Ostpreußen-Warte, Folge 09 vom September 1958
Ostpreußen-Warte
Seite 1 Weiter starke Abwanderung. Polnische Familien verlassen Ostpreußen – Verwaltungsorgane haben versagt.
Allein im Monat Juni 1958 haben nach „vorläufigen Feststellungen" der volkspolnischen Milizorgane in der „Wojewodschaft" Allenstein über 700 polnische Familien das südliche Ostpreußen „mit unbekanntem Ziel" verlassen. Dies geht aus Äußerungen volkspolnischer Beamter des „Wojewodschafts-Nationalrats" während eines „Informationstreffens" mitvolkspolnischen Journalisten hervor.
Die Journalisten waren zu dem Treffen gebeten worden, um ihnen „Hintergrundmaterial zu aktuellen Problemen" der „Wojewodschaft" Allenstein zu geben und sie gleichzeitig zu veranlassen, nur noch nach „Rücksprache" mit den volkspolnischen Verwaltungsbehörden Berichte über öffentliche Missstände zu bringen.
Die Verhältnisse im Bereiche der Bevölkerungsfluktion wurden von den volkspolnischen Beamten als „ausgesprochen schlecht und ungewiss" bezeichnet, zumal die Abwanderung der polnischen Neusiedler, insbesondere der mit hohen Krediten und Materialhilfen angesiedelten „Repatrianten" aus der Sowjetunion, während der vergangenen drei Monate ständig zugenommen habe. Zudem sei es bisher nicht gelungen, die genaue Zahl der abgewanderten Neusiedler festzustellen, „da die zuständigen Verwaltungsorgane versagt haben“. Um annähernd die zutreffende Zahl der Abwanderungen zu erhalten, müsse man zu den geschätzten Zahlen dann rund 50 Prozent zuzählen, erklärten die volkspolnischen Beamten. Dies würde bedeuten, dass im Monat Juni 1958 insgesamt 750 polnische Familien oder rd. 3500 Personen aus der „Wojewodschaft" Allenstein abgewandert sind.
Ist dies der einzige Grund?
In einem Artikel über das Forstwesen und die Waldwirtschaft in Polen befasst sich die in Warschau erscheinende Zeitung „Zycie Warszawy" u. a. mit der Frage, warum in vielen Fällen polnische Bauern, die aus Zentralpolen in die Oder-Neiße-Gebiete verpflanzt worden sind, diesem Lande, zu dem sie kein inneres Verhältnis haben, wieder den Rücken kehren. Wörtlich schreibt das Warschauer Blatt: „In den Waldbezirken der Wojewodschaften Lublin, Rzeszow und Krakau gibt es viele Dörfer mit unfruchtbarem Boden; die Dörfer sind übervölkert, und ihre Einwohner siedelten seinerzeit mit Hilfe des Staates in die Westgebiete (also die deutschen Ostprovinzen. Die Red.) um, wo ihnen ordentliches Ackerland und ordentliche Gebäude übergeben wurden. Doch viele von ihnen kehrten wieder in ihre Heimat zurück. Der Grund? Es macht sich ihnen besser bezahlt, an einigen Tagen der Saison einige oder auch einige zehn ausgewachsene Bäume im Staatswalde zu schlagen und das gestohlene Gut Spekulanten zu verkaufen, als sich ein ganzes Jahr lang auf dem Acker zu plagen“.
Seite 1 Flucht über die Oder-Neiße-Linie.
Berlin. Wie der „Pressedienst der Heimatvertriebenen" erfährt, hat Warschau in Ost-Berlin darüber Klage geführt, dass die Volkspolizei neuerdings nicht mehr die aus dem Oder-Neiße-Gebiet flüchtenden Deutschen verhaftet und an Polen ausliefert, sondern sie im allgemeinen nach kurzer Haftzeit zu ihren Familienangehörigen in Mitteldeutschland entlässt. Versuche Warschaus, die Auslieferung dieser Deutschen zu erlangen, sind von sowjetzonaler Seite zurückgewiesen worden. Warschau bemängelt es, dass die „Sicherungsmaßnahmen" entlang der Oder-Neiße-„Grenze" auf sowjetzonalem Gebiet in letzter Zeit stark nachgelassen hätten, was die Fluchtversuche von Deutschen und auch von Polen begünstige.
In Kürze sollen nun zwischen der Sowjetzonen-Regierung und der Warschauer Regierung Verhandlungen über „gemeinsame Maßnahmen zum Schutz der Friedensgrenze" stattfinden, bei denen die Warschauer Klagen erörtert werden dürften.
Seite 1 177 000 wurden umgesiedelt
In seinem Jahresbericht für 1957 teilte das Deutsche Rote Kreuz jetzt mit, dass im Rahmen der Familienzusammenführung von 1955 bis zum 31. März 1958 177 127 Personen aus den Ländern des Ostblocks (ohne Sowjetunion) in die Bundesrepublik gekommen seien, davon 146 978 aus Polen, 25 019 aus Jugoslawien, 2688 aus der CSR, 128 aus Rumänien und 1064 aus Ungarn.
Seite 1 Wieder Deutsche im Königsberger Gebiet?
Wie der „Pressedienst der Heimatvertriebenen" erfährt, hat Warschau in Ost-Berlin darüber Klage geführt, dass die gegenwärtig in den baltischen Ländern ansässig sind, und denen die sowjetische Staatsangehörigkeit zuerkannt wurde, die Genehmigung erteilt haben, sich im nördlichen Ostpreußen — dem sog. „Kaliningradskaja Oblast" — niederzulassen. Diese Möglichkeit einer „Neuansiedlung" im Gebiet von Königsberg soll, den bisher unbestätigten Informationen aus Warschau zufolge, ausschließlich „sowjetischen Staatsbürgern deutscher Nationalität" eröffnet werden, die in West- und Mitteldeutschland keine Familienangehörigen besitzen und die nicht unter die zwischen der Bundesrepublik und der Regierung der UdSSR vereinbarte Familienzusammenführung fallen.
Seite 1 Foto: Deutschland ist unteilbar. Mahnstein an der Bundesstraße 1 in Hameln, dem Agnes Miegel ihr Gedicht ‚B 1‘ gewidmet hat und in dem sie davon spricht, dass diese ‚Straße mit dem unteilbaren Namen‘ für alle Heimatvertriebenen aus dem Osten ein ‚Gleichnis des Weges‘ sei. (Auf dem Gedenkstein steht: B 1 Aachen Berlin Königsberg 1170 km Deutschland ist unteilbar). Foto: Sachers
Seite 1 Verhältnis war nicht richtig! Fehler der inneren Politik!
Aus einem Artikel „Die Lehrerschaft in den Westgebieten" von Professor Dr. T. Wojewski, dem Vorsitzenden des Polnischen Lehrerverbandes, erschienen in der in Breslau erscheinenden Zeitschrift „Slowo Polskie" vom 3./4. August 1958, entnehmen wir die folgenden interessanten Ausführungen über die verfehlte Politik gegenüber der sogenannten Autochthonenbevölkerung.
„Die ersten Jahre nach der Befreiung der Westgebiete und des Ausschusses an den polnischen Staat brachten der Autochthonenbevölkerung viele Enttäuschungen. Fehler und verdrehte Ansichten in der inneren Politik des vergangenen Zeitabschnittes bewirkten, dass das Verhältnis zu dieser Bevölkerung nicht richtig war. Im Zusammenleben der aus anderen Teilen Polens zugewanderten Bevölkerung mit der Autochthonenbevölkerung offenbarten sich provinzial-partikularische Antagonismen. Die Autochthonenbevölkerung erfuhr nicht den Schutz und die Unterstützung der Behörden. Im Gegenteil, in vielen Fällen wurde sie als fremdes und feindliches Element behandelt. Dieses falsche Verhältnis zur Autochthonenbevölkerung übte seinen Einfluss auf die Zunahme ihrer Auswanderung nach dem Westen aus.
Leider muss zugegeben werden, dass die in dieses Gebiet gesandten polnischen Lehrer in vielen Fällen der Höhe ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren, der örtlichen Bevölkerung keine Fürsorge zukommen ließen und ihr nicht zur Seite standen. Die Ursache dieser Haltung war nicht so sehr schlechter Wille, wie eine völlige Ignoranz der schlesischen und masurisch-ermländischen Region innerhalb der jungen zugewanderten Lehrerschaft. Sie behandelten die Sprache der Oberschlesier, die nicht das Altpolnische und die Dialekte der polnischen Sprache kannten, als ein polnisch-deutsches Kauderwelsch. Da sie nicht die religiösen Bewegungen in den polnischen Gebieten kannten, waren sie geneigt, die evangelischen Masuren für Deutsche zu halten.
Im Zusammenhang damit erneuerte die Hauptverwaltung des Polnischen Lehrerverbandes nach dem Oktober 1956 die Sozial-Bildungsabteilung und erkannte als ihre erste Pflicht, eine Aufklärungsaktion innerhalb der Lehrerschaft dieser Gebiete zu unternehmen“.
Seite 1 Förderung der nationalen Minderheiten
Im Organ des Zentralkomitees der polnischen Arbeiterpartei „Trybuna Ludu" heißt es in einem Artikel über Kulturangelegenheiten der Nationalen Minderheiten:
„Das Problem einer kulturellen Förderung der in Polen wohnenden nationalen Minderheiten nimmt schon seit langem die Aufmerksamkeit der sozialen Aktivisten in Anspruch. Dieser Angelegenheit waren die Ende vorigen Jahres auf einer Beratung der Kommission für Minderheitenangelegenheiten, KC PZPR, d. i. Zentralkomitee der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, angenommenen Anträge gewidmet. Letztens wurde beim Kultur- und Kunstministerium eine Kommission für Kulturangelegenheiten der nationalen Minderheiten einberufen. Die erste Sitzung der Kommission diente dazu, ihre Mitglieder mit den aktuellen Problemen des kulturellen Lebens der einzelnen nationalen Minderheiten in unserem Lande bekanntzumachen“.
Seite 1 Exilpolnische Stimme aus London
Die in London erscheinende exilpolnische Zeitung „Orzel Bialy" befasst sich unter der Überschrift „Weder die Zeit noch die Anerkennung verwandeln Gewaltakte in Recht" mit der Frage der an die Sowjetunion gefallenen ehemaligen polnischen Gebiete jenseits des Bug-San und hebt dabei den Satz hervor: „Quod ab initio vitiosum est non potest tractu temporis convalescere" (Was von Beginn an schlecht ist, kann auch durch den Lauf der Zeit nicht gebessert werden). — Die gleiche exilpolnische Zeitung tritt nichtsdestoweniger beständig für die völkerrechtswidrige Annexion Ostdeutschlands durch Polen ein.
Seite 2 Danzig: „schmutzigste und verkommenste Stadt". „Ägyptische Finsternis" über der einstigen Hansestadt / Polnische Eingeständnisse.
Als „Aschenputtel unter den Städten" bezeichnet der „Dziennik Baltycki" die Stadt Danzig. Heute habe Danzig, so schreibt das Blatt, den unrühmlichen Ruf, „eine der schmutzigsten und verkommensten Städte zu sein. Die Straßenreinigung könne frühestens erst in drei Jahren mit dem Zugang der heute fehlenden Reinigungsfahrzeuge rechnen. Die Stadt, so fährt „Dziennik Baltycki“ fort, sei „erschreckend dreckig".
Die Wasserversorgung kranke daran, dass eine Reihe von Pumpen fehlt, die das Wasser in die höher gelegenen Stadtteile pumpen sollen. Aber auch diese Pumpen seien nicht vor dem Jahre 1960 zu haben. Ebenso ist die Gasversorgung mangelhaft. Hier könnten die heute bestehenden „empfindlichen Mängel" gleichfalls frühestens erst in drei Jahren behoben werden. Ganz Danzig sei überdies in ägyptische Finsternis" gehüllt, weil in den vergangenen vierzehn Jahren insgesamt nur erst zwei Straßenlaternen neu installiert worden seien. Dabei fehle es weniger an Geld für eine ausreichende Beleuchtung, als vielmehr an Material.
Auch in Zoppot herrschen ähnliche Zustände wie in Danzig selbst, obwohl sich in letzter Zeit einiges gebessert hat. Der „Dziennik Baltycki" führt Klage über „die herumliegenden Papierfetzen, die überfüllten Mülleimer, die nicht abgemähten Rasenflächen und den Schmutz vom Strande". Statt der 35 benötigten Straßenkehrer verrichteten nur „sechs und einer aus halbem Etat" ihren Dienst, und ähnlich schlecht sehe es auf den anderen Gebieten der Ordnungspflege und Reinlichkeit aus.
Seite 2 Teurer Torf
Die Torf produzierenden Betriebe im Bereich der Danziger „Wojewodschaft" haben in den vergangenen Jahren „12 - 19 Millionen Zloty" verwirtschaftet, meldet „Dziennik Baltycki" auf Grund einer Erhebung des Staatlichen Rechnungshofes. Die im ostpommerschen Distrikt Leba-Lauenburg befindliche Torfindustrie wies ein von 1953 bis 1956 beängstigend ansteigendes Defizit auf, das je 1000 Zloty Wert der Produktion 375 - 1185 Zloty Bilanzverlust ausmachte. Für 1957 wurde überraschenderweise nur 438 Zloty Verlust je 1000 Zloty ausgewiesen, jedoch vermerkt der Prüfungsbericht ausdrücklich: „Dieses Ergebnis der Tätigkeit im Jahre 1957, wie es in der Bilanz ausgewiesen ist, ist nicht real, und die Verringerung der Verluste im Verhältnis zu den vorangegangenen Jahren ist nur eine scheinbare". — „Die Ergebnisse der Tätigkeit wurden also gefälscht!" bemerkt der „Dziennik Blatycki" hierzu, der zugleich folgende Zusammenfassung gibt: Von 1953 bis 1958 wurden 10,4 Mill. Zloty für verkauften Torf eingenommen; die Bilanzverluste „machten im gleichen Zeitraum die Kleinigkeit von 8,77 Mill. Zloty aus“.
Seite 1 Bezeichnende Schwierigkeiten
„Wir wollen nicht jahrelang warten — Die Stümper und Ausfallproduzenten sollten beseitigt werden!" — Unter dieser Überschrift protestiert die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Dziennik Baltycki“ gegen die schlechten Lieferungen von Zubehörmaterial für das Danziger Gaswerk. Die aus Polen gelieferten Spezial-Schamotte-Ziegel, die beim Bau benutzt werden mussten, seien „Zeugnisse einer bis zur Perfektion getriebenen Pfuscherei“. Die meisten dieser Ziegel seien wertlos gewesen; nie habe auf ihnen „das Auge eines technischen Kontrolleurs geruht“. Im Oktober 1957 habe das Danziger Gaswerk zwei Pumpen aus einer Gießerei in Kielce (Polen) erhalten. „Beide Pumpen waren von Anfang an unbrauchbar“. Obwohl die Pumpen an das Kielcer Werk zur Reparatur zurückgeschickt worden waren, kamen sie in ebenso unbrauchbarem Zustand wieder zurück und konnten erst in Danzig durch die Bemühungen einiger Fachleute schließlich verwendungsfähig gemacht werden.
Seite 2 Telegramm aus Allenstein.
Ob wir diplomatische Beziehungen zu unseren osteuropäischen Nachbarn aufnehmen sollen, ist gegenwärtig die Frage, über die mancher heiße Streit ausgefochten wird. Die Bundesregierung ist der schon seit langem anstehenden Entscheidung zunächst einmal durch die Flucht in die Sommerferien ausgewichen. Wer nun glaubt, dieser Streit der Meinungen, gepaart mit der amtlichen zurückhaltung habe jede Fühlung zwischen uns und den Menschen auf der anderen Seite des „Eisernen Vorhangs“ erstarren lassen, der irrt sich. Es gibt, besonders auf kulturellem Gebiet, eine ganze Reihe von Kontakten. Dass sich aber auch menschliche Beziehungen anbahnen können, ist unlängst demonstriert worden: Beim Leiter des Deutschen Roten Kreuzes in der schleswig-holsteinischen Stadt Itzehoe traf ein Telegramm des Polnischen Roten Kreuzes der Stadt Allenstein in Ostpreußen ein. Darin wurde mitgeteilt, unter den Kindern der Stadt grassiere eine bedrohliche Kinderlähmung- und Keuchhustenepidemie. Es wurde die Bitte ausgesprochen, ein Medikament zu beschaffen, das in Polen nicht greifbar ist.
Dem DRK Itzehoe gelang es, in Hamburg ausreichende Mengen des gewünschten Medikaments zu erhalten, die sofort mit polizeilicher Hilfe zum Flugplatz geschafft und nach Kopenhagen geflogen wurden. Dort stand bereits eine polnische Maschine, die das wichtige Heilmittel nach Warschau brachte. Von hier wurde es mit einer weiteren Maschine nach Danzig geschafft und einer Vertreterin Allensteins übergeben. Der reibungslose Transport war organisiert worden durch die Meldung eines Funkamateurs aus Itzehoe, der über Vermittlung schwedischer Amateure mit Posen Verbindung aufnehmen konnte.
Ohne jede Schwierigkeit spielte sich diese Aktion ab, aber auch ohne jede Rücksicht darauf, ob nun zwischen der Bundesrepublik und Polen diplomatische Beziehungen bestehen. Es galt, Menschen zu helfen, und es wurde mit jener Selbstverständlichkeit geholfen, die eigentlich immer und überall herrschen sollte. So erfreulich der Fall Allenstein ist – ob mit diplomatischer Beziehungen nicht noch schneller (beispielsweise ohne Umweg über Kopenhagen) und noch besser und vor allem noch mehr Menschen geholfen werden könnte?
Seite 2 Deutschland-Besuch von Mr. B. H. Hofmann.
Der frühere stellv. Vorsitzende der amerikanischen Steuben-Society und jetziger Leiter des Radio Exchange Commitee dieser großen Organisation der Amerikaner deutscher Herkunft, Mr. B. H. Hofmann aus Milwaukee (Wisc.), besuchte Westdeutschland, wo er in Bonn, München und Hamburg mit Regierungsvertretern, Repräsentanten der politischen Parteien und Redakteuren maßgeblicher Zeitungen allgemeine Fragen und insbesondere das Vertriebenenproblem erörterte. Anlässlich eines Aufenthalts in Göttingen unterrichtete sich Mr. Hofmann über die Tätigkeit des „Göttinger Arbeitskreises" ostdeutscher Wissenschaftler und stattete anschließend dem Grenzdurchgangslager Friedland einen Besuch ab.
Mr. B. H. Hofmann ist zunächst in der ersten Nachkriegszeit im Zusammenwirken mit einer Reihe amerikanischer Senatoren und Kongressabgeordneter für die Aufhebung der Postsperre nach Deutschland eingetreten, hat sich sodann für die Gewährung von Mitteln für das Kinderspeisungsprogramm der US Army eingesetzt und vor allem als Generalsekretär des amerikanischen Hilfswerks „American Relief for Germany Inc." selbstlos für die Linderung der Not in Deutschland gewirkt. Als treuer Freund und Helfer der deutschen Heimatvertriebenen unterrichtete er die amerikanische Öffentlichkeit über 18 Sender der Vereinigten Staaten laufend über das Vertriebenenproblem. Im gleichen Bestreben hat Mr. Hofmann dem Präsidenten Truman die „Charta der Heimatvertriebenen" überreicht und erläutert, wie er auch als Berater der DP-Immigration Commission in Washington für eine besondere Berücksichtigung der deutschen Heimatvertriebenen in den Einwanderungsprogrammen der Vereinigten Staaten eingetreten ist. Er ist Begründer des Deutschen Sprach- und Schulvereins von Wisconsin, dessen Board of Directors er angehört.
Seite 2 Deutsches Land im Ausverkauf. Preisfestsetzung für Ackerland in den polnisch besetzten Ostgebieten.
Das polnische Landwirtschaftsministerium hat jetzt die Verkaufspreise für Ackerland festgelegt, das aus dem staatlichen Landreservefonds an Privatbauern abgegeben werden soll. Es handelt sich dabei ausschließlich um Ackerland in den deutschen Ostgebieten, das seinerzeit vom Staat vereinnahmt worden war, ohne dass eine ausreichende Bewirtschaftung möglich gewesen wäre.
Die Preise schwanken je nach Bodenqualität und verkehrstechnischer Lage zwischen 13 000 bis 36 000 Zloty pro ha. Von diesen Normalpreisen können in Gebieten mit besonders niedriger Bevölkerungsdichte Nachlässe bis zu 40 Prozent gewährt werden. Wer bei Kaufabschluss sofort zahlt, erhält einen zuzüglichen Preisnachlass von 20 Prozent. Ansonsten wird den Bauern die Abzahlung des Kaufpreises innerhalb von zehn Jahren bei 20-prozentiger Anzahlung zugebilligt. Landarbeiter, die in den jetzt aufzulösenden Staatsgütern beschäftigt waren, brauchen nicht einmal eine Anzahlung zu leisten und erhalten darüber hinaus sogar die Möglichkeit, nach einer Schonzeit von fünf Jahren innerhalb von 20 Jahren abzuzahlen.
Die von der Regierung jetzt festgelegten Preise sind so günstig, dass zweifellos ein starker Zustrom in die bisher landwirtschaftlich nicht oder wenig genutzten Teile Ostdeutschlands einsetzen wird. Kleinbauern aus den altpolnischen Gebieten, die dem Aufruf der Regierung zur Besiedlung der „Westgebiete" folgen wollen, können sich für den Kauferlös für ihren bisherigen Landbesitz in den deutschen Ostgebieten etwa das 4- bis 6-fache an Land kaufen.
Seite 2 Bauernhäuser sollen „mitgebracht" werden.
Die Warschauer Zeitung „Slowo Powszechne" berichtet, dass zur Förderung der Ansiedlung polnischer Bauern im südlichen Ostpreußen den polnischen Umsiedlern aus Zentralpolen nunmehr die Möglichkeit eröffnet werden solle, die bisher von ihnen bewohnten Gebäude „mitzunehmen". Der Transport der polnischen Bauernhäuser nach Ostpreußen solle dabei auf Staatskosten erfolgen. Gleichzeitig wird vermerkt, dass der Aufbau neuer Bauernhäuser im südlichen Ostpreußen aus Mangel an Mitteln (gemeint ist: aus Mangel an Baumaterialien. Anm. d. Red.) gegenwärtig nicht möglich sei.
„Slowo Powszechne" bemerkt im Rahmen dieses Berichts, besonders im ostpreußischen Kreise Lyck sei „viel freier ungenutzter Boden vorhanden, der auf eine Bewirtschaftung wartet".
Seite 2 Polnische Jugend soll Bernstein suchen
Die Tatsache, dass Polen jahraus, jahrein Bernstein „aus fremden Ländern" einführt und dafür je Tonne 12 000 Dollar zahlt, veranlasst die Zeitung „Glos Wybrzeza" zu der Feststellung, es sei „ebenso erstaunlich wie betrüblich", dass noch kein Mensch an der „polnischen Ostseeküste" auf den Gedanken gekommen sei, „das Bernsteingeschäft selbst zu machen". In bestimmten Küstenabschnitten werde so viel Bernstein angeschwemmt, dass bei sorgsamer Suche die Einfuhr entbehrlich werde. „Glos Wybrezeza" appelliert an die polnische Jugend, in dieser Sache die Initiative zu ergreifen. Es handele sich um eine „vaterländische Dienstleistung" und zugleich um eine gute Verdienstmöglichkeit.
Seite 2 „Nicht ein Hektar verkauft"
Von den bereits vor einigen Wochen in der „Wojewodschaft" Danzig zum Verkauf gestellten rund 28 000 Hektar Ackerland sei bisher noch nicht ein einziger Hektar abgesetzt worden, berichtet die polnische Zeitung „Slowo Powszechne".
Der Direktor der Polnischen Landwirtschaftsbank in Danzig erklärte, es sei die Schuld der Behörden, dass die „Aktion Landverkauf" nicht von der Stelle komme. Er bemerkte jedoch gleichzeitig, man müsse aber auch „vorsichtig zu Werke gehen, um die Bauern nicht von der Teilnahme an der Aktion abzuschrecken".
Seite 2 Rentenerhöhung auch für Deutsche
Die in Polen vom 1. Juli an geplante Rentenerhöhung auf einen Mindestsatz von 500 Zloty (98 DM) wird auch den deutschen Rentenempfängern in den Oder-Neiße-Gebieten zugutekommen. Die kommunistische Breslauer „Gazeta Robotnicza" gab zu, dass ein Großteil der deutschen Rentenempfänger seit mehreren Jahren mit Renten unter 200 Zloty (35 DM) auskommen musste. Allein bei der Woiwodschaft Breslau hätten 30 000 deutsche Rentner neue Anträge gestellt. Grundsätzlich sollen alle Rentenempfänger 70 Prozent ihres letzten Gehaltes als Rente erhalten, die jedoch den Mindestsatz von 500 Zloty nicht unterschreiten darf.
Seite 2 Reisen nach Ostdeutschland
Gesellschaftsreisen in den polnisch verwalteten Teil Ostpreußens und andere ostdeutsche Gebiete vermitteln folgende Reisebüros: Reisebüro City-Hof, Hamburg 1, City-Hof-Passage; Reisebüro Fröhlich, Hannover; Reisebüro Helios, Berlin-Wilmersdorf, Mansfelder Straße 9; Alpen-See-Reisen, Düsseldorf, Pionierstr. 12; Reisedienst, Amberg/Ob., Naburgerstraße 20, und neuerdings auch Reisebüro Hans Donndorf — Zweigstelle Dortmund, Dortmund, Hohe Straße.
Seite 2 Verwandtenbesuche Besuchsreisen nach Deutschland
Die polnischen Behörden erteilen Ausreisegenehmigungen zu Besuchszwecken, wenn von Deutschland aus die Fahrtkosten für die Hin- und Rückfahrt bezahlt werden. Die genannten Reisebüros sind in der Lage, die erforderlichen Überweisungen an die Angehörigen in Polen vorzunehmen. Bei Bestellungen wird um Angabe des Namens und der Anschrift des Reisenden in Polen und seines Besuchsortes in Deutschland gebeten.
Seite 2 Pressespiegel
Graben geht mitten durchs Volk.
„Ein Patentrezept für die Vereinigung Deutschlands gibt es nicht, sondern nur ein beharrliches auf dieses Ziel ausgerichtetes Bemühen. Aber dieses Bemühen ist nicht da. Auch das frömmste Einheitsgerede vermag diese Tatsache nicht mehr zu verkleistern. Die Bundesregierung rüstet auf, verwirft Entspannungspläne wie das Rapacki-Projekt, bleibt mit dem starren Blick auf die Integration in den Westen taub auf dem östlichen Ohr — drüben in der Zone beginnt der Schlussmarsch in den „Sozialismus". Der Graben geht nicht mehr nur durch deutsche Provinzen, sondern mitten durchs Volk. Wir alle wissen das, aber die meisten haben nicht den Mut, auszusprechen, was ist. Die am lautesten reden, haben sich insgeheim mit der Spaltung abgefunden. Die Menschen, hüben wie drüben, fangen an, sich in ihrem jeweiligen Teilstaat einzurichten. DIE BRÜCKE, München
Gefährliches Vakuum
In Bonn betrachtet man diese gewaltige Wanderungsbewegung (Flucht aus der DDR. Die Red.) mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Man sieht darin auf der einen Seite eine unwiderlegbare Bestätigung dafür, dass der Widerstandsgeist und die Abneigung gegen den kommunistischen Totalstaat nach wie vor ungebrochen ist, und dass die Bäume Ulbrichts trotz allen großspurigen Ankündigungen nicht in den Himmel wachsen können. Aber soweit man die Hoffnung auf eine spätere Wiedervereinigung noch nicht ganz abgeschrieben hat, gibt man sich auf der andern Seite auch Rechenschaft darüber, welch gefährliches Vakuum die Massenflucht in dem Teile Deutschlands zurücklässt, der jenseits der Elbe und der Werra liegt“. ST. GALLER TAGBLATT
Wir sind in Gefahr
„Wir sind in Gefahr. Es ist eine Gefahr, von der die Fachleute noch zu wenig wissen. Dies sind die zwei Punkte, die der Bericht der Vereinten Nationen über die Strahlung noch offensichtlicher als bisher hervortreten lässt. Zu den Wirkungen radioaktiver Niederschläge haben die Wissenschaftler nur den lahmen Schluss anzubieten, dass jeder Versuch, sie zu berechnen, im Augenblick nur versuchsweise Schätzungen mit großen Spannen der Unsicherheit hervorbringen kann. Über die Folgen für die Menschen können sie nichts Genaues sagen. Die Wissenschaftler empfehlen ganz natürlich weitere Studien. Sie wollen mehr Kontrollen und mehr Forschung. Trotzdem ist es äußerst bedauerlich, dass sie ihre Warnung nicht schärfer formulieren konnten. Bereits jetzt leben wir unter einer dünnen Strontiumdecke, wobei manche Teile der Welt einer stärkeren Strahlung ausgesetzt sind als andere. Die Drohung als solche ist noch gering: Umso mehr Grund, jetzt zu reagieren . . ." NEWS CHRONICLE
Für Amerika bluten
„Der US-Außenminister John Foster Dulles hegt ernste Bedenken, dass ein wiedervereinigtes Deutschland eines Tages die eine Seite gegen die andere ausspielen würde. Damit meint Herr Dulles, dass das wiedervereinigte und bündnisfreie Deutschland eines Tages Amerika gegen Russland ausspielen könnte. Ich glaube nicht, dass sich das deutsche Volk bzw. die deutsche Regierung diesen groben Fehler zuschulden kommen lassen würde. Aber anscheinend hat Herr Dulles ein schlechtes Gewissen gegenüber dem deutschen Volke, weil er so etwas befürchtet. Es wäre sehr interessant zu erfahren, was für eine Antwort Herr Dulles geben würde auf die Frage: „Warum wird Westdeutschland gegen Russland vonseiten Amerikas ausgespielt?“ Denn dies ist nicht abzuleugnen. Bei einer etwaigen militärischen Auseinandersetzung zwischen USA und SU wird dem deutschen Volke die hohe Ehre zuteil, für Amerika sich opfern und bluten zu dürfen. Oder glaubt Herr Dulles, die dummen Deutschen merken dies nicht? Die US-Luftstützpunkte und Raketenbasen in Westdeutschland sind bei einem ernsten Ost-West-Konflikt die ersten Angriffsziele der nicht zu unterschätzenden russischen Militärmacht. Deshalb kann das deutsche Volk seine notwendige Wiedervereinigung und Neutralität mit einem unbestreitbaren Recht fordern“. ABENDPOST, Chicago
Keine echte Autonomie
„Wohl besitzt Südtirol eine Autonomie; aber es ist keine echte. Denn die Verbindung mit Trient und die Unterwanderung durch die Italiener bedrohen das Volkstum. Die Tiroler selbst hoffen auf die europäische Zusammenarbeit, glauben, dass die öffentliche Meinung der Welt ihnen helfen werde. Aber diese Hoffnung ist gering. Die Hilfestellung Österreichs ist zaghaft, der Europarat in Straßburg hält sich zurück. Deutschland ist anscheinend durch seine Rücksicht auf Italien gehemmt, fürchtet, dass jeder Vorstoß der Bundesrepublik zugunsten Südtirols von den Italienern als eine neofaschistische Geste ausgelegt wird. Aber wenn die Regierungen aus politischen Gründen glauben Rücksicht nehmen zu müssen, die öffentliche Meinung Europas, insbesondere Deutschlands, darf zu diesem offenbaren Unrecht nicht Schweigen“. SCHLESWIG-HOLSTEIN, Flensburg
Seite 2 Professor Toynbee über das Recht auf Heimat
In der in New York erscheinenden Halbmonatsschrift „Jewish Newsletter" befasst sich der britische Historiker Professor Arnold J. Toynbee u. a. mit dem Recht einer vertriebenen Bevölkerung auf die angestammte Heimat und führt hierzu aus: „Als erstes gilt es, Gerechtigkeit zu üben: Menschen verlieren nicht dadurch ihr Recht auf ihre Heimstätten, ihr Land und ihr Eigentum, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder aus eigenem Entschluss aus ihr flüchteten, weil ihre Heimat zur Kriegszone wurde“.
Seite 3 Sowjet-Festung Nordostpreußen. Ein Überblick über Stützpunkte und Waffengattungen.
Das nördliche unter sowjetischer Verwaltung stehende Ostpreußen ist nach dem Kriege systematisch vom Kreml zu einer gewaltigen Festung ausgebaut worden, in der alle Waffengattungen vertreten sind. Marine-, Heeres-, Luft-, Panzer- und Atomkriegstruppen sind dort massiert eingesetzt und werden einer ständigen Modernisierung bzw. Ausbildung unterzogen.
Die von Nordostpreußen ausgehende Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die skandinavischen Staaten, sondern auch gegen Polen. Moskau hat gerade gegenüber Warschau in diesem deutschen Gebiet eine Basis in die Hand bekommen, die es gestattet, jederzeit wichtigste Bezirke des polnischen Machtbereichs unter Druck zu setzen oder zu erreichen. Die polnischen Wirtschaftszentren in der Danziger Bucht sind über See oder zu Lande in wenigen Stunden zu besetzen, und die Hauptstadt Warschau ist von der sowjetisch-polnischen Demarkationslinie in Ostpreußen nicht einmal zweihundert und fünfzig Kilometer entfernt. Außerdem ist das nordöstliche Polen mit Ostpreußen durch diesen Stützpunkt einer permanenten Flankenbedrohung ausgesetzt.
Der russische Militärkoloss hat somit in Nordostpreußen eine ideale Position zur Verfügung bekommen. Es ist daher kein Wunder, dass der Kreml die Zivilverwaltung dieses Gebietes sehr gegenüber den militärischen Interessen benachteiligt. An der Landgrenze zum polnischen Machtbereich in Ostpreußen haben die Russen kilometertiefe tote Zonen geschaffen, in denen sich ausschließlich militärische Ausbildungslager und Grenztruppen befinden. Weiter gibt es überall im Land Garnisonen, Übungsgebiete sowie eine Unzahl von Stützpunkten aller Art.
Die Luftwaffe
Für die russische Luftwaffe stellt Nordostpreußen eine äußerst wichtige Basis dar, wenn sie ihren Angriffsaufgaben gerecht werden soll. Als eine Art Flugzeugträger zu Lande fungiert dabei das in die Ostsee vorgeschobene Samland. Vom Küstenpunkt Brüsterort vor die Tore Königsbergs ziehen sich viele Flugplätze hin. Ihre Startbahnen wurden in den letzten Jahren dafür hergerichtet, um auch von Atombombern benutzt werden zu können. Spezialbaufirmen aus der Sowjetunion rückten hier mit eingespielten Facharbeiter-Brigaden an, die die Anlage neuer und die Vergrößerung bestehender Flugplätze vornahmen. Bomber- und Jägerhorste lösen einander ab. Im Pobethener Waldgebiet wurden lange Schneisen geschlagen und dann betoniert. Dort sollen Düsenjäger aus der Tarnung des Waldes heraus starten können. Die Baukommandos färbten sogar ihren Zement und das Beton grün, damit die Startbahnen schlechter auszumachen sind. Ist vieles auch primitiv angelegt, so erfüllt es doch für die militärischen Bedürfnisse der Sowjets seinen Zweck. Es gibt im Samland auch eine Reihe von Flugstützpunkten, auf denen sich nicht eine einzige Maschine befindet. Diese Plätze werden streng bewacht. Sie wurden für den Ernstfall auf „Vorrat" angelegt. Erst nach und nach stattet man sie mit den noch fehlenden technischen Einrichtungen aus.
In letzter Zeit gingen die Sowjets dazu über, ihre Marine- und Aufklärungsstaffeln in Nordostpreußen ganz beträchtlich zu erweitern. Im Kurischen Haff zwischen Pusterort und dem Ostseebad Cranz wassern immer öfters Flugzeuge der Kriegsmarine. Einige Staffeln sind mit Torpedos ausgerüstet und veranstalten vor Sarkau Übungsangriffe auf provisorische Ziele. Die ausgebildeten Einheiten werden im Memelland sowie auf Seefliegerhorsten an der Frischen Nehrung stationiert. In zunehmendem Maße können Fischer in der mittleren Ostsee auch kombinierte Übungen zwischen schwimmenden Einheiten und den Marinestaffeln beobachten. Den Seefliegern unterstehen auch Fesselballone, die zum Schutz von Kriegshäfen wie Pillau oder Memel eingesetzt werden sollen. Sie sollen die Häfen vor tief fliegenden Jagdbombern mit A-Bomben schützen. Es ist nämlich erwiesen, dass die Radargeräte tief anfliegende Maschinen nur selten erfassen.
Die Aufklärungsstaffeln findet man außer im Samland auch südlich der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg sowie an der sowjetisch-polnischen Demarkationslinie. Es ist im Übrigen sehr bezeichnend, dass die Polen nicht im geringsten reagieren, wenn sowjetische Flugzeuge ständig die Grenze verletzen und in das polnisch verwaltete Ostpreußen einfliegen. Die Grenzüberwachung aus der Luft spielt sich weitgehend über polnischem Machtbereich ab.
Raketen und Atomwaffen
Auf den Truppenübungsplätzen in Nordostpreußen — so bei Insterburg, Labiau und Schloßberg — drillen die Russen ihre Truppen schon seit Jahren auf die Atomkriegsführung. Auf dem Schloßberger Artillerieübungsplatz beispielsweise werden schwere Batterien mit dem Verschießen von Atomgranaten vertraut gemacht. Gleichzeitig zieht man dazu Infanterie- und Panzerstreitkräfte heran, die das gefechtsmäßige Verhalten bei der modernen Kriegsführung lernen sollen. Auch Werferbatterien gibt es, die die Sowjets auf Atommunition umgestellt haben.
Wie für die Luftwaffe ist natürlich das nördliche Ostpreußen für das Moskauer Oberkommando ein vorzüglicher Stützpunkt zur Einrichtung von Raketenwaffen. Man muss bei diesen Stützpunkten zwei Arten unterscheiden. Die eine befindet sich in Küstennähe, während die andere weiter im Landesinneren angelegt wird. Die Russen beschränken sich bei den Raketenwaffen auf reine Angriffsstützpunkte. So fehlen zum Beispiel um Königsberg jegliche Verteidigungsraketen wie sie in westlichen Städten um Großstädte und Industriezentren angelegt werden. Abwehrwaffen für Flugzeuge und Raketen legen die Sowjets nur an, wo sie ihre Stützpunkte schützen wollen. Der für die sowjetische Ostseeflotte äußerst wichtige Kriegshafen Pillau verfügt daher über solche modernen Verteidigungsanlagen.
Die an der Küste angelegten Raketenabschussrampen scheinen auf Skandinavien und die Ostsee berechnet zu sein. Sie stellen die Fortsetzung einer gleichgearteten Raketenfront vom Eingang des Finnischen Meerbusens über Estland, Lettland und Litauen bis zum Gebiet um Memel dar. Die weiter im Land befindlichen Raketenbasen können dagegen gegen Westeuropa zum Einsatz kommen. So jedenfalls argumentieren Militärsachverständige in den anderen Ostseestaaten. Erwiesen ist jedenfalls, dass der Kreml seit Jahren ununterbrochen an dem Ausbau und der Vergrößerung dieser modernsten Stützpunkte arbeitet. Dazu werden auch Truppen herangezogen, die zeitweise als Arbeitsbataillone eingesetzt werden. Im Gebiet des Samlandes wurden außer in den Orten Mollehnen und Pobethen solche Basen in Kalten, Germau-Sorgenau und Nesselbeck-Samitten eingerichtet, bzw. sind sie dort im Bau.
Da die Russen bereits auf diesem versiert sind, ist nicht die Anlage der Rampen selbst und die Installation der Raketen eine Schwierigkeit für sie, sondern hauptsächlich die Erstellung der technischen Gehirne, Leitstellen usw. Alle diese Anlagen werden wiederum von spezialisierten Trupps aus der UdSSR, die nach Königsberg geflogen werden, erstellt. Es punkte und ihre technischen Anlagen zu den punkte und ihr technischen Anlagen zu den am schwersten bewachten Bezirken Ostpreußens gehören (den Satz habe ich nicht verstanden). Man hat sogar die Umgebung der jeweiligen Objekte zu Sperrgebieten gemacht und die einzelnen Anlagen selbst mit dichten Postenketten, elektrisch geladenen Hindernissen, Minenfeldern usw. gesichert. Es wird sogar berichtet, dass über den verschiedenen Basen Flugzeuge oder Ballone zur Überwachung eingesetzt sind.
Von Spezialeinheiten werden ferner alle unterirdischen Anlagen, die für die Raketenwaffen notwendig sind, angelegt. Die Leitstellen, Kommandostützpunkte usw. sind zum großen Teil unter der Erde verschwunden. Nur die Radareinrichtungen sind überirdisch. In weiten Teilen des Samlandes wühlen sich die Sowjets regelrecht in die Erde, um ihre schrecklichsten Waffen vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Es versteht sich, dass die sowjetische Geheimpolizei mit dem militärischen Abwehrdienst die wahren Herrscher dieser Gebiete sind und ihre ganze Macht einsetzen, um alle mit Raketen zusammenhängenden Basen zu tarnen und ihr Vorhandensein abzuleugnen.
Dennoch weiß jeder Sowjetbürger, was im nördlichen Ostpreußen gespielt wird. Jeder kennt die Sondertruppen, deren Angehörige kaum Ausgang erhalten, dafür aber in ihren Garnisonen über Freizügigkeiten aller Arten (komfortable Kasinos sogar für untere Dienstgrade) verfügen. Auch die Königsberger Verwaltung ist sich darüber im Klaren, dass die zivilen Verhältnisse sich kaum unter diesen Umständen verbessern lassen. Das Leben auf dem Lande, in der Wirtschaft, in der Fischerei und in der Industrie ist weitgehend von den militärischen Erfordernissen abhängig und wird dadurch immer aufs Neue benachteiligt. Ostpreußen als Raketenstützpunkt steht nicht zuletzt deswegen noch immer unter einem Sonderstatus, den die Kommunal- und Provinzialverwaltung auch bei den kleinsten Vorhaben berücksichtigen muss. Städte wie Pillau, Tapiau, Wehlau, Schloßberg, Zinten oder Labiau um nur einige von vielen zu nennen — stehen bereits außerhalb der Zivilbehörden und werden in allem von den Stadtkommandanten verwaltet. Die Tendenz geht dahin, in solchen Städten nur Menschen Wohnrecht zu gewähren, die direkt oder indirekt als Arbeiter für die Garnison und deren Einrichtung benötigt werden.
Die Marine
Nordostpreußen ist für die sowjetische Kriegsmarine der am Weitesten nach Westen vorgeschobene Flottenstützpunkt auf „eigenem“ Territorium. Infolgedessen erhielt der Kriegshafen von Pillau eine ungeheuer große Bedeutung. Seit dem Kriegsende haben die Sowjets dort Millionen von Rubel verbaut und gewaltige neue Anlagen geschaffen. Moskaus Baltische Flotte kann heute praktisch jedes Kriegsschiff — gleich welcher Größe — in Pillau anlaufen, dort neu versorgen oder reparieren lassen. In der Stadt leben seit Jahren Leningrader Marinespezialisten, die den Um- und Ausbau leiten und noch immer weiterführen. Es ist ja kennzeichnend für die militärische Planung der Sowjets, dass sie sich nie mit einem erreichten Ergebnis zufrieden gibt, sondern die Ansprüche immer höher schraubt.
Ferner macht sich die Kriegsmarine auch in Königsberg bemerkbar, wo sie den Hafen bzw. die Werfteinrichtungen für ihre Zwecke beansprucht. Doch das Schwergewicht liegt nach wie vor auf Pillau. Die Königsberger Industrie wird jetzt sogar dazu eingesetzt, um Reparaturteile anzufertigen, die nach Pillau transportiert und dort auf den beschädigten oder überholungsbedürftigen Schiffen montiert werden. Ziel der sowjetischen Marinekriegsleitung ist es, Pillau mit Königsberger Einrichtungen zu einem schnellen Hafen zu machen, was die Abfertigung, Ausrüstung und Reparaturen von Kriegsschiffen betrifft. Dem gegenüber tritt Memel weit zurück.
Zur Entlastung dieser Marinezentrale bemüht man sich neuerdings auch darum, längs der Samland- und Nehrungs-Küste Häfen für die kleinen Einheiten anzulegen. Vorposten-, Schnell-, Minensuch- und Küstenwachboote sollen in diesen Häfen stationiert werden, damit Pillau für die großen Einheiten reserviert werden kann. Allerdings ist die Anlage neuer oder der Ausbau aus früherer Zeit bestehender Häfen nicht leicht. Die Russen haben damit bisher große Schwierigkeiten gehabt, weil die Planung nicht genügend Arbeitskräfte dafür zur Verfügung gestellt hat.
Dringlicher erschien es nämlich der Marineführung, für die Flottenführung wichtige technische Einrichtungen und Kommandostellen aus Pillau zu verlegen. Radar- und Funkeinrichtungen sind in einzelnen Fällen schon auf die Frische Nehrung und ebenfalls ins Samland verlagert worden. So befinden sich beispielsweise in Fischhausen nicht nur derartige technische Stäbe der Raketenwaffen-Truppen, sondern auch solche der Kriegsmarine. Es scheint sich dabei um eine militärische Dezentralisierung zu handeln, die dann vorgenommen wird, wenn Kampfführung und Einheiten nicht unbedingt an einem Ort vereint zu sein brauchen.
Alles in allem stellt Nordostpreußen heute die gewaltigste Militärbasis in ganz Europa dar! Das gesamte Land ist in eine Festung verwandelt worden, in der alle Heeresteile massiert stationiert und ausgebildet werden. Außer den Stammtruppen und Spezialeinheiten werden Teile dieser Truppen immer wieder ausgewechselt. So wurde das nördliche Ostpreußen auch zu einem riesigen Truppenübungsplatz. Von Verteidigung redet man dort allerdings nicht — in Nordostpreußen ist die Angriffstaktik die beherrschende Devise!
Seite 3 Kurzberichte aus der Heimat
Bernstein-Schmuck wird von den Sowjets in letzter Zeit als Exportartikel angeboten. Besonders in afrikanisch-arabischen Staaten.
In der „Wolfsschanze", dem ehemaligen Hauptquartier Hitlers in Ostpreußen, ist mit dem Bau einer Fabrik begonnen worden, die das Ermland und Masuren mit Baumaterialien versorgen soll.
Im Kreis Lötzen wurden durch ein Unwetter vier Wirtschaftsgebäude vernichtet und sechs Wohnhäuser beschädigt. Zwei Personen wurden verletzt.
Auf den Namen „Monte Cassino" soll ein 5000-Tonnen-Dampfer getauft werden, der im Oktober in Dienst gestellt werden soll.
Das Geburtshaus von Johann Gottfried Herder in Mohrungen ist, nach neuesten Berichten, nicht zerstört worden. Polnische Behörden haben jedoch verfügt, dass die Erinnerungstafel am Haus entfernt wurde.
Ein Touristenzentrum soll in Nikolaiken errichtet werden. Geplant ist der Bau von Camping-Häusern, die 500 Personen Unterkunft gewähren können.
Die Volkshochschule in Angerburg musste ihre Tätigkeit einstellen, da die Bevölkerung an den Vorlesungen kein Interesse zeigt.
Die Neidenburger Ärzte sind gezwungen, ihre Patienten in ruinenartigen Räumen, die nicht heizbar sind, zu behandeln. Ein Gesundheitsamt ist erst im Fünfjahrplan 1960/1965 vorgesehen.
In Elbing soll die Produktion von Elektroturbinen aufgenommen werden.
In der Wojewodschaft Allenstein wurden bis zum 30. Juni dieses Jahres 87 Staatsgüter aufgelöst, da sie bisher Zuschussbetriebe waren und finanzielle Mittel nicht mehr zur Verfügung standen.
Eine vormilitärische Einheit zur Wehrertüchtigung der Jugend ist in Liebstadt bei Mohrungen aufgestellt worden.
440 straffällige Betrunkene hat die Miliz in Neidenburg im vergangenen Jahr verhaften müssen. 97 von ihnen wurden gerichtlich abgeurteilt.
Ohne ärztliche Betreuung sind die 4000 Einwohner von Dengfurth. Es gibt weder einen Arzt noch einen Tierarzt. Der nächste Arzt wohnt im etwa 20 Kilometer entfernten Rastenburg.
Die Burgruine von Angerburg verfällt zusehends. Verhandlungen über die Finanzierung der notwendigen Instandsetzungsarbeiten blieben seit Jahren ohne Erfolg.
Seite 3 Ostpreußen voller Schädlinge. Wälder, Getreide und Kartoffeln aufs schwerste bedroht.
Das „Amt für Schädlingsbekämpfung" der Allensteiner Woiwodschaftsregierung hat die Bauern, Gutsarbeiter, Förster und Waldarbeiter aufgerufen, gegen die das südliche Ostpreußen bedrohenden Schädlinge aller Art einzuschreiten. Erst jetzt, wo es zu spät ist, ist diese Behörde durch die alarmierenden Nachrichten aus den Landkreisen aufgeschreckt worden. Als gänzlich vernichtet gilt bereits das Allensteiner Hopfengebiet, wo große Flächen weiblicher Fruchtstände des Hopfens von dem Pilz des Hopfenmehltaus befallen sind. Überall sieht man jetzt auf den Feldern die beuelartig aufgetriebenen Blätter, die auf einen großen Schaden hinweisen.
Gleichmäßig über das polnisch verwaltete Ostpreußen ist der Kartoffelkäfer verbreitet, der in diesem Jahr stärker als früher auftritt. Nur einzelne Gebiete, in denen die Bauern umfassende Abwehrmaßnahmen früh genug getroffen haben, sind verschont geblieben. Die schwarz-gelben Käfer treten sonst allerorts in solchen Massen auf, dass die Landwirtschaft um die Ernte bangt. Untersuchungen haben ergeben, dass durch den Blattfraß der Käfer die Pflanzen auf unzähligen Feldern abgestorben sind. Die Bekämpfung war bisher so mangelhaft, dass die Fachleute ein weiteres Vordringen des Schädlings im Kreise feststellen konnten, die bislang gar nicht oder nur wenig betroffen worden waren.
Auch die Getreidefelder werden in diesem Jahr nicht verschont. Blumenfliege und Stockälchen treten gleichermaßen auf. Schlimmer aber wirken sich noch die Roggenkrankheiten aus! Weitverbreitet ist unter anderem der Pilz des Schneeschimmels, der hauptsächlich den staatlichen Gütern große Sorgen macht. Am meisten ausgedehnt haben sich die Rostkrankheiten. Aus dem Goldaper Gebiet wird der Befall der Gerste mit Braunrost gemeldet. Die Roggenanbaubezirke leiden vor allem unter dem Schwarzrost, der zu einem erheblichen Ertragsausfall führen wird. Sogar Obstkulturen und Zuckerrüben sind von Rostpilzen befallen.
Traurig sieht es auch in den ostpreußischen Wäldern aus! In den weiten masurischen Waldgebieten treibt die Kieferneule ihr Unwesen. Die Raupen dieses kleinen Schmetterlings haben im Johannisburger Forstbezirk zum Absterben ganzer Wälder beigetragen, weil sie alle Nadeln abgefressen haben. Vergeblich hatten die Forstleute vom „Amt für Schädlingsbekämpfung" die Lieferung von chemischen Präparaten verlangt. Hätte man rechtzeitig DDT oder artverwandte Mittel bereitgestellt, wären alle diese Wälder zu retten gewesen. Auch die Kiefernspanner und Spinner treten in stärkerem Maße als im Vorjahr auf.
In Allenstein will man nun die Schädlingsbekämpfung so weit wie möglich nachholen. In Danziger Lagerhäusern entdeckte man dabei Bekämpfungsmittel, die dort seit dem Frühjahr lagern (!?) und nun eingesetzt werden sollen. Bei den Abwehrmaßnahmen werden Soldaten und Flugzeuge eingesetzt. Die ganze Aktion beginnt jedoch viel zu spät, so dass mit großen Verlusten bei der Ernte und im Wald gerechnet werden muss.
Seite 3 Zeichnung: Nidden — Dorf zwischen Ostsee und Haff!
Wo im nördlichsten Ostpreußen die 98 km lange Landzunge Ostsee und Kurisches Haff voneinander trennt, wo bis zu 60 m hohe Flugsand-Wanderdünen, Krüppelkiefern und birkenumsäumte kleine Moore dem Elch Unterschlupf und Nahrung boten - dort liegt das Fischerdorf Nidden; berühmt geworden während der letztvergangenen 50 Jahre durch den Malerpinselnamhafter Meister. „Es ist eine Landschaft so merkwürdig, dass man sie ebenso gut wie Italien und Spanien gesehen haben muss, soll einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen", urteilte vor fast 150 Jahren der Weltreisende Alexander von Humbold über den Charakter des nördlichsten Ostpreußens.
Heute liegen Nidden und die Kurische Nehrung als die kleinste Insel im fernen Pazifik. Die Sowjetrussen haben die schmale Nehrung in ihr Befestigungsprogramm einbezogen, und Deutsche leben in den bekannteren Nehrungsdörfern – wenn überhaupt! – nur noch vereinzelt. Das gilt für Rossitten, wie für Pilkoppen und Nidden. Die Verwendung dieser einmaligen Landschaft für Befestigungszwecke hat es bewirkt, dass bestimmte Teilgebiete gegen jeden Verkehr völlig abgeriegelt worden sind. Bekannt wurde lediglich, dass der 1945 zerstörte Leuchtturm von Nidden wieder aufgebaut wurde. Soweit Nehrungsfischer Erlaubnis zum Fang auf der Ostsee haben, stehen ihre Boote unter ständiger militärischer Bewachung, die etwaige Fluchtpläne vereiteln soll. In den Dörfern wurden überwiegend Litauer angesiedelt.
Seite 4 14000 Kinder suchen noch ihre Eltern
Bei den sich überstürzenden Meldungen der großen Weltpolitik geht so manche Nachricht unter, die von dem Leid berichtet, das eben diese Weltpolitik einmal angerichtet hat. Dreizehn Jahre nach Kriegsende suchen in Deutschland noch immer 14 000 Kinder ihre Eltern. Auf der Flucht, bei Vertreibung und Evakuierung, in Bombennächten verloren diese Kinder ihre Angehörigen, sie leben heute in Waisenhäusern, bei Pflegeeltern und in Kinderheimen — aber immer noch hegen sie die Hoffnung, in das eigene Elternhaus zurückkehren zu können. Wer hilft ihnen dabei?
Das Deutsche Rote Kreuz konnte durch seinen Kindersuchdienst schon 100 000 Kinder wieder mit ihren Angehörigen vereinen. Aber naturgemäß wird die Tätigkeit des DRK von Jahr zu Jahr schwieriger; die Kinder wachsen heran, ihre Erinnerung an die Vergangenheit wird schwächer und die Nachforschung nach dreizehn Jahren komplizierter. Trotzdem können monatlich immer noch 350 Erfolge gemeldet werden. Da ein Teil der Kinder und auch der suchenden Eltern (12 000 Suchanträge von Angehörigen liegen vor) in der Sowjetzone beheimatet ist, ist das DRK auf die Hilfe des Roten Kreuzes der Zone angewiesen. Es ist erfreulich, in einer Zeit sich ständig vertiefender Spaltung berichten zu können, dass die Zusammenarbeit zwischen hüben und drüben auf diesem menschlich so wichtigen Gebiet gut funktioniert. Die beiden deutschen Rot-Kreuz-Gesellschaften brachten gemeinsam zwei Kinderbildhefte in 50 000 Exemplaren heraus, die bei allen Rotkreuzstellen, den freien und kirchlichen Wohlfahrtsverbänden, bei Jugendämtern und Flüchtlingslagern ausgelegt wurden. Diese gemeinschaftliche Aktion brachte gute Erfolge — ein Zeichen für die Unerlässlichkeit und Bedeutung solcher „technischen" Kontakte nach drüben.
Immer noch aber gibt es Eltern, die bisher keinen Suchantrag stellten oder stellen konnten. Meist handelt es sich um Umsiedler aus den polnisch besetzten Ostgebieten. Sie gilt es unmittelbar nach der Heimkehr mit den Möglichkeiten des Suchdienstes bekanntzumachen, was meist schon im Umsiedlerlager geschieht. Umgekehrt bringen diese Menschen vielfältige Nachricht über gesuchte Kinder und Eltern mit, die noch jenseits von Oder und Neiße leben.
Die schwierigen Bedingungen einer Suche unter den heutigen Verhältnissen haben das DRK zu einer neuartigen Aktion veranlasst: In den neuen Suchplakaten werden nicht nur Bilder des suchenden Kindes aus der Zeit der Auffindung, sondern auch solche aus der Gegenwart veröffentlicht. Das Rote Kreuz rechnet damit, dass im Laufe der Zeit die Familienähnlichkeit stärker hervortritt und von den Eltern leichter erkannt wird. Es ist zu hoffen, dass über diese solide gesamtdeutsche Brücke des Deutschen Roten Kreuzes auch die letzten Kinder in das Elternhaus zurückgeführt werden können.
Seite 4 Kostenlose Krankenhilfe für Besucher aus der Heimat. Neue Bestimmungen bringen wesentliche Erleichterungen für Verwandtenbesuche.
Die Möglichkeit der Bewilligung von kostenloser Krankenhilfe für Besucher aus der sowjetischen Besatzungszone bestand bereits seit längerer Zeit. Nunmehr wurden auch die Besucher aus den Vertreibungsgebieten östlich und südöstlich der Bundesrepublik mit in den Kreis der Berechtigten einbezogen.
Es kann nun Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit, die ihren ständigen Wohnsitz in der sowjetisch besetzten Zone, in Ostberlin oder in den ost- und südosteuropäischen Vertreibungsgebieten haben und sich besuchsweise im Bundesgebiet oder in Westberlin aufhalten, Krankenhilfe gewährt werden, wenn sie während dieses Aufenthaltes erkrankt sind. Von der Krankenhilfe ausgeschlossen sind selbstverständlich Geschäftsreisende, Mitglieder von Delegationen und Personen, die im Auftrage von Partei-, Staats- oder sonstigen politischen Stellen der Sowjetzone bzw. Ostberlins oder der Ostblockstaaten die Bundesrepublik besuchen.
Die Krankenhilfe wird von den Fürsorgeämtern der Stadt- und Landkreise gewährt. Diese erhalten ihre Aufwendungen über die zuständige Regierung wieder vom Bund erstattet. Diese Krankenhilfe darf aber nur gewährt werden, wenn der Besucher glaubhaft macht, die durch seine Krankheit entstandenen Kosten nicht selbst bestreiten zu können. Dabei sind aber nur Einkünfte und Vermögen zu berücksichtigen, die dem Besucher im Bundesgebiet oder in Westberlin zur Verfügung stehen und deren sofortige Verwertung auch zumutbar ist. Der Besucher hat außerdem glaubhaft zu machen, dass Unterhaltspflichtige in der Bundesrepublik oder Westberlin nicht in der Lage sind, diese Kosten ohne Beeinträchtigung ihres standesgemäßen Lebensunterhalts zu übernehmen. Schließlich hat der Besucher noch zu versichern, dass er die Kosten auch nicht von anderen erhält. Im Rahmen dieser Krankenhilfe werden gewährt:
1. Behandlung durch Ärzte, Fachärzte und Zahnärzte;
2. Versorgung mit Arznei-, Heil- und Stärkungsmitteln auf Grund ärztlicher Verordnung;
3. Operationen und andere Behandlungen auf Grund ärztlicher Verordnung;
4. Unterbringung in Krankenhäusern und sonstigen der Heilung dienenden Anstalten
und Heimen, wenn die Unterbringung ärztlich angeordnet ist;
5. Ausnahmsweise auch die Kosten des Rücktransports im Krankenwagen oder in der 1. Wagenklasse der Bundesbahn.
Für die Gastgeber in der Bundesrepublik bringen diese Richtlinien damit eine wesentliche Erleichterung. Sie brauchen künftig, wenn sie nicht gerade als wohlhabend zu bezeichnen sind, nicht mehr für die Kosten der Krankenhilfe ihrer Besucher aus der sowjetischen Besatzungszone, aus Ostberlin und den Vertreibungsgebieten östlich und südöstlich der Bundesrepublik aufzukommen.
Seite 4 Deutsche Staatsangehörigkeit bleibt erhalten. Stellungnahme des Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen.
In den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten werden neue Personalausweise ausgegeben. Es handelt sich um Personalausweise, in denen die Staatsangehörigkeit als polnisch angegeben wird.
Auf eine Anfrage des Verbandes der Landsmannschaften wegen der Staatsangehörigkeit der in den deutschen Ostgebieten noch verbliebenen Deutschen hat das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen u. a. wie folgt Stellung genommen:
Nach deutscher Rechtsauffassung sind die Ostgebiete des Deutschen Reiches innerhalb der Grenzen nach dem Stande am 31. Dezember 1937 Inland geblieben. Dementsprechend sind die Bewohner dieser Gebiete, soweit sie bei Kriegsende deutsche Staatsangehörige waren, sowie deren Ehefrauen und Abkömmlinge, auch nach der vorläufigen Überlassung der Verwaltung von Teilen der Ostgebiete des Deutschen Reiches an Polen deutsche Staatsangehörige geblieben. Auch die erzwungene oder vorgeblich freiwillige Annahme der polnischen Staatsangehörigkeit oder polnischer Papiere ändert daran nichts. Das gleiche gilt für die Ausfüllung des von der Botschaft der sogenannten „DDR" in Warschau den Deutschen in den Ostgebieten vorgelegten Fragebogens sowie für die Annahme von „DDR"-Pässen oder sonstigen „DDR"-Papieren.
Aus den dargelegten Gründen braucht sich auch kein deutscher Staatsangehöriger in den Ostgebieten etwa beim Deutschen Roten Kreuz registrieren zu lassen, um seine deutsche Staatsangehörigkeit aufrecht zu erhalten. Deutsche Staatsangehörige in den Ostgebieten, die auf einen formellen Nachweis dieser unverändert beibehaltenen deutschen Staatsangehörigkeit besonderen Wert legen, könnten darauf hingewiesen werden, dass die Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Herrn Bundesministers des Innern, Köln, Ludwigstraße 2, auf Antrag entsprechende Staatsangehörigkeitsurkunden zu diesem Nachweis ausstellt.
Betroffenen wäre ggf. anheimzustellen, von dieser Möglichkeit, falls sie es für sachdienlich und erforderlich halten, Gebrauch zu machen. Da dieses Verfahren keine Kenntnisnahme polnischer Behörden erfordert, hat es nichts mit einer Aussiedlung oder Rückführung im Rahmen des Abkommens der Rot-Kreuz-Gesellschaften zur Familienzusammenführung zu tun.
Seite 4 Hausratshilfe bis 1960
Die Hausratshilfe nach dem Lastenausgleich soll nach Möglichkeit bis Ende 1960 voll ausbezahlt werden, kündigte Bundesflüchtlingsminister Oberländer vor der Presse in Bonn an. Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Maßnahme ist die 300-Millionen-Mark Lastenausgleichsanleihe, die jetzt aufgelegt wird.
Seite 4 Bayern baut neue Flüchtlingslager
Das Land Bayern wird bis Ende dieses Jahres mit einem Kostenaufwand von rund fünf Millionen Mark vier neue Flüchtlingslager bauen und sieben schon bestehende, aber nicht mehr belegte Lager wieder in Betrieb nehmen, um die nach Bayern kommenden Sowjetzonenflüchtlinge und Spätaussiedler unterbringen zu können. Arbeitsminister Stain sagte, dies sei notwendig, da der Bundestag die Aufnahmequote für Bayern von 16 000 auf 35 000 erhöht habe.
Seite 4 Neue Personengruppen erhalten Vertriebenen-Ausweise
Fünf neue Vertriebenengruppen können ab sofort die Vertriebenenausweise „A" und ,B" beantragen:
1. Aussiedler aus den Ostblockstaaten und aus Jugoslawien;
2. rückgeführte Vertriebene aus dem westlichen Ausland;
3. Vertriebene unter den Zuwanderern und Flüchtlingen aus der Sowjetzone und Ostberlin;
4. Vertriebene, die das 16. Lebensjahr erreicht haben und
5. Neugeborene von Vertriebeneneltern, die in deren Ausweise eingetragen werden können.
Seite 4 Geld in die Oder-Neiße-Gebiete
Nach einem Abkommen zwischen der Deutschen Bundespost und der Postverwaltung Polens ist ab 1. Juli 1958 folgende Regelung zur Übernahme von Geld nach „Polen", wie es in dem Abkommen heißt, getroffen worden:
1. Zulässig sind Postanweisungen bis zum Betrage von 400,-- DM. Es können an Einzelpersonen gleichzeitig mehrere Anweisungen aufgegeben werden. U. U. bleibt dann ratenweise Auszahlung an den Empfänger vorbehalten.
2. Zahlungen zur Begleichung von Kleineinfuhren des Buchhandels und des graphischen Gewerbes sind nicht zugelassen.
3. Der Umrechnungskurs ist 100,-- DM 565,75 Zloty bzw. 565,75 Zloty = 100,-- DM.
4. Postanweisungsgebühr beträgt bis 20,-- DM 40 Pfg., für jede weiteren 20,-- DM 10 Pfg. mehr. Für die Zustellung erhebt die polnische Post 0,65 Zloty vom Empfänger.
Seite 4 Kriegsgefangenen-Entschädigung
Die Kriegsgefangenschaft ist erst dann als beendet anzusehen, wenn der Betroffene in die Bundesrepublik zurückgekehrt oder den Einwohnern seines Gewahrsamlandes gleichgestellt worden ist.
Mit dieser Entscheidung verurteilte das Bezirksverwaltungsgericht in Neustadt das Landratsamt Rockenhausen zur Zahlung von rd. 1700 Mark als Kriegsgefangenenentschädigung an einen aus dem Banat stammenden Baufacharbeiter für die Zeit vom März 1949 bis Mai 1951.
Der Arbeiter, der als Volksdeutscher in der Wehrmacht gedient hatte, war 1945 in Jugoslawien in Kriegsgefangenschaft geraten und hatte im März 1949 einen Entlassungsschein erhalten. Trotzdem musste er weiterhin in dem Lager bleiben und arbeiten. Erst im Mai 1951 wurde diese Art der Freiheitsbeschränkung aufgehoben und der Arbeiter konnte in die Bundesrepublik einwandern.
Das Landratsamt Rockenhausen hatte dem Arbeiter nur eine Kriegsgefangenenentschädigung von Juni 1945 bis März 1949 zugesprochen. Eine Entschädigung bis Mai 1951 lehnte es ab, weil nach seiner jetzt vom Gericht korrigierten Ansicht die Kriegsgefangenschaft mit der Aushändigung des Entlassungsscheines beendet worden sei.
Seite 4 Ostdeutsches Ortsverzeichnis
Im Post- und Ortsbuchverlag Friedrich Müller, Wuppertal-Barmen 10, erschien eine Neuauflage des vergriffenen „Verzeichnis der jenseits der Oder-Neiße gelegenen, unter fremder Verwaltung stehenden Ortschaften". Das Verzeichnis wurde in wesentlich erweiterter Form neu aufgelegt. Es wurden bisher nicht angeführte Ortschaften sowie Orte die in den unter sowjetischer Verwaltung stehenden Gebieten liegen, aufgenommen. Überdies wurde eine neue Abteilung hinzugefügt, die fremdsprachig-deutsch, das Auffinden von Ortschaften möglich macht, die derzeit nur unter fremdsprachiger Bezeichnung bekannt sind. Das Verzeichnis umfasst 225 Seiten und ist in Halbleinen gebunden.
Seite 5 Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 9. September 1958.
Die Nachbarn. Eine Parabel von Marie von Ebner-Eschenbach.
Die Blonde und der Braune waren Nachbarn; jeder von ihnen stand an der Spitze eines gutmütigen Hirtenvolkes. Sie tauschten nach Bedarf die Produkte ihrer Ländereien und blieben einander stets hilfreich in Not und Gefahr.
Niemand hätte bestimmen können, welchem von beiden ihr Bündnis mehr Nutzen brachte.
Eines Tages, im Herbste, begab es sich, dass ein heftiger Sturm großen Schaden anrichtete im Walde des Braunen. Viele junge Bäume wurden entwurzelt oder gebrochen, viele alte Bäume verloren mächtige Äste. Der Herr rief seine Knechte; sie sammelten die dürren Reiser und schichteten sie in Bündel. Aus dem frischen Holze aber wurden Stöcke zugehauen. Im Frühjahr sollten sie verwendet werden zu einem neuen Zaune für den Hühnerhof der braunen Herrin.
Nun wollte der Zufall, dass ein Diener des Blonden die Stöcke in die Scheune bringen sah. Ihre Anzahl schien seinen etwas blöden Augen ungeheuer. Von Angst ergriffen lief er heim und sprach zu seinem Gebieter: „Ein Verräter will ich sein, wenn der Nachbar nicht Böses wider uns im Schilde führt!"
Er und andere ängstliche Leute — es waren auch Weise darunter —, schürten so lange das Misstrauen, das sie ihrem Herrn gegen den Freund eingeflößt hatten, bis jener sich entschloss, zu rüsten gegen die vermeintlich Gerüsteten. Eine Scheune voll von Stöcken hatte der Brauner der Blonde wollte drei Scheunen voll von Stöcken haben.
Holzknechte wurden in den Wald geschickt. Was lag ihnen an seiner hohen Kultur? Ihnen tat es nicht leid, einen jungen Baum zu fällen, ihm die aufstrebende Krone abzuhauen und die lichtsuchenden Äste und die Zweige mit den atmenden Blättern. Nach kurzer Zeit war der Wald verwüstet, aber der Blonde hatte viele tausend Stöcke.
Wie es ihm ergangen war, erging es nun seinem ehemaligen Freunde. Die Klugen und die Törichten, die Verwegenen und die Zaghaften im Lande, alle schrien: „Es ist deine Pflicht, Herr, dafür zu sorgen, dass uns der Tag des Kampfes reich an Stöcken finde!"
Und der Braune und der Blonde überboten einander in der Anschaffung von Verteidigungsmitteln, und bedachten nicht, dass sie endlich nichts mehr zu verteidigen hatten als Armut und Elend. Weit und breit war kein Baum zu erblicken, die Felder waren unbebaut; nicht Pflug, noch Egge, noch Spaten gab es mehr, alles war in Stöcke verwandelt. Es kam so weit, dass die größte Menge des Volkes zu Gott betete: „Lass den Kampf ausbrechen, lass den Feind über uns kommen, wir würden leichter zugrunde gehen unter seinen Stöcken als unter den Qualen des Hungers!" —
Der Blonde und der Braune waren alt und müde geworden, und auch sie sehnten sich im Stillen nach dem Tode. Ihre Freude am Leben und Herrschen war abgestorben mit dem Glücke ihrer Untertanen. Und einmal wieder trieb der Zufall sein Spiel. Die beiden Nachbarn stiegen zugleich auf einen Berg, der die Grenze zwischen ihren Besitzungen bildete. Jeder von ihnen dachte: Ich will mein
armes, verwüstetes Reich noch einmal überschauen. Sie kletterten mühsam empor, kamen zugleich auf dem Grate des Berges an, standen plötzlich einander gegenüber und taumelten zurück. … Aber nur einen Augenblick. Ihre abwehrend ausgestreckten Hände sanken herab und ließen die Stöcke fallen, auf welche sie sich gestützt hatten.
Die ein halbes Jahrhundert in Hass verkehrte Liebe trat in ihr altes Recht. Mit schmerzvoller Rührung betrachtete der Freund den Freund aus halb erloschenen Augen. Nicht mehr der Blonde, nicht mehr der Braune! Wie aus einem Munde riefen sie: „O, du Weißer!" und lagen Brust an Brust.
Wer zuerst die Arme ausbreitet, wussten sie ebenso wenig als sie sich besinnen konnten, wer dereinst die ersten Stöcke aufgestellt wider den anderen. Sie begriffen nicht, wie das Misstrauen hatte entstehen können, dem alles zum Opfer gefallen war, was ihr Dasein und das der ihren lebenswert gemacht hatte.
Eines nur stand ihnen fest: die niederdrückende Überzeugung, dass nichts auf Erden ihnen ersetzen konnte, was die Furcht vor dem Verlust ihrer Erdengüter ihnen geraubt hatte.
Seite 5 Der nebenstehende Holzschnitt „Fischerboote vor Nidden" stammt von Karl Schmidt-Rottluff und wurde dem Volksbuch vom deutschen Osten „Es war ein Land" (Bechtle-Verlag, Eßlingen) entnommen.
Seite 5 Deutsche in aller Welt. Landsknecht entdeckte Brasilien. Späte Anerkennung von Hans Staden.
Hans Staden entdeckte für sich im Jahre 1549 das den portugiesischen Königen unterstellte Land des Ordens vom Heiligen Kreuze. Brasilien, inzwischen unabhängige Republik geworden, entdeckte Hans Staden erst 1892 oder besser 1900; denn die von Tristao de Alencar Araripe besorgte erste portugiesische Ausgabe des Reisewerkes Stadens konnte schon wegen der sonderbaren Rechtschreibung des Übersetzers keine nachhaltige Wirkung erzielen.
Für den jungen Deutschen bedeuteten die auf zwei Reisen gewonnenen Eindrücke, die gesammelten Erfahrungen und durchstandenen Abenteuer ein unvergessliches Erlebnis; die Neue Welt wurde Hans Staden zu einer Offenbarung, zu einer Prüfung, die ihm ihren unauslöschlichen Stempel aufdrückte.
Und als um die Jahrhundertwende weite Schichten des brasilianischen Volkes, Gebildete und Ungebildete, Gelehrte und Ungelehrte den Reisebericht dieses deutschen Soldaten erstmals in ihrer Muttersprache vorgelegt bekamen, wurde ihnen das erwartete anspruchslose Abenteuerbuch, der Bericht über, wie man dachte, mehr oder weniger wahre Heldentaten, zu einer Urkunde von einzigartigem Wert, zu einer ursprünglichen, ungemein lebendigen und getreuen Quelle, zu einem Gemälde vom Leben und Treiben der Ureinwohner des Landes, wie es anschaulicher, unmittelbarer, unpathetischer kaum zu denken war. Die Vorstellung eines Hans Staden als biederen, rauen Landsknecht, als einen ungebildeten und ungehobelten Weltenbummlers und erlebnisfrohen Abenteurers verblasste und den erstaunten, überraschten Lesern enthüllte sich ein anderer Staden: der unbestechliche Beobachter, der gewissenhafte Schilderer, der überlegene Geist, der zuverlässige Chronist, der nicht den bombastischen und phantastischen Übertreibungen vieler Abenteurer und Reisender huldigte, sondern sich ehrlich bestrebte, nach Wissen und Gewissen nur der Wahrheit zu dienen.
Brasilien, das so spät Hans Staden für sich erschloss, bemühte sich, die Dankesschuld einzulösen. In 60 Jahren brachte es 14 Auflagen des Buches heraus und weitere sind in Vorbereitung. Eine erstaunliche Tatsache für Brasilien, das kaum einer anderen Übersetzung ähnliche Verbreitung gab und wohl auch, von Schulbüchern abgesehen, recht wenigen Werken nationaler Schriftsteller.
Die deutschsprachigen Bürger Brasiliens haben daher ihrem Kulturinstitut, das die deutsch-portugiesisch-brasilianische Zusammenarbeit pflegt, den Namen Hans Staden gegeben.
Seite 5 Das Hans-Staden-Institut
Das erste Semester 1958 der Sprachkurse des Hans-Staden-Instituts in Sao Paulo hat im April begonnen. Eine erfreulich hohe Anzahl von Anfängern ließ sich einschreiben und auch recht viele der Fortgeschrittenen stellten sich wieder ein, um ihre Kenntnisse in der deutschen oder portugiesischen Sprache, in Grammatik oder auch Kurzschrift zu vertiefen. Im Jahre 1957 erlangten besonders die Kurse für deutsche Sprache, Grammatik, Literatur und Konversation immer stärkere Bedeutung, die nicht nur in Sao Paulo und nicht nur in Brasilien festzustellen ist; überall in der Welt wird der deutschen Sprache gesteigertes Interesse entgegengebracht.
Nachdem das Institut nach einer kriegsbedingten Pause 1950 die Erteilung von Sprachkursen wieder aufgenommen hatte, bemühte es sich, die Grundlagen für eine gesunde Entwicklung zu schaffen. In Dr. Fritz Ackermann gewann es einen Mitarbeiter, der sich in dieser schwierigen Zeit des Neuaufbaues den Kursen als Leiter und Lehrer zur Verfügung stellte und gemeinsam mit den von ihm selbst ausgewählten Lehrern tüchtige Arbeit geleistet hatte. In richtiger Beurteilung der künftigen Entwicklung kamen aber Kursus- und Institutsleitung bald zu der Erkenntnis, dass auf die Dauer eine nebenamtliche Betreuung der Kurse unzureichend sei und der Leitung ein hauptamtlicher, für die Besonderheiten des Unterrichtes für Erwachsene vorgebildeter Mitarbeiter gewonnen werden müsse. Dieser Wunsch fand im April 1957 seine Erfüllung durch die Berufung eines Dozenten des Goethe-Institutes in München, der zunächst dem Leiter der Sprachkurse als Assistent zur Seite stehen und nach einer Zeit der Einarbeitung und des Vertraut-werdens mit den hiesigen Verhältnissen die selbständige Leitung der deutschen Kurse übernehmen sollte. Dr. Rudolf Bertold Eppel hat sein Amt mit viel Einfühlungsvermögen geführt. Mit seiner Berufung trafen die Kurse in einen neuen Abschnitt ihres Ausbaues ein, der u. a. gekennzeichnet wird durch die Errichtung von Außenstellen und die Zusammenarbeit mit bestehenden Kursen an anderen Plätzen des Staates.
Seite 5 Corinth und der Graf
Der Maler Lovis Corinth hatte während einer Reise auf einer kleinen Umsteigestation zwei Stunden Aufenthalt, die er in der Bahnhofswirtschaft verbrachte. Nach ihm kam ein feudaler Herr mit herrischem Benehmen. Den Kellner traf die kurze Anweisung: „Mittagessen. Was haben Sie denn?" — „Wir haben Suppe, Herr Graf, Bouillon mit Mark“. — „Weiter nischt, is ja jräßlichl" — „Dann haben wir Karbonade, Hammelfleisch oder Kalbsbraten“. — „Weiter nischt, is ja jräßlich!“ — „Der Herr Graf können auch Eierspeisen bekommen: Rühreier, Spiegeleier ..." Der Kellner wurde immer davoter, der Gast immer „feudaler" und wieder schnarrte die Antwort: „Weiter nischt, is ja jräßlich!“
Corinth hatte am Nebentisch amüsant zugehört. Als der Herr endlich eine Bestellung gemacht hatte, winkte er den Kellner zu sich und näselte ihn an: „Kellner, was zu trinken. Was haben Sie denn für Bier?" — „Helles in Flaschen, mein Herr!“ — „Weiter nischt, is ja jräßlich!“ Empört sprang der feudale Gast auf und stellte Corinth zur Rede: „Mein Herr, was erlauben Sie sich, mich hier frech zu kopieren? Sie scheinen nicht zu wissen, wen Sie vor sich haben? Ich bin der Graf von Ebenbach-Werdenfels-Punzig!
Corinth blitzte ihn kurz von unten hinauf an: „Weiter nischt, is ja jräßlich!"
Seite 5 Der ehrliche Goethe
Der Schriftsteller W. v. Döring hatte Goethe eines Tages schriftlich gebeten, ihn doch zu empfangen. Goethe entsprach wohl oder übel diesem Wunsch, und Döring begann auf der Stelle mit einem großen Wortschwall dem Dichter seine grenzenlose Bewunderung auszusprechen.
Da erhob sich Goethe mit steifer Reserviertheit und bemerkte kühl: „Ich habe Ihr Buch gelesen; Sie behaupten darin, dass Sie das seltene Talent besäßen, jeden Menschen bereits beim ersten Besuche durch Ihre unwiderstehliche Beredsamkeit für sich zu gewinnen. Damit mir nun das nicht auch zustößt, will ich mich lieber gleich aus der Gefahrenzone entfernen und mich hiermit von Ihnen verabschieden, denn Sie gefallen mir gar nicht!"
Sprach's und verließ gemessenen Schrittes das Zimmer.
Seite 5 Inschriften an Danziger Stadttoren.
Friede Freiheit und Eintracht sind die schönsten Güter, die Städte erstreben sollten.
Gerechtigkeit und Frömigkeit sind die beiden Grundpfeiler jedes Staatswesens.
Seite 5 Sympathien. Von E. M. R.
Zwei Männer saßen in einer Bar. Der eine fragte den andern: „Sind Ihnen die Amerikaner sympathisch??"
„Nein", antwortete der zweite mit Nachdruck.
„Sind Ihnen die Franzosen sympathisch?" wollte der erste weiter wissen. „Nein", entgegnete der andere mit gleicher Entschiedenheit.
„Die Engländer?" „Nein." „Die Russen?" „Nein." „Die Deutschen?" „Nein."
Eine Pause trat ein. Der erste Mann hob sein Glas an den Mund und fragte schließlich:
„Wer ist Ihnen denn sympathisch?"
„Meine Freunde", kam ohne Zögern die Antwort.
Seite 6 Bauernregeln
September’s Anfang mit seinem Regen kommt allezeit dem Bauern gelegen.
Ist Ägidi (1.) ein heller Tag, ich dir schönen Herbst ansag.
Wie der Wind an Ägidi abends geht, so geht er im ganzen Herbst.
Ägidi hält sein Wetter vier Wochen fest.
Tritt im September viel Donner ein, wird der Winter kalt und schneereich sein.
Am Septemberregen ist dem Bauern viel gelegen.
Je größer im September die Ameisenhügel, desto straffer des Winters Zügel.
Tritt Matthäus ein (21.), muss die Saat beendet sein.
Wenn Matthäus weint statt lacht, er aus Trauben Essig macht.
Einer Traube und einer Geiß wird's im September nicht leicht zu heiß.
Fallen die Eicheln vor Michaeli ab, so steigt der Sommer früh ins Grab.
Matthis macht die Trauben süß.
Wenn Michaelis der Wind kalt weht, ein harter Winter zu erwarten steht.
Wenn die Jungvögel nicht ziehen vor Michaeli (29.), wird es nicht Winter vor Weihnachten.
Wenn der September noch donnern kann, so setzen die Bäume viel Blätter an.
Fällt das Laub zu bald, wird der Herbst nicht alt.
Auf Nebel im September folgt ein gutes Jahr.
Seite 6 J. W. v. Goethe
Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde. Vor allem sei es eins in Liebe untereinander. Und immer sei es eins, dass der deutsche Thaler und Groschen im ganzen Reiche gleichen Wert habe. Eins, dass man Reisekoffer durch alle deutschen Lande ungeöffnet passieren könne.
Seite 6 Mein liebster Spielplatz. Erinnerung an die Schichau-Werft in Elbing von Paul Fechter.
Eine Seite der Stadt, und zwar eine der wesentlichsten, kam uns durch unsere Übersiedlung in die Brandenburger Straße nicht nur räumlich näher — das war die Werft, zu der wir jetzt einen Weg von drei Minuten hatten. Die Schichau-Werft, und was mit ihr zusammenhing, war schon in den Jahren, in denen ich in Elbing aufwuchs, nicht nur der Kern, sondern das Herz der Stadt, ihr Rückgrat, an das sich ihr ganzer nördlicher Teil schon äußerlich, seiner Lage nach, anlehnte. Der Vater des Geheimrats Schichau besaß eine Gelbgießerei: von ihr ausgehend, hatte der Sohn in zäher Arbeit das Werk aufgebaut, von dem dann während meiner Jugend die halbe Stadt lebte. Von der Marienkirche bis zur Ersten Niederstraße, das heißt bis zum späteren Hafen Elbings, erstreckte sich schon um 1900 das Gelände der Schichaubetriebe, und ebenso in der Breite vom Markttor bis zum Fluss und dem Aschoffsgraben. An den schloss sich unmittelbar nach Norden das eigentliche Werftgelände mit den Hellingen an, in denen die Frachter und die Torpedoboote und was sonst noch in Elbing und nicht in Danzig — wo ein größerer Wasserraum zum Stapellauf zur Verfügung stand — gebaut wurde.
Der Aschhoffsgraben war ein verbreiterter Rest des alten Festungsgrabens aus der schwedischen Zeit, der sich drüben um Schiffsholm und die Speicherinsel noch deutlich in seinem alten Lauf und mit seinen drei Bastionen kenntlich erhalten hat. Über den Aschhoffsgraben ging eine Brücke, und dann war man gleich an dem Ingenieurhaus der Werft, das unmittelbar rechts am Eingang in das Werftgelände lag, gegenüber der großen Tischlerei, die zu den Schichauwerken gehörte.
In dem Ingenieurhaus wohnte Onkel Fischer mit Tante Hedwig und seinen fünf Kindern — neben Herrn Borgstede, der auch ein Ingenieur war, und auch zwei Söhne und eine Tochter hatte, die ich sehr hübsch fand, während Mutter herzlos das Gegenteil äußerte, ohne zu ahnen, was sie damit in meiner Quartanerseele anrichtete. Fischers wohnten, als wir in die Brandenburger Straße zogen, nicht mehr lange dort auf der Werft; sie zogen in eine neue Wohnung am Lustgarten, dahin, wo auch der alte Geheimrat Schichau ein großes, weißes, zweistöckiges Haus hatte, von dem ich nie begriff, dass er es ganz allein darin aushielt: es hatte doch mindestens zehn Zimmer, und er brauchte doch höchstens eins zum Schlafen, eins zum Wohnen und Essen, uns eins zum Arbeiten. Aber Vater lachte: „Was meinst du, mein Sohn, wie viele Zimmer der Alte wirklich braucht? Viel mehr als wir; wo soll er denn all die Leute empfangen, die da kommen, wenn so ein Kahn bestellt wird oder fertig ist?" — Da konnte ich nun wieder nachdenken, was das bedeutete: empfangen, und warum sich die großen Leute alles so kompliziert machten. Mir erschien damals, wenigstens von mir aus gesehen, noch alles, ach, so einfach!
Die Werft gehörte, solange Fischers in dem Ingenieurhaus wohnten zu unseren beliebtesten Spielplätzen. Solange die großen, mechanischen Niethämmer rasselten, und ihr Schall sich dröhnend in dem werdenden Schiffsraum an den großen, verrosteten Eisenplatten brach, solange die elektrische Schweißmaschine zischend und funkensprühend Schienen zusammenarbeitete, und das ganze lebendige Hin und Her des hellen Tages die phantastische Welt zwischen den ragenden Gerüsten der Hellinge um halbe oder ganze Boote für sich in Anspruch nahm, begnügten wir uns mit dem Zusehen aus respektvoller Entfernung, wenn uns die Arbeiter auch meist kannten, und als zum Bau gehörig mit in ihre Welt hineinnahmen. Wenn aber Feierabend war und die rußigen Männer sich gewaschen, angezogen, die Mützen aufgesetzt, und am Ausgang die Blechmarken von einer der vielen großen Tafeln genommen hatten, die dort aufgehängt waren — wenn Stille sich über die noch helle, abendliche Welt gelegt hatte, dann begann unsere Zeit. Sie dauerte nicht lange: um sieben war Abendbrot, Onkel Fischer hielt streng auf Pünktlichkeit, und ich musste noch den, wenn auch kurzen Weg bis zur nächsten Straßenecke, wo unser Haus lag, machen. Für eine kurze Stunde aber war dies Spiel unter den uns riesig dünkenden, dunklen Schiffen —, das Hineinsteigen in den Schiffsrumpf war uns streng verboten —, diese märchenhafte Welt aus werdender Form und Hilfskonstruktion über uns, unser Reich, und ich muss bekennen: sie hat manche Spur in unseren Vorstellungen, vor allem, was den Inhalt des Begriffs Technik angeht, hinterlassen, und steigt noch heute manchmal auf, unverdrängt von späteren und größeren Werfteindrücken.
Diese Erinnerungen erzählt Paul Fechter in seinem Buch „Zwischen Haff und Weichsel", Jahre der Jugend, das im Verlag C. Bertelsmann, Gütersloh, erschienen ist.
Seite 6 Gertrud von le Fort.
Um das große Erbarmen mit dem Lebenden und dem Kommenden geht es heute; um das Erbarmen mit der ganzen uns von Gott anvertrauten Schöpfung.
Seite 6 Brüder. Von Rolf Wilke.
Wir vergessen nicht, Brüder:
Der Himmel war höher
und die Nächte so hell.
Kein Nebel engte unsere
Hütte ein.
Die bunten Regenbogen,
die sich von Erd' zur Erde schwangen,
waren uns wie Himmelstore weit.
An blauen Seen sangen
wir die Morgenlieder,
und weite Wälder
warfen Gruß und Wort
zurück.
Brüder, wir vergessen nicht:
Dort standen alle Wiegen
unserer Kinder,
und alle Gräber waren dort,
mit unseren Toten. —
Schirm uns das Land,
Du lieber Herre Gott,
denn unser Heimweh
lastet dort so schwer
auf jedem Hang, um jeden Hag.
Seite 6 Der Goldmacher. Die Geschichte eines Sonderlings. 2. Fortsetzung.
Doch was stand er hier tatenlos herum und verträumte die kostbare Zeit? Jetzt galt es zu handeln. Er musste hinter das Geheimnis kommen, koste es was es wolle.
Barfuß schlich er die Treppe hinab. Sie knarrte abscheulich. Auch die Tür knarrte. Aber da jaulte gerade ein Kater seine Liebeswerbung in die Mondnacht. Jetzt wieder, und da hatte er die Tür auf. Er würde dem Kater morgen früh eine Schale Milch vor die Tür stellen. Er tastete sich vorsichtig durch das Kistengewirr bis zu der Bretterwand, hinter der die Chinesen verschwunden waren. Ein Fenster war nicht vorhanden, nur durch die Ritzen fiel ein matter Schein. Doch die waren zu schmal, als dass er etwas hätte sehen können. Ein seltsames Fauchen drang an sein Ohr und das Klappern von Werkzeugen, zwischendurch das Gemurmel der Männer.
Verdammt, dass man nichts sehen konnte! Und er suchte die Bretterwand nach einer breiteren Ritze ab. Da entdeckte er in Fußhöhe ein Astloch. Er musste sich hinter ein Fass quetschen und auf den Bauch lassen. Es stank nach verwestem Fisch. Aber er sah.
Der Wirt bediente einen alten Blasebalg, der durch einen Schlauch mit einem kleinen Koksofen verbunden war. Darin stand ein dampfender Tiegel. Der andere beobachtete aufmerksam den brodelnden Inhalt und streute von Zeit zu Zeit ein Pulver hinein. Kleine Metallbarren lagen auf einer Kiste. Aus dem Gespräch wusste er, dass es Silber war. Daneben ein Klumpen frischen Lehms, in dessen Oberfläche Rillen gedrückt waren, eine Form vermutlich. Eine Zange, eine kleine Feile, das war alles.
Das Pulver, die Pulver vielmehr — es waren zwei verschiedene, die der Chinese abwechselnd gebrauchte — griff er aus kleinen Beutelchen, die er stets wieder sorgfältig in seinem faltenreichen Gewand verbarg. Diese Beutel, das war der Schlüssel zu dem Geheimnis.
Eine Stunde mochte so vergangen sein, ohne dass sich viel an dem Bilde geändert hatte, will man von dem Schweiß absehen, der dem Wirt in Strömen über das Gesicht lief. Nun packte der andere mit der Zange in den Tiegel und goss die zischende, weißglühende Flüssigkeit in die Lehmform. Gold. War das nun Gold?
Die beiden lächelten. Hatten sie heute den hundertsten Weg gefunden? Sie löschten die Glut in dem Ofen, packten die Silberbarren ein, und der, welcher das Geheimnis in den Falten seines Gewandes trug, nahm die dampfende Form wie eine frischgebackene Torte auf den Handteller. So verließen sie die Bude.
Windrich wagte hinter seinem Fass kaum zu atmen. Erst als in der Stube das Licht aufflammte, kroch er aus seinem Versteck. Die Tür der Bude war nur angelehnt. Mit einem Streichholz leuchtete er die Kisten ab. Doch außer Ofen, Blasebalg und Zange war nichts liegengeblieben. Ein neues Streichholz. Nichts. Noch eins, und da hatte er, was er suchte: ein kleiner gelber Fleck, wie Haselstaub anzusehen, und daneben ein zweiter, ziegelrot. Das Pulver! Den Stein der Weisen! Das Geheimnis zu Gold, Reichtum, Heimkehr. Mit zitternden Fingern kratzte er den Staub zusammen und wickelte ihn sorgsam in zwei kleine Fetzen Papier.
Er blieb noch einen Tag und eine Nacht. Es geschah nichts weiter. Nur der Wirt lächelte auf eine seltsame Weise, geheimnisvoll, wissend. Morgen war er vielleicht Kaiser von China.
Und Windrich versuchte das gleiche Lächeln, geheimnisvoll, mitwissend. Dann zog er weiter, einer großen Zukunft entgegen. Den Kater hatte er vergessen. —
Und während er meinen Vater wieder mit jenem lauernden, forschenden Blick anstarrte, fragte er: „Glauben Sie nun, dass man Gold machen kann? — Hier" — und zog seine Brieftasche hervor und entnahm ihr zwei kleine Tütchen — „das ist das Geheimnis! Ich habe das Geheimnis! Ich habe die Reste des Pulvers von einem Chemiker untersuchen lassen“. Und er fuhr fort, es war, als brenne ihm jedes Wort auf der Zunge, in der Kehle, so stieß er sie heraus, gepresst, stöhnend: „Hören sie: ich muss irgendwo „im Verborgenen arbeiten können, verstehen sie? Ganz ungestört. Sie können mein Teilhaber werden. Schlagen sie ein, es soll ihr Schaden nicht sein!"
Und mein Vater schlug ein. Nicht, weil ihn der Alte mit seiner Geschichte und von seinem Geheimpatent überzeugen konnte, weil ihm das Gold lockte, er schlug ein aus Mitleid mit dem Alten, um ihm nicht die letzte Hoffnung seines Lebens zu zerstören.
Nun war Windrich erst recht wie ausgewechselt. Ihr hättet sehen sollen, wie er sich freuen konnte! Wie ein Kind freute er sich.
„Endlich! Endlich werde ich arbeiten können. Gold! Wir werden es schaffen!" Und seine Stimme war halb Weinen, halb Jauchzen. „Eins aber müssen sie mir in die Hand versprechen: es muss unser Geheimnis bleiben! Niemand darf etwas davon erfahren“.
Mein Vater versprach auch dies. Im Familienkreis wurde aber doch darüber gesprochen, Mutter bat uns aber, zu keinem Menschen etwas von dieser Geschichte zu erzählen. Denn, so sagte sie, ihr wollt doch nicht, dass man Windrich nun auch noch als närrischen Goldmacher verspottet. Er hat jetzt nur uns, und wir müssen ihm helfen, und ihr habt ihn doch auch gern. — Ich kann von mir aus mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich dieses Verbot zu Windrichs Lebzeiten und noch lange danach nie übertreten habe. Das hatte aber seine besonderen Gründe.
An den folgenden Abenden brachte Windrich im Schutze der Dunkelheit allerlei sonderbare Gerätschaften, die uns mit Spannung auf die kommenden Ergebnisse erfüllten. Da war ein alter, an vielen Stellen geflickter Blasebalg, ein kleiner Koksofen in Taschenformat, drei, vier Schmelztiegel, und in Tüten brachte er auch noch Holzkohle. Wie lange mochten diese Dinge wohl schon bei ihm bereitgelegen haben! Alles wurde nun sorgsam in unserem Schuppen verstaut. Dann war endlich der von Windrich und in gleicher Weise auch von uns so langersehnte Tag gekommen, an dem der erste Versuch stattfinden sollte. Ein Sonntagvormittag, da war man am sichersten. Da hatten die Nachbarn in ihren Gärten zu schaffen, oder sie wirtschafteten auf einem kleinen Stück Pachtland, und die Frauen waren mit dem Anrichten des Sonntagsbratens beschäftigt.
Für mich war das ein gewiss ebenso großer Tag wie für Windrich. Ich muss nämlich gestehen, dass ich damals — Windrich natürlich ausgenommen — der einzige war, der nicht einen Augenblick am Gelingen dieses Versuches gezweifelt hat. Mehr noch: ich wollte dem Geheimnis auf die Spur kommen. Die Geschichte hatte meine Phantasie befeuert. Wie man es machen muss, hinter das Geheimnis zu kommen, wusste ich ja. Und da ich für entsprechende Vorbereitungen Zeit genug hatte, wollte ich es mir jedenfalls bequemer machen. Ich richtete mir also einen richtiggehenden Lauscherposten in der anderen Hälfte des Schuppens ein, die nur durch einen gewöhnlichen Lattenverschlag von der Goldmacherwerkstatt getrennt war. Stroh und Heu lagerten hier, Kleie und Hafer und was sonst nötig war für unser Federvieh und die zwanzig Kaninchen.
Alles war gut vorbereitet, und ich hatte seit jener Geschichte hier schon manch selige Stunde in goldenen Träumen zugebracht, wie sie der Alte nicht prächtiger geträumt haben konnte.
Nun lag ich also im Heu und harrte der kommenden Dinge.
Es geschah ähnlich wie in dem chinesischen tu-Dorf. Der Koksofen wurde mit dem Blasebalg angeheizt, der Tiegel eingesetzt. Windrich warf ein kleines Stück Silber hinein. Auch die Lehmform lag da, bereit, das fertige flüssige Gold aufzunehmen.
Nun holte er die Wundertütchen aus der Tasche, öffnete sie behutsam, damit ja kein Stäubchen von dem kostbaren Inhalt daneben fiele, und streute von dem gelben, einmal von dem roten Pulver in den dampfenden Tiegel. Und mein Vater bediente den Blasebalg, unermüdlich, dass ihm bald der Schweiß in hellen Tropfen auf der Stirne stand.
Nach einer Stunde ungefähr schien der Alte zufrieden. Seine Augen glänzten wie im Fieber, die Hände zitterten ihm, als er mit der Zange den Tiegel heraushob. „Gold!" flüsterte er. Und ich flüsterte es mit: „Gold!" und starrte hinüber, damit mir nur ja kein Handgriff entging.
Wie es aus dem Tiegel quoll, weiß und breiig. Wie es zischte und Blasen warf. Wie es die feuchte Form füllte: eins, zwei, drei — fünf dünne, fingerlange Stäbchen. Und wie der Alte lächelte, selig, verklärt. Da war kein Zweifel, der Versuch war ihm gelungen! Aus dem Silber war Gold geworden.
Und tatsächlich: das Silber hatte durch diesen Prozess einen goldenen Schimmer angenommen. Das konnte selbst mein Vater nicht leugnen. Aber Gold war es nicht. Windrich stellte dies selbst fest mit einem Stück Schiefer und allerlei Wässerchen.
Aber er war dadurch keineswegs entmutigt, wie man vielleicht hätte annehmen können. „Dies war vorauszusehen", sagte er gelassen. „Ich habe es nicht anders erwartet. Doch, sehen sie her, zeigt ihnen nicht schon dieser erste Versuch, dass wir auf dem richtigen Wege sind? Im Aussehen ist es doch jetzt schon kaum von echtem Gold zu unterscheiden. Wir müssen weiterprobieren, arbeiten, arbeiten, unermüdlich, hören sie, bis wir am Ziele sind!"
Und sie probierten weiter.
Sonntag für Sonntag stieg jetzt der Rauch aus unserem Schuppen, fauchte der Blasebalg, prasselte das Holzkohlenfeuer, sprühten die Funken, zischte, brodelte, dampfte es in dem Schmelztiegel, funkelten die Augen des Alten, zitterten seine Hände, lächelte er — schwitzte mein Vater. Sonntag für Sonntag, und ich lag in der Heukuhle und sah mir die Augen aus. Aber immer wieder schüttelte Windrich sein weißes weises Haupt: noch nicht. Wir müssen weiterprobieren. Wir müssen die richtige Mischung finden! Sonntag für Sonntag hoffte er von neuem.
Im Jahre darauf ist Windrich gestorben, nach kurzem Leiden, mitten aus seinen Versuchen heraus, mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, als wollten sie sich noch einmal zu dem Worte Gold formen.
Windrich war vorsichtiger als jener Chinese gewesen. Sosehr ich mir auch nach jedem Versuch die Augen anstrengte, nie fand ich auch nur ein Stäubchen jener geheimnisvollen Pulver, die dem Besitzer den Stein der Weisen in die Hand gaben. So ging mit Windrich auch ein großes Geheimnis des Goldmachens dahin.
Meine Mutter verwahrte noch lange ein kleines goldschimmerndes Metallstäbchen unter ihrem Schmuck, und wenn es ihr in die Hände kam, dann gedachten wir jenes sonderbaren Alten, dessen Heimweh sich in eine so seltsame Gestalt geflüchtet hatte, das ihm daraus die Kraft erwachsen war, sich als ein schon Gebrochener noch einmal aufzuraffen, um vom anderen Ende der Welt an die Stätte seines Kindseins heimzukehren. Und so gesehen, hatte er den Stein der Weisen gefunden.
Seite 7 Julius Graf von Mirbach-Sorquitten. Dem bekannten masurischen Jäger und Forstwirt zum Gedenken.
Mehr noch als der Politiker v. Mirbach (er wurde auf Vorschlag des alten und gefestigten Grundbesitzes im Landschaftsbezirk Masuren im Februar 1874 in das Herrenhaus berufen) ist der Jäger und Forstwirt Graf von Mirbach-Sorquitten bis weit über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus bekannt geworden.
Er war im Jahre 1875 der Mitbegründer des „Allgemeinen Deutschen Jagdschutzverein", zu dessen Vizepräsidenten er am 15. März 1876 in Dresden gewählt wurde. Dieses Amt hat er bis zu seinem Tode am 25. Juni 1921, also 46 Jahre, bekleidet. 1914 wurde er auf Grund seiner besonderen Verdienste um die deutsche Jagd zum Ehrenmitglied des ADJV ernannt.
Während seiner langen Amtszeit im Dienste des deutschen Waidwerks hat Graf v. Mirbach sich durch besonderes Organisationstalent ausgezeichnet. Es seien hier einige seiner Verdienste aufgezeichnet. Ab 1. April 1877 übernahm Graf v. Mirbach auf besonderen Wunsch des Präsidenten des ADJV, des Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg, die Leitung der Geschäftsführung. Am 13. Mai 1880 hielt er in Hamburg einen damals sehr beachtlichen Vortrag über einen Entwurf eines Preußischen Jagdgesetzes. Daraufhin beauftragte ihn der ADJV, die Wünsche der deutschen Jägerschaft zur Kenntnis des Preußischen Landtags zu bringen. Im Jahre 1883 führte er die einheitliche Regelung der Wildlegitimationskontrolle für ganz Deutschland ein. Auch wurde auf seine Anregung vom ADJV eine Prämie von 1000 Mark für die beste Arbeit über das Thema: „Über die Einführung und Pflege ausländischer sowie über die Verbreitung inländischer Wildarten, über Erfordernisse für ihr Gedeihen, ihre Behandlung beim Transport und beim Aussetzen" bereitgestellt, die der bekannte Forscher Professor Nitsche-Tharandt zugesprochen bekam.
Seine besondere Liebe aber galt dem ostpreußischen Elchwild, für dessen Schutz und Hege er sich sehr eingesetzt hat. Graf v. Mirbach hatte drei „Elchberater", die er, bevor er etwas zu unternehmen gedachte, aufsuchte und um Rat befragte. Es waren dies: der durch seine Grobheit berühmte und kreuzbrave Hegemeister Ramonath aus der Försterei Akmenischken, Oberförster Schirmacher, der Verwalter des Reviers Nemonien, und der im Weltkrieg 1914/1918 gefallene und unvergessene Oberförster Meyer, der Verwalter des bekannten Elchreviers Tawellnigken (Tawellenbruch).
Der damalige Oberste Jagdherr, Kaiser Wilhelm II., schenkte dem Grafen v. Mirbach für seine besonderen Verdienste um die deutsche Jagd einen Rotwildspießer aus dem Potsdamer Wildpark, der sich später im Sorquittener Forst zum Höchstmaß der dortigen Hirsche entwickelte.
Der etwa 2480 Hektar große Sorquittener Forst war, seit Graf v. Mirbach ihn in Bewirtschaftung übernahm, zu einem verständnisvollen Plenterbetrieb umgestaltet worden, der ihn zum Mischwald werden ließ, wenn auch stellenweise den Bodenverhältnissen entsprechend größere Holzeinheiten im Dauerwaldbetrieb erhalten wurden. Graf v. Mirbach war damit seiner Zeit vorausgeeilt. Die Sorquittener Althölzer von Kiefern und Fichten durften getrost mit den herrlichen Gruppen im Forst von Bjelowjesch verglichen werden. Dass Graf v. Mirbach als vorbildlicher Forstwirt auch als Mitglied des Herrenhauses für Pflege und Ausbau der preußischen Wälder eintrat, verstand sich ebenso von selbst, wie dass er in dieser Frage in einem ihm selbst keineswegs angenehmen Gegensatz zur damaligen Leitung der preußischen Staatsforstverwaltung geriet. Am 31. März 1882 wies er auf die Notwendigkeit hin, die kahlen Sandrücken im Kreise Ortelsburg aufzuforsten, um damit eine große Windschutzanlage zu schaffen, die der dortigen Landwirtschaft zugutekam. Wie der Volksmund sagte, waren die dortigen Ackerböden immer zur Hälfte als Flugsand unterwegs.
Bei den weiteren Aufforstungen trat aber dann ein starker Gegensatz zwischen den Wünschen der ostpreußischen Bevölkerung und der preußischen Staatsforstverwaltung hervor. Die letzte wünschte eine Erweiterung der bereits bestehenden großen Staatsforsten im Osten der Johannisburger und im Westen der Tucheler Heide. Graf v. Mirbach aber wünschte eine Erweiterung des Privatwaldes im Anschluss an die landwirtschaftlich genutzten Flächen, die eine sehr viel bessere und gleichmäßigere Waldverteilung zuließen. Zugleich diente eine solche Maßnahme zur Festigung des Kleinbauerntums, dem der Wald im Winter die erwünschte Gelegenheit zur verdienstsicheren Arbeit gab.
Dem Grafen von Mirbach reichten alle Freuden und Ehrungen der Welt nicht heran an das Glück seines ewig rauschenden Waldes mit seinen stillen, blauen masurischen Seen und seinen einsamen Hochmooren.
Den Abschuss seiner besten Hirsche aus dem Sorquittener Forst überließ er stets seiner Gattin, die er über alles liebte. So wurde auch ein von der Gräfin v. Mirbach erlegter Sorquittener Achtzehnender auf der Geweihausstellung 1904 mit dem silbernen Kaiserbecher ausgezeichnet. Als aber die Gräfin v. Mirbach ihrem Mann im Tode vorangegangen war, nahm Graf v. Mirbach in der Hirschbrunft 1919 zum letzten Male seine Büchse zur Hand und streckte mit der letzten Kugel, die der Jäger v. Mirbach vor seinem Tode verschossen hat, den besten und gewaltigsten Hirsch, der jemals sein stolzes Haupt durch die feierliche Stille des Sorquittener Waldes getragen hat.
Noch heute rauschen die Wipfel des Waldes über der Gruft des Grafen von Mirbach, der als deutscher Waidmann und Forstwirt im Sorquittener Forst begraben wurde. Die ostpreußische Jägerschaft aber, das steht fest, wird dieses ernsten Mannes in unverlöschlicher Treue gedenken. Lothar Mosler-Boehm
Seite 7 Wenn man alt wird
Zuweilen befiel den König große, stille Trauer und eine Resignation im Hinblick auf den kuriosen Lauf dieser Welt. So traf er einmal beim Spaziergang durch den Park von Sanssouci einen Gärtner, der von den Marmorstatuen das Moos entfernte, das sich am Stein angesetzt hatte. Längst war der König in dem Alter, wo das Wildwachsende, Ungebundene erfreut, und so fragte er verdrießlich, was der er da treibe. Dieser erwiderte, dass er das Moos abreibe, weil die Statuen sonst zu alt und unförmig aussähen. „Lasst es doch sein", sagte Friedrich, „wollt Ihr denn nicht auch alt werden?
Seite 7 Im FD-Zug. Von Ruth Syring.
Kopenhagen — Rom,
London — Mailand,
Petersdom,
leuchtendes Land.
Und es jagt der Zug
durch den Kontinent,
wie's den Vogel trug,
der die Richtung kennt.
Jeder sucht ein Glück,
keiner den Namen weiß.
Mancher ließ alles zurück,
andere lächeln leis.
Aber das Glück wohnt im
Bahnwärterhaus.
Der Express hält dort nicht.
Fern verlischt ein Licht.
Niemand steigt aus.
Seite 7 Ostpreußens „Eiserner Gustav"
Wohlbekannt und im Volksmunde geläufig ist heute noch immer die Fahrt, die der „Eiserne Gustav" mit seiner Pferdedroschke von Berlin nach Paris unternahm; dass aber auch ein Ostpreuße eine Tour von Insterburg nach Berlin unternahm, dazu noch mit einem 44-jährigen Pferd, ist kaum noch jemandem bekannt. Und doch fand auch diese Pferdeleistung im Jahre 1929 eine große Beachtung in der Öffentlichkeit, wie in den Zeitungen und Illustrierten, ja in der ganzen Welt.
Karl Radtke, so heißt der ostpreußische „Eiserne Gustav", der heute im Moordorf Neudorf-Platendorf im Kreise Gifhorn Besitzer des Gasthauses „Moorkrug" wohnt. Im Jahre 1918 hatte er in Kneiffen, im östlichen Teil des Kreises Insterburg, einen landwirtschaftlichen Betrieb erworben, zu dessen Tierbestand auch ein „über 30 Jahre altes Pferd gehörte, dem man den Namen „Alterchen" gab. Als man 1920 nach dem wenige Kilometer entfernten Scherden umsiedelte, um hier die Gastwirtschaft zu übernehmen, ging auch „Alterchen" mit und tat ein Jahrzehnt lang treu und brav seine Pflicht am Wagen und auf dem Acker. Und das war oft nicht leicht, denn von der Hauptstraße zum Hof war eine starke Steigung zu bewältigen. Für das nun schon vierzigjährige Pferd eine Leistung, die von weiten Kreisen beachtet und anerkannt wurde.
So kam „Alterchens" Ruf auch bis nach Königsberg, und eines Tages erschien ein Zeitungsreporter aus der ostpreußischen Landeshauptstadt in Scherden, um das einzigartige Pferd zu fotografieren und einen langen Bericht über sein Alter und seine Leistung zu schreiben. Durch die allgemeine Aufmerksamkeit, die dadurch dem Pferd geschenkt wurde, entstand dann der Plan, mit dem „Alterchen" eine Fahrt nach Berlin zu starten.
Ein zweirädriger Jagdwagen wurde angeschafft, und am 28. Mai 1929 startete Herr Radtke und seine Frau die Fahrt; einen Tag ging „Alterchen" am Wagen und der dreijährige „Hans" als Beipferd und am anderen Tage umgekehrt. Nach drei Tagen war Königsberg erreicht, wo die Landwirtschaftskammer dem Pferd und den Besitzern einen ehrenden Empfang bereitete. Dann ging es bis nach Marienburg, wo alles verladen wurde, um die Fahrt durch den Polnischen Korridor mit der Bahn zu machen und dann die Route hinter Dirschau im alten Turnus über Deutsch-Krone, Wollenburg, Küstrin bis Herzberg fortzusetzen, wo eine Abordnung der Landwirtschaftskammer Berlin den Ostpreußen einen herzlichen Empfang gab. Am 3. Juli wurde dann die letzte Etappe bis in die damalige Reichshauptstadt angetreten, wo im Tattersall am Brandenburger Tor eine Unterbringung bereitgestellt war.
Die Fahrt durch Berlin wurde für „Alterchen" und seine Besitzer zu einem Triumphzug, unzählige Male musste sich der Pferdeveteran den Reportern aus allen Teilen der Welt stellen und wurde am Brandenburger Tor laufend von Tierliebhabern und Vereinen besucht. Presse und Rundfunk und viele Gratulanten trafen ein, so u. a. ein Schreiben des Reichspräsidenten von Hindenburg. Der Verein für Zucht und Prüfung deutschen Warmbluts spendete 100 RM und erteilte „Alterchen“ das beste Zeugnis, in dem es hieß, diese Leistung eines 44-jährigen Pferdes stünde wohl einzig in der Welt da. Auch aus dem Ausland wie aus Übersee trafen Anerkennungsschreiben ein. Die Rückreise wurde dann mit der Bahn durchgeführt und „Alterchen" erhielt in der ostpreußischen Heimat ein wohlverdientes Gnadenbrot.
Die vielen Urkunden, Gratulationen und Fotos dieser Fahrt sind durch die Kriegsereignisse alle verloren gegangen. Dieser Tage erhielt Herr Radtke jedoch von einem Freunde eine alte „Illustrierte" zugesandt, in der er mit seiner Frau und „Alterchen" vor dem Brandenburger Tor abgebildet ist. So wurde diese einmalige Leistung eines ostpreußischen Pferdes wieder in die Erinnerung zurückgerufen
Seite 7 Die Rechenmaschine. Erinnerungen von Bernhard Heister.
Wer von uns hat nicht an seinen Fingern zählen gelernt, zuerst an der einen, dann an der anderen Hand? Wir waren sehr stolz, bis fünf zählen zu können und dann sogar bis zehn. Weiter ging es nicht mit den Fingern an unseren Händen. Doch da taucht schon in der frühen Erinnerung die Rechenmaschine auf. In der Kinderstube in Elbing kannten wie sie bereits, im Kindergarten fanden wir sie wieder. Zehnmal zehn auf Drähten verschiebbare Kugeln gehörten dazu in einen Holzrahmen. Die farbigen Kugeln waren für uns Kinder Kirschen, Äpfel Schäflein, Kühe oder Pferde. Spielend lernten wir mit ihnen weiterzählen.
Als wir in die Schule kamen, stand da in der alten Knabenmittelschule am Getreidemarkt auch eine Rechenmaschine. Sie hatte nicht mehr bunte Kugeln und war groß und stattlich gegenüber der lustigen kleinen Rechenmaschine, die wir zu Hause hatten, aber die ganze Klasse musste ja auch sehen, was an der Rechenmaschine geschah. Der Ernst des Lebens begann. Wir lernten rechnen. Die Kugeln der untersten Reihe bedeuteten die Einer, der darüber stehenden Reihe die Zehner, die Reihen weiter darüber die Hunderter, die Tausender usw. Schon der Rechentisch der alten Römer, abacus genannt, beruhte auf dem Grundgedanken unserer Rechenmaschine, ebenso das Suanpuan der Chinesen und das Soraban der Japaner.
Wenn ich an die ersten Schuljahre denke, dann meine ich das Summen des Gaslichtes in der warmen Schulstube zu hören, und auf dem Katheder neben der großen Schultafel ragt die Rechenmaschine. Sie zog uns alle in ihren Bann. Der Generation vor uns muss es nicht anders ergangen sein. Mein im vorigen Jahr verstorbener alter Lehrer Liebeck schrieb mir einmal: „An die Elbinger Knabenmittelschule, die „Hildebrandtsche Schule", erinnern mich besonders zwei Bilder:
Der alte Lehrer Kuhn mit blauer Brille und weißem Vollbart sitzt auf dem Klassentisch und hat hinter sich eine riesige Rechenmaschine, die mein Herz für das Rechnen begeisterte. (Meine Abiturientenarbeit erhielt das Prädikat „sehr gut". Der alte Kuhn hatte den Grundstein gelegt!)
Es ist sehr heiß. Wir von der Hildebrandtschen Schule sitzen im Vorderhaus — damals gab es nur dies —, eine Treppe hoch. Die Festaula bestand aus zwei Klassenräumen, die eine Holzwand trennte. Diese Trennungsbretter konnten für eine Feier entfernt werden. Unser Klassenlehrer, der von mir sehr geliebte Lehrer Loeck, kommandiert: „Jetzt — schlaft, aber fein still!!!" Und ob wir schliefen! Die ganze Stunde über... Dann gab es Hitzeferien!! Hurra!!! Warum wir streikten (mit dem Unterricht), und doch vorwärts kamen? Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf...“
Die zweite Geschichte von Reinhold Liebeck hat mit der Rechenmaschine direkt nichts mehr zu tun. Ich habe sie trotzdem wiedererzählt, weil auch sie sich in jener längst vergangenen Welt der Rechenmaschine ereignete.
Viele Jahre später kam ich einmal in Estland in die Deutsche Kulturselbstverwaltung, und da war wieder eine große Rechenmaschine. Ich wunderte mich, aber der Präsident der deutschen Kulturverwaltung, der alte Baron Wrangel, lachte: „Da staunen Sie, aber das ist kein Kinderspielzeug. Wohin Sie im Osten kommen, da finden Sie auch die Rechenmaschine. Stschoty nennen die Russen sie. Auch bei uns in Estland steht sie in der Schreibstube, in den Ministerien wie beim Dorfbürgermeister. Wir alle rechnen damit, und zwar nicht nur addieren und subtrahieren, sondern auch multiplizieren und dividieren. Alle Rechenaufgaben lassen sich damit lösen. Ich kenne wahre Rechenmaschinenkünstler. Es gibt auch kleine Taschenrechenmaschinen, die z. B. der Förster mitnimmt, wenn er im Holzschlag an Ort und Stelle Berechnungen anzustellen hat“. Ein paar Tage später sah ich auf dem Markt in Narwa, wie ein alter Russe mit langem weißem Bart seine Rechenmaschine aus der Tasche zog und schnell und sicher zusammenrechnete, was wir für unseren Einkauf zu zahlen hatten.
Es wundert mich nicht, dass nach dem letzten Kriege auch die russischen Besatzungstruppen ihre Rechenmaschinen nach Deutschland mitbrachten, die in Mecklenburg wie in Karlshorst bei ihnen in Gebrauch sind.
In unseren Büros haben wir heute komplizierte „denkende" und schreibende Rechenmaschinen. Hollerith-Maschinen vollbringen wahre Wunderdinge. Natürlich kann und will niemand diese Errungenschaften unserer Zeit verdrängen, aber schade ist es, dass unsere alte Rechenmaschine selbst aus den Kinderstuben — auch aus denen der Heimatvertriebenen des deutschen Ostens — verschwunden ist. Selten sieht man sie noch als ein billiges Spielzeug. Die Rechenmaschine unserer Kinderzeit war anders, gediegener, handfester, irgendwie liebevoller gemacht. Wie beflügelte sie doch unsere kindliche Phantasie!
Die Rechenmaschine ist ein gemeinsamer Besitz des gesamten Ostens gewesen. Zwischen ihren Stäben erscheint mir noch heute die Weite Russlands, Riga und Reval, die Städte im Baltenland, aber auch die Marienburg und die Türme von Danzig und Thorn. Hinter den Gittern mit seinen Kugeln grüßen mich in der Ferne vertraut das Markttor und St. Marien in Elbing und die ganze liebe alte Heimat. (Abgebildet ist eine Federzeichnung von Lotte Heister – Lehrer, Kinder und die alte Rechenmaschine).
Seite 8 Eltern suchen ihre Kinder
Tausende ostpreußischen Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hambug-Osdorf, Blomkamp 51, unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.
Aus Allenstein, ehemalige Hermann-Göring-Straße 54 wird Dietmar Krispin, geboren am 10. Mai 1938 gesucht von seiner Mutter Gertrud Krispin, geborene Schmielewski. Dietmar Krispin wird seit dem 12. Marz 1945 nach einem Luftangriff auf Swinemünde vermisst.
Aus Allenstein, Treudankstr. 25 bei den Großeltern Anna und Josef Blazy, wird Bernd-Siegfried Strauß, geboren am 21. August 1943 in Allenstein gesucht von seiner Mutter Hildegard Strauß, geborene Blazy, geboren am 18. Januar 1918. Bernd-Siegfried Strauß ist den Großeltern im Januar 1945 genommen worden und in ein Fürsorgeheim nach Heilsberg gekommen.
Aus Altenberg, Kreis Samland wird Erika Neumann, geboren am 8. Juni 1937 in Altenberg gesucht von ihrer Mutter Gertrud Becker, geschiedene Neumann.
Aus Budwethen, Kreis Tilsit-Ragnit werden Brigitte Baumgart, geboren am 9. August 1937 und Doris Maier, geboren am 10. September 1940 gesucht von ihrer Mutter Eva Maier, geb. Baumgart.
Aus Dietrichswalde, Kreis Allenstein werden Eva-Maria Hohmann, geboren am 16. Januar 1937 und Winfried Hohmann, geboren im September 1939 gesucht von Barbara Zgrelski, geborene Hohmann. Die Mutter Lilli Hohmann, geboren am 25. Juli 1910 sowie der ältere Bruder Günther Hohmann, geboren im August 1935 werden ebenfalls noch gesucht.
Aus Drugehnen, Kreis Samland werden die Geschwister Schulz: Brigitte Schulz, geboren am 16. Dezember 1941 in Drugehnen; Dieter Schulz, geboren am 11. Juni 1940 in Drugehnen; Ulrich Schulz, geboren am 3. Juli 1939 in Drugehnen und Siegfried Schulz, geboren am 11. Juni 1938 in Drugehnen gesucht von ihrem Vater Paul Schulz.
Aus Finkental, Kreis Tilsit-Ragnit wird Kurt Hölzer, geboren am 28. Februar 1938 gesucht von seiner Mutter Lydia Hölzer, geborene Siebert.
Aus Geidau, Kreis Königsberg wird Harry Sonnenberg, geboren am 28. März 1939 gesucht von seiner Mutter Lotte Sonnenberg. Harry Sonnenberg kam im Januar 1946 in das Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg/Preußen und später in ein Waisenhaus, welches 1947 nach Deutschland verlegt wurde. Von da an fehlt jede Spur des genannten Kindes.
Aus Georgenthal, Kreis Insterburg wird Ilse Reschke, geboren am 21. Juni 1939 in Seedranken gesucht von Else Rose, geboren am 29. November 1910.
Aus Godrienen, Kreis Samland werden Siegfried Kirstein, geboren am 15. März 1937 in Hochkarschau und Lothar Kirstein, geboren am 20. Juni 1941 in Godrienen gesucht von ihrer Tante Eliese Schulz, geborene Neujahr, geboren am 10. Mai 1910.
Aus Königsberg, Altroßgärtner Kirchenstraße 10 - 11 wird Sabine Krause, geboren am 24. September 1941 gesucht von ihrem Vater Franz Krause.
Aus Königsberg, Glaserstraße 10 werden Heydrun Hochwald, geboren im Januar oder Februar 1940 und Uwe Hochwald, geboren 1941 oder 1942 gesucht von ihrem Onkel Paul Hochwald. Die Mutter Hilda-Gerda Hochwald, geboren im Mai oder Juni 1907 oder 1908 wird auch noch gesucht. Sie soll mit den Kindern vermutlich mit der „Wilhelm Gustloff“ Königsberg verlassen haben.
Aus Königsberg, Jägerstraße 41a wird Erna Bockhardt, geboren am 2. Oktober 1938 gesucht von ihrer Mutter Maria Bockhardt.
Aus Königsberg, Oberhaberberg 42/43 wird Horst Reiß, geboren am 5. Mai 1939 in Königsberg, gesucht von seinem Vater Karl Reiß.
Aus Königsberg - Ponarth, Dreisenstraße 22 werden Manfred Grunwald, geboren etwa 1940 und Renate Grunwald, geboren etwa 1939 gesucht von ihrer Tante Frieda Grunwald. Die Eltern Hermann Grunwald, geboren am 6. Juni 1906 und Lena Grunwald, geboren am 20. November 1919, sowie der ältere Bruder Erwin Grunwald, geboren etwa 1933, werden ebenfalls noch gesucht.
Aus Milschlauken, Kreis Insterburg werden Ella Dittkrist, geboren 1939; Otto Dittkrist, geboren 1936 oder 1937 und Fritz Dittkrist, geboren 1936 oder 1937 gesucht von ihrer Tante Minna Endrulat, geborene Szuggat, geboren am 5. Dezember 1907. Ferner wird noch ein Kind mit dem Familiennamen Dittkrist gesucht, welches 1940 oder 1941 geboren ist. Der Vorname dieses Kindes ist uns nicht bekannt.
Aus Reichenau, Kreis Osterode wird Inge Witka, geboren am 18. April 1938 in Reichenau gesucht von ihrer Mutter Maria Krüger, geborene Witka. Inge Witka ist am 14. März 1945 während der Übernachtung in einer Schule am Marktplatz in Lauenburg/Pommern abhandengekommen.
Aus Siewken, Kreis Angerburg wird Gerhard Lehmann, geboren am 1. Januar 1938 gesucht von seinem Vater Richard Lehmann. Bei dem gesuchten Kind befand sich die Mutter, sowie die Schwester Hilde Lehmann.
Aus Scharfeneck, Kreis Ebenrode wird Horst Ruschkewitz, geboren am 29. Februar 1940 gesucht von Martha Sukowski. Die Mutter Minna Ruschkewitz, geborene Müller wird ebenfalls noch gesucht.
Aus Schönwalde bei Kuggen, Kreis Samland wird Waltraut Margarete Willuweit, geboren am 6. Februar 1940 in Poggenpfuhl gesucht von ihrer Mutter Anna Willuweit.
Aus Schustern, Kreis Tilsit-Ragnit werden Klaus Raudies und Grete Raudies, geboren etwa 1937 gesucht von ihrem Bruder Gerhard Raudies.
Aus Schwitten, Kreis Samland wird Manfred Spill, geboren am 8. Februar 1937 in Stolzenberg gesucht von seiner Tante Elise Ewert, geborene Lemke.
Aus Trutenau, Kreis Samland werden Horst-Gerhard Weißenberg, geboren am 13. Dezember 1937 in Königsberg und Erna Weißenberg, geboren am 22. Dezember 1936 in Worienen gesucht von ihrem Vater Fritz Weißenberg.
Aus Königsberg-Kohlhof, Str. 1064, Nummer 10 wird Wolfgang Herzberg, geboren am 12. März 1943, gesucht von seiner Tante Hildegard Otto, geboren am 22. November 1910 in Königsberg. Als besonderes Merkmal hatte Wolfgang auf der linken Wange einen erbsengroßen roten Fleck. Die Mutter des Kindes, Elli Herzberg, geboren am 28. Februar 1920, und die Tante Ursula Herzberg, geboren am 4. März 1923, werden ebenfalls noch gesucht.
Aus dem Waisenhaus in Sensburg wird Gerhard Haffki, geboren am 15. September 1943, gesucht von seiner Mutter Adele Haffki, geboren am 19. August 1913. Gerhard Haffki soll sich noch 1947 im Waisenhaus in Sensburg befunden haben. Es ist möglich, dass er später nach Mohrungen/Ostpreußen kam.
Aus Sutzen über Angerburg wird Erika Coehn, geboren am 23. Mai 1943 in Sutzen, gesucht von ihrem Vater Erwin Coehn. Im März 1945 war das Kind mit seiner Großmutter, Frau Hundsdörfer, aus Sutzen, in Danzig im Keller der Danziger Feuersozietät untergebracht.
Aus Tilsit, Blücherstraße 63, wird Dieter Kaschubat, geboren am 9. Dezember 1938, gesucht von seinem Vater Gustav Kaschubat. Das Kind hat dunkelbraune Augen, hellblondes Haar und blieb am 16. Juli 1947 in Tilsit zurück, als seine beiden Geschwister ausgewiesen wurden. Dieter Kaschubat war zuletzt bei Frau Zilt, Tilsit, Grünstraße 10. Man nimmt an, dass er später in das Waisenhaus in Tilsit kam.
Aus Timstern, Kreis Tilsit-Ragnit wird Waltraut Schmidt, geboren im April 1944, gesucht von ihrer Schwester Irmgard Schmidt, geboren am 15. Januar 1938 und von ihrem Onkel Emil Schwederski, geboren am 16. Januar 1909 in Schlaunen/Memelland. Waltraut Schmidt flüchtete im Oktober 1944 mit ihrer Mutter, Ella Schmidt, geborene Schwederski, geboren am 27. Oktober 1911 in Schlaunen und ihrer Schwester Irmgard Schmidt, geboren am 15. Januar 1938, nach dem Gut Loyden, Kreis Bartenstein/Ostpreußen, bei Familie Negenborn. Im Januar 1945 flüchtete die Mutter mit Waltraut zum zweiten Male. Seitdem werden beide vermisst.
Aus Wartenburg, Kreis Allenstein wird Heidemarie Beyersdorf, geboren am 7. November 1944 in Wartenburg, gesucht von ihrem Vater Herbert Beyersdorf, geboren am 25. September 1908 in Königsberg. Heidemarie Beyersdorf wurde zuletzt im Herbst 1945 mit ihrer Mutter, Martha Beyersdorf, geborene Pietrzenink, geboren am 31. Dezember 1908, im Raum Elbing beziehungsweise Alt-Christburg/ Westpreußen, gesehen. Martha Beyersdorf und ihre Tochter Heidemarie flüchteten mit Familie Petersen,
Aus Wartenburg, Kreis Labiau wird Herta Schulz, geboren am 24. Februar 1941, gesucht von ihrer Mutter Anna Schulz, geboren am 7. September 1907 in Wartenburg. Die Mutter verlor ihr Kind, Herta Schulz, am 19. Januar 1945 auf der Flucht. Es befand sich auf dem Pferdewagen der Frau Emilie Salekker, geborene Unterberger, geboren am 30. Dezember 1905. Der Wagen fuhr in Richtung Gutfließ und soll bis Gründamm, Kreis Niederung, gekommen sein.
Aus dem Marienhospital in Allenstein wird Kurt Kombetzki, geboren am 7. April 1944, gesucht von seiner Mutter Anna Zombecka. Der Junge kam wegen einer Ohr- und Lungenentzündung im Januar 1945 in das Marienhospital in Allenstein. Es ist möglich, dass er über Danzig abtransportiert worden ist. Kurt Sombetzki hatte blaue Augen, blondes Haar und müsste hinter dem linken Ohr eine Narbe haben.
Aus Allenstein - Bärenbruch wird Marianne Peters, geboren am 24. Juni 1940, gesucht von Frau Mendrina. Das gesuchte Kind befand sich zuletzt bei seiner Mutter Frieda Peters geborene Fürst, geboren am 6. Januar 1912, die ebenfalls noch vermisst wird.
Aus Königsberg werden die Geschwister Gisela Böhm, geboren 1941, Eberhard Böhm, geboren 1940, Annemarie Böhm, geboren 1939, und Arno Böhm, geboren 1937, gesucht von Vera Liedtke, geborene Schwarz. Die Kinder Böhm sollen mit ihren Eltern, Fritz Böhm, von Beruf Briefträger, und Grete Böhm geborene Scharmacher, zuletzt in Schönmoor bei Tharau, Kreis Samland/Ostpreußen, bei einem Verwandten, Richard Klein, gewesen sein.
Aus Königsberg, Oberlaak 20a, werden Siegrid Rudat, geboren 1942, und Ingrid Rudat, geboren etwa 1941 gesucht von ihrer Tante Erna Groebling. Die Mutter der Kinder, Hertha Rudat, geboren am 20. Dezember 1901, wird ebenfalls noch gesucht.
Aus Königsberg, Ponarther Bergstraße 7, wird Erika Maria Felgendreher, geboren am 25. Oktober 1939 in Königsberg, gesucht von ihrer Mutter Martha Felgendreher, geboren am 25. Oktober 1905. Erika Maria Felgendreher ging im Juli-August 1947 mit mehreren Kindern von Königsberg nach Litauen. Sie war zuletzt mit einem Frl. Anna Neumann aus Brandenburg bei Königsberg zusammen.
Aus Kuppen, Krs. Mohrungen, wird Ursula Kull, geboren am 1. Juli 1942 in Sorbehnen, gesucht von ihrer Mutter Erna Kull, geboren am 14. September 1917 in Kemmen, Kreis Mohrungen. Das gesuchte Kind befand sich im Januar 1945 in der Klinik in Frauenburg, Kreis Braunsberg/Ostpreußen. Es war an Lungenentzündung erkrankt. Wer betreute das Kind in der Klinik in Frauenburg und kann näheres über dessen weiteren Verbleib sagen?
Aus Medenau, Kreis Samland, wird Ingrid Ramacher, geboren am 14. Mai 1942 in Neukirchen, gesucht von ihrem Großvater Johann Ramacher, geboren am 3. April 1882. Das Kind ging mit seiner Mutter auf die Flucht. In Medenau, Kreis Samland, verstarb die Mutter. Eine Frau, deren Name nicht bekannt ist, nahm sich des Kindes an. Wer ist die unbekannte Frau? Ingrid Ramacher trug damals einen rosa Mantel und dazu eine passende Mütze. Sie hat blaue Augen und kastanienbraunes Haar.
Aus Pettelkau, Kreis Braunsberg, wird Gertrud Heidenreich, geboren am 6. Januar 1940, gesucht von ihrer Mutter Anna Heidenreich, geboren am 28. November 1897 in Plaßwich, Kreis Braunsberg. Das Kind ging am 13. Februar 1945 auf der Flucht verloren. Es soll zwischen dem 16. und 18. Februar 1945 von einer Frau Schier der damaligen NSV in Bodenwinkel bei Danzig übergeben worden sein. Gertrud Heidenreich trug einen Krimmermantel, zwei Mützen, eine grüne sogenannte Teufelsmütze mit rotem Rand und eine aus grauem Fell mit zwei herunterhängenden Troddeln, und zwei Kleider, davon eins dunkelgrün mit hellem Karo, das andere ein Waschkleid rotweiß kariert mit schwarzen Streifen. Das Kind hatte einen Bruder Sigi, der am Tage vor der Flucht durch einen Bombenangriff verwundet wurde. Das gesuchte Kind Gertrud Heidenreich hat blaue Augen und blondes Haar.
Seite 9 Drei Hochzeiten und ein Geburtstag. Seltenes Familienereignis an einem Tage.
Ein Geburtstag und drei Hochzeiten in einem Hause, an einem Tage und in derselben Familie, das dürfte gewiss recht selten in der Welt vorkommen, und ein solches Ereignis hätte gewiss auch in einer großen Stadt seine Aufmerksamkeit erregt, um wieviel mehr in dem kleinen Ort Bohmterheide bei Wittlage.
Geburtstagskind war der 68 Jahre alt gewordene, aus Gutenfeld bei Königsberg stammende Bäckermeister Gustav Ewald, den die Flucht aus seiner ostpreußischen Heimat über Dänemark hierher geführt hatte. Und die strahlenden Bräute waren seine drei Töchter Liesbeth, Renate und Inge.
Man kann sagen, dass der ganze Ort regen Anteil an diesem Familienfest nahm: Schützenverein und Sportverein waren vollständig erschienen, um den glücklichen Ehemännern einen würdigen Junggesellenabschied zu bereiten. Zählt man die eigene Verwandtschaft noch hinzu: zwei verheiratete Schwestern und drei, die noch auf dieses Ereignis warten (vielleicht nochmals eine Dreierhochzeit!), wird man verstehen, dass die häuslichen Räumlichkeiten einem solchen Ansturm nicht mehr gewachsen waren. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch, und so wurde kurzerhand ein Zelt im Garten aufgebaut, und alle Not war behoben.
Seite 9 Tierschutzgebiete in Ostpreußen
Die polnischen Behörden der Wojewodschaft Allenstein (Ostpreußen) haben nach einem Bericht der Zeitung „Glos Olsztynski" (Allensteiner Stimme) zwei Tierschutzgebiete in Elditten und Kuldippen am Lilbingsee gebildet, wo Biberkolonien erhalten sind. In den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten gibt es gegenwärtig insgesamt 14 Tierschutzgebiete, darunter, allein acht in der Wojewodschaft Allenstein. Außerdem gibt es je zwei Tierschutzgebiete in den Wojewodschaften Köslin (Ostpommern), Danzig und Oppeln.
Seite 9 Vor 150 Jahren in Königsberg
Wir lesen im Jahrgang 1808 der Kgl. Preuß. Staats-Krieges- und Friedens-Zeitungen in Nro 71 vom 5ten September 1808:
Unterm Strich: „Über den Zweikampf auf Universitäten (aus Professors Fr. Schleiermachers gelegentlichen Gedanken über Universitäten. Berlin, 1808").
„Avertissements: Ich Endesunterzeichneter zeige hiermit ergebenst E. verehrungswürdigem Publicum an dass ein Sortiment von feinen gemahlten Tabacksköpfen wie auch fein gemahlte Tassen in Hitrurischen und Campanischem Geschmack, zu haben ist in der Todtenstraße *) Nro 458 des Morgens v. 8 - 11 Uhr. Müller, Assistent der Kgl. Porcelain-Manufactur zu Berlin“.
In Nro 74 vom 15ten September 1808:
„Publicanda: Aus mehreren Gegenden der Provinz sind die Nachrichten eingegangen, dass die diesjährige Roggen- und Gersten-Erndte durch das sog. Mutterkorn — eine Krankheit des Saamens — verdorben ist, Der Genuss des verdorbenen Getraides hat zwar keine unbedingt nachtheilige Wirkungen auf die Gesundheit des Menschen, indessen kann u. U. u. wenn die Anzahl derr Körner, welche diese krankhafte Auswertung erlitten haben, mehr als den 10. oder 8. Theil der gesunden Körner ausmachen, das Genießen der aus diesen verdorbenen Getraide bereiteten Nahrungsmittel allerdings schädlich werden. Unsere Erfahrungen bestätigen, dass das Mutterkorn an der Erzeugung einer aus verschiedenen krampfartigen Äußerungen mit lästigem Jucken zusammengesetzten Krankheit, der Kriebelkrankheit, schuld sey.
Wir nehmen daher Veranlassung, das Publicum auf diese krankhafte Ausartung der Getraide-Körner aufmerksam zu machen. Mittel dagegen sind das Reinigen, die Zerstörung und Entfernung der schädlichen Bestandtheile.
Das wird durch das bekannte Würfeln auf der Tenne, durchs Sieben oder, am zuverlässigsten, durchs Waschen oder Schwemmen erreicht. Denn hierdurch sinkt das gesunde und schwere Korn zu Boden und das leichtere verdorbene Mutterkorn schwimmt oben auf und kann leicht abgeschöpft werden. Die schädlichen Bestandtheile der krankhaften Körner sind am leichtesten durch Lüften und Dörren im Ofen zu zerstören.
Kgl. Ostpreuß. u. Litth Collegium Medicum et Sanitatis“.
*) Totengasse – Wagnerstraße. Wurde in den70er Jahren nach dem Kgb. Chirurgen Prof. Albrecht Karl Ernst Wagner 1827 umbenannt, der im Kriege als Generalarzt in Dole am Typhus am 15.02.1871 gestorben ist.
Seite 9 Foto: Alter Eichenhain auf der Insel Upalten im masurischen Mauersee
Seite 9 Wo die alten Eichen rauschen …
Johanna Ambrosius sagt in ihrem ostpreußischen Heimatlied: „und wenn ich träumend dann durchgeh die düstre Tannennacht und hoch die macht'gen Eichen seh in königlicher Pracht . . ."; denn wir hatten diesen königlichen Baum allenthalben im Lande zwischen Weichsel und Memel.
Wer kannte nicht den alten Eichenhain, der sich in Warnicken vom Bahnhof bis zum Strande hinzog, und der auf mehrere Jahrhunderte zurückblicken konnte! Auf der Jägerspitze unter den alten Eichen war die Friedhofsstätte der Forstbeamten. Der Forstbezirk von Hirschau bis Heiligencreutz hatte herrlichen Mischwald, in dem recht ansehnliche Eichen standen. Vor etwa eineinhalb Jahrhunderten erhoben sich in Strandnähe zwischen Gr. Dirschkeim und Marscheiten zwölf mächtige Eichen, die einst dem Abrutsch ins Meer zum Opfer fielen. Man nannte sie die „zwölf Apostel".
Im Mauersee erhebt sich die Insel Upalten, das „masurische Helgoland", die einen prächtigen Bestand an Eichen, Ulmen und Linden aufzuweisen hatte.
Die alten Chronisten, wie Lucas David, Waissel, Hartknoch und Henneberger wissen von heiligen Eichen zu berichten, die von Sagen umwoben sind. Da steht verzeichnet: ... wo später das Kloster der heil. Dreifaltigkeit stand, befand sich ehedem der Ort Rickayot oder Romove. Im Hain von Romove stand eine Eiche, 6 Ellen dick-zergüber gemessen, oben sehr breit und so dicht, dass weder Regen noch Schnee hindurchkonnte, denn sie behielt auch im Winter ihr Laub und blieb grün. In dem Stamme waren unter den Ästen drei Abteilungen, in welchen die drei Hauptgötzen in gleicher Höhe standen. Ein ähnlicher Eichbaum in einem Walde bei Insterburg hat bis zum Jahre 1664, wo ihn ein Blitzstrahl vernichtete, gestanden.
Bei der Eiche in Romove wohnte der Kirwayte, auch waren ringsherum Unterkünfte für die Weydelotten, die hier dem Dienst der Götter oblagen. Um das Jahr 1015 ist der Polenkönig Boleslaus Chrobri eingefallen und hat Romove verwüstet, die Götzenbilder verbrannt. Aber die heilige Eiche hat lange gestanden und ist im Geheimen von den Preußen, selbst nachdem sie Christen geworden waren, angebetet worden. Wenn ein Mensch oder ein Stück eines von den Eichenblättern am Halse trug, glaubten sie, könne denselben kein Unglück treffen. Darauf ließ auf Bitten des Bischofs von Ermland der Hochmeister Winrich von Kniprode die Eiche durch den Marschall Heinrich Schindekopf umhauen und an ihrer Stelle erbaute Petrus Nugol von Sohr das Kloster zur heil. Dreifaltigkeit.
Heiligenbeils Name wird auch mit einer Eiche in Verbindung gebracht. Diese Eiche, die so groß war wie zu Romove, war ebenfalls im Sommere und Winter grün. Auch unter dieser Eiche war ein Götzenbild angebracht. Auf bischöflichen Befehl sollte die Eiche vernichtet werden, aber dem Beauftragten sprang das Beil ab und verwundete ihn tödlich. Da hat der Bischof selbst das Beil genommen und hineingehauen und den Baum verbrennen lassen. Das Beil bekamen die Preußen, hielten es für heilig und danach erhielt die Ortschaft den Namen Heiligenbeil.
Nicht weit von Wehlau, in Oppen, stand noch im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts in einem Garten eine alte Eiche von unglaublicher Stärke, von der man geglaubt hat, sie sei der größte Baum nach der Sündflut gewesen. Die Eiche war inwendig hohl und so weit, dass man mit einem Pferde hineinreiten und sich in diesem Hohlraum umdrehen konnte, wie denn solches auch die beiden Markgrafen von Preußen, Albrecht der Ältere und Albert Friedrich, getan haben. Diese Eiche ist zuvor, so lange sie noch grün gewesen und ihre Rinde hatte, 27 Ellen stark gewesen, wie dies der Rat zu Wehlau mit seinem Insiegel dem Pfarrer Henneberger bestätigt hat.
Bei Stallupönen hat auch eine mächtige Eiche einst gestanden, und darauf soll oben ein Tisch befestigt gewesen sein, an welchem die alten vornehmen Preußen ihre Zusammenkünfte hielten.
In Krücken bei Kreuzburg fand 1249 ein Kampf zwischen den Pruzzen und dem Orden statt. Die heidnischen Ureinwohner nagelten einen gefangenen Ordensbruder an einen Eichbaum. Der ganze Eichwald, der damals unmittelbar hinter der Kirche lag, hat fortan keine Blätter und Früchte getragen und endlich hat ihn Herr Bernt von Krücken abholzen lassen.
In der Nähe Labiaus stand vor alten Zeiten am Wasser eine Rieseneiche? Welche, dem Beschützer des Wassers, dem heiligen Jodocus geweiht war. Sie war inwendig hohl und jeder Schiffer, der hier vorbeisegelte, warf einen Pfennig in die Höhlung, weil er sich dadurch Schutz vor Sturm und Schiffbruch zu erkaufen hoffen durfte. Niemand wagte den in diesem Baume angesammelten Schatz anzurühren, bis einst ein wüster Geselle den sehr beträchtlichen Wert raubte. Da verdorrte der Baum, aber die Schiffer haben noch lange an der leeren Stelle ihren Pfennig weiter geopfert.
Wo einst der alte Landweg von Heiligencreutz nach Gr. Kuhren vorbeiführte und nach Nöttnicken abzweigte, befand sich noch bis zur Jahrhundertwende eine uralte Eiche, deren einzelne Äste verdorrt waren und besonders zur Nachtzeit einen gespenstischen Eindruck machten. Unter diesem Baume lag ein ganz schwarzer Stein von etwa drei Zentner schwere, den man den Teufelsstein nannte, weil sich in demselben ein hufähnlicher Abdruck befand. Dass es an dieser Eiche zur Nachtzeit nicht geheuer war, ist nicht verwunderlich. Schreiber dieser Zeilen hatte als Schuljunge ein seltsames Erlebnis an dieser Stelle. Es war ein Zufall, dass gerade in einer Herbstnacht zwischen 11 und 12 Uhr ein Rad eines Bauernfahrzeuges, auf welchem sich Genannter mit seinem Oheim befand, brach und aus dem Graben grässliche Laute ertönten. Die Haare sträubten sich beiden Teilnehmern vor Angst; denn der Böse musste doch seine Hand im Spiele haben. Die Pferde absträngen und nach Hause galoppieren war die Folge. Am andern Tage kam des Rätsels Lösung: Schweine eines Bauern aus Biskobnicken waren ausgebrochen und hatten unter der Spukeiche die Eicheln gesucht.
Eichen wuchsen vielfach auf den heidnischen Hünengräbern der Heimat, wie solches im samländischen Mandtkeim der Fall war. Im ersten Weltkrieg war es Sitte, Gedächtnis- und Hindenburgeichen zu pflanzen, die bekannteste Hindenburgeiche steht auf dem Feldherrnhügel bei Frögenau. Ja, wo die alten Eichen rauschten, lebt die Erinnerung, das Andenken an unsere ostpreußische Heimat! Hermann Bink
Seite 9 Erfinder haben es nicht leicht. Das „fließende Feuer" von Wehlau.
Vor 130 Jahren etwa lebte in dem kleinen ostpreußischen Städtchen Wehlau der Stadtapotheker Georg Friedrich Degner. Die Apotheke befand sich im Erdgeschoss des Rathauses. Degner war ein erfindungsreicher Kopf, ein „Kniewler" sagte man bei uns, und ihn interessierten nicht nur die bei ihm bestellten Pillen und Mixturen, sondern auch die Herstellung von Leuchtgas aus Steinkohlen, wie sie seit etwa 1820 schon in England betrieben wurde.
Man schrieb das Jahr 1828. Degner wartete erst die Abreise seiner allen solchen Experimenten durchaus abholden Eheliebsten zum Besuch ihrer Verwandten in Danzig ab und ging dann eifrig ans Experimentieren. Aus allerlei Retorten, Röhren und Kolben fabrizierte er sich einen geeignet erscheinenden Apparat — und siehe da, eines Tages konnte er vor den erstaunten Augen seines Freundes, des Stadtphysikus Adam Müller, ein zwar nicht ganz reines, jedoch brennbares Leuchtgas vorführen.
Degner war von seiner „Entdeckung" selbst so begeistert, dass er beschloss, diese auch seinen Mitbürgern vorzuführen. Durch die Mauer des Rathauses ließ er ein Loch brechen, der Klempner musste eine Blechröhre durchziehen, und an diese wurde dann der „Gas-Apparat" befestigt. Um die Schummerstunde entzündete der Herr Stadtapotheker eigenhändig das am straßenseitigen Ende der Röhre ausströmende Leuchtgas und fühlte sich so gehoben dabei, als hätte er eine kultische Handlung vollbracht. Der um das Gasfeuer sich sammelnden Nachbarschaft erzählte er dann begeistert von der Zukunft des Leuchtgases für die Straßenbeleuchtung. Man nickte zwar beifällig, vermochte aber die Bewunderung nicht zu teilen.
Jedenfalls erhielt tags darauf der hochwohllöbliche Magistrat von Wehlau Kunde von den „unseligen" und gefährlichen Experimenten des Stadtapothekers. Schon wenig später überbrachte ihm der Stadtpolizist ein Schreiben, durch welches fürderhin die Erzeugung von „fließendem Feuer" — so stand darin wörtlich streng untersagt wurde und der ganze Apparat sofort zu vernichten sei.
Degner kochte und reichte Klage gegen den Magistrat beim Landgericht ein. Dieses lehnte die Klage jedoch mit der Begründung ab, man habe sich durch ein ärztliches Gutachten von der Gefährlichkeit und den gesundheitlichen Schäden bei etwaiger Ausführung der Degnerschen Idee überzeugen lassen, man empfehle daher dem Stadtapotheker, die Fabrikation von Gas einzustellen.
Dieser bekam einen Wutanfall nach dem anderen, und da Freund Stadtphysikus Müller schließlich für den Geisteszustand Degners zu fürchten begann, schrieb er kurzentschlossen an Madame Degner nach Danzig und bat sie in schonenden Worten, unverzüglich nach Wehlau zurückzukommen, um den nur ihr möglichen wohltätigen Einfluss auf den Gemütszustand ihres Gatten an Ort und Stelle auszuüben. Sie kam, wenn auch erst nach ein paar Wochen. Böse Zungen behaupteten, gleich am Ankunftstage einen tüchtigen Krach in den Degnerschen Räumen gehört zu haben, bei der die Worte „Hexenmeister", „Phantast" und ähnliche gefallen sein sollen.
Madame Degner, eine sehr energische Frau, verhandelte dann mit dem Bürgermeister und dem Landgericht wegen der beleidigenden Äußerungen ihres Ehegatten, und die ganze Angelegenheit des „fließenden Feuers" verlief, wenn auch nicht zur Zufriedenheit ihres Erfinders, im Sande.
Stadtapotheker Degner hat dann nach einigen Jahren das Zeitliche gesegnet und konnte zu seiner Rechtfertigung somit nicht mehr erleben, dass an derselben Rathausecke, wo er das erste Leuchtgas seiner Erzeugung angezündet hatte, ein Menschenalter später derselbe Magistrat zu Wehlau die erste Gaslaterne anbringen und zur öffentlichen Beleuchtung anzünden ließ. Des Stadtapothekers Georg Friedrich Degner hat dabei keiner mehr gedacht.
Unsere Serie: Die Stadt Tilsit, Ostpreußische Geschichte am Beispiel einer Stadt, setzten wir in der nächsten Ausgabe fort.
Seite 9 Rinder für vertriebene Landwirte
Fünfzehn Rinder aus den USA kamen durch das Niedersächsische Vertriebenenministerium an vertriebene Landwirte in Niedersachsen zur Verteilung. Es handelt sich um eine Spende der Färsen Projekt Vereinigung (New Windsor/Maryland/USA), deren deutscher Sitz in Kassel ist.
Folgende vertriebene Landwirte wurden mit je einem Rind beschenkt:
Eduard Schonknecht, Estorf;
Ernst Koeplin, Windhorst;
Helmut Hilbig, Kirchdorf;
Herbert Mieske, Berenborstel b. Neustadt Rbg und
Fritz Hobus, Upsen b. Hoya.
Die Empfänger der Rinder mussten sich verpflichten das erste geborene Kuhkalb, das das geschenkte Rind zur Welt bringt, an einen weiteren Vertriebenen abzugeben - Die oben erwähnte Wohlfahrtsvereinigung hat seit Kriegsende rund 2000 Rinder in der Bundesrepublik an Vertriebene abgegeben, davon allein 762 in Niedersachsen. Die Rinder werden nur an vertriebene Landwirte verschenkt, die nicht staatlich gefördert werden können.
Seite 10 September. Von Franz Erdmann.
Mild, so trittst du hervor,
stiller, sanfter September,
einmal noch bist du uns hold.
Grillengesang tönt noch ans Ohr,
aber Gehänge von Gold
fallen schon schimmernd herab
über das Gartengeländer.
Silberne Fäden im Wind
und der Duft der Reseden
kommt vom Garten gelind.
Vögel sammeln sich, ziehen
wälderwärts fort nun in Scharen;
letztes leuchtendes Blühen,
aber auf Wolken, die fliehen,
kommt der Herbst schon gefahren.
Seite 10 Kulturschaffende unserer Heimat. Franz Erdmann. Mit Foto.
Lyriker und Dramatiker.
Manchmal braucht man in den Werken eines Schriftstellers oder Dichters nur flüchtig zu blättern, um auf eine Stelle zu stoßen, die für sein Wesen kennzeichnend ist, mit der er es offen darlegt, ohne sich dessen vielleicht selber bewusst zu sein. Wer den Danziger Franz Erdmann zu kennen glaubt, ihn nach seiner leichten heiteren Art, wie er sich für gewöhnlich gibt, zu beurteilen geneigt ist, der wird dieses Urteil nur sehr äußerlich zu fällen vermögen. Er wird dann überrascht sein, wenn er Gelegenheit hat, einmal seine Gedichte zu lesen, von denen eines „Tröstung" mit den Versen beginnt:
Rühr an das stille Saitenspiel
in deiner Brust, o rühr es an,
wenn deine Seele, lebenskrank,
in düstre Schwermut fiel!
Das ist die unbekannte Seite von Franz Erdmann, die er vielleicht zu verbergen sucht, in Besorgnis, noch nicht verstanden zu werden, die aber zum Vorschein kommt, wenn sein wahres Dichtertum ihn dazu drängt zu benennen, denn Bekenntnis ist ja dessen tiefer Sinn. Was könnte bei ihm der Grund einer Schwermut sein, dem das Leben heitere Lose beschieden zu haben scheint? Man muss seine Gedichte kennen, die er seiner verlorenen, durch sinnlose Zerstörung ihrer stolzen Schönheit beraubten Heimatstadt gewidmet hat. Da spricht mit erschütternden Worten ein Schmerz ob der dem eins so herrlichen Danzig angetanen Schmach, wie er ergreifender kaum in anderen Dichtungen gleichen Themas vorzufinden ist. Da klingt eine Sehnsucht auf nach jenen Stätten, die seiner Jugend Paradies waren, und lebensvolle Bilder lassen erkennen, wie sein Herz immer noch erfüllt ist von einem Glanz, den er aufleuchten zu lassen sich bemüht, um ihn wenigstens der Erinnerung zu erhalten. Zwei Strophen für so viele andere mögen dafür künden:
O Stadt, die meine Jugend hütete,
auf deren Wällen ich als Kind gespielt,
wo es geheimnisvoll aus allen Winkeln raunte,
wo sich mein Herz so frei, so wohl gefühlt.
O Heimatstadt, die mich mit Rätselaugen
aus Gassen, Toren, Türmen angeschaut,
wo traumhaft hell im Nebelglanz des Mondes
das Rathaus stand, so herrlich aufgebaut.
Doch es wäre verfehlt, Franz Erdmann nur als Heimatdichter sehen zu wollen, der einzig die Klage über sie anzustimmen weiß. Seiner Begnadung — das ist bei ihm nicht zu viel gesagt — war schon in früheren Jahren eine Fülle von Dichtungen lyrischer Art zu verdanken, die leider nur zu einem geringen Teil bekannt sind. Wohl sind in Zeitungen, Zeitschriften und Jahrbüchern einzelne seiner Gedichte, Skizzen, Novellen und Erzählungen erschienen, doch es fehlt die Herausgabe einer geschlossenen Sammlung, die einen Gesamteindruck vermittelt und zur rechten Wertung beiträgt. Sein Zyklus „Ländliche Kantate" zeigt eine meisterliche Vollendung der in Reimen gebundenen Sprache, wobei den einzelnen Teilen je nach ihren Themen der diesen gemäße Rhythmus gleich einer sie tragenden Melodie zugrunde liegt. Fast noch stärker ist die Ausdruckskraft in den „Meditationen über eine Seereise", die das Erlebnis fast plastisch dem Leser erstehen lässt. Und heute mit 60 Jahren — am 10. September 1958 vollendet Franz Erdmann sein sechstes Lebensjahrzehnt — kann er auf eine Ernte zurückblicken, zu der immer neue Garben eingebracht werden, ohne dass zu befürchten wäre, der Quell könne versiegen oder „der Poet würde des Dichtens müde werden". Gerade in den letzten Jahren hat er eine völlig andere Form gefunden, humorvoll satirischer Art. Es sind heiter und spritzig gehaltene Verse, die er überall verstreut unter dem Pseudonym Frank Marner erscheinen lässt, das er wohl wählte, um dem Vorwurf zu begegnen, dass dergleichen mit der Würde eines Studienrats und Doktors der Philosophie nicht vereinbar sei.
Das stille Saitenspiel weiß Franz Erdmann in zarten Tönen erklingen zu lassen. Doch er beherrscht auch die wuchtige Sprache der Dramatik. Mit 34 Jahren schrieb er sein erstes Bühnenwerk „Sappenkopf F" (1932), entstanden aus dem Erleben der Flandernschlacht 1917, das in Danzig zur Uraufführung gelangte. In kurzer Zeit nacheinander folgten das Schauspiel „Der Gang nach Compiégne" (1934), das Lustspiel „Der Streit der Rezensenten" (1935) und das Fragment „Alexander Puschkin" (1937). Sein Drama „Pidder Lüng", zu dem er durch die Ballade von Detlev von Liliencron angeregt war, wurde 1939 in Danzig uraufgeführt und darf als sein bisher größter Erfolg auf dramatischem Gebiet angesprochen werden. Er wurde daraufhin für den Kulturpreis der Stadt Danzig vorgesehen.
Für das nächste Schauspiel „Gottes Mühlen mahlen" erhielt er 1942 den Preis des Stadttheaters Elbing. 1944 schrieb er das Schauspiel „Die Füße im Feuer“. Nach einer durch den unglückseligen Ausgang des Krieges bedingten Ruhepause entstand das Traumspiel „Stimmen in der Nacht" (1948). Es folgte die Trilogie „Der Mensch am Scheidewege“, ein Zeitdokument mit den drei abendfüllenden Stücken „Das Mädchen aus der Fremde", „Der Weg geht durchs Feuer" und „Es wird kommen der Tag", die er in den Jahren 1950 bis 1955 niederschrieb. In freier Übertragung gestaltete er „Das Postamt" von Rabindranath Tagore zu einem Bühnenspiel „Der Brief des Königs", das 1956 in Iserlohn seine Uraufführung erlebte.
Jahre vorher schon begann er den Roman „Die Flucht ins Erlebnis". Dieser noch nicht vollendete Roman wurde ausschnittweise in Form eines Hörbildes unter dem Titel „Der Gefangene und die Briefe" vom Hessischen Rundfunk gesendet. Besonders hervorgehoben verdient die längere Erzählung „Der Fremde“. Erfreulich oft kommt Erdmann in verschiedenen Sendern mit Lyrik, Erzählungen und Porträts zu Gehör und findet dabei immer wieder ein starkes Echo.
Ganz gleich, ob Franz Erdmann lyrisch, dramatisch oder episch seinen Gedanken und Bildern Ausdruck verleiht, immer sind sie aus tiefer Empfindung geboren. Scharfe Worte sind ihm fremd, selbst über schlichten Gedichten ist ein feiner Schimmer starken Gefühls verbreitet. So wird sein dichterisches Werk bedeutungsvoll ausstrahlen und weiter wirken, wie er es sich in den Versen „Meinem Sohn" gewünscht hat:
Dann wirst du still die weißen Blätter wenden,
auf denen Leid und Lust geschrieben steht,
und wenn mein Leben längst auch schon verweht,
du hältst es noch so heiß wie einst in deinen Händen. H.-K. G.
Seite 10 Prof. Dr. Eugen Lemberg. Die Völker Ostmitteleuropas im Unterrich.t
Das Verhältnis der Deutschen zu ihren ostmitteleuropäischen Nachbarn ist durch Exzesse des Nationalsozialismus auf beiden Seiten, aber auch durch gegenseitige Unkenntnis und eine daraus folgende falsche Einstellung belastet. Es ist notwendig, dass nach Änderung aller Voraussetzungen dazu dieses Verhältnis überprüft wird. Es hat keinen Sinn, zu warten, bis die anderen den ersten Schritt tun. Die Deutschen, deren Rolle in Ostmitteleuropa sich so grundlegend geändert hat, sind an erster Stelle berufen, haben aber auch die besseren Voraussetzungen, dieses gegenseitige Verhältnis zu revidieren. Ihr Bildungswesen, ihre Schule hat entscheidend dazu beizutragen.
Im Bewusstsein der Deutschen, auch ihrer gebildeten Schicht, stellt Ostmitteleuropa, stellen seine Völker und Probleme einen weißen Fleck auf der Landkarte ihres Weltbildes dar. Das hat verschiedene Gründe:
Einmal stammt das deutsche Geschichtsbild aus dem 19. Jahrhundert, d.h. aus einer Zeit, in der sich die Deutschen wie ihre Geschichtsschreiber als Glieder einer germanisch-romanischen Völkerfamilie vorkommen konnten, deren geistige Ahnen in der griechisch-römischen Antike und dem vorderen Orient zu suchen waren, deren große Leistung das europäische Mittelalter, deren Ziel die Herausbildung moderner souveräner Nationalstaaten darstellte. Damals hatten die Völker Osteuropas noch verhältnismäßig wenig in die europäische Geschichte eingegriffen. Man konnte sie als historisch irrelevant betrachten, wenn auch einzelne weitsehende Männer (Johann Gottfried Herder, Tocqueville, Palacky u. a.) den Eintritt Osteuropas in die europäische Geschichte kommen sahen. Dieser Eintritt ist nunmehr erfolgt, in einer Schnelligkeit und in einer Weise, die man sich vorher kaum vorstellen konnte. Das erfordert eine Revision dieses Geschichtsbildes von der germanisch-romanischen Völkerfamilie und ihrem Endstadium in Form bürgerlicher Nationalstaaten. Das umso mehr, als in diesem fragwürdig gewordenen Geschichtsbild nicht einmal die deutsche Ostsiedlungsbewegung wirklich verarbeitet ist.
Ein zweiter Grund für die falsche Rolle, die Ostmitteleuropa und Osteuropa im deutschen Geschichtsbewusstsein spielen, ist die etatistische Grundeinstellung des deutschen Geschichtsdenkens. In eben jener Zeit des heftigen politischen Erlebens und der großen deutschen Geschichtsschreibung, im 19. Jahrhundert also, stand im deutschen Geschichtsdenken die Geschichte der Staaten im Vordergrund. Ein Volk galt erst dann als geschichtswürdig, wenn es sich in einem Staat gestaltet hatte. Nun hatten aber gerade die Völker Ostmitteleuropas in der entscheidenden Zeit ihrer geistigen und sozialen Entwicklung zur modernen Nation keinen eigenen Staat: In der Zeit von den Teilungen (1795) bis zur Wiederherstellung eines polnischen Staates (1918) haben die Polen ihre soziale Struktur und geistige Prägung als moderne Nation erhalten. Lange Jahrzehnte, bevor die Tschechen mit einem eigenen Nationalstaat in das deutsche Bewusstsein eintraten, hat die Wiedergeburt ihrer Sprache und die Entwicklung einer nationalen Ideologie eingesetzt; auch Russland und Italien sind weder geistig noch soziologisch zu verstehen, wenn man sie erst in dem Augenblick zur Kenntnis nimmt, da sie als Staaten auftreten. Um also die Völker Ostmitteleuropas zu kennen und zu verstehen, muss das deutsche Geschichtsdenken über seine etatistische Grundhaltung hinauswachsen.
Drittens aber ist die Vorstellung, die die Deutschen von ihren östlichen Nachbarvölkern haben entscheidend von der Situation des Volkstumskampfes geprägt, den sie zur Bewahrung ihrer Heimat und ihrer politischen, wirtschaftlichen und geistigen Positionen in Ostmitteleuropa gegen das nationale Erwachen dieser Völker und den damit verbundenen Nationalismus zu führen hatten. Das Bild, das da von diesen Völkern entstand, ist das des vitaleren, national bewussteren und gefährlichen Gegners, unplastisch, vereinfacht, verzerrt. Die veränderte Situation, die größere Distanz erfordern ein neues, plastisch gezeichnetes, in die Tiefe eindringendes Bild von diesen Völkern, das eine partnerschaftliche Auseinandersetzung ermöglicht.
Aus alle dem ergeben sich bestimmte Forderungen an die Bildungsarbeit der Schulen, insbesondere an den Geschichtsunterricht, an die politische Bildung, die die Schulen betreiben, aber auch an den Unterricht in fremden Sprachen und Kulturen.
Zunächst die Forderungen an den Geschichtsunterricht:
Eine Vermehrung des ohnehin schon überquellenden und zur Oberflächlichkeit zwingenden Geschichtsstoffes um die Behandlung auch noch der ostmitteleuropäischen Völker kann keine Lösung bedeuten. Es geht erstens um einen Neuentwurf des Geschichtsbildes, zweitens um eine neue Geschichtsmethodik, drittens um eine neue Rolle des Geschichtsunterrichts im Katalog der übrigen Fächer.
Zur Revision des Geschichtsbildes wurde das Notwendige eben angedeutet. Was die Methodik anlangt, macht der um Osteuropa zu erweiternde Geschichtshorizont einen radikalen Verzicht auf die bisher angestrebte lückenlose Chronologie notwendig. Die Darstellung bzw. Erarbeitung der Geschichte muss in Einzelbildern erfolgen, die exemplarischen Wert haben; d. h. in Bezug auf den Geschichtsunterricht, dass sie in das Verständnis geschichtlicher Situation, Zusammenhänge und Kräfte einführen. Das Ziel ist nicht die Kenntnis geschichtlicher Abläufe und Entwicklungen, sondern das Verständnis der Physiognomie, der Probleme und der Denkweise der verschiedenen Völker und Völkergruppen und der geschichtlichen Kräfte, die in ihnen wirksam sind. Damit ist schon angedeutet, dass der Geschichtsunterricht nicht, wie vielfach bisher, auf eine reine politische Fachhistorie beschränkt bleiben darf, sondern dass er Geographie, Landes- und Kulturkunde, ja Völkerpsychologie und Soziologie des betreffenden Raumes mit umfassen muss. Manche Lehrpläne haben das schon eingesehen und fassen für bestimmte Altersstufen Geschichtsunterricht, Geographie und Sozialkunde um zentrale Themen und Unterrichtsvorhaben zusammen (z. B. die hessischen Bildungspläne 1956/1957).
Die Aufgabe ist nicht leicht. Sie ist umso schwerer, als Wissenschaft und Volksbewusstsein der Deutschen um ein zeitgemäßes Geschichtsbild erst ringen. Eine Schar von Pionieren unter den Lehrern ist dazu notwendig. Ihre Arbeit darf sich nicht in der Würdigung deutscher Leistungen in Ostmitteleuropa und im Nachweis widerrechtlich enteigneter Rechte erschöpfen.
Die politische Bildung, die in den deutschen Schulen in Gestalt von Sozialkunde, aber auch in anderen Unterrichtsfächern und als Unterrichtsprinzip betrieben wird, hat von einem Blick auf Ostmitteleuropa und seine Probleme wie auf Osteuropa überhaupt entscheidende Impulse zu erwarten. Sie ist in der Bundesrepublik überhaupt ja zu einseitig aus der Situation von 1945, als eine Art Therapie und — freilich notwendige — Umerziehung angelegt. Das genügt auf die Dauer nicht als Programm für die politische Bildung und das politische Weltbild einer Nation. Demgegenüber bringen die Vertriebenen und Flüchtlinge aus Ostmitteleuropa reiche und bittere Erfahrungen über wesentliche politische Probleme mit — oder sie sollten es wenigstens. Die Problematik und Krise des Nationalstaates, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, Einsichten in das Nationalitätenproblem, das Wissen um die Möglichkeiten und Probleme übervölkischer Raumordnungen, Kenntnis von Natur und Methoden des Kommunismus: ein ungeheurer Fundus an leidvollen Erfahrungen und Einsichten, die für die politische Bildung des deutschen Volkes fruchtbar gemacht werden müssen, ehe sie vergessen werden und aussterben. Doppelt wichtig, dass gerade die ostdeutschen Erzieher in Bezug auf diese Fragen nicht in Ressentiments und in restaurativem Denken stecken bleiben — wie verständlich das an sich wäre —, sondern selbst aus dem Zusammenbruch ihrer Welt für die Zukunft lernen.
Was nun die Kenntnis der Sprachen und Kulturen der ostmitteleuropäischen Nachbarvölker angelangt, ist schon Wesentliches versäumt worden. Das deutsche Bildungswesen ist in seiner Kleinräumigkeit und kurzfristigen Planung nicht in der Lage gewesen, die ihm zur Verfügung gestellten Sprach- und Kulturkenntnisse für die Pflege eines ortskundigen Nachwuchses in allen Fach- und Berufsbereichen auszunützen. An Appellen dazu hat es nicht gefehlt. Das mindeste, was geschehen muss, ist, dass jeder der ostdeutschen — und westdeutschen — Erzieher, die diese Situation sehen, in seinem Wirkungsbereich für die Förderung solcher Kenntnisse sorgt, die Jugend dafür interessiert und durch wissenschaftliche und publizistische Arbeit dazu beiträgt. Das hat allerdings wenig Sinn, wenn es in dem apologetischen, nur deutsche Positionen nachträglich rechtfertigenden oder verteidigenden Sinn geschieht. Der bessere Dienst am eigenen Volk und an seiner Stellung zu Ostmitteleuropa ist der Blick über die Volksgrenzen hinaus, die Vorbereitung eines überlegenen Verständnisses der Nachbarvölker und eines - partnerschaftlichen Verhältnisses zu ihnen, was ja — entgegen häufigen Missverständnissen ist das klarzustellen — kein Aufgeben der eigenen Position bedeutet, sondern im Gegenteil die bei den uniformierten Deutschen übliche kritiklose Übernahme von Ideologien und Propagandathesen aus diesem Raum verhindert. Nur eigenes, überlegenes, von Ressentiments unverzerrtes Urteil kann einem Volk diesen notwendigen Dienst leisten.
Eine Arbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht hat freilich die naheliegende Aufgabe, dem deutschen Volk und seiner Jugend Kenntnis von dem und Verständnis für den teils unbekannten, teils in Vergessenheit geratenden deutschen Osten zu vermitteln. Aber sie würde diese Aufgabe nur sehr unvollständig und in einer ihrem tieferen Sinn widersprechenden Weise erfüllen, würde sie den Begriff „Deutsche Ostkunde“ nur auf die Kenntnis von den Deutschen im Osten beschränken. Zu der hier befürworteten Erweiterung des Begriffes auf die Kenntnis der ostmitteleuropäischen Völker und ihrer Probleme bedarf es freilich eines politischen Weitblickes, aber auch sittlicher Kraft und Selbstüberwindung. Dass die Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht diese Notwendigkeit erkannt hat und ihr in Arbeitstagungen und Diskussionen Rechnung trägt, zeigt, dass dieser Weitblick und diese sittliche Kraft vorhanden sind.
Vorstehendes Referat wurde von Prof. Dr. Lemberg bei der Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht in Marburg vom 9. - 12.04.1958 gehalten. Entnommen den West-ostdeutschen Blättern für Erziehung und Unterricht „Deutsche Ostkunde", Nr. 2/1958.
Seite 10 Jahrestagung ermländischer Historiker.
Die christliche Glaubenstradition des deutschen Altpreußenlandes stand im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung des Historischen Vereins für Ermland, die in Aachen stattfand. Der Vereinsvorsitzende, Univ.-Prof. Dr. Schmauch (Ingelheim), zeichnete ein Bild des großen Astronomen Kopernikus. Dr. Anneliese Triller (Bonn) stellte in ihrem Referat über Wallfahrten im ermländisch-ostpreußischen Raum fest, dass vor der Reformation in Altpreußen bereits 35 Wallfahrtsorte existiert hätten. — Der großen Mystikerin des Preußenlandes, Dorothea von Montau, die Ende des 14. Jahrhunderts eine Pilgerfahrt zu den Aachener Heiligtümern machte, galten die Ausführungen von Pfarrer Westpfahl (Witten). — Über den Verlauf des Heiligsprechungsprozesses in Rom berichtete Msgr. Dr. Stachnik (Coesfeld). Über den Stand der Forschungen zur Frömmigkeit und Mystik im Deutschordensland referierte Stud.-Prof. Juhnke (Augsburg). — Besonders anregend waren die Ausführungen von Dr. Wermter (Köln) über die Anschauungen des ermländischen Bischofs Kromer über die Völker des polnisch-litauischen Staatsverbandes im 16. Jahrhundert.
Einleitend sprach Dipl. oec. et pol. B. M. Rosenberg über die vielfältigen Beziehungen des Deutschordenslandes zum linksrheinischen Raum. Den Abschluss bildete eine Fahrt über die westliche Grenze zu den Deutschordensniederlassungen Sint Pieters-Voeren und Altenbiesen.
Seite 10 Polnischer „Tannenberg"-Film.
Nach einer Meldung der in Allenstein (Ostpr.) erscheinenden Zeitung „Glos Olsztynski" werden gegenwärtig in der Gegend von Heilsberg Außenaufnahmen für den Film einer Lodzer Herstellerfirma gedreht, bei dem der bekannte polnische Schriftsteller Marian Brandys das Manuskript geschrieben hat. Dieser Film hat den Sieg des litauisch-polnisch-tatarischen Heeres über den Deutschen Orden bei Tannenberg im Jahre 1410 zum Thema.
Seite 11 Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.
Andreas – der Hirt / Von Fritz Kudnig.
Ebenso wie der überlebensgroße Tischlermeister fiel in meiner Ferienresidenz Deutschendorf der alte Andres auf, allerdings nicht durch seine körperliche Größe, sondern durch seinen zu klein geratenen Verstand und sonstige Eigenarten.
Andres war Hirte bei Amlings, auf dem Hofe in dem mein Großvater als Altsitzer saß. Andres war alt wie Methusalem. Schon in der Zeit als Großvater noch den Hof bewirtschaftete, hatte Andres genau so ausgesehen wie unter dem neuen Bauern. Er war ein kleines krummes Männchen mit schmalen, knochigem Gesicht, dessen braunpergamentene Haut in tausend Falten und Fältchen lag. Diese Haut war von dichten, weißgrauen Haaren besetzt, die hart wie Glas, zum mindesten wie Getreidestoppeln waren, wenn man darüberfuhr. Rasieren schien bei dem Faltenreichtum der Backen ein Ding der Unmöglichkeit. Andres beschnitt seine Bartpracht darum nur jeden Sonntag, und zwar mit einer großen Schere, die er wie seinen Augapfel hütete und die er als besondere Kostbarkeit in einem vor Jahren wahrscheinlich weiß gewesenen Leinwandfetzen eingewickelt, in der Tasche trug.
Diese Tasche war eine Sehenswürdigkeit. Andres hatte sie selber auf der Innenseite seines blauen Leinwandrockes aufgenäht. Sie war so groß, dass ein einjähriges Baby ohne besondere Schwierigkeiten Platz darin hätte finden können.
Was diese Tasche barg, war märchenhaft. Nur sehr Vertrauten, wozu ich gehörte, gestattete Andres gelegentlich die Besichtigung all seiner Kostbarkeiten. Von Nadeln, Zwirn, Rock- und Hosenknöpfen, Wolle und Leinwand angefangen, war so ziemlich alles darin, was eine tüchtige Hausfrau brauchen würde, um eine dreiköpfige Familie zu benähen und zu bestopfen.
Aber auch was er an sonstigen Wertsachen besaß, hütete Andres sorgsam im heiligen Gewahrsam dieser Tasche: eine Schuh- und Kleiderbürste, ein mächtig langes Taschenmesser, ein vorsintflutliches Rasierzeug, einen Beutel mit Priem, eine Schachtel Lederfett, einen Schleifstein und vor allem seine Börse, in der er seinen ganzen Lohn aufsparte, um einmal im Jahre, und zwar am Ostersonntag, in die ferne Kreisstadt zur Kirche zu fahren, wozu der Bauer ihm laut Vertrag den Wagen zu stellen hatte. An diesem einen Tage im Jahre rasierte Andres sich unter steter Lebensgefahr nicht nur seinen struppigen Backenbart, sondern auch sein ganzes Haupthaar ab. Wie ein zerschundener Raubritter sah er nach der furchtbaren Kratzerei mit dem offenbar, völlig stumpfen Rasiermesser aus. Gesicht und Kopfhaut bestanden nur noch aus Blut und Wunden. Andres hatte einen großen Buckel und trug die linke Schulter mindestens zehn Zentimeter tiefer als die andere. Bei Verteilung der geistigen Kräfte hatte er offenbar in keinen Glückstopf gegriffen. Die Leute sagten, er wäre ein Häppchen dammlich. Seinen Mangel an Geist ersetzte aber eine umso treuere Seele.
Ich war sein ausgesprochener Busenfreund. Oft im Jahre fragte er den Bauern: „Wöll de Brunsbarjer nich bald komme?“ Und wenn ich dann endlich aus Braunsberg auf Ferien kam begrüßten wir beide uns regelmäßig schon an der Haustür mit mannhaftem Handschlag und umarmten uns ebenso freudig wie kraftvoll. Diese Liebe hatte einen besonderen Grund. Andres liebte über alles in der Welt das Militär. Sicher deshalb, weil ihm mein Vater, wenn er auf dem Hof seinen Urlaub verbrachte in seiner schmucken Kürassieruniform stets die Augen blendete. Andres wollte auf alle Fälle auch einmal ein so forscher Soldat werden, wie er mir bald nach unserer ersten Bekanntschaft ernsthaft verriet. Um ihn auf die ersehnte Soldatenzeit rechtzeitig vorzubereiten, übten wir täglich, sobald es seine Zeit erlaubte, auf dem Hofe Paradeschritt. In Ermangelung eines Schießgewehrs schulterte Andres seinen Peitschenstiel, mit dem er sonst die Schafherde in Schwung zu halten hatte. Und dann ging es los: Eins-Zwei-Eins-Zwei! Hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf! — Laufschritt-marsch-marsch! usw. usw.
Stiefel kannte Andres nicht. Er trug an den Füßen, die im Sommer wie im Winter in Fußlappen und dazu in dicken Wollstrümpfen steckten, ein Paar ungeheure Holzpantoffeln, von denen er sich auch nicht trennte, wenn er am Ostersonntag zur Kirche fuhr. Dass er diese Holzpantinen im Eifer des Gefechtes oft verlor, störte seine Begeisterung nicht. Auch machte es ihm nichts aus, wenn sein Marsch gelegentlich durch eine Pfütze führte, so dass das Wasser nur so spritzte. Ich hatte ihm von vornherein klar gemacht, dass ein Soldat schon in der Ausbildung das Schwierigste durchmachen müsste, wenn er den Feind einmal schlagen wollte.
Verhängnisvoller als der häufige Pantoffelverlust wirkte sich aus, dass Andres seine überaus krummen Beine nie so durchdrücken konnte, wie es meiner Meinung nach für einen künftigen Generalfeldmarschall unbedingte Voraussetzung war. Es half auch nicht das Mindeste, wenn er sich lang auf den Rücken legte und wenn ich dann tüchtig an den Beinen zog. Sie wurden zu seiner Betrübnis dadurch weder gerader noch länger, was eine stete Sorge für uns blieb.
Nein, die militärische Ausbildung fiel Andres wirklich nicht leicht. Und so ist er wohl auch nicht ganz ohne Grund vom Bezirkskommando der Kreisstadt als dienstuntauglich nach Hause geschickt worden, als ich ihn dort einmal hingeschickt hatte, um seine Einstellung als Freiwilliger zu beantragen.
Trotz unserer warmen Freundschaft ging Andres mindestens einmal in jeder Woche zum Gemeindevorsteher des Ortes, um sich über mich zu beklagen. Er beschwerte sich über alles Mögliche. Oft genug hatte er Grund dazu. „De Brunsburjer wöll nich pariere!" pflegte er dem Ortsoberhaupte zu berichten. Dies Oberhaupt kannte mich und mein Verhältnis zu dem Ankläger sehr genau und sagte sofortige strengste Bestrafung zu. Bereits dies Versprechen genügte Andres vollauf. Und schon am nächsten Tage meldete er sich, sobald er vom Felde kam, bei mir wieder freiwillig, um in alter Frische seinen königlich-preußischen Paradeschritt zu üben.
Auch auf den Bauern war Andres öfters schlecht zu sprechen. Und auch dann schulterte er seinen Peitschenstiel, von dem er sich selten trennte, und trat mit klappernden Klotzkorken seinen Beschwerdemarsch zum Schandar, zum Gendarm oder zum Gemeindevorsteher an. „De Bur wöll nich pariere! De Bure seie zu domm!" murmelte er auf dem ganzen Wege, auf dem ich ihn manchmal begleitete, in seinen Stacheldrahtbart hinein. Und das war dann auch wörtlich die ganze Beschwerde, die er an Ort und Stelle vorbrachte. Denn sein Wortschatz war seit je sehr karg bemessen. Zufrieden grunzend ging Andres sogleich wieder an seine Arbeit, wenn der Gemeindevorsteher auch in diesem Falle strenge Bestrafung versprochen hatte.
Einmal hatte ich Andres klar gemacht, er müsste sich erst den Bart ordentlich beschneiden, bevor er einen so wichtigen Gang zur höchsten Dorfbehörde antrete. Das sah er ein. Und damit es schneller ginge, erbot ich mich vor dem nächsten Beschwerdegang selber zu dieser Beschneidung. Das Haupt der Gemeinde hat sicher nicht schlecht gestaunt, als der wohlbekannte Beschwerdeführer an jenem Tage vor ihn trat. Ich hatte diesem nur die linke Bartseite fortgeschnitten. Bei der rechten hatte ich nur so getan, als wenn... Und so stand das wüste Stoppelfeld dort ganz unberührt in strahlender Schönheit.
Ja, ich war ein großer Sünder in meiner Jugend, das sei hier reumütig bekannt! Aber Andres hat seine Genugtuung erhalten, der Gute. Er ist bei seinem Tode, wie ich hörte, in allen Ehren und sogar unter Vorantritt des dörflichen Kriegervereins begraben worden. Das ist seiner alten Soldatenseele gewiss eine besondere Freude gewesen, nachdem seine Sehnsucht bei seinen Lebzeiten so jämmerlich Schiffbruch erlitten hatte.
Seite 11 Der Trick mit der Hose. Von Wolfgang Altendorf.
Diese Geschichte erlebte ich lange vor dem Krieg. Damals übte das Land im Osten, nahe der alten Grenze, einen besonderen Reiz auf mich aus, und ich erwanderte es mir kreuz und quer. So kam ich auch eines Tages in ein abgelegenes Dorf. Es gefiel mir, und ich blieb, mietete mir ein Zimmer und aß abwechselnd in den beiden Gasthäusern. Das Dorf besaß zwei Gasthäuser, beide entgegengesetzt an den Ortsausgängen liegend. Eines Abends saß ich im Gasthaus „Zum Elch", am Südausgang des Dorfes, und ich bemerkte sofort, dass dem Wirt irgend ein Vorkommnis die Laune gründlich verdorben hatte.
„Eine ärgerliche Geschichte ist mir passiert, aber Sie dürfen sie dem Glockenwirt nicht weitererzählen, sonst weiß sie morgen das ganze Dorf“, begann er. „Es mag gestern Abend so gegen sieben Uhr gewesen sein, als ein — nun, ein elender Zechpreller meine Gaststube betrat und sich das Beste von der Karte herunter bestellte, Wein dazu — na, und so weiter. Ich gab‘s ihm ohne Argwohn, denn er sah recht wohlhabend aus. Er trug einen langen mit Pelz besetzten Mantel, und auch sonst ... Nun, als es ans Bezahlen gehen sollte, da durchsuchte er alle seine Taschen, aber er fand seinen Geldbeutel nicht, der Halunke. „Hören Sie, Herr Wirt, die Sache ist mir sehr unangenehm“, sagte er. „Ich muss meinen Geldbeutel beim alten Semmerling (Sie wissen, der Advokat) liegen gelassen haben. Ich werde da mal nachschauen“.
Natürlich schöpfte ich sofort Verdacht und erklärte ihm, dass er ohne ausreichendes Pfand meine Gaststube nicht verlassen dürfe und griff nach dem Mantel! „Um Gottes willen – !“ rief er, „nur nicht den Mantel! Ich bin sehr erkältet, hab's auf der Brust und werde mir den Tod holen“. Er überlegte eine Weile und bot mir dann seine Hose als Pfand an. Das konnte er ohne weiteres, denn sein Mantel reichte ihm bis zu den Stiefeln herab. Na, ich war damit einverstanden. Ohne Hose, so dachte ich, kann er nicht weit kommen. Er zog also im Nebenzimmer seine Hose aus, ging und ist bis davo nicht mehr erschienen“.
„Haben Sie beim alten Semmerling nachgefragt?" fragte ich den Wirt. Das erste, was ich getan habe —! Aber selbstverständlich kennt der Advokat keinen Halunken meiner Beschreibung. Was aber das übelste ist —", er holte die Hose hinter der Theke hervor —, „diese Hose ist von ganz miserabler Qualität und keine 3 Mark wert!"
Ich besah mir die Hose, die tatsächlich von sehr schlechtem Stoff war, und bedauerte den Wirt von ganzem Herzen.
Am nächsten Abend saß ich im Gasthaus „Zur Glocke". Der Glockenwirt ging einige Male an meinem Tisch vorbei, setzte sich zu mir und erzählte mir ebenfalls, was sein Herz bekümmerte.
„Josef" — (dies war sein Hausbursche) — „werde ich wohl hinauswerfen müssen", begann er seufzend. „Der Junge — Sie werden es nicht glauben — hat gestohlen. Aber bevor ich Ihnen den Vorfall berichte, müssen Sie mir versprechen, dem Elchwirt nichts davon zu erzählen. Der Kerl würde es im ganzen Dorf herumklatschen!"
Ich versprach es, und der Gockenwirt fuhr fort. „Ein vornehmer Herr, ein feiner Mensch — ganz zu schweigen von seinem kostbaren Pelzmantel, den er trug — ein Gast also, wie man ihn sich in diesen teuren Zeiten wünscht, betrat vorgestern Abend so gegen neun Uhr meine Gaststube. Der Herr war stark erkältet, und aus diesem Grund behielt er seinen Mantel an. Ah, ein kostbares Stück von einem Mantel —!" Der Wirt schnalzte mit der Zunge. „Er bestellte sich das Beste von der Karte, trank meinen vorzüglichen Burgunder und belegte schließlich noch für die Nacht das erste Zimmer. Bevor er sich aber niederlegte, übergab er Josef, diesem Tagdieb!, sein Keiderbündel zum Säubern. Als er gestern früh Weiterreisen wollte, da geschah etwas Fürchterliches —!"
„Der Herr vermisste seine Hose", warf ich ein. „Richtig! — Aber woher wissen Sie? — Ja, die Hose war weg! Die kostbare Hose des feinen Herrn. Er hatte sie natürlich am Abend in dem Kleiderbündel Josef übergeben, und der Schlingel hatte sie verkauft oder vielleicht nur für eine gute Gelegenheit zur Seite gebracht, so sehr er es auch ableugnet. Mein Gott —! Ich hab das ganze Haus durchsucht, aber die Hose blieb verschwunden! Was konnte ich da anderes tun, als dem Herrn meine Sonntagshose zum Ersatz anzubieten? Sie passte leidlich. Das Schlimmste aber kommt noch! In der verschwundenen Hose befand sich die Geldbörse des Herrn! Die Sache war also klar. Josef hatte die Hose beiseite geschafft, um den Diebstahl der Geldbörse zu verschleiern. Jetzt stand der Ruf meines Hauses auf dem Spiel! Das Schicksal meinte es aber nochmal gut mit mir. Der Herr war zufrieden, als ich ihm zum Ersatz zehn Mark anbot, damit er wenigstens seine Reise fortsetzen konnte. Auf mein inständiges Bitten ließ er sich sogar bewegen, von einer Benachrichtigung der Polizei abzusehen und Stillschweigen über das Vorgefallene zu bewahren. Ein großzügiger Mensch! Ein vornehmer Mensch! Aber den Josef werde ich natürlich entlassen müssen. Wie sehr man sich doch täuschen kann. Gerade ihm hätte ich so etwas nicht zugetraut“. Der Glockenwirt schloss mit einem weiteren, tiefen Seufzer.
Ich aber begann schallend zu lachen. „Den Josef, den ehrlichen Jungen, den behalten Sie mal fein im Dienst!" rief ich.
„Wer aber gibt mir meine Sonntagshose wieder — und die zehn Mark?" fragte der Wirt aufgebracht.
Ich versuchte mich zu fassen. „Eine Hose", sagte ich, die können Sie sich von Ihrem Konkurrenten, dem Elchwirt, geben lassen. Sie ist zwar nicht von der ausgezeichneten Qualität Ihrer Sonntagshose — aber immerhin! Und die zehn Mark —", ich griff in meine Brieftasche — „die zahle ich Ihnen. Soviel lasse ich mir diese schöne Geschichte schon kosten!" Es war bezeichnend, nicht nur für die beiden Wirte, sondern stellvertretend auch für die Menschen dieser Gegend, dass auch sie dem gerissenen Zechpreller ihre Bewunderung nicht versagen konnten, als ich ihnen den Zusammenhang erklärte.
Seite 11 Ostpreußen — Urland der Menschheit?
Am 12. April 1806 starb zu Königsberg der Königlich-Preußische Konsistorialrat und Professor der Theologie Johann Gottfried Hasse. Geboren war er zu Weimar 1759 und studierte auch hier und später in Jena. Im Jahre 1786 kam er als Professor der morgenländischen Sprachen nach Königsberg, wurde 1788 Professor der Theologie und Konsistorialrat. Seit 1790 war er Rektor der Kathedralschule im Kneiphof.
Seine Schriften über verschiedene Bücher des Alten Testamentes, seine Sprachlehren und seine Erörterungen der orientalischen Sprachen, besonders der hebräischen, arabischen, syrischen, chaldäischen und äthiopischen, weisen ihn als fruchtbaren Gelehrten aus.
Sehr eingehend beschäftigte er sich mit der ältesten Erd- und Menschengeschichte. Darüber veröffentlichte er zu Riga eine Schrift über den Ursprung, die Zeit der Entstehung, das Vaterland und den Handel des Bernsteins. Dabei stellte er die Behauptung auf, dass Ostpreußen das Paradies der Alten, das Urland der Menschheit und die vor Jahrtausenden in dunklen Sagen gepriesene Gegend des Reichtums der Kultur und der Glückseligkeit in der alten Vorwelt gewesen sei. Diese Behauptung suchte er in einer 1789 zu Königsberg erschienenen Abhandlung zu beweisen. Der Titel dieser originellen Arbeit lautete: „Preußens Ansprüche als Bernsteinland, das Paradies der Alten und Urland der Menschheit gewesen zu sein, aus biblischen, griechischen und lateinischen Schriftstellern gemeinverständlich erwiesen".
Wie beurteilte seine Zeit diese Bemühungen Hasses? Ein Zeitgenosse schreibt: Gelehrsamkeit und Scharfsinn sind darin für wunderliche Ansichten aufgeboten ... Der Verfasser hat inzwischen diese Kinder seiner Phantasie so reichlich ausgestattet und so zu schützen versucht, dass diese Mitgift und ein sehr besonnener Angriff gegen Ansichten anderer nicht ohne Gewinn für die Bibelerklärung blieben...
Wir teilen diese Tatsachen aus der ostpreußischen Gelehrtengeschichte mit, um sie der Nachwelt zu erhalten und um zu zeigen, wie originell im alten Kulturland Ostpreußen gedacht wurde, möge die betreffende Wissenschaft entscheiden. Uns genügt es, die Bemühungen Johann Gottfried Hasses in den Blick einer interessierten Leserschaft gestellt zu haben. Alfred Kreuzer
Seite 11 Bild: Hellmuth Gramatzki. Graudenz (Öl)
Seite 11 September. Von Erhard Jos. Knobloch.
Die Eichel springt. Ein Apfel fällt.
Der letzte Hafer rollt vom Feld.
Zum Abschied ruft's vom Wald gu—gug.
Die Peitsche knallt. Es geht der Pflug.
Die Tenne dröhnt. Es fliegt der Staub.
Der Hofkastanie brennt das Laub.
Der Müller dreht dem Drachenwind
die Mühle zu: Dreh um! Geschwind!
Altweibersommer spinnt durchs Ried.
Mit Storch und Star der Sommer zieht.
Der Kürbis prahlt mit dickem Bauch,
und überm Acker steigt der Rauch.
Es riecht nach Fäulnis und Vergehn.
Weiß überm Bruch die Nebel stehn.
Zwar macht der Sonnenblumen Glanz
den Sommertag noch einmal ganz,
doch tut der Wandersmann jetzt gut,
zu denken, wo er winters ruht.
Seite 12 Ostpreußen – Leistung und Schicksal
Seit 1945 ist über unsere Heimat eine ganze Reihe von Büchern erschienen doch, beschränken sie sich meist nur auf einzelne Gebiete und Städte Ostpreußens. Als Quellen der Erinnerung wenden sie sich in erster Linie nur an Heimatvertriebene. Es fehlte bis jetzt ein groß angelegtes zusammenfassendes Werk über das gesamte Ostpreußen und seine auch heute noch lebendigen und fortwirkenden Werte.
Diese oft empfundene und beklagte Lücke füllt das kürzlich erschienene Ostpreußenbuch des Essener Verlages in geradezu beispielhafter Weise aus. In langer, sehr sorgfältiger Arbeit hat es Dr. Fritz Gause, der letzte Direktor des Königsberger Stadtarchivs und Stadtmuseums, zusammengestellt. Er hat sich dazu einen Stab von Fachleuten herangezogen, die entweder gebürtige Ostpreußen sind oder doch lange Zeit in Ostpreußen gelebt und gewirkt haben. Dadurch hat das Werk spürbar eine besondere Note, man möchte sagen eine verinnerlichte Note gewonnen. Alle diese Bearbeiter haben aus ihren Fachgebieten heraus ihr Bestes gegeben: es sind alles Namen, die unseren Lesern lange bekannt sind, wie Adree, Forstreuter, Gause, Grosse, Hubatsch, Hornberger, Kaminski, Keyser, Kirrinnis, La Baume, Maschke, Riemann, Schwarz, Seraphim u. a.
So konnte ein Werk entstehen, dass die Summe dessen enthält, was unser Ostpreußen einst war und was es geistig und wirtschaftlich für Gesamtdeutschland bedeutete. Die Hauptteile Landschaft, Menschen, Geschichte, Wirtschaft und Verwaltung mit insgesamt 17 reich bebilderten Kapiteln geben ein ebenso umfassendes wie fesselndes vielseitiges Bild unseres Landes, aus den verschiedenen Perspektiven gesehen. Sehr erfreulich erscheint uns, dass dabei zwei Gebiete besondere Abschnitte erhielten, die öfter zu kurz kommen: die Kultur unserer Heimat, die sie einst zwar vom Mutterlande empfing, aber auch in reichem Maße wieder zurückgab, und die Verwaltung der Provinz, die sich aufbauen und bis 1933 erhalten konnte auf den besten Traditionen des preußischen Staates. — Beinahe unnötig erscheint die Feststellung, dass die Ausstattung des Buches in Bild und Schrift seines Inhalts würdig ist und auch hoch gespannte Ansprüche vollauf befriedigt.
So mag das Ostpreußenbuch auch in Westdeutschland seinen Weg gehen und manchem darüber die Augen öffnen, was der Verlust unseres schönen, echt deutschen Landes für unser ganzes Volk bedeutet. Uns Ostpreußen aber soll es als ein Familienbuch im besten Sinne des Wortes immer wieder verpflichten, das alles um der Zukunft willen nie zu vergessen und das Wesen unserer Heimat in die Herzen unserer Kinder zu verpflanzen als unabdingliches Besitztum. —tpr—
Ostpreußen – Leistung und Schicksal. Hrsgg. Von Dr. Fritz Gause. In der Buchreihe „Deutsche Landschaft“. Burkhard-Verlag Ernst Heyer, Essen. Großformat, Ganzleinen, farbige Vorsatzkarte, Kunstdruck m. vielen Abbildungen. DM 28,--
Seite 12 Foto: Titelgrafik des neuen Gedichtbandes von Fritz Kudnig, gezeichnet von Prof. Eduard Bischoff.
Seite 12 Flucht und Einkehr.
Fritz Kudnig: Flucht und Einkehr. Die ostdeutsche Passion. Gedichte. Gräfe und Unzer Verlag, München. 48 Seiten, kart. DM 2,80, Ln. DM 4,25.
Ein neuer Band Gedichte von Fritz Kudnig und doch ist es als begegnete man hier erstmalig einem Dichter, so grundsätzlich in Motivwahl, Sprache und Melodik unterscheiden sich diese Verse beispielsweise von den beiden großen heimatlichen Zyklen „Das Wunder am Meer" und „Land der tausend Seen". Hier noch im Wesentlichen der berauschte Maler, der Pan-Verzauberte, der mit seinem Pinsel den Schönheiten seines Heimatlandes nachspürt und sie in wunderbar leuchtenden Bildern festhält. Aber schon die beiden folgenden Gedichtbändchen — „Gottes Lautenspiel" und „Seliges Gotteslied" — ließen erkennen, dass sich in dem Dichter eine Wandlung vollzogen, dass sein Suchen nach Schönheit im Äußeren vor einem solchen nach Innen mehr und mehr zurücktrat. Andere, im Menschen selbst ruhende Werte, verborgen oft und überwuchert, galt es sichtbar zu machen und in Beziehung zur Schöpfung zu setzen. Hier nun in diesem soeben in dem heute in München ansässigen alten Königsberger Verlag Gräfe und Unzer erschienenen neuen Gedichtband wird abermals eine Wandlung spürbar, eine sich vielleicht zwangsläufig aus der Thematik ergebende, der er sich hier zuwendet. Kudnig wird hier zum Chronisten der größten Tragödie unseres Volkes, der ostdeutschen Passion. Es geht ihm mit diesen Versen nicht darum, bestehende Ressentiments zu verewigen und damit Abgründe zwischen den Völkern zu vertiefen, sondern in dieser Zeit der Unmenschlichkeit ein Mahnmal zu setzen, eine Brücke der Menschlichkeit zu schlagen. In drei Abschnitten „Das verlorene Paradies", „Flucht" und „Einkehr" werden Bilder von zwingender Eindringlichkeit beschworen, sei es das liebende Zurücktasten in den Strophen des ersten Teils, in denen noch einmal das Bild der Heimat aufleuchtet, seltsam verklärt durch das nahende Verhängnis, seien es die realistisch aufgezeichneten Schreckensbilder der Flucht im zweiten Abschnitt
( „… jeder Mensch birgt in sich ein Tier") oder der versöhnende — auch mit diesem Schicksal versöhnende, wenn es in der Menschlichkeit von morgen seinen Sinn findet — Ausklang „Einkehr", in dem wir die bekennenden Worte „Wandle das Verlorene zu Leben" finden. Der heute 70-jährige Dichter, das beweist auch dieses neue Werk, hat noch vieles zu geben. Man wird daher noch etwas warten müssen, ihm seinen endgültigen Platz in der deutschen Gegenwartsdichtung zuzuweisen. Der Königsberger Maler, Prof. Eduard Bischoff, hat den Umschlag mit einer kongenialen Federzeichnung geschmückt. -ejk
Seite 12 Mosaik des Lebens
„Mosaik des Lebens" betitelt sich ein Band Aphorismen aus der Feder des Danziger Schriftstellers Hans Bernhard Meyer, der soeben im Verlag Gerhard Rautenberg, Leer (72 Seiten, bibliophil ausgestattet, DM 3,90) erschienen ist. Der Autor ist vor allem den Danzigern kein Unbekannter mehr, seine Erzählungen, wie er sie in den Bänden „Schaffende Hand, kämpfendes Land" (1937) und „Möwen umkreisen das Krantor" (1954) gesammelt hat, haben weite Verbreitung gefunden. In den Bänden „Danzig" (1936), „Das Danziger Volksleben" (1956) und „Danzig in 144 Bildern" (1936) hat er seiner Heimatstadt als Kunsthistoriker, Volkskundler und Herausgeber weitere Denkmale gesetzt. Doch damit ist die Weite seines Schaffens noch nicht umfasst und nur zu einem Teil gekennzeichnet. Hans Bernhard Meyer ist auch Lyriker und Essayist, seine Arbeiten dieser Art sind weitverstreut in zahlreichen Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien anzutreffen. Mit diesem seinen neuen Band erweist er sich auch als Meister der kürzesten Form. Mit rund 300 Aphorismen, gespeist aus der Fülle von Erfahrungen und Erkenntnissen, wie sie nur das Leben selbst mit seinen Höhen und Tiefen schenken kann, legt er ein Bekenntnis zu diesem Leben ab, trotz allem. „Mosaik des Lebens" ist ein guter Wegbegleiter, dem man sich gern anvertraut. Möge er recht viele Freunde finden, denen er Freund sein kann, unaufdringlich und still, aber stets hilfsbereit, wenn man seiner bedarf. Und wie oft bedarf man eines helfenden, heilenden oder tröstenden Zuspruchs. –ejk
Seite 12 Heinrich von Treitschke.
Nicht die Jahre der Geschichte zähle, wer eines Volkes Alter messen will; sicherer zum Ziele führt ihn die tiefere Frage, welcher Teil der Vergangenheit noch als Geschichte in der Seele des Volkes lebendig ist.
Seite 12 Die Junker.
Walter Görlitz: Die Junker. Adel und Bauer im deutschen Osten. Geschichtliche Bilanz von 7 Jahrhunderten. C. A. Starke-Verlag, Glücksburg/Ostsee. XII und 462 Seiten, davon 25 Kunstdruck-Bildseiten. DM 19,50.
Das Wort „ostelbischer Junker" hat im Westen einen in der Regel wenig sympathischen Klang, aber es gibt ja so viele Vorurteile, die man leider von dort aus gegenüber dem deutschen Osten aus reiner Unkenntnis hegt. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass einmal ein historisch begründetes, unparteiisches und daher klares Bild geschaffen wird, wie es der bekannte Geschichtswissenschaftler Walter Görlitz in seinem reich bebilderten und vorzüglich ausgestatteten Werk mit großer Gewissenhaftigkeit herausgearbeitet hat. Seine Arbeit umfasst sieben Jahrhunderte der Geschichte des grundbesitzenden Adels und der mit ihm seit jeher verbundenen Bauernschaft in Ost- und Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Mecklenburg und Schlesien. Es ist weder eine Anklage noch eine Verteidigung. Der Verfasser schildert dabei mit großer Offenheit die oft aus Zeitverhältnissen und Persönlichkeiten hervorgegangenen Fehler und Schattenseiten — aber im großen Ganzen ergibt sich doch wohl ein Bild zu Gunsten des ostdeutschen adligen Großgrundbesitzers und seiner sozialen Einstellung. Manches schiefe, sicherlich oft von Parteipolitik diktierte Urteil mag bei gutem Willen dadurch beseitigt werden. Auch das Verhältnis zu dem benachbarten Polen wird wiederholt gestreift; Görlitz greift dabei über auf die „deutsch-slawische Schicksalsgemeinschaft", die unser Königsberger Landsmann Dr. Fritz Gause in einem Werk so vortrefflich dargestellt hat. Auf seinen 465 Seiten bringt Görlitz eigentlich weit mehr als der Titel besagt, sein Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Kulturgeschichte des landwirtschaftlich orientierten Ostens und dadurch auch zum geschichtlichen Werden des Bauernstandes. Die Darstellung schließt mit dem bitteren Ende 1945 und mit erschütternden Angaben über Einzelschicksale und das Ende des ostdeutschen Grundbesitzes. Die Demokratisierungs- und Nivellierungserscheinungen sowie der seit Kriegsende einsetzende völlige Wandel der sozialen Struktur bringen es mit sich, dass der dadurch entwurzelte Stand des ostdeutschen Gutsbesitzers in seiner oft so kernigen Eigenart immer mehr verblasst. — Das Namensverzeichnis mit seinen 26 Seiten ist von besonderem geschichtlichem und familiengeschichtlichem Wert.
Gerade über Ostpreußen bringt der Verfasser viel, und so behalten wir uns vor, auf einzelne Abschnitte des Werkes noch näher einzugehen. Störend wirkt es, dass Görlitz immer noch die von der Geschichts- und Sprachwissenschaft längst abgelehnte veraltete Bezeichnung „Pruzzen" statt „Prussen" anwendet; bei hoffentlich notwendigen weiteren Neuauflagen müsste das Wohl geändert werden. Dr. W. Gr.
Heinrich von Treitschke: Das Deutsche Ordensland Preußen. Mit einer Einleitung von Walter Bußmann. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. „Kleine Vandenhoeck-Reihe“, Bd. 11, 88 S., engl. brosch. DM 2,40.
Aus der damaligen (1862) liberalen und patriotischen Zeitstimmung, welche ebenso leidenschaftlich gegen ein reaktionäres Großpreußen wie gegen die partikularistischen Mittel- und Kleinstaaten gerichtet war, ist dieser Aufsatz des damals dreißigjährigen Privatdozenten Heinrich von Treitschke (später nach Rankes Tod Historiograph des preußischen Staates) entstanden. Treitschkes Anliegen besteht darin, den Modellfall einer Staatsbildung darzustellen, verfällt aber in seiner Darstellung immer wieder dem Geist seiner Zeit, historische Begebenheiten aus seiner Gegenwart heraus und einer preußisch-patriotischen Haltung zu begreifen, man spürt dies vor allem, wo er Werturteile über ,die Völker des Ostens verteilt. Die Einführung von Walter Bußmann gibt dem Leser unserer Zeit den notwendigen Schlüssel für die Lektüre dieses historischen Essays, und damit versehen mag man sich gern von der kraftvollen, von echtem Pathos getragenen Sprache Treitschkes in einen Abschnitt deutscher Geschichte führen lassen, der zugleich Anfang der Geschichte unserer Heimat Ostpreußen ist. — tt —
Dr. Gustav Großmann: Verdienen — Wie? (2. Aufl.). Ratio-Verlag Treu Großmann, München 9, 216 S., Ganzln. DM 16,80.
Von Dr. Großmann (gebürtiger Ostpreuße), den wir bereits als Verfasser der hier besprochenen Erfolgsbücher „Sich selbst rationalisieren“ und „Väter lehrt eure Kinder verdienen“ kennengelernt haben, erschien nun eine völlig umgearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage seines Buches „Verdienen — wie?“. Er stellt damit die große Frage nach dem Erfolg (gleich Verdienst) im Leben und versucht sie aus der Quelle langjähriger Studien und Erfahrungen so zu beantworten, dass sich für einen jeden Leser Nutzanwendungen für seinen persönlichen Fall ziehen lassen. Mit Hilfe seiner Arbeitsmethoden konnten bereits außerordentliche Leistungssteigerungen erzielt werden; dies darf wohl als bester Ausweis für die Richtigkeit der Arbeitsmethode des Autors herangezogen werden. Dieses Buch lehrt Nutzen so zu säen, dass er reiche Früchte trägt, und es lehrt auch die Kunst des Nutzen-Erntens.
Seite 12 Die beiden Federzeichnungen von Friedrich Kunitzer wurden mit freundlicher Genehmigung des Autors dem Band „Ikonen im Pulverrauch“ entnommen.
Seite 12 Russlandfeldzug.
Friedrich Kunitzer: Ikonen im Pulverrauch. Eine Zeichenfeder erlebt den Russlandfeldzug. 80 S., kart. DM 5,--. Bezug direkt beim Verfasser: Friedrich Kunitzer, Wiesbaden-Biebrich, Cheruskerweg 30.
Das Wort des russischen Schriftstellers Michall Schoblochow „In den Jahren der Unruhe und Sünde beschuldige niemand seinen Nächsten“, das Friedrich Kunitzer dem Abschnitt „Partisanen“ seines Skizzenbuches voranstellt, könnte über diesem ganzen Buch stehen. Kunitzer geht es nicht darum, zu beschuldigen, Recht oder Unrecht zu suchen, hier zu heroisieren, dort zu verdammen, sondern „er berichtet (wie Dr. Fritz Weigelt in seinem Nachwort sagt) mit den trockenen Strichen und Worten, wie das alle jene zuweilen tun, die mit dabei gewesen sind und in ihrem Tun keinen Sinn finden“. Und das gibt diesem Buch seinen besonderen Wert in unserer Zeit, wo Film und Publizistik bereits wieder das ihre tun, das Erlebnis Krieg so zu verfälschen, dass sich eine politische Nutzanwendung daraus ziehen lässt. Viele kleine und kleinste menschliche Episoden an den Straßen des Grauens hat Kunnitzer mit seiner Feder festgehalten und mit stenogrammartigen Texten versehen: da steht der Landser neben Partisanen, die junge Ukrainerin neben alten Marktfrauen, und immer wieder Gesichter, Gesichter – Menschen. Und als Hintergrund Russland, das Russland des Krieges: verbrannte Dörfer, zerbombte Wälder, die endlose Weite. Man spürt, dass das wahre Heldentum der Soldaten auf beiden Seiten und nicht minder der in Mitleidenschaft gezogenen Bevölkerung im fatalistischen Ertragen dieses Grauens lag. Kunitzer ist ein Mensch des Ostens, er wurde 1907 im damaligen Russisch-Polen, dem späteren Wartheland geboren. Sein künstlerischer Weg ist von den Stationen Krakau, Paris und München — hier Meisterschüler von Prof. Karl Caspars — gezeichnet. Vor dem Kriege malte er in den deutschen Siedlungsgebieten in Mittel- und Ostpolen und in der Weichselniederung. Dabei drang er tief in die Seele sowohl seiner Landsleute als auch der Slawen jenes Mischgebietes von Polen, Ukrainern und Weißrussen ein. Durch dieses Hineinfühlen und -denken in die Mentalität des slawischen Menschen gewinnen die Zeichnungen dieses Bandes an zwingender Überzeugungskraft und Echtheit.
Ein Kriegsbuch, das man mit gutem Gewissen sowohl den Landsern von einst als auch jungen Menschen empfehlen kann.
Seite 12 Neues aus der Werkstatt des „Karlsruher Boten“.
Wer die Entwicklung des ‚Karlsruher Boten' von seinen Anfängen an verfolgen konnte, wird mir darin beipflichten, dass seine Bemühungen um das Gedicht in unserer Zeit einmalig sind. Nirgendwo ist dem Gedicht ein nur annähernd so breites, von keinerlei Ismen begrenztes Forum eingeräumt. Das trägt gewiss mancherlei Gefahren in sich; vor der Vielzahl des Nur-Durchschnittlichen wird manches Gute in den Hintergrund gedrängt. Dazu muss man aber wissen, dass es dem ‚Karlsruher Boten' weniger um eine Wertung mit seinen Veröffentlichungen geht es vielmehr darum; vorzustellen. Das Urteil, Anerkennung und Ablehnung, bleibt dem Leser. Vor allem dem Nachwuchs wird dadurch die Chance geboten, oft erstmalig vor einen interessierten Leserkreis zu treten, und darin sehe ich überhaupt das Verdienst des ‚Boten'.
Diesmal sind es gleich vier Neuerscheinungen, die der ‚Bote' vorlegt, von denen besonders die gewichtige Anthologie
LIEBENDE. Almanach auf das Jahr 1958 (144 Seiten, mit zahlreichen, meist ganzseitigen Holz- und Linolschnitten, DM 5,--)
Ins Auge fällt. An den über 200 Liebesgedichten hat besonders der Nachwuchs, junge und jüngste Autoren, breiten Anteil, darunter euch die unseren Lesern gut bekannten Autoren Klaus Pawlowski, Karl-Heinz Jarsen und Jochen Hoffbauer. Daneben stehen namhafte ältere Autoren unserer Zeit sowie Übersetzungen aus romanischen und slawischen Sprachen. Ein schönes Geschenkbuch für alle Liebenden, zugleich eine Aussage unserer Zeit zu dem uralten Thema Liebe.
Als nächste Anthologien plant der ‚Karlsruhe Bote' für dieses Jahr: Lyrik der Jüngsten (bis 13 Jahre), und eine Weihnachtsgabe (Sonette, Oden, Elegien). Ein jeder kann Beiträge für diese Sammlungen einreichen. Anschrift: ‚Karlsruher Bote‘, Karlsruhe, Weinbrennerstraße 47.
An Einzelveröffentlichungen legte der ‚Bote' folgende drei Titel vor:
Otto Czierski DIE LEISE SPUR. Gedichte. 32 Seiten. DM 2,50. — Franz Mahlke: IM ZEICHEN DES RINGES. Gedichte. 32 Seiten. DM 2,--. — Kurt Rüdiger: PSÄLTERLEIN. Gedichte. 32 S. DM-.
Freunde des Gedichts werden gern auch auf diese Bändchen zurückgreifen.
Seite 12 Adam Mickiewicz in „Pan Tadeusz“.
„Mein Vaterland,
Du bist wie die Gesundheit;
Nur der weiß Dich zu schützen,
der Dich verlor!“
Seite 13 Eine kleine Kostbarkeit
Emil Merker: Im Widerschein des Glücks. Erzählung. Eugen Salzer Verlag, Heilbronn. Salzer Verlag, Heilbronn. Salzers Volksbücher, Band 56, 80 Seiten, DM 2,80.
Nach fast fünfjährigem Schweigen der Roman „Front wider den Tod“ nach den Aufzeichnungen einer Rotkreuzschwester war (eine letzte Buchveröffentlichung) überrascht der in diesem Jahr 70 Jahre gewordene Dichter des „Lieben Sommers“ mit dieser zarten Erzählung. Es ist die Geschichte einer unerfüllten Liebe, wenn man die Handlung überhaupt auf eine so einfache Formel bringen will. Als Mittelgestalt steht der etwas schwerblütige, neben seinem lustigen, lebenssprühenden Freund Ulrich still und schüchtern wirkende Michael. In den Sommertagen des Jahres 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges, lernen sie auf einer Wanderung durch ihre Heimat ein schwedisches Mädchen kennen und verlieben sich in sie. Ulrich folgt bald darauf Karin in ihre schwedische Heimat; er, der junge Architekt, möchte bauen, nicht sinnlos zerstören, wie es ihm das Gesetz des Krieges in seiner Heimat aufgetragen hätte. Michael aber kann sich zu diesem Schritt nicht entschließen, es ist zu viel da in der Dunkelheit seines Blutes, das ihn, obwohl innerlich in Auflehnung gegen die diktatorische Macht des Staates gerade jetzt nicht die Heimat verlassen lässt. So wird er hineingerissen in den Strudel der Kriegsereignisse. Er übersteht ihn, aber ein schweres Leiden als Folge einer Kopfverletzung überschattet sein ferneres Leben, und von Zeit zu Zeit fällt es ihn an wie ein Raubtier und löscht ihm das Bewusstsein aus. Nun hört er auch wieder von Ulrich und Karin; sie sind längst ein Paar, und sie bitten ihn, sie in ihrem Heim zu besuchen. Michael kommt der Einladung nach, und im Hause des Freundes begegnet er in Karins jüngeren Schwester Astrid dem lebendigen Bild jenes Mädchens seiner Erinnerung, dem einst seine Liebe galt, um nichts gealtert in den dazwischenliegenden zehn Jahren, als wäre die Zeit stehengeblieben. Aber die Zeit ist nicht stehengeblieben, er braucht sich nur Ulrich anzusehen und die Karin von damals, in deren Gesicht sich ein herber Zug eingeschlichen hat. Und er selbst — hat er es nicht selbst erlebt, dass zehn Jahre an einem Menschen nicht spurlos
vorbeigehen können? so hütet er scheu das Wiederaufflackern jener ersten großen Liebe, er möchte nur gut sein zu ihr, wie man einer kleinen Schwester gut ist. Plötzlich aber muss er erkennen, dass Astrid ihn liebt, und dieses jähe Erkennen geht über seine Kraft, das lauernde Tier in seinem Hirn in Zaum zu halten; er verliert das Bewusstsein. Astrid aber gibt ihre Liebe nicht verloren, sie will Krankenschwester werden und immer bei ihm bleiben als seine Gefährtin und seine Pflegerin zugleich. Michael aber weiß, er hat kein Recht, dieses junge Leben an sich zu ketten, und reist ab.
Ein Schicksal unserer Tage, eines der vielen tausend Schicksale, in die der Krieg tief eingriff und sie willkürlich veränderte; dieses hier durch den Mund eines Dichters aus der Anonymität herausgerissen und Dichtung geworden; eine Erzählung von filigraner Zartheit und Durchsichtigkeit trotz der streckenweise großen Sprödigkeit des Stoffes, in die die flüchtig hingeworfenen, aber das Wesen der wechselnden Landschaften treffender Bilder hineinleuchten.
Diese Wiederbegegnung mit Emil Merker nach so langer Frist konnte mit nichts besser als gerade mit dieser Erzählung eingeleitet werden. E. K.
Weg zum Selbst.
I. W. Hauer: Der Yoga. Ein indischer Weg zum Selbst. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart. 33,-- DM.
Es mag verwundern, ist aber Tatsache, dass es unter den zahlreichen Büchern, die sich mit dem Yoga befassen, eine streng wissenschaftliche Untersuchung über den echten, klassischen Yoga in deutscher Sprache bisher nicht gab. Wer hätte sie tiefgründiger schreiben können als Prof. Hauer, der einstige Inhaber des Marburger und später des Tübinger Lehrstuhls für Indologie, der lange Jahre des Studiums in Indien zubrachte, der sich jahrzehntelang mit dem Yoga beschäftigte und der die einschlägigen Schriften aus der Ursprache übersetzte — und zwar (dies ist bei der Übertragung der schwierigen fremden Begriffe ein besonderes Lob) kristallklar und jedem verständlich. Solche Klarheit zeigen nicht nur die Übersetzungen, sondern auch die dazu gegebenen Erläuterungen der ohne sie oft schwer verständlichen Texte. — Nicht ganz leicht wird es dem nicht Eingeweihten fallen, die sehr verwickelte, in ihrer Entwickelung vielfach sich überschneidende Geschichte des Yoga von der Zeit der Veden über die Upanishaden, über Buddhismus, Jinismus usw. zu verfolgen. Diese Mühe wird aber reichlich belohnt in den folgenden Abschnitten über das Yogasutra des Patanjali und die Entwicklung des Yoga bis zum Mittelalter und in der heutigen Zeit.
Von besonderer Bedeutung sind dann die Kapitel über die Gesamtwirklichkeit der Welt in der Sicht des Yoga und über den „Weg zum Heil", zur Befreiung aus den Fesseln des Schicksals. Es ist ein Heilweg, der, unter gewissen Voraussetzungen und Einschränkungen, auch — und gerade — uns Heutigen wesentliche Hilfen und Anregungen in unserm eigenen Lebenskampfe zu geben vermag. Dazu ist der in der Bhagavadgita aufgezeigte „Yoga der Tat" für uns Menschen des dynamischen Westens wohl der nächstliegende, vorausgesetzt, dass er nicht blind übernommen, sondern unserm eigenen Wesen entsprechend gegangen wird. Eine Erkenntnis, die die westliche Psychotherapie immer deutlicher macht. Darum gelten ihren verschiedenen Richtungen, ihren Werten an sich wie ihren noch vorhandenen Unklarheiten und Unzulänglichkeiten Prof. Hauers besonders tief schürfende Untersuchungen und eigenschöpferische Gedanken. Das Ganze ist ein Werk, das die außerordentliche Bedeutung des Yoga für die gesamte indische Welt und Ihren weiteren Wirkungskreis ebenso deutlich erweist wie seine Heilmöglichkelten für die geistverwirrten und seelisch entwurzelten westlichen Menschen, soweit sie noch die Sehnsucht kennen, zum wahren SELBST, dem schöpferischen Urkern der Welt und des eigenen Wesens zu finden. Fritz Kudnig.
Gerhart Hauptmann: WANDA. Roman. Verlag C. Bertelsmann, Gütersloh. 288 S., Ganzln. DM 6,85.
In Fortsetzung des verdienstvollen Unternehmens, das Werk Gerhart Hauptmanns in bibliophil ausgestatteten, zugleich preiswerten Einzelausgaben herauszugeben, erschien nun dieser heitere, tragische, im Künstler- und Artistenmilieu angesiedelte Roman ‚Wanda'. Im Mittelpunkt stehen sich der Bildhauer Haake und das triebhaft, haltlose Mädchen Wanda gegenüber, zugleich als Verkörperung zweier, grundverschiedener, sich einer Synthese verschließender Welten. In der mitreißend vorwärtstreibenden Handlung spürt man die Hand des Dramatikers. Es gibt wenige Werke, die den Leser so im Innersten packen und in keinem Augenblick loslassen, wie dieser Roman menschlicher Leidenschaften. vT
Seite 13 Professor Ernst Galt gestorben
Der aus Danzig stammende Kunsthistoriker Professor Dr. Ernst Gall ist in München gestorben. Professor Gall, Neubearbeiter von Debios „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler", hatte am 17. Februar 1958 seinen 70. Geburtstag gefeiert. Von 1929 bis 1945 war er Direktor der Preußischen Staatlichen Schlösser und Gärten in Berlin und von 1946 bis 1953 Leiter der Museumssammlungen in der staatlichen Verwaltung der bayerischen Schlösser, Gärten und Seen in München. Professor Gall, der seit 1947 Honorarprofessor für Geschichte der Baukunst an der Münchener Universität war, wurde durch seine Werke über romanische und gotische Architektur bekannt.
Seite 13 „Haus der Begegnung" in Hamburg.
Nach Münchener Vorbild wurde nun auch in Hamburg ein „Haus der Begegnung" eingerichtet. Es soll unter Mitarbeit deutscher Stellen vor allem der kulturellen Betreuung der Ostemigranten dienen. Ein reiches kulturelles Programm und Ausstellungen sind vorgesehen.
Seite 13 Ostdeutsche Kunstausstellung in Wolfenbüttel
Über 3500 Kunstfreunde haben die Ausstellung ostdeutscher Künstler besichtigt, die während des neunten Bundestreffens der Landeshuter im Schloss Wolfenbüttel gezeigt wurde.
Seite 13 Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen
Im Rahmen des nach längerer Pause wieder stattfindenden Volkskunde-Kongresses und 11. Deutschen Volkskundetages in Nürnberg findet vom 21. bis zum 23. Oktober eine Sondertagung der Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen im Verband der Vereine für Volkskunde i. V. statt. Dr. Meyer-Heisig, Dr. Gottfried Roesler und Prof. Dr. Johannes Künzig werden Forschungsberichte unterbreiten.
Rest der Seite 13 Buchvorschläge
Seite 14 Dr. Alfred Lau zum 60. Geburtstag. Heimat wird durch ihn lebendig.
Foto: Dr. Alfred Lau. Kreidezeichnung von Friedrich Kunitzer.
„Er hat das Gold des ostpreußischen Dialekts in der Kehle", heißt es in einer der vielen hundert Pressestimmen, die Dr. Alfred Lau während der zurückliegenden Jahre auf seinen zahlreichen Vortragsfahrten kreuz und quer durch das Gebiet der Bundesrepublik sammeln konnte, und damit scheint uns der Schlüssel nicht allein zu der über schon drei Jahrzehnte hinweg anhaltenden und sich immer noch steigernden Popularität, sondern auch zu der unverwechselbaren Originalität und Einmaligkeit dieses Mannes in die Hand gegeben. In der ostpreußischen Mundart in all ihren reichen, vielfarbigen Schattierungen ist er zu Hause wie kein anderer, aber nicht etwa wie in einem Raum voller lieber, toter Erinnerungsgegenstände, fein säuberlich unter Glas verwahrt, sondern wie man zu Hause ist, in einem Raum, das von Leben sprüht. Aber nicht allein, dass er der heimatlichen Mundart bei seinen Vorträgen vor Landsleuten seinen Mund leiht, er ist so eine Einheit mit ihr, dass er in ihr fühlt, denkt und dichtet. Und dies ist das große Geheimnis seines Erfolges! Der Zuhörer spürt, hier ist nichts gekünstelt und ‚gemacht', nichts mühsam aus dem Hochdeutsch des Denkens übersetzt, hier ist ein direkter Weg zu der Sprache des Volkes und seinem Fühlen. Kein Wunder also, dass in dem umfangreichen Werk Dr. Lau‘s alles das mitschwingt, was man schlechthin als Seele des Volkes bezeichnet: Naivität und Schläue und ein lebensfrischer derber Humor, hintergründiges Grübeln und die weite Skala einer unverfälschten Empfindungswelt. Mit Vorliebe greift er seine Gestalten immer wieder aus der breiten Schicht der einfachen Landbevölkerung, weil er sich hier dem Ursprünglichen am nächsten weiß.
Es wäre falsch, Dr. Lau mit einer Handbewegung in eine Reihe mit Humoristen, denen es allein um billigen Publikumseffekt geht, zu verweisen. Hinter all seinem Schaffen steht das ernsthafte Bemühen, alle, auch die kleinsten Nuancen ostpreußischen Volksmundes aufspüren und festzuhalten, fast Vergessenes neu zu beleben und der wissenschaftlichen Forschung das angewandte Wort gegenüber zu stellen.
Gern nehmen wir den 60. Geburtstag dieses ‚ostpreußischsten' aller Mundartdichter — wenn wir es einmal so ausdrücken dürfen — zum Anlass, seinen Lebensweg hier kurz zu beleuchten. Alfred Lau wurde am 1. Oktober 1898 in Friedrichsdorf, im Kreise Ortelsburg, geboren, fand aber seine eigentliche Heimat nach dem frühen Tode seiner Mutter im Hause seiner Großeltern, der Lehrersfamilie Lukat, in Tammowischken, Kreis Insterburg. In Insterburg besuchte er bis zum Russeneinfall im Jahre 1914 das Gymnasium, später in Nakel/Netze, wo er bei seinem Onkel Unterkunft fand. Dem Abitur folgte die Einberufung zum Füsilier-Regiment 34. Als Soldat erlebte er den ersten Weltkrieg an der Westfront. Nach seiner Entlassung widmete er sich dem Studium der Medizin an der Albertus-Universität Königsberg, wo er im Jahre 1923 mit der Dissertation über „Geistesstörungen nach Kohledoxydgasvergiftungen" zum Dr. med. promovierte. Aus gesundheitlichen Gründen war er aber bald darauf zum Berufswechsel gezwungen. Nach kurzer Tätigkeit als Angestellter der Deutschen Ostmesse lebte er als freier Schriftsteller in Königsberg. Hier gründete er die vielbeachtete und bald einen dankbaren und getreuen Leserstamm um sich sammelnde „Ostpreußische Dittchen-Zeitung" (später „Ostpreußische Sonntagspost"), einer Wochenschrift für Mundart und Volkstum.
In diese Zeit fallen die ersten seiner Auguste-Briefe, von denen — zunächst im Selbstverlag, später bei Gräfe und Unzer — im Laufe der Zeit unter dem Titel „Auguste in der Großstadt" sieben Bändchen erschienen. Daneben erschienen seine Mundartgedichte, gesammelt in zwei Bänden unter dem Titel „Schabbelbohnen". Dr. Lau versuchte sich aber auch auf dramatischem Gebiet und hatte mit seiner Posse „Auguste" im Königsberger Stadttheater einen Serienerfolg. Das Stück wurde später auch in Danzig, Elbing und vielen Kreisstädten mit gleichem Erfolg nachgespielt.
Von 1931 bis 1935 war Dr. Lau als Hauptschriftleiter der „Preußischen Zeitung" tätig, im Anschluss daran bis zum Kriegsende als Intendant des Reichssenders Königsberg.
Die Flucht aus der Heimat führte ihn in das kleine Harzstädtchen Bad Grund, wo er noch heute als freier Schriftsteller lebt, aber nur zur Hälfte des Jahres; denn die andere Hälfte ist er unermüdlich unterwegs, um seinen Landsleuten mit seinen Vorträgen für Stunden ein Stück echter, unverfälschter Heimat zu schenken.
Der Königsberger Verlag Gräfe und Unzer betreut auch im Exil weiter das Werk Alfred Laus; neben Neuauflagen seiner Erfolgsbücher „Schabbelbohnen" und „Auguste in der Großstadt'' (zwei Bändchen) sind neu erschienen die Gedichtbände „Plidder-Pladder" und „Kriemelchens“ sowie ein erster Band der in unserem Blatt seit Jahren periodisch erscheinenden Briefe des „Landbriefträgers Trostmann“. In Vorbereitung befinden sich ein neuer Gedichtband unter dem Titel „Ei kick dem“ und eine von ihm besprochene Schallplatte „Das Flohche“.
Unerwähnt sollen an dieser Stelle auch nicht die Verdienste des Jubilars um die Zusammenführung der überall im Gebiet der Bundesrepublik verstreut lebenden Landsleute und durch seine rege Vortragstätigkeit um die ständige Neubelebung der landsmannschaftlichen Gruppen bleiben. Weiß man, dass Dr. Lau in den zurückliegenden Jahren viele hundert Male am Vortragstisch gestanden hat, sei es in Gliederungen der Landsmannschaft oder des BvD, sei es in Schulen und Volksbildungswerken — allein im Jahre 1957 in über hundert Veranstaltungen, im laufenden Jahr wird sich diese Zahl voraussichtlich noch erhöhen —, so wird man diese Verdienste nicht hoch genug einschätzen können. Denn wo er auch auftritt, spricht aus ihm die Heimat, wird in seinem Munde Heimat lebendig; denn — und da möchte ich wieder das bereits eingangs zitierte Urteil heranziehen — „er hat das Gold des ostpreußischen Dialekts in der Kehle".
Wir glauben, wenn wir heute Dr. Alfred Lau unseren innigen Dank für seine langjährige treue Mitarbeit an unserem Heimatblatt abstatten, damit getrost den Dank aller seiner ostpreußischen Landsleute für manche unvergessliche Stunde verbinden zu können. Wir wünschen ihm noch viele fruchtbare Schaffensjahre!
Seite 14 Der zufriedene Zeitgenosse. Von Iwan Turgenjew.
Ein Mann eilte mit lebhaften Schritten durch die Straßen der Stadt. Seine Augen leuchteten und seine Lippen lächelten. Man sah es ihm an: Er war ganz Zufriedenheit und Freude. Er traf Bekannte, sprach mit ihnen, und sein Gesicht wurde immer heiterer.
Worüber war dieser Mann glücklich? Hatte er eine Erbschaft gemacht? Oder hatte er in der Lotterie gewonnen? Eilte er zu einem Rendezvous? Oder hatte er nur gut gefrühstückt und freute sich seiner Gesundheit und des Gefühls seiner Kraft? Hatte er einen beruflichen Erfolg errungen, oder war ihm ein Orden verliehen worden?
Nichts von alledem! Er hatte eine Verleumdung gegen einen Widersacher erdacht, hatte sie in Umlauf gebracht, und nun hatte er das Glück gehabt, diese Verleumdung aus dem Munde anderer zu hören, und das hatte ihm die Bestätigung dafür gegeben, dass seine Verleumdung — wahr sein müsse. Und zufrieden lächelnd eilte er weiter, um diese Wahrheit noch möglichst oft aus dem Munde anderer zu vernehmen ...
Seite 14 7. Eßlinger Begegnung
Zum siebenten Male treffen sich zwischen dem 10. und 13. Oktober die ostdeutschen Künstler aller Richtungen und Sparten in der „Eßlinger Begegnung". In diesem Jahre wird ein besonderer Zustrom zu den Fachtagungen und Veranstaltungen erwartet, da die Künstlergilde ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Die Entwicklung ihrer Arbeit soll in einer Sonderausstellung gezeigt werden.
Seite 14 Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (61)
Liebe ostpreißische Landsleite!
Wenn einer sich all mal was Besondres vornimmt! Ich wolld Pilzchens suchen gehn, aber de Emma, was meine Frau is, warnd mir. Se hädd geradzig inne Zeitung gelesen, dass inne Bundesrepublik jedes Jahr hundert Menschen an vergiftete Pilze sterben, und dies Jahr sind es erst neinundsechzig „Unglick schläft nich", meind se, „und einer solld es nich noch extra raufbeschwören. Musst denn gerad jetz gehn? Kannst nich warten, bis die hundert voll sind?“ Aber sagen Se selbst, wie können ausgewachsene Menschen so dammlich sein und Pilzchens essen, wo se gar nich kennen? Und nu solld ich lauern, bis sich noch elf sone Dussels fanden?
Ich hädd mich dadrauf verspitzt und panzerd deshalb meinem Busen mit Widerstand: „Essen will ich se ja gar nich, das kannst du machen, ich will se ja bloß suchen und aufsammeln“. Da nahm de Emma noch e Anlauf: „Jetz is es raus! Du willst mir also umbringen und so ganz nebenbei mein schwaches Lebensfunzelche auspusten. Giftige Pilze, was muss das fier e qualvoller Tod sein! Spillen mit Buttermilch is all nich scheen, oder Stachelbeeren mit Braunbier, aber nu Pilze!" Denn erzähld se noch, immer im Jammerns, dass se de letzte Nacht im Traum Kupfergeld gezählt hadd, was immer Unglick bedeiten tut, und von weitens kam e Langholzwagen mit schwarze Pferde an, was zweimal auf den Tod von nahe Verwandte hindeiten tut.
Aber ich blieb hart, zum dritten Mal in meinem Leben: „Also erstens, wenn ich mal irgendwie dein echtes ägiptisches Traumbuch inne Finger krieg, denn fliegt das im Ofen rein. Und zweitens geh ich morgen Pilzchens suchen, und wenn dir vor Boß der Hiftgirtel platzt. Ich binn inne Eichwalder Forst groß geworden, kenn jedem Pilzche perseenlich und denk nicht dran, mir meinem Plan durchkreizen zu lassen, bloß weil du eigensinnig bist. Morgen is gerad richtig. Der Waldboden is scheen durchgewärmt, und heite hat e bissche geregnet. So muss es sein“.
Da kriegd de Emma vor Schreck ganz runde Augen, denn so e lange Red hadd se von mir noch nich geheert, hold tief Luft und sagt: „Gut! Aber ich komm mit, und du wirst auch die Pilzchens essen, wo wir finden. Suchen kannst allein, denn ich will an unserm Unglick nich Schuld haben. Wenn einem gefunden hast, rufst mir, und ich schneid ihm ab“. Natierlich hab ich mir die greeßte Miehe gegeben, ihr das Mitkommen auszureden, denn de Emma mit im Wald, das war wie e Klotz am Bein. Aber balstierig, wie se is, blieb se bei ihrem Entschluss und kramd auch gleich de schwarze 3-ch außem Spind, wo se immer zum Einkaufen nimmt. Ach so, liebe Landsleite, Se wissen ja noch gar nich, was das is. Das is de Wachstuchtasch, aber weil das so schwer auszusprechen is, dass sich einer bald de Zung zerbricht, hab ich ihr 3-ch getauft. Das spricht sich besser.
Ich hädd mir all e paar Tage vorher e altem Marmeladeneimer besorgt und e Biegel aus e Stickche Draht rangemacht. Dem kriegd ich mit Fresstasche vollgepackt und mit zwei Flaschen Kaffee, dass wir unterwegs nich umkamen. Es war rein, als wenn wir drei Wochen im Unterseeboot untres Nordpoleis bleiben wollden. Um sechs hadd ich de Emma all hochgeschichert, und nu schraggelden wir gemietlich durchem scheenen Morgen und durchem Bauerochse seinem Roßgarten aufem Wald los. De Emma pusd wie e alte Kobbel, wenn bergauf geht, denn se is das Gehen nicht mehr so gewehnt. Außerdem scheierd ihr der Schuh am rechten Hack. Mir machd das garnuscht, denn was e richtiger ostpreißischer Landbriefträger is, der hat das Rennen raus. Und dass ich mir immer beide Absätze von außen schief tret, hat ja wohl auch seine Richtigkeit, weil de Erd rund is. Aufe Flinsenpfann möchden se ja wohl gerad bleiben.
Unter sone und ähnliche Gedanken — wenigstens war de Emma bis jetz still, weil se mittes Pusten zu tun hädd und de Luft zum Reden nich reichd — kamen wir im Wald rein. Dass de Emma ganz beruhigd sein konnd, hädd ich mir vorgenommen, bloß Steinpilze, Gelböhrchens und Marohnen zu suchen. Die sind alle drei nich beesartig. Bis Mittag hadden wir auch all direkt e paar gefunden, aber die meisten waren voll Wirmer, und de Emma war all ganz aufgeleest und schimpfd auf alles, was gab: Auf mich, weil ich nich wussd, wo die gesunde Pilzchens wachsen, aufe Sonn, weil es ihr zu heiß war, und aufem durchgescheierten Hack. Mit ihr Gebrill hold se uns natierlich dem Förster aufem Hals. Der schlich wie e Kreizotter durchem Unterholz und stand mit eins wie auße Erd gewachsen vor uns, wo wir gerad inne Schonung huckden und Mittagstund hielden. „Na", meind er leitselig, „lohnt sich wenigstens? Haben Sie was gefunden?" Dabei schield er in meinem Marmeladeneimer rein auf die paar vertrocknete Gelböhrchens und die zwei krutzige Marohnen. „Nein", sagd ich, „Herr Oberforstgehilfe, in Ihrem molschen Wald wächst ja nuscht. Die paar Pilzchens, wo einer per Zufall findt, sind alte Veteranen aus die Völkerwanderung. Da hädden Se man bei uns zu Haus inne Eichwalder Forst sehn solld oder inne Johannisburger Heide! Um acht gingen wir mitte Sens und mittem Wäschekorb los, und um dreiviertel nein mussd einer all zwei frische Körbe holen gehen“. Ich dachd im Stillens, nu machst dir mal richtig Luft! Und de Emma wurd auch karäsig, und das kam alles bloß wegen unsre schlechte Laune, und fragd ihm, ob er nich e Weilche Zeit hadd und ihr e bissche helfen wolld dem Hack pusten. Da wurd er mit eins ganz grien im Gesicht und ganz amtlich: „Haben Sie einen Leseschein?"
Ich hädd natierlich keinem, nich mal dem auße Leihbiblotek. Aber geistesgegenwärtig, wie es sich fier e heeheren Postbeamten geheerd, sagd ich: „Selbstverständlich" und wiehld auch gleich diensteifrig inne hintre Bixenfupp rum naches Portmannee. Ich wussd genau, was drin war: Drei einzelne Dittchens, eine Briefmark, wo nich kleben tat, und zwei abgefahrene Billjetts vom Omnibus, aber bloß kein Leseschein nich. Ich suchd und schimpfd aber es half nuscht, er fand sich nich, so dass
er uns aufschreiben wolld. Nu ward es also ernst. Aber da kriegd ich mit eins e lichtem Moment, klopfd ihm aufe Schulter und sagd: „Nu sein Se man nich so, Herr Oberforstrat, dass Se emmend Ihrem eignen Kollegen anzeigen. Ich war in Ostpreißen ja audch Waldarbeiter“.
Was soll ich Ihnen sagen, wir vertrugen sich wieder, er trank e Schluckche Kaffee, gab uns de Hand und schlug sich seitwärts in die Büsche. (So stand mal in mein Lesebuch, und ich missd es lernen.) Soweit war ja nu alles wieder ganz gut, bloß bei die angeregte Unterhaltung hädden wir gar nich bemerkt, dass e Gewitter raufkam. Der Himmel war all ganz beschwarkt, es wurd immer diesterer, und da zuckd auch all der erste Blitz. De Emma verschrak sich so, dass se foorts Baumstumpf runterplumsd, wodrauf dass se saß, und sich aufe Zung biss: „Und nu hucken wir auch noch ausgerechned im Fichtenwald! Vor die Fichten sollst du flichten", meind se, „bloß die Buchen sollst du suchen“.
Nu suchen Se man Buchen, wenn keine da sind! Was sollden wir machen, wir blieben untre Fichten hucken und ergaben uns in unser Schicksal. Bei jedem Blitz hoppsd de Emma vor Schreck hoch und klapperd mit ihre falschen Zähne wie de Knippelmusik beim Schitzenfest. Zuletzt stilpd se sich dem Marmeladeneimer ieberm Kopp, dass sie dem Blitz nich so inne Augen kriegd. Auch das schwerste Gewitter is emal zu End, aber fragen Se nich, in welche Verfassung wir nach Haus gingen. Durchgeweicht bis untre Haut, und wie wir endlich vor unsre Stubentier standen, da hädd de Emma dem Schlissel im Wald verloren, Gott sei Dank hadd se morgens beim Weggehen de Fenster groß aufgemacht, weil doch so scheenes, klares Wetter war. So konnden wir nu wenigstens auf diesem ungewöhnlichen Weg inne Stub rein, wo aber natierlich ganz vollgeregent war. Bald drei Stunden missden wir uns noch mit das Wasser raggen, ehr dass wir Ruh kriegden. Die paar Pilze, wo wir inne 3-ch mitrjebrachd hädden, kriegd Bauerochsens Kater mit das abgerissene Ohr. Aber er wolld se nich haben, und das kann ich ihm auch gar nich verdenken. Pilzesuchen kommt de Emma nu nich mehr mit, sagd se.
Viele herzliche Heimatgrieße! Ihr alter Ernst Trostmann Landbrieiträger z. A.
Seite 15 Es starben fern der Heimat.
Ernst Auszra, aus Schroop/Westpr. im Alter von 57 Jahren am 19. August 1958 in Gelliehausen Nr. 34.
Landwirt Friedrich Bemba, aus Königsfließ, Kreis Lötzen, im Alter von 68 Jahren am 12. August 1958 in Hannover-Vinnhorst, Schulenburger Landstraße 280.
Hans Hessenland, ehem. Gutsbesitzer in Ostpreußen, kurz vor Vollendung der goldenen Hochzeit am 14. August 1958 in Hildesheim, Langer Hagen 53.
Robert Schachschneider, aus Kl.-Krebs, Kreis Marienwerder, im Alter von 79 Jahren am 25. August 1958 in Rottorf, Kreis Winsen.
Seite 15 Turnerfamilie Ostpreußen - Danzig – Westpreußen.
Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 3.
Herzlichste Glückwünsche zum Geburtstage allen Kindern des September 1958. Besonders beglückwünscht seien die zahlreichen Jubiläumskinder dieses Monats:
am 17.09.1958: Ilse Weitzmann, KTC Königsberg, 20 Jahre;
am 10.09.1958: Hilde Gehlhaar, KTC Königsberg, 30 Jahre;
am 12.09.1958: Toni Assmus-Nawottka, KMTV Kbg., 40 Jahre;
am 15:09.1958: Horst Halb, Riesenburg, 40 Jahre;
am 02.09.1958: Erna Thrun-Probst, TC Danzig, 50 Jahre,
am 05.09.1958: Herbert Matzat, KTC Kbg., 50 Jahre;
am 09.09.1958: Eugen Schütt, TuF Danzig, 50 Jahre;
am 14.09.1958: Liselotte Milz-Reuser, KTC Kbg., 50 Jahre und
am 14.09.1958: Klara Pankrath-Modersitzki, Elbing, 50 Jahre;
am 15.09.1958: Erich Grimm, TuF Danzig, 60 Jahre;
am 04.09.1958: Eduard Quitsch, KMTV Kbg., 70 Jahre;
am 19.09.1958: Elisabeth Neumann-Holz, KMTV Kbg., 70 Jahre;
am 12.09.1958: Adam Lojewski, Lyck, 75 Jahre;
am 17.09.1958: Dr. Curt Reicke, KTC Kbg., 75 Jahre;
am 22.09.1958: Dr. Oswald Boethke, Dt. Eylau, 75 Jahre.
Das X. Wiedersehenstreffen beim Deutschen Turnfest 1958 in München ist verklungen. Es war die größte Kundgebung unserer Turnerfamilie seit dem ersten Treffen im Jahre 1947. Mehr als 400 Turnerinnen und Turner aus Vereinen des ehemaligen Kreises I NO der TD gaben sich am 22.09.1958 im Bennosaal des Münchener Löwenbräukellers ein Stelldichein und konnten dazu noch fast 100 Gäste aus allen Landesturnverbänden des Deutschen Turnerbundes und zu Münchener Bürgern gewordene Landsleute als Quartiergeber begrüßen. Unter den Ehrengästen befanden sich Wilhelm Braungardt, Ehrenmitglied des DTB, und Franz Wilh. Beck, Stellv. Bundesvorsitzender des DTB. Die Festansprache — Wilhelm Alm — stand unter dem Leitwort „Getreu allezeit". Bei der Totenehrung wurde besonders gedacht des am 26.02.1957 verstorbenen letzten Kreisvertreters I NO und Vaters der Turnerfamilie Ostpr-Dzg-Westpr., Fritz Babbel, und des am 20.07.1958 entschlafenen letzten Vorsitzenden des Zoppoter Turnvereins von 1890 Carl Hoffmann Mit tiefstem Bedauern nahm die Versammlung Kenntnis, dass wegen der zurzeit besonders schmerzlichen Auswirkungen der unglückseligen Teilung Deutschlands auf die Freizügigkeit unserer Schwestern und Brüder in der DDR von dort erwartete Turnschwestern fernbleiben mussten! Der stellv. Bundesvorsitzende des DTB, F. W. Beck, Wiesbaden, überbrachte die Grüße des Bundesvorsitzenden Werner Bockelmann und dankte für den DTB für die aufbauende turnerische Gemeinschaftsarbeit unserer Turnerfamilie; er erzählte von vielfältigen persönlichen Beziehungen zu unserer Heimatprovinz und übergab dem anwesenden letzten Vorsitzenden des MTV Tilsit eine Vereinsnadel dieses Vereins, die er vor rund 30 Jahren bei einem Lehrgang an der Deutschen Turnschule mit einem Tilsiter Turnbruder als Zeichen turnerischer Freundschaft und Verbundenheit gegen das Abzeichen seines Wiesbadener Turnerbundes getauscht hatte. Mit stolzer Freude hörten wir aus dem Munde des als Geschichtsforscher und Turnschriftsteller bekannten Turnbruders Beck, dass im Jahre 1888 als erstmalig in München ein Deutsches Turnfest gefeiert wurde, an Stelle des erkrankten Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft unser damaliger Kreisvertreter Professor Boethke. Thorn, zur Leitung des Turnfestes berufen wurde und diese Aufgabe bestens gelöst hat. So verbindet uns nordostdeutsche Turner dieses Ereignis ganz besonders mit München als Turnfeststadt. Übrige war der Sohn von Prof. Boethke, Tbr. Dr. Oswald Boethke, zu unserer Freude bei dem Wiedersehenstreffen auch anwesend.
Eine ausführliche Schilderung des Treffens und der Erlebnisse beim Deutschen Turnfest in München 1958 möchte ich mir für den Weihnachtsbrief vorbehalten. Alle, die nicht nach München kommen konnten, sollen dadurch auch teilhaben an der Freude, die in den Festtagen und trotz mancher Wehmut auch beim Abschied von München aus aller Augen leuchtete. Mit Dank für die viele Arbeit und Mühe, die damit verbunden gewesen ist, möchte ich aber doch schon hier feststellen, dass wir ohne die Mitarbeit unserer in München wohnenden Turnschwester Gustel Thienert und Turnbrüder Kurt Schmidt und Alfred Kaun dieses Fest nicht zu solchem Erfolg hätten führen können.
Eine Fülle neuer Anschriften für unsere Kartei hat das Münchener Treffen eingebracht, obwohl sich leider viele nicht in die Anwesenheitsliste eingetragen haben. Die Auswertung dieser Listen wird eine geraume Zeit erfordern. Ich hoffe aber, dass meine durch einen längeren Ferienaufenthalt im Anschluss an das Turnfest wieder gefestigte Gesundheit mir die Durchführung dieser Arbeit gestattet.
Als eine besonders hohe Anerkennung, die euch allen, liebe Turnschwestern und Turnbrüder, wie mir selbst gilt, da nur unsere gemeinsame Turnertreue die Turnerfamilie zu binden vermag, fasse ich es auf, dass mir am 18. März 1958 der Ehrenbrief des Niedersächsischen Turnverbandes und jetzt ist München am 25. Juli 1958 der Ehrenbrief des Deutschen Turnerbundes verliehen und die Ehrennadel in der Feierstunde der Altersturner durch den stellv. Bundesvorsitzenden des DTB, Tbr. F. W. Beck, angesteckt wurde. Onkel Wilhelm.
Seite 15 Ostpreußen-Kinder in der Salzburger Heimat.
Vor fünf Jahren beschloss die Salzburger Landesregierung über die Nachkommen der im 18. Jahrhundert wegen ihrer Glaubenstreue von Salzburg nach Ostpreußen vertriebenen Protestanten die Patenschaft zu übernehmen. Seither kommen alljährlich 20 Ostpreußen-Kinder nach dem Lande Salzburg, um hier die Ferien zu verbringen. Diesmal waren es elf Mädchen und neun Buben, die im Hochkeil-Haus am Hochkönig die Ferien verlebten. Die letzten Tage ihres dreiwöchigen Aufenthaltes verbrachten die Kinder in der Landeshauptstadt, wo sie die Kulturstätten besichtigten und auch eine Jedermann-Aufführung besuchen konnten. Bei der Gelegenheit statteten sie Landeshauptmann Dr. Klaus einen Dankesbesuch ab. Dem Landeshauptmann wurde hierbei von Karla Loerzer, deren einstige Vorfahren in Großarl lebten, ein Nelkenstrauß überreicht. Als Gegengeschenk erhielten alle Buben und Mädchen, unter denen noch manche echte Salzburger Namen wie Kreuzberger, Hundrieser, Schröder, Steiner usw. führen, die Broschüre „Salzburger Mand".
Seite 15 Duisburg hilft Königsberger Kindern.
Duisburg, die Patenstadt Königsbergs, ermöglicht ebenso wie im vergangenen Jahr wieder 20 Kindern hilfsbedürftiger ehemaliger Königsberger Familien einen dreiwöchigen Erholungsaufenthalt in einem Ferienheim am Niederrhein.
Seite 15 Aus den Landsmannschaften.
Flensburg
Herrlich war das Wetter, als sich die ostpreußischen Kinder mit ihren Muttis und Vatis am Eingang zur Marienhölzung versammelten, um das traditionelle Kinderfest zu begehen. Mit Musik tippelten sogar die Kleinsten ab 3 Jahre zur Gaststätte in der Marienhölzung. Hier erwartete sie die lange Jahre bei der Ausgestaltung der Kinderfeste bewährte Mutti Lutzkat, die so allerhand „süße und neckische Sachen" aufgereiht hatte als Preise für gutes Wetteifern bei den vorgesehenen Spielen. Nach einer kurzen Kaffeepause teilten die Betreuerinnen und Betreuer die Kinder nach Altersklassen auf und führten dann gruppenweise interessante und zum Teil auch recht schwierige Wettspiele durch, wobei selbst die „Kleinsten" (bis zu 6 Jahren) unentwegt wetteiferten. Neben laufend an alle Kinder verteilten Süßigkeiten wurden an die Tüchtigsten und Tüchtigen, je nach Leistung, große und kleine Preise verteilt, worüber überaus große Freude herrschte. Bei der Vielzahl der abwechslungsreichen Spiele verlief der Nachmittag viel zu schnell. Überaus groß war die Freude, als zum Luftballonumzug — mit voranmarschierender Kapelle — jedes Kind einen bunten Luftballon erhielt.
Zum Schluss gaben Muttis und Vatis — wobei sich selbst Omas beteiligten — ein herrliches Schauspiel, als sie beim Tauziehen ihre Kräfte zu messen versuchten. Auch an die Sieger dieser Mannschaft wurden „süße Preise" verteilt.
Als die Sonne unterging, traten die kleinen wie die großen Kinder den Weg nach Hause an mit dem Wunsch: „Wann ist wieder ein so schönes Kinderfest".
Itzehoe
Die über 65 Jahre alten Landsleute aus Ost- und Westpreußen in Itzehoe waren sehr zahlreich einer Einladung der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen zu einem Nachmittagskaffee gefolgt. Schon seit langer Zeit ist dieser „Alten-Kaffee" eine freudig erwartete Veranstaltung, die in bestimmten Zeitabständen wiederholt wird. Der 1. Vorsitzende der Landsmannschaft. Schulrat i. R. Richard Grohnert, hob in seiner kurzen aber überaus herzlichen Begrüßungsansprache hervor, dass der starke Andrang bei dieser Veranstaltung Beweis für die Verbundenheit gerade der alten Landsleute mit der feinen Heimat sei. Eine Sing- und Spielgruppe von Kindern der Delftor-Schule erhielt großen Beifall für die netten und sehr lustigen Darbietungen. Nach dem allen Teilnehmern gut mundenden Kaffee und Kuchen, wurde zum besinnlichen Teil der Veranstaltung übergeleitet. Die Sopranistin Soltau trug ihre Lieder mit gepflegter Stimme und verständnisvoller Ausdeutung vor. Anschließend erfreuten sich die Teilnehmer an von dem Ehepaar Lach vorgetragenen Zwiegesängen im Volkston. Im Mittelpunkt des Nachmittags stand jedoch der Lichtbildervortrag „Die Kurische Nehrung im Zauber der Farben, im Spiegel der Dichtung". Von Hans Handt und Herbert Rüge geführt, erlebten die Anwesenden die eigenartig urtümliche Welt der Nehrung, die von Wilfried Pufahl mit zahlreichen Aufnahmen anschaulich gemacht wurde. Ein würdiger Abschluss war das von dem Bariton Ulbricht vorgetragene Heimatlied der Ostpreußen.
Für den plötzlich erkrankten 1. Vorsitzenden, Schulrat i. R. Grohnert, leitete der stellvertretende Vorsitzende Dr. Bahr die letzte Vorstandssitzung der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen. Nach einem feierlichen Gedenken an den kürzlich verstorbenen Landsmann Walter Worm und einer Würdigung seiner Verdienste um die Landsmannschaft erstattete Dr. Bahr den Bericht zur heimatpolitischen Lage. Im weiteren Verlauf wurde der Sommerausflug der Landsmannschaft besprochen. Ferner wurde festgelegt, am 29.10.1958 einen Heimatabend in Baumanns Gesellschaftshaus und am 06.12.1958 wieder einen Kaffeenachmittag für die über 65 Jahre alten Landsleute zu veranstalten. Die obligatorischen Weihnachtsfeiern für Kinder und Erwachsene finden am 17.12.1958 statt.
Lübbecke i. W.
Nach dem geschäftlichen Teil der letzten Monatsversammlung der hiesigen Ortsgruppe leitete Frau Goerke mit mundartlichen Versen zum unterhaltenden Teil über. Frau Haberet gab einen eindrucksvollen Bericht über ihre Erlebnisse auf einer Besuchsreise nach Ostberlin. Der Vorsitzende, Lm. Hardt, las zum Schluss einige Kurzgeschichten aus eigenen Werken vor.
Seesen/Harz
Eine Seereise mit der „Tannenberg" nach Ostpreußen — wohl kann man eine solche Reise heute nicht mehr durchführen oder noch nicht wieder, aber Obmann Papendick von der hiesigen Kreisgruppe verstand es, aus der Erinnerung heraus und mit Hilfe von über 100 Lichtbildern während des letzten Heimatabends den zahlreich erschienenen Landsleuten das Erlebnis einer solchen Reise zu vermitteln. An Zoppot mit seinem weit in die See ragenden Landungs- und Promenadensteg vorbei ging die Fahrt mit dem schmucken Schiff des „Seedienstes Ostpreußen" nach Danzig. Artushof, Krantor und Rathaus waren einige Besichtigungspunkte. Elbing, Frauenburg, Königsberg das wieder einer eingehenden Besichtigung unterzogen wurde; dann ging es nach Pillau und weiter nach Palmnicken. Die Kurische Nehrung in ihrer eigenartigen Schönheit ließ bei vielen der Anwesenden unbeschwerte Sommertage wieder lebendig werden. Den Schluss der Reise bildeten die Städte Memel und Tilsit. Eine Reise in die Vergangenheit, für die Obmann Papendick herzlichen Dank fand.
Für den 4. Oktober hat die Kreisgruppe einen Erntedank-Heimatabend in Vorbereitung, dessen Vorbereitung in den bewährten Händen von Frau Donnermann und der Jugendleiterin Lakaschus liegt. Den Auftakt werden die beiden Tonfilme „Segen der Erde" und „O Täler weit o, Höhen" bilden.
Seite 15 Ostdeutschland gestern und heute.
Der BVD-Landesverband Niedersachsen beteiligte sich auch in diesem Jahre wieder mit einer sehr interessanten Sonderschau „10 Jahre für den deutschen Osten" an der großen Hausfrauenausstellung in Hannover vom 31.08. - 07.09.1958 und führt im Rahmen dieser Ausstellung außerdem 2 Sonderveranstaltungen durch. Am 02.09.1958 im Spiegelsaal der Stadthalle, 20 Uhr, einen Lichtbildervortrag: „Ostdeutschland gestern und heute", am 03.09.1958 im Beethovensaal, 20 Uhr, einen musikalischen Abend „Ostdeutsche Künstler tragen vor".
Seite 15 Elbinger Kinder in Bremerhaven
In Bremerhaven begrüßte Oberbürgermeister Bodo Selge 24 aus Elbing stammende Jungen im Alter von 14 bis 19 Jahren. Die Jungen, die jetzt in der Bundesrepublik und in Berlin leben, verbringen auf Einladung der Stadt Bremerhaven einen 14-tägigen Erholungsurlaub im Naturfreundeheim in Wollingst (Kreis Wesermünde). Bremerhaven übernahm 1954 die Patenschaft über die Ostseehafenstadt Elbing. Seitdem lädt die Stadt Bremerhaven im Sommer jeweils Jugendliche aus Elbing zu einem Ferienaufenthalt ein.
Seite 15 Ein Leben für die Heimat. Zum Tode von Dr. Wilhelm Gaerte.
Bei Redaktionsschluss erreichte uns die erschütternde, noch immer nicht fassbare Nachricht vom plötzlichen Tode eines unserer treuesten Mitarbeiter seit Bestehen unseres Blattes, des letzten Landesmuseumsdirektors von Königsberg, Dr. Wilhelm Gaerte. Er starb nach kurzem Krankenlager am 31. August 1958 an einem Herzinfarkt, mitten aus seinen Arbeiten und aus einer Fülle von neuen Planungen heraus. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen noch vor wenigen Wochen mit Dr. Gaerte Zusammensein konnte, wird diesen Tod lange nicht begreifen können. Das Bild dieses an Körper wie Geist ungebrochen scheinenden Mannes, von dem eine bewundernswerte Vitalität ausstrahlte, ließ auch nicht einen Gedanken an ein so nahes Ende aufkommen. Am wenigsten wohl bei ihm selbst. Er sprach von seinem neuen Vorhaben, einen volkskundlichen Lichtbildervortrag über Ostpreußen aus Wiedergaben aller Quellen und vergleichender Beispiele zusammenzustellen, und seinen Bemühungen damit vor allem in den Volkshochschulen Eingang zu suchen. Er sprach von seinem jüngsten wissenschaftlichen Werk das er nach jahrelangen eingehender Studien abschließen konnte, und über den Stand der Verhandlung bezüglich der Herausgabe dieses Werkes. Er sprach von seinen Vortragsplänen für den kommenden Herbst und Winter und über noch weiter in die Zukunft greifende Pläne. Nein, er ahnte dieses jähe Ende selbst wohl am wenigsten.
Vieles wird nun im Entwurf liegen bleiben, aber — und das mag ein kleiner Trost sein in dieser Stunde — das Hauptwerk seines arbeitsreichen Lebens, vor allem da, wo es sich seiner ostpreußischen Heimat zuwendet, liegt im Druck vor, wie beispielsweise in seinem jüngsten Werk über das Brauchtum in Ostpreußen. Eine verdienstvolle Aufgabe wäre es noch, seine in den zurückliegenden zehn Jahren so zahlreich verstreut erschienenen gemeinverständlichen volkskundlichen Aufsätze über Ostpreußen zu sammeln und einmal geschlossen vorzulegen, wie es ja auch von ihm selbst beabsichtigt gewesen ist.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf sein Leben. Geboren in Eydtkuhnen an der damaligen russischen Grenze, hat er wie so viele prominente geistige Repräsentanten seiner Heimat — denken wir nur an Kant — bis 1945 seine Heimatprovinz nicht verlassen. Ihr hatte er sich verschrieben, und in ihr fand er Genüge.
Schon verhältnismäßig jung übertrug ihm der damalige Landeshauptmann von Ostpreußen die Leitung des Prussia-Museums. In Dr. Gaerte fand die Vorgeschichtsforschung in Ostpreußen den Initiator systematischer Grabungen, die wahre Schätze zutage förderten und reiche Aufschlüsse über Leben und Brauchtum der Urbewohner dieses Landes gaben. Lehrer und Schüler interessierte er landauf, landab für die Vergangenheit ihrer Heimat und organisierte so ein Netz von begeisterten Mithelfern über das ganze Land. In vielen Orten Ostpreußens unterstützte er die Bildung von Heimatmuseen. Er war es, der die Vorgeschichtsforschung aus den Grenzen einer trockenen Geheimwissenschaft auf eine breite populäre Ebene stellte und weite Schichten des Volkes dafür begeisterte.
Nach der Vertreibung, an der weiteren Forschung an Ort und Stelle gehindert, war er unermüdlich weiter, vor allem in der Erschließung vergleichender Quellen, tätig, der Vergangenheit seiner Heimat nachzuspüren und neue Erkenntnisse zu erschließen. In seinem oben zitierten Werk und darüber hinaus in zahlreichen Aufsätzen, die wir zum Großteil unseren Lesern laufend seit Jahren zur Kenntnis bringen konnten, hat er seine Forschungsergebnisse niedergelegt und der Wissenschaft zugänglich gemacht. Sie fanden verdiente Anerkennung im Kreise deutscher wie auch ausländischer Wissenschaftler.
Diese ununterbrochene intensive geistige Arbeit war es wohl, die ihn vorzeitig seine Kräfte untergraben und nun so überraschend auf das Krankenlager geworfen hat, von dem er sich nicht mehr erheben sollte.
Mit seinem Tode erlebt die Heimat wieder einen jener unersetzlichen Verluste, die eine fühlbare, nicht wieder zu schließende Lücke hinterlassen. In seinem Werk und im Andenken seiner Landsleute und Freunde aber wird er weiter lebendig bleiben. E. Kn
Seite 15 Viertes Kreistreffen der Lycker in Hagen
Das vierte Kreistreffen der Vertriebenen aus Lyck in der Patenstadt Hagen war besonders dadurch gekennzeichnet, dass der Kreistag von Lyck mit 30 Abgeordneten im Hagener Rathaussitzungssaal in einer öffentlichen Sitzung zusammentrat. Einem vom Kreisvertreter Otto Skibowski erstatteten Jahresbericht war u. a. zu entnehmen, dass über 58000 Einwohner von Lyck bis jetzt über 14 000 Karteikarten ausgefüllt wurden, auf welchen über das Schicksal der Betreffenden Auskunft gegeben wird. Der Kreistag billigte sodann Richtlinien für die besondere Ehrung von Persönlichkeiten, die sich um die Lycker besonders verdient gemacht haben. Es wurde zu dem Zweck ein Wappen der alten Masurenstadt in Bronze auf Eichenholz nach dem Entwurf des ostpreußischen Goldschmiedes geschaffen. Als erstem wurde das Wappen dem Hagener Verkehrsdirektor Dr. Bartens in Anerkennung seiner Verdienste um ein harmonisches Verhältnis zwischen den Hagenern und ihren „Patenkindern" überreicht.
Bemerkenswert war auch eine Zusammenkunft von 60 Lehrern und Lehrerinnen sowie Lehrerswitwen aus Lyck.
Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete am Sonntagvormittag eine öffentliche Kundgebung in einem Festzelt, an der über 3000 Personen teilnahmen. Der Oberbürgermeister von Hagen, Turck, überbrachte die Grüße der Stadt. Die Festansprache wurde von Regierungsdirektor Dr. Mätthé aus Berlin gehalten.
Die Stadt Hagen hat bereits vor einem Jahr im Gebäude der Verwaltungsschule mehrere Räume als ostdeutsche Heimatstuben herrichten lassen. Vom Arbeits- und Sozialministerium wurde für die Einrichtung der Heimatstuben ein Zuschuss gewährt und ostdeutsche Bilder als Wandschmuck zur Verfügung gestellt.
Seite 15 Heimatgemeinschaft Rößel (Fördererring)
Das diesjährige Bundestreffen der Schulgemeinschaft Rößel (Staatl. Gymnasium und Höhere Mädchenschule) findet am 13. und 14. September in Meppen/Ems statt, verbunden mit einem Heimattreffen für alle Angehörigen des Kreises Rößel, die im Emsland wohnen.
Das Heimattreffen der Heimatgemeinschaft Rößel beginnt am Sonntag, 14. September, um 9 Uhr mit einem katholischen Gottesdienst in der Meppener Gymnasialkirche; 9.30 Uhr Gottesdienst in der evangelischen Kirche zu Meppen für die evangelischen Teilnehmer. Nachmittags gemütliches Beisammensein im Hotel Warren. Im Rahmen dieses Treffens findet um 14 Uhr eine Mitgliederversammlung des Fördererringes der Heimatgemeinschaft Rößel statt.
Alle Landsleute sind zu diesem Treffen herzlich eingeladen. Unter dem Leitwort „Der Heimat und dem Ermland treu!" wollen wir uns zu einem frohen Wiedersehen in Meppen vereinen. Erwin Poschmann, Geschäftsführer, Kisdorf/Holstein (über Ulzburg).
Seite 15 Nienburg übernahm Patenschaft
Der Rat der Stadt Nienburg/Weser hat im Anschluss an die Übernahme der Patenschaft für den ostpreußischen Landkreis Bartenstein durch den Landkreis Nienburg/Weser nunmehr auch die Patenschaft für die Kreisstadt Bartenstein und für die kreisangehörigen Städte Domnau, Friedland und Schippenbeil übernommen. Die Patenschaftsurkunde überreichte Bürgermeister Artmann im Rahmen einer Feierstunde im Nienburger Rathaus dem Bartensteiner Bürgermeister a. D. Bruno Zeiß.
Seite 15 Schicksale werden geklärt
Bei der Erforschung noch ungeklärter Schicksale von Heimatvertriebenen und vermissten Deutschen steht die Landsmannschaft Ostpreußen an der Spitze aller Landsmannschaften. In der sogenannten Gesamterhebung der Vertreibungsschäden sind bereits in Listen 1264 300 Ostpreußen erfasst. In den noch zu bearbeitenden Listen stehen weitere 350 000. Es wird damit gerechnet, dass bei Beendigung der Aktion etwa 2 Millionen von den 2,33 Millionen Einwohnern Ostpreußens — nach dem Stand der Volkszählung im Mai 1937 — erfasst sein werden.
Seite 15 Abitur in Abendschulen
Viele junge Flüchtlinge und Spätaussiedler sind daran interessiert, in der Bundesrepublik die Reifeprüfung nachzuholen. Meistens ist es jedoch so, dass der einzelne weder Lust noch Zeit hat, noch einmal die Schulbank zu drücken. Im Allgemeinen hat bei den jugendlichen Flüchtlingen das Geldverdienen den Vorrang - was nach den materiellen Entbehrungen der Vergangenheit nur zu verständlich ist.
Begabte jugendliche Flüchtlinge und Spätaussiedler, die bereits in einer Berufsausbildung stehen, sich jedoch gern schulisch weiterbilden wollen, können sich durch den Besuch von Abendoberschulen auf das Abitur vorbereiten.
Abendgymnasien sind in folgenden Städten eingerichtet:
Aachen, Braunschweig, Bremen, Bremerhaven, Dortmund, Duisburg, Essen, Frankfurt (M.), Gelsenkirchen, Gießen, Göttingen, Hamburg, Hildesheim, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Lübeck, Mainz, Mannheim, Neuß, Offenbach, München, Saarbrücken, Siegen (Westf.), Stuttgart, Wuppertal, Wiesbaden.
Interessenten wenden sich zweckmäßig an die jeweiligen Stadtschulämter. Von dort wird alles Nähere über die Aufnahmebedingungen mitgeteilt.
Interessenten wenden sich zweckmäßig an die jeweiligen Stadtschulämter. Von dort wird alles Nähere über die Aufnahmebedingungen mitgeteilt.
Seite 16 Suchdienst
Helfen Sie mir, meine Geschwister finden!
Lotte Kalke, geb. Bojahr, geb. im April 1901 in Stommbek, Krs. Königsberg, letzter Wohnort Königsberg/Pr. Soll im Schwarzwald wohnen.
Alexander Bojahr, geb. 14.02.1905 in Stommbek, letzter Wohnort ebenfalls Stommbek, Krs. Königsberg.
Lieselotte Bartsch, geb. Bojahr, geb. im April 1906 in Stommbek, letzter Wohnort Königsberg.
Gerhard Bojahr, geb. 1916 in Stommbek, letzter Wohnort Sarkau-Fischhausen/Samland.
Auguste Wirnhier, geb. Bojahr, geb. im April 1907 in Stommbek, letzter Wohnort Berlin.
Zweckdienliche Hinweise erbeten an Klara Elend, geb. Bojahr, Hamburg-Wandsbek, Selbsthilfe-Parz. 77.
Gesucht werden:
Dentist, Ernst Werner aus Königsberg/Pr.
Frau Charlotte Valentini, geb. Pukies, früher Königsberg/Pr.
Frau Erika Boldt, geb. Dettmann, aus Lyck von Elsbeth Duli oder Dull, geb. Skrodzki, Wolfenbüttel, Altenauweg 6. Wer kann zweckdienliche Hinweise geben?
Seite 16 Familienanzeigen
Unser Bruder, Schwager und Onkel, Dr. Wilhelm Gaerte, Landesmuseumsdirektor a. D.,
früher Königsberg/Pr., zuletzt in Hannover, ist im Alter von 68 Jahren am 31. August 1958 nach kurzem Krankenlager von uns gegangen. Alfons Gaerte, Kanzler a. D., Hildegard Malinowski, geb. Gaerte . Susanne Gaerte, geb. Trautmann. Dr. Felix Gaerte, Legationsrat .
Der plötzliche Tod unseres langjährigen und treuen Mitarbeiters Dr. Wilhelm Gaerte, Landesmuseumsdirektor a. D., hinterlässt für uns eine schmerzliche, nicht wieder zu schließende Lücke. OSTPREUSSEN-WARTE Verlag und Redaktion
Am 20. Juli 1958 verstarb im Alter von 68 Jahren nach langem, schwerem Leiden in Hamburg der langjährige letzte Vorsitzende des Zoppoter Turnvereins Carl Hoffmann. Mit ihm hat unsere Turnerfamilie einen der eifrigsten Förderer unseres Zusammenhalts, der Zoppoter Turnverein den bisherigen Mittelpunkt seiner Gemeinschaft und die mit allen ihren Gliedern aktiv im turnerischen Leben verwurzelte Familie Hoffmann ihren treusorgenden Gatten und Vater verloren.
In Hamburg geboren, verschlug ihn der Ausgang des ersten Weltkrieges nach Danzig, wo er über 25 Jahre als Turner und Turnerführer wirkte und sich unauslöschlich in der Turngeschichte des deutschen Ostens und in den Herzen seiner Turnbrüder ein Denkmal setzte. Ehre seinem Andenken! Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen. Wilhelm Alm
Im 79. Lebensjahr entschlief in Bad Schwartau unerwartet am 18. Juli 1958 unser Turnbruder Gottlieb Schiweck, vom Männer-Turn-Verein Lyck. In Treue hielt er bis zuletzt fest an den Idealen deutschen Turnens, denen er sich ebenso wie dem deutschen Gesang von Jugend an aus ganzem Herzen hingab und diente, wo immer es nötig war. In herzlicher Anteilnahme an der Trauer seiner Familie werden wir ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen. Wilhelm Alm
Am 31. Juli 1958 nahm Gott unsere liebe Mutter, Großmutter und Schwiegermutter, Frau Rosa Schneidereit, früher wohnhaft in Liebenfelde, Kreis Labiau, zuletzt Hannover, Marienstr. 40, im 77. Lebensjahre, zu sich in die Ewigkeit. In stiller Trauer Ihre Kinder.
Seite 16 Wir gratulieren!
Diamantene Hochzeit
Eheleute Hermann Lenz und Henriette Lenz, aus Ostpreußen am 24. August 1958 in Wiemsdorf, Kreis Bremerhaven. Aus der Ehe gingen elf Kinder hervor. Zu den Gratulanten gehören 25 Enkel und 7 Urenkel.
Eheleute Rudolf Nordwig und Martha Nordwig, aus Danzig am 5. August 1958 in Lüneburg, wo sie von zwei Töchtern betreut werden. Vier Enkel und drei Urenkel sind die Freude ihres Alters.
80. Geburtstag
Auguste Broge, geborene Krüger, aus Ludwigsdorf/Westpr. am 8. August 1958 in Blexen/Wesermarsch. Die Jubilarin ist noch sehr rüstig und betätigt sich noch fleißig im Haushalt.
77. Geburtstag
Elise Reuser, geborene Thiele, aus Königsberg, Am Fließ 10., am 14. September 1958 in Salzgitter-Lebenstedt, Bauerngraben 4.
75. Geburtstag
Friseurmeister Artur Martineit, aus Mohrungen am 14. September 1958 in Seesen/Harz, Lautenthaler Straße 50.
Bankvorstand Hugo Pietzker, aus Marienburg am 8. September 1958 in Seesen/Harz, Dehnestraße 31. Als passionierter Imker ist er auch heute noch auf seinem großen Bienenstand tätig.
September-Geburtstagskinder in Flensburg 1958
Dr. Schulz am 02.09.1958, 81 Jahre, wohnhaft Sandberg 39;
Rosa Schulz am 03.09.1958, 80 Jahre, wohnh. Egerstieg 3;
Bernhard Jost am 04.09.1958, 75 Jahre, wohnh. Neustadt 51 (fr. Cranz);
Berta Wispereit am 06.09.1958, 82 Jahre, wohnh. Egerstieg 8 (fr. Metgethen);
Anna Knorr am 13.09.1958, 80 Jahre, wohnh. Südermarkt 15;
Hermann Pettelkau am 14.09.1958, 81 Jahre, wohnh. Terassenstraße 7;
Kurt Ahlgrimm am 15.09.1958, 70 Jahre, wohnh. Glücksburger Straße 8/10.
Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit!
Seite 16 Bestandene Prüfung
Klaus Kohlbach, Sohn des Reg.-Rats Dr. Walter Kohlbach und seiner Ehefrau Fridl Kohlbach, geborene Wellbat, aus Königsberg/Pr., später Heiligenbeil, hat an der Universität Bonn seine Prüfung als Diplomvolkswirt bestanden. Die Familie wohnt heute in Langenhagen/Hann., Masurenweg 9.
Seite 16 Zoppot kosmetisch behandelt
Zoppot ist heute eines der beliebtesten Urlaubsziele der Polen. Die Stadt, die noch in den vergangenen Jahren einen recht trostlosen Eindruck machte, hat in den letzten Monaten eine „kosmetische Behandlung" über sich ergehen lassen müssen. Zahlreiche Häuser wurden neu verputzt und gestrichen. Auch die Grünflächen und Blumenrabatten sowie der Seesteg sind in Ordnung gebracht worden. Am Zoppoter Strand wurden Wasserschaukeln, Rutschbahnen, Kletterleitern und Sprungbretter aufgestellt. Zoppot hat, wie der von der polnischen Militärmission in Westberlin herausgegebene Pressedienst meldet, zur Vorbereitung auf die diesjährige Urlaubssaison etwa eine Million Zloty mehr ausgegeben, als der Haushaltsplan für 1958 vorsah. Die Stadt ist heute stärker bewohnt als früher.
Seite 16 Internationale Übersetzer-Tagung in Warschau. Im Dienste einer gemeinsamen Kultur.
Die erste internationale Tagung der Belletristikübersetzer Anfang Juli in Warschau hat unter den aus rund zwanzig Ländern zusammengekommenen Übersetzern eine auf den ersten Blick erstaunliche, durch die Unterschiede zwischen Ost und West keineswegs behinderte Einmütigkeit zutage gefördert. Übersetzer aus den verschiedensten Ländern haben darüber geklagt, dass ihre überaus schwierige und für die Entwicklung des kulturellen Lebens unerlässlich notwendige Arbeit nur wenig Anerkennung findet.
Bis auf wenige Ausnahmen scheint der Übersetzer immer noch fast unbeachtet von der literarischen Welt wie der Leserschaft im Schatten zu bleiben, und wenn man den in Warschau Versammelten glauben darf, so können ihre Honorare im allgemeinen durch ihre Kärglichkeit miteinander in Konkurrenz treten.
So ist nicht verwunderlich, dass während der vom polnischen PEN-Club in Verbindung mit dem Pariser Verband der Übersetzer veranstalteten Tagung Berufsfragen immer wieder in den Vordergrund rückten und gelegentlich der Eindruck entstehen konnte, es gehe in Warschau darum, die Gründung einer internationalen Übersetzergewerkschaft vorzubereiten. Aber die Bedeutung der Tagung beschränkte sich keineswegs auf einen engeren Zusammenschluss der Übersetzer und auch nicht auf die Bemühung, durch intensivierte Kontakte den internationalen literarischen Austausch zu entwickeln.
Für die polnischen Teilnehmer aber ging es um mehr. Denn die polnische Literatur ist immer in der Gefahr der Isolierung, da häufig auch ihre Meisterwerke von der Weltöffentlichkeit unbeachtet bleiben. Entweder liegen keine Übersetzungen in Weltsprachen vor, oder ihre Qualität bleibt allzu sehr hinter dem Original zurück.
Mit einem Gefühl der Beschämung muss festgestellt werden, dass die Verlage der Bundesrepublik bisher ungleich weniger getan haben als die Verlage der Sowjetzone, um den deutschen Leser mit den wirklichen Schätzen der polnischen Literatur bekanntzumachen.
Die Gespräche während der Tagung fanden in einer Atmosphäre der Freiheit statt, die die Besucher aus dem Westen verblüffte.
Jan Parandowski, der Präsident des polnischen PEN-Clubs, bezeichnete in seiner Eröffnungsrede die Übersetzer als „Handwerker des Wortes im Dienste der einen und gemeinsamen menschlichen Kultur".
Von hier aus wird vielleicht auch deutlich, wie schmerzhaft es polnische Tagungsteilnehmern berühren musste, wenn Gäste aus dem Westen treuherzig versicherten, sie seien zum ersten Mal hinter dem Eisernen Vorhang und sie hätten sich alles viel schlimmer vorgestellt. L. Z. (Gekürzt entnommen der Zeitung „Die Welt")
Seite 16 Begegnung der Welt in Frankfurt.
1300 Verlage aus 25 Ländern haben ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse, die vom 25. bis 30. September dauert, zugesagt. Unter den Ausstellern befinden sich zahlreiche Verlage aus den Ostblockstaaten, darunter auch eine Kollektivschau der Sowjetzonenverlage, die in Leipzig unter dem Motto „Bücher aus dem innerdeutschen Handel" zusammengestellt wird.
Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels wird am Sonntag, dem 28. September, in der Frankfurter Paulskirche an den Philosophen Karl Jaspers verliehen. Die Festansprache hält Frau Professor Hannah Ahrendt. Zur Eröffnung der Buchmesse spricht der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, dessen Stück „Herr Biedermann und die Brandstifter" anlässlich der Buchmesse in einer Festvorstellung seine westdeutsche Erstaufführung erlebt.
Außer Verlagen der Bundesrepublik sind Verlage folgender Länder vertreten: Albanien, Belgien, Bulgarien, Ceylon, Volksrepublik China, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Japan, Jugoslawien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Sowjetzone, Spanien, Südafrikanische Union, Tschechoslowakei, Ungarn, die UdSSR und die USA.
Seite 16 Entzauberte Wiederaufbaulegende. Rössel - das „Potemkinsche Dorf"
Die von polnischer Seite vielfach als „Musterbeispiel des Wiederaufbaues aus eigener Initiative" gerühmten Verhältnisse in der ostpreußischen Kleinstadt Rössel entpuppten sich jetzt als Fata morgana, deren glänzende Propagierung eines der Hauptverdienste des örtlichen „Volksrates" und seines Vorsitzenden, Dzierzanowski, ist. Das geht aus einem umfangreichen Bericht der Warschauer Tageszeitung „Zycie Warszawy" hervor, die zur Untersuchung der wirklichen Verhältnisse einen Sonderkorrespondenten nach Rössel entsandte. Das ungewöhnliche Interesse des Warschauer Blattes an dem Leben des abgelegenen masurischen Städtchens geht auf eine Studien- und Erkundungsfahrt zurück, die eine Gruppe von Verwaltungsfachleuten und Bürgermeistern mehrerer unterentwickelter Kleinstädte Westpreußens und der vielgerühmten polnischen Stadtverwaltung von Rössel unternommen hatte.
Das „gelobte Land" entpuppte sich — „Zycie Warszawy" zufolge — bei näherer Betrachtung als „Legende". Zwar habe die Initiative des „zweifellos rührigen, aber nicht minder phantasiebegabten Volksrates" einiges bewirkt, so seien z. B. der Wiederaufbau des städtischen Gaswerkes und die Realisierung eines Eisenbahnanschlusses in Gang gekommen — die wichtigsten Projekte jedoch, d. h. die Siedlungen und Wohnbauten, stünden nach wie vor auf dem Papier. Die Interessenten seien deshalb auch enttäuscht und desillusioniert nach Hause gefahren. „Zycie Warszawy" schließt seinen Bericht mit der Empfehlung an den Volksrat von Rössel, in Zukunft die „Propaganda und Initiative" etwas kleiner zu schreiben und der „Phantasie nicht allzu sehr die Zügel schießen zu lassen"; es könne sonst leicht der Fall eintreten, dass man von Rössel eines Tages nicht als von einem „Symbol des Wiederaufbaues aus eigener Kraft", sondern als von einem „Potemkinschen Dorf" sprechen werde.
Seite 16 Verwandtenbesuchsfahrt nach Berlin
Vom 12. bis 16. September 1958 veranstaltet die Landsmannschaft Westpreußen — Bundesorganisation — Lübeck, Wahmstraße 43/45, wieder eine Verwandtenbesuchsfahrt nach West-Berlin, an der alle Heimatvertriebenen teilnehmen können. Es soll den Landsleuten wieder Gelegenheit gegeben werden, Verwandte, Freunde und Bekannte in der Viersektorenstadt zu besuchen oder sich mit Landsleuten, Angehörigen oder Verwandten, die heute in Ostberlin oder in der Zone wohnen, in Westberlin zu treffen.
Fahrplan: Ab Lübeck, Handelshof: 12. Septbr., 23 Uhr; ab Hamburg, ZOB, Bahnsteig 8: 12. September, 23.55 Uhr. — Ab Berlin, Stuttgarter Platz: 16. September, 18 Uhr.
Der Fahrpreis beträgt 30 DM. Anmeldungen sind an obige Adressen mit folgenden Angaben zu richten: Vor- und Zunamen, Geburtstag, Geburtsort, Personalausweisnummer, heutiger Wohnort. — Es werden Platzkarten ausgegeben
Inhaltspezifische Aktionen