Ostpreußen-Warte, Folge 10 vom Oktober 1958
Ostpreußen-Warte
Seite 1 Foto: Schöne, unvergessliche Heimat. Im Herbst begannen die Windmühlen ihre Flügel zu drehen, um die Ernte zu vermählen. Unser Bild zeigt die Mühle bei Schenkendorf im Moosbruch.
Seite 1 Teilung Ostpreußens endgültig?
Die Markierung der polnisch- sowjetischen Grenze in Ostpreußen ist beendet worden. Wie die sowjetische Nachrichtenagentur TASS meldet, hat eine polnisch-sowjetische Kommission in Warschau verschiedene Dokumente über den Abschluss der Markierungsarbeiten unterzeichnet. Polen und die Sowjetunion hatten im März 1957 beschlossen, die 1945 auf der Potsdamer Konferenz vereinbarte Grenze in Ostpreußen genau zu markieren. Die Grenze war in Potsdam bis zu einer endgültigen Friedensregelung festgelegt worden. Sie teilt Ostpreußen in einen nördlichen unter sowjetischer Verwaltung und einen südlichen unter polnischer Verwaltung stehenden Teil.
Seite 1 „Wiedervereinigung vordringlich!“ Steuben-Gesellschaft zur amerikanischen Europapolitik – Forderungen an USA-Regierung.
Der Hauptvorstand der „Steuben Society of America" hat anlässlich der 18. Bundestagung dieser großen deutsch-amerikanischen Organisation in Philadelphia eine Resolution zur amerikanischen Europapolitik gefasst, die von der Versammlung angenommen wurde. In dieser Entschließung fordert die Steuben-Gesellschaft, die viele Millionen Amerikaner repräsentiert, die Regierung der Vereinigten Staaten auf, sich zur Sicherung der Grundsätze des Völkerrechts und des Weltfriedens in ihrer Europapolitik auf die Wiedervereinigung Deutschlands zu konzentrieren.
Hierzu betont die Steuben-Gesellschaft, dass die USA-Regierung verpflichtet sei, für die Wiedervereinigung Deutschlands einschließlich seiner Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße einzutreten, weil die Vereinigten Staaten „an den Abmachungen von Jalta und Potsdam teilgenommen haben", durch welche die Teilung Deutschlands erfolgt sei.
Die Steuben-Gesellschaft wendet sich zugleich mit allem Nachdruck dagegen, dass amerikanische Bürger mit der Warschauer Regierung die Herausgabe von Publikationen in den Vereinigten Staaten vereinbarten, „deren Zweck es ist, die amerikanische Öffentlichkeit dahin zu beeinflussen, dass sie sich mit Polens rechtswidriger Annexion von Ostpreußen, Schlesien, Pommern sowie des Freistaates Danzig abfinde".
Ferner dankte die Steuben-Gesellschaft dem Kongressabgeordneten Carroll Reece von Tennessee dafür, dass er im amerikanischen Repräsentantenhaus gegen die Annexion Ostdeutschlands durch Polen Stellung nahm, die deutschen Ostprovinzen jenseits von Oder und Neiße als einen integralen Bestandteil Deutschlands bezeichnete und die Massenaustreibung der ostdeutschen Bevölkerung als eine Verletzung der Menschenrechte und der internationalen Moral verurteilte.
Zur Frage der weiteren Gewährung amerikanischer Wirtschaftshilfe für die Volksrepublik Polen heißt es in der Resolution unter anderem: „Wir bemerken hierzu, dass die kommunistische polnische Regierung die von ihr besetzten deutschen Ostprovinzen vernachlässigt und mutwillig zerstört, und wir beobachten mit Bestürzung, dass die kommunistische polnische Regierung mit amerikanischen Steuergeldern genährt wird, während sie gleichzeitig Sowjetrusslands aggressive Absichten gegen die USA nachhaltig unterstützt“.
Seite 1 Wiederaufbau der Oder-Neiße-Gebiete
Mehr als 12 Milliarden DM sind notwendig, um in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten wieder den Produktionsstand zu erreichen, den sie 1939 hatten. Zu diesem Ergebnis kamen polnische Wissenschaftler, die im Auftrag der Warschauer Regierung ein Gutachten ausarbeiteten, durch das der finanzielle Bedarf für den Wiederaufbau der Oder-Neiße-Gebiete errechnet werden sollte.
Wie der Göttinger Arbeitskreis ostdeutscher Wissenschaftler dazu mitteilt, sollen polnische Regierungskreise das Ergebnis mit Bestürzung aufgenommen haben, zumal polnische Wirtschaftler errechnet haben, dass die gesamte Wirtschaft Polens Kredite von wenigstens 31 Mrd. DM benötigt, wenn sie saniert werden soll.
Seite 1 Aktion zur Beseitigung der deutschen Vergangenheit
Die politischen Behörden in Niederschlesien, Ostpommern und Ostpreußen haben — wie in der Sowjetzone eingetroffene Umsiedler berichten — vor kurzem eine neue Aktion „zur Beseitigung der deutschen Vergangenheit" eingeleitet. Als erste Phase der neuen, offenbar auf Weisung der Warschauer Regierung erfolgenden Aktion sollen alle deutschen Anschriften an Gebäuden in den Oder-Neiße-Gebieten von den örtlichen polnischen Behörden bis Ende Oktober entfernt werden. Nach der Darstellung der Umsiedler hätten die deutschen Beschriftungen, die nach Kriegsende nur mangelhaft unkenntlich gemacht worden waren, unter der neu angesiedelten polnischen Bevölkerung immer wieder das „Gefühl der Vorläufigkeit" aufkommen lassen. Die von polnischer Seite gegebene Erklärung, die Oder-Neiße-Gebiete seien „befreites urpolnisches Gebiet", habe sich als wirkungslos herausgestellt. Polen hätten Deutschen erzählt, es sei schwierig, in der immer noch vorhandenen „deutschen Atmosphäre", die in den Oder-Neiße-Gebieten herrsche und sich nicht auslöschen lasse, ein neues Leben zu beginnen, überall stoße man auf „Spuren der deutschen Vergangenheit".
Seite 1 „Keinerlei Eigeninitiative"
Die volkspolnischen „Wojewodschafts-, Kreis- und Stadtnationalräte" in den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten sind — wie erst jetzt bekannt wird —von der Warschauer „Regierungs-Sonderkommission zur Entwicklung der Westgebiete" aufgefordert worden, „sofort einzugreifen, falls die Wiederaufbaupläne gefährdet sind“.
Die Regierungs-Sonderkommission hat sich in mehreren Sitzungen mit der „Erscheinung" befasst, dass sich die örtlichen volkspolnischen Behörden bei der Gefährdung der „Wiederaufbaupläne" auf Warschau zu berufen pflegen und „keinerlei Eigeninitiative entwickeln". Die zuständigen Stellen in Warschau seien auch nicht benachrichtigt worden, sondern man habe jeweils „abgewartet, bis gelegentlich jemand aus Warschau vorbeikommt und ihm dann beiläufig von den aufgetretenen Schwierigkeiten berichtet. Allein bei den Wiederaufbauarbeiten" in der Industrie der Oder-Neiße-Gebiete sei seit Mitte 1957 infolgedessen ein finanzieller Schaden in Höhe von mehreren hundert Millionen Zloty eingetreten, da die Termine nicht eingehalten werden konnten.
Die Regierungs-Sonderkommission kritisierte ferner Berichte von „Nationalräten" aus den Oder-Neiße-Gebieten, die gemeldet hatten, mit den „Vorbereitungen zur Aufnahme der Produktion" sei begonnen worden. Oftmals habe sich dann herausgestellt, „dass nur einige hundert Ziegel von einem Haufen zum anderen Haufen transportiert und innerhalb von vier Wochen zwei Eisenträger eingerammt wurden". Die Instandsetzungsarbeiten würden sich laufend verzögern, so dass gegenwärtig Ausbesserungsarbeiten ausgeführt werden, die schon Ende 1957 hätten beendet sein müssen.
Seite 1 „Nichts aus der Geschichte gelernt". Exilpolnischer Bericht zur Frage der Minderheiten.
In der September-Ausgabe der in Paris erscheinenden exilpolnischen Monatsschrift „Kultura" befasst sich Marian Pankowski nach einem Besuch der Volksrepublik Polen mit den „erschreckenden Demonstrationen" des polnischen Nationalismus. Dem Bericht des polnischen Besuchers zufolge, wirkt sich in allen Teilen Polens und besonders auch in den polnisch verwalteten Ostgebieten ein so überheblicher Chauvinismus aus, dass alle Minderheiten — gleichgültig, ob slawischer oder anderer Volkszugehörigkeit — einen schweren Stand hätten.
Am Beispiel der Ukrainer weist Pankowski nach, dassss man „auch in Volkspolen nichts aus der Geschichte gelernt" habe. Von einem Schulfreund sei ihm z. B. gesagt worden, es gebe doch im Grunde genommen gar kein ukrainisches Problem in Polen. Dabei habe er in der Zeit seines Aufenthalts die Schließung einer erst vor kurzem wiedereröffneten griechisch-katholischen Kirche beobachten müssen und auch erlebt, wie ein Funktionär Ukrainer mit Beschimpfungen bedachte, die von einer geradezu beschämenden Verachtung gegenüber den Minderheiten zeugten. Die Deutschen seien im gleichen Atemzuge verunglimpft worden.
Der Artikel in der „Kultura" schließt: „Was ist angesichts derartiger Hassausbrüche, die von einem Übermaß menschlicher Dummheit genährt werden, zu tun? Wie soll man sich diesem Nationalismus gegenüber verhalten, der heute in Polen anstelle der Vernunft und Arbeit herrscht? Ich weiß nicht, was geschehen würde — vielleicht würden die Menschen an das Ende der Welt glauben! — wenn man von einem bestimmten Tage an in den Häusern und Schulen die Juden, Ukrainer, Deutschen, Russen und Tschechen als die gleichen Menschen bezeichnen würde wie die Polen selbst!? Und dass manche Leute dieser Nationen im gleichen Maße zu arbeiten verstehen, in dem die Polen das Trinken beherrschen . . . Was hilft das Träumen? Vor dem September 1939 sind die stolzen Obersten als Sachwalter einer armseligen Republik und als Erben der Piasten und Jagellonen nach Oderberg marschiert. (Gemeint ist die polnische Besetzung des westlichen, d. h. tschechischen Olsa-Landes unter Marschall Rydz-Smigly. D. Red.). Heute bereitet die Partei in einer ähnlichen Atmosphäre — aus Anlass der Tausendjahrfeiern des polnischen Staates — eine gigantische Kirmes vor. Und bald danach folgt der Jahrestag des Sieges von Tannenberg (über den Deutschen Orden i. J. 1410), für den man heute bereits öffentliche Geldsammlungen durchführt ... Wenn dann die tausend weißroten Fahnen im Winde flattern werden, wenn die große Zygmunt-Glocke vom Wawel zur Eröffnung des Milleniums zu tönen beginnt, wird man in Polen mit Hochmut auf die Moskale, die Pepiczki, Hajdamaken und Schwaben herabblicken — und es wird niemandem einfallen, nur einmal den Deckel vom Kochtopf zu heben, in dem noch immer die gleichen trockenen Fasten-Kartoffeln liegen“.
Seite 2 Südostpreußen weiter von Versumpfung bedroht Alarmierende polnische Berichte – Zahlreiche Städte weisen eine „latente Überschwemmung“ auf.
„Das Allensteiner Land befindet sich weiterhin im Alarmzustand" heißt es einleitend in einem Bericht der Warschauer Gewerkschaftszeitung „Glos Pracy" über die fortschreitende Versumpfung der tiefer gelegenen Landstriche des gesamten polnisch verwalteten südlichen Ostpreußens von der Stadt Riesenburg im Westen bis hin nach Angerburg im Osten der „Wojewodschaft" Allenstein.
In dem polnischen Bericht wird hervorgehoben, dass in den Städten Riesenburg, Rosenberg, Deutsch-Eylau, Wormditt, Braunsberg, Preußisch-Holland, Ortelsburg, Johannisburg, Mohrungen, Angerburg sowie in anderen Orten des südlichen Ostpreußens zahlreiche Häuser „jeden Augenblick" zusammenzustürzen drohen, da infolge einer allgemeinen Hebung des Grundwasserspiegels die Fundamente der Gebäude unterspült sind. In ganzen Stadtvierteln machen sich, so wird hierzu weiterhin ausgeführt, die Folgen der „latenten Überschwemmung" bemerkbar. Seit Jahren stehen die Keller unter Wasser und jeder Versuch, das Wasser herauszupumpen, verschlimmere nur die Gefahr des Zusammenbruchs der Häuser, da das nachdrängende Wasser die Fundamente nur umso eher zerstöre.
Ausdrücklich wird festgestellt, dass die „Lösung des Problems der latenten Überschwemmung" der ostpreußischen Städte deshalb besonderen Schwierigkeiten begegne, weil „die Vorkriegspläne der städtischen Entwässerungseinrichtungen vollständig verloren gegangen sind“. Erst jetzt habe man seitens der polnischen „Wojewodschaftsverwaltung" zu Allenstein 2,5 Millionen Zloty bereitgestellt, die dazu verwandt werden sollen, diese Pläne und Zeichnungen über die Kanalisationseinrichtungen in acht besonders bedrohten Städten neu zu erstellen und die dringlichsten Schutzvorkehrungen zu treffen.
Dem polnischen Bericht zufolge ist die Lage im Kreis Ortelsburg und im Gebiet zwischen Johannisburg und Angerburg „katastrophal". Im Kreise Ortelsburg müssten beschleunigt umfassende Regulierungsarbeiten an den Wasserläufen und Seen bis zu einer Entfernung von 14 Kilometern vom Stadtzentrum durchgeführt werden. Im Osten der „Wojewodschaft" Allenstein sei es dringend erforderlich, die gesamte Seenplatte nebst Zuflüssen vom Spirding-See über den Löwenthin- und Dargeinen-See bis hin zum Mauer-See möglichst unverzüglich in Ordnung zu bringen, einschließlich einer Regulierung der Angerapp. Wie „Glos Pracy" hierzu bemerkt, sind die Kosten für alle diese Arbeiten zur Bekämpfung der „latenten Überschwemmung" dermaßen hoch, dass noch niemand eine genauere Berechnung angestellt habe. Die Verhältnisse seien so alarmierend, dass es sich um ein „Problem von stattlicher Bedeutung" handele.
Aus einem Bericht der in Allenstein erscheinenden Zeitung „Glos Olszynski" geht hervor, dass z. B. im Kreise Lötzen große landwirtschaftliche Nutzflächen ständig überschwemmt sind. Das polnische Blatt beziffert die Fläche allein der im Kreise Sensburg überschwemmten Wiesen auf 1500 ha, in der Gemarkung Eisenmühl bei Lötzen sogar auf 5000 ha und in der Gegend von Schmidtsdorf auf 1800 ha. Dadurch entstünden riesige Verluste, die allein bei den Staatsgütern viele Millionen Zloty ausmachten. Es sei unbedingt vonnöten, den Wasserstand der masurischen Seen um einen halben Meter zu senken.
Den stärksten Rückstand weist die „Wojewodschaft" Breslau mit nur 7,2 Prozent der für 1958 vorgesehenen Bauarbeiten und Reparaturen auf; es folgen die „Wojewodschaften" Stettin mit 8,7 Prozent. Allenstein mit 9 Prozent, Oppeln mit 12,5 Prozent und Grünberg mit 13,2 Prozent (diese Zahlen beziehen sich auf den Stand vom 01.07. d. J.). Als Hauptursachen für die „Nichterfüllung des Planes" werden das Ausbleiben von Krediten sowie das Fehlen bestimmter Baumaterialien genannt.
Seite 2 Katastrophaler Schwammbefall in Millionen von Wohnräumen
Mehrere Millionen Wohnräume in den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten sind seit mehreren Jahren vom Schwamm befallen. Die Zahl der vom Schwamm befallenen Wohnräume nimmt — wie aus volkspolnischen Berichten über eine Tagung von Beamten der Baupolizei hervorgeht — jährlich um etwa 150 000 bis 250 000 zu, was in den nächsten Jahren zu „einer katastrophalen Lage auf dem Wohnungsmarkt führen wird, wenn nicht umgehend Maßnahmen ergriffen werden, den Schwammbefall einzudämmen".
Noch in diesem Jahr fallen nach den neuesten Berechnungen weitere 25 000 Wohnräume wegen Schwammbefalls für die Wohnraumbenutzung — jedoch nur theoretisch — aus. In Wirklichkeit gebe es keine Möglichkeit, die vom Schwamm befallenen Wohnungen zu räumen, da sonst die Wohnungsnot „über Nacht ins Unermessliche steigen" würde. Auch zahlreiche „sozialistische Neubauten" seien schon nach einem halben Jahr vom Schwamm befallen worden. Unter normalen Umständen gebe es nur ein Mittel gegen die weitverbreitete Schwammseuche: Abriss der Häuser. „Aber da keine normalen Umstände vorhanden sind, müssen die Wohnräume weiterhin von Menschen bewohnt bleiben“.
Seite 2 Ferienheim für Prominente. Internationaler Besuch in der Villa „Die Welle" auf der Frischen Nehrung.
Im Küstengebiet der „Wojewodschaft Allenstein", dem polnisch verwalteten Teil von Ostpreußen, erzählt man sich Wunderdinge von einer Villa in Neukrug, die unmittelbar vor dem letzten Krieg fertiggestellt worden war und einem deutschen Besitzer gehörte. Der moderne Bau mit vielen großen Räumlichkeiten überstand den Krieg ohne Beschädigung und wurde lediglich während der letzten Kriegswochen leergeplündert. Dann beschlagnahmte ihn das Zentralkomitee der polnischen kommunistischen Partei und richtete in der Villa unter dem Namen „Die Welle" ein Ferienheim für prominente Parteifunktionäre ein.
Die nahe sowjetische Grenze war diesem Vorhaben nicht hinderlich, denn die Schaffung einer unzugänglichen „Grenzzone" sicherte das Ferienheim vor unbefugten und ungebetenen Besuchern und Betrachtern. Das Ferienheim hat einen eigenen und gegen die Umgebung sicher abgegrenzten Badestrand.
In den vergangenen Jahren weilte zumeist polnische Parteiprominenz in diesem Ferienheim, um sich dort ungestört zu erholen. In diesem Sommer scheinen sich viele Gäste aus dem Nahen Osten in dem Ferienheim aufzuhalten, die auch manchmal Danzig und Zoppot besuchen. So nahmen an der Besichtigung von Danzig kürzlich Gäste aus Syrien teil, die als kommunistische Genossen angesprochen wurden und ganz offensichtlich nicht aus Syrien, sondern von der Frischen Nehrung angereist kamen.
Es handelt sich zweifellos um syrische Kommunisten, denen nach der Vereinigung ihres Heimatlandes mit Ägypten zur Arabischen Republik der Boden zu heiß geworden war, weil Nasser zwar den Kontakt mit Moskau aufrechterhält, aber für Kommunisten im eigenen Lande nicht viel übrig hat. Viele von ihnen, die jetzt Gäste Polens sind, hatten vorher bereits eine längere Gastfreundschaft in der Tschechoslowakei genossen und sollen sich anschließend noch der Gastfreundschaft des Budapester Regimes am Plattensee erfreuen. Auch aus anderen Ländern des Nahen Ostens, so aus dem Libanon, aus Persien und auch aus Algerien ist „internationaler Besuch" auf der Frischen Nehrung.
In Zoppot selbst ist der Badebetrieb in diesem Sommer nicht sehr lebhaft. Die vorgesehene Bereitstellung einer Reihe von Hotels für ausländische Gäste ist aus unbekannten Gründen bisher nicht erfolgt.
Seite 2 Gaststätte im Artushof.
Obwohl selbst von einsichtiger polnischer Seite die „widersinnigen, chaotischen" Rekonstruktionen mittelalterlicher Bauwerke in Danzig abgelehnt werden, geht die Neugestaltung historischer Bauwerke der Altstadt weiter. Das Warschauer Handelsministerium hat jetzt vier Millionen Zloty für den Umbau des Zeughauses und des Artushofes bewilligt. In den Laubengängen des Zeughauses sollen staatliche Verkaufsläden eingebaut werden, und der Artushof soll eine riesige Gaststätte aufnehmen, die größte in ganz Danzig. Nach dem Vorbild von Krakau und Breslau will jetzt auch Danzig alljährlich einen besonderen Tag festlich begehen.
Seite 2 Beleidigung von Deutschen wird bestraft.
In letzter Zeit haben sich in den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten Gerichtsverhandlungen gehäuft, in denen Polen wegen Beleidigung von „Angehörigen der deutschen Minderheit" und der angesiedelten Ukrainer verurteilt worden sind.
Wie aus polnischen Presseberichten hervorgeht, sind die polnischen Gerichte vom Warschauer Justizministerium angewiesen worden, „nationalistische Beleidigung" von Deutschen durch Polen auf jeden Fall strafrechtlich zu verfolgen.
In den meisten Fällen wurden Geldstrafen bis zu 1000 Zloty (etwa 180 DM) und bei tätlichen Auseinandersetzungen Gefängnisstrafen bis zu sechs Monaten — mit und ohne Bewährungsfrist — ausgesprochen.
Seite 2 Bischof für Versöhnung
Zur Versöhnung zwischen Deutschland und Polen rief der Präses der Evangelischen Kirche in Polen, der Warschauer Bischof Michelis, in Lübeck auf. Auf der Generalversammlung des Evangelischen Bundes meinte Michelis, die evangelischen Kirchen sollten versuchen, einen Steg über den Abgrund der Feindschaft zu schlagen und den gegenseitigen Suchdienst auszubauen.
Die Aufrichtigen unter den Politikern würden dadurch ermutigt, sagte der Warschauer Bischof, die Verbindung zwischen Deutschland und Polen durch wirtschaftliche und kulturelle Verträge zu stärken. „Für Polen würde es wahrscheinlich eine Katastrophe bedeuten, wenn beide Völker auch jetzt keinen Weg zur Versöhnung und zum Ausgleich der Gegensätze, zur gegenseitigen Vergebung und zur Überwindung des Misstrauens finden würden“. Die Kirche sei dazu berufen, „Brücken des Friedens und der Versöhnung zu bauen".
Seite 2 Kein Neubau seit 1945 in Gehlenburg
Über die Stadt Gehlenburg im Kreise Johannisburg in Ostpreußen berichtet die in Allenstein erscheinende polnische Zeitung „Glos Olsztynski" unter dem Motto: „Die Dinge müssen sich verschlechtern, ehe sie sich verbessern können“. „Leider wurde hier nach dem Kriege kein einziges Haus gebaut, und erst vor zwei Jahren begann man, sich energischer an die Ausbesserung der vorhandenen Häuser zu machen", schreibt das polnische Blatt. Die Mehrzahl der Häuser, an denen seit Jahren nichts repariert worden ist, sehe „einfach obskur aus, unästhetisch wäre zu wenig gesagt". Angesichts der Trostlosigkeit des Daseins suche die polnische Jugend aus Gehlenburg zu „flüchten".
Seite 2 Pressespiegel
Eine tägliche praktische Aufgabe
„Sind die Deutschen, weil sie genötigt sind, in verschiedenen Staatsformen zu leben, weniger deutsch geworden? Hebt das die historische Tatsache des Volkes auf? Diese Frage wird drüben ständig verneint. Und mit dieser Verneinung wird die Forderung nach einer Form der politischen Föderation der beiden deutschen Staaten begründet. Wir halten hier im Westen eine solche Konstruktion für falsch. Aber aus der kommunistischen Bejahung der Existenz eines deutschen Volkes müssten doch auch die Kommunisten die Folgerung einer sinnvollen Koexistenz dieses Volkes ziehen. Und sie werden anerkennen müssen, dass wir dann das Recht haben, uns ständig darum zu bemühen, den Zusammenhalt dieses Volkes lebendig zu halten. Da das zurzeit im politischen Bereich leider nicht möglich ist, müsste es doch wenigstens im privaten Bereich möglich sein. Warum dann die unmenschliche Politik der Abkapselung?
Freilich: Die Koexistenz des Volkes wenigstens im privaten Bereich sinnvoll aufrechtzuerhalten, bedeutet auch für uns Deutsche im Westen eine tägliche praktische Aufgabe. Die Proklamation reicht hier nicht aus“. „Sonntagsblatt", Hamburg
Vertrauen in die falschen Kräfte
„Will man die Stellung des westlichen Katholizismus zum Kommunismus auf einen vereinfachten Nenner bringen, so wird man sagen müssen, dass er jenen Kräften, in denen er und er allein stark sein könnte, am wenigsten, und dass er den Kräften, in denen er nicht maßgebend ist, am meisten vertraut. Anstatt die geistigen und spirituellen Gegenkräfte zu mobilisieren, an denen der Westen heute ärmer ist als manches ostasiatische Land, welches keinerlei christliche Tradition besitzt, ruft er am lautesten nach dem militärischen Schutzschild, den der Westen ohnedies bereithält. Anstatt sich in Formen gewaltloser Auseinandersetzung einzuüben, die, da ein dritter Weltkrieg unwahrscheinlich ist, als positive Antwort neben der rein negativen der militärischen Sicherung unausweichlich wird, betrachtet er jedes Loch im Eisernen Vorhang mit Argwohn und möchte den ganzen Ostblock am liebsten mit einer riesigen Chinesischen Mauer umgeben. Was er an Gebet und Opfer, an Verzicht, Askese und Liebestaten anrät, gilt meist nur privat; öffentlich bekennt er sich mehr oder weniger stolz zum hohen Lebensstandard der freien Welt, zu den steigenden Produktionszahlen einer freien Wirtschaft, die den Entwicklungsländern nur hilft, wenn die Investitionen dort die gewohnte Rendite versprechen“. „Werkhefte katholischer Laien", München
Wesen der Politik geht verloren
„Erst stellen die Anwälte, die heute so zahlreich an den Auswärtigen Ämtern vertreten sind, ihre Formeln und Doktrinen auf. Herr von Brentano die Formel: wer mit Ostberlin spricht, mit dem brechen wir. Womit jeder Schritt nach Osteuropa unmöglich wird. Und Mister Dulles die Nahost-Doktrin und die Formosa-Akte. Dann beugen sich die Generale über die Karten und entwerfen ihre strategischen Pläne. Und eines Tages müssen die Atomköpfe der Generäle die juristischen Formeln der Anwälte schützen und verteidigen bis zum bitteren Ende. Dabei geht das Wesen der Politik verloren. Nämlich das schnelle, bewegliche Handeln, die plötzliche Schwenkung, die den Gegner verwirrt, die Wachheit, die seine Vorstöße abfängt oder ihnen zuvorkommt, und das große Ziel, das auf vielen Wegen und mit wechselnden Mitteln angesteuert werden muss“. DIE WELT, Hamburg
Wo werden Verhandlungen stattfinden?
„Der Westen wird sich sehr bald mit dem kommunistischen China auseinanderzusetzen haben, und es wäre besser, das in den Vereinten Nationen in New York zu tun als in der Straße von Formosa“. „New York Herald Tribune"
Revision der Außenpolitik
„Die gefährliche Lage, in der wir uns in der Straße von Formosa befinden, nachdem wir uns schon in der explosiven Situation im Mittleren Osten militärisch engagiert haben, zeigt deutlich genug die Notwendigkeit einer fundamentalen Revision der Außenpolitik der Vereinigten Staaten“. „The Wallstreet Journal", New York
Leidenschaften nicht berechenbar
„Wir glauben nicht, dass die bloße Verteidigungs- und Abschreckungshaltung für eine Politik des Westens auch nur annähernd hinreichend ist. Bei der Betrachtung unserer heutigen Welt sollten wir die Gefahr der Leidenschaften nicht unterschätzen, die zur Kriegsursache führen können. Es könnte ja sein, dass es nicht die kalte Berechnung des Kremls, sondern die blinde Wut eines unterdrückten oder zurückgebliebenen Volkes ist, die die Explosion auslöst. Unter solchen Umständen stimmt die Theorie der Abschreckung nicht, weil Völker sich eben nicht rational verhalten. Sie berechnen nicht das Risiko, wenn wir diese unsere Theorie anwenden“. „Foreign Alfairs", London
Menschheits-Selbstmord auch ohne Krieg
„Die Frage für die gesamte Menschheit erhebt sich, ob sie wirklich warten will, bis überall in den Ländern die Kinder mit zwei Köpfen und ohne Beine geboren werden. Die Menschheit kann durch einen Atomkrieg Selbstmord begehen; sie kann es aber auch ohne Krieg, wenn die Versuche nur lange genug weitergehen. Angesichts dieser apokalyptischen Bedrohung wird jedes Pathos der nationalen Verteidigung leer, wenn es nicht begleitet ist von der Verantwortung für die Gesamtheit der Menschen“. DIE WELT, Hamburg
Seite 2 Europäische Neuordnung. Vorbedingung. Ollenhauer zur Frage der Ostgebiete.
Ein Sechspunkteprogramm der Sozialdemokraten zur Wiedergewinnung der deutschen Ostgebiete entwickelte der SPD-Vorsitzende Ollenhauer in Rothenburg o. d. Tauber auf einer Kundgebung der Seliger-Gemeinde, einem Zusammenschluss sudetendeutscher Sozialdemokraten.
Die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten und dem Sudetenland bleibe stets ein Unrecht, und die SPD vertrete das Recht auf die Heimat, betonte Ollenhauer. Um die deutschen Ostgebiete wiedergewinnen zu können, sind nach seinen Worten sechs Punkte zu beachten:
1. Das Problem müsse unbedingt auf friedliche Weise gelöst werden.
2. Eine Lösung sei nur in einer Atmosphäre der Entspannung möglich — deshalb müsse man mit den Völkern, mit denen eine Verständigung über die Zukunft der Heimatvertriebenen notwendig sei, in vernünftiger Weise nebeneinander leben.
3. Eine Lösung des Vertriebenenproblems setze die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands voraus, weil die Aufrechterhaltung der Teilung eine konstruktive und dauerhafte Entwicklung in Osteuropa ausschließe.
4. Eine Neuordnung der Beziehungen zwischen allen europäischen Völkern sei erforderlich mit dem Ziel, die Zusammenarbeit enger zu gestalten.
5. Die endgültige Lösung des Vertriebenenproblems müsse im Zusammenhang mit Grundsätzen gefunden werden, die in der Charta der Vereinten Nationen über die Menschenrechte aufgestellt worden sind.
6. Alle Anstrengungen müssten darauf gerichtet werden, diese Grundsätze zu Richtlinien für die Politik der Bundesregierung und auch der Regierungen anderer interessierter Länder werden zu lassen.
Seite 2 Neue polnische Behörde für deutsche Ostgebiete?
Auf Anordnung der polnischen KP hat ein wissenschaftliches Arbeitskollegium des bei der Akademie der Wissenschaften bestehenden Geographischen Instituts die Aufgaben des ehemaligen „Büros für Um- und Ansiedlungsfragen" übernommen, das 1949 zusammen mit dem „Ministerium für die wiedergewonnenen Gebiete" aufgelöst worden war. Das Geographische Institut soll durch wissenschaftliche Publikationen über die deutschen Ostgebiete den propagandistischen „Schaden" wiedergutmachen helfen, den Polen durch die Tätigkeit westdeutscher „Ost-Institute" erlitten habe. Wie verlautet, trägt man sich in der polnischen Hauptstadt mit der Absicht, die entsprechenden Arbeiten eventuell auch einer Regierungsstelle zu übertragen, wenn „auch nicht gleich in Form einer Wiederbelebung des einstigen Westministeriums", das bekanntlich unter der Leitung Gomulkas gestanden hatte.
Seite 3 Foto: Angerburg heute. An dieser Aufnahme wird das Maß der Zerstörung dieser Stadt deutlich. Von der Stadtmitte ist beinahe nichts übriggeblieben. Die Kirche links im Hintergrund ist eines der wenigen erhaltenen Gebäude.
Aus Charles Wassermann: Unter polnischer Verwaltung. Tagebuch 1957. Blüchert Verlag, Hamburg.
Seite 3 Angerburg / Symbol ostpreußischer Zerstörung. Stadt ohne Hoffnung — Die letzten Häuser verfallen - Von der Außenwelt abgeschnitten.
Wenn die aus Angerburg vertriebenen Ostpreußen durch ihre heimatliche Kreisstadt gehen und die Häuser zählen könnten, dann würden sie allein über die achthundert durch Kriegs- und Eroberungsereignisse zerstörte Gebäude registrieren müssen! Angerburg gehört zu den meisten zerstörten Städten Ostpreußen. 1945 sank die Stadt bis auf etwa zwanzig Prozent in Schutt und Asche.
Es hat seit dieser Zeit nicht an propagandistischen Erklärungen maßgebender polnischer Verwaltungsbeamter und Funktionäre gefehlt, man werde „Angerburg schöner als ehedem wiederaufbauen". In Ostpreußen wird man wohl kaum eine Stadt finden, wo derartige Versprechungen noch weniger als hier eingehalten worden sind! Angerburg ist heute ein Symbol der Zerstörung unserer ostpreußischen Heimat! Doch erzählen wir die Geschichte der Stadt nach dem letzten Weltkrieg der Reihe nach.
Periode des Banditentums
Kennzeichnend für die polnische Verwaltung in diesem Stadt- und Landkreis ist, dass es ihr bis auf den heutigen Tag nicht gelungen ist, einmal eingerissene Missstände zu beseitigen! Wir werden das, wie unser Bericht zeigt, immer wieder bestätigt finden. So ist es auch mit der schon bald nach Kriegsende einsetzenden permanenten Periode des Banditentums. Dabei wollen wir an dieser Stelle gar nicht von der Ausplünderung der Deutschen sprechen. Wir meinen das polnische Verbrechertum schlechthin, das sich in diesem abgelegenen Teil unserer Heimat festsetzte.
Dabei handelt es sich um mit Fahrzeugen ausgerüstete Banditen, die sich auf Überfälle auf Staatsgüter, Banken, Postämter und Staatsläden in ländlichen Gebieten spezialisiert haben. Bereits seit mehr als zehn Jahren machen diese Gangster das Gebiet um Angerburg unsicher — niemand aber konnte sie bisher dingfest machen. Die Verbrecher haben in den verschiedensten Schlupfwinkeln Standquartiere, die sie wechseln und von denen aus sie auch in die weitere Umgebung ihre Beutefahrten unternehmen. Nachdem in den letzten Jahren einige Feuergefechte zwischen der Miliz und den Gangstern stattgefunden haben, bei denen sich herausstellte, dass die Verbrecher über moderne Feuerwaffen wie Maschinenpistolen und sogar Maschinengewehre verfügen, ist die Banditenbekämpfung praktisch zum Erliegen gekommen.
Niemand vermag zu sagen, warum nicht die an der sowjetisch-polnischen Grenze stationierten Heeresverbände zu einer großen Aktion gegen die Kriminellen eingesetzt werden. Nur Angerburg kann als relativ sicher bezeichnet werden, obwohl es aber auch dort mehrere Male im Jahr zu frechen Überfällen kommt. In diesem Jahr räuberten die Banditen das Textilgeschäft des Konsums aus, das gerade seit langer Zeit wieder Waren zur Verteilung in Stadt und Land an die Filialen erhalten hatte. Dieser Raubzug verblüffte vor allem wegen seiner Planung. Die Verbrecher wussten genau, an welchem Tag die Ware kommen würde und zu welcher Nachtstunde nicht mit der Miliz zu rechnen war.
Wir berichten über diese Dinge so ausführlich, weil die Entwicklung Angerburgs nach dem Kriege bis zum heutigen Tage weitgehend von der unsicheren Lage gekennzeichnet ist. Der Landkreis Angerburg konnte sich deswegen noch nicht normalisieren! Es gibt dort ein Dutzend Staatsgüter, die alle darüber klagen, wegen der fehlenden öffentlichen Sicherheit wanderten alle anständigen Arbeitskräfte und Fachleute nach kurzer Zeit wieder ab. So ist es auch mit der Ansiedlung schlechthin. Das Kreisgebiet ist eindeutig unterbesiedelt, was sich natürlich auch auf die Entwicklung der Stadt auswirkte und auswirkt. Nach Angerburg zieht eigentlich in der letzten Zeit nur noch wer etwas zu verbergen hat oder wer sich dem dortigen gut organisierten Gesindel anschließen will.
Vergebliche Touristikhoffnungen
Die polnische Verwaltung sah in ihren Plänen vor, Angerburg - eine Stadt ohne wesentliche Industrie- und Wirtschaftsbetriebe – zu einem touristischen Zentrum zu machen. Man strebte folgende Entwicklung an: Zusagen von ORBIS und dem Gewerkschaftsreisedienst; daraufhin Erhalt von Krediten zum Wiederaufbau. Außer freundlichen Gesten bekam die Stadtverwaltung aber nichts zu hören. Die Vertreter des staatlichen polnischen Reisebüros ORBIS waren entsetzt, als sie nach Angerburg kamen. Auch die Gewerkschaftsvertreter reagierten nicht anders. In einer Konferenz wurde von diesen Kreisen die Umkehrung des Planes vorgeschlagen; erst Wiederaufbau und danach Beginn des Touristenverkehrs. Und weiter stellte man die Forderung, Angerburg könne erst dann Reiseziel werden, wenn die Banditenbekämpfung als beendet angesehen werden könnte.
Nun, das waren zwei Forderungen, die der Angerburger Volksrat nicht zu erfüllen vermochte. Miliz und Armee stellten sich taub, wenn man einen Großeinsatz gegen die Verbrecher forderte. Und die zuständige Woiwodschafts-Bauabteilung war nicht bereit, Geld oder Material in ausreichendem Maße nur für einen begrenzten Wiederaufbau zu geben. So musste die Stadt bis auf den heutigen Tag ihre Touristikhoffnung begraben. Es wäre falsch, der polnischen Stadtverwaltung die alleinige Schuld für die jetzigen Verhältnisse aufbürden zu wollen. Die lokalen Behörden sind in der Tat vom guten Willen der übergeordneten Stellen abhängig, was die öffentliche Sicherheit und den Wiederaufbau betrifft. Es ist aber offensichtlich, dass bei den zentralen Stellen überhaupt kein Interesse für Angerburg und seine Sorgen besteht!
Wiederaufbau — totale Fehlanzeige
Wir kommen nun zu dem schlimmsten aller Angerburger Probleme; dem seit dreizehn Jahren geplanten, aber nie begonnenen Wiederaufbau! Die „Ostpreußen-Warte" hat zu diesem Problem bereits vor einigen Monaten polnische Pressestimmen zitiert, die davon sprachen, dass seit 1945 in Angerburg auch nicht ein einziges Haus wiederaufgebaut worden ist. Wir wollen nun einige Ergänzungen zu diesen polnischen Eingeständnissen bringen.
Da ist einmal ein von den Stadtbehörden angewandtes Verfahren zu nennen, das sehr fragwürdig ist. Die Stadt bekam nie Mittel zur Reparatur der wenigen vom Krieg verschonten Gebäude. Als nun einmal Gelder für den Neubau eines „Arbeiterhotels" eingingen, verwendete man einen Teil dieser Summe zur Renovierung baufälliger Häuser. Nun reichte das Geld natürlich nicht mehr zur Errichtung des geplanten Hotel-Neubaus. So verfiel man auf den Ausweg, dieses Gebäude in Form eines großen Blockhauses zu errichten — wir würden Baracke dazu sagen. Für den echten Wiederaufbau war auf diese Weise also gar nichts gewonnen. Die Stadtbauabteilung erkannte, wie verhängnisvoll dieser Weg war, würde er weiter beschritten. So stellte man den Antrag, Angerburg für drei Jahre keine Neubaumittel anzuweisen, sondern der Stadt Geld und Material für die Erhaltung des bestehenden Wohnraumes zu geben. Erst anschließend wollte man mit den Neubauten beginnen.
Das war zwar ein Plan auf lange Sicht und ohne jedes Tempo, aber er hatte den Vorzug, den polnischen Verhältnissen angepasst zu sein. Doch die Allensteiner Behörden ließen die Stadtverwaltung auch bei diesen bescheidenen Vorhaben im Stich. Sie gaben nicht einen einzigen Zloty oder einen Sack Zement. So konnte es geschehen, dass in Angerburg nicht nur nicht wiederaufgebaut wurde, sondern dass ein Teil der etwa zweihundert den Krieg überstandener Gebäude langsam verfielen. Genau diese Lage haben wir auch noch 1958 in Angerburg!
Mathematiker können errechnen, wann in Angerburg alles zerfallen sein wird. Lassen die Polen in der Stadt jetzt auch mehr Sorgfalt gegenüber den Häusern walten, so ist doch die Gebäudeerhaltung illusorisch geworden! Angerburg ist nämlich schon in zwei aufeinander folgenden Jahren von Überschwemmungen heimgesucht worden, die schwerste Schäden an den Fundamenten und Kellerwänden anrichteten. Völlig unverständlich ist es, dass die Bauabteilung der Woiwodschaft in Allenstein bisher nichts getan hat, um der Stadt Hilfe zu leisten. Das Ausmaß der Schäden ist dort bekannt, und man weiß auch, dass in jedem Monat Polen aus Angerburg in ihre Heimat abwandern. Dennoch geschieht nichts.
Jetzt — im Herbst 1958 — geht die Stadt wohl ihrer größten Krise seit dem Kriegsende entgegen. 120 von den etwa noch 200 stehenden Gebäuden sind bereits praktisch unbewohnbar geworden. Die Bewohner ziehen daraus die Konsequenz, noch möglichst bis zum Winteranfang nach Polen zurückzukehren. Da die Bauperiode 1958 vorbei ist, werden diese Gebäude nun leer stehen und in diesem Winter vollends verfallen. Mitten im Frieden geht also noch einmal die Hälfte der Bauten verloren, die vom Krieg verschont geblieben sind. Man muss diese Vorgänge als das Todesurteil für Angerburg bezeichnen! Denn in Allenstein rührt man auch nicht den kleinsten Finger, um die Stadt zu unterstützen und vor dem endgültigen Untergang zu bewahren.
Bereits heute sieht man in Angerburg — wo wegen der Häuserknappheit Wohnungsnot herrscht — leerstehende Gebäude, die niemand mehr zu beziehen wagt, weil sie kurz vor dem Einsturz stehen. Andere wiederum werden nur noch durch Stützbalken an den Außenwänden gehalten. Es gibt in Angerburg Häuser, in denen bereits seit Monaten das Wasser in den Kellerräumen steht! Es hat bereits Einsturzunglücke gegeben, bei denen Menschen verletzt wurden. Noch schlimmer aber als um die Außerwände steht es um die Dächer der zweihundert letzten Häuser. Man findet wohl kein Dutzend Gebäude, deren Dächer noch in Ordnung sind. Die übrigen sind alle durchweg unzählige Male provisorisch geflickt worden. Doch alles hat nichts genutzt. Den Stadtbehörden liegen 150 Anträge vor, dass es durchregnet und dass die oberen Etagen nicht mehr bewohnbar sind. Wie aber soll man die Dächer in Ordnung bringen, wenn es keine Ziegel, keine Balken, keine Bleche oder keine Teerpappe gibt? Nichts — aber auch rein nichts — ist vorhanden. Schon heute kann man von dem Beginn einer Massenflucht aus diesen Häusern sprechen.
Die Bauverhältnisse in Angerburg sind der beste Beweis dafür, dass die polnische Verwaltung gar nicht in der Lage ist, unsere Heimatstadt zu verwalten und in Besitz zu halten. Die Zeit ist nicht mehr fern, wo die polnischen Beamten in Angerburg über eine tote Stadt gebieten werden. Viele Angestellte und Funktionäre wollen diesen Termin gar nicht erst abwarten. Genau wie die Bürger bemühen sie sich um neue Stellungen in Polen. Die Atmosphäre in der Stadt ähnelt dem eines Wartesaales. Alles wartet darauf, fortzukommen und diese öde Stätte hinter sich zu lassen.
Schlechte Verkehrsverbindungen
Dieses Chaos wird dadurch noch größer, da es seit 1945 auch nicht zu einer Normalisierung der Verkehrsverbindungen gekommen ist. Noch immer ist die Strecke Angerburg - Lötzen unterbrochen, weil bei Kruglanken noch immer ganze Streckenabschnitte nicht vorhanden sind. Sie wurden nach Kriegsende demontiert. Als bedeutungslos wegen der Grenze müssen auch die Linien nach Angerapp, Goldap und Nordenburg angesehen werden. Nicht viel besser steht es mit der Straße von Lötzen nach Angerburg. Sie ist völlig ausgefahren und mit Schlaglöchern übersät. Von Straßeninstandsetzung ist weit und breit nichts zu sehen. Um keinen Deut besser sieht die Straße nach Goldap aus. Es ist heute zu einem Abenteuer geworden, Angerburg überhaupt zu erreichen! Auch hierin ist der Verfall der Stadt zum Teil begründet. Es gibt auch nicht die geringsten Anzeichen dafür, dass Straßen und Eisenbahn in absehbarer Zeit wieder ausgebessert werden sollen. So ist Angerburg nach Norden durch die Demarkationslinie und nach den anderen Himmelsrichtungen durch die katastrophalen Verkehrsverbindungen von der Außenwelt abgeschlossen.
Allgemeines
Bei allen diesen Zuständen wundert es einen schon nicht mehr, wenn man hört, dass Angerburg in der Vergangenheit und Gegenwart nur für die Ziegelgewinnung ein interessantes Objekt darstellt. Man fasst sich an den Kopf über die letzte Nachricht aus dieser Stadt — sie besagt, dass „das Unternehmen zur Gewinnung von Baumaterial seinen Plan mit 17 Prozent übererfüllt hat". Man schafft also noch immer Mauersteine usw. aus der Stadt fort, obwohl diese Materialien dringend für Reparaturen und den Wiederaufbau benötigt werden.
Erfreulich ist dagegen, dass die Angerburger Pfarrkirche renoviert worden ist und schon seit einigen Jahren wieder für Gottesdienste benutzt wird. Nach der Wiedereinweihung stellte man sie den „autochthonen Gläubigen" zur Verfügung. Als Kirchensprache wurde das Polnische bestimmt.
In Angerburg befindet sich ein Altersheim, in dem sich bis vor kurzem noch vier Deutsche befanden (es waren an die hundert Landsleute). Nachdem ein Teil von ihnen im Rahmen der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik und die Sowjetzone umgezogen ist, hat sich die Zahl der Ostpreußen jedoch sehr verringert.
Mancher Angerburger wird nach der Fischbrutanstalt fragen, die einstmals die größte Deutschlands gewesen ist. Nun, von unserem Standpunkt aus gibt es sie nicht mehr. Denn die kläglichen polnischen Versuche, diese Anstalt wieder zu errichten, haben nur zu Provisorien geführt. Was heute dort betrieben wird, hat nichts mehr mit unseren führenden Anlagen zu tun.
Ein weiteres trauriges Problem ist der Zustand der holzverarbeitenden Industrie und der der Melioration. Beides wurde total vernachlässigt. Heute werden die Wälder kaum genutzt und vor allem nicht durchforstet. Weite Forsten haben urwaldähnlichen Charakter angenommen. Was die Melioration betrifft, so begünstigt ihr Verfall die Überschwemmungen, von denen man annimmt, dass sie die Stadt jetzt regelmäßig heimsuchen werden. Wir möchten abschließend sagen, dass es in Angerburg 1958 so traurig aussieht, dass wir lieber auf diesen Bericht verzichtet hätten!
Seite 3 Kurzberichte aus der Heimat.
Schichau-Werft stillgelegt.
Da die Russen jedes Passieren von Schiffen durch den von ihnen kontrollierten Haffkanal nach Elbing verboten haben, legten die Polen die frühere F. Schichau-Werft in Elbing still. Nach dem Kriege baute sie Turbinen für Werften in Danzig und reparierte rollendes Eisenbahnmaterial.
„Tannenberg"-Film
Nach einer Meldung der in Allenstein erscheinenden Zeitung „Glos Olsztynski“ werden gegenwärtig in der Gegend von Heilsberg Außenaufnahmen für den Film einer Lodzer Herstellerfirma gedreht, bei dem der bekannte polnische Schriftsteller Marian Brandys das Manuskript geschrieben hat. Dieser Film hat den Sieg des litauisch-polnisch-tatarischen Heeres über den Deutschen Orden bei Tannenberg im Jahre 1410 zum Thema.
Seite 4 Dr. Linus Kather 65 Jahre.
Am 22. September 1958 begeht der Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“, Dr. Linus Kather, seinen 65. Geburtstag. Kather ist in Ostpreußen geboren und besuchte das humanistische Gymnasium in Kulm, an dem zur gleichen Zeit auch Kurt Schumacher Schüler war. Von 1921 – 1945 war Kather Rechtsanwalt und Notar in Königsberg. Er vertrat dort von 1930 bis 1933 das Zentrum im Stadtparlament. Als Verteidiger ermländischer Priester erregte er das Missfallen der Gestapo, die ihn im Jahre 1941 einige Wochen einsperrte.
Im Jahre 1945 kam er als Vertriebener nach Hamburg. Bereits im Sommer desselben Jahres gründete er die „Notgemeinschaft der Ostpreußen". Er versuchte bald darauf die überall entstandenen Zusammenschlüsse der Heimatvertriebenen zu vereinen, was zunächst am Verbot der Besatzungsmächte scheiterte. Im Jahre 1949 konstituierte sich jedoch in Frankfurt a. M. der „Zentralverband der vertriebenen Deutschen", und einige Monate später löste Kather Dr. Lukaschek, den ersten Vorsitzenden dieses Verbandes, ab. Im Jahre 1951 versuchte Dr. Kather bereits einen Einheitsverband, den „Bund der vertriebenen Deutschen", zu bilden. Der Plan misslang jedoch, da die Landsmannschaften ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben wollten. Sie schlossen sich ein Jahr später im „Verband der Landsmannschaften" zusammen.
Kather ging auch frühzeitig in die Parteipolitik. Er beteiligte sich in Hamburg an der Gründung der CDU. Seit Juni 1946 stand er an der Spitze der Vertriebenenarbeit dieser Partei, die ihn im Jahre 1949 in den Bundestag entsandte. Dort hatte er fünf Jahre lang den Vorsitz im Bundestagausschuss für Vertriebene inne.
Kather machte stets viel von sich reden. Während der Auseinandersetzung um den Lastenausgleich veranstaltete er auf dem Bonner Marktplatz zwei Großkundgebungen der Vertriebenen. Kurz darauf schloss er jedoch mit dem Bundeskanzler einen Kompromiss, bei dem er die meisten der auf den Kundgebungen erhobenen Forderungen fallen ließ und für das Lastenausgleichsgesetz stimmte. Bald darauf scheint er sich dessen bewusst geworden zu sein, dass man ihn überlistet hatte, denn er geriet seitdem in einen immer größer werdenden Gegensatz zur CDU, die er schließlich im Jahre 1954 verließ. Er wechselte damals kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen zum BHE über. Dieser hoffte mit der Hilfe Dr. Kathers in Nordrhein-Westfalen die 5-Prozent-Klausel zu überspringen, was auch fast gelungen wäre.
Da der BHE auch bei den letzten Bundestagswahlen die Sperrgrenze nicht mehr überspringen konnte, schied Dr. Kather aus dem Bundestag aus, dem er acht Jahre als Abgeordneter angehörte. Dr. Kather blieb Vorsitzender des „Bundes der Vertriebenen". Hervorzuheben ist, dass er während der Auseinandersetzung über das Saarstatut im Gegensatz zum „Verband der Landsmannschaften" eine klare Haltung zugunsten des Selbstbestimmungsrechtes der Saarbevölkerung eingenommen hat.
Seite 4 Professor Dr. phil. Erich Keyser 65 Jahre
Am 12. Oktober 1958 vollendet Professor Dr. phil. Erich Keyser, seit 1951 Direktor des Johann-Gottfried-Herder-Instituts in Marburg (Lahn) und Leiter der Forschungsstelle für deutsche Städtegeschichte, das 65. Lebensjahr. Nach dem Kriegschaos von 1945 gelang es ihm, die in der Zerstreuung lebenden ostdeutschen Geschichtsforscher zu sammeln. Ihm, der selbst erschütterndes eigenes Kriegsleid aus der Heimatvertreibung in Danzig tragen musste, war es zu danken, dass schon 1950 die „Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung" in Marburg neu ins Leben treten konnte. Seitdem wurde ihm der Dienst an der Neubelebung und Vertiefung der wissenschaftlichen Forschungen zum Besten des deutschen Ostens eine verpflichtende Aufgabe, die ihn noch heute mit einem Stabe bewährter wissenschaftlicher Mitarbeiter tatkräftig am Werke findet.
In seiner Vaterstadt Danzig mit den ehrwürdigsten Baudenkmälern deutscher Geschichte und Kunst erhielt der Kaufmannssohn Erich Keyser die stärksten Impulse für die Berufung zum Historiker. Nach dem Reifezeugnis am Städtischen Gymnasium in Danzig studierte er mittlere und neuere Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten Freiburg i. Br., München, Halle und Berlin und trat nach seiner Promotion bei dem mittelalterlichen Historiker Werminghoff in Halle in den Vorbereitungsdienst der preußischen Archivverwaltung. Zunächst arbeitete er 1919/1920 am Geheimen Staatsarchiv in Berlin, um darauf in das Staatsarchiv in Danzig einzutreten. Seitdem widmete er sich 25 Jahre hindurch der Geschichts- und Kulturpflege in seiner Vaterstadt Danzig, Westpreußen und darüber hinaus im ganzen Ordenslande. Seit 1926 war er Privatdozent und von 1931 bis 1945 a. o. Professor für mittelalterliche und neue Geschichte an der Technischen Hochschule in Danzig. Liebevoll betreute Professor Keyser seit 1927 die neue Aufgabe als Leiter des neugegründeten Staatlichen Landesmuseums für Danziger und westpreußische Geschichte in Danzig-Oliva (Schloss). Diese Forschungs- und Lehrstätte mit der Sammlung geschichtlicher Altertümer aus dem ganzen Weichsellande fiel den Kriegszerstörungen Ende März 1945 zum Opfer. Zuvor gelang es Professor Keyser 1943, in der Gründung der „Nikolaus-Kopernikus-Gesellschaft" alle an der westpreußischen Landesforschung tätigen Kräfte zusammenzufassen. Nach Kriegsende machte er einen neuen Anfang an der Universität Hamburg mit einem Lehrauftrag für historische Hilfswissenschaften. Aus der langen Reihe der wissenschaftlichen Veröffentlichungen Professor Keysers sind zu nennen: „Danzigs Geschichte" (1921, 2. Aufl. 1929). „Die Entstehung von Danzig" (1924), das bedeutende Werk „Danzig" in der Reihe „Deutsche Lande - Deutsche Kunst" (1928, 4. Aufl. 1942). „Die Marienkirche in Danzig" (1929, zusammen mit K. Gruber herausgegeben). „Die Geschichte des deutschen Weichsellandes" (1939). Arthur Lenz
Seite 4 Kameradschaft Luftgau I.
Schriftführer: W. Gramsch, (20a) Celle, Waldweg 83.
Die ehemaligen Aufsichtsbeamten im Luftgau I trafen sich zu ersten Mal am 23./24. August in Lüneburg. Die Zusammenkunft war von Kamerad Kurt Mirbach, früher Königsberg-Devau, jetzt wohnhaft in Tonning, Kreis Husum, Twiete 10, organisiert und von Kamerad Grunwald vortrefflich vorbereitet worden.
Mehr als ein Dutzend ehemaliger Luwa- Beamte waren erschienen, und die Teilnahme der Ehefrauen gab dem Treffen eine kameradschaftlich-familiäre Note. Aber auch ebenso viel Kameraden sind i Kriege geblieben, deren man in Ehren gedachte. Nach so langen Jahren der Trennung nahm der Austausch alter Erinnerungen kein Ende. Die alten Flugplatznamen, wie Devau, Marienburg, Elbing, Allenstein, Rossitten und viele andere waren wieder in aller Munde. Am nächsten Tage wurde eine Busfahrt in die Heide unternommen, und zum Abend fand sich alles bei Kamerad Grunwald zusammen, um Bunt-Dias von Kamerad Mirbach aus seiner neuen Wahlheimat und auch solche aus Rossitten, die Kamerad Behrendt über die Zeit gerettet hat, anzusehen. Erst am nächsten Tage löste sich diese wirklich große Familie auf mit dem allseitigen Wunsche, sich im nächsten Jahre wiederzusehen!
Wir nahmen am 7. September in Göttingen teil an der Feierstunde am Ehrenmal im schönen Rosengarten. Diese sich alljährlich wiederholende Veranstaltung ist mehr als eine Erinnerung an unsere Gefallenen und das Bekenntnis zur Heimat, sie ist eine Erbauungsstunde für alle, die daran teilnehmen. Nach der Totenehrung unter Niederlegung einer Unzahl von Kränzen und Blumen fanden sich die Kameraden zusammen, um alte Erinnerungen auszutauschen und neue Bande zu knüpfen. Selbst aus dem Schwarzwald und aus dem Rheinland war ihnen der Weg nicht zu weit. Im nächsten Jahre soll diese Feierstunde mit einem großen Soldatentreffen verbunden werden.
Am Sonnabend, dem 11. Oktober, findet im Hotel-Restaurant „Industriehof" in Düsseldorf um 20 Uhr ein zwangloser Kameradschaftsabend, verbunden mit einer „Sprechstunde", im kleinen Klubzimmer statt, zu dem alle interessierten Kameraden (auch mit Damen) eingeladen sind. Ich erwarte, dass sich die in Nordrhein-Westfalen wohnenden Kameraden rege daran beteiligen werden. Fahrtverbindung vom Hauptbahnhof mit Straßenbahnlinie 8 bis Uhlandstraße, dann Fußweg bis Grafenberger Allee 37.
Seite 4 Unser Suchdienst!
Gesucht wird:
Der ehemalige Stabsgefreite Erich Lutz, geb. 18.10.1905, in Königsberg/Pr. Letzte Dienststelle war das Flugplatzkommando Devau, Feldpost-Nr. L 60 199, von seiner Ehefrau Rotraut Lutz, Mülheim/Ruhr, Kappenstr. 61. —
Die Oberzahlmeister Siegemund und Gorgs, Hauptmann Schmidt und Angestellter Karl Sittmann von der Fliegerhorst-Kommandantur Worrnditt, von Hans Hesse, Offenburg-Süd, Lilienweg 11. —
Von der Abteilung Ic (Kartenstelle) des Luftgaukommando I die Majore von Alten und Chop sowie die Angestellten Fräulein Speidel und Baltrusch und Otto Behrendt, ferner von der A- und E-Stelle der Reg.-Ober-Inspektor Foerster, von Udo Bessel, Hamburg 20, Heckscherstraße 9a. —
Die Reg.-Bauinspektoren Dorband und Fohwinkel von Percy Müller, Gelsenkirchen, Wilhelminenstraße 94.
Seite 4 Wir gratulieren!
84. Geburtstag
Schuhmachermeister Paul Müller, aus Zinten, Wilhelmstraße 37, am 1. Oktober 1958 in Oldenburg i. O., Trommelweg 92, bei Deeken. Der Jubilar ist geistig noch äußerst rege.
82. Geburtstag
Eugen Reuser, aus Königsberg/Pr., Am Fließ 10, am 12. Oktober 1958 in Salzgitter-Lebenstedt, Am Bauerngraben 4.
81. Geburtstag
Klara Dawideit, aus Allenstein, Adolf-Hitler-Allee 85, am 24. September 1958 in BerlinSteglitz, Holsteinische Straße 22.
80. Geburtstag
Auguste Rehbach, geb. Schiweck, aus Königsberg/Pr., Steffeckstraße 51, am 27. Oktober 1958 in Ulm/Donau, Karlsplatz 4, wo sie bei ihrer Tochter Ilse wohnt.
Bernhard Klimmeck, aus Allenstein, Jägerkaserne, am 15. September 1958 in Berlin O 17, Brückenstraße 56.
79. Geburtstag
Hedwig Merten, aus Allenstein, Hindenburgstraße 9, am 18. September 1958 in Berlin-Charlottenburg, Wundstraße 44.
Franziska Grunewald, aus Allenstein, Adolf-Hitler-Allee 14a, am 24. September 1958 in Berlin-Köpenick, Kleinschewskistraße 15a.
Auguste Heinrich, aus Allenstein, Wilhelmstraße 18, am 24. September 1958 in Berlin-Charlottenburg, Königin-Elisabeth-Straße 6.
78. Geburtstag
Klara Schwabe aus Allenstein, Kaiserstraße 31, am 22. September 1958 in Berlin SO 16, Gubener Straße 31.
75. Geburtstag
Hanna Flath, Witwe des Chefarztes an der Barmherzigkeit Dr. Hermann Flath, aus Königsberg/Pr., am 19. September 1958 in Bad Neuenahr, Abendfrieden.
Frieda Schemel, Witwe des Oberfeldarztes Dr. Schemel, am 13. Oktober 1958 in Flensburg, Schiffsbrücke 6.
Elisabeth Marschall, aus Allenstein, Germanenrieg 45, am 21. September 1958 in Berlin-Charlottenburg 2, Windscheidstraße 3a.
Gertrud Fangerau, aus Allenstein, Bahnhofstraße 74, am 20. September 1958 in Berlin-Steglitz, Schloßstraße 44.
Seite 4 Oktober-Geburtstagskinder in Flensburg
Rudolf Stein am 3. Oktober 1958, 75 Jahre, wohnhaft Friesische Straße 12.
Elise Labion, aus Schippenbeil am 9. Oktober 1958, 75 Jahre, wohnhaft Karlstraße 6.
Emilie Lau, aus Hermsdorf, Kreis Heiligenbeil, am 29. Oktober 1958, 75 Jahre, wohnhaft Kloster z. Heilg. Geist.
Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit.
Seite 4 Kulturelle Nachrichten.
Etta Merz gestorben
Die Dramatikerin Etta Merz, über die wir ausführlich in unserer Juli-Ausgabe unter der Spalte „Kulturschaffende unserer Heimat“ berichteten, ist im Alter von 88 Jahren in Blankenburg/Harz gestorben. Der Name der Künstlerin sowie der des Intendanten Hermann Merz, ihres Gatten, sind untrennbar mit der Zoppoter Waldoper, dem „Nordischen Bayreuth“, und den dortigen Richard-Wagner-Festspielen verbunden. Im wahrsten Sinne Diener der Kunst haben sie hier in zwei Jahrzehnte langer Arbeit eine Kulturstätte erstehen lassen, die nichts ihresgleichen hatte. Wie berichtet wird, will Polen die Tradition der Zoppoter-Waldoper wieder aufnehmen.
E. T. A. Hoffmann-Handschrift entdeckt
Eine verschollen geglaubte Komposition von E. T. A. Hoffmann, der ja bekanntlich nicht nur als Dichter, sondern auch als Komponist und Graphiker hervorgetreten ist, wurde jetzt im Würzburger Staatsarchiv entdeckt. Es handelt sich um die seit langem gesuchte Handschrift des Melodramas „Saul".
Partikel-Gedenkschau
Die Berliner Galerie Schüler bereitete für das kommende Frühjahr eine Gedenkschau für den am 7. Oktober 1888 — also vor 70 Jahren — geborenen ostpreußischen Maler Alfred Partikel, vor. Der Künstler ist seit dem Herbst 1945 in dem russisch besetzten Ahrenshoop unter niemals geklärten Umständen verschollen. In seinem Werk wandte sich Partikel vornehmlich der Landschaft seiner Heimat zu, die in ihm einer ihrer besten Interpreten gefunden hat. Nach den Stationen München, Weimar und Berlin wirkte Partikel ab 1929 an der Königsberger Akademie.
Hans Eckart Besch ausgezeichnet
Im 7. Internationalen Musikwettbewerb der deutschen Rundfunkanstalten wurde dem heute in Hamburg lebenden 26-jährigen Pianisten Hans Eckart Besch in München der erste Preis zuerkannt. Der junge Künstler setzt damit ehrenvoll eine alte Familientradition fort; er ist der Sohn des Bach-Forschers Prof. Hans Besch (heute in Flensburg) und der Großneffe des bekannten, heute in Elsfleth lebenden und in diesem Jahr mit dem Ostpreußischen Kulturpreis ausgezeichneten Komponisten Otto Besch. Er hatte sein überlegenes Können gegen 68 der besten Pianisten der USA, Englands, Frankreichs, Österreichs und Deutschlands zu beweisen. Im letzten entscheidenden Durchgang wählte er das Konzertstück f-moll für Klavier und Orchester von C. M. von Weber und holte sich damit den verdienten Sieg.
Kunstwerke kehren heim
Deutsche Kunstschätze aus dem „Grünen Gewölbe" in Dresden werden gegenwärtig in der Sowjetunion zur Rückführung nach Deutschland verpackt. Insgesamt will die Sowjetunion der DDR in diesem Herbst 1,5 Millionen Kunstwerke und Archivstücke übergeben. Teile werden gegenwärtig noch in Moskau und Leningrad ausgestellt.
Fördererpreise für Ostdeutsche
Unter den diesjährigen Stipendiaten des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie befinden sich wieder zwei junge Talente aus dem deutschen Osten, der aus Ostpreußen stammende Maler Winfried Gaul und der sudetendeutsche Bildhauer Otto Herbert Hajek.
Ausstellung ostdeutscher Künstler in Peru
Im Anschluss an die erfolgreichen Ausstellungen der Künstlergilde in Santiago de Chile, Concepciôn, und Valparaiso geht die Kollektion der Künstlergilde nach der Hauptstadt von Peru, Lima, wo sie auf Einladung der Deutschen Botschaft und des Kulturinstituts gezeigt wird. Eine Reihe weiterer südamerikanischer Länder, darunter Argentinien, haben die Künstlergilde eingeladen, Ihre Ausstellung auch in ihren Hauptstädten zu zeigen.
Ausstellung „Junge Künstler im Osten“
Die in Braunschweig im Sommer dieses Jahres erstmalig gezeigte, von der Künstlergilde zusammengestellte Ausstellung „Junge Künstler im Osten“ ging im Anschluss, etwas erweitert, nach Reutlingen, wo sie bis Ende September geöffnet war. Bereits in Braunschweig konnte eine Reihe von Werken verkauft werden. Die Auswahl der Künstler war bis zum Alter von vierzig Jahren begrenzt.
Norddeutsche Künstler-Einung stellt in Berlin aus
Die Nordostdeutsche Künstler-Einung startet eine Reihe neugeplanter Kunstausstellungen mit einer großen Ausstellung in Berlin im Haus des Vereins Berliner Künstler am Lützowplatz. Neben Werken von Mitgliedern sollen diesmal auch Werke verstorbener Künstler des nordostdeutschen Raumes gezeigt werden, so von Lovis Corinth, Käte Kollwitz, Max Pechstein, Alfred Partikel und Fritz Burmann. Die Ausstellung wird am 8. November von dem Vorsitzenden Dr. Ernst Melzner mit einem Vortrag über das Wesen des Künstlers eröffnet. Die Ausstellung bleibt bis zum 30. November geöffnet. Im Rahmen der Berliner Urana-Gesellschaft wird Dr. Melzner am 11. November einen Farblichtbildervortrag über Nidden und seine Künstlerkolonie halten.
4. Wiedersehenstreffen der Adlerschild-Division (121. ostpr. I. D.)
An den beiden Tagen des Divisionstreffens am 30. und 31. August 1958 in Düsseldorf waren an 700 Ehemalige mit ihren Angehörigen versammelt. Der Höhepunkt der Wiedersehensfeiern war auch diesmal die Gedenkfeier am 39-er Ehrenmal am Rhein. Unter Mitwirkung eines Musikkorps der Bundeswehr und zahlreicher Gäste der soldatischen Verbände im Raum Düsseldorf sprachen hier die beiden Divisionspfarrer über den Sinn des Opfers auch unserer toten Kameraden. Der letzte Kommandeur der Division, Generalleutnant Ranck, sprach von der heimatlosen Division, die alle zwei Jahre in einer anderen westdeutschen Stadt sich unter ihrem Feldzeichen sammle, um ihrer Toten zu gedenken und das Erinnern wachzuhalten an das geteilte Vaterland und die verlorene Heimat. Unter dem Lied vom guten Kameraden wurden zahlreiche Kränze niedergelegt. — Am Sonnabend hatten die Kameraden im großen Saal der „Löwenburg" eingehend die Suchlisten des DRK eingesehen, und es gelang hier, mehr als zehn Fälle einer Aufklärung näherzubringen. Nach der Divisionsversammlung, die einstimmige Wiederwahl des 1. Vorsitzenden, General d. Artl., Curt Jahn, und 2. Vorsitzenden Fritz Gehrs, Engehausen über Schwarmstedt, gingen die Wogen der Fröhlichkeit hoch. - Am zweiten Tag des Treffens, das dem Verband mehr als 70 Neuanmeldungen brachte, vereinte dann ein gemeinsamer Erbseneintopf alle Teilnehmer, bis leider viel zu früh die Abschiedsstunde schlug.
Seite 5 Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 10. Oktober 1958.
Zeichnung von Ludwig Richter. Erntedankfest.
Segen der Ernte / Von Hans Bahrs
Da nun die letzte Ernte eingebracht
Und alle Scheuern auf den Winter warten,
Da danken wir dir für die vielen harten
Und guten Arbeitstage, die vollbracht.
Nun breitest du die weiße Decke aus
Und lässt die Wärme in der Erde wachen.
Wir können still den letzten Rundgang machen
Und friedlich unser Werk bestelln zu Haus.
Du hütest nun das Wachsen unsrer Saat,
Die wir der Erde fleißig übergeben.
Du wirst die Keime in die Sonne hebern
Zur rechten Zeit für eine gute Mahd.
Wir danken dir den milden Sonnenschein
Und warmen Regen, der die Felder tränkte.
Ein jeder Samen, den der Frost nicht kränkte,
Wird dir als reife Ernte dankbar sein.
Seite 5 Alle Brüder
sollen sich gegeneinander so verhalten, dass sie nicht die Milde und Eintracht des Brudernamens in Unmilde verkehre, sondern sie sollen sich befleißigen, so in brüderlicher Liebe einmütig und gütig im Geiste der Sanftmut miteinander zu leben, dass man mit Recht von ihnen sagen möge: Wie gut und wie fröhlich ist der Brüder Wohnen in Eintracht. Ein jeglicher trage, wenn er es vermag, des andern Bürde, und nach des Apostels Rat befleißige sich ein jeder, den andern zu ehren.
Alle Brüder, die Ämter haben, sie seien klein oder groß, sollen sich befleißigen, dass sie den anderen Brüdern die Dinge, die man ihnen geben soll, gütig oder bescheidentlich geben oder versagen, damit die andern nicht durch ihr Verschulden betrübt werden. Wovon sie nicht wollen, dass man es ihnen tue, das sollen sie auch niemandem tun. Sie sollen sich selbst mehr für den Diener als für die Herren der anderen ansehen. Es soll auch ein Bruder sich nicht allein dem andern gutwillig erweisen, sondern allen Brüdern ziemt es wohl, dass sie sich befleißigen, allen Menschen, mit denen sie zu tun haben, das Vorbild guten Lebens, der Rechtfertigung und Zucht zu bieten.
Die Liebe ist ein Schatz, mit dem der Arme reich ist, der ihn hat, und der Reiche arm ist, der ihn nicht hat. Hiernach sollen alle Brüder mit Fleiß streben, dass sie nicht nur einander nicht beschweren, sondern mit Liebe und Dienst und Demut gegeneinander das erwerben, dass sie im Himmel erhöht werden, wie das Evangelium spricht: Wer sich erniedrigt, der soll erhöht werden.
Aus den Regeln des Deutschen Ritterordens.
Seite 5 Von Johannes Trojan.
Einer muss voran, zu zeigen,
dass es gibt noch einen Mund,
der, wenn andre furchtsam schweigen,
mannhaft tut die Wahrheit kund.
Einer muss voran in Nöten,
wenn es heißt: Wo ist ein Mann,
der das Herz hat, vorzutreten?
Sei der eine! Geh‘ voran!
Seite 5 Was taten die Schildbürger?
Die ägyptische Finsternis dauerte, wie in der Bibel zu lesen steht, nur drei Tage. Wir hofften also, dass auch das Dunkel in unserem Rathaus sich lichten werde, wenn wir drei Tage verstreichen ließen. Am vierten Tage aber war es in unserem Rathaus noch immer genau so finster wie anfangs.
„Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“ sagte mein lieber Vetter, der Schneider Siebenkäs. „Dieses Haus muss verhext sein!“
„Wir sollten nicht gleich an das Schlimmste denken“, entgegnete Samuel Hechelmann. „Kann denn die Sache nicht ebensogut einen anderen Grund haben“,
„Ja – aber welchen?“ fragte mein Oheim, der Bäcker Sauerbrot. Wir beratschlagen hin und her, zogen dies in Erwägung, erörterten jenes. Darüber verging ein gute Weile, dann meldete sich der Mann meiner jüngsten Schwester, der Metzger Kalbfell, zum Wort.
„Liebe Mitbürger!“ sprach er, „vergleichen wir einmal das Rathaus von Schilda mit meinem Wurstkessel! Wie der Wurstkessel leer ist, wenn ich am Morgen das Schlachthaus betrete, so ist auch das Rathaus leer. In dem Wurstkessel fehlt es am Wasser, im Rathaus am Licht. – Seid ihr mitgekommen?“
„Jawohl!“ rief in unser aller Namen Herr Samuel Hechelmann. „Rede nur weiter!“
„Wenn ich nun meinen Wurstkessel füllen will“, sagte der Metzger, „so muss ich zum Brunnen gehen und Wasser holen. Das muss ich sodann in den Kessel schütten; und wenn ich so drei- oder viermal gegangen bin, ist der Wurstkessel voll. – Ihr versteht mich doch?“
„Was den Wurstkessel angeht, habe ich alles genau verstanden“, sagte mein Oheim, der Bäcker. „Ich frage mich nur, was dein Kessel mit unserem Rathaus zu tun hat“.
„Gedulde dich!“ sagte mein Schwager nachsichtig. „Wie ich den Kessel mit Wasser fülle, so könnten und sollten wir auch das Rathaus mit Licht füllen. Nichts scheint mir leichter als dies! Heute Mittag, wenn draußen die Sonne am hellsten strahlt, lassen wir alle in Schilda verfügbare Körbe und Töpfe und Krüge und Eimer mit Sonnenlicht volllaufen …“
„Ja?“ unterbrach ihn Herr Samuel Hechelmann – „und was dann?“
„Dann tragen wir einfach das Sonnenlicht in das Rathaus, schütten es drinnen aus – und so fort, bis das Rathaus bis obenhin voller Licht ist!“
Da riefen wir: „Ja, du hast recht gesprochen! Das tun wir! Wir werden das Rathaus von Schilda voll Licht schütten, bis es überschwappt!“
Aus Otfried Preußler „Bei uns in Schilda“. K. Thiemann-Verlag.
Seite 5 Wusstet Ihr das schon?
Das Fahrrad, so wie wir es heute kennen, war kaum ein paar Jahre alt, da kam schon ein findiger Kopf darauf, es zerlegbar zu machen. Auch in späterer Zeit tauchten immer wieder Konstruktionen auf, die das Fahrrad zerlegbar machen wollten. Gehalten haben sie sich alle nicht.
Das international gebräuchliche Zeichen SOS (engl.: save our souls, rettet unsere Seelen!), mit dem sich in Seenot befindliche Schiffe an andere Fahrzeuge mit der Bitte um Hilfe wenden, wurde im Jahre 1906 durch die erste Internationale Funkkonferenz beschlossen.
Die „Arbeit“ der Biene richtet sich genau nach ihrem Alter. Bis zum dritten Lebenstag reinigt die Biene Zellen. Vom dritten bis zum dreizehnten Tag füttert sie die Larven mit Honig, und vom dreizehnten bis zum zwanzigsten Tag nimmt sie den Honigsammlerinnen die Vorräte ab und reinigt den Stock. Erst nach dieser „Volontärzeit" beginnt sie mit der Arbeit des Honigsammelns.
In ganz Ostasien, ausgenommen China, sind Stühle unbekannt; man sitzt grundsätzlich nur auf Matten.
Seite 5 Aus unserer Bücherkiste.
Liebe Leseratten!
Das Buch, das wir euch heute an erster Stelle empfehlen, richtet sich eigentlich gar nicht an ein bestimmtes Lesealter. Unsere Empfehlung steht daher hier nur zum Teil richtig, nämlich dass man schon mit zehn Jahren zu diesem Buch greifen kann. Aber gebt es dann mal dem Opa von achtzig zu lesen, und da werdet ihr sehen, er liest es mit dem gleichen Vergnügen und dem gleichen Schmunzeln um die Lippen.
BEI UNS IN SCHILDA
Die wahre Geschichte der Schildbürger nach den Aufzeichnungen des Stadtschreibers Jeremias Punktum. Erzählt von Otfried Preußler. Mit vielen Illustrationen von F. J. Tripp. K. Thienemanns Verlag, Stuttgart. 128 S., Hln. DM 5,90.
Die Schildbürgergeschichten haben ja bekanntlich durch nahezu vier Jahrhunderte ihre Unverwüstlichkeit bewiesen. Hier freilich erscheinen sie — obwohl sich der Verfasser streng an die Überlieferung des Volksbuches gehalten hat — in einem ganz neuen Licht. Es ist eigentlich verwunderlich, dass nicht bereits früher jemand auf den Gedanken gekommen ist, die närrischen Streiche der Schildbürger von einem Augenzeugen berichten zu lassen. Jedenfalls wird man nach Lektüre des Buches erstaunt feststellen: So und nicht anders, wie dieser fiktive Stadtschreiber Jeremias Punktum seine eigenen und die Erlebnisse seiner Mitbürger erzählt, hätte man die Geschichte des Städtchens Schilda schon längst einmal erzählen müssen!
Nebenstehend eine kleine Leseprobe aus dem Buch, die wohl für sich spricht. Jedenfalls: Wir waren begeistert! Und haben noch nie in so ehrlicher Überzeugung gesagt: Freunde, das ist ein Buch! Das wird euch Spaß und Freude machen! Und wie gesagt, lasst auch euern Vater einmal darin blättern, nicht zu vergessen den Opa. Es ist ein Buch für die ganze Familie.
ICH WARTE AUF WALDEMAR D. Gundert Verlag, Hannover. Mit zahlreichen Textillustrationen von Karl Eckle. 64 S., Geb. DM 2,40
Was uns Gerda von Kries in ihrem Buch erzählt, ist, wie sie selbst in einem kurzen Vorwort sagt, „eine alte Geschichte. Bald ist es hundert Jahre her, dass sie geschehen ist. Mein Vater hat sie als kleiner Junge erlebt. Er hat sie uns hin und wieder erzählt, wenn wir auf einsamen Schwarzwaldwegen miteinander wanderten, und sie hat mir so gut gefallen, dass ich sie gern aufschreiben möchte".
Und die Verfasserin sagt weiter: „Mein Vater war damals sieben oder acht Jahre alt. Er hieß Johannes, wurde aber Hänschen oder auch Hans-chen genannt. Seine Heimat war Westpreußen. Sein Vater, mein Großvater, war Landwirt und bewirtschaftete ein großes Gut. Das hieß Roggenhausen. Es war schön gelegen zwischen Wiesen, Feldern und Wäldern. Zwei Flüsschen trafen dort zusammen, die Ossa und die Gardenga. Beide flossen durch waldige Täler, und auf der Höhe über der Schlucht lag das Gutshaus. Es war erbaut auf den Resten eines alten Schlosses, hatte dicke Mauern und tiefe Fensternischen. Rings um den Garten führte die alte Schlossmauer, und der mächtige Turm stammte noch aus der Zelt der Ordensritter“.
Dies also ist der Hintergrund dieser schönen Kindergeschichte vom kleinen Hans-chen. Sie sei allen kleinen Leseratten von acht Jahren an empfohlen. Ein schönes Geschenkbüchlein für Weihnachten!
Und hier ein weiteres, auf das wir ebenso empfehlend hinweisen möchten:
WAS DIE SONNENSTRAHLEN ERZÄHLEN
Ostpreußische Märchen. Erzählt von Herbert Meinhard und Sanderein Mühlpfordt. 112 S., Geb. DM 4,80.
Ein ganzer Strauß neuer ostpreußischer Märchen, bei deren Lektüre atmosphärisch die Heimat lebendig wird. Sie eignen sich besonders gut zum Vorlesen oder Nacherzählen an langen Winterabenden, wenn draußen der Sturm tobt oder das Schneetreiben an die Fenster schlägt und im Ofen das Feuer singt und die Bratäpfel bruzzeln. Eltern und Kinder werden gleichermaßen Gewinn aus diesen Märchen ziehen.
Nächstens mehr! Gert und Ute.
Alle hier besprochenen Bücher erhalten Sie bei Ihrem Heimatbuchdienst, Joh. Guttenberger, Braunschweig, Donnerburgweg 50.
Seite 6 Bauernregeln
Gibt’s Oktober schon Frost und Schnee, tut der Winter nicht allzu weh.
Oktober ohne Stern hat warme Öfen gern.
Nichts kann mehr vor Raupen schützen als Oktobereis in Pfützen.
Ist im Oktober das Wetter hell, so bringt es her den Winter schnell.
Scharren die Mäuse tief sich ein, wird es ein harter Winter sein; und viel härter noch, bauen die Ameisen hoch.
Sitzt im Oktober das Laub noch fest am Baum, fehlt ein strenger Winter kaum.
Im Oktober Frost und Schnee, bringt im Winter vieles Weh.
Wie im Oktober Regen hausen, werden im Dezember die Stürme brausen.
Gießt St. Gallus (17.) wie ein Fass, ist der nächste Sommer nass.
St. Gall gehört die Kuh in Stall.
Trägt der Hase lang sein Sommerkleid, ist der Winter auch noch weit.
Ist der Oktober kalt, so macht er fürs nächste Jahr den Raupen Halt.
Oktobergewitter sind Leichenbitter.
Rau und dick das Hasenfell, sorg für Holz und Kohlen schnell.
Warmer Oktober bringt fürwahr uns einen sehr kalten Februar.
Bringt der Oktober viel Regen, ist's für die Äcker ein Segen.
Seite 6 Die goldenen Tränen. Von Gottfried Herder.
Als der Norden noch im Dunkel lag, war das Vernsteinland Asiaten und Griechen bekannt; von diesen ward es früh mit einer Fabel beehret. Hier nämlich sank Phaethon, der das Ende der Laufbahn seines Vaters Apollo, den Ozean, nicht erreichen konnte, gestürzt vom Sonnenwagen, in den Eridanus. Um ihn weinten seine Schwestern, die Heliaden, und wurden in Palmbäume verwandelt; auch als solche weinten sie am Strahl der Sonne goldene Tränen — den Bernstein. Nach diesen goldenen Tränen schifften die Phönizier weit umher, die Säulen Herkules' hinaus, bis in den Eridanus, die Ostsee.
Seite 6 Alljährlich im Herbst. Adalbert Matkowsky erzählt aus seiner Kindheit.
Alljährlich im Herbst hielt der Zirkus Carré in Königsberg seinen Einzug, um längere Zeit dort höchst gut besuchte Vorstellungen zu geben; der Direktor erfreute sich seit vielen Jahren einer großen und wohlverdienten Beliebtheit in allen Kreisen der Stadt.
Das gab dann immer eine kleine Aufregung in dem alten Häuschen am Steindammer Tore, denn da zog meistens eine der Artistenfamilien in die beiden Zimmer des Erdgeschosses ein und gewährte dem Wirt eine hübsche Nebeneinnahme. Er selbst quartierte sich so lange mit den Seinen in den Dachräumen ein.
So geschah es auch, als der Junge von oben sieben Jahre alt geworden war, und so kam er zu seinem ersten Ausflug in die Welt, zu seinem ersten Abenteuer!
Die neuen Mieter besaßen ein paar reizende Kinder, nette und brave kleine Geschöpfe. Sie waren gut erzogen, und die ganze Familie lebte still und musterhaft dahin, wie es allen Legenden zum Trotz meist bei den Artisten der Fall ist. Darum erlaubte die Mutter auch gern den Umgang mit den sittsamen Leuten. Durch sie lernte der sonst höchst scheue Knabe Verkehr mit Fremden pflegen, durch sie kam er dann auch zu den Proben und lernte das bunte Leben der Manege kennen; so wurde er geübter im Umgang mit anderen und zutraulicher zu den Menschen, die er so lange fast ängstlich gefürchtet hatte.
Da er bei aller Schüchternheit doch recht unternehmungslustig war und zudem recht gewandt und auch einen schmerzhaften Fall nicht fürchtete, so war es ihm ein großes Vergnügen, an den Übungen teilnehmen zu dürfen und seine Geschicklichkeit loben zu hören. Die anderen Artisten, besonders die Mütter, gewannen ihn gern, und ein festeres Band knüpfte sich zwischen ihm und den Zirkusleuten; sogar der alte Carré mochte ihn leiden und duldete den Fremdling in seinem Hause.
Als nun die Saison in Königsberg zu Ende ging und die Truppe sich zur Abreise nach Danzig rüstete, machten die Hausgenossen vom Zirkus der Mutter den Vorschlag, sie möge ihnen den Jungen zur Ausbildung mitgeben, er werde gehalten werden wie das eigene Kind, er werde auch sicher Karriere machen, und sie sei so einer Sorge ledig, die sie doch oft recht schwer drücke; die Zukunft ihres Kleinen!
Dankbar aber fest lehnte sie ab; sie konnte und mochte sich, selbst um den Preis eines besseren Lebens für beide, von ihrem Kinde nicht trennen.
Als der Carré'sche Extrazug auf dem Danziger Bahnhof eingelaufen war, fand man den jungen Herrn aus Königsberg im Requisitenwagen.
Da man annahm, er habe nachträglich doch noch die mütterliche Einwilligung erhalten, und da er solcher Voraussetzung nicht widersprach, wenn er sie auch nicht zugab, so nahm ihn die befreundete Familie zu sich und gab der Mutter brieflich Nachricht.
Am Abend war die Eröffnungsvorstellung bei total ausverkauftem Hause. Der junge Ausreißer wohnte ihr bei, rittlings auf dem Balken sitzend, der unter dem Orchester durchgehend einen der Träger des ersten Ranges bildete; unter ihm hindurch führte der Weg zu den Wirtschaftsräumen des Restaurants. Gegen Schluss der Aufführung verlor der staunende kleine Zuschauer, der bisher nur Proben gesehen hatte, das Gleichgewicht und fiel kopfüber aus seiner Höhe hinab.
Zum Glück — oder Unglück — befand sich in dem Augenblick gerade ein Kellner unter ihm, ein großes Brett voll geleerter Biergläser auf dem Arm. Der diente wohl oder über dem Fallenden als Prelltuch, und man kam ohne körperlichen Schaden davon. Dafür war aber auch nicht ein Glas heilgeblieben, und Ohrfeigen regneten es nach der Kunst! Schmerzlicher als sie aber war die Forderung: „Jetzt bezahlst du die Gläser, oder ich hole den Kommissar!“
Einer der Stammgäste des Zirkus, der im Korridor vorbeiflanierte, kam auf das Geschrei hinzu, er nahm sich des Jammernden an und beglich mit mehreren Achthalbern die Rechnung.
Am dritten Tage holte die Mutter den Flüchtling ab, und da war es das erste und einzige Mal, wo sie sich zu angemessener und kräftig fühlbarer Strafe entschloss; sie tat es auch nur, um in der Kantorschule, die der Bengel neben anderen Buben und Mägdelein besuchte, wahrheitsgemäß versichern zu können, er sei schon tüchtig bestraft, um ihn so härterer Züchtigung zu entziehen. Gelogen hätte sie um keinen Preis, und so rang sie sich das ihr mehr als dem Kinde Schmerzensvolle ab.
Aus dem kleinen Ausreißer ist später der größte deutsche Schauspieler seiner Zeit geworden (geb. 1858 in Königsberg, gest. 1909 in Berlin).
Seite 6 Verlorene Schlachten. Anekdoten um Friedrich den Großen.
Dem langjährigen Leibkutscher Friedrichs passierte eines schönen Tages das Malheur, auf einer Spazierfahrt den königlichen Wagen umzuwerfen. Obschon der König keinerlei Schaden erlitten, ward er doch fuchsteufelswild und sagte dem ungeschickten Rosselenker eine Reihe von Grobheiten. Als er aber gar bedenklich mit seinem Stocke zu fuchteln begann, brach der Kutscher sein bisheriges stoisches Schweigen und sagte bitter und trocken: „Euer Majestät sind der berühmteste General auf Gottes Erdboden, aber in den bewussten sieben Jahren ist doch manche Schlacht verloren worden. In den dreißig Jahren, wo ich diene, war dies heute meine erste verlorene Schlacht, aber so wie ich haben sich Euer Majestät über keine nicht geärgert!" Der König war starr über den Vergleich, aber sein Zorn war verraucht. Und als er dann in den wiederaufgerichteten Wagen stieg, tat er dies mit den Worten: „Nun wollen wir aber alle beide ja keine Schlacht wieder verlieren!"
Friedrich hatte die Marotte, in seinen Kürassier-Regimentern nur Offiziere von altem Adel sehen zu wollen. Bei einer Besichtigung fiel ihm einer auf, dessen Name ihm neu war. „Kann Er Seinen Adel auch nachweisen?" fragte er begierig. „Es hat keiner daran gezweifelt", gab der Gefragte würdevoll zur Antwort, seit Kaiser Karl IV. eine Strafe von fünfzig Mark in Gold über jeden verhängte, der ihn nicht für voll ansähe“. — „So, so!" lachte der König. „Dann will auch ich‘s nicht bezweifeln. Der Spaß wäre mir denn doch zu teuer!"
In Schwaben erfuhren die Bauern eines Dorfes die Nachricht vom Tode Friedrichs zuerst durch die Zeitungen. Sie waren eben in der Schenke versammelt. Der Dorfschulze sitzt in ihrer Mitte; die Zeitungen werden gelesen, und gleich zuerst hört man die Nachricht: „Friedrich ist tot!" Alle stehen sprachlos umher. Ein ehrwürdiger Greis bricht das Stillschweigen und ruft: „Ach, mein Gott, wer wird nun die Welt regieren?"
Seite 6 Der Befehl. Von Gerhard Bedarff. Eine Erzählung aus der Geschichte des Bernsteins.
Roms Tyrann, Kaiser Nero, gab wieder einmal ein Fest. Die hohen Würdenträger raunten einander zu, dass es etwas ganz Besonderes werden würde. Es war schon so, wie gemunkelt wurde. Das, was ihm an Vornehmheit mangelte, suchte er durch noch nie dagewesenen Prunk auszugleichen. Er war grausam, grausam bis zum Wahnsinn. Die vornehmen Römer schauten verächtlich auf ihn herab, wagten aber nicht diese Verachtung offen zu zeigen, fürchteten sie doch mit Recht für ihren Kopf. Im Gegenteil, sie suchten ihm durch Schmeicheleien zu gefallen, um Vorteile zu erreichen und um ja nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, dass sie ihn hassten und verachteten.
Schließlich trieb er es zu arg, und er wurde vom römischen Senat zum Reichsfeind erklärt; im Jahre 68 n. Chr. Ließ er sich, in die Enge getrieben, von einem freigelassenen Sklaven töten.
„Ist es Gold oder gar …?“
In seinem Palast ging es hoch her. Musiker, Tänzerinnen und Sklavinnen sorgten für Unterhaltung; Speisen und Wein standen in Überfluss auf den niedrigen Tischen; das Gelage war auf dem Höhepunkt.
Kaiser Nero sah sich von seiner Ruhestätte zufrieden um. Das war nach seinem Geschmack!
Da fiel ihm ein Ritter auf, eine kriegerische Gestalt, der man trotz der weit überfallenden Tunika den durchtrainierten Körper ansah. Dieser Mann schien seinem Auftreten nach und in seiner Schlichtheit gar nicht zu den verweichlichten Römern, die hier herumsaßen, zu passen. Nero winkte ihn zu sich heran.
Julianus, so hieß der Ritter, stand auf und ging zum Kaiser. „Man hört, du hast einen wunderbaren Schmuck gekauft!" begann der Kaiser die Unterhaltung.
„Natürlich steht er dir zur Verfügung, erhabener Imperator!" erwiderte der Angeredete zögernd. Eine Handbewegung wischte die Antwort des Ritters weg.
„Das ist es nicht, was ich wissen will. — Was ist das für ein kostbares Kleinod? Ist es aus Gold oder gar — aus Bernstein? Etwas Ähnliches muss es jedenfalls sein. Meine Diener beschrieben es mir ziemlich genau!"
„Jawohl, Imperator, es ist Bernstein!"
Das war dem Imperator nun gar nicht recht, dass jemand dasselbe besaß wie er. Er musste das meiste haben, er musste das kostbarste, was es gab, besitzen, und das war gerade im Augenblick — Bernstein, die große Mode Roms. War er doch so teuer, dass einzelne Römer zu armen Männern wurden, bloß um ihren Frauen einen Schmuck aus Bernstein kaufen zu können. Ein Bernsteinschmuckstück war teurer als ein guter Sklave. Und mit einem Schmuckstück hatten die römischen Frauen nicht genug . . .
„Von wem hast du den Schmuck gekauft?" wollte der Kaiser wissen.
Julianus war vorsichtig. Er wusste, dass es dem „erhabenen Imperator" gar nicht darauf ankam, eine Sache, die ihm gefiel, einfach wegnehmen zu lassen, zu beschlagnahmen, wie man heute sagt. —
„Von einem punischen Kaufmann *), der bereits wieder unterwegs ist", antwortete Julianus.
Dem Kaiser kam ein Gedanke. „Wenn du mir diesen Mann nicht heranschaffen kannst oder willst", dabei sah er Julianus durchdringend an, „dann besorgst du mir Bernstein. Wie du das machst, das ist mir gleich. Aber ich muss so viel haben, dass die Nachwelt davon spricht“. Lauernd fügte er hinzu: „Ob dein Gewährsmann so viel Bernstein hat?"
Julianus erwiderte darauf: „So viel, wie du wünschest, wird er wohl nicht haben. Denn bedenke, er muss ihn sich ja auch erst einhandeln“.
„Von wo hat er ihn denn her?" fragte Nero neugierig.
„Hoch oben, im Norden, wo die Nebel tagsüber wallen, so erzählte er mir, gäbe es diesen Stein. Den Weg dorthin wüsste er angeblich nicht", fügte Julianus unvorsichtigerweise hinzu.
„Du wirst ihn dann direkt aus dem Norden holen!" Damit wandte sich der Kaiser ab und sprach gleichmütig mit seinem Nachbarn weiter, als wenn nichts gewesen wäre. Julianus biss sich auf die Lippen. Das hatte er nun davon, dass er sich mit dem Phöniker auf einen Handel eingelassen hatte. Am liebsten hätte er vor Wut den Bernsteinschmuck in den Tiber geworfen. Was plagte ihn, den kleinen Statthalter von Carnuntum **), sich so etwas Kostbares zu kaufen!? Er hätte doch ahnen können, dass der Kaiser, der seine Spitzel überall hat, davon erfährt und nicht eher Ruhe lässt, bis er es „auch hatte", und nicht nur das, sondern „mehr". Jetzt war nichts mehr zu machen. Jetzt musste er den Befehl ausführen.
Ein scharfer Ritt
Im Laufe des folgenden Tages hatte sich Julianus beruhigt. Bloß dass sein Urlaub so kurz sein sollte, behagte ihm durchaus nicht. Etwas anderes machte ihm auch Kopfzerbrechen; sollte er nun eine Wagenladung oder mehrere bringen lassen, oder wieviel gedachte der Kaiser zu „befehlen"? Dass es nicht gerade wenig Bernstein sein müsste, darüber war er sich im Klaren. Er fiel beinahe auf den Rücken, als der Kaiser ihm am Abend mit der selbstverständlichsten Miene der Welt sagte: „Du bringst mir so viel Bernstein mit, dass ich ein ganzes Zirkusspiel damit ausstatten kann". Das war denn doch zu viel für den guten Julianus. Er antwortete durchaus unrömisch: „Das ist ja ganz unmöglich heranzuschaffen, Imperator!" Hoppla, jetzt war sein Kopf verloren.
Nein? Denn der Kaiser antwortete mit einem leichten Stirnrunzeln: „Ich habe eine Schwäche für euch Soldaten. Schaffe mir den Bernstein heran, dann wirst du reich belohnt“. Wenn nicht, dann fällt dein Kopf!"
Julianus verließ klirrend den Raum. Eines war im restlos klar. Die Sache war ungeheuer schwierig und sie duldete keinen Aufschub. Er musste handeln. Am folgenden Morgen machte er sich mit seinen Begleitern auf den Weg. Er nahm den kürzesten Weg nach der Grenze. In seinem Gefolge ritten seine treuesten Soldaten. Es waren Germanen.
Bodo und Theobald, zwei Markomannen, die den Schluss bildeten, unterhielten sich. „Was hat der Alte nur, dass er wie der Jupiter dahindonnert?" fragte Bodo seinen Kameraden.
Theobald zuckte mit der Achsel. „Wer weiß", meinte er, „was er wieder für Befehle vom Imperator erhalten hat. Schon heute Morgen machte er ein Gesicht, als wenn er den sauersten Wein Roms getrunken hätte! Ich ging ihm vorsichtigerweise aus dem Wege“. Theobald grinste. Er hatte seine Erfahrungen . . .
Inzwischen donnerte die Kavalkade über die ausgezeichnete Straße dahin. Sie ging von Rom aus erst nordwärts über Florenz, über das Apenningebirge nach Bologna, von dort nach Modena, über den Po nach Ferrara und durch Padua nach Aquileia, am Adriatischen Meer‚ ***).
Julianus trieb unterwegs zur Eile. Rast wurde nur gemacht, wenn es unbedingt nötig war. Pferdewechsel konnte in den kaiserlichen Stationen, die längs der großen Römerstraße nach Aquileia lagen, gemacht werden.
Der Ritt war gar nicht so ungefährlich. Räuberbanden, von entlaufenen Sklaven gebildet, lauerten den Reisenden auf. Ihre Schlupfwinkel waren verlassene Villen und Häuserruinen, die weit verstreut in der Landschaft lagen.
Kurz vor Padua hatten sie solch eine Begegnung mit einer Räuberbande. Julianus mit seinen Reitern wäre es beinahe schlecht ergangen, wenn die beiden Freunde Bodo und Theobald nicht zufällig ihren Blick zur Seite gewandt hätten. Bodo sah auf dem Felde einige verdächtige Gestalten. „Theobald, Achtung!" rief er seinem Freunde zu.
Da schwirrte schon ein Speer heran und bohrte sich zitternd vor ihnen in die Erde. Der Ruf Bodos hatte auch die anderen aufgeschreckt. Ein befehlender Ruf Julianus, und die kleine kaiserliche Truppe schloss sich zusammen und rückte geschlossen vor. Die Bande war inzwischen herangeprescht. Zu spät sah sie ihren verhängnisvollen Irrtum. Die gut bewaffneten Legionäre schickten sie mit blutigen Köpfen heim, über die Hälfte der Räuber musste ins Gras beißen. Einer der Legionäre musste allerdings auch sein Leben lassen. Ein Pfeil hatte ihn unglücklich in die Schläfe getroffen.
Unaufhaltsam ging der Ritt weitet. Jetzt kam schon Aquileia in Sicht. Das war eine reiche Stadt. Es wurde dort viel Geld verdient. Schon den Häusern sah man an, dass sie reichen Kaufleuten gehören mussten. Kein Wunder; denn Aquileia war die Bernsteinzentrale Roms! Auf den Straßen schwirrten Sprachen aller Herren Länder durcheinander. Seeleute der verschiedensten Schiffe schaukelten in wiegendem Seemannsschritt durch die Gassen; Sänften mit punischen, griechischen, arabischen, römischen Kaufleuten wurden zielstrebig dem Markt zugetragen. Dort wurde Bernstein in großen Mengen und zu unheimlichen Preisen angeboten. Die beiden Germanen machten große Augen, als sie die Mengen Bernstein sahen. „Du", stieß Theobald seinen Freund an, „der Alte interessiert sich mächtig stark für diesen Stein!"
Bodo hatte es auch schon bemerkt. Gespannt lauschten sie auf das, was Julianus mit den Händlern sprach. (Fortsetzung folgt)
*) Punier = ein Phöniker aus Karthago in der Nähe des heutigen Tunis.
**) Carnuntum = ein kleiner Ort bei Preßburg an der Donau, der heute Petronell heißt.
***) Aquileia: In römischer Zeit der Hauptausfuhr- und Einfuhrhafen für Bernstein. Im dortigen Archäologischen Museum befinden sich zahlreiche Bernsteinschnitzereien aus römischer Zeit. Urlaubsreisende sollten unbedingt das Museum besichtigen. In unserer nächsten Ausgabe bringen wir einige Abbildungen von Bernsteinschnitzereien, die sich im Museum von Aquileia befinden.
Seite 7 Ostpreußische Windmühlenromantik
Foto: In Ostpreußen waren vor allem zwei Windmühlenarten vorherrschend, darunter die gebräuchlichste die sogenannte Holländer-Galerie-Windmühle und die deutsche Bockwindmühle. Während bei ersterer der Unterbau fest stand und nur der die Flügelachse tragende runde Kopf gedreht werden konnte, wurde bei dem deutschen Typ die ganze Mühle nach dem Wind gedreht. Die Aufnahme auf dieser Seite zeigt die Holländer-Galerie-Windmühle von Cranz, die als Wahrzeichen des Ortes seine Besucher schon von weitem grüßte. Auf Seite 1 finden wir die Bockwindmühle bei Schenkendort im Moosbruch abgebildet.
Windmühlen waren einst die charakteristischen Merkmale unserer ostpreußischen Landschaft. Dort, wo die geographische Lage des Landes stets günstige Winde ergab, entstanden schöne, stattliche Bauwerke. Die Windmühlen traten in Konkurrenz mit den älteren Wassermühlen und „gruben ihnen das Wasser ab".
In alten Zeiten galt der Wind als geheimnisvolle dämonische Kraft. Durch Sagen und Märchen weht der Wind, alte Volkslieder und moderne Schlager singen von ihm, er tritt in Buchtiteln auf und regte sogar die Phantasie der Mode zur kurzlebigen Laune einer „Windstoß-Frisur" an. Eine Landschaft ohne Wind erschien Jean Paul wie eine steife, festgenagelte Tapete.
Der Gedanke, den Wind zur Entlastung des Menschen, zur Krafterzeugung heranzuziehen, ist uralt. Von den Wassermühlen abgesehen, waren Windmühlen jahrhundertelang die einzige praktische Möglichkeit, menschliche Muskelkräfte und Arbeitstiere zu ersparen. Das Segel war die erste „Windkraftmaschine".
Die Übertragung der Segelwirkung auf ortsfeste Anlagen gelang schon 2000 Jahre v. Chr. den Chinesen, deren erste Windmühlen an Stelle der Flügel Segel aufwiesen. In den 90-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts standen in Kleinasien noch Windmühlen mit Dreieckssegeln.
Europa kennt die Windmühlen seit den Kreuzzügen. Um das Jahr 1100 erhielten die Benediktiner schon ein Privileg für die Benutzung einer „molendina ad ventum" Leonardo da Vinci hinterließ uns die Skizze einer Windmühle mit drehbarem Dach, also vom gleichen Typ, wie er später in den turmartigen, steinernen Windmühlen Hollands auftaucht, die uns der Leidener Müllersohn Rembrandt so oft malte.
Windmühlenbau war Berufsgeheimnis, ängstlich gehütet, von Generation auf Generation überliefert. In Ostpreußen war eine Familie Kurschat aus dem Wehlauischen, die im Windmühlenbau sehr bekannt war. Auch der Vater des bekannten plattdeutschen Dichters Klaus Groth hat in Ostpreußen eine ganze Reihe von Windmühlen nachweislich gebaut.
Unsere ostpreußischen Windmüller verstanden sich auf das Wetter gut. Diese Wettervoraussagungen dürfen uns nicht überraschen, da es für die Müller von unmittelbarstem Interesse ist, die Veränderungen in der Atmosphäre voraussagen zu können und insbesondere zu wissen, welches die Windstärke sein wird, sowohl im Hinblick auf die Instandhaltung ihrer Mühlen, welche allen Unbilden ausgesetzt sind, wie auch im Interesse der Mahlaufträge.
Der ostpreußische Windmüller verstand auf besondere Art mit der Umwelt zu reden. Er bewirkte es durch die Stellung seiner Windmühlenflügel. An Festtagen bildeten sie meist ein schräges Kreuz, die sogenannte „Freudenscher". Bei Trauerfällen bewies der Müller seine Anteilnahme, indem er die Flügel zur Senkrechten stellte. Dieses Kreuz, die „Trauerscher", ersetzte die Flagge auf Halbmast.
Eine der stattlichsten Windmühlen war die zu Kalgen bei Königsberg sowie die zu Cranz. Die bekanntesten des Samlands standen in Ihlnikken, Finken, Grünhoff, Rantau. Sie hatten alle eine reizvolle Wirkung im heimischen Landschaftsbild.
Eine echte ostpreußische Mühlen-Romantik schildert der Königsberger Schriftleiter Paul Züge in seinem Buche „Das Blutgericht". Er schreibt u. a. „— Eines Nachts zwischen Donnerstag und Freitag, wenn die Gespenster eine Stunde frei haben zum Wandern bis in den Freitag hinein, besonders wenn sie Müller heißen, oder Möller. Müllner, Miller, Meller oder Molitor, der Gelehrte unter ihnen, der seinen guten deutschen Namen ins Lateinische übersetzt hat, eines Nachts, als der Herbststurm in den abgestellten Mühlenflügeln riss, war in der Marterkammer der allein zurückgebliebene Baurat Müller eingeschlafen. Ihm träumte, es sei Sippentag des weit verbreiteten Geschlechts Müller, und zwar hatte seit 1400 jedes Jahrhunderts einen Müller und seine Frau entsandt. — Es war ein buntes Trachtenfest. Das „finstere Mittelalter" war viel, viel farbiger und fröhlicher als der schwarze Müller im Smoking des 20. Jahrhunderts. Aus dem Jahre 1470 saßen am Kopfende noch ein wirklicher Müller mit seiner Frau Meisterin, Meister Martin von der Bockmühle im Samland; seinen Sohn aber hatte er schon auf die hohe Schule noch Bologna geschickt, und so kam es denn, dass ihre Tischnachbarin, das Paar aus dem Jahre 1545, als Ratsherrenpaar schon in spanischer Tracht erschien; um den Hals trugen sie die sogenannte spanische Kröse, die im Volksmunde auch Mühlsteinkragen genannt wurde und somit hier in der Tracht des Ratsherrn Müller und seiner Gattin einen unbewussten Rückfall in das Gewerbe der Vorfahren bedeutete. Aus dem Jahre 1652 kam das Dichter-Ehepaar Molitor; er sehr selbstbewusst, denn er hatte bei Simon Dach in Königsberg das Dichten gelernt, sie bescheiden und schlicht, wieder einmal die Tochter eines wirklichen Müllers aus der Nähe Tharaus. Dann 1749: Obrist von Müller und Frau Amalie aus dem Rokoko, und wie merkwürdig! Wie einst ihr Vorfahr, der Meister Martin von der Samländer Bockmühle, zuweilen Mehlstaub auf den Backen trug, als untrügliches Zeichen seines ehrlichen Gewerbes, so trug Frau Oprist von Müller Puder auf den Wangen, wiederum, wie bei besagtem Mühlsteinkragen, ein Rückfall in die uralte mehlige Müllerei. Geadelt war der Obrist nach Hohenfriedberg am 4. Juni 1475, wo er an der Spitze seines Husarenregimentes 10 österreichische Fahnen erobert hatte. Das Jahr 1829 hatte einen unbeweibten Müller entsandt, ganz Biedermeier, aß abends nur Napfkuchen und trank süßen Wein dazu und sprach fast gar nicht. Und schließlich 1932 zwei Vertreter der Neuzeit: Herr Regierungsrat Müller, schon stark angebräunt, und seine 19-jährige Gattin Lu, durchaus nicht so einsilbig wie ihr gemisshandelter Vorname, mit erblondetem Bubikopf und sehr sichtbarem Knie. Frau Obrist von Müller hielt sie für eine Ballettratte, die hier engagiert sei. Entrechats und Pirouetten vorzuführen“. - "Und so geht es fort nach manchem Disput. Dann lässt zum Schluss der Autor den Hochmeister Winrich von Kniprode erscheinen, der die Tischgesellschaft ansprach: „Gott grüß die ganze Müllerei! Mehlstaub macht durstig. So nehmt ihn denn, den Zauberer von St. Johann überm Rhein; wir tranken ihn am Tage, da meine reisigen Ritter mich zum Hochmeister kürten. Und er war mein Schutzpatron und hat mir regieren helfen!“ Und damit setzte er das Silberbecken auf den Tisch. Der alte Meister Martin von der Bockmühle umklammerte das Becken mit beiden Händen und setzte es an die Lippen, da schlug es vom Kirchturm eins, die Kerzen erloschen. Der alte Baurat war erwacht, reckte und streckte sich, rieb sich die Augen, schüttelte den Kopf und ging heim“.
Wie der Schicksalswind die ostpreußischen Müllerfamilien von der Heimat verwehte, so hat der Sturm auch die meisten Mühlen getroffen und die Windmühlenromantik der Heimat vernichtet. Und wo noch eine alte Windmühle steht, kann der Beschauer mit dem Dichter sprechen:
„Eine Mühle steht auf dem Hügel,
Die ächzt und stöhnt im Sturm,
In den grauen eichenen Balken
Nagt und wühlt der Wurm.
Einst war der Sturm ihr Genosse,
Das war eine helle Lust!
Er jauchzte durch ihre Flügel,
Er buhlte um ihre Brust.
Jetzt ist sie morsch geworden.
Der Atem geht hohl. Sie stöhnt,
Wenn der junge Sturm mit Lachen
Durch die geborstenen Flügel höhnt“.
Hermann Bink
Seite 7 Die Stadt Tilsit / Ostpreußische Geschichte am Beispiel einer Stadt.
„Die nachgeschrieben gelt hat der kompthur zu Ragnith vor unsern homeister usgeben; zum irsten dem zigelstricher (Ziegelmeister) 56 Mark an (ohne) 50 pf, do vor hat er geantwert (gehandwerkt) 122 000 muwersteyns; do vor geboren sich abezuslaen 46 mark an 1 firdung yo vor das thusunt 9 scot, zu antwerten uf den rasen, so blybet der zigilstricher 10 mark 4 scot und 10 pf schuldig."
Soweit die Kostenabrechnung über die Ziegelherstellung für den Bau der Burg Splitter, „preußisch" genau bis auf die kleinste Münze berechnet. Eine preuß Mark entsprach dem damaligen Zeitwert etwa einer Kuh und hatte 4 Vierdung (firdung) oder 24 Scot oder 60 Schilling oder 180 Vierchen (firchen) oder 720 Pfennig (denari). Nach der Menge der hergestellten Ziegel ist die Burg 40 Meter lang und 20 Meter breit geplant gewesen.
Bei dem regen Baubetrieb ist es auch nicht ganz ohne Unfall abgegangen. Ein mit Bauholz und Feuerungsholz für den Ziegelofen beladenes Schiff ging im Memelstrom unter, für Hilfeleistung erhielt „Marquardt Hassen 1 ½ mark und 2 ⅔ scot vor 1 holzschiff us zu winden, das zur Splitter vorsunken was".
Im Auftrage des Ragniter Komturs besichtigte ein Bausachverständiger die Splitterer Baustelle und erhielt dafür an Tagesgeld und Spesen „item 3 firdung eyme zimmermane vor 1 pferdt zu mite und vor zerunge, der den bow besach zu Splyter".
Das Gros der Arbeiter und Handlanger am Bau rekrutierte sich aus Schalauern aus Splitter die vom Bauherrn verpflegt wurden. „Dis hat der kompthur den Schalun (Schalauern) zur Splitter hulfe gegeben: zum irsten 30 mark 3 firdung vor 8 ½ last kornis, die last vor 3 ½ mark, item 3 mark an 4 scot vor frucht (Fracht) zu furen, item 22 ½ mark vor 300 scheffel gerste, das 100 vor z ½ mark, item 13 mark 15 scot vor 350 scheffel habir (Hafer), den scheffel zu 7 firchin“. Der Hafer wurde in Königsberg gekauft, denn: „item ½ mark den habir in das schiff zu brengen zu Koningisberg".
Nach dem alten Grundsatz „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist" und um die schalauischen Helfer bei guter Laune zu erhalten, verhalf der Orden ihnen zu Frauen und Hausstand. Interessant ist es, dass hierbei — und das geschah aus Klugheit — stillschweigend die altpreußische Sitte des Frauenkaufs anerkannt wurde: „desze nochgeschreben hat der kompthur gesaczt im lande zu Schalun: Iwan Perbans son zur Splitter saezten wir do selbist und kouften ym eyn wyp vor 2 mark, item 4 mark vor ½ jar kost, item 2 ½ mark vor 2 sweyken, item 1 mark vor 1 kuw, item 3 firdung vor yserwerck". Sweyke hieß das zähe, ausdauernde Pferd der Schalauen. Da das Wort gleichbedeutend für Gesundheit steht, ersieht man, was das Pferd der Stammesbevölkerung bedeutete, also das Kostbarste, was man überhaupt besaß.
Ende 1404 wird in einer Abrechnung noch einmal die Baustelle Splitter erwähnt: „item 8 scot vor 1 tonne byrs den luten, die eyn schiff zur Splyter uswunden, das do vortrunken wart". Dann scheint man die Arbeiten eingestellt zu haben, da inzwischen auf hochmeisterliche Weisung ein strategisch günstigerer Platz, stromauf und näher an Ragnit gelegen, für den Bau der Ordensburg gefunden worden war.
Die Anfänge der Stadt Tilsit beginnen sich schon abzuzeichnen und die Schalauersiedlung Splitter, obwohl noch weiter bestehend, lebt fortan im Schatten der werdenden Stadt, deren Geschichte auch die ihre wird.
Planer und eigentlicher Erbauer der Burg Tilsit ist der Marienburger Baumeister Nicolaus Fellensteyn, der sich zeitlebens bescheiden „muwerer" (Maurer) nannte. 1350 zu Coblenz geboren, hatte er seine Lehrzeit im dortigen Deutsch-Ordenshause abgeleistet und durch verschiedene Ordensbauten (die Burgen Herren-Grebin und Bütow) die Aufmerksamkeit seiner Auftraggeber auf sich gelenkt, so dass ihn Winrich von Kniprode den Bau des Tresslerturmes der Marienburg übertrug. Bald wurde der geniale Baumeister einziger Bauberater des Ordens und stand bei den Hochmeistern in hohem Ansehen. 1400 verlieh ihm die Stadt Marienburg das Bürgerrecht. Sein Sohn Nicolaus ist ebenfalls Ordensbaumeister geworden. Zur Hochzeit der einzigen Tochter 1403 schenkte der Hochmeister ihr persönlich 4 Mark Silber. Mit dem Orden schloss Fellensteyn einen für ihn überaus günstigen Vertrag, der ihm festes Gehalt zusicherte, Erstattung der Ausgaben bei Dienstreisen und Extrazahlungen für Bauleitungen. „Man sal wissen, das unser homeister bruder Conradt von Jungingen mit Nicolaus Fellensteyn dem muwerer obir eyn ist komen, alzo das wir ym alle jar geben sullen 20 mark unde cleydunge; un us ewenig wo wir yn vorsenden, do her ist in unserm gewerde dorzu sullen wir ym geben kost unde zerunge, ouch vordingete wir ym ettewas zu arbeiten, zo sullen wir ym gliche wol zu deme gedinge die vorgeschreben 20 mark geben, Gescheen in der jarzal unsres herren 1400 am donrstage vor Prisce virginis (15. Januar)“.
(Fortsetzung folgt)
Seite 7 Eßlinger Begegnung 1958 vom 10. bis 13. Oktober
Die diesjährige „Eßlinger Begegnung", das Jahrestreffen der in der Künstlergilde zusammengeschlossenen heimatvertriebenen Kulturschaffenden, erhält seinen besonderen Akzent durch das zehnjährige Bestehen der Künstlergilde. In zwei Ausstellungen im Eßlinger Alten Rathaus wird versucht werden, dem Besucher einen anschaulichen Querschnitt durch die zehnjährige Arbeit der Künstlergilde zu vermitteln, einmal in der dokumentarischen Schau „Zehn Jahre Künstlergilde", zum anderen mit einer Ausstellung von Gemälden und Graphik „Erwerbungen der Künstlergilde als Grundstock einer ostdeutschen Galerie".
Höhepunkt, wie in jedem Jahr, wird die festliche Eröffnung im Bürgersaal des Alten Rathauses bilden, in deren Rahmen zum zweiten Male der ostdeutsche Schrifttumspreis der Künstlergilde verliehen wird. Neben dem um die Künstlergilde hochverdienten Hausherrn, Oberbürgermeister Dr. Roser, werden zu den Teilnehmern und Gästen Bundesminister Prof. Dr. Oberländer, Staatsminister Fiedler und der Vorsitzende des Württembergischen Gemeindekulturverbandes, Landrat Bertheau, sprechen.
Der Sonnabend (11. Oktober) erhält sein Gewicht durch die beiden Vorträge „Offizielle und illegale Literatur in Mitteldeutschland" von Heinz Winfried Sabeis und „Untergrundliteratur — Dichtung und Freiheit" von dem ungarischen Gast Gabor Kocsis.
Das in diesem Jahr besonders reichhaltige Programm kündigt daneben eine Reihe weiterer Vorträge und Festaufführungen an, wie die Aufführung des Monodramas „Requiem" von Josef Mühlberger, die Filmvorführung „Vincent van Gogh — ein Leben in Leidenschaft" von Dir. Max Lippmann, die literarische Morgenfeier mit dem Dichter Rudolf Kassner, ein Lichtbildervortrag von Rainer Zimmermann „Neue Farbdias und Berichte aus ostdeutschen Ausstellungen", ein weiterer von Kurt Leonhard „Kunst und Mensch heute" und am Sonntag die Premiere des Schauspiels „Die Spieldose" von Georg Kaiser, aufgeführt von der Württembergischen Landesbühne. Weitere Ausstellung sind Alfred Kubin (Aquarelle, Zeichnung, Lithos, Illustrationen), Emil Pirchan (Bühnenbildentwürfe, Erinnerungen) sowie den Jubilaren unter den Dichtern, Rudolf Kassner (zum 85. Geburtstag), Emil Merker (zum 70. Geburtstag). Ruth Hoffmann (zum 65. Geburtstag) und Edzard Schaper (zum 50. Geburtstag), gewidmet.
Trotz der Fülle des Programms ist den Teilnehmern der Eßlinger Begegnung Raum genug für den persönlichen Gedankenaustausch in den Arbeitstagungen der einzelnen Fachgruppen und im geselligen Beisammensein gegeben.
Die Eßlinger Begegnung schließt wie in jedem Jahr mit einer Kunstfahrt am Montag, diesmal ins Hohenloher Land.
Seite 7 Bund fördert ostdeutsches Kulturgut
Anlässlich der Festveranstaltung zum „Tag der Heimat" in der Berliner Waldbühne gab der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, den Entschluss der Bundesregierung bekannt, ostdeutsches Gedankengut in Kunst und Wissenschaft finanziell zu fördern.
Für das beste Funk- oder Fernsehspiel, das in irgendeiner Form ostdeutsche Motive behandelt, wird lährlich ein Preis von 10 000 DM vergeben. Preise in gleicher Höhe werden als Schlüther- und Lovis-Corinth-Preis für bildende Kunst, als Gerhart-Hauptmann-Preis für Literatur, Theater und Musik verliehen.
Seite 7 Königsberger Nachrichten.
Patenschaft für Burgschule Königsberg.
Das Mercator-Gymnasium in Duisburg hat mit einem feierlichen Festakt am 27. September die Patenschaft für die Königsberger Burgschule, die in diesem Jahr auf eine 300-jährige Geschichte zurückblicken kann, übernommen. Aus der Burgschule sind bedeutende Persönlichkeiten ostpreußischer Geschichte und ostpreußischen Geisteslebens hervorgegangen, so E. T. A. Hoffmann, Theodor Gottlieb v. Hippel d. J., Colmar Frhr. v. d. Goltz und Ernst Wiechert, um nur einige zu nennen. Ernst Wiechert war später auch durch Jahre als Studienrat an der Burgschule tätig. Zum 300-jährigen Bestehen und der Patenschaftsübernahme ist eine 110-seitige, reich bebilderte Broschüre vom Mercator-Gymnasium herausgegeben worden, welche die Geschichte der traditionsreichen Burgschule anhand mehrerer Einzelbeiträge anschaulich vor Augen führt.
Vereinigung ehem. Sackheimer Mittelschüler Königsberg/Pr.
Die Vereinigung veranstaltet am Sonntag, den 16. November (Volkstrauertag) um 11.30 Uhr eine Gedenkstunde für die Verstorbenen der Schule in der Patenschaftsschule in Duisburg, der Knabenrealschule „An der Wacholderstraße“. Um rege Teilnahme aller Ehemaligen wird gebeten.
H. Minuth, 1. Vorsitzender
Seite 7 25 Jahre Ostdeutsche Monatshefte
Ein seltenes Jubiläum für eine kulturelle Monatsschrift, noch dazu unter dem gleichen Herausgeber, können im Oktober die ‚Ostdeutschen Monatshefte‘ (Verlag Rauschenbusch, Stollhamm i. O.) feiern. Von Carl Lange in Danzig ins Leben gerufen, erfreuten sie sich durch zwei Jahrzehnte der Mitarbeit der prominenten Persönlichkeiten des deutschen Ostens, u. a. von Gerhart Hauptmann, Max Halbe, Hans Franck und Werner Bergengruen. Nach einer Zwangspause, kriegs- und nachkriegsbedingt, konnte Carl Lange im Herbst 1955 die Herausgabe der Ostdeutschen Monatshefte wieder aufnehmen und somit sein verdienstvolles Werk weiter fortsetzen. Carl Lange lebt heute in Bremen.
Seite 8 Kulturschaffende unserer Heimat (mit Foto).
Kurt Michael Voutta, 60 Jahre alt.
Gewiss wird den Königsbergern der Maler Kurt Michael Voutta noch in guter Erinnerung sein, hat doch seinerzeit die Stadt Königsberg — angeregt durch den Direktor der Staatlichen Kunstakademie, Prof. Kurt Frick — etliche Bilder von ihm angekauft, und hat doch seinerzeit besonders das Bild „Der gefallene Meldegänger" bei Publikum und Kritik gleich großen Anklang gefunden.
Am 11. Oktober 1958 wird nun der gebürtige Königsberger 60 Jahre alt, Anlass genug, ihn in seinem Atelier zu besuchen, das er sich nach eigenen Ideen aus einem alten Warenschuppen mit sehr viel Mühe selbst gebaut hat.
Kurt Michael Voutta, gerade mit der Ausarbeitung einer neuen Technik beschäftigt, ist viel zu bescheiden, um von sich und seinen Arbeiten zu sprechen, und es bedarf schon einiger neugieriger Fragen und sehr viel Schauens, um das Bild eines rastlos strebenden, sich nie zufrieden gebenden und immer neu nach Gestaltung ringenden Künstlertums abzurunden.
Voutta, ein echtes Kind seiner Heimat, studierte in Königsberg und Halle. Die Anerkennung seines Schaffens sowohl auf dem Gebiet der Malerei wie auf dem Gebiet der Bildhauerei wurde ihm — wie allen, die nicht im herkömmlichen Wasser zu schwimmen bereit sind, sondern sich ihren eigenen Stil schaffen wollen — nicht leicht gemacht. Umso beachtlicher war darum der Staatspreis, der ihm 1932 aus der Fülle von über 2000 Bewerbern zusammen mit seinem leider schon verstorbenen Freunde Morgenstern zuerkannt wurde. Großen Niederschlag in seinen Arbeiten landen die Fronterlebnisse beider Weltkriege. Die letzten Kriegsereignisse verschlugen ihn in die Gegend von Neumünster. 1953 siedelte er nach Krefeld über, und obwohl Voutta auch in seiner neuen Heimat mit seinen Bildern Anerkennung gefunden hat, befindet er sich immer noch — dreizehn Jahre nach Kriegsende — für sich und seine fünfköpfige Familie in hartem Existenzkampf.
Wie sehr Voutta es verstanden hat, sich nach dem Kriege in neuer Umgebung mit seinen Bildern durchzusetzen, davon zeugen seine Bilder selbst, die sogar ins Ausland verkauft werden konnten (so z. B. einige Bilder seines Kriegsbilderzyklusses, die mit zu den stärksten Arbeiten gehören, die der Maler überhaupt geschaffen hat). Voutta gestaltete auch das Stadtbild von Neumünster, das im Landtag in Kiel hängt, eine Kombination vom Spinnrad bis zur neuen Zeit, über die die Kritik schrieb: „Das große Stadtbild Vouttas hat den Zauber einer Vision". — Ein weiteres Großbild, eine Komposition der Stadt Hamburg, das auf der Messe in Hannover ausgestellt wurde, ist im Besitz des Kaufmanns Lühr in Hamburg. — Auch das Museum in Krefeld hat schon einige Ankäufe gemacht, und die Ausstellungen, die Voutta in Krefeld machen konnte, waren gut besucht, fanden großen Anklang und eine gute Presse.
Aus Vouttas Bildern spricht die liebende Begegnung mit der Welt. Ob es sich um Bilder der Erinnerung an seine ostpreußische Heimat, ob es sich um Bilder aus der neuen Heimat oder um expressionistische Studien handelt, immer sind seine Bilder erfüllt von permanenter Aktualität. Er versucht, Geschautes und Empfundenes zugleich sichtbar zu machen. Seine Technik, vielseitig und gekonnt, der man die Freude am Können förmlich ansieht, ordnet sich ganz der jeweiligen Aussage unter. So kommt es, dass man immer wieder staunend vor der reichen Palette dieses Malers steht.
Und immer noch sucht und studiert Voutta weiter. So arbeitet er im Augenblick gerade daran, seine Aquarelle auch in Bilder mit fester Technik umzusetzen, das heißt, diese Bilder genau so transparent und leuchtend zu geben wie jene.
Befragt nach den Aussichten für die Zukunft, gestand Voutta, dass er aufgefordert sei, an drei Ausstellungen mitzuwirken, die Ausstellung in Krefeld anlässlich seines Geburtstages, eine Ausstellung der Stadt Krefeld in Venlo (Holland) und eine Gemeinschaftsausstellung in Herford.
Wünschen wir dem Landsmann Kurt Michael Voutta von Herzen noch lange eine gesunde Schaffenskraft und auch den Lohn für sein reiches Gestalten. Annemarie in der Au
Seite 8 „… nach köllmischem Recht wohnen und handeln“. Zum 375. Jahrestag der Stadtgründung Insterburgs am 10. Oktober 1958.
In diesem Jahre könnte Insterburg die 375. Wiederkehr seiner Stadtgründung feiern. Die Anfänge reichen allerdings, wie der Chronist Hartknoch berichtet, bis in das Jahr 1336 zurück. Damals erbauten die Ordensritter in dem altpreußischen Gau Nadrauen an Stelle der 1256 zerstörten Preußenburg Usantarpis auf einem steilen Berge aus dicken Eichenstämmen und Pallisadenwall ein „festes Haus" und gaben ihm nach der in einiger Entfernung vorbeifließenden Inster den Namen Insterburg. Von Angerapp, Tschernuppe (zu Deutsch Dachsfluss) und einem breiten Wassergraben umgeben, war hier ein schier uneinnehmbarer Waffenplatz entstanden, der die Zugänge nach Masuren und zum Memelstrom beherrschte.
In „Hakelwerk", einer Wehranlage aus Graben und Wall, gegenüber der Insterburg, ließen sich die Ordensbediensteten mit ihren Familien nieder, während sich freie Arbeiter und Kolonisten am nahen Kapellenberge auf der sogenannten „Freiheit" anzusiedeln begannen.
Das Dorf Sparge, wie diese Siedlung genannt wurde, begann rasch aufzublühen. Bald darauf privilegierte Ordensmarschall Hinnig Schindekopf, ein eifriger und umsichtiger Kolonisator, hier den ersten Insterburger Krug und verlieh ihn erbeigen dem Paul von der Wederich für treue Dienste. Es war der „Pangerwitzer Krug", dem „Heeringskrug", „Kranichenkrug" und der berühmte „Neue Krug" folgten. Die Krüger waren gleichzeitig privilegierte Kaufleute des Ritterordens, hatten die nicht im Lande hergestellten Waren, wie Salz, Tuche, Eisen usw., herzuschaffen und durften dafür die überflüssigen Vorräte des Landes, hauptsächlich Getreide, Wachs, Honig, Pelzwerk und auch Bier vertauschen und verkaufen. Außerdem hatten sie die Gäste des Ordens bei sich zu beherbergen und ihnen Pferd und Wagen für die Weiterreise bis zu bestimmten Orten zu stellen. „In ausziehen bis ken Cropiszken, herabreisen aber nach Taplaken, mit Pferde und Wagen führen und fördern helfen, auch in Kriegsläuften die Warpenwagen (d. s. gedeckte Frachtwagen) zum vierten Teil an halten und ausrichten“. Die letztgenannte Verpflichtung bestand übrigens noch bis Ende des 17. Jahrhunderts.
Erhebung zum Stadtflecken
Die Einwohner von Sparge, das ungefähr das heutige Gebiet des Alten Marktes und einen Teil der Hindenburgstraße umfasste, baten immer wieder den jeweiligen Landesherrn um Verleihung des Stadtrechts. Herzog Albrecht gab schließlich seine Zusicherung, und alle Vorbereitungen zur Stadtgründung waren bereits getroffen. Aber dann kam es 1541 zur großen Enttäuschung aller Sparger, nur der „Zulass zur Anlegung des Stetleins Inster", wonach der Ort zum Flecken erhoben wurde: „Wir von Gottes Gnaden Albrecht, Markgraf von Brandenburg, Herzog in Preußen, bekennen und tun kundt jedermann, der es wissen will. Nachdem Unsre lieben getreuen Insassen des Insterburgschen Gebiets es für gut und nützlich gefunden haben, dass zu Insterburg ein neuer Stadtflecken angelegt werde, und Uns darauf in Untertenigkeit gebeten haben. Wir wollten zur Wohlfahrt und Entwicklung dieses Gebiets gnädig solche Anlegung gestatten und bestetigen, so haben Wir in Erwegung der Nützlichkeit und Wohlfahrt Unsren Unterthanen ihnen ihre Bitten nicht gänzlich abschlagen mögen. Wir wollen demnach den Platz hinter dem Schlosse etwa da, wo ein Dorf, die Sparge genannt, lieget hierzu verordnen. Wir verordnen demnach kraft dises Unsres Briefs, dass ein Jeder der Lust hat hier zu bauen sich niederlassen kan. Zu diesem Bau sol ihme, er sei Krüger oder ein andrer, Unser Amtmann Länge und Breite zuweisen und genau anzeigen, zu welchem Maß einem jeden Gebäude aufzurichten gestattet sind; ebenso welche Freiheiten, Äcker, Wiesen, Holzung und Fischerei ein jeder haben und wo er sie haben darf. Den Einsassen gestatten wir auch, dass sie dort nach Köllmischen Recht wohnen, frei handeln und allerhand Ware verkaufen, die zum Markt gebracht wird, insbesondere aber am Mittwoch, der zum Markttag bestimmt und ausgerufen werden sol. Ausgenommen ist die Ware, die Uns als der Obrigkeit an Honig, Wachs, Wildbret und anderem nach der Billigkeit zustehet. Doch haben sich die Untertahnen des Flecks jedes Verkaufs auf dem Lande zu enthalten. Von dem Fleisch, das von jedem Fremden zum Markt gebracht wird, mag es großes oder kleines Vieh sein, sol Unsrem Haus die rechte Vorderhälfte gegeben werden.
Schuster, Bäcker, Schneider, Tuchmacher, Balbiere und andere Handwerker haben sich mit Unsrem Amtmann über das Stangengeld und was sonst für jedes Handwerk zu entrichten sind ebenso über die Fischerei in dem Angerappfließ nach Billigkeit zu vergleichen.
Wenn es geschieht und es bemerkt werden sollte, das der Stadtfleck zur Stadt geeignet ist und zunimmt, und Gericht und Gerechtigkeit zu verordnen nothwendig ist, wollen Wir Unsren lieben, getreuen Einsassen des Stadtfleckens fernerhin nach Gelegenheit und Geburt mit Gericht Stadtgerechtigkeit und anderen Privilegien versehen und versorgen.
Zur Urkund gegeben mit Unsrem Siegel versehen zu Königsbergck, am 12. März eds Jahres 1541“.
Erst nach dem Tode Albrechts erfuhr man durch dessen Sohn Albrecht II. im „Abschied" vom Jahre 1572, dass die „lieben, getreuen Einsassen" seinem Vater sehr erzürnt hätten, weil sie ungeachtet des Bauplanes wild drauf los bauten, auch Stadtäcker „habgierig unter sich gezogen", zudem sich ständig mit dem Amtshauptmann in den Haaren lagen. Herzog Albrecht hatte deshalb damals beschlossen, Insterburg soll bis „in alle Ewigkeit" ein Dorf bleiben.
Die Stadtgründung
Der gutmütige Albrecht II. verzieh seinen lieben Insterburgern alle früheren Sünden und versprach die baldige Verleihung des Stadtrechts und zwölf neue Krüge. Aber erst Georg Friedrich, Markgraf von Ansbach, der für den erkrankten Albrecht II. von 1577 - 1603 regierte, verlieh dem Flecken Insterburg „das bisher umb etzlicher eingefallener verhinderlicher Ursach willen aufgehaltene und vertröstete Privilegium.
Insterburg war endlich Stadt geworden. Die Stadtrechtsurkunde trägt das Datum: „Gegeben zu Königsberg, den 10. Oktober 1583“.
Als Stadtwappen wurde verliehen „ein weißer Schild, auf dem sich unten ein grüner Berg, darauf ein schwarzer Behr auf allen Vyeren stehend und zu beiden Seiten inwendig des Schildes die beiden Buchstaben G. F. (Georg Friedrich), auch oben auf dem Schild ein Brustbild, einem Jäger gleich, so sein Horn in Händen hält befindet". Der im Wappen dargestellte „Behr" war übrigens eine pietätvolle Erinnerung an den weiland zürnenden Landesfürsten; denn nach der Überlieferung hatte Herzog Albrecht der Ältere einst bei Insterburg einen Bären erlegt.
Amtshauptmann Hans von Tettau erhielt den Auftrag, „jedem gemeinen Einwohner" der neuen Stadt ein Stück Ackerland für drei Mark preußischen Hubenzins abzugeben, und die Bürger durften zudem einen Teil der „Wildnis" roden, „damit es umb die Stadt desto mehr Raum habe, und sie umb so viel desto eher zu mehrem Acker- und Feldbau kommen können". Für Bau- und Feuerholz wurden 20 Huben herzoglichen Waldes freigegeben und jedem Wohnhaus ein Garten in der Stadt zugeteilt.
Der Bau von Kirche und Pfarrhaus, Schule und Hospital schritten rüstig voran. Es entstanden Marktplatz und Kirchhof. Die bisher in Sparge üblichen Knüppeldämme wichen aufgeschütteten Straßen mit Wasserabzug. Die über Georgenburg nach Litauen führende Handelsstraße wurde am Pangerwitzer Krug über die Angerapp geführt und erhielt eine Brücke, zu der der Landesherr den „Stuhl" und die Stadt „Decke und Schelhölzer" lieferten. Die Brücke stand an dieser Stelle bis 1874 und wurde dann unterhalb der Gasanstalt wieder aufgebaut.
Die Stadtverwaltung oblag gemeinsam Bürgermeister, Rat und Richter, deren Neuwahl alljährlich am Sonntag Reminiscere durch den Amtshauptmann stattfand. Die Rechtsprechung erfolgte nach köllmischem Recht. Kirche, Schule, Markt, die Brotbänke, Badstuben und Krüge hatten ihre Einnahmen an die Stadtobrigkeit abzuliefern.
Nach dem Marktrecht wurde am Sonntag Trinitatis ein freier Jahrmarkt abgehalten, ein weiterer acht Tage nach dem Tilsiter Michalismarkt. An jedem Sonnabend war zudem Wochenmarkt. Ein Marktaufseher gab Acht, dass nur richtige köllmische Ellen und gut gemessene Tilsitsche Scheffle und Maße benutzt wurden.
Im Angerappfluss war eine Meile stromauf und stromab den Insterburgern „freye Fischerei zu ihres Tisches Notdurfft" erlaubt, jedoch sollte nicht „geräubert" werden, auch war darauf zu achten, „das der Strom nicht gantz und gar verstellet werde, sondern der Fisch sonderlichen in der Mitten seinen freyen Gang haben möge". Zu jenen Zeiten war die Angerapp besonders reich an Lachsen und Stören. Im Mai 1772, so berichtet ein Chronist, ist bei Insterburg ein Stör ins Garn gegangen, der 7 Zentner und 28 Pfund wog.
Noch 1541 bezogen die Insterburger ihr Bier aus der hiesigen Schlossbrauerei sowie aus Königsberg, Wehlau und Friedland. Nach dem Stadtrecht durfte jetzt jeder Stadtbürger von seinem Hausbesitz selbst Bier von 16 Tonnen Last brauen, und zwar gegen geringe Mietzahlung in den zwei großen städtischen Braupfannen, die in der heißen Jahreszeit wassergefüllt auf dem Alten Markt standen, um bei Feuersbrünsten als Wasserreservoir zu dienen. Gebraut wurde ein braunes oder Weißbier und ein schwarzes oder Doppelbier, „Zinnober" genannt. Letzteres soll so vorzüglich gewesen sein, dass es für sechs Mark je Tonne bis nach Litauen und Polen ausgeführt wurde. 1735 schreibt ein Zeitgenosse: „Das dasige Bier soll ganz schwartz und so stark seyn, das es sich wie Branntweyn anzünden lässt. Was die Eynwohner vornehmlich in Nahrung setzet, ist der Getreydehandel und der Abgang des trefflichen Bieres“. 1753 waren noch über 100 Mälzenbrauer in der Stadt.
Schloss Insterburg
Wechselvoll ist auch die Geschichte von Burg und Schloss Insterburg. Immer wieder wurde das 1336 erbaute „feste Haus" von den aufrührerischen Nadrauern hart bedrängt und die Schlosssiedlungen eingeäschert. Erst 1375 gelang es beim Einfall des litauischen Großfürsten Keistutis dessen Heerführer Schwerdeyke die Insterburg zu erobern und zu zerstören. Wieder aufgebaut, wurde sie 1457 von den Söldnern der preußischen Städte, die sich im Bündnis mit Polen gegen die Ordensherrschaft empört hatten (Städtekrieg), abermals zerstört.
Das heutige Schloss Insterburg wurde Ende des 15. Jahrhunderts erbaut. Die hohen und zwölf Fuß dicken Mauern sind aber schon lange verschwunden und von den vier mächtigen Türmen stand nur noch der „Peinturm", von dem ein unterirdischer Gang unter der Angerapp bis zur nahen Georgenburg geführt haben soll. Wieviel mittelalterliche Grausamkeit mag wohl die Folterkammer des Peinturmes gesehen haben. Das letzte Marterinstrument, ein eiserner Käfig ist 1879 als Alteisen verkauft worden.
In den stark vergitterten Zellen harrten die Delinquenten, an zwei Meter lange Eisenketten geschmiedet, ihres letzten Stündleins. Anno 1693 ist es trotz scharfer Bewachung dem wegen Mordverdacht unschuldig zum Galgen verurteilten Schwertfeger Barnicki mit Hilfe eines ihm heimlich zugesteckten Brecheisens gelungen, aus dem Peinturm zu entfliehen. Die Inschriften der beiden Glocken der Turmuhr besagen, dass sie Anno 1512 der Nürnberger Glockengießer Medardus in Konstanz am Bodensee gegossen hat.
In den Wohngebäuden waren im Erdgeschoss die Unterkünfte der ledigen Ordensknechte und Diener, während sich die Ordensbrüder in kleinen kahlen Zellen im Obergeschoss aufhielten. Remter und Schlafsäle reichten durch zwei Stockwerke hindurch.
Die zuerst von einem Komtur verwaltete Insterburg erhielt ab 1347 einen Pfleger und wurde 1522, als Preußen weltliches Herzogtum geworden, Sitz des Amtshauptmanns. Das Hauptamt Insterburg war damals das größte und wichtigste des Landes.
Viele hohe und seltene Gäste hat das Schloss gesehen. 1612 nahm Kurfürst Johann Sigismund hier die Erbhuldigung der Stände und des Volkes entgegen, die sehr prunkvoll gewesen sein soll. Zu längerem Gast- und Jagdaufenthalt weilte öfter der Große Kurfürst. Dessen Tante, Königin Maria Eleonore suchte 1642 hier Zuflucht und lebte zehn Jahre bis zu ihrem Tode auf dem Schloss.
Von 1702 - 1735 hielten die Hugenotten in einem Seitenflügel des Schlosses ihren reformierten Gottesdienst ab, denn die Ordenskirche diente schon seit langem als Korn- und Mehlspeicher. Die übrigen Gebäude waren seit 1724 zu Magazinen umgewandelt, und von 1807 bis 1812 war Schloss Insterburg französische Kaserne und Lazarett.
Als 1723 das Hauptamt durch das Hofgericht abgelöst wurde, wohnte im Ostflügel der Hofgerichtspräsident; seit 1808 war hier das Oberlandesgericht. 1879 wurde der Südflügel Ulanenkaserne, der Nordflügel wurde vom Landgericht bezogen. Zuletzt diente ein großer Teil des Alten Schlosses als Heimatmuseum, also nicht so ganz profanen Zwecken.
Entwicklung der Stadt Insterburg
Eine gewaltige Feuersbrunst äscherte am 9. Juli 1590 fast die ganze Stadt ein, denn von 140 Häusern blieben nur Kirche, Pfarrhaus und Schule sowie neun Bürgerhäuser erhalten. Durch Anlage einer Vorstadt wurde 1600 Insterburg beträchtlich erweitert. Abgesehen von einer Brandschatzung 1655 durch fremde Truppen blieb die Stadt von der Kriegsfurie sonst verschont. Bei einer abermaligen Feuersbrunst am 24. Juli 1690 konnten nur Schule und Kirche sowie 24 Wohnhäuser — die Stadt war beträchtlich angewachsen — gerettet werden. Vom Rathaus brannte der Turm ab. Fast alle Einwohner waren bettelarm geworden.
1709 wütete in und um Insterburg die Pest. Fast alle Bürger starben an der Seuche, im ganzen Hauptamt über 66 000 Menschen. Viele der Überlebenden wurden von auftretenden
Räuberbanden erschlagen. Doch noch nicht genug der Heimsuchungen: riesige Heuschreckenschwärme, die noch niemals vorher aufgetreten waren, noch nachher wieder auftraten, verwüsteten 1711 Felder und Gärten, und dreiviertel des ganzen Viehbestandes fiel der 1712 grassierenden Viehseuche zum Opfer.
Zu neuer Kolonisierung des Landes rief der erste preußische König, Friedrich I., 1711 Schweizer ins Land, ihnen folgten unter Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, im Jahre 1732 vertriebene Salzburger. Die Stadt begann wieder aufzuleben. Das Gelände unterhalb des Mühlendammes, damals noch Ackerland, wurde zur Bebauung freigegeben. Heute befinden sich dort Theater-, Flut- und Pregelstraße. Die Tore fielen, und mit ihnen die Scheunen an den Stadtgrenzen. Doch Insterburg blieb noch immer Ackerbürgerstadt, und durch die Straßen zog morgens und abends das Weidevieh auf die Stadtwiesen.
Erst als die Ostbahn 1860 in Betrieb genommen (Berlin-Königsberg-Insterburg-Peterburg) und der Bahnhof gebaut wurde, nahm Insterburg gewaltigen Aufschwung, und die Gründerjahre trugen das übrige dazu bei. Ganz neue Stadtteile und Straßen entstanden. Durch die Insterburg durchlaufenden Eisenbahnverbindungen war die Stadt bis zuletzt der wichtigste Bahnknotenpunkt der Provinz.
Die letzten Jahrzehnte Insterburgs
Im ersten Weltkrieg war Insterburg von den Truppen der russischen Narewarmee besetzt. Ein Teil der Bevölkerung war vorher nach Westen geflohen. Es kam aber zu keinen Übergriffen, da der russische Heerführer, General Rennenkampf, strenge Zucht hielt. Im denkwürdigen Winter 1915, als in Südostpreußen die Winterschlacht tobte, hatten in demselben Hotel, in dem zuvor General Rennenkampf „residierte", Hindenburg und Ludendorff ihr Hauptquartier, woran sich ältere Insterburger gewiss noch erinnern werden.
Die kurzen Friedensjahre zwischen beiden Weltkriegen brachten der Stadt weitere Entwicklung, bis dann 1945 das bittere Ende kam mit der Vertreibung seiner Einwohner.
Und heute heißt die alte Stadt Insterburg nach dem Willen der neuen Herren „Tschernochowsk".
Seite 9 Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.
Caroline Friederike Strobach. Mühe, Männer und Melonen.
Eigentlich sollten wir es noch nicht vergessen haben: anfänglich gab es genügend Orangen, Zitronen und Pampelmusen. Hie und da war es sogar möglich, Feigen oder Datteln zu kaufen; schließlich waren wir ja mit Italien zusammen eine Achse, — oder sollte man sagen; auf einer Achse?
Nun, dies ist im Augenblick nicht wichtig. Ich wollte nur daran erinnern, dass in jenen Jahren, die so arg laut und tapfer waren, Vitamine rar wurden.
Zuletzt bekamen nur noch „Kleinstkinder“ Zitrusfrüchte, obwohl gerade von ihnen nur wenige dazu zu bewegen sind, saures mit Behagen zu verspeisen.
Diese Bemerkung ist aber unpassend von mir, denn die zuständigen Wissenschaftler wussten sicher genau, was wem taugte; außerdem will ich lieber nichts gegen sie verlauten lassen. Es kann nämlich sein, dass wir, da unsere Männer sich ja doch entschlossen haben, wieder in schimmernder Wehr einher zuziehen, die Herren Ernährungswissenschaftler bald wieder benötigen, nicht?
Im Übrigen haben sie uns ganz gut durch die unwahrscheinlichen Zeiten hindurchberechnet. Es sind, von den vielen, die starben, nur ganz wenige an Vitaminmangel zugrunde gegangen.
Mit den Kalorien freilich verhält es sich anders. Diese sind auch viel schwerer zu haben und wachsen keineswegs in Form von Wildfrüchten an Waldrändern, von wo sie nur der Faule nicht holt; dem darum geschieht, wenn seine Zähnchen zu wackeln beginnen.
Für mich bestand diese Sorge damals nur theoretisch, dann, wenn ich an das Volksganze dachte. (Man nannte es wirklich so!) Ich hatte einen Mann, der immer an irgendeiner Front stand. Für mich galt es nur, darüber zu grübeln, wie ich ihn nicht nur ausreichend, sondern auch apart füttere, wenn er einmal auf Urlaub kam.
Ich musste mir etwas einfallen lassen, und da meine Gurken herrlich gediehen, fiel mir auch etwas ein. Ihre Pracht machte mich übermütig. Stand nicht in den Zeitungen, dass natursüße Früchte besonders zuträglich seien? Und welche — bitte — waren „natur-süß", voller Vitamine und imposant? Außerdem nicht käuflich zu haben. Melonen! Ich entschloss mich, Melonen zu ziehen.
Das Klima freilich war in diesem bergigen Land nicht günstig, allein, welche Naturgewalten hätte der Mensch nicht irgendwann besiegt oder überlistet?
Ich wurde ernst und verschlossen, verbrachte meine Tage sinnend und meine Nächte über Büchern. Melodie — Melone — Melpomene. Eine Frucht in edler Gesellschaft!
Ich begann Pferde- und anderen Mist zu sammeln und plante. Der Winter verging darüber, die ersten Schneeglöckchen zeigten sich im Frühlingswind, und ich neigte mich auch, allerdings unter der Last der guten Komposterde, die ich zusammenschleppte. Dann hob ich eine Grube aus, rechteckig und einen Meter tief, wie es in der Vorschrift stand.
Endlich konnte ich Laub einfüllen, den Mist darüber breiten und dann die schwarze Erde.
Nachher begann die Qual; konnte, durfte ich die Pflänzchen, die ich inzwischen am Fensterbrett gezogen hatte und die sicher bald vergeilen würden, schon aussetzen? Ich steckte ein Fieberthermometer in mein Mistbeet, las morgens, mittags und abends die Temperatur ab, und dann wagte ich es.
Das Wunder geschah, nach kurzer Zeit saßen meine grünen Kinderchen stark, saftig und lebenswillig in ihrem dunklen Bettchen hoben sich dem Glas entgegen, rankten und blühten endich.
Unscheinbar und kümmerlich, wie ich voll Enttäuschung sah. Ach du meine Güte! Hoffentlich blühen Melonen immer so, hoffentlich war der Samen in Ordnung. Ich hätte gerne große Blüten gehabt, feuerrot mit dunklen Pünktchen drauf, wie Türkenbund, oder lila, wie Orchideen.
Mit einem Pinsel nahm ich Bestäubungen vor. Wer verlässt sich schon in einer so wichtigen Angelegenheit auf den Zufall und ein paar Bienen? Ich doch nicht! Ich wollte ja nicht nur ein Steckenpferd, sondern auch Melonen haben, und zwar „Extra süße Netzmelonen“, wie es auf der Samentüte stand.
Mein lieber Mann sollte, wenn er endlich, endlich einmal auf Urlaub kam, eine Überraschung erleben. Er sollte dann nicht nur essen sondern speisen. Etwas, früher nur in Delikatessenläden zuhabendes, und jetzt gar nicht Zukriegendes!
Wie ich all meinen anderen Pflichten nachkam, weiß ich nicht, kann es mir auch nicht recht vorstellen; denn ich begoss, beschnitt, lüftete und spendete Schatten.
Dass ich an jeder Ranke nur zwei Blüten lassen durfte, sah ich ein, da ich so viel darüber gelesen hatte; doch tat das Wegzwicken der Überzähligen sehr weh. Allein, Herzweh oder nicht, mehr als zwei wäre Hochmut gewesen, und die kommt vor den Fall. Ich aber wollte nicht fallen, sondern stehen — mit Melonen in den Händen und Liebe im Herzen, während männliche Blicke voll Bewunderung auf mir ruhten.
Der Einzige schrieb, er käme nun. Ich rannte, den Brief in der Hand, in den Garten — er kam zu früh! Diese kümmerlichen grünen Knödel konnte man nicht essen, und Erstaunen würden sie ihm schon gar nicht entlocken, zumal er ein richtiger Städter war. So einer mit ein paar Begonien am Fensterbrett und einem Fliederbusch im Hof, der eine Woche Blüten und einundfünfzig lang Staub trägt.
Na, ich hatte noch einmal Glück. Es wurde so heftig geschossen, dass sie ihn, vorderhand noch brauchten, wo er war, und als er sich endlich auf die Heimreise begab — einen ganz harmlosen, nur fünf Zentimeter tiefen Kratzer am Bein, wie er schrieb — war das Grün meiner Lieblinge schon sanft und ihre von zartem Netzwerk überzogenen Rundungen vollkommen.
Ich sagte ihnen, dass sie zu warten hätten, goss nur sehr behutsam, auf dass sie nicht faulten, und sie warteten, und der Mann kam. Schade, dass gerade Nacht war, da sieht man wenig in Gärten, auch kann man einem eben heimgekehrten Krieger kein allzu ausführliches Mahl anbieten, weil ihm mancherlei wichtig ist, nicht nur das Essen.
Bei Morgensonnenschein wandelten wir dann zwischen den Beeten und kamen endlich auch an die Stelle, an der ich ausrufen konnte: „Oh, gleich zehn Uhr, und sie sind noch nicht aufgedeckt, sie werden mir ja verbrennen!" Und ich lupfte das Mistbeetfenster, hob mein Gesicht hoch und spürte richtig, wie sich meine Ohren nach vorne bemühten, damit sie ja alles hören konnten, und sie hörten auch alles.
„Widerliche Dinger", hörten sie, „immer wenn der Nachschub wegbleibt — und er bleibt oft weg — dann essen wir Melonen. Tagelang! Im Anfang geht das, dann aber; so einen Bauch kriegt man davon — und hat doch Hunger. Sie wachsen dort auf den Feldern wiehier die Rüben, brrr!"
Ich habe es überstanden, denn ich war ein liebendes Weib, und der Sorte kann man viel zumuten. Dennoch überlasse ich es seit dort den Herren der Schöpfung, Steckenpferde zu halten. Die können so was; ich meine, die können ganz abstrakt sein, Marken sammeln, auf dass sie Marken haben, Bierdeckel, damit sie Bierdeckel besitzen, Fische züchten, damit sie deren Treiben ansehen können; nie aber verfallen sie auf die Idee, sich jemanden zuliebe ein Steckenpferd zuzulegen. Denn, sie wollen damit keinerlei Freude bereiten und nicht glänzen. Sie wollen damit allein und in Ruhe gelassen werden. Sie sind nicht verspielt, nicht töricht und eitel, sondern sind Männer, ernste Männer.
Nachsatz:
Ob sie sich darum wieder für die schimmernde Wehr entschlossen haben?
Seite 9 Annemarie in der Au. Der große Traum.
Als Karl Neukäter ein Kind war, und man ihn fragte, was er einmal werden wolle, sagte er immer: Ich will groß und berühmt werden. Die Leute lachten über das kleine Kerlchen und fragten erst gar nicht, wie er sich das wohl vorstelle.
Als Karl zur Schule ging, wollte er immer noch berühmt werden, obwohl er zunächst einmal Mühe hatte, in der Schule mitzukommen. Seine Kameraden hänselten ihn aus diesem Grunde, aber darüber sah er hinweg. Karl Neukäter wollte berühmt werden.
Nun, es war merkwürdig, so sehr er auch seinem verschwommenen Ziel nachlief, es wollte nicht mit dem berühmt werden glücken. Ich habe einfach Pech, sagte er.
Immer ging es haarscharf am berühmt werden vorbei, an Ehren und Ämtern und Bekanntschaften. Oder war es vielleicht kein Pech, fünf Minuten vorher den Seesteg zu verlassen, ehe ein Kind ins Wasser fiel? Nun hatte irgendein anderer das Kind gerettet, hatte sein Bild und seinen Namen in vielen Zeitungen betrachten können, hatte eine einflussreiche Freundschaft geschlossen, sogar einen Orden bekommen und irgendeinen Minister kennengelernt. Zwar, der Minister war in zwei Jahren schon nicht mehr aktuell, aber er war doch immerhin ein Minister gewesen.
Neukäter hatte immer Pech. Sein kleiner Angestelltenposten wird ihm nie große Ehren einbringen, von seiner Heirat hatte man in der kleinen Stadt nicht einmal einen ganzen Tag lang gesprochen, und selbst der Krieg hatte ihn auf so einen Posten gestellt, der ihm keinen Orden einbringen konnte. Dabei verstand er stundenlang davon zu träumen, falls ... was er alles tun könnte, wenn... und was er alles vollbringen würde, falls... Oh, er war sehr tapfer in seinen Gedanken, sehr besonnen und sehr gefeiert. Nur in der Wirklichkeit ging er an allem vorüber.
Darüber sind Neukäters Haare grau geworden und seine Gedanken nach dem Ruhm schließlich müde. Aber die grauen Haare hindern nicht, dass der zweite Weltkrieg ihn in seine Fänge reißt. Und noch einmal fühlt Neukäter sein sehnen nach Ruhm neuen Auftrieb bekommen, und noch einmal erfährt er, dass die Zeit ihn betrügt, ihn um seinen großen Traum betrügt.
Oder warum sitzt er wohl sonst auf diesem verlassenen Landstreifen zwischen zwei Wassern, mit einem Gewehr, zu dem nur noch fünf Schuss gehören, ohne Aufgabe, ohne Sinn, ohne Verstand. Ohne Aufgabe, weil hier niemand mehr etwas verteidigen kann, wenn der Feind über das Wasser greift. Ohne Sinn, weil dieses Dasein seinen Sinn für alle Welt verloren haben muss. Ohne Verstand, weil Neukäter die Menschenströme, die beladen mit Resten ihres Besitzes nun schon seit Tagen an ihm vorüberfluten, nicht mit seinem Verstand zu erfassen vermag.
Neukäter steht an dem einzigen durch den Wald geschützten Weg, der diese Landzunge entlang zum Festland führt, und lässt das Elend an sich vorbeiziehen. Jeden Tag steht er hier, und jeden Tag sieht er die gleichen trostlosen Bilder, er braucht gar nicht mehr hinzuschauen. Er sieht die Bilder schon mit den Geräuschen vor sich, dem Knirschen der Wagenräder, dem Keuchen der abgetriebenen Pferde, dem Aufheulen der Militärwagen, die den Zug rücksichtslos auseinandersprengen, dem Geknatter der Bordgeschütze, das immer wieder drohend über der Landzunge schwebt, wie ein Raubvogel über einem wehrlosen Vogelzug.
Gegen Abend macht Neukäter einen Umweg durch den Wald zur Unterkunft hin. Auch dieser Gang ist jeden Tag der gleiche, vorbei an Gruppen erschöpfter Menschenleiber, an angstvollem Geflüster, an brennenden Augen, die vergebens das Gewirr der Äste zu durchdringen versuchen, um nach dem Himmel zu schauen.
Plötzlich sieht Neukäter abseits von all diesen Gruppen ein Bündel Kleider liegen, das nicht anders aussieht als der Schatten des Busches, der darüber ist. Das ist merkwürdig, muss Neukäter denken und geht näher heran und sieht, dass das Bündel Kleider ein kleines Mädchen ist, das so fest schläft, als wäre das Dasein an ihm vorbeigegangen.
Neukäter muss noch einmal denken, wie merkwürdig das ist, und im gleichen Augenblick auch, dass hier etwas Erschütterndes geschehen ist.
Neukäter geht zu den einzelnen Gruppen, aber er erfährt von allen nur, was er schon ahnt, dass das Kind niemandem gehört. Nur eine Frau will sich noch erinnern, dass da ein kleiner planbespannter Wagen gestanden, mit einer alten gebrechlichen und einer sehr jungen Frau und mindestens noch drei Kindern. Ja, sie glaube gewiss, dass das so sei, und sie wären schon lange die Straße weitergezogen.
Da geht Neukäter zu dem Mädchen zurück, das noch immer schläft, und weil er nicht weiß, was man sonst mit dem Mädchen tun könnte, nimmt er es auf seine Arme und geht mit den Unaufhaltsamen den Elendsweg in die beginnende Nacht hinein. Und wieder muss er denken, wie merkwürdig es ist, dass er hier geht, denn er hat noch nie ein kleines Mädchen getragen und hat doch selber drei Kinder gehabt. Und nun hat er diesen Weg begonnen und muss ihn weitergehen, weil er nichts besseres weiß, und er trägt nun neben diesem fremden Kind den geradezu wahnsinnigen Gedanken mit sich, einen kleinen Planwagen zu finden und eine alte und eine junge Frau.
Dieser nächtliche Weg führt Neukäter zu all dem hin, woran er in seinem ganzen suchenden Leben vorbeigegangen ist. Er begegnet tausend Menschengesichtern, die er um des Mädchens willen anhält, und die ihn mit etwas bekanntmachen, was nicht in zwei Jahren vergessen sein wird, mit dem gläubigen Hoffen. Seine erlahmenden Arme, seine brennenden Füße, seine fiebrigen Augen und sein keuchender Atem bringen ihm Ehre ein, und sein Ruhm ist eine junge Frau, die ihm fassungslos weinend zu Füßen sinkt, als sie dem Kinde und ihm kurz vor der nächsten Ortschaft begegnet.
Das alles kommt Neukäter erst zum Bewusstsein, als er den morgenerglänzenden Strand entlang zurückwandert. Zwar, sein Bild wird in keiner Zeitung erscheinen, kein Rundfunk wird das nächtliche Geschehen in die Welt schreien, kein Minister und kein Orden werden ihm danken, aber eine junge Frau hat gesagt, dass sie für ihn beten wird, und eine junge Frau und ein kleines Mädchen werden sich vielleicht noch irgendwann einmal an einen Fremden erinnern, der eine Hoffnung gab, wo alle Liebe gestorben zu sein schien.
Karl Neukäter hat Bekanntschaft mit seinem eigenen Herzen gemacht und mit seinem Dasein Freundschaft geschlossen, so wie es gerade ist. Er möchte sich hinlegen, sich irgendwo hier an den schimmernden Strand hinlegen, weil ihn das Gefühl erfüllt, sein Lebensziel erreicht zu haben. Aber vielleicht beginnt jetzt erst sein Karl Neukaters wirkliches Leben.
Seite 9 Foto: Melonenesser — Ausschnitt aus einem Gemälde von Murillo
Seite 9 Kleine Weisheiten. Von Arthur Schopenhauer.
Meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.
Nicht was die Dinge wirklich sind, sondern was sie für uns, in unserer Auffassung sind, macht uns glücklich oder unglücklich.
Gerade in Kleinigkeiten, bei welchen der Mensch sich nicht zusammennimmt, zeigt er seinen Charakter.
Seite 9 Danziger Herbst. Von Franz Erdmann.
O denkst du noch der großen Vogelreise?
In langen Zügen kamen sie geflogen.
Im frühen Abend stand ein Regenbogen,
die Amsel schrie nach der verlornen Weise.
Siehst du sie am Horizont entschwinden,
hörst du der Abendglocken dunkles Läuten?
Die Dämmerung fiel ein aus stillen Weiten,
der Tag versank in grauen Nebelgründen.
Ein Hauch schon von Verwesung kam vom Garten,
beim jähen Windstoß stob von kahlen Bäumen
das letzte Blatt, und aus den kalten Räumen
trat nachts der Frost mit Schritten, rauen, harten.
Ums Brunnengitter, alt und grün verwittert,
schlang sich mit stummem, zähem Lebensdrange
die Gartenkresse, todesbang durchzittert —
der letzte Spross vom goldnen Überschwange.
Seite 10 Reklame und Buchvorschläge.
Seite 11 Deutschland muss eins werden. Eindrucksvoller Heimatabend als Auftakt der Winterarbeit.
Wilhelmshaven. Die Landsmannschaft Ostpreußen begann in diesen Tagen ihre Winterarbeit wiederum mit einem literarischen Abend, den der Vorsitzende, Obermedizinalrat Dr. Zürcher, mit einem Gedicht von Frieda Jung „Auf zerwühlter Straße“ eröffnete, das in erschütternder Eindringlichkeit die Flucht ihrer Landsleute im August 1914 vor der Übermacht der Russen schildert, die dann in den letzten Augusttagen durch die Schlacht bei Tannenberg gebrochen wurde. Vor allem bei den Älteren wurden jene Schicksalstage Ostpreußens in lebendige Erinnerung gerufen, als Dr. Zürcher aus dem Buch von Hindenburg die Schilderung der schweren Kämpfe gegen einen übermäßigen Gegner las.
Dr. Zürcher führte seine trotz des schönen Sommertages recht zahlreich erschienenen Hörer dannin Gedanken über die Schlachtfelder und Soldatenfriedhöfe der verlorenen Heimat, besonders den von Groß-Waplitz, wo fast das ganze Infanterieregiment 59, mit seinem Kommandeur Oberst Sonntag an der Spitze, die letzte Ruhestätte gefunden hat. Ihnen verdanken wir, dass die Heimat uns noch 30 Jahre erhalten blieb, bis dann der am 1. September 1939 entbrannte zweite Weltkrieg Verlust der Heimat Elend, Not und Vertreibung brachte. Mögen jene Augusttage 1914 und die Septembertage 1939 uns immer mahnen, mit allen Völkern Verständigung zu suchen und nicht Krieg!
Dann kamen unter dem Motto „Wir blättern in Büchern über Ostpreußen" vor allem der junge aus Masuren gebürtige Dichter Siegfried Lenz zu Wort, dessen großer Roman „Der Mann im Strom" eben verfilmt worden ist. Sein Masurenbuch „So zärtlich war Suleyken", aus dem Dr. Zürcher zwei Geschichten las, ist eine verhaltene Huldigung an die unvergessene melancholische Stille und Weite der Landschaft Masuren und seine schwerblütigen Menschen.
Wer hat nicht in Ostpreußen einen der allseits beliebten, ja verehrten Arztbrüder Schellong gekannt, die um die Jahrhundertwende ihre ärztliche Tätigkeit begannen und bis zum tragischen Ende in ihrem neunten Lebensjahrzehnt Ärzte in des Wortes edelster Bedeutung waren. Oder welcher Königsberger kannte nicht den Chirurgen Prof. Stieda, der noch bei null Grad ohne Mantel ging? Ihnen allen hat Dr. Schröder, der letzte Leiter der Ärztekammer Ostpreußen in einem kleinen Bändchen ein Denkmal gesetzt, aus dem Dr. Zürcher ihr Leben und Wirken wiedererstehen ließ.
Nach Schilderungen von Werner erlebte man dann einen Sonntag in Königsberg, ging durch seine zahlreichen Museen und durch den Tiergarten, der nicht nur wegen seines Tierbestandes, sondern auch durch seine wundervollen gärtnerischen Anlagen bekannt war.
Nachdenklich stimmte eine Erzählung von August Winnig, einst Oberpräsident von Ostpreußen: „Gerdauen ist doch schöner". Zu den Zuhörern gehörten auch vier junge Landsleute, die erst kürzlich aus der Heimat in den Westen gekommen sind und die jetzt in der hiesigen Förderschule auf ihren Beruf vorbereitet werden. Sie waren Ehrengäste der Landsmannschaft, zur Erinnerung überreichte ihnen der Vorsitzende einen kleinen Bildband von Königsberg.
Den eindrucksvollen Abend, für den die Teilnehmer ihrem Vorsitzenden Dr. Zürcher mit lebhaftem Beifall dankten, schloss dieser mit einem verheißungsvollen Goethewort, das in unseren Tagen hätte geschrieben sein können:
„Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde. Vor allem sei es eins in Liebe untereinander. Und immer sei es eins, dass der deutsche Thaler und Groschen im ganzen Reiche gleichen Wert habe. Eins, dass mein Reisekoffer durch alle deutschen Lande ungeöffnet passieren könne“.
Seesen/Harz
Der Tonfilm- und Erntebrauchtumsabend, der für den 4. Oktober geplant war, musste auf den 8. November verschoben werden, weil die Renovierungsarbeiten am Festsaal des Ratskellers noch mehrere Wochen in Anspruch nehmen werden.
Uslar
Die Landsmannschaft der Ostpreußen unternahm die traditionelle Omnibusfahrt anlässlich der Gedenkstunde für die gefallenen ostpreußischen Soldaten am Sonntag, den 7. September, nach Göttingen, um an der Feierstunde im Rosengarten teilzunehmen. Nach dieser eindrucksvollen Veranstaltung ging die Fahrt weiter zur Besichtigung des Grenzdurchgangslagers Friedland.
Da gerade am Vortage einige Landsleute aus dem Memellande und dem Tilsiter Bezirk eingetroffen waren, vernahmen die Teilnehmer erschütternde Berichte aus der alten Heimat.
Die Weiterfahrt führte dann über das idyllisch an der Werra gelegene Hedemünden nach der Dr.-Eisenbarth-Stadt Hann. Münden, der Patenstadt von Ortelsburg, und danach an den Ufern der Weser entlang über Gimte nach dem 100-jährigen Hemeln, an der Bramburg-Ruine vorbei über Glashütte und Bursfelde. Im Turm dieser alten Klosterkirche befindet sich eine Königsberger Domglocke.
Das Endziel war Lippoldsberg, der Wohnsitz des bekannten Dichters Grimm („Volk ohne Raum"), wo im Gasthause „Zum Anker" gemeinsame Kaffeetafel stattfand. Landsleute aus der näheren Umgebung von Oedelsheim, Gieselwerder, Arenborn, Reisebeck, Vernewaldshausen, Lippoldsberg und Bodenfelde waren ebenfalls hierzu eingeladen. In der Einladung des Vorsitzenden hieß es: „Es ist mir gelungen, den früheren Sprecher vom Königsberger Sender, Landsmann Hermann Bink, zu gewinnen, dass er uns zu der geplanten Kaffeetafel mit ernsten und humorvollen Darbietungen erfreuen wird. Hermann Bink zu hören ist ein Erlebnis".
Der Vorsitzende Ernst Wisselinck begrüßte hier alle Gäste und nahm eine Ehrung des ältesten Mitgliedes, des 85-jährigen Landsmannes Hugo Bierkandt (Insterburg) vor, der die Ehrennadel aus dem heimatlichen Gold und ein Geschenk in Form einer „Buddel" erhielt. Die Unterhaltung wurde dann von Hermann Bink bestritten, dessen Darbietungen mit großem Beifall aufgenommen wurden; der nicht endende Applaus zwang ihn, immer wieder zu sprechen und zum Schluss zu geloben, die Uslarer bald wieder zu besuchen.
Bad Essen
Am Vorabend des Tages der Heimat veranstaltete die Gruppe der Ost- und Westpreußen anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens einen „Festlichen Heimatabend" mit überaus zahlreichem Besuch. Nach Liedern des Ostdeutschen Chores und kurzen Kernsprüchen wurde der Toten gedacht. Anschließend hielt der Gründer und Vorsitzende der Gruppe, Konrektor K. Zimmermann, nach einem kurzen Rückblick auf die Arbeit der vergangenen Jahre einen Ausblick in die zukünftigen Aufgaben der Heimatpolitik. Realpolitisch denken, heiße nicht, sich mit dem augenblicklichen Zustand abzufinden, sondern sich mit der Stellung zu unseren östlichen Nachbarn in Vergangenheit und Zukunft zu beschäftigen und unter Berücksichtigung ihrer menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse Mittel und Wege zu einer Verständigung zu suchen.
Gemeinsame Grundlage für eine Begegnung der beiden Völker sei die Tatsache, dass beiden durch die Politik Stalins Gebiete an ihren Ostgrenzen geraubt und große Teile der Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben wurden. An Beispielen aus der polnischen Presse zeigte der Redner, dass die Stimmen sich mehren, die für eine Politik der Verständigung mit dem Westen eintreten. Das Recht auf die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht der Völker seien die Waffen im Kampf um die Wiedergewinnung der ostdeutschen Gebiete. Anschließen, sprachen die Sprecher mehrerer Vertriebenenorganisationen Glückwünsche und Dank für die geleistete Arbeit aus. Im zweiten Teil der Veranstaltung führte Landsmann Willi Will, früher Königsberg/Pr., mit großem Geschick und köstlichem Humor in heimischem Dialekt einen „Fröhlichen Heimatquiz" durch, mit dem er die Anwesenden für eine Stunde in die Heimat zurückversetzte. Erstaunlich war, dass auch schwierige Fragen beantwortet werden konnten und sich sogar eine einheimische Schülerin unter den Preisträgern befand. Den Abschluss der Veranstaltung bildete Tanz, an dem sich Alt und Jung beteiligten.
Fulda
Die Landsmannschaft Ostpreußen, Westpreußen und Deutschbalten begeht am 11. Oktober, 20 Uhr, im großen Saal des Kolpinghauses ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Heimatabend. Ein Vortrag von Dr. Lau wird im Mittelpunkt des Abends stehen, dem sich ein gemütliches und geselliges Beisammensein anschließen wird. Alle ost- und westpreußischen Landsleute aus Fulda und Umgebung sind herzlichst zu dem Abend eingeladen.
Seite 11 Für Ihr 10-jähriges Stiftungsfest oder für die Gestaltung eines heiteren Heimatabends empfehlen wir Ihnen den ostpreußischen Mundartdichter Dr. Alfred Lau, Bad Grund/Harz, Hübichweg 16.
Er ist „einmalig und unkopierbar“ (Hannover’sche Presse). – Sein „Programm übertrifft alle Erwartungen“ (Badisches Tageblatt).
Der Autor unserer „Trostmann-Briefe“ und der „Auguste in der Großstadt“ sowie zahlreicher lustiger Gedichte kommt gern auch zu Ihnen, u. zw. Zu tragbaren Bedingungen.
Anfragen, bitte, nur direkt an ihn.
Seite 11 Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (61)
Liebe ostpreißische Landsleite!
Heite muss ich noch emal auf die Pilzchens zurickkommen, oder, richtiger gesagt, auf die Damens Burnus aus Insterburg, wo ich im Herbst immer frische Pilzchens hinbringen mussd. Das Hausche, wo se drin wohnden, hädd nache Straß so e runden Vorbau und hieß deshalb das „Zahngeschwier". Der Name bezog sich aber auch gleich noch auf dem Inhalt von die Eiterbeule, auf die beide Burnussens. Das waren Zwillingsschwestern so Mitte fuffzig, zwei richtige Giftkricken, wo ihre Nasen und Ohren ieberall hädden und alle Menschen belästern taten. Tagieber huckden se mit Ableesung annes Fenster vor ihrem „Spion" und kontrollierden de ganze Straß. Wer von die beide Gewitterflinsen aber gerad Dienst hädd, war nich festzustellen, denn eine sah genauso aus wie de andre. Bloß aufe Straß konnd einer se unterscheiden, denn die eine wakkeld beim Gehen immer mittem Oberkörper nach rechts und die andre nach links. Deshalb ließen se auch de Errsche und de Ellsche, und de Errsche ging auch immer aufe rechte Seit und die Ellsche aufe linke. Bloß einmal gingen se falsch, weil se sich gegenseitig verwechselt hädden, jede hield sich fier de andre. Nu bumsden se bei jedem Schritt mittem Kopp zusammen und fingen an, sich aufem Buttermarkt zu beschimpfen, weil jede dachd, die andre machd das absichtlich, bis se ihrem Irrtum bemerkden. Ob das nu wahr ist, weiß ich natierlich nich, weil ich nich dabei war. Aber so wurd es mir damals erzählt.
Seit viele Jahre hädden se einem Herr vonnes Gericht bei sich in Pängsjohn, der hieß Anton und wiehld beruflich mang die Prozess-Akten rum. Deshalb nannten de Leite ihm Aktenbock. Dem hädden se sich mal eingefangen und auf alle vorkommende Hausarbeiten abgericht. Im Stillens hädden se ja gehofft, dass er mit die Zeit eine von ihnen heiraten wird, aber das hadden se nich geschafft. Deshalb hadden se ihre Bemiehungen eingestellt und schubbsden ihm nu ieberall rum. Und er war e friedlicher Mensch, legd de Ohren an wie e gepriegelter Hund und gehorchd aufs Wort. Er hädd sich ja konnd e andre Pängsjohn suchen, aber er war nu mit die Jahre so scheen eingewehnt und konnd sich nich entschließen, dem Zustand zu ändern.
Ganz oben innes „Zahngeschwier" wohnd noch e alleinstehende Figur, Rosalinde Rucks, Hausschneiderin, zweiundvirzig Jahre alt. Die nähd nich fier die Burnussens, — „nich fier einen Wald voll Affen!" hädd se gesagt — und außerdem war se verdächtig, dass se auch e Aug auf dem „Aktenbock" geschmissen hädd. Deshalb nannden de Burnussens ihr schlecht und ergreifend Mistfliege. Se ärgerden sich gelb und grien, dass se so rund und apptitlich war, und jedes Mal, wenn der Anton ihr traf und heeflich begrießen tat, kriegd er besackt, dass ihm de Augen iebergingen.
Se missen schon entschuldigen, liebe Landsleite, dass ich Ihnen heite so viele fremde Menschen vorstellen tu. Aber die sind alle wichtig fier das, was nu kommt. Der Anton ging jedem Mittwoch im Krug Skat spielen. Das war die einzige Freiheit, wo se ihm bewilligt hädden und wo er bis aufes Blut verteidigen tat. De letzten Tage im Monat, wenn de Dittchens aller wurden, hielden se ihm sehr knapp mittes Essen, und er klaud denn am Skatabend im Krug immer e große Bockwurst. Das dierft er natierlich nich, denn er war doch beis Gericht. Er steckd ihr, dass keiner sah, inne Manteltasch rein, um ihr zu Hause in Ruhe zu verdricken.
Der Krugwirt und seine Skatbrieder hädden das natierlich all lang spitz gekriegt, und einem Abend, wie er mal rausgehn missd, schoben se ihm in seine gemauste Bockwurst e Zweizollernagel rein. So morgens um Uhre eins ging der Anton nu nach Haus. Und wie er vores „Zahngeschwier" stand, nich mehr so ganz sicher aufe Beine, denn er hädd reichlich Maitrank intus, stellt er fest, dass der Hausentierschlissel nich aufem Nagel hing. Die Burnusse wollden, dass er sich melden mussd. So konnd er denn wenigstens nich inne Nacht auf Socken bei die Mistfliege hochklettern.
Da kriegd er de Bockwurst inne Manteltasch zu fassen, biss vor Wut kräftig rein und brach sich oben einem Zahn aus. Aber da war es endlich auch mit seine Friedfertigkeit zu End. Er spuckd dem Zahn aus wie e Pflaumenstein und griebeld auf Rache. Ja, er wolld Rache nehmen an die beide Gewitterflinken, wo ihm aus eins schikanieren und bevormunden taten.
Aber wie? Da fiel sein Maitrank-Blick aufem Briefkasten, wo in Augenheehe rechts im Tierrahmen hing, und ihm durchzuckd ein doller Gedanke. Durchem Schlitz sah er, dass auch e Brief drinsteckd, aber das war ihm nun alles egal, der Zorn und der Maitrank befliegelden ihm, und er strulld dem Briefkasten bis oben voll. Was die ganze Jahre an Ärger in ihm aufgespeichert war, floss nu friedlich plätschernd im Kasten rein, und er spierd orndlich, wie sein Gemiet sich erleichterd.
Denn klingerd er energisch, de Ellsche kam aufmachen, er sad „Gut Nacht" und wankd, dem Kopp stolz erhoben, in seine freidlose Junggesellenstub.
Dem andern Morgen war der Deiwel los. So um Uhre sieben hädd de Errsche, wie se de Milch und de Brötchen reinnahm, dem Brief im Kasten gesehn. „Nanu", dachd se, „wer hat denn da geschrieben? De Post kommt doch erst gegen zehn“. Und wie se dem Kasten aufschloss, sah se de Bescherung. Der Brief war ganz aufgeweicht, und was da runtertröpfeln tat, roch nich nach Uralt-Lavendel. (Das ist die Liebingsseif vonne Emma, was meine Frau is!)
„Die Mistfliege!" das war ihr erster Gedanke, „na warte, du Biest!“ Mitte Kneifzang hold se dem Brief außem Kasten und mit Gebrill dem Anton auße Federn. Auch de Ellsche missd kommen, die hucke all wieder vorem Spion, denn se hadd bis acht Dienst. So neigierig, wie aller auch waren, es nitzd nuscht, se missden warten, bis der Brief aufe heiße Platt inne Kich getrocknet war. De Errsche trat vor Ungeduld von einem Bein aufes andre, und de Ellsche steckd de Nas am Brief ran und sagd: „Tatsächlich!"
„Das ist die Mistfliege", sagd de Errsche, „die hat das gemacht und kein andrer nich“.
„Nei", meind de Ellsche, „das war e Mann, so hoch kann e Frau nich". Da unterbrach se dem Satz und wurd ganz rot. Se hädd gar nich dran gedacht, dass der „Aktenbock" dabei stand. Dem war natierlich nich ganz wohl, denn nu war der Maitrank verdunstet, und sein großer Mut war wieder im Eimer. Dehalb grapschd er nach die „Mistfliege" und trampeld die Errsche hilfreich inne Seit: „Warum soll das nich e Frau gewesen sein? Se hat e Trittleiter mitgehabt!"
„Unmeeglich", meind de Ellsche, „aufem Tritt is es fier e Frau viel zu unbequem. Und nach oben is ja auch garnich so viel Platz. Auf Kniee steeckt se ja all mittem Kopp anne Deck. Das war e Kerl!!" Der Brief war immer noch nich trocken, deshalb schleppden se de Tritleiter raus und fingen an, mittem Lienjal zu messen. Se konnten sich aber nich einigen, und der Anton war froh, dass er im Dienst gehen mussd und mit seinem schlechten Gewissen endlich dem Schauplatz verlassen konnd. Er schluckd e halbes Brötche mit Marmelad und e Toppche „Schorrensupp" runter und sagd, all im Rennens: „Es könnte trotzdem Fräulein Rosalinde gewesen sein, denn man kann ja den Briefkasten runternehmen und wieder anhängen“.
Er war ebend e großer Krimnalist, dafier war er ja schließlich auch beis Gericht. Dass er einem Zahn verloren hadd, war bei die allgemeine Aufregung gar nicht aufgefallen. Nu hädd er bis Nachmittag Zeit, sich fier dem ausgebrocheen Zahn was auszudenken. Der Brief war wirklich von Freilein Rosalinde. Se verbat sich die „Beschniffelung" ihres „Lebenswandels", widrigenfalls se „die bösen Mäuler gerichtlich belangen" wolld. „Das is meine letzte Warnung!" schrieb se.
„So e Unverschämtheit!" sagd de Errsche, „aber die leg ich, wenn mal so passt, e frischem Kuhfladen innes Bett! Und wegnem Briefkasten muss der Herr Anton dem Staatsanwalt Bescheid sagen. Er kennt ihm ja gut!"
Herzliche Grieße! Ihr alter Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A
Seite 12 Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen.
Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg, Gotenstraße 33
Herzliche Geburtstagsgrüße und Glückwünsche allen Oktoberkindern, vor allem den vollen Zehnern. am 07.10.1958: Lenore Behrendt (Zoppot), 30 Jahre;
am 18.10.1958: Frieda Laurien-Hippler (KMTV Königsberg), 40 Jahre;
am 4. 10. Bruno Petzke (KMTV Königsberg), 50 Jahre;
am 07.10.1958: Erich Lange (Memel), 50 Jahre;
am 18.10.1958: Alfred Kaun (KMTV Königsberg), 50 Jahre;
am 19.10.1958: Käte Neuber-Schelewski (Elbing), 50 Jahre;
am 22.10.1958: Heinz Simon (Marienwerder), 50 Jahre;
am 31.10.1958: Christel Schleifer-Richard (Tilsit), 50 Jahre;
am 07.10.1958: Heinz Bahr (Tgm. Danzig), 60 Jahre;
am 08.10.1958: Paul Höpfner (Allenstein), 60 Jahre;
am 10.10.1958: Frau Sandhack (KSTV Königsberg), 60 Jahre;
am 21.10.1958: Franz Abel (Zoppot), 70 Jahre;
am 20.10.1958: Georg Wegener (KMTV Königsberg);
am 26.10.1958: Hanna Vogel (KMTV Königsberg), 80 Jahre.
Das verklungene Deutsche Turnfest in München hat in einigen Tageszeitungen und Wochenzeitschriften „Fachkritiker" gefunden, die kein gutes Haar daran lassen möchten und wohl von den verantwortlichen Leitern nichts anderes als Unfehlbarkeit erwarteten. Wer als Meckerer und Griesgram herumläuft, wird auch beim schönsten Fest ein Sandkörnchen auf dem Tanzboden finden. Ich brauche mich hier nicht damit weiter zu befassen. Berufene „Fachleute" haben den Angriff bereits erfolgreich abgeschlagen. Aber ich stelle fest, dass alle Teilnehmer des Turnfestes und unseres Wiedersehenstreffens, die mir inzwischen geschrieben haben, hochbeglückt von München heimgekehrt sind mit dem Gefühl, ein ganz außergewöhnlich erhebendes, unendlich viel Freude und Kraft für den Alltag spendendes Fest, erlebt zu haben. Onkel Wilhelm.
Thorner Treffen in Lüneburg
Lüneburg. Anlässlich ihres diesjährigen Heimattreffens trafen sich viele hundert ehemaliger Thorner Bewohner am 30. und 31. August d1958 in ihrer Patenstadt Lüneburg, um in einem feierlichen Festakt im Fürstensaal des Lüneburger Rathauses den größten Sohn ihrer Stadt zu ehren. Der bekannte Danziger Historiker Dr. von Krannhals brachte in seinen interessanten Ausführungen das Bild des Menschen Kopernikuss nahe, der zu den größten Geistern der gesamten Menschheit gerechnet werden muss.
Auf einer am Tage zuvor stattgefundenen Sitzung der Thorner Vertrauensleute konstituierte sich der Thorner Kreistag, dessen folgende Ausschüsse sich mit erhöhter Aktivität der Heimatarbeit zuwenden werde: Kulturfragen (Lehrer Heinz), Heimatpolitische Belange (Rudi Trenkel) und Jugendfragen (Fritz Wiebusch).
Nach der einstimmig erfolgten Wiederwahl des Heimatkreisvertreters Ewald Dobslaff (Thorn Land) sowie seines Stellvertreters Dr. Guido von Kries wurde der Vorschlag gemacht, anlässlich des geplanten Thorner Heimattreffens im Jahre 1959 die ehemalige Schülerschaft aller ehemaligen Thorner Lehranstalten insonderheit einzuladen. Besonders erfreulich bei dem diesjährigen Treffen war die rege Teilnahme zahlreicher Angehöriger ehemaliger Thorner Regimenter sowie einer bedeutenden Anzahl von Jugendlichen, die ihr großes Interesse für das Land an der Weichsel bekundeten. R. T.
Hof/Saale
Im „Blauen Stern" kam die Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen zu ihrer ersten Monatsversammlung nach den Ferien zusammen. Nach der Begrüßung auch neuer Mitglieder wandte sich der 1. Vorsitzende, Studienrat Paul Bergner, besonders an die zum ersten Mal anwesenden Spätaussiedler mit dem Wunsch, dass sie sich im Kreise der Ost- und westpreußischen Familie recht wohl fühlen möchten und dass sie mit ihren Erfahrungen und ihrem Gespräch helfen, die Verbindung zur Heimat aufs neue zu knüpfen. Es gelte auch, nicht den Mut zu verlieren, wenn manches anders sei, als man es sich vorgestellt habe. Menschliche Unzulänglichkeit und Gleichgültigkeit, gegen die gemeinsam angekämpft werden müsse, seien selten Absicht und Bosheit, und trotz karitativer Einrichtungen sei das Opfer jedes einzelnen nötig.
Der Vorsitzende ging dann auf den „Tag der Heimat" ein. Er sagte, aus der Liebe zur Heimat nähre sich der feste Glaube, dass die Heimat der Vertriebenen ein Teil der gesamtdeutschen Heimat sei und dass alle, nicht nur die Vertriebenen, einen Teil ihrer deutschen Heimat verloren haben. Um diesen Teil des geraubten Ostens sei das mitteleuropäische Herzstück nach Westen gestoßen worden. Im Sinnen und Trachten und in Willenskundgebungen sei alles daran zu setzen, dass einmal wieder im deutschen Osten Heimat im wahren Sinne des Wortes entstehe.
Seite 12 Suchanzeige
Achtung! — Weidenfelder, Kreis Schloßberg, in Ostpreußen. - Wer ist mit Gustav Heinrich und Martha Heinrich gemeinsam von Wehlau aus auf den Treck gegangen, und weiß etwas über ihren Verbleib. Auskunft erbittet: Frau Charlotte Minuth, Düsseldorf, Suitbertusstr. Nr. 34. Unkosten werden erstattet.
Seite 12 Todesanzeige
Im Alter von 36 Jahren nahm der Tod nach langem Leiden unsere Turnschwester Irmgard Horn, geb. Schultze von der Turngemeinde Danzig von 1862. In herzlicher Anteilnahme an dem Schmerz des Gatten betrauern wir den Heimgang dieser in der Erinnerung aller Vereinskameraden frisch blühenden und allzeit fröhlichen Turnerin, die echte Herzenswärme ausstrahlte und bis zuletzt unserer Gemeinschaft die Treue hielt. Ihr Andenken werden wir in Ehren halten, Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen, Wilhelm Alm.
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