernecker (Tgm. Danzig), 20 Jahre;

 

am 12.11.1958: Erika Pelz-Moritz (Zoppot), 30 Jahre;

am 17.11.1958: Sigrid Degenhardt (KTC Kgb.), 30 Jahre;

am 19.11.1958: Dora Kuhlmann-Suttmann (Pr-Holland), 30 Jahre;

 

 am 03.11.1958: Kurt Dembowy (Lyck), 40 Jahre;

am 26.11.1958: Irene Meiffert-Keibel (KMTV Kbg.), 40 Jahre;

am 28.11.1958: Else Schäfer-Schmidtke (Danzig-Langfuhr), 40 Jahre;

 

am 09.11.1958: Erika Wigbers-Bernecker (KMTV Kgb.), 50 Jahre;

am 26.11.1958: Dr. Werner Zwickel (Zoppot), 50 Jahre;

 

am 26.11.1958: Ernst Korittki (KTC Kbg.), 60 Jahre;

 

am 24.11.1958: Emil Waaga (Zoppot), 75 Jahre;

 

am 23.11.1958: Eduard Hölzer (KTC Kbg.), 78 Jahre;

 

 am 20.11.1958: Richard Wittig (KMTV Kbg.), 80 Jahre;

 

am 29.11.1958: Oswald Wernicke (Bromberg), 81 Jahre;

 

am 15.11.1958: Dr. Richard Krause (KMTV Kbg.), 82 Jahre;

 

am 12.11.1958: Franz Perlebach (Tilsit), 87 Jahre.

 

 Alles Gute fürs neue Jahr!

 

Die Teilnehmer des X. Wiedersehenstreffens in München haben sich zu einem großen Teil nicht in die Anwesenheitsliste eingetragen. Ich bitte diese, soweit sie in meiner Kartei nicht enthalten sind und daher von der Turnerfamilie noch keine Briefe erhalten haben, mir recht bald ihre Anschrift, Geburtsdatum und frühere Vereinszugehörigkeit mitzuteilen. Nur dann bin ich in der Lage, allen den Weihnachtsbrief 1958 mit dem ausführlichen Bericht über München und mit Beiträgen von 28 Turnvereinen unserer Heimat zuzustellen.

 

Anschriftenänderungen erbitte ich aus demselben Grunde möglichst umgehend.

 

 

Das XI. Wiedersehenstreffen wollen wir 1960 in Espelkamp-Mittwald (Kreis Lübbecke/Westf.) begehen.

 

 

Ein Bundesalterstreffen des Deutschen Turnerbundes wird 1959 voraussichtlich im goldenen Mainz durchgeführt. Von einer förmlichen Einladung dazu an unsere Turnerfamilien sehe ich ab. Diejenigen, die als Mitglieder eines DTB-Vereins daran teilnehmen, werde ich aber zu einem zwanglosen Beisammensein während des Treffens aufrufen. Onkel Wilhelm

 

Seite 15   Kulturelle Nachrichten.

Ostdeutscher Schriftumspreis für Edzard Scheper.

Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens hat die Künstlergilde ihre diesjährige Eßlinger Begegnung besonders feierlich gestaltet. Der Vorsitzende der Künstlergilde, der sudetendeutsche Schriftsteller Dr. Josef Mühlberger, umriss in seiner Festrede die Arbeit der Künstlergilde und konnte nur mit leisem Pessimismus dartun, dass nicht alle Wünsche und Hoffnungen in Erfüllung gegangen sind. Der Künstler steht heute mit seinem Werk immer noch isoliert da, die Kunst selbst wird geduldet, wenn nicht gar beargwöhnt. Mit Recht bezeichnete er die ostdeutschen Kulturschaffenden als das „Herz aller jener, die die Heimat verloren haben“. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Dr. Nahm, betonte in seinem Grußwort, dass die Künstlergilde eine Verbindung auch in der Trennung geschaffen habe.

 

Der von der Eßlinger Künstlergilde gestiftete ostdeutsche Schrifttumspreis, der mit einer Dotation von 2000 DM verbunden ist, wurde dem „Ethiker der Tragik und Fruchtbarkeit des Grenzlandes" (wie es in der Verleihungsurkunde heißt), Edzard Schaper, verliehen.

 

Corinth-Ausstellung in Hannover

In den Reigen der großen Corinth-Gedächtnisausstellung zum 100. Geburtstag des Malers reiht sich nun auch die niedersächsische Hauptstadt mit einem sehr gewichtigen Beitrag ein. Wie kaum eine andere Stadt darf gerade Hannover das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, schon sehr früh die geniale Hand dieses großen ostpreußischen Meisters erkannt und sein Werk systematisch gesammelt zu haben. Heute, besitzt Hannover die größte und eine der schönsten öffentlichen Sammlungen seiner Gemälde. Bereits 1950 hat Hannover als erste Stadt der Bundesrepublik den so lange missachteten und verfemten Künstler mit einer stattlichen Gedenkausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt. Die jetzt vom Kunstverein Hannover aufgebaute Ausstellung, ausgewählt von der kundigen Hand Dr. Gert von der Ostens — dem wir eines der schönsten Bücher über den Maler Corinth verdanken —, ist eine Auslese, die die gesamte Entwicklung über die vier Schaffensjahrzehnte des Künstlers von 1883 bis 1925 lückenlos und verbindlich darstellt.

 

Kant-Vortrag in der Keyserling-Gesellschaft

Die dem Gedenken des Kulturphilosophen Graf Hermann Keyserling gewidmete Keyserling-Gesellschaft begann ihre elfte Jahrestagung in Wiesbaden mit einem Vortrag von Prof. Dr. Ebbinghaus (Marburg) über „Kants Idee von der sittlichen Persönlichkeit des Menschen". Ebbinghaus betonte Kants „kritischen Realismus". Wenn der große Königsberger Philosoph die Autonomie der Vernunft verkündet habe, so gehöre nach seiner Lehre zur Persönlichkeit der Rechtsbegriff, dessen Anerkennung insbesondere jede Rassendiskriminierung ausschließt. Die Persönlichkeit werde — nach Kant — zum sittlichen Träger einer verantwortlichen Freiheit. In der Kantischen Ethik traten somit Rechts- und Sittenlehre in eine organische Verbindung.

 

Seite 15   Ladbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (61).

Liebe ostpreißische Landsleite!

Wenn Sie diesem Brief lesen, denn is all wieder November. Das is e hubbriger Monat, wo einer sich vorsehen muss, dass er sich nich verkiehlen tut und womeeglich de Infaulenzia am Kadawer kriegt. Zu Haus ging jetz los mittes Grogtrinken, wo das beste und sicherste Gegenmittel is. Vergessen Se da man nich, wo Se jetz in die Fremde sind! Wenn Se auch öfters dem Dittche umdrehen missen, fier e Tulpe Grog muss immer reichen!

 

Sonst geht es Ihnen wie dem alten Schöpsdat. Der hadd im Kreis Gerdauen e ganz scheenes Grundstick, und es war schad, dass er all mit achtunvirzig de Klumpen aufsetzen mussd, weil er bei e Arbeit aufem Feld durchgeregnet war und e Lungenentzindung gekriegt hädd. „Hädd er man drei Tulpchens Grog getrunken“, sagd der alte Herr Lehrer, wie er ihm besungen hadd und mit die Familie und die Trauergäste vom Kirchhof kam.

 

Zwei Jahre ehr, dass er starb, das fällt mir gerad ein, hadd er beim Kartoffeleinfahren eine scheene Uhr verloren. Vierundfuffzig Sack Kartoggel waren abends im Keller reingekommen. Se wissen doch, im Kellerfenster wurd so e offener Trog reingeschoben als Schorrbahn fiere Kartoffel. Der Schöpsdat hädd de Bänder aufgeschnitten, de Säcke unten fest gefasst und mit Schwung ausgeschitt. Dabei war de Uhr vonne Kett abgehakt und mit untergeschorrt. Das merkd er aber erst, wie er dem letzten Sack anne Flicker hadd, und nu ließ er sich nuscht sagen, er missd partuh de Uhr suchen.

 

Nu suchen Se man erst e Uhr abends im diestern Keller zwischen achtzig, neinzig Zentner Kartoffel! Zum Leichten hädd er bloß e verreicherte Sturmlatern mit Pitroljum und e Taschenlamp mit e verbrauchte Batterie. De Schöpsdatsche sagd, er solld am andern Morgen suchen, wenn e bissche Tageslicht war. Aber er bestand auf seinem Stick, und weil beim Rumwiehlen und Umschaufeln doch nuscht zu finden war, sackd er de Kartoffel aller wieder ein. Es nitzd nuscht. De letzte Kartoffel war im Sack, und vonne Uhr war nuscht zu sehn. Da missd er es denn endlich aufgeben, denn es war all gegen zwölf und Zeit, inne Bucht zu gehn.

 

Und wie er inne Schlafstub reinkommt, was meinen Se, was da aufem Tisch nebnes Bett liegt? Seine scheene Uhr! Er hädd se morgens vergessen anzuhaken. Was haben se ihm nachdem im Dorf immer geärgert! Se wissen ja, wie gehässig de Menschen sind. Wenn er im Krug aufstand und nach Haus ging, denn fragden se ihm, ob er noch de Uhr suchen muss. Ja, der Schöpsdat! Sehn Se, und denn war mit eins zu End, und es tat aller leid, dass se ihm gezergt hädden.

 

War bloß gut, dass ein Jung all zweiundzwanziq war und weiter wirtschaften konnd. Otto hieß er, und der Vatche Schöpsdat war auf ihm immer mächtig stolz gewesen. Wie er drei Jahr war, hadd de Muttche ihm mal gefragt, ob er noch e Bruderche oder e Schwesterche haben wolld.. Da had er e Subas aufgesetzt und gesagt: Wenn es dir egal is, denn am liebsten e Schaukelpferd". Wie der Vater tot war, ließ de Muttche ihm nich gleich das Grundstick verschreiben. Se war ja auch man erst zweiundvirzig, und einer kann ja nich wissen ... Und dem Otto hadd se sich all von klein auf so zurechtgebogen, dass er aufes Wort gehorchd. So war er e großer Jung geblieben, wo immer noch anne Muttche ihre Schirzenbänder hing. De Mergellens im Dorf kickd er ieberhaupt nich an, denn solang wie de Muttche da war und ihm bewusch und bestoppd, kam ihm ieberhaupt nich der Gedanke annes Heiraten. Und es hädd sich auch keine als junge Frau aufem Hof getraut, denn de Muttche Schöpsdat hadd Haare aufe Zähne. Bei die wär de Schwiegertochter nuscht andres gewesen wie e Scharwerksmergell. Zu sagen hädd se garnuscht gehabt, bloß aus eins zu schuften und zu raggen.

 

Aber wie der Otto dreißig und all langsam es bissche drollig wurd, da fing de Muttche an, sich fier ihm zu bemiehen. Es nitzd nuscht, er wolld nuscht vonne Mergellens wissen, sondern verintiässierd sich bloß fier Pferde. Wenn er irgendwo e scheenes Pferdche zu sehen kriegd dann vergaß er Essen und Trinken, Vater und Mutter, und ihm tat bloß leid, dass er nicht so viel Geld hädd sich alle Pferdchens zu kaufen, wo ihm gefielen. Es war wirklich all e reine Krankheit, und de Muttche war all ganz verzweifelt. Da lief ihr der Kupscheller Jeromin inne Finger, und mit dem besprach se ihre Sorgen, weil er doch ieberall rumkam. Und er wussd auch gleich e Braut fierem Otto, de Marieche Naujoks. E Grundstück von hundert Morgen, gut eingebaut und schuldenfrei, de Marieche einzges Kind — und so was Sießes von Mergellche, dass aller nach ihr direkt verrickt waren! Da konnd der Otto einheiraten, und denn konnd de Frau Schössdat auch noch einem glicklich machen, meind der Jeramin. Nach ihr möchden sich noch viele de Finger lecken, sagd er, und se kriegd vor Aufregung ganz rote Ohren. So rum hadd se sich das noch gar nicht ieberlegt. Se war doch e stattliche Frau, warum solld bei ihr nicht noch einer anbeißen, meind der Jeromin. Dabei kickd er ihr ganz tief inne Augen und versprach ihr fest inne Hand, die beide zusammenzubringen. Es war nicht der erste Kuppelpelz gewesen, wo er sich verdient hädd.

 

Denn hat er mitten Vater Naujoks alles Neetige besprochen. Der Otto solld kommen de Marieche besichtigen, und wenn er ihr auch gefiel, konnd im Herbst all Hochzeit sein. Zuletzt hat er mittem alten Naujoks einem Tag abgemacht, wo er dem Otto vonne Bahn abholen solld. De Frau Schöpsdat freid sich, dass alles so glatt ging. Der Otto wurd gar nich gefragt, der wurd einfach aufe Bahn gehuckt. Er hadd ja gehorchen gelernt, und es war ja auch wirklich Zeit fier ihm, dass er e Frau kriegd, das sah er ein.

 

Drei Statsjonen missd er fahren, denn stieg er aus. Und da stand auch all der Naujoks mitte Gigg. Se begrießden sich und fuhren los. Bald e Stund war zu fahren, und so hädden se bequem Zeit, noch ieber dies und das zu sprechen. Der Naujoks prahld natierlich mit seinem Hof, mit seine Felder und mit sein Marieche. Aber der Otto heerd gar nicht richtig zu, sondern kickd bloß immer nach dem schwarzen Wallach, wo der Naujoks angespant hadd. Das war e Pferd! Endlich waren se am Ziel. De Marieche war wirkliche ganz knuspriges Mergellche, noch nich ganz zwanzig und mit hibsche rote Backchens, rein zum Anbeißen. Das is de richtige Frau fier mich, dachd der Otto, und dabei wurd ihm ganz warm untre West. Und de Marieche verlor auch gleich ihr Herzche am Otto, denn er war e strammer Kerl. So verlief alles, wie de Frau Schöpsdat und der Jeromin es sich winschden.

 

Aber zuletzt ging es doch noch schief, indem dass der Otto den schwarzen Wallach kaufen wolld. „Nei", sagd der Naujoks, „Se kriegen de Marieche und das Grundstick, aber dem Wallach nich, dem kriegt mein Bruder“. Der Otto bestand aber aufem Wallach, und se fingen sich an zu zanken, und zuletzt sagd der Otto: „Wenn ich dem Wallach nich krieg, denn will ich auch de Marie nicht haben“.

 

So war dem Jeromin sein Kuppelpelz im letzten Augenblick wieder im Eimer, und bloß wegen einem Wallach. Der Knecht mussd dem Otto wieder aufe Bahn fahren, de Muttche schimpfd, wie er zu Haus kam, aber es war nuscht mehr zu löten anne Holzkist.

 

Zwei Jahre später war in Gerdauen Landwirtschaftsball, und der Otto war auch hingefahren, weil er immer noch nicht verheiratet war und de Muttche hoffd, dass er bei sone Gelegenheit emmend e Frau finden konnd. Pferde gab es nich im Saal, deshalb missd er sich mit die Mergellens beschäftigen. Mit eins sah er de Marieche, ging auf ihr los und sagd: „Kennen Se mich noch, Freilein Naujoks?"

 

„Natierlich", sagd se, „Sie wollden doch mal unserm schwarzen Wallach freien!" Damit ließ se ihm stehen. Und er stand wie e Dummer. Er hat auch keine Frau mehr gekriegt, denn wie seine Muttche starb, war er all so drollig, dass ihm keine mehr haben wolld.

 

Vergessen Se dem Grogche nich! Herzliche Heimatgrieße

Ihr Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 16   Familienanzeigen

Am 14. Oktober 1958 verstarb zu Flensburg im 84. Lebensjahr Turnschwester Gertrud Schulz geb. Wollenteit vom Königsberger Turnclub. — Als Kind einer mit der Turnbewegung in der Heimat seit Generationen eng verwurzelten Familie fühlte auch sie sich aufs engste mit der Turnerei verbunden und hielt ihrem Verein und unserer jetzigen Gemeinschaft bis zuletzt die Treue. Ihr Andenken werden wir in Ehren halten. Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen, Wilhelm Alm.

 

Danksagung. Für die zahlreichen herzlichen Glückwünsche, die uns anlässlich unserer goldenen Hochzeit aus unserem lieben Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis zugegangen sind, sagen wir auf diesem Wege unseren innigsten Dank. Emilie Terlecki und Aloys Terlecki, Rektor a. D., früher: Allenstein/Ostpreußen, Treudankstr. 23. Detmold, den 10. Oktober 1958 Wittjesstraße 12

 

Seite 16   Aus den Landsmannschaften

„Du und die Straße". LO vorbildlich im Verkehrsunterricht.

Wilhelmshaven. Vor mehr als zwei Jahren ergriff die Landsmannschaft Ostpreußen als erste von mehr als 200 Vereinen in Wilhelmshaven die Initiative, ihre Mitglieder einer umfassenden Verkehrsschulung durch die bewährten Beamten der Verkehrspolizei zu unterziehen. Als sich jetzt erneut eine Gelegenheit dazu bot, war sie wiederum die erste, die unsere in dieser Hinsicht vorbildlich wirkende Polizei bat, die damals vermittelten Kenntnisse aufzufrischen und neue zu vermitteln.

 

Eine trotz regnerischen Wetters sehr zahlreich erschienene Zuhörerschaft hörte zunächst einen aufschlussreichen Kurzvortrag von Pol.-Hauptwachtmeister Böse zu aktuellen Verkehrsfragen, der besonders auf die Verhältnisse in der Jadestadt zugeschnitten war. Eine lebhafte Debatte schloss sich an, in der sich die Beamten auch der Lösung schwieriger Verkehrssituationen geschickt entledigten.

 

Dann folgte der „Jadetrichter", ein von Polizei-Hauptwachtmeister Has in Wilhelmshaven gedrehter Film, der an die Brennpunkte des Verkehrs führte und zur Abwechslung Szenen am Südstrand, der Geniusbank zeigte und sehr beifällig aufgenommen wurde. Die Verkehrsschulung wurde ergänzt durch einen interessanten Trickfilm der BP über die Entwicklung des Benzinmotors und die schon aus Wochenschauen meist bekannten Dispute zwischen Clever und Schussel, die besonders einprägsam zeigten, wie man sich im Verkehr keineswegs verhalten darf.

 

Sehr lebhaft dankte die Versammlung den beiden Vortragenden, die hier wirklich als „Freund und Helfer" unermüdlich und beispielhaft wertvolle Aufklärungsarbeit leisten. Es wurde der Wunsch laut, sie bald wieder in der Landsmannschaft zu sehen. Der Vorsitzende. Obermedizinalrat Dr. Zürcher, eröffnete die Zusammenkunft mit dem für den Erntedanktag bei den Ostpreußen schon fast Tradition gewordenen Gedicht „Brot" von Agnes Miegel. Er brandmarkte dann das Vorgehen der Sowjetunion, die entgegen den Beschlüssen von Potsdam jetzt mit Polen die ostpreußische Heimat endgültig aufgeteilt hätte, was selbst Polen für unrichtig und wirtschaftlich unsinnig erklärt habe.

 

Flensburg

Ruth Luise Schimkat, eine geborene Insterburgerin, die jetzt in Duisburg wohnt, war es, die unsere Landsleute — Alt und Jung — in echt ostpreußischer Mundart durch ihre Vorträge, die im Rahmen der kulturellen Betreuung der Vertriebenen und Flüchtlinge durch das Sozialministerium in Kiel durchgeführt wurden, in unsere ostpreußische Heimat führte. Im besinnlichen wie im heiteren Teil ihrer Vortragsreihe hat Frau Schimkat die Herzen unserer Landsleute wachgerüttelt und vielleicht diesen oder jenen aus unseren Reihen an seine eigenen Erlebnisse in der lieben alten Heimat erinnert, die längst vergessen waren. Neben Rezitationen von Agnes Miegel, L. Will, R. Johannes, Reichmann, N. Nobis und E. Petukat brachte Frau Schimkat auch eigene Verse, die mit großer Aufmerksamkeit und viel Applaus belohnt wurden. Die Vorträge wurden durch musikalische Darbietungen aus den Reihen der Landsleute umrahmt. Frau Schimkat hat ihre Reise in den nördlichsten Teil unserer Bundesrepublik — wie bereits im Vorjahre — unternommen und gastierte in Kiel, Laboe, Husum, Bredstedt, Glücksburg, Eggebek, Harrislee und in Flensburg, wofür die Ortsgruppen unserer Landsmannschaft, unsere Landsleute und Gäste von ganzem Herzen dankbar sind. Es verdient besonderer Erwähnung, dass Frau Ruth Luise Schimkat auch in anderen Ländern unserer Bundesrepublik eine Förderung der zuständigen Regierungsstellen erfährt.

 

Hannover

Veranstaltungskalender für die nächsten Wochen: 05.11.: Eine Veranstaltung der Königsberger Heimatgruppe im ,Haus der Jugend', Washingtonsaal, 20 Uhr: „Königsberg im Wandel der Jahrhunderte". Vortragender Hans Stamm.

 

24.11.: Lichtbildervortrag: „Ostdeutschland einst und jetzt", im großen Saal des Lindener Rathauses. Beginn 20 Uhr. Vortragender Rudi Meitsch.

 

10.12.: Adventsfeier in Gaststätte „Schloßwende", Königswörther Platz. Beginn 19.30 Uhr.

 

Barterode

Die BvD-Gruppe Barterode, die bereits vor zwei Jahren den Northeimer Ostpreußenchor für Darbietungen gewonnen hatte, feierte den diesjährigen „Tag der Heimat" wieder zusammen mit den bewährten Kräften unter Stabführung Hermann Kirchners.

 

Der Northeimer Ostpreußenchor, der bereits in den verschiedensten Ortsgruppen der Landsmannschaft Ostpreußen als Gast fungiert hat, auch zweimal im Norddeutschen Rundfunk zu hören war, gehört mit zu den besten Sängern der Bundesrepublik. Im Sommer dieses Jahres wurde auch die Weltöffentlichkeit auf den Chor aufmerksam. Der deutsche Esperantobund in Braunschweig veranlasste Schallplattenaufnahmen, die nun auf dem gesamten Erdball für die Welthilfssprache hörbar sind.

 

In Barterode eröffnete der erste Vorsitzende des Ortsverbandes, Georg Feistel, mit einer Begrüßungsansprache die Veranstaltung. Die Festrede hielt der Kreisgeschäftsführer des BVD, Ingomar Verhouc, der mit markanten Worten die Lauen wachrüttelte und insbesondere die Jugend aufrief, niemals müde zu werden im Gedenken und Erinnern an die Heimat.

 

Die Göttinger Presse urteilte in ihrer Nr. 223: „Der Ostpreußenchor hatte die schöne und dankbare Aufgabe, heimatliche Weisen erklingen zu lassen. — Verbindende Gedichte, gesprochen von Mitgliedern des Chores, führten von Ostpreußen über Danzig und Pommern nach Schlesien. Hermann Bink, der ehemals am Königsberger Sender tätig war, trug Gedichte vor („Wir und die Welt" und „Die Jugend — unser Trost!"). Der zweite Teil des inhaltsreichen Programms erfreute die Zuhörer durch lustige und beschwingte Weisen, wobei die Geschwister Chmurra durch ihr Fodeln einen Sonderapplaus erhielten. Ein Duett vom Großpapa und der Großmama und die witzigen Vorträge von Hermann Bink ernteten viel Beifall. Die Aufforderung des Chores ‚Frisch auf, ihr Musikanten' von Josef Haas war für die Tanzkapelle Abel aus Göttingen der Auftakt zum fleißigen Spiel“.

 

Alles in allem — eine gelungene Veranstaltung, welche sämtliche Teilnehmer bis zu den frühen Morgenstunden zusammenhielt.

 

Bornhausen

„Alte und neue Heimat" war das Motto des Ostpreußen-Abends am 18. Oktober im Gasthof Schneider, zu dem auch Mitglieder aus Rhüden, Bornum, Münchehof und in besonders großer Zahl die Ost- und Westpreußen aus Seesen erschienen waren. Obmann Bluhm hatte den Heimatabend bestens vorbereitet und dankte allen Helfern und Spendern für ihre vorbildliche Opfer- und Einsatzbereitschaft. Nach einem heimatlichen Kurzreferat zur Wiedervereinigungsfrage richtete Kreisobmann Papendick herzliche Willkommensgrüße an die Spätaussiedlerinnen Bremer und Henuttis, denen aus Spenden ostpreußischer Familien und Firmen reichgefüllte Präsentkörbe überreicht werden konnten. Für Stimmung und Unterhaltung sorgten beim gemütlichen Ausklang der bekannte ostpreußische Humorist Dr. Lau sowie das Jodlerpaar Brandt aus Bad Grund. Sie ernteten für ihre sehr ansprechenden, gediegenen Vorträge verdienten starken Beifall. Es war wieder ein wohlgelungener, harmonischer Heimatabend!

 

Seesen a. Harz

Am 8. November findet nunmehr im neu gestalteten Saal des Ratskellers der schon für Anfang Oktober geplante Tonfilm- und Brauchtumsabend statt, für den Kulturreferentin Lmn. Donnermann und Jugendleiterin Lakaschus Ernteszenen und Volkstänze vorbereiten. Mittelschullehrer Lm. Budzinski wird den Heimatabend mit dem Eichendorff-Film „O Täler weit, o Höhen" und dem ostpreußischen Erntefilm „Segen der Erde" einleiten.

 

Fulda

In Fulda feierten die Landsmannschaft Ostpreußen, Westpreußen und Deutsch-Balten gemeinsam ihr zehnjähriges Bestehen. Der Vorsitzende, Alfred Witzke, konnte nach einem kurzen Rückblick auch seinen besonderen Dank an die Stadt Fulda sagen, denn nicht überall sei das Klima zwischen Alt- und Neubürgern so gut, wie gerade in Fulda. Und so wurde aus Bittenden, denen hier niemand sein Ohr verschlossen hatte, nun Dankende. Im Mittelpunkt des Abends stand die Ansprache des Vorsitzenden der Landesgruppe Ostpreußen in Hessen, Studienrat Opitz, der die Notwendigkeit des Zusammenschlusses und der Gemeinsamkeit des Handelns in den Vordergrund stellt. Die Landsmannschaft Schlesien, die Landsmannschaft der Oberschlesier, der Sudetendeutschen und der BvD waren mit ihren Kreis- oder Ortsvorsitzenden als Gratulanten gekommen und so kann man mit Recht diese 10-Jahresfeier in Fulda als ein bedeutendes Zeichen der engen Zusammenarbeit, ja des Zusammenschlusses aller Heimatvertriebenen ansprechen.

 

Für dieses Jubiläum hatte die Landsmannschaft Hermann Bink (heute Göttingen), der vielen Landsleuten noch durch seine Vortragstätigkeit am Sender Königsberg in bester Erinnerung ist, als Vortragenden zu Gast geladen. Seine ernsten und heiteren Darbietungen erfreuten sich großer Zustimmung. Hermann Bink nahm mit dem Versprechen Abschied, bald wieder einmal nach Fulda zu kommen.

 

Hof/Saale

In der Monatsversammlung der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen im „Blauen Stern" hielt Dr. Radzimowski einen sehr interessanten Lichtbildervortrag über seine Heimatstadt Danzig. Der Redner, der jetzt im Taunus wohnt, ging vor allem auf die kulturellen Grundlagen der Stadt, einschließlich der Marienburg ein, gab wertvolle Hinweise auf Kunstdenkmäler und erfreute die sehr zahlreich erschienenen Landsleute mit der Wiedergabe guter Farbdias. Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Vorsitzende, Studienrat Paul Bergner, zwei Aussiedlerfamilien, die an dem Vortragsabend teilnahmen, begrüßt. In diesem Zusammenhang bedankte er sich bei Landsleuten und einheimischen Bürgern für die Unterstützung, die vor allem einem Aussiedler zuteilwurde.

 

Seite 16   Zehn Jahre Meisterbetrieb

Harlingerode. Vor nunmehr 10 Jahren legte Paul Strauß, der nach dem Kriege als Heimatvertriebener aus Ostpreußen nach Harlingerode gekommen war, die Meisterprüfung im Herren- und Damenschneiderhandwerk ab und machte sich anschließend selbständig. Der Betrieb entwickelte sich bestens, und schon nach kurzen Jahren wurde ein Neubau mit moderner Werkstatt und Geschäftsräumen bezogen. Heute beschäftigt Landsmann Strauß fünf Gesellen und zwei Lehrlinge und ist damit der größte Betrieb des Schneiderhandwerks in der ganzen weiteren Umgebung. Landsmann Strauß ist zugleich Vorsitzender des Gesellen-Prüfungsausschusses im Amtsbezirk und sorgte auch selbst durch Ausbildung von bisher fünf Lehrlingen für den beruflichen Nachwuchs.

 

40 Jahre Meister

Bad Zwischenahn. Kürzlich konnte der Ostpreuße Max Eichler sein 40-jähriges Meisterjubiläum begehen. Der 67-jährige Jubilar legte am 12. Oktober 1918 vor der Handwerkskammer in Königsberg die Meisterprüfung im Maschinenbau ab. Bis Januar 1945 führte er in Rastenburg mit etwa 30 Gesellen und Lehrlingen einen eigenen Betrieb für Schlosserei, Installation, Eisenkonstruktion und Brunnenbau. Nach der Vertreibung ging Lm. Eichler daran, sich in Bad Zwischenahn eine neue Existenz aufzubauen. Bereits am 1. April 1956 war es ihm vergönnt, auf eine 50-jährige Berufstätigkeit zurückzublicken.

 

Heimatwappen auf fünfzig Brücken

Auf den fünfzig Brücken der im Bau befindlichen neuen Duisburger Stadtautobahn, der Nord-Südstraße, sollen Wappen mittel- und ostdeutscher Städte angebracht werden. An den Brücken des ersten Bauabschnittes wurden bereits, nach dem Vorschlag des Ratsherrn Michael, die Wappen von Königsberg, Tilsit, Breslau und Stettin angebracht. Die Wappen wurden vom Düsseldorfer Bildhauer Walter Schmieg in Eisenguss mit farbiger Mosaikauslegung hergestellt.

 

Kirche plant Ausstellung

Der Ostkirchenausschuss der Evangelischen Kirche in Deutschland bereitet für den im August 1959 in München geplanten Deutschen Evangelischen Kirchentag eine Ausstellung mit dem Titel „Das Zeugnis der evangelischen Kirche im deutschen Osten" vor. Es sollen dabei Handschriften, Urkunden. Kirchengerät, Bilder und Kunstgegenstände aus den deutschen Ostgebieten gezeigt werden, die heute der polnischen Verwaltung unterstehen.

 

Seite 16   Rittertag der Preußischen Genossenschaft des Johanniterordens

Die Preußische Genossenschaft des Johanniterordens hielt ihren diesjährigen Rittertag wiederum in Bad Godesberg ab. Der Rittertag begann mit dem Gedenken an den im Januar verstorbenen Herrenmeister des Ordens, S. K. H. Prinz Oskar von Preußen. Ferner wurde der seit dem letzten Rittertag verstorbenen Ritterbrüder Rechtsritter Eberhard Graf zu Dohna-Schlobitten (Waldburg) und Erhard v. Königsegg sowie Ehrenritter Alfred v. Glasenapp und Joachim v. Wedel, gedacht. Der Kommentator der Genossenschaft, Dr. med. Graf v. Lehndorff, widmete dem für den Johanniterorden aufopfernden und erfolgreichen Wirken des verstorbenen Herrenmeisters besondere Worte. Er berichtete sodann über die Wahl S. K H. des Prinzen Wilhelm Karl von Preußen zum neuen Herrenmeister und dessen Investitur in Nieder-Weisel.

 

Besondere Aufgaben erwachsen der Preußischen Genossenschaft durch die Übernahme des bisher städtischen Krankenhauses in Burscheid im Bergischen Land. Seit dem Verlust der ostpreußischen Wirkungsstätten kann hier die Genossenschaft erstmals wieder auf dem Gebiet der Krankenpflege tätig werden. Nach dem von Graf v. Schlieben (Sanditten) gegebenen Kassenbericht wurden wie bisher Beträge für die Verschickung ostpreußischer Ferienkinder aus Berlin und für die weihnachtliche Paketaktion in die Sowjetzone zur Verfügung gestellt. Ehrenritter Bundesminister Dr. v. Merkatz hielt am Sonnabendabend einen höchst interessanten Vortrag über das Thema: „Das Parteienwesen in Deutschland". Am Sonntagmorgen versammelten sich die Mitglieder der Genossenschaft zum gemeinsamen Kirchgang. Als Ausklang des Rittertages wurde am Nachmittag eine Omnibusfahrt nach Burscheid gemacht und dort das neue Johanniterkrankenhaus sowie der in der Nähe gelegene Altenbarger Dom besichtigt. Dr. U. v. Witten

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