Ostpreußen-Warte, Folge 07 vom Juli 1958

Ostpreußen-Warte

Folge 07 vom Juli 1958

 

Seite 1   Bauernhöfe gratis zu haben. Maßnahmen Warschaus gegen Abwanderung aus deutschen Ostgebieten.

Um die fortlaufende Abwanderung der ländlichen Bevölkerung aus den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten wettzumachen, hat die Warschauer Regierung eine Verfügung getroffen, nach der polnische Bauern, die ihre in Polen befindlichen Grundstücke dem Staat übereignen, in den Oder-Neiße-Gebieten leerstehende Gehöfte beliebiger Größe gratis erhalten können.

 

In der polnischen Presse wird auf das polnische Regierungsdekret Nr. 649 hingewiesen, dass diese besondere Vergünstigung beim Erwerb landwirtschaftlichen Grundbesitzes in den Oder-Neiße-Gebieten vorsehe.

 

Wie stark die Abwanderungsbewegung aus den Oder-Neiße-Gebieten nach wie vor ist, geht aus einem Bericht der Warschauer Zeitung „Slowo Powszechne" hervor, der sich mit dem Schicksal eines polnischen Neusiedlers in Ludwigsdorf (Kreis Osterode) befasst. Es wird geschildert, wie dieser Neusiedler sich in der ostpreußischen Ortschaft niederließ, „da doch viele Menschen hier Boden zum Eigentum erhalten hatten, wobei sie die Grundstücke nur ausplünderten und sodann in unbekannte Richtung wieder fortzogen“.

 

Auch ihm — dem Neusiedler — sei geraten worden, dem Beispiel der polnischen Bauern zu folgen, die wieder in ihre Heimatdörfer in Polen zurückgekehrt seien. Dieser Neusiedler sei jedoch geblieben, „da im Ermland und in Masuren so viel herrenloses Land vorhanden ist“. Mittlerweile habe er auch ein Gehöft von einem polnischen Bauern übernommen, der nach Ostpolen zurückgewandert sei.

 

Allerdings sei das Gehöft bereits sehr verfallen gewesen, und als der Neusiedler dann einen staatlichen Kredit in Höhe von 30 000 Zloty erhielt, habe sich gleichzeitig ein Vollstreckungsbeamter eingefunden, um rückständige Steuern einzutreiben.

 

Seite 1   „Illegale" Abwanderung

Rund 25 000 polnische Bauern, die in den vergangenen Jahren in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten angesiedelt wurden, haben bei den polnischen Verwaltungsbehörden Anträge auf Genehmigung einer Rückwanderung nach Polen gestellt, berichtet die in Allenstein erscheinende polnische Zeitung „Glos Olsztynski" (Allensteiner Stimme). Einschließlich der Familien handelt es sich also um mindestens 100 000 Personen, die „auf legale Weise" in ihre polnische Heimat zurückkehren wollen; hinzu kommen — wie aus sonstigen polnischen Berichten hervorgeht — zahlreiche Abwanderer, welche die ihnen zugeteilten deutschen Gehöfte „illegal", d. h. ohne die behördliche Genehmigung einzuholen, verlassen. Zu den Abwanderungsanträgen der 25 000 polnischen Neusiedler schreibt „Glos Olsztynski", das die meisten Antragsteller „sich um Ankauf von Boden in den zentralen Wojewodschaften" zu bewerben gedenken. Diesem Bodenerwerb in Zentralpolen stünden einige Schwierigkeiten entgegen, weil in Polen — im Gegensatz zu den Oder-Neiße-Gebieten, wo viele Hunderttausende von Hektaren Ackerland zum Verkauf stehen — das Angebot an landwirtschaftlicher Nutzfläche geringer sei.

 

Seite 1   Versorgungsschwierigkeiten

Die polnischen Bemühungen, das Ostseebad Zoppot wieder zu „aktivieren", stoßen in mancherlei Hinsicht auf Schwierigkeiten, meldet die Zeitschrift „Morze". Nicht nur sind die Mittel zur Herrichtung der Parks und Grünanlagen weit geringer als die für zentralpolnische Städte bewilligten, so dass die Vernachlässigung um sich greife, — vor allem herrschen Mängel bei der Zuteilung der Lebensmittel, „so dass die Kurgäste wie die Einheimischen in stundenlangem Warten ihre Lebensmittel erkämpfen müssen". Hinzu kommt, dass die Kurgäste zahlenmäßig gar nicht berücksichtigt worden seien, so dass eine beträchtliche Unterversorgung eintrat.

 

Die „Gazeta handlowa" berichtet aus dem pommerschen Seebad Leba, dass es dort gleichfalls infolge von Verteilungsmängeln am Nötigsten fehlt, vor allem aber — infolge eines Defektes im Pumpwerk — an Trinkwasser, wodurch ganze Stadtviertel gezwungen sind, kilomterweit mit Eimern ihr Wasser zu holen, was besonders für die Gaststätten sehr lästig sei. Auch an Fisch mangelt es im Seebad Leba derart spürbar, dass die Fischläden in dieser Sommer-Saison voraussichtlich gar nicht erst geöffnet werden.

 

Seite 1   Polen für Kulturbeziehungen

Der polnische Ministerpräsident Cyrankiwicz hat sich in einem Gespräch mit dem Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für den Austausch der kulturellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen ausgesprochen. Cyrankiewicz, der die starke Beteiligung westdeutscher Verlage an der Warschauer Buchmesse als besonders erfreulich bezeichnete, sagte, seiner Ansicht nach lasse sich die Frage der diplomatischen Beziehungen durchaus von der Frage der kulturellen Beziehungen trennen.

 

Seite 1   Nur noch 110 Schulen

Die Zahl der deutschen Schulen in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten wird sich am Laufe dieses Sommers erheblich verringern, weil auch die Zahl der dort lebenden deutschen Schulkinder von Monat zu Monat durch die Familienzusammenführung abnimmt. Während es noch vor zwei Jahren 170 deutschsprachige Grundschulen in den deutschen Ostgebieten gab, sind es jetzt nach polnischen Presseberichten nur noch 110 Schulen mit 4650 deutschen Schülern.

 

Seite 1   Foto: Schöne unvergessliche Heimat. Wie ausgestorben liegt der Marktplatz Kulm an der Weichsel mit seinem unvergleichlich schönen Renaissance-Rathaus da. Foto: Löhrich

 

Seite 1   Wohnungssorgen in Danzig und Elbing.

Danzig und die umliegenden Städte und Ortschaften, die heute zu einer Wojewodschaft verwaltungsmäßig vereint sind, sind eifrig bemüht, sich wieder in das Fremdenverkehrsgewerbe einzuschalten. Es gibt jedoch eine Reihe von Schwierigkeiten, die in absehbarer Zeit nicht zu bewältigen sind. Dazu gehört vor allem das Wohnungsbauproblem. Rund 12 Jahre ist in der ganzen Wojewodschaft nichts oder fast nichts gebaut worden. Der Wojewodschaftsbericht weiß lediglich von 57 000 Wohnräumen (nicht Wohnungen) zu berichten, die innerhalb der vergangenen sechs Jahre wieder instandgesetzt worden sind. Dabei leben 66 Prozent der gesamten Wojewodschaftsbevölkerung in Städten, in Danzig, Gdingen, Zoppot usw. Dass es auch in den kommenden Jahren nicht besser werden wird, ist aus den Wohnungsbauplanziffern erkenntlich, die für den Fünfjahresplan jetzt bekanntgegeben worden sind und die vorsehen, dass in den Jahren 1956 bis 1960 nur insgesamt 56 000 Wohnräume gebaut werden. In dieser Summe sind jedoch schon die in den vergangenen zwei Jahren erstellten inbegriffen. Am schlechtesten in Bezug auf die Wohnraumlage sieht es in Elbing aus, wo es nach polnischen Berechnungen bei dem jetzigen Bautempo noch wenigstens 55 Jahre dauern wird, bis der derzeitige Wohnbedarf gedeckt sein wird. Der Bevölkerungszuwachs ist noch nicht einmal mitgerechnet.

 

Seite 1   Wölfe in Ostpreußen

Im polnisch verwalteten Teil von Ostpreußen, in der Wojewodschaft Allenstein, wurden seit Jahresbeginn 27 Wölfe erlegt. Man hat festgestellt, dass sich noch rund 60 Wölfe in den ostpreußischen Wäldern befinden müssen. Der von diesen Raubtieren in einigen Teilen des Landes angerichtete Schaden am Viehbestand ist sehr groß. Die Wölfe wechseln zumeist aus dem von den Sowjets besetzten Teil von Ostpreußen herüber, wo anscheinend an einer systematischen Bekämpfung der Wölfe kein Interesse besteht.

 

Seite 1   3500 Deutsche in Memel

Der Ostseehafen Memel, der nach 1945 zum Bereich der Litauischen Sowjetrepublik gehört, ist in den verflossenen Jahren in zunehmendem Maße russifiziert worden. Während vor dem Kriege diese Stadt etwa 42 000 Einwohner zählte, die sich aus deutschen und litauischen Volksangehörigen zusammensetzte, ist heute die Bevölkerung auf fast 100 000 Personen angewachsen, von denen die Hälfte aus der Sowjetunion stammt. Bei den Russen handelt es sich überwiegend um Verwaltungsbeamte im öffentlichen Dienst und in verschiedenen staatlichen Versorgungsgebieten sowie um Angehörige der Sowjetarmee und der Roten Marine. Von den Deutschen, die sich heute noch in Memel befinden, wurden auf Grund eines kürzlich durchgeführten Regierungsverfahrens ungefähr 3500 als deutsche Staatsbürger von den Sowjetbehörden anerkannt.

 

Seite 1   Katastrophenjahr für Polen

Hagelstürme vor bisher kaum gekannter Gewalt haben die Frühjahrsaussaaten auf fast 55 000 polnische Bauernwirtschaften fast vollständig vernichtet, wobei die Zahl der geschädigten Bauern von der staatlichen Sozialversicherung auf 80 000 geschätzt wird. In den meisten Fällen müssen die Felder eingepflügt und neu bestellt werden, wobei überall Vorauszahlungen für den Einkauf des notwendigen Saatgutes geleistet werden, die sich allein im Gebiet von Lodz auf etwa 10 Mill. Zloty belaufen. Im polnischen Landwirtschaftsministerium wird 1958 mit seinen in diesem Ausmaß in diesem Jahrhundert noch nicht aufgetretenen Überschwemmungen, Stürmen und Hagelschauern als ein „Katastrophenjahr“ bezeichnet, wobei die der Landwirtschaft zugefügten Schäden jetzt auch annähernd nicht übersehen werden können.

 

Seite 2   Wir müssen noch viel lernen.

Das unerfreuliche Zwischenspiel der Politik der eingeworfenen Fensterscheiben geht seinem Ende entgegen. Man hat sich gegenseitig entschuldigt, zuerst die Bundesrepublik in Moskau, dann die Sowjets in Bonn. Botschafter Kroll erstattet Bericht, und am Rolandseck haben jetzt ebenso wie in der Uliza Worowskowo statt der Sprechchöre und Tintenfässer-Schleuderer die Glaser und Maler das Wort. Wenn die beiderseits angerichteten äußeren Schäden — für die man sich gentlemanlike Ersatz zugesichert hat — behoben sind, wird auch bald Gras über die Auseinandersetzung wachsen, ob die ‚spontanen Demonstrationen des Volkswillens' nicht nur in Moskau, sondern auch in Bonn sehr gründlich vorbereitet und organisiert waren. Es wird dann nicht mehr interessieren, ob — wie es der Abgeordnete Mende behauptete — die telefonische Aufforderung zur Teilnahme an der Demonstration aus einem Bundesministerium kam, ob die Lautsprecherwagen einer Partei die ‚erzürnten Massen' zum Marsch nach Rolandseck aufforderten, ob die besten Steinewerfer mit Autobussen aus Aachen, Hannover und Heidelberg kamen und ob der Studentenring einer Partei schon zwei Tage vor der Kundgebung in der Bonner Universität nach Teilnehmern suchte. Das alles werden wir vergessen; aber wir sollten nicht vergessen, dass auch die noch so schön wieder auf neu polierten Fassaden der Botschaften nicht darüber hinwegtäuschen können, dass der innere Schaden, der von den Demonstranten an Rhein und Moskwa angerichtet wurde, so schnell nicht zu beheben ist. Es wird einige Zeit dauern, bis dem Botschafter Kroll das gelingt, was er sich für seine Mission in Moskau vorgenommen hat: Eine freundschaftliche Atmosphäre herzustellen, in der es Zweck hat, ein deutsch-sowjetisches Gespräch zu führen, das nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. — So kann es nichts schaden, wenn wir in dieser Situation den Blick einmal in das benachbarte Österreich richten. Auch dort war man empört über die Budapester Urteile — nicht minder als bei uns. Zudem hat man dort noch 20 000 Flüchtlinge des ungarischen Aufstandes im Land. Aber man war nicht gewillt, die im Juli in Moskau beginnenden Verhandlungen des österreichischen Bundeskanzlers durch spontane oder organisierte Demonstrationen stören zu lassen. Unmissverständlich hat das Wiener Innenministerium erklärt, Demonstrationen würden nicht geduldet. Wer diese Erklärung nicht verstand, musste sich von der Polizei belehren lassen, dass bei den Beziehungen des neutralen Österreichs zu den Großmächten die Wiener Gemütlichkeit aufhört. — Sollten wir uns nicht von den bei uns nur gern etwas über die Schultern angesehenen Wienern im Umgang mit Großmächten belehren lassen? Sie haben niemals von „Todfeinden" und von ‚ausradieren' gesprochen, sie treiben keine „Politik der Stärke“ und lassen keine Fensterscheiben einwerfen. Mit dieser „schlappen Wiener Haltung" erreichten sie immerhin den Abzug der Besatzungstruppen und die Unabhängigkeit ihres Landes und sind jetzt auf dem besten Wege, ihre Reparationsleistungen an die Sowjets reduziert zu bekommen.

 

Seite 2   „Aktivierung der Kulturschaffenden" gefordert.

Der Einsatz der polnischen Künstler und Literaten für die „Westgebiete" müsse in stärkerem Maße koordiniert und vorangetrieben werden als bisher. Im Westen — das heißt in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten — sei „unerschlossenes, vernachlässigtes Land", dort lägen demzufolge auch die Aufgaben aller polnischen Kulturschaffenden. Diese Forderung erhebt der Kattowitzer Journalist Wilhelm Szewczyk in einem großaufgemachten Artikel der „Trybuna Robotnicza" unter der Überschrift „Im Westen ist Land". Es müssten jetzt endlich „die Versäumnisse vergangener Jahre gutgemacht und die Arbeit aller Kunst- und Kulturschaffenden den Bedürfnissen der Politik entsprechend aktiviert werden". Ohne das Bündnis zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik würden die Oder-Neiße-Provinzen „niemals wirklich in das Bewusstsein der einfachen Menschen Polens eingehen".

 

Seite 2   „Gespenst des Brachlandes" geht um. Für 110000 Hektar Ackerland meldeten sich nur 496 Interessenten.

Im südlichen Ostpreußen haben sich bislang nur 400 Interessenten für den zum Verkauf gestellten Boden gemeldet, berichtet die in Allenstein erscheinende polnische Zeitung „Glos Olsztynski". Dabei sind, wie aus sonstigen polnischen Pressestimmen hervorgeht, in Ostpreußen mehr als 82 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zum Verkauf ausgeschrieben worden. Die 400 Interessenten haben in der Mehrzahl jedoch keineswegs die Absicht, größere Flächen zu erwerben, sondern es handelt sich vielmehr in der Regel um Bauern, die „ihren Besitz abrunden" wollen. Ein Teil dieser Interessenten erklärte außerdem, sie beabsichtigen allein Boden „im südlichen Teil der Woiwodschaft Allenstein" zu erwerben, d. h. in jenem Distrikt, der jenseits der Grenze von 1937 liegt. „Glos Olsztynski" weist in diesem Zusammenhange darauf hin, dass dieser Wunsch geäußert worden sei, obwohl doch der im Norden der Woiwodschaft zum Verkauf angebotene Boden weit besser sei und auch in größerem Umfange zur Verfügung stehe.

 

In der „Woiwodschaft" Danzig, also in Westpreußen, wo 28 500 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zum Verkauf gestellt wurden, haben sich 96 Interessenten eingefunden, die — einem Bericht in der polnischen Zeitung „Glos Wybrzeza" zufolge — insgesamt nur 210 Hektar Land erwerben wollen. Die polnische Zeitung schreibt hierzu: „Nach Lage der Dinge muss damit gerechnet werden, dass das Gespenst großer Flächen brachliegenden Landes die zuständigen Stellen noch lange Zeit schrecken wird und dass es in einigen Jahren erforderlich werden dürfte, große Summen für die Beseitigung des Unkrautes auf Tausenden von Hektaren Ackerland auszuwerfen“.

 

Seite 2   Vernichtung der ostpreußischen Wälder.

Der Raubeinschlag in den ostpreußischen Wäldern hat bereits dazu geführt, dass nunmehr eine Reihe von Sägewerken ihren Betrieb einstellen müssen, weil die Schnittkapazität der verbleibenden Werke ausreicht, um den geringer werdenden Anfall an Holz aufzuarbeiten, teilt die in Warschau erscheinende Fachzeitschrift „Las Polski" (Der polnische Wald) mit. Die Wälder Ostpreußens seien „dezimiert, verwildert und ungepflegt“ heißt es des Weiteren in dem polnischen Bericht. Man habe zwar verschiedentlich versucht, die Drainageeinrichtungen in Ordnung zu bringen. Dies aber sei ein ebenso kostspieliges wie nutzloses Unternehmen gewesen, weil die Arbeiten einerseits unsachgemäß ausgeführt und andererseits die Einrichtungen weiterhin nicht gepflegt wurden. Was den Wildbestand anlange, so sei eine Zunahme an Wildschweinen und Wölfen zu verzeichnen, während das übrige Wild dermaßen rasch dahinschwinde, dass man nun erwäge, eine gänzliche Umstellung auf Nieder- und Kleinwild vorzunehmen.

 

Seite 2   Katastrophaler Rückgang Bevölkerungsdichte im Kreis Marienburg um 50 Prozent abgesunken.

Das Ausmaß der wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Rückständigkeit des westpreußischen Kreises Marienburg nach dreizehn Jahren polnischer Verwaltung wird in einer umfassenden Untersuchung dargestellt, die das Organ des Posener West-Instituts, „Przeglad Zachodni" kürzlich veröffentlichte. Danach liegt die Bevölkerungsdichte des Kreises noch immer um mehr als die Hälfte unter dem Stande von 1939 (heute: 85 je qkm, vorher: 173 je qkm). Besonders stark hat sich der Bevölkerungsrückgang auf dem Lande ausgewirkt, wo gegenwärtig nur 34 Menschen je qkm gegenüber 52 je qkm im Jahre 1939 leben. Während 1951 die Dichte der ländlichen Bevölkerung noch 36 Personen je qkm betrug, ging sie in den folgenden Jahren zurück. Die Untersuchung stellt dazu fest, dass der „beunruhigende Rückgang der Bevölkerungsdichte" auf die Abwanderung der Bauern zurückzuführen sei. Nur um die Vorkriegsbesiedlungsdichte des Kreises Marienburg zu erreichen, müssten noch rund 12 000 Personen angesiedelt werden. Der Bevölkerungsmangel sei auch eine Ursache für die geringen landwirtschaftlichen Erträge, zumal der schwere Boden in der Weichselniederung und die klimatischen Bedingungen eine erhöhte Arbeitsintensität verlangten. Hinzu kämen die ungenügenden Wirtschaftsmethoden der aus Zentralpolen stammenden Neusiedler. Den Niedergang der landwirtschaftlichen Produktivität des Kreises führt dieUntersuchung an Hand einer vergleichenden Tabelle der Hektarerträge vor. Danach wurden auf dem Ackerland, das überhaupt bestellt wurde, geerntet: Weizen 16,3 dz (1933 - 1938: 27,8 dz), Roggen 14,6 dz (23,2 dz), Gerste 18,3 dz (28,2 dz), Hafer 15,6 dz (27,1 dz), Kartoffeln 91 dz (186 dz), Zuckerrüben 188 dz (365 dz). Auch der gegenwärtige Viehbestand liegt weit unter dem Niveau der Vorkriegszeit.

 

Seite 2   Skandal um „Marienburg-Plakette"

Wie die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Glos Wybrzeza" berichtet, ist ein Unterschlagungsskandal in Angelegenheit der polnischen „Marienburg-Plakette" aufgedeckt worden, die im Vorjahre anlässlich einer „Woche der Marienburg" hergestellt worden ist und deren Erlös zur Finanzierung von Reparaturarbeiten an der Marienburg dienen sollte. Nach dem polnischen Bericht wunde die Plakette von einem polnischen Künstler für ein Honorar von 7000 Zloty entworfen und sodann von einem genossenschaftlichen Betrieb in Zoppot hergestellt. 30 000 Stück sollten angefertigt werden; jedes Stück wurde für einen Preis von 2 Zloty verkauft. Bisher ging aber nicht ein einziger Zloty für die Zwecke des Wiederaufbaus der Marienburg ein. Außerdem könne niemand sagen, wie viele Plaketten von der polnischen Firma an Zoppot über die bestellten 30 000 Stück hinaus „schwarz" hergestellt und dann verkauft worden seien, berichtet „Glos Wybrzeza" des Weiteren. Die Sache werde noch ein gerichtliches Nachspiel haben.

 

Seite 2   Rückläufiger Hafenumschlag in Danzig. Widerspruchsvolle Prognosen — Planzahlen ohne Wert.

Der Umlauf im Danziger Hafen hat sich seit Übernahme der Stadt in polnische Verwaltung rückläufig entwickelt. Laut „Technika i gospodarka morska" ist der Danziger Hafenumschlag gegenüber 1938 stark gesunken. Die Entwicklung verlief folgendermaßen:

1938: 7,1 Mill. t

1948: 6,6 Mill. t

1949: 6,3 Mill. t

1955: 5,2 Mill. t

1956: 4,9 Mill. t

1957: 4,6 Mill. t

 

Besonders auffallend ist der Rückgang bei den Kohlenverladungen, die von 5 Mill. t (im Jahre 1948) auf 1,9 Mill t (im Jahre 1957) abgesunken sind.

 

Die tatsächliche Entwicklung bedingte auch ein stetes Herabschrauben der Planziffern für den Danziger Hafenumschlag: Zunächst wurde verkündet, im Jahre 1965 würde ein Umschlag von 13,5 Mill. t erreicht werden; im Mal 1958 kündigte man für 1970 einen Umschlag in Höhe von 9 Mill. t an, und nun steht die Prognose für 1975 auf 8 Mill. t.

 

Seite 2   Vernachlässigte Krebsfischerei.

Einige polnische Zeitungen in Ostpreußen weisen darauf hin, dass die einst reichen Krebsbestände in den masurischen Seen vollständig vernichtet worden seien. Vom Jahre 1951 ab lieferte nur noch die Fischereigenossenschaft Nikolaiken Krebse auf den Markt, doch sanken auch hier die Erträge beträchtlich. Die Vernichtung der Krebsbestände sei erfolgt durch die Raubfischerei mit Sprengstoffen und das unsachgemäße und sinnlose Verstreuen von Kunstdünger und Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung auf die Ufer. Es sei nun notwendig — so schreibt ein polnisches Blatt in Allenstein — mit der Krebszucht von vorn anzufangen.

 

Seite 2   Kleine Seen werden zurückgegeben.

Im Kreis Ortelsburg hat man damit begonnen, die kleineren Seen ihren früheren Eigentümern wieder zurückzugeben. Die Eigentümer (Bauern und andere Privatpersonen) müssen den Nachweis erbringen, dass die Seen ihnen früher gehörten und dass sie ihnen weggenommen wurden. Auch in Fällen, wo ein See von einer Fischereigenossenschaft ausgebeutet wird, erfolgt die Rückerstattung, doch muss eine gewisse Pachtzeit eingehalten werden. Der Besitzer erhält ein Pachtgeld.

 

Seite 2   Danzig.

Die polnische Stadtverwaltung von Danzig hat eine große „Säuberungsaktion" beschlossen, die es zum Ziele haben soll, „den die Stadt verpestenden Schmutz zu beseitigen". Nicht nur sollen die zahlreichen Müll- und Abfallhaufen von den Höfen und öffentlichen Plätzen entfernt werden, sondern es sollen vor allem auch Gaststätten, Milchläden und Lebensmittelgeschäfte unter schärfere Kontrolle genommen werden, weil in diesen — einem Bericht im „Dziennik Baltacky" (Ostsee-Zeitung) zufolge — Zustände herrschten, die jeder Hygiene spotteten. Durch diese Maßnahme soll „die sonst riesengroße Gefahr des Ausbruchs einer Epidemie eingedämmt werden".

 

Danzig.

Zwischen der polnischen Verwaltung des ostpreußischen Kreises Lyck und den Kreisbehörden von Lublin in Zentralpolen ist eine „Zusammenarbeit" angebahnt worden. Sie soll sich darauf erstrecken, dass die Lubliner Kreisbehörden Interessenten für 10 000 Hektar Ackerboden ermitteln, die im Kreise Lyck zum Verkauf stehen und für die sich bisher keine Käufer fanden.

 

Gotenhafen.

Von Gotenhafen aus unternahm das größte und modernste tschechoslowakische Hochseeschiff seine erste Fahrt nach China. Das Schiff trägt den Namen „Dukla" und wurde auf der ostzonalen Werft Warnemünde gebaut.

 

Seite 2   Stipendiaten aus dem Ostblock

Zum ersten Mal wird der Deutsche akademische Austauschdienst in diesem Jahr Angehörigen eines Ostblockstaates Stipendien für einen Aufenthalt im Bundesgebiet zur Verfügung stellen. Acht polnische Wissenschaftler kommen im Sommer für etwa ein Jahr zu Studienzwecken nach Deutschland. Das Geld stellt nicht etwa wie sonst das Auswärtige Amt bereit, sondern die amerikanische Ford-Stiftung. Etwa 500 der über 1000 ausländischen Stipendiaten des deutschen akademischen Austauschdienstes, die gegenwärtig an 72 Hochschulen der Bundesrepublik und West-Berlins studieren, halten sich seit Dienstag zu einem Jahrestreffen in Bonn auf.

 

Seite 2   Pressespiegel.

Verfehlter Feiertag.

Wenn man feiert, so soll man einen Grund zum Feiern haben. Problematisch ist es schon, wenn an einem Gedenk- oder Trauertag die Arbeit ruht, denn für den Menschen unserer Massengesellschaft ist nun einmal Arbeitsruhe mit angenehmen und freudigen, nicht mit ernsten Gedanken verbunden. Weil unzählige unserer Brüder und Schwestern im Reiche Ulbrichts am 17. Juni 1953 den Kopf hingehalten haben, stellvertretend auch für uns, deshalb können nun seit Jahren Millionen Bürger der Bundesrepublik einen Tag feiern. Meint man denn wirklich, dass man damit den deutschen Menschen drüben hilft? Was denkt der Arbeiter drüben, der Angestellte und Beamte, für den der 17. Juni ein grauer und noch besonders schmerzlicher Arbeitstag ist, wenn er von den Feiernden, sich im Grünen ergehenden Massen hier bei uns hört? Es ist Zeit, mit diesem Unsinn Schluss zu machen. Lasst diesen 17. Juni den letzten arbeitsfreien Tag dieses Datums in der Bundesrepublik gewesen sein, bevor nicht ganz Deutschland unter einer unabhängigen und freien Regierungsform wiedervereint ist. Dann lasst uns feiern im Gedanken an Jene, die am 17. Juni 1953 aufstanden, während wir hier zusahen!

 

Kommen wir uns denn nicht selbst komisch vor und schämen wir uns denn gar nicht für diese Feiertage gegenüber unseren Brüdern und Schwestern, auf denen ihr Joch an diesem Tage doppelt schwer lastet? Es würde leichter von ihnen empfunden und sie würden einen Hoffnungsschimmer sehen, wenn am 17. Juni in der Bundesrepublik in Zukunft besonders hart gearbeitet würde. Die Erträgnisse aber der Arbeit am 17. Juni in der deutschen Bundesrepublik — Löhne wie Gewinne — sollten für unsere Brüder und Schwestern drüben verwendet werden, um einen kleinen Teil der Schuld abzutragen, in der wir bei ihnen stehen. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, das Kuratorium „Unteilbares Deutschland", alle Stellen und Organisationen, die sich in der Bundesrepublik die Wiedervereinigung Deutschlands zum Programmpunkt Nr. 1 erkoren haben, sollten diesen Gedanken aufgreifen und ihn durchsetzen, damit wir im nächsten Jahre nicht noch einmal die Schande eines solchen Feiertages erleben, sondern ein bisschen stolzer und selbstbewusster um uns blicken können im Bewusstsein eines kleinen Opfers und einer erfüllten Pflicht“. NEUE POLITIK, Hamburg

 

Zweierlei Maß

Konrad Adenauer, 82, ließ auf der Fahrt von Bonn nach Hannover, wo er an der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft teilnahm, sämtliche Autobahnabschnitte, die wegen Ausbesserung der einen Doppelfahrbahn als gewöhnliche Landstraßen (mit Gegenverkehr) deklariert waren, polizeilich zu Einbahnstraßen erklären, damit er freie Fahrt hatte. Dadurch wurde der allgemeine Verkehr derart behindert, dass sich kilometerweit wartende Autosehlangen bildeten.

 

Werner Heisenberg, 56. Atomphysiker und Nobelpreisträger, vermochte vor der Freitreppe der Technischen Hochschule Hannover seinem Wagen nicht zu entsteigen, in dem er (zur Teilnahme an der Jahreshauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft) vorgefahren war. Weil hinter seinem Auto der Wagen Konrad Adenauers bereits in Sicht gekommen war, musste sich Professor Dr. Heisenberg auf Veranlassung von Polizisten und Ordnern von seinem Chauffeur auf einen einige hundert Meter entfernten Parkplatz fahren lassen und zu Fuß in die Technische Hochschule zurückkehren“. DER SPIEGEL, Hamburg

 

Grausiger Wiederholungszwang

„Darauf ist warnend hinzuweisen, dass in der deutschen Politik sich ein geradezu grausiger ‚Widerholungszwang' geltend macht, dieselben Fehler in neuer Markierung immer und immer wieder aufs Neue zu begehen: Politik aus doktrinärer Besessenheit, mit Illusionen und Zwangsvorstellungen. Es ist trotz zweimaliger Katastrophen nicht geglückt, in die nüchterne Wirklichkeit vorzustoßen. Hält man es für einen Charaktermangel, einen Irrtum einzugestehen und sein Urteil von der Realität korrigieren zu lassen? Aber nicht der Irrtum selbst führt zur Katastrophe. Im Gegenteil, er ist die Vorbedingung einer tieferen Erfassung der Wahrheit. Erst im Irrtum verharren führt in die Katastrophe. Das ist die Stärke der Deutschen. So war es im Ersten Weltkrieg, so war es unter Hitler. Soll es heute zum dritten Male geschehen, das Verharren im Irrtum?"

Dr. Hermann Rauschning in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Köln

 

Die Schuld des Foster Dulles

„Die Frage erhebt sich, inwieweit die schädliche Entwicklung innerhalb der Sowjetunion und des kommunistischen Blocks vom Westen aus beeinflusst werden kann oder nicht. Dazu wäre festzustellen, dass die Entwicklung innerhalb Sowjetrusslands bereits sehr stark beeinflusst worden ist, und zwar durch die Außenpolitik unseres Staatssekretärs John Foster Dulles. Er war es, der in der Behandlung Chruschtschows keinerlei Unterschied zu Stalin machte, als dieser noch Herrscher aller Reußen war, als ob sich seitdem in Russland überhaupt nichts geändert hätte. Der XX. Parteitag der Sowjetunion, an dem Chruschtschow das Werk und die Person des toten Stalin mit einer unerhört kühnen Rede in Stücke riss, wäre der Zeitpunkt für die amerikanische Außenpolitik gewesen, auf eine versöhnlichere Tonart umzuschalten und dem neuen Premierminister Chruschtschow auch von außen her eine Chance zu geben, sich gegen seine zweifellos tief verbitterten innerpolitischen Gegner durchzusetzen. Der Weg dazu wäre ein größeres Entgegenkommen in der Frage einer baldigen Gipfelkonferenz gewesen. Wenn Chruschtschow jetzt oder in Zukunft gestürzt und durch einen alten Stalinisten ersetzt werden sollte, dann hat Dulles ein gerüttelt Maß Schuld daran. In der Politik hat man meist nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Chruschtschow wäre für unsere Russland-Politik das kleinere Übel gewesen. Dulles hat jedoch das größere gewählt. ABENDPOST, Chikago.

 

Seite 3   Ostpreußen heute – einmal anders. Berichte polnischer und russischer Rundfunkstationen über unsere Heimat. Ein Sonderbericht der „Ostpreußen-Warte".

An Stelle unseres sonst auf dieser Seite veröffentlichten aktuellen Stadtberichtes bringen wir heute einen besonderen Beitrag. Es handelt sich dabei um aus Nord- und Süd-Ostpreußen abgehörte polnische bzw. russische Rundfunknachrichten über das Geschehen in unseren Heimatkreisen. Wir glauben, dass diese Berichte in der Übersetzung einen guten Überblick über das heutige Ostpreußen geben.

 

„Halb so viel wie in der Ukraine"

Der Sowjetsender in Königsberg beschäftigte sich bereits jetzt mit den Ernteaussichten für 1958. Dabei wurde der Stand der Frühjahrsarbeiten bzw. deren Erfüllung zugrunde gelegt. Man sagte dazu: „Wir sind weit davon entfernt, mit der Situation zufrieden zu sein. Es hat in den letzten Jahren verschiedene Etappen in der Landwirtschaft gegeben, die nicht immer den Planungen gerecht wurden. Das heißt, in einigen Jahren wurde wesentlich weniger erzeugt als geplant war. Bei Berücksichtigung der bisher vorgenommenen Arbeiten und anderer Faktoren, die die Arbeitsleistung der in den Kollektiven arbeitenden Kollegen und die Ausstattung mit landwirtschaftlichen Maschinen betreffen, muss damit gerechnet werden, dass die Ernte 1958 nicht den Erwartungen entsprechen wird. Dies muss nun aber gerade ein Anlass sein, in den Dörfern und Kolchosen Wettbewerbe auszuschreiben, Selbstverpflichtungen zu übernehmen und die Arbeitsleistung zu steigern. Unser Rayon nimmt einen schlechten Platz in den SSR's ein und erzeugt beispielsweise nur halb so viel wie die ukrainischen Gebiete. Insbesondere gilt das für Roggen und Weizen, wo bei uns die Hektarerträge noch unter oder um zehn Doppelzentner liegen. Nur bei Gerste und Hafer sind sie etwas höher. Trotzdem braucht niemand bei den diesjährigen Aussichten zu resignieren. Es kommt darauf an, den Hektarverbrauch an Kunstdünger zu erhöhen und folglich mehr Dünger heranzuschaffen. Zurzeit werden nur 5 Kilogramm Stickstoff je Hektar in unserem Rayon verbraucht“.

 

 

Seite 3   „Schlagt die Tilsiter Banditen!"

In einer anderen Sendung befasste man sich in Königsberg mit den Zuständen in Tilsit. Nach einer Reihe von positiven Stellungnahmen ging man auf die Kriminalität ein. Dazu hieß es: „Den Sicherheitsorganen muss nun aber der Vorwurf gemacht werden, dass sie das Verbrechertum nicht energisch genug bekämpfen. Die Bürger haben ein Anrecht darauf, dass ihre Gesundheit und dass ihr Eigentum genauso geschützt wird wie das Volkseigentum. Jedes Kind weiß aber in Tilsit, dass es in der Stadt mehrere organisierte Banden gibt, die Diebstähle in den Fabriken ausführen und Bürger überfallen. Als erstes muss die öffentliche Sicherheit an den Lohn- und Gehaltszahltagen verbessert werden. Es geht nicht mehr an, dass es immer wieder an diesen Tagen zu schweren kriminellen Delikten kommt, bei denen den Werktätigen ihr Geld fortgenommen wird. Wir alle erinnern uns noch an den großen Raub in der Leningrader Straße, als eine Gruppe von feiernden Arbeitern in einem Lokal überfallen und ihres gesamten Lohnes beraubt wurde. An Zahltagen muss die Miliz eben überall ihre Augen haben. Wir fordern im Namen vieler Tilsiter Werktätiger weiter eine schärfere Überwachung der Märkte, auf denen viel gestohlenes Gut aus volkseigenem und privatem Besitz veräußert wird. Es ist doch nicht die Aufgabe des Marktes, ein Umschlagplatz für Hehler zu werden. Mangelnde Wachsamkeit müssen wir auch den Kontrollorganen in den Fabriken vorwerfen. Aus den Werken der Holzindustrie sind allein in zwei Quartalen für 85 000 Rubel Waren aller Art gestohlen worden. Darunter befanden sich komplette maschinelle Ausrüstungen. In der Ölfabrikation entstand 1957 ein Gesamtschaden durch Diebstähle von über 40 000 Rubel. Obwohl Dutzende Volksschädlinge daran beteiligt waren, sind bisher nur drei verhaftet und verurteilt worden. Es gehörte aber die zehnfache Anzahl vor den Richter! Es ist jedem klar, dass die Banditen unseren sozialistischen Aufbau aufs schlimmste gefährden und unnachsichtig bekämpft werden müssen. Den verantwortlichen Organen muss deshalb gelingen, in kürzester Frist diesem Übelstand ein Ende zu bereiten. Man sollte dabei auch die Warnungen der Werktätigen nicht vergessen, dass sich vielleicht hier und dort unter den verantwortlichen Organen Personen befinden, die ungesetzliche Kontakte zu den Banditen unterhalten und diese warnen. Es ist klar, dass die ganze Wucht der Gesetze diese Lumpen treffen muss, die sich gegen den Sowjetstaat stellen. Wir fordern daher alle Genossen und Bürger auf, ihre Wachsamkeit zu erhöhen und die Banditen zu schlagen“.

 

Seite 3   Verschiedene Kurznachrichten

Eine Reihe von interessanten Kurznachrichten über das nördliche Ostpreußen gibt Einblicke auch in andere Lebensbereiche. So heißt es über Labiau: „Demobilisierte Soldaten aus Labiau haben sich verpflichtet, in Scharlack einer Kollektive beizutreten und eine Fläche von über 30 Hektar bisher nicht bewirtschafteten Landes zu übernehmen. Die brach liegenden Flächen werden daher in dieser Kollektive beträchtlich vermindert. „Ebenfalls über die Landwirtschaft berichtete man aus Pillkallen: „In einem Telegramm an den Ausschussvorsitzenden teilt der Pillkallener Kuhstallbrigadier Wladimir Kuslow mit, dass seine Brigade das gestellte Ziel erreicht hat. Innerhalb eines Jahres wurde eine Durchschnittsleistung je Kuh von 1875 Kilogramm erreicht. Gegenüber den zwölf Monaten vorher bedeutet das eine Steigerung um neun Prozent. (Zum Vergleich: der Jahresdurchschnitt in Ostpreußen betrug vor dem Krieg 3148 Kilogramm! Der deutsche Reichsdurchschnitt lag damals bei 2529 kg!!)

 

Aus Königsberg hieß es: „Die Reparaturwerkstatt im Hafen ist gerügt worden, weil sie zwei Kutter nicht repariert hat, sondern sie verschrottete. Der Schrott liegt nun nutzlos im Hafengelände herum. Da die Bewachung nachlässt, sind bereits wertvolle Teile gestohlen worden“. Über die Fischindustrie in unserer Landeshauptstadt brachte der Sender folgende Glosse: „Wir empfehlen den Genossen der Fischfabrik, auf den Büchsen den Hinweis anzubringen, nach öffnen solle der Käufer als erstes einen Magneten zu Hilfe nehmen. Mit diesem taste er die Fische und die Soße ab, so dann entferne man die aufgesammelten Metallstücke und gebe sich nun dem Genuss hin. Dies erscheint uns notwendig, weil in den Konserven immer öfters Nägel, Blechstücke und andere Dinge gefunden werden, was der Verdauung nicht gerade förderlich ist. Man könnte natürlich auf diesen Hinweis verzichten und versuchen, in der Fabrik den Gründen nachzuspüren, warum die Fischkonserven so seltsame Dinge enthalten, bzw. wie sie dort hineingeraten. Falls die Fischfabrik aber den Verkauf von Magneten ankurbeln will oder falls sie den Krankenhäusern vermehrt Patienten zuführen will, enthalten wir uns natürlich jeder Kritik . . .".

 

Über Grünheide im Kreise Tilsit-Ragnit beschwerte man sich dagegen streng offiziell: „Die Parteiorganisation Kollektive „Suscha" hat es bisher unterlassen, eine Untersuchung darüber zu führen, warum bei der ersten Mahd im Jahre 1958 noch Heuhaufen aus dem Herbst 1957 gefunden wurden. Traktoristen entdeckten sie, als sie mit Mähmaschinen steckenblieben. Der Verlust ist ein doppelter: einmal ist auf mehreren Feldern die Heuernte 1957 nicht eingebracht worden, zum anderen konnte unter den liegengebliebenen Haufen kein neues Gras wachsen. Und schließlich müssen diese Flächen nun mit der Hand gemäht werden, weil die Mähmaschinen solche Flächen nicht bearbeiten können. Wir erwarten, dass den für diese Versäumnisse verantwortlichen Personen der entstandene Verlust von ihrem Erlös abgezogen wird“.

 

Aus dem südlichen Ostpreußen

In einem für Graudenz ausgestrahlten Lokalprogramm hörten wir folgenden Bericht: „Der Besuch bei den Kollegen in Deutsch-Eylau verlief nicht sehr ergiebig. Trotz aller Versprechungen ist es nicht gelungen, die Dachpappenproduktion wieder anlaufen zu lassen. Und wie benötigen wir gerade dieses Material so dringend! Und in Deutsch-Eylau noch dringender als in Graudenz! Daher ist es mir unverständlich, warum die Produktion hier nicht endlich anläuft. Die Kollegen zuckten nur die Achseln. Und dabei könnten sie viele Häuser wenigstens mit Dachpappe retten. Das sind solche Häuser, deren Ziegelsteine abgedeckt wurden und in die es nun hineinregnet“.

 

Seite 3   Tote Binnenfischerei

In einer ausführlichen Reportage beschäftigte sich Radio Allenstein kürzlich mit der ostpreußischen Binnenfischerei. Der Sprecher sagte: „Was die Teich- und Binnenfischerei betrifft, so hat dieser Wirtschaftszweig seit zehn Jahren nicht mehr die veranschlagten Produktionspläne erfüllt. Was sind die Gründe hierfür? Wir haben uns an den verschiedenen Orten mit Fachleuten unterhalten und viele Antworten auf diese Frage erhalten. Wir wollen heute über die Meinungen berichten, die wir überall hörten. Sie scheinen uns maßgebend zu sein, da die charakteristisch sind. Die Einzelmeinungen interessieren uns heute daher nicht so sehr. Einmal erwähnten alle Fachleute, dass es an kenntnisreichen Fischern fehlt, die aus den Binnengewässern den Nutzen ziehen, den sie zu geben vermöchten und der wohl auch früher bestanden hat. An manchen Seen — besonders in Masuren — sind Menschen beschäftigt, die keinerlei Ahnung haben und alles verderben. Dabei denken wir hierbei noch nicht einmal an die wilden Fischer, also die Wilderer der Teiche. Unter den registrierten Fischern befinden sich solche, die keine Ahnung vom Fischbesatz und der Aufzucht von Jungfischen haben. Sie wissen nicht einmal, was sie tun sollen, wenn sie Fischbrut bekommen und aussetzen sollen. Das machen sie oft so, dass dabei die ganze Brut abstirbt. Man erzählte uns einen Fall, wo man Jungfische an einem Sonnabend erhielt, aber zu faul zur Arbeit war und deswegen bis zum Montag wartete. Am Montag waren die Jungfische natürlich alle eingegangen. Trotzdem warf man sie ins Wasser — gute Mahlzeiten für die Hechte, die sich mästeten und wochenlang an keinen Köder mehr herangingen. Das ist aber noch längst nicht alles. Die Raubfischerei wird überhaupt nicht bekämpft. Keiner kümmert sich darum, wer aus einem Gewässer zu seinem persönlichen und alleinigen Vorteil und Profit Fische fängt. Natürlich kümmern sich diese Personen auch nicht um eine richtige Wartung der Gewässer und um die Aufzucht. Sie werfen kleine Fische nicht wieder zurück, sondern verbrauchen auch sie, obwohl das wirtschaftlicher Blödsinn ist. Und dann ist da noch die Frage der industriellen Abwässer, die ohne jede Rücksicht in Binnenfischgewässer geleitet werden. Und dabei wäre das in den meisten Fällen zu verhindern. So kommt es, dass gute Fischgründe heute durch unverantwortlichen Leichtsinn verseucht sind und keinen Fischbestand mehr aufweisen“.

 

Seite 3   Armes Elbing

Unter dem Titel „Elbing unsere Schwesterstadt?" brachte „Radio Danzig" in einer aktuellen Abendsendung folgenden Kurzkommentar: „Danzig und Elbing sind durch viele traditionelle Merkmale und Ereignisse miteinander verbunden. Doch das hauptsächliche Merkmal — die beiderseitige Verbundenheit mit dem Meer — existiert eigentlich nicht mehr! Danzig ist eine Hafenstadt gewesen und heute noch. Und Danzig wird es in Zukunft auch weiter in verstärktem Umfang sein. Aber Elbing? Elbing ist heute keine Hafenstadt mehr. Der Elbinger Hafen ist tot — im Kriege zerstört und später unverständlicherweise demontiert. Für Elbing wäre es heute ein kaum zu lösendes Problem, im Hafen auch nur ein kleines Schiff zu löschen oder zu beladen. Musste es dahinkommen? Nein! War nicht auch der Danziger Hafen zerstört, und ist er es nicht teilweise auch heute noch? Und trotzdem ist Danzig wieder eine Hafenstadt von internationaler Bedeutung. Elbing aber hat seinen ganzen maritimen Charakter verloren. Der Hafen ist eine an frühere Zeiten erinnernde Wüstenei, wo kein Leben mehr pulst und keine Schiffssirene mehr heult. Sogar die Schiffsbaubetriebe existieren nicht mehr, obwohl sie doch weitgehend intakt blieben. Auch hier erfolgten Demontagen, bzw. Umbauten für andere Industriezweige, die nichts mehr mit dem Schiffsbau zu tun haben. Das alles hat Elbing seinen Charakter einer schwesterlichen Hafenstadt gegenüber Danzig genommen. Wir bedauern das sehr, weil die Häfen Polens Tor zur Welt darstellen, und jeder geschlossene Hafen für das Land und seine Menschen ein unersetzlicher Verlust bedeutet! Vielleicht revidiert man doch noch einmal die früheren Beschlüsse und macht Elbing zu dem, was seine Bedeutung immer ausgemacht hat: zu einer lebendigen Hafenstadt!"

 

Seite 3   Bedrohte Heimatwälder

Zum Schluss wollen wir auf einen Bericht von Radio Warschau hinweisen, der über die Situationen der nördlichen Woiwodschaften verbreitet wurde. Er hatte das Problem Holz- und Waldwirtschaft zum Thema. Über die ostpreußischen Wälder hieß es in der Sendung: „Die Lage in den Wäldern der östlichen Woiwodschaft Danzig, dem ganzen Gebiet der Woiwodschaft Allenstein und dem westlichen Teil der Woiwodschaft Bialystok ist im höchsten Maße bedrohlich (also im gesamten Süd-Ostpreußen, die Red.). Als erstes wollen wir auf die Schäden eingehen, die in diesen Bezirken durch Menschen entstehen. Das ist einmal die Frage der Holzdiebstähle, die noch immer akut ist, obwohl die Waldpolizei ihren Bestand vergrößert hat und energischer durchgreift als früher. Auch die Gerichte verhängen gegen Holzdiebe drakonische Strafen. Nun ist es aber in den nicht stark besiedelten Gebieten so, dass die Waldpolizei bei ihren Ermittlungen kaum von der Bevölkerung unterstützt wird.

 

In solchen Gegenden — und das sind gerade die großen Waldgebiete Ostpreußens — kommt es noch immer zu umfangreichen Holzdiebstählen. Man muss sie dort sogar auf 15 Prozent des genehmigten Einschlages schätzen. Es ist verständlich, dass der ohnehin durch die Situation unserer Volkswirtschaft bedingte starke Einschlag keine 15 Prozent illegale Entnahmen mehr verträgt. Die Waldpolizei muss also in diesen Gebieten konzentriert werden. Außerdem ist die Bevölkerung aufzuklären, welche Schäden durch die Diebstähle entstehen. Gar nicht davon zu sprechen, dass die Diebe meistens Bestände einschlagen, die noch gar nicht einschlagreif sind.

 

Ein weiterer Punkt ist der Schädlingsbefall, der auch den Menschen zur Last gelegt werden muss, weil sie die Waldschädlinge nicht genügend bekämpfen und dadurch ihre Ausbreitung begünstigen. Hunderttausende Stämme sind von Borkenkäfern oder anderen Schädlingen befallen. Bei den Stürmen brechen oder fallen diese Bäume um, richten dadurch weiteren Schaden an und führen schließlich zur Bildung von Urwäldern, weil die Holzarbeiter diese Brüche natürlich fürchten und nicht bearbeiten wollen. Die Förster sind derselben Meinung. Es muss also eine große Schädlingsbekämpfung organisiert werden, die sich der neuesten chemischen und technischen Mittel bedient. Die Armee wird bereit sein, Flugzeuge zur Bekämpfung zu stellen. Man muss die Bekämpfung auf breitester Basis führen. Man darf auch nicht aufhören, wenn sich nicht gleich Erfolge einstellen. Wir können uns auf keinen Fall länger eine jährliche Menge von rund 2 Millionen Festmeter Katastrophenholz aller Art leisten.

 

Dann ist es auch Menschenschuld, dass die Walddrainagen völlig vernachlässigt worden sind. Das Wasser ist inzwischen so weit in vielen Forstbezirken gestiegen, dass der Waldboden versumpft und sich der Wurzelschwamm und anderes ausbreiten. Im mittleren Bezirk der Woiwodschaft Allenstein reißt der Wind jedes Jahr zehntausende Bäume um, weil sie in dem schlammigen Boden keine feste Wurzelverankerung mehr haben! Man kann die Schuld also nicht auf die Schädlinge und Stürme schieben. In erster Linie sind die Menschen für die Schäden verantwortlich. Stürme bleiben ohne Wirkung, wenn die Bäume trockenes Erdreich haben, und die Schädlinge verschwinden, wenn man sie bekämpft!"

 

Seite 3   Radio Wilna über Insterburg: „Dort wollen nicht mal die Hunde bellen". Eine kritische russische Reportage über das heutige Insterburg.

In der Sendereihe „Zu Besuch in den Nachbarrepubliken" brachte der sowjetische Sender in Wilna jetzt einen Bericht über die unter russischer Verwaltung stehende Kreisstadt Insterburg in Ostpreußen. Ein dreiköpfiges sogenanntes Reporter-Kollektiv fuhr in die Stadt. Während einer sich mit den positiven Zuständen beschäftigte, gab der zweite einen allgemeinen Überblick und der dritte schließlich befasste sich mit kritischen Einwänden. Wir können an dieser Stelle auf die guten Nachrichten verzichten, weil sie sich vorwiegend mit unkontrollierbaren Prozentangaben der Kolchosen und Staatsgüter aus der Umgebung Insterburgs befassen. Viel interessanter sind die detaillierten Schilderungen aus der Stadt. Der Sprecher gab folgenden Überblick: „Der aufmerksame Beobachter registrierte schon nach einiger Zeit, dass in Insterburg die Tafeln, auf denen die Erfolge im sozialistischen Wettbewerb verzeichnet werden, alle leer sind. Gibt es dort keinen Wettbewerb oder ist er eingeschlafen? Die Öffentlichkeit hat doch ein Recht zu wissen, wie die Helden der Arbeit und die Aktivsten heißen. Uns scheint aber, dass es in Insterburg eben an diesen Aktivisten fehlt. Am Bahnhof beispielweise stolpert man über herumliegende Trümmer. Nur gut, dass nachts in der Stadt kein Zug hält, so können wenigstens die Reisenden ihr Genick nicht brechen. Und am Tage, nicht wahr, da kann ja jeder sehen!

 

Hätten wir gewusst, was uns erwartet, dann hätten wir unseren braven ‚Pobjeda' (russisches Auto, die Red.) nicht den Gefahren der Insterburger Straßen ausgesetzt. Für andere Reisende geben wir einen guten Hinweis: stellt eure Autos am Gestüt ab und nehmt ein Pferd. Ihr müsst es vorher füttern, sonst fällt es euch unterwegs vor Hunger um. Man soll nicht kleinlich sein, sagte uns der Genosse Sysran von der Straßenbauverwaltung, denn immerhin wäre doch die Hauptdurchgangsstraße befahrbar. Der Gute! Verschwieg er doch, dass auch diese Straße nur intakt ist, wenn es nicht regnet. Und dass die Straßenbeleuchtung zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit ausgeschaltet wird. Ja, Ja man spart in Insterburg. Überhaupt, wenn es Prämien für wenig verbrauchten Strom gibt. In der Unfallstatistik wird dann andererseits das Soll überfüllt.

 

Natürlich ist nicht nur dieser Genosse an den Zuständen schuld. Alle Genossen des Insterburger Stadtsowjets haben böse Fehler in der Verwaltungsarbeit gemacht. Man braucht dazu nicht die ganze Stadt zu durchwandern. Man braucht dazu nur mit den Bürgern zu sprechen. Ich hätte drei Notizblocks mit ihren Klagen vollschreiben können. Muss das sein? Nein, das muss nicht sein. In Insterburg aber sind die Bürger unlustig und zornig. Sie träumen von Minsk oder Charkow, wo es so viel besser ist. Ein Arbeiter im Flusshafen sagte uns: „Hier ist alles verfahren und schlecht organisiert. Hier bellen nicht mal die Hunde, weil ihnen nicht danach zumute ist!" In der Tat, die Bürger haben in Insterburg nichts zu lachen. Man macht ihnen das Leben wirklich nicht leicht.

 

Wir haben uns in den Magazinen umgesehen, wo die Verkäufer mürrisch herumstanden und bei zwei von drei verlangten Artikeln den Käufern erklärten ‚Ausverkauft‘! Und das bei Waren, die anderswo nicht zu den Engpässen gehören. Ein paar Schritte weiter auf dem Markt aber kann man all diese Dinge zu überhöhten Preisen kaufen. Sollen da die Bürger ihre gute Laune behalten? Die Genossen im Verteilerapparat und in der Miliz sollten sich sehr schnell um eine durchgreifende Änderung bemühen. Anderenfalls ist es an der Zeit, sie in die Produktion zu schicken und willigere Genossen mit ihren Posten zu betrauen.

 

Unser Kollektiv hatte Mühe, eine Unterkunft in Insterburg zu finden, obwohl wir angekündigt waren. Natürlich war das eine kleine Hotel überfüllt und wir kamen schließlich in einem Lokal unter. Dort erlebten wir dann gleich, wie sich die schlechte Verwaltung auf die Bürger auswirkt. Nach Feierabend strömten mehr Menschen in die Gaststätte, als sie unterbringen konnte. Die Bürger betranken sich schnell und sehr heftig. Sogar Milizionäre sahen wir darunter. Soll etwa so der Feierabend von Bürgern unseres sozialistischen Staates aussehen? Nein das soll er nicht!

 

Auch die Produktionsstätten der Lebensmittelindustrie besuchten wir. Dort trafen wir arbeitsame Kollegen mit dem besten Willen. Was aber können sie ausrichten, wenn ihnen teilweise verdorbene Waren zur Verarbeitung angeliefert werden? Sollen sie den Gesetzen folgen und diese Waren nicht verarbeiten oder sollen sie an ihre Norm denken und die Augen zu machen? Vielleicht würde es Insterburg weiterhelfen, wenn man eine Umschichtung vornähme. Nach dem Besuch in der Stadt und im ländlichen Gebiet ist unser Kollektiv zur Ansicht gelangt, dass in den Dörfern und Kollektiven viele qualifizierte Genossen arbeiten. Vielleicht sollte man unter ihnen eine Auslese treffen und sie dann in die Verwaltung Insterburgs übernehmen. Die bisher auf diesen Posten saßen, würden vielleicht wieder bei der praktischen Arbeit in der Produktion umlernen und ihre Aufgabe besser verstehen.

 

Ja, Insterburg ist in einer Lage, auf Grund deren sich die Zentralverwaltung und die Stadtorganisation der Kommunistischen Partei viele Gedanken machen sollte. Und diesen Gedanken müssten schnellstens Taten folgen. Auch in Königsberg hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. Unsere kritischen Ausführungen werden dort von den maßgeblichen Genossen durchaus gebilligt. Vielleicht hilft es, wenn wir vom Nachbarbezirk einmal gesagt haben, was uns in Insterburg missfiel“.

 

Seite 4   Neue Bestimmungen für Ausbildungshilfe. Auch bevorzugte Erfüllung von Hauptentschädigung für diesen Zweck.

BONN. Die neuen Richtlinien für die Ausbildungshilfe, die im Frühjahr in Kraft getreten sind, sehen gemäß § 302 des Lastenausgleichsgesetzes vor, dass die notwendigen Ausbildungskosten sowie die Kosten des Lebensunterhalts während der Ausbildung gedeckt werden. In der Regel soll die Bewilligung der Ausbildungshilfe, auf die kein Rechtsanspruch besteht, für einen Zeitraum von zwölf Monaten gewährt werden. Doch ist eine Verlängerung möglich, wenn die Voraussetzungen noch vorliegen. Die Ausbildung wird bis zur abgeschlossenen Berufsausbildung oder auch zur Berufsumschulung gewährt, wenn der Geschädigte seinen bisherigen oder verwandten Beruf, der ihm angesichts seiner Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten billigerweise zugemutet werden darf, nicht ausüben kann.

 

Anträge für sich selbst oder für ihre Kinder können Geschädigte stellen, die nicht in der Lage sind, die Kosten für die Berufsausbildung aufzubringen. Voraussetzung ist ferner, dass der Auszubildende nicht mehr volksschulpflichtig ist und das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. In Ausnahmefällen allerdings – insbesondere bei Berufsumschulung – kann Ausbildungshilfe auch über das 30. Lebensjahr hinaus gegeben werden. Bedingung bleibt, dass die persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Antragstellers sowie die Führung, Befähigung und Leistung des Auszubildenden Gewähr bieten, dass ein befriedigender Abschluss der Ausbildung erreicht werde kann.

 

Darüber hinaus kann auch die Hauptentschädigung bevorzugt für Ausbildungszwecke freigegeben werden – eine Möglichkeit, von der bisher nur wenige Geschädigte Gebrauch gemacht haben. Die vorzeitige Erfüllung des Hauptentschädigungsanspruches hierfür setzt jedoch voraus, dass mindestens zwei Semester oder ein Jahr bereits erfolgter Ausbildung nachgewiesen werden. Als Ausbildungsstätten gelten dabei: Fachschulen, Berufsfachschulen, Wohlfahrtsschulen und sozialpädagogische Ausbildungsstätten, Schulen der Landwirtschaft, des Gartenbaues und der Forstwirtschaft, Hochschulen und Vorbereitungsdienst für ärztliche Fachausbildung, Referendare, Kandidaten der Theologie und Lehramtskandidaten.

 

Vorerst ist es demgegenüber nicht möglich, die Hauptentschädigung für die Ausbildung an mittleren und höheren Schulen sowie von Lehrlingen, Anlernlingen und Praktikanten vorzeitig auszuzahlen. Für die Promotion ist die Auszahlung auch nur dann möglich, wenn sie den üblichen Abschluss für die Berufsausbildung darstellt, als Abschluss der Ausbildung gewählt wird oder die Abschlussprüfung ergänzt, also als Vorbedingung für den gewählten Berufsweg gelten kann.

 

Voraussetzung für die bevorzugte Freigabe der Hauptentschädigung für Ausbildungszwecke ist ferner, dass die Einkünfte der Auszubildenden und ihrer Angehörigen unter dem vierfachen Unterhaltshilfesatz liegen und dass zum Haushalt mehr als drei wirtschaftlich abhängige Kinder gehören. Der vierfache Unterhaltshilfesatz schwankt zwischen 480,-- DM monatlich für eine Person und 1224,-- DM monatlich für ein Ehepaar mit drei Kindern. Die für zwei Ausbildungsjahre — höchstens bis zum Ende der Ausbildung — erforderlichen Summen können bis zum Höchstbetrage von 2000,-- DM ausgezahlt werden.

 

Seite 4   Beihilfen für Flüchtlings- und Aussiedler-Studenten.

Nach neuen Richtlinien des Bundesministers des Innern zur Förderung der Flüchtlings- und Aussiedler-Studenten können Zuwanderer aus der SBZ, Aussiedler, Verschleppte, Heimkehrer und ausländische Flüchtlinge Beihilfen entweder als Vorschüsse auf vorliegende Ansprüche nach dem Lastenausgleichsgesetz oder anderen Gesetzen oder als Zuschüsse erhalten. Voraussetzung ist, dass die Studenten ihre Studien nach dem 1. April 1957 aufgenommen haben. Eignung und Bedürftigkeit sind allerdings Bedingung.

 

Durch die Beihilfe sollen die Studenten in den ersten drei Semestern ihres Studiums — während der Vorlesungsmonate und nach Ermessen des Förderungsausschusses auch für eine vierwöchige Erholungszeit im Jahr — über monatlich 150 DM verfügen können. Von Beginn des vierten Semesters an— jedoch nicht über das für die Berufsausübung befähigende Examen hinaus — sollen ihnen monatlich 200 DM auch während der vorlesungsfreien Zeit zur Verfügung stehen. In Härtefällen kann nämlich auch für ein viertes Studienhalbjahr noch eine Förderung gewährt werden.

 

Zur Beratung der Studierenden unterhält der Bundesstudentenring eine zentrale Beratungsstelle mit Außenstellen in den Notaufnahmelagern und in West-Berlin. Die Beratungsstelle soll die Studierenden und Schüler auf die für sie gegebenen Förderungsmöglichkeiten hinweisen und sie über die für sie zweckmäßige Art der Studienaufnahme in der Bundesrepublik und in West-Berlin unterrichten. Die Beratungsstelle wirkt nach Maßgabe besonderer Vorschriften des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte bei der Verteilung zugewanderter Studierender mit.

 

Seite 4   Abiturkursus für Aussiedler

Ein zweiter Sonderlehrgang zur Ablegung der Reifeprüfung für Spätaussiedler aus den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten ist vom niedersächs. Kultusministerium genehmigt worden. Zurzeit findet beim Institut für Erziehung und Unterricht in Göttingen der erste Kursus dieser Art in der Bundesrepublik statt. Wie es heißt, habe man so gute Erfahrungen mit den 30 Teilnehmern gemacht, dass man auch anderen jungen Menschen, die ausgesiedelt worden seien, die Möglichkeit für eine Ablegung der Reifeprüfung schaffen wolle. Aussiedler, die an dem neuen Kursus teilnehmen wollen, können sich direkt mit dem Institut für Erziehung und Unterricht in Göttingen, Wagnerstraße 1, in Verbindung setzen.

 

Seite 4   Verwandtenbesuche erschwert.

Bewohner der Bundesrepublik, die Verwandte in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten besuchen wollen, müssen in Zukunft eine von den polnischen Kreismilizbehörden ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung vorlegen, ehe sie ein Einreisevisum von der polnischen Militärmission in Westberlin erhalten.

 

Eine entsprechende Mitteilung hat das polnische Reisebüro Orbis dem Berliner Vertragsbüro für Reisen nach Polen übermittelt. Der Touristen- und der Geschäftsverkehr sind davon nicht betroffen.

 

Bisher konnten Bewohner der Bundesrepublik ihre Verwandten jenseits der Oder-Neiße-Linie ohne besondere Aufenthaltsgenehmigung besuchen. Lediglich das Einreisevisum der polnischen Militärmission und das Durchreisevisum der DDR-Behörden waren erforderlich.

 

Touristen, die ihren Aufenthalt in vorher angemeldeten Orten bezahlen müssen, können nach wie vor ohne Aufenthaltsgenehmigung nach Polen fahren, während Geschäftsleute auch weiterhin Einladungen vorlegen müssen. Etwa 75 v. H. aller Reisenden in das Gebiet jenseits der Oder-Neiße-Linie sind, dem Westberliner Reisebüro zufolge, Verwandtenbesuche. Eine Begründung für diese Reiseneuregelung ist von den Polen nicht gegeben worden.

 

Für den besuchsweisen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder Westberlin müssen nach wie vor Deutsche, die jenseits der Oder-Neiße-Linie leben, oder polnische Staatsangehörige polizeilich beglaubigte Einladungen der Gastgeber in Deutschland vorlegen. Diese Einladung muss von der polnischen Militärmission abgestempelt werden.

 

Seite 4   Fahrpreisbeihilfen

Für die Gewährung von Fahrpreisbeihilfen an ständig in Hessen wohnhafte minderbemittelte Vertriebene, Flüchtlinge und Zuwanderer aus der Sowjetzone ist eine Neuregelung getroffen worden, die am 1. Juni 1958 in Kraft trat. Wie vom hessischen Innenministerium mitgeteilt wurde, können diese Beihilfen für Fahrkarten zur Schaffung oder Verbesserung der Existenzgrundlage bei wichtigen Familienereignissen wie Todesfällen und schweren Erkrankungen sowie zur Regelung von Erbschafts-, Pflegschafts- und anderen Familienangelegenheiten gegeben werden, soweit diese Fahrten dringend erforderlich sind und der Fahrpreis 10,-- DM übersteigt. Als minderbemittelt gelten Berechtigte mit einem monatlichen Nettoeinkommen bis zu 230,-- DM, das sich für Verheiratete um 70,-- DM und für jeden Unterhaltsberechtigten um weitere 35,-- bis 70,-- DM erhöht.

 

Seite 4   Vertreibungsverluste

18 Millionen Deutsche lebten vor der Vertreibung in den deutschen und europäischen Ostgebieten. Der Aufklärung ihres Schicksals nach dem Kriege dient die Gesamterhebung.

 

Unter Vorsitz von Bundesvertriebenenminister Prof. Dr. Oberländer fand am 10 Juni in Bonn zwischen den Vertretern des Kirchlichen Suchdienstes, des Verbandes der Landsmannschaften und des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte eine eingehende Aussprache über die Arbeit der Gesamterhebung statt. Nach einer Erörterung der bisherigen Arbeiten wurde festgestellt, dass das bis jetzt vorliegende Ergebnis zu einem Endresultat gesteigert werden kann, das weit über die bisherigen Erwartungen hinausgeht. Alle Anwesenden waren sich darüber einig, sich zu bemühen, die Voraussetzungen zu schaffen, das menschlich und politisch bedeutungsvolle Endziel zu erreichen.

 

Seite 4   Erfolgreiche Suchdienstarbeit

Von den am 1. April 1957 beim Deutschen Roten Kreuz vorliegenden 1 232 641 Millionen Suchanträgen konnten bis zum 31. März 1958 — also innerhalb eines Jahres — 36 287 Fälle geklärt werden. Das bedeutet im Monat rd. 3000 Klärungen oder mehr als 100 an einem einzigen Arbeitstag. Von 196 000 Suchanträgen nach Kindern, die seit 1945 gestellt worden waren, liegen zurzeit noch 14 000 vor. Außerdem werden noch für 16 000 Kinder die Eltern gesucht. Allein im Jahre 1957 konnten in 4 572 Fällen Erfolge erzielt werden. Die Nachforschungen nach Deutschen in der Sowjetunion werden nach den Vereinbarungen vom Mai vorigen Jahres und nach dem Abschluss der Repatriierungsverhandlungen zu einem bedeutungsvollen Arbeitsgebiet des Deutschen Roten Kreuzes. Bei der bisherigen Rückführung der Deutschen aus der UdSSR waren gewisse Fortschritte erkennbar. Im Zeitraum vom 1. April 1957 bis zum 31. März 1958 kehrten insgesamt 1310 Personen aus der Sowjetunion zurück. Am 31. März 1958 waren es 37 000 Personen in der Sowjetunion, die regelmäßig Hilfssendungen vom DRK erhielten. Bei der Aktion der Gesamterhebung der Vertreibungsverluste in den ostdeutschen Gebieten sind bislang vom Deutschen Roten Kreuz fünfeinhalb Millionen Befragungsbogen ausgegeben worden. Von ihnen wurden bis zum 31. März 1958 etwa 30% zurückgegeben, so dass von einem erfolgreichen Anlaufen der Aktion gesprochen werden kann.

 

Seite 4   Rentenerhöhung auch für Deutsche

Die in Polen vom 1. Juli an geplante Rentenerhöhung auf einen Mindestsatz von 500 Zloty (98 DM) wird auch den deutschen Rentenempfängern in den Oder-Neiße-Gebieten zugutekommen. Das Breslauer KP-Organ „Gazeta Robotnicza" gibt zu, dass ein Großteil der deutschen Rentenempfänger seit mehreren Jahren mit Renten unter 200 Zloty (35 DM) auskommen mussten. Allein bei der „Wojewodschaft" Breslau hätten 30 000 deutsche Rentner neue Anträge gestellt. Grundsätzlich sollen alle Rentenempfänger 75 Prozent ihres letzten Gehaltes als Rente erhalten, die jedoch den Mindestsatz von 500 Zloty nicht unterschreiten darf. Für deutsche Witwen ist eine Verdoppelung der bisherigen Rentenbezüge vorgesehen.

 

Seite 4   Siedlerschule Katlenburg

Die Siedlerschule in Katlenburg/Harz (Landw. Fachergänzungsschule) beginnt ihren nächsten Jahres-Lehrgang am 27. Oktober. Aufgenommen werden junge Männer, die das 18. Lebensjahr erreicht haben und eine mindestens dreijährige landwirtschaftliche Praxis (Lehrzeit) nachweisen können. Die Abschlusszeugnisse der Volks- und Berufsschule müssen beigebracht werden.

 

Nach Beendigung des 1. Semesters kann die Landwirtschaftsgehilfenprüfung abgelegt werden.

 

Unterricht und Ausbildung in dieser Heimschule entspricht dem einer Landwirtschaftsschule, doch werden zusätzlich Siedlungs- und landw. Bauwesen, Ostkunde und praktische handwerkliche Übungen unterrichtet. Besonderer Wert wird auf die Landtechnik gelegt. Ein vierwöchiger Landmaschinenkursus ist in das 2. Semester eingebaut. Die Abschlussprüfung berechtigt zu den gleichen sozialen Stellungen und zu einer fortführenden und zur Spezial-Ausbildung wie jene der Landwirtschaftsschulen. Zugleich erhält der Absolvent die Siedlereignung.

 

Die Unkosten entsprechen etwa denen anderer Heimschulen. Unbemittelten, Flüchtlingen. Ostvertriebenen. Ostaussiedlern können auf Antrag ausreichende Beihilfen, in Einzelfällen auch ganze Freiplätze gewährt werden.

 

Ausführliche Prospekte, Anfragen und Anmeldungen ehestens an die Verwaltung der Siedlerschule in Katlenburg, Kreis Northeim/Hannover.

 

Die Ländlich-hauswirtschaftliche Frauenschule in Katlenburg/Harz beginnt Ostern 1959 ihr neues Schuljahr.

Die Schule will Töchtern sowohl von Vertriebenen und Flüchtlingen als auch von Einheimischen eine abgeschlossene ländlich-hauswirtschaftliche Ausbildung vermitteln, um sie zu befähigen, als Siedler- und Bauersfrauen ihre Aufgaben in fortschrittlicher Weise zu erfüllen. Die Schule gibt der zukünftigen Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft die Fachausbildung. Sie vermittelt den Lehrstoff der Unterklasse einer Landfrauenschule. Als Aufnahme gelten Mindestalter 17 Jahre, abgeschlossene Volks- und Berufsschulbildung und dreijährige ländlich-hauswirtschaftliche Lehrzeit.

 

 

Der Lehrplan sieht vor: Kochen, Ernährungs- und Naturlehre, Haushaltsführung, Nadelarbeit, gestaltendes Werken und Weben, Gartenbau und Kleintierhaltung, gärtnerische Praxis, Gesundheits- und Kinderpflege, außerdem Heimat- und Gemeinschaftskunde, Singen, Sport und Laienspiel.

 

Wandern und Fahrten erschließen die herrliche Umgebung des Harzes. Spiele und Gemeinschaftstanz verbinden die jungen Menschen zu einer frohen Runde. Weitere Auskunft erteilt die Ländlich-hauswirtschaftliche Frauenschule der Siedlerschule Katlenburg/Harz.

 

Seite 4   Wichtige Neuerscheinung. „Hauptentschädigung"

Im Behörden- und Industrie-Verlag GmbH. In Frankfurt/Main ist der Kommentar „Hauptentschädigung" von Regierungsdirektor Dr. von Klot und Regierungsoberinspektor H. Schmidtchen, Bundesausgleichsamt, erschienen.

 

Mit dem Inkrafttreten des 8. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Lastenausgleich aus der Eingliederungsphase in die Phase der Entschädigung getreten sein. Damit kommt auch den Vorschriften des Lastenausgleichsgesetzes, die sich mit der „Hauptentschädigung“ befassen (§§ 243 bis 252 LAG), erhebliche Bedeutung zu, das vor allem, weil — wenn auch noch in Einzelfällen — die Ausgleichsämter begonnen haben, diese bedeutendste Ausgleichsleistung auszuzahlen. Der Auszahlung der Hauptentschädigung hat jedoch deren Berechnung und Zuerkennung voranzugehen. Ein Blick in die genannten Gesetzesvorschriften lässt erkennen, dass der den Geschädigten inzwischen zugestellte oder noch zu erwartende auf RM lautende Feststellungsbescheid keinen Aufschluss darüber gibt, welche Entschädigung in Deutscher Mark den Vertriebenen zusteht, denn die festgestellten Schäden sind noch den verschiedensten Modifikationen unterworfen, bevor sich schließlich der Endgrundbetrag der Hauptentschädigung ergibt.

 

Deshalb haben es sich die Verfasser des Kommentars „Hauptentschädigung" zur Aufgabe gemacht, in sehr übersichtlicher Gliederung sowohl den Anforderungen des Sachbearbeiters, als auch denen des Geschädigten entsprechend, die gesetzlichen und sonstigen Vorschriften allgemein verständlich zu machen, eine Unmenge von Zweifelsfragen zur Hauptentschädigung zu klären und das Verständnis durch viele Beispiele zu wecken.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 7. Juli 1958.

Ostpreußens Männer. In großer Zeit (alle abgebildet.)

In der Zeit des deutschen Niederganges und preußischer Schmach durch die Eroberungssucht Napoleons waren es ostpreußische Männer, die das Schicksal der Heimat in die Hand nahmen und an Preußens Erhebung und Aufstieg regen Anteil hatten. Die beiden Geisteshelden Kant und Kraus (geboren 25.08.1807) haben einen großen Einfluss auf die folgende Zeit ausgeübt. Ihre Schüler waren es, die an den Stein-Hardenberg'schen Reformen das größte Verdienst für sich in Anspruch nehmen durften: Friedrich Leopold und Karl Wilhelm v. Schrötter (der erstere Geh. Finanzrat und Oberpräsident, der zweite Kanzler), Theodor von Schön (Präsident) und von Stägemann, der Geh. Kriegsrat Gottfried Frey, Alexander von Dohna (General-Landschaftsdirektor), Hans Jakob von Auerswald (Oberpräsident), der Oberlandesgerichtsrat Prof. Dr. Aug. Wilhelm Heidemann, der Oberbürgermeister der ostpreußischen Hauptstadt wurde, und viele andere.

 

Das Andenken der genannten Persönlichkeiten lebte in Königsberg u. a. in den Straßennamen der Stadt weiter, die uns noch heute in bester Erinnerung sind. Zu den bereits angeführten Männern kam der Feuerkopf General York. Das Denkmal dieses Freiheitshelden befand sich auf dem Walter-Simon-Platz. Einem Ausschuss der Ständeversammlung, in dem die beiden Dohnas und Heidemann besonders tätig waren, legte York seinen Plan zur Landesbewaffnung vor.

 

In der von Heidemann herausgegebenen Wochenschrift „Bürgerblatt", das im April 1809 erstmalig erschien, verfolgte er den Zweck, „den Bürger mit seiner Verfassung bekannt und zufrieden zu machen, den Sinn für das Gute zu erwecken, zu veredeln und nützliche Kenntnisse zu verbreiten, auch das Interesse an öffentlichen Angelegenheiten hervorzubringen". Unermüdlich wirkte der große Idealist, aber inmitten seiner rastlosen Tätigkeit wurde er ein Opfer der Überanstrengung. Am 15.11.1813 raffte ihn das furchtbar grassierende Lazarettfieber hinweg. Ein einfaches, auf einem Marmorwürfel stehendes Landwehrkreuz aus Sandstein zierte seit 1838 sein auf dem früheren Löbenicht‘schen Kirchhof, dicht am Königstor gelegenes Grab.

 

Ein Landwehrkreuz auf dem Galtgraben war dem Gedächtnis des Kriegsrats Scheffner gewidmet. Ein Obelisk in der Königstraße der alten Pregelstadt war dem Andenken Theodor v. Schöns geweiht.

 

Von Scheffner schreibt Erich Moritz Arndt: „ . . . auch sah ich oft den Geheimen Kriegsrat Scheffner, einen schönen, liebenswürdigen Greis, Zögling des 7-jährigen Krieges und seines Nachwuchses, berühmt durch seinen Geist und Witz".

 

Das Herz Ernst Moritz Arndts schlug höher inmitten des zu jedem Opfer bereiten ostpreußischen Volkes jener Zeit, wenn er bekennt: „Glücklich, wenn in allen Landen deutscher Zunge die Heimat von solchen Herzen geliebt, von solchen Köpfen und Fäusten verteidigt-und verherrlicht würde!" H. B.

 

Von oben nach unten: 1. Karl Wilhelm v. Schrötter, Kanzler; 2. Theodor v. Schön, Präsident; 3. Hans v. Auerswald, Oberpräsident; 4. Johann Georg Scheffner, Kriegsrat; 5. v. York, General. Von links nach rechts: 6. Friedrich Leopold v. Schrötter, Geh. Finanzrat und Oberpräsident; 7. August Wilhelm Heidemann, Oberbürgermeister; 8. J. G. Frey, Geh. Kriegsrat; 9. Alexander Graf zu Dohna, Gen.-Landschaftsdirektor.

 

Seite 5   Deutsche in aller Welt. Kein Deutsch im Elsaß.

Im Zeichen der europäischen Integration und unserer Zusammenarbeit mit Frankreich ist eine merkwürdige Scheu entstanden, davon zu sprechen, dass jenseits der Westgrenze eine erhebliche Zahl von Menschen leben, die stammesmäßig zum deutschen Volk gehören. So waren es denn in den letzten Jahren auch weniger Deutsche als Österreicher und vor allem Schweizer, die sich nicht mit der Unterdrückung der alemannischen Bevölkerung Elsaß-Lothringens, der heutigen Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, zufriedengaben. Aus der Schweiz wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der Feldzug gegen die deutsche Sprache und den dem Schwyzer-Dütsch ähnlichen Dialekt nicht mit den von Paris angeblich doch so hoch geschätzten Menschenrechten zu vereinbaren ist.

 

So ist es den diesen Einflüssen zuzuschreiben gewesen, dass unlängst das Departements-Parlament von Huat-Rhin beschloss, in den oberelsässischen Volksschulen wieder Unterricht in Deutsch zu erteilen. Es sei dahingestellt, ob die Abgeordneten sich dabei von dem ehrlichen Willen leiten ließen, den Wünschen der Bevölkerung zu entsprechen, oder ob es ihnen nur um eine elegante Reverenz gegenüber dem kritischen Ausland zu tun war. In der Praxis nämlich ändert der Beschluss des Regierungsparlamentes nichts an der bisherigen Verfahrensweise, keinen Deutschunterricht zu erteilen. Die Inspektoren der oberelsässischen Volksschulen, die man etwa mit unseren Schulräten gleichsetzen kann, haben sogleich aus „rein technischen und pädagogischen Gründen" erklärt, es wäre unmöglich, Deutsch zu unterrichten. Das einzige Ergebnis eines solchen Unterrichts würde darin bestehen, dass die Kinder bei der Schulentlassung weder Deutsch noch Französisch befriedigend beherrschten.

 

Das ist die bewährte, alte Methode, mit der bereits in früheren Jahren der Deutschunterricht in Elsaß-Lothringen in fast jedem Falle, wo er möglich gewesen wäre, verhindert wurde. Entweder mussten die Eltern sich „mit dem Ausdruck größten" Bedauerns mitteilen lassen, dass es einfach keine Lehrer der deutschen Sprache gäbe, oder es fanden sich sonstige fadenscheinige Argumente, diesen Unterricht unmöglich zu machen.

 

In diesem Zusammenhang ist es zweckmäßig, sich einiger Zahlen zu erinnern, die kürzlich von dem französischen „Institut National de la Statistique des Etudes economiques" ermittelt wurden: Im Departement Bas-Rhin sprechen 32 432 Bewohner Französisch und 217 951 Deutsch oder (und) Dialekt, der Rest ist zweisprachig. Im Departement Haut-Rhin wird von 136 656 Deutsch und (oder) Dialekt, von 22 500 Bewohnern Französisch gesprochen, die Übrigen beherrschen beide Sprachen. Im Departement Moselle sprechen 124 000 Französisch, 106 700 Deutsch und (oder) Dialekt, die übrigen beide Sprachen. Diese amtlichen französischen Zahlen beweisen überzeugend die Zweisprachigkeit Elsaß-Lothringens und rücken die französischen Methoden in das rechte Licht.

 

Freilich bleiben diese Methoden nicht ohne Erfolg: Schon jetzt konzentriert sich die deutsche Sprache stärker auf die älteren Bevölkerungsgruppen, während von der Jugend mehr französisch gesprochen wird. In Paris hofft man, dass in etwa 20 Jahren mit solchen Methoden die Zweisprachigkeit beseitigt ist. Wenn es ostwärts des Rheines weiter bei der bisherigen völligen Interessenlosigkeit gegenüber dieser Assimilierungspolitik bleiben sollte, wird Paris sich vermutlich nicht täuschen. VDA

 

Seite 5   Weißt Du, …

.. dass vor rund 150 Jahren in Ostdeutschland im Verlauf der Stein-Hardenberg'schen Reformen eine Bodenreform durchgeführt wurde. Allein in Ostpreußen schuf man damals durch Aufteilung von Landbesitz der königlichen Domänen 47 000 Höfe für freie Bauern.

 

… dass der große Konventsremter des Ordenshochschlosses Marienburg eine „Zentralheizung", vom Keller aus heizbar, nach der gleichen Art hatte, wie sie schon ähnlich in altrömischen Häusern eingebaut war.

 

… dass Wilhelm von Humboldt die Kurische Nehrung Ostpreußens als eine jener Landschaften in aller Welt bezeichnete, die man „genau wie Spanien und Italien, gesehen haben muss".

 

… dass in Danzig gegen Ende des 16. Jahrhunderts bereits zehn Buchhandlungen bestanden, was für die damalige Zeit eine außerordentlich hohe Zahl von Bücherstuben war.

 

… dass bereits der Hochmeister des Deutschen Ritterordens, Konrad Zöllner von Rotenstein, eine Universität in Kulm plante, und dass Papst Urban VI. diese Absicht im Jahre 1387 bestätigte. Zur Gründung der Hochschule kam es jedoch erst 1544 durch Herzog Albrecht, der in Königsberg die Alma Mater Albertina ins Leben rief.

 

… dass im Dreißigjährigen Kriege Ostpreußen von den Kriegsläufen verschont blieb. Süddeutsche suchten in Preußen Schutz; der Besuch der Universität war stärker als zuvor; Tonsetzer, wie Eccard und Albert, schufen hier ihre Meisterwerke; Dichter, wie Adersbach, Titz und Simon Dach fanden sich hier zum damals weltberühmten Königsberger Dichterkreis zusammen.

 

… dass außer dem Freiherrn vom Stein auch der Königsberger Magistratsbeamte Johann Gottfried Frey einen maßgeblichen Anteil an der Reform der Städteverwaltungen hatte. Stein nahm 1808 im Hause Freys Wohnung, und Freys Plan der neuen Städteordnung wurde von Stein in großen Zügen übernommen.

 

Seite 5  

Glück empfindet man nur bei einer Tätigkeit. Untätige Leute sind selten glücklich. Pablo Casals.

 

Die Liebe verleiht uns Flügel. Der Hass gibt Schnabel und Klauen. Svend Fleuron.

 

Unmodern sein heißt manchmal, der Mode um ein ganzes Stück vorauseilen. Christopher Fry.

 

Seite 5   Bastel-Ecke. Kleine Bastelei für Mädchen. Mit Abbildung.

Die kleine nette Tasche, die ihr hier seht, könnt ihr euch selber machen. Sie ist vor allem gedacht als Frühstückstasche für eure jüngeren Geschwister, die in den Kindergarten oder auch schon zur Schule gehen.

 

Das Schnittmuster gibt euch genaue Anleitungen über die Anfertigung, und zwar stellt I das Vorderteil dar, II die Rückwand mit der Überschlagklappe und III ist der Verbindungsstreifen.

 

Alle Teile werden aus Wachstuch oder auch einer Plastikfolie zugeschnitten. Aus Resten können noch Verzierungen, etwa ein Blumenmuster aufgesetzt werden. Ein Holzknebel und eine genähte Öse bilden den Verschluss. Das Trageband ist 70 cm lang, 1,5 cm breit. Die Tasche könnt ihr innen noch mit einem waschbaren Futter versehen. Ihr sollt einmal sehen, wie sich euer Brüderlein oder Schwesterlein über diese Tasche freut.

 

Seite 6   Bauernregeln.

Juli recht heiß lohnt Müh und Schweiß.

Was Juli und August am Weine nicht vermocht, das wird vom September nicht gar gekocht.

Wenn Juli fängt mit Tröpfeln an, so wird man lange Regen ha'n.

Im Juli will der Bauer schwitzen, anstatt hinterm Ofen sitzen.

Dampft das Strohdach nach Gewitterregen, so kehrt das Gewitter wieder auf anderen Wegen.

Dem Sommer sind Donnerwetter nicht schand, sie nützen der Luft und dem Land.

Gibt Ring oder Hof sich Sonn oder Mond, bald Regen und Wind uns nicht verschont.

Margaretenregen (13.) bringt keinen Segen.

Sommers Höhenrauch in Menge, ist Vorbote von großer Winterstrenge.

Sind abends über Wies und Fluss Nebel zu schauen, wird die Luft anhaltend schön Wetter brauen.

Im Juli golden die Sonne strahlt, so golden sich der Roggen malt.

Sind am Jakobitage viele weiße Wolken am Himmel, so folgt im Winter viel Schnee.

Fällt vor Jakobi die Blüte vom Kartoffelkraut, auf keine gute Kartoffel baut.

Werfen an Anna die Ameisen höher auf, folgt ein strenger Winter drauf.

 

Seite 6   Das fiel Tacitus auf.

Man sagt Tacitus nach, dass er mit seinem Buch „Germania" das Land nördlich der Alpen aus der Finsternis der Geschichtslosigkeit gerissen habe. Hören wir, was er im 45. Kapitel über das spätere Ostpreußen schrieb.

 

An der rechten Küste des suebischen Meeres wohnen die Stämme der Aestier. Ihre Sitten und ihre Tracht sind suebisch, ihre Sprache ist der britannischen ähnlich. Sie verehren eine Göttermutter. Als Sinnbild dieses Glaubens tragen sie Eberbilder. Diese gelten als Waffe und Schutzmittel gegen alles. Sie sichern den Diener der Göttin selbst inmitten der Feinde. Selten wird Eisen als Waffe verwendet, häufig die Keule. Getreide und andere Früchte bauen sie fleißiger an, als es die trägen Germanen sonst tun. Aber auch das Meer durchsuchen sie, und als Einzige von allen lesen sie auf den flachen Stellen und am Strande selbst jenen Bernstein auf, den sie selbst „glesum" nennen. Seine Natur und die Art seiner Entstehung haben diese Barbaren nie untersucht noch ermittelt. Ja, er lag sogar lange unbenutzt unter den anderen Anspülungen des Meeres, bis unsere Putzsucht ihm einen Namen machte. Bei ihnen selbst ist er nicht in Gebrauch. Er wird roh aufgelesen, unbearbeitet in den Handel gebracht, und verwundert nehmen sie den Preis dafür in Empfang.

 

Man kann jedoch den Stoff als ein Baumharz erkennen, da oft kriechende, sogar geflügelte Tierchen durchschimmern, die sich im Harz verfangen hatten und bald von der härter werdenden Masse eingeschlossen wurden.

 

Seite 6   Der Tataren-See / Eine Sage aus Ostpreußen.

Mitten im Walde, zwischen Lyck und Ort Neuendorf, liegt ein See, der zwar klein, dafür aber unergründlich tief ist. Man nennt ihn den Tataren-See. Wer in diese Gegend kommt, fragt nach dem Ursprung dieses Namens. Ich habe alte Leute befragt, und sie haben mir, glaube ich, die rechte Antwort gegeben.

 

Beim Einfall der Tataren und nach der für die Preußen und Schweden im schwedisch-polnischen Erbfolgekrieg ungleich verlaufenen Schlacht bei Prostken (8. Oktober 1656) war Masuren eine Stätte voller Grauen, in der der Tod alles niederraffte, was Leben hatte. Mehr als 10 000 Menschen wurden niedergemetzelt; nur ein geringer Teil von ihnen wurde verschleppt.

 

An einem Sonntagmorgen drangen die Tataren in die Stadt Lyck ein. Die Einwohner hatten sich rechtzeitig in den Wäldern verborgen. Kein Auge erspähte sie, denn der Weg, der zum Unterholz nach Baranowen führte, war nur auf heimlichen Wegen zu erreichen.

 

Eines Nachts hörten die Flüchtlinge wüstes Schlachtgeschrei der herannahenden Horden. Ein Verräter zeigte ihnen den Weg zum See. Und da kamen sie an, jagten die erschreckten Frauen und Kinder an das Seeufer und nahmen die Männer gefangen. Diejenigen, die sich nicht willig ergaben, wurden niedergestochen oder in den See geworfen. Das Wasser des Sees färbte sich von den unzähligen Leichen blutrot.

 

Von dieser Zeit an nennt man das kleine Gewässer, in das so viel Blut geflossen war, den „blutigen See“ oder den Tatarensee. Die Anhöhe davor heißt Tatarenberg.

 

Vor vielen Jahren gingen zwei Frauen aus Lyck in den Sybarer Wald zum Erdbeerenlesen.

 

Es war an einem Johannisabend. Als sie den Tataren-See erreichten, spürten sie sehr bald, dass der Boden, auf dem sie standen, feucht war. Sie glaubten, es sei Tau oder Wasser. Unbedenklich gingen sie weiter.

 

Die Sonne war schon untergegangen. Und da merkten sie, dass ihre Füße in die Feuchtigkeit einsanken; auch fühlten sie, als ihre Hände nach reifen Erdbeeren griffen, eine Masse, an der die Finger klebten. Und da erst stellten sie mit Schaudern fest, dass es Blut gewesen war.

 

Sie eilten in die Stadt zurück und erzählten allen Bekannten, was sie im Walde erlebt hatten.

(Aus „Die Memelhexe“, Sagen und wundersame Geschichten aus Ostpreußen. Erzählt von Erich von Lojewski. Buchverlag Heinrich Müller Söhne, Rendsburg.)

 

Seite 6   Das rotbrüstige Wunder. Von Paul Keller.

In jeder richtigen Bauernstube gibt es Schaben. Die wohnen an dem großen Ofen. Mit Insektenpulver ließen wir uns nicht ein. Da hätte der Hund oder die Katze dran lecken können oder die kleine Bertha konnte denken, das sei Kuchenstreusel. Wir fingen im Herbst mittels eines Vogelkastens ein Rotkehlchen. Der Großvater sagte: „Das ist vernünftig; denn erstens macht es Spaß, zweitens braucht es im Winter nicht zu frieren und zu hungern, und drittens frisst es die Schwaben“. Hierzu muss bemerkt werden, dass in Schlesien die Schaben „Schwaben" heißen. Wahrscheinlich heißen in Schwaben die Schaben „Schlesinger". Es wäre nicht mehr als recht und billig.

 

Als wir nun das Rotkehlchen im Kasten hatten, trugen wir es sorgsam nach Hause. Unterwegs redeten wir dem verängstigten Tierchen gut zu. „Fürcht dich nicht, sollst es gut haben, fast so gut wie unser Hund!" — „Und", sagte ich, „die Katze mache ich morgen tot!" Da zwinkerte der Großvater das Rotkehlchen an und sagte: „Schwindel! Lass dir nichts vorreden!"

 

Dann ließen wir das Rotkehlchen in der großen Bauernstube, die sechs Fenster hatte, fliegen. Es wurde bald so zahm, dass es auf den Tisch kam und sich sein Teil wegholte. Alle passten auf die Katze auf. Der Hund war ein dummguter Kerl, dass ihm das Rotkehlchen auf den Kopf flog und ihn ins Ohr pickte. Höchstens, dass er mal leise brummte: „Lass das, es zwickt mich!" Aber das Rotkehlchen ließ es nicht. Da ließ sich der Hund zwicken. Das Rotkehlchen flog wie ein kleines rotbrüstiges Wunder den ganzen langen Winter durch unsere Stube. Manchmal sahen wir drei, das Rotkehlchen und ich und der Hund traurig durch die Eisblumen zum Fenster hinaus und wünschten, dass es Sommer würde. Aber gleich darauf waren wir alle wieder lustig.

 

Das ging so bis zum St.-Georgs-Tag, dem 23. April. An diesem Tage ist für die schlesischen Bauern der Winter aus. Ich erhielt dann stets vom Großvater die Erlaubnis, nach Belieben barfuß zu gehen, und an diesem Tage wurde das Rotkehlchen entlassen. Ich trennte mich mit großem Schmerz von dem lieben Tierchen. Dem Hunde war's egal. Traurig sagte ich zum Großvater: „Die Schwaben sind zwar weg, aber sie haben doch in die Ritzen hinter dem Ofen Eier gelegt. Da werden wieder kleine, vielleicht eine Million!"

 

„Zwei Millionen!" sagte der Großvater. Aber wenn ich dich jetzt den ganzen Sommer über einsperrte, und du solltest von zwei Millionen ausgekrochener Schwaben leben, da würdest du abmagern!"

 

„'s war aber diesmal ein so tüchtiges Rotkehlchen!" sagte ich noch. Aber auch das nutzte nichts.

 

Da ließen wir's dann fliegen. Und ich rannte hinterher und ich fand es nicht mehr und setzte mich ins junge Frühlingsgras und weinte ein wenig um den entschwundenen Freund. Der aber war im Freien, im Grünen.

(Am 6. Juli 1958 wäre der bekannte schlesische Schriftsteller Paul Keller 85 Jahre alt geworden. Die vorstehende Erzählung entnahmen wir dem Buch „A neues Packsla schläs'sche Sacha", zusammengetragen vom Menzel-Willem, Gräfe und Unzer Verlag, München.

 

Seite 6   E. Knobloch. Der Goldmacher. Die Geschichte eines Sonderlings.

Es ließen sich eine lange Geschichte erzählen von Ruprecht Windrich, dem Goldmacher.

 

Das Leben dieses Mannes glich einem bunten Bilderbuch voller Abenteuer und unglaublicher Erlebnisse bis ins hohe Greisenalter hinein. Der Tod raffte den Zweiundachtzigjährigen mitten aus seinem letzten großen Abenteuer: der Anwendung des Steins der Weisen, den er gefunden zu haben glaubte und vermittels dessen er den jahrtausendealten Traum der Menschheit zu erfüllen sich anschickte — Gold aus dem Schmelztiegel zu gewinnen.

 

Ein Hirngespinst? Gewiss, und die Wissenschaft wird uns die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens klar und eindeutig beweisen können. Aber was will dies sagen in diesem Falle?

 

War es denn wirklich Gold, was der Alte suchte? Dieses gleißende, kalte, tote Metall? Ich weiß heute, dass es ihm nicht darum ging. Es war lediglich die Übersetzung für ein Unaussprechliches, das ihm ein halbes Jahrhundert wie eine Faust in der Brust gelegen und in einsamen Stunden in der Kehle gewürgt hatte. Das hatte in seinem Hirn genagt und gefressen und ihm die Sinne verknotet. Und dann war eines Tages plötzlich das Wort Gold da. In der entlegenen Einsamkeit Inner-Asiens war es. Da sprang es den Wundgehetzten, Schicksalsgeschlagenen an: Gold — und deckte sich für Augenblicke mit dem Namenlosen in Brust und Hirn. Er aber klammerte sich fortan an dieses Wort als an ein Aussprechbares. Es rollte rot durch seine Fieberträume. Er jagte ihm nach, raffte sich immer wieder auf, schleppte sich weiter. Angst, es nicht zu erreichen, es vielleicht nie zu erreichen, trieb ihn. Nur jetzt nicht wie ein Hund an der Straße verrecken, ohne es gefasst zu haben: Gold, Gold . . . und meinte eigentlich das andere, dem er keinen Namen zu geben wusste, oder das inzwischen so verschüttet in ihm war, dass er sich nicht mehr daran zu erinnern vermochte.

 

Dass es mit ihm eine besondere Bewandtnis haben musste, das sah man gleich. Auf gut einen Kilometer sah man es ihm an! Stellt euch vor: im tiefsten Mitteleuropa, genauer gesagt, in einem kleinen nordböhmischen Städtchen — und dann im Tropenanzug! Und damit nicht genug — auch noch im Tropenhelm! Das soll man sich mal vorstellen! Wer hatte jemals schon so etwas gesehen!

 

Wenn man so durch die Gegend läuft, darf man sich natürlich nicht wundern, wenn hinter einem die Köpfe zusammenfahren und ein eifriges Getuschel losgeht, oder sich die nur mühsam zusammengehaltenen Gesichtszüge zu entspannen beginnen, oder aber dieser und jener Finger in Kopfhöhe ein unmissverständliches Klopfen vollführt. Nein, da darf man sich nicht wundern, und auch die Kinder muss man lachen und spotten lassen. Wüstenscheich, Urwaldschreck, das waren zwei solcher Spottnamen, und die gingen noch an. Aber Hottentottrich, das war eigentlich ein bisschen stark, und das hatte er nicht verdient. Schließlich hatte er keinem etwas getan.

 

Vor Monaten war er in unser Städtchen gekommen. Keiner kannte ihn, keiner wusste, wer er war, wo er herkam. Das einzige, was er preisgab, das war sein Name: Ruprecht Windrich. Der stand an der Tür seines Zimmers. Die Armenhausordnung verlangte es so. Er grüßte keinen und erwiderte keinen Gruß.

 

Grober Holzklotz! geiferten die zahnlosen Weiber hinter ihm her. Sie hatten sich schon so auf eine Abwechslung gefreut. Dass Windrich nicht von hier sein konnte, glaubte man ganz sicher zu wissen. Wenn man so siebzig, achtzig Jahre in einer Stadt lebt, weiß man so beiläufig alles, was hier vorgeht, wer geboren wird und vieles andere mehr. Man hat hier viel Zeit, und dass sie einem nicht zu lang wird, verkürzt man sie sich mit den neuesten Geschichten. Und etwas gibt es immer. Aber da kommt nun dieser Mensch daher, aus einer ganz anderen Welt, wie man sah, und man erwischte doch einfach nirgends ein Zipfelchen, von dem aus man diesen zweifellos interessanten und nicht alltäglichen Fall abhaspeln konnte. Das war aber auch doch zu ärgerlich!

 

Windrich aber schwieg. Ein geheimnisvolles Schweigen, wenn man bedenkt, wie er durch sein Auftreten die Phantasie seiner Mitmenschen anschürte. Aber er lüftete den Schleier nicht. Er würdigte seine Umwelt keines Blickes, ging durch sie hindurch, als wäre sie Luft, übelriechende Luft, dass man die Nase hochtragen musste, um nicht in ihr zu ersticken. Was also lag näher, als dass sich die Umwelt auf ihre Weise zu rächen suchte und ihm mit Hohn und Spott seine Nichtachtung vergalt. Hottentottich! Ja, das war ein Wort! Die alten Weiber hatten es bald den Kindern abgelauscht. Ja, das einzig richtige Wort für so einen!

 

Warum nun gerade ich etwas mehr über diesen sonderlichen alten Kauz erfahren habe? Ja, das ist so eine Sache. Ich danke es eigentlich meiner Mutter, man kann aber auch sagen, der Neugier einer Frau. Und das kam so: Wir hatten einen kleinen Laden am Rande der Stadt, ganz in der Nähe des Armenhauses, und Windrich war unser Kunde. Irgendwo musste er ja einkaufen. Dieser eine Weg unter die Menschen blieb ihm nicht erspart. Dass er gerade uns die Ehre zuteilwerden ließ, hatte einen ganz einfachen Grund: es war für ihn der nächste Laden, und — was gewiss entscheidender für ihn gewesen sein mochte — es war bei uns nie großer Betrieb. Er kam meist einmal in der Woche. Dann ging er auf der Straße so lange auf und ab, bis er ganz sicher war, dass auch kein Kunde mehr im Laden war, kam dann mit kurzen, hastigen Schritten heran und die drei Stufen herauf. Statt eines Grußes nur ein ärgerliches Brummen. Seine Wünsche hatte er mit zitterig kleinen Buchstaben auf einen Zettel gekritzelt; den legte er auf das Pult und wartete dann in einigem Abstand, bis ihm mein Vater das Paket zurecht gemacht hatte. Dabei betrachtete er angestrengt die Pakete, Büchsen, Flaschen und Schächtelchen auf dem obersten Regal, als wäre etwas Besonderes an ihnen zu sehen, oder er stand an der Tür und sah durch die Scheibe auf die leere Straße hinaus. Dann zahlte er — das Geld hielt er meist abgezählt bereit — und verließ ebenso hastig und grußlos wieder den Laden. Dass er den Tropenhelm weder beim Eintreten noch beim Hinausgehen auch nur anlüftete, brauche ich nach all dem Gesagten wohl kaum noch besonders hervorzuheben.

 

So war es ein Jahr gegangen. Mein Vater hatte es längst aufgegeben, ein Gespräch mit diesem unhöflichen Alten anzuknüpfen. Sämtliche Themen, die ihm dazu als geeignet erschienen waren, hatte er erschöpft, angefangen vom Wetter, über die Stadtereignisse und schlechten Zeiten bis zur hohen Politik. Es war hoffnungslos. Ebenso hatte er mit einem Stein ein Gespräch versuchen können, oder mit einem Holzklotz, um schon einmal dabei zu bleiben.

 

Dann geschah aber eines Tages das große Wunder. Windrich hatte seine Sachen zusammengepackt und wollte sich schon zum Gehen wenden. Da drehte er sich unvermittelt um, beugte sich weit über das Pult und starrte meinen Vater mit einem so seltsam zwingenden und lauernden Blick aus seinen grauen Augen an, als wolle er ihn bis auf den Grund der Seele des anderen bohren. Dann stieß er zischend zwischen den kaum geöffneten Lippen hervor: „Glauben Sie, dass man Gold machen kann?!"

 

Das kam so plötzlich, dass mein Vater — sonst ein schlagfertiger Mann und nie um eine treffende Antwort verlegen — doch beinahe die Fassung verloren hatte. Ein Wahnsinniger, war sein erster Gedanke, oder ein Narr, den man nicht so frei herumlaufen lassen sollte. Und wie er ihn anstieren konnte! Wie von einem Dämon besessen. Aber das war nur die erste logische Reaktion auf diesen unerwarteten Überfall. Nein, da war noch etwas anderes, etwas, das er nicht kannte. Das war viel eher der Blick eines tausendfach enttäuschten Menschen, eines Hoffnungslosen, eines Verzweifelten, eines Besessenen vielleicht auch, der ein Ja suchte auf eine bestimmte Frage, auf eine Idee, auf seinen Wahn. Wie lange mochte er wohl gebraucht haben, um diese Frage endlich auszusprechen? Wie viele Jahre? Und wer weiß, ob er je in seinem Leben noch einmal den Mut dazu fände. Und da war noch etwas in diesem scheinbar kalten und forschenden Blick — mein Vater verstand sich einigermaßen auf die Menschen —, das war Angst, wie die Angst eines Kindes etwa. Und wie recht hatte er doch damit!

 

Und so sagte er nach einer Weile des Nachdenkens: „Ja, das kann man schon. Warum nicht, warum sollte man kein Gold machen können? Es hat's halt nur noch keiner fertiggebracht“.

 

Mehr wollte Windrich nicht hören. Die Spannung wich aus seinem ledernen Gesicht und machte einem seltsam verklärten Lächeln Platz. Dann ging er. An der Tür hob er den rechten Zeigefinger an den Rand des Tropenhelms, und das war der erste Gruß, der ihm in der Stadt nachgewiesen werden konnte.

 

Es wäre gewiss nie zu diesem seltsamen Gespräch gekommen, wenn Windrich geahnt hätte, dass ein dritter Zeuge desselben werden könnte. Es war aber so. Die Tür zur Stube war nur angelehnt gewesen, und meine Mutter hatte — neugierig wie Frauen nun einmal sind — ein bisschen gelauscht. Und so hatten wir für ein paar Tage einen neuen Familiengesprächsstoff voller Rätsel und Möglichkeiten, bei dem besonders wir Kinder die Ohren lang machten; denn Gold machen, das war eine Sache!

 

Mutter aber sah den Fall von einer ganz anderen Seite. Hatte auch sie früher mit den anderen auf diesen groben Holzklotz geschimpft, so hatten diese paar Worte genügt, fortan ihre schützende Hand auf den Alten zu legen. Ja, das stand fest, er lebte in einem Wahn. Man müsse ihm helfen. Ganz behutsam natürlich. Einen Anhaltspunkt hatte man ja nun. Nein, wie er lebte: so einsam, von aller Welt verhöhnt und verspottet, das war doch kein Leben nicht! War er nicht auch ein Mensch, und hatte er nicht auch einen Anspruch auf etwas Sonne, auf etwas Wärme, auf etwas Geborgenheit, auf etwas Liebe? Ja, man müsse ihm helfen! Müsse ihm den Weg zu den Menschen zurück leicht machen. Wenn er nur erst einmal hier in der Stube säße, für das weitere wolle sie dann schon sorgen. So dachte meine Mutter.

(Fortsetzung in der nächsten Ausgabe

 

Seite 7   Vor 150 Jahren. Die ostpreußische Notzeit.

Nach all dem Furchtbaren, das Ostpreußen 1945 durchmachte, mag uns die Erinnerung an frühere Notzeiten vielleicht unnötig und verblasst vorkommen, denn ihr Ausmaß ist ja nur zu vergleichen mit unserer letzten Katastrophe. Und doch erscheint solch ein Rückblick nicht vergeblich; denn das Überwinden von Not und Elend beinahe völlig aus eigener Kraft ist ein Beweis für die Härte und Zähigkeit der ostpreußischen Menschen. Diese Eigenschaften sind auch heute unter dem Himmel des deutschen Westens noch durchaus lebendig. Und so mag daraus auch Trost und Zuversicht für eine hellere Zukunft erwachsen.

 

Es ist die Zeit vor 150 Jahren, über die wir einiges berichten wollen. Wahrscheinlich weiß unsere ostpreußische Jugend in unserer geschichtsarmen Epoche nicht mehr viel davon, aber in meiner Jugend, vor 1900, war die Erinnerung an jene Notjahre noch sehr lebendig.

 

In der Zeit des Krieges gegen Napoleon 1806/1907, dessen letzte Schlachten auf dem Boden unserer Heimat ausgefochten wurden, sowie in den folgenden sechs Jahren hat kein Teil des preußischen Staates auch nur annähernd so viel gelitten wie unsere Heimat. Ostpreußen war als reine Agrarprovinz kein reiches Land und zählte nur 1,3 Millionen Einwohner. Vom Dezember 1806 an musste die Provinz fast sieben Monate hindurch drei Heere von mehreren hunderttausend Mann ernähren: das russische, das französische und das allerdings sehr viel kleinere preußische. Die Russen waren zwar mit uns verbündet, aber sie hausten fast so rücksichtslos wie in Feindesland. Bestenfalls gaben sie für Beitreibungen wertlose Requisitionsscheine aus, die schließlich die Höhe von 8 Millionen Talern erreichten. Aber sie wurden nie vom Staate eingelöst, vermochte doch Preußen die damaligen Lieferungen für die eigenen Truppen erst nach langen Jahren zu bezahlen.

 

Am meisten litt wohl in jener Zeit der mittlere Teil Ostpreußens, vor allem die Gegend zwischen Passarge und Alle, wo sich lange Wochen hindurch die Vorposten dicht gegenüberstanden und wo mehr als 160 000 Franzosen nur aus dem Lande lebten. Es kam hinzu, dass bei den vielen kleineren und größeren Gefechten die in der Nähe liegenden Städte und Dörfer stets erhebliche Zerstörungen erlitten, so z. B. Mohrungen, Bergfriede, Wackern, Waltendorf, Braunsberg, Guttstadt, Hofe bei Pr. Eylau und andere. Nicht einmal die Kirchen blieben verschont: von den 95 Gotteshäusern des Ermlands waren 41 ausgeraubt. In den ausgesogenen Gegenden wurde schließlich das Futter so knapp, dass die damals noch fast durchweg üblichen Strohdächer der Truppe als Pferdefutter dienen mussten.

 

Im Februar 1807 kam nach der für beide Teile sehr verlustreichen Schlacht bei Pr. Eylau die Unterbringung der Verwundeten und Kranken hinzu. Allein nach Königsberg wurden damals 21 000 geschafft, und fast ebenso viel — nach den amtlichen Listen genau 19 898 — mussten die teilweise schon halbzerstörten Ortschaften in der Nähe des Schlachtfeldes aufnehmen. Das in den Kriegen jenes Zeitalters so gefürchtete ‚Hospitalfieber' griff auch über auf die Zivilbevölkerung. Insgesamt ist in jener Notzeit etwa ein Sechstel der Bevölkerung durch Krieg und Kriegsfolgen umgekommen.

 

Erst nach dem Tilsiter Diktatfrieden war die ganze ungeheure Schwere der Verluste erkennbar. Zunächst ließ sich feststellen, dass alle staatlichen und städtischen Kassen leer waren, dafür hatten neben den unaufhörlichen Einquartierungslasten schon die schier untragbaren Kontributionen gesorgt. Königsberg bezifferte 1807 seine Kriegsschulden auf 4,5 Millionen Taler, während das wesentlich reichere Berlin nur 2,5 Millionen aufzubringen hatte.

 

Zwar wurden die Kontributionen für Königsberg später etwas herabgesetzt, aber erst im Jahre 1900 war es der Stadt — ähnlich wie dem auch schwer belasteten Elbing — möglich, die letzte der inzwischen in Obligationen umgewandelte Schuld abzulösen. Aufgebracht konnte diese Summe damals nur dadurch werden, dass große Königsberger Handelshäuser die Bürgschaft der Bankkredite übernahmen. Leider kannte man bei den Friedensschlüssen 1815 und 1871 noch nicht die Praktiken von Versailles 1918, sonst hätte man diese Schulden einfach durch französische Mehrzahlen abdecken können. Auch die kleineren Städte hatten ihre liebe Not mit diesen erpressten Zahlungen, so hatte z. B. Braunsberg 50 000 Taler aufzubringen. Man muss dabei berücksichtigen, dass das ohnehin sehr knappe Bargeld einen wesentlich höheren Wert hatte als heute.

 

Um in der Provinz einen allgemeinen Bankrott zu verhindern, griff der Staat im Mai 1807 zu einer unerhört einschneidenden und nur durch die Not entschuldbaren Maßregel. Er befahl den sofortigen Aufschub aller privaten Zinsenzahlungen. Viele Gläubiger und Rentner wurden dadurch fast ruiniert, jeder Kredit hörte auf, der Geldumlauf stockte noch mehr, und der Landwirt bezahlte alles, so gut er's noch vermochte, mit Naturalien. Dabei liefen aber die erhöhten Steuern weiter. Der Staat war 1807/1808 in seinen Einnahmen nur auf die östlichen Teile des verkleinerten Staates angewiesen, er musste rücksichtslos alle Steuern eintreiben, wenn er überhaupt leben und die ihm selbst auferlegte Millionen-Kriegsentschädigung zahlen wollte. Konnte jemand nicht recht zahlen, so wurden ihm Soldaten als ‚Exekutionskommando' ins Haus gelegt, die dort auf seine Kosten solange lebten, bis alles beglichen war.

 

Das traf in erster Linie den ostpreußischen Landwirt, dessen Lage besonders schwierig geworden war. Die bedeutende Getreide-Ausfuhr aus Ostpreußen nach England, bis dahin die größte Einnahmequelle der Provinz, stockte völlig, da Napoleon jeden Handel mit England verbot. Die Pfandbriefe sanken allmählich auf 35%, ein Drittel der von der Landschaft beliehenen Güter kam zur Zwangsversteigerung, bei der sich allerdings kaum Käufer einfanden. Überall fehlte es an Saatgetreide, ja, in dem einst so pferdereichen Lande auch an Pferden. Insgesamt wurde der Verlust an Pferden einschließlich derer, die die Franzosen 1812 nach Russland mitnahmen, auf 79 161 festgestellt, an Wagen gingen der Provinz 26 579 verloren. Das sind Zahlen, die mehr sagen als lange Berichte, und es ist kein Wunder, dass mancher Gutsbesitzer seinen gesamten Besitz dem König gegen eine Leibrente anbot.

 

Mit altpreußischer Genauigkeit wurden die Verluste aus dem Kriege 1806/187 und der Nachkriegszeit für die damalige Provinz Ostpreußen auf 65 Millionen 659 391 Taler 74 ¾ Silbergroschen und für die Provinz Preuß. Litauen, also den Regierungsbezirk Gumbinnen, auf 12 Mill. 809 716 Taler 55 Groschen festgestellt. An „Retablissements-Geldern“ zur Deckung dieser ungeheuren Verluste konnte der Staat nach den Befreiungskriegen kaum 1,5 Millionen Taler als Beihilfe zahlen! Es war nur ein Tropfen auf den heißen Stein!

 

Es würde zu weit führen, wenn wir an dieser Stelle noch darauf näher eingehen wollten, wie sich alle diese Nöte im Kreise der Familie bemerkbar machten. Kurz gesagt, der bescheidene Wohlstand langer vorhergehender Jahrzehnte des Friedens ging unter all diesen Lasten schnell dahin, möglichste Einfachheit der Lebensführung war das Gebot der Stunde. Viele kleine Annehmlichkeiten gingen dahin: mit dem Kaffee verschwand auch der Tabak und wurde ersetzt durch Nuss- und Kirschblätter. Und auch der Zucker wurde so knapp, dass die ostpreußische Hausfrau verzichten musste auf das Einmachen von Früchten, worauf sie schon damals stolz war. Noch ein kleines Beispiel für die Einfachheit im öffentlichen Leben. Als im Januar 1812 York zu Ehren in Königsberg ein Abendessen gegeben wurde, stand nur vor seinem Gedeck und vor dem Teller des Oberpräsidenten v. Auerswald je eine Flasche einfachen Rotweins. Alle anderen Gäste mussten sich mit je zwei Flaschen Löbenichter Bieres begnügen.

 

Es ist schon ein sehr richtiges Urteil, wenn einer unserer Historiker schreibt: „Es gibt wenig Länder, die so viel gelitten hatten und doch noch das leisten konnten, was Ostpreußen 1813 fertig brachte". Dazu gehörte allerdings der ostpreußische Menschenschlag mit seinem Fleiß, seiner Unverzagtheit und seiner Anspruchslosigkeit. Trotz der schweren Jahre, die auch noch nach dem Ende der Befreiungskriege folgten, ist es ihm durch eigene Kraft gelungen, die Folgen jener Notzeit zu überwinden. Dr. Walter Grosse.

 

Seite 7   Bestimmung der Deutschen.

Preußen ist ohne Mythos. Aber Preußentum ist ein Grundsatz in der Welt. Aus Mythen wachsen die Kulturen der Völker. Über Grundsätzen baut sich ihre Staatlichkeit auf. Beides zu verbinden, Sehnsucht mit Wirklichkeit, Schöpfung mit Gesetz, eine neue Welt mit politischem Ansehen, wird die Bestimmung der Deutschen sein, mit der sie auch aus dieser Gegenwart wieder hervorgehen, wo fern ihre Zukunft universal sein soll und europäisch zugleich,— wir wollen nicht das Verhängnis aller reinen Kulturvölker teilen; wie Griechen, ruhmvoll durch Künste, aber würdelos in der Haltung unterzugehen. Und wir wollen uns auch nicht mit dem Schicksal aller reinen Staatsvölker begnügen; vielleicht wie Römer weltgebietend durch Politik zu werden, aber abhängig in der Kultur zu bleiben.

 

Wir werden vielmehr, als das höchste Ziel Europas, die Verbindung von beiden suchen müssen; des verschwendenden Schöpfertums, das als das Genie, aber auch als die Tragik des Deutschtums von jeher in uns gelegen hat, mit jener bewussten vorausschauenden und zusammenfassenden Staatlichkeit, von der uns erst durch Preußen der Begriff und der Besitz gegeben worden ist und die das Rückgrat unseres Volkstums in unserer neueren Geschichte war. Moeller van den Bruck

 

Seite 7   Anekdoten um Friedrich II.

Der König.

Ehe die französische Armee im Jahre 1757 den Preußen entgegenmarschierte — noch ahnte niemand, dass es nach Roßbach ging —, schrieb die Marquise de Pompadour dem Oberbefehlshaber, dem Prinzen Soubise, einen Brief. Hoffend, dass Soubise den preußischen König überwältigen und gefangen nehmen würde, ließ sich die Marquise vernehmen: „Bringen Sie ja Ihren hohen Gefangenen nach Paris, damit wir doch auch einmal einen König sehen“. Es ist leider nicht übermittelt, ob Ludwig XV. jemals von diesem Brief erfahren hat.

 

Der echte Reiter

An der Tafel verwunderte sich eines Tages einer der Gäste, ein französischer Oberst, über die Tatsache, dass der König stets ohne Sporen reite. Der königliche Gastgeber sah den Herrn von jenseits des Rheines spöttisch an: „Entblößen Sie einmal Ihren Bauch, und ich werde dann mit der Gabel hineinstoßen. Erzählen Sie mir dann hinterher, wieviel Vergnügen Ihnen das bereitet hat“.

 

Seite 7   Die Nation unser Vaterland. Gedanken von Paul de Lagarde.

Das Göttliche in jedem von uns ist leibhaftig lebend, und wir alle sind vereinzelt zu einem sich ergänzenden Kreise: keiner wie der andere, und keiner nicht wie der andere: täglich wachsend in neidloser Liebe, weil auf dem Wege aufwärts zu Gott wohl einer dem anderen immer näher kommt, aber nie der eine den Weg eines anderen schneidet.

 

Nationen können nur frei sein, solange innere Zusammengehörigkeit, also die Idee, Teile zu Gliedern macht. Nur Glieder lässt man zu, sich zu bewegen, wie sie wollen, weil sie als Glieder sich nie vom Ganzen trennen, und nie etwas wider das Ganze tun.

 

Frei ist nicht, wer tun kann, was er will, sondern wer werden kann was er soll. Frei ist, wer seinem anerschaffenen Lebensprinzip zu folgen imstande ist. Frei ist, wer die von Gott in ihm gelegte Idee erkennt und zu voller Wirksamkeit verstattet und entwickelt.

 

Leben, Staat, Vaterland, Wissenschaft und Kunst sind nie Selbstzweck, sondern immer nur Mittel und Material für das Wachsen der Gotteskindschaft der einzelnen Menschen.

 

Religion ist überall da, wo sie anerkanntermaßen vorhanden ist, nicht Vorstellung von, nicht Gedanke über, sondern persönliche Beziehung des Frommen auf Gott, Leben mit ihm. Sie ist unbedingt Gegenwart, Hoffnung auf die Zukunft nur insoferne, als der Umgang mit dem Ewigen jedem, der ihn übt, unumstößliche Gewissheit gibt, dass auch er selbst ewig ist.

 

Die Menschen sind, nicht trotzdem, sondern weil sie gern wandern, die begeisterten Anhänger des Hauses der Heimat; sie sind nicht trotzdem, sondern weil sie träumen, durstig nach Taten.

 

Was uns freuen und unserem Gemüte gedeihen soll, das muss auf freiem Lande, in Gottes bald milder, bald rauer Luft wachsen. Lieber Holz hacken, als dieses nichtswürdige, zivilisierte und gebildete Leben weiterleben: zu den Quellen müssen wir zurück, hoch hinauf in das einsame Gebirg, wo wir nicht Erben sind, sondern Ahnen.

 

Frömmigkeit ist wie für die einzelnen Menschen, so auch für ein Volk, das Bewusstsein, zu gedeihen, in Sturm und Wind wie im Sonnenschein und milden Tau, und durch dies alles auszureifen zur Vollkommenheit, zu dem Ziele, das Gott der Natur und dem einzelnen gesteckt: Frömmigkeit ist das Bewusstsein höchster Gesundheit.

 

Der Dienst an allen Lebendigen, an der Familie, dem Volk, der Welt, ist immer auch Gottesdienst, wenn er mit dem Herzen und ganzer Hingabe getan wird.

 

Es gibt für einen Menschen nur eine Schuld, die, nicht selbst zu sein. Denn dadurch, dass er dies nicht ist, lehnt er sich gegen den auf der seine Existenz gewollt, und als eine so und so bestimmte gewollt hat.

 

Seite 7  

Ostpreußens große Dichterin Agnes Miegel hat der Stadt Hameln zur Enthüllung des Gedenksteins an der Bundesstraße 1 (Kreuzung Morgensternstraße) am 17. Juni 1958 das folgende Gedicht gewidmet:

 

Du Straße mit dem unteilbaren Namen,

Du Band von Krönungsstadt zu Krönungsstadt,

Bist für uns alle, die vom Ostland kamen,

Gleichnis des Weges, der in Vätertagen

Aus fetter Marsch, aus weiten Weserauen

Am Wanderstecken und im Ackerwagen

Jugend, erfüllt vom gläubigen Vertrauen,

In unser Ordensland getragen hat,

Um Dorf und Stadt und Dome zu erbauen —

Fern über den grünen Heiden, über den blauen Seen.

 

Nun gab ehrwürdige Stadt am Weserwehr,

Die ihrer Kinder Auszug einst gesehen,

Der noch verwandelt lebt in alter Mär —

Dir, Straße, diesen neuen Meilenstein,

Und grub mit ihrem Meißel in ihn ein

Worte, die wir voll Stolz und Trauer sagen.

Und Regen geht und Sturm und Sonnenschein

Um Deinen Namen, greise Pregelstadt,

Die Deutschland einen großen Sohn gebar,

Die Herz des wiesengrünen Landes war,

Das hundertfältig Ernte uns getragen.

 

Soweit der Weg, den wir zurückgefunden,

Verstreuter Stamm, zu diesem Ahnenland,

Unwandelbar, untrennbar ihm verbunden

Durch Brauch und Sprache, wie von Land zu Land

Der großen Wanderstraßen Bänder gehn

über die grünen Heiden, über die blauen Seen!

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kinder Suchdienst Hamburg-Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Sodehnen, Kreis Tilsit-Ragnit, wird Elfriede Stöllger, geboren am 17. Mai 1939, gesucht von ihrem Vater Fritz Stöllger.

 

Aus Schönbruch, Kreis Bartenstein, wird Renate Seifert, geboren am 10. Dezember 1937 in Klein Söllen, gesucht von ihrer Tante Margarete Sekund, geborene Seifert, geboren am 8. Mai 1913.

 

Aus Thomsdorf, Kreis Preußisch Eylau, wird Anna Preuß, geboren am 21. März 1937, gesucht von ihrem Onkel Erich Jähnke.

 

Aus Truntlack, Kreis Gerdauen, werden Heinz - Otto Prickel, geboren am 7. Februar 1941, und Liselotte - Elfriede Prickel, geboren am 23. August 1936, gesucht von Otto Prickel, geboren am 25. November 1912.

 

Aus Trempen, Kreis Angerapp, wird Wolfgang Grönick, geboren am 5. Oktober 1941, gesucht von seiner Tante Elfriede Deiwick, geborene Schwiderski. Wolfgang Grönick befand sich auf dem Dampfer „Karlsruhe", der am 13. April 1945 auf der Höhe von Stolpmünde gesunken ist. Ebenfalls werden vermisst die Mutter Hedwig Grönick, geborene Schwiderski, sowie die Großeltern Gottlieb Schwiderski und Marie Schwiderski.

 

Aus Wartenburg, Passenheimer Vorstadt, werden Adelheid Hoepfner, geboren 1940 in Wartenburg, und Reinhold Hoepfner, geboren am 18. April 1938 in Wartenburg, gesucht von Hildegard Kühn, geborene Gaebler. Die Mutter Elisabeth Hoepfner, geborene Sleykowski, geboren am 5. März 1908 oder 1910, wird ebenfalls noch gesucht.

 

Aus Wetterau, Kreis Schloßberg, wird Erwin Mirbach, geboren am 16. Februar 1938, gesucht von seinem Vater August Mirbach, geboren am 17. Mai 1902.

 

Aus Allenstein, Engelsberg 39, werden Hors Kiwitt, geboren am 23. August 1939, und Paul Kiwitt, geboren am 18. Mai 1933 in Allenstein, gesucht von ihrer Pflegeschwester Inge Kannenberg, geborene Skrotzki, geboren am 7. März 1923 in Allenstein.

 

Aus Allenstein, Hohensteiner Straße 45, wird Ingrid Führer, geboren am 15. Februar 1940 in Allenstein, gesucht von ihrer Tante Gertrud Zerrath, geborene Führer, geboren am 21. Dezember 1911 in Baltupönen. Die Eltern des Kindes, Kurt Führer und Grete Führer geborene Sender, werden ebenfalls noch gesucht.

 

Aus Allenstein, Joachimstr. 8, wird Wolfgang Greger, geboren am 21. November 1942 in Allenstein, gesucht von seinem Vater Bruno Greger, geboren am 2. März 1912. Das Kind war mit seiner Mutter Ilse Greger von Allenstein nach Belgard/Pommern geflüchtet. Die letzte Nachricht von dort war von Ende Februar 1945.

 

Aus Angerburg, Mühlenstr., wird Reinert Schlatten, geboren am 15. Februar 1942 in Angerburg/Ostpr., gesucht von Fritz Schlatten, geboren am 28. Juni 1918 in Belzdorf.

 

Aus Bischofstein, Bahnhofstr. 3, werden die Geschwister Margitta Freundt, geboren am 24. Juni 1938 in Herrendorf, Conrad Freundt, geboren am 13. März 1937, und Gerhard Freundt, geboren am 8. März 1936 in Plaßwich, Kreis Braunsberg, gesucht von Lucia Freundt, geboren am 7. Juli 1911. Von Margitta Freund ist bekannt, dass sie am 4. Juli 1948 aus Bischofstein/ Ostpr. ausgesiedelt wurde.

 

Aus Brasdorf, Kreis Samland, bei Paschutter, werden die Geschwister Schmiegel oder Gehrau gesucht, und zwar Renate Schmigel oder Gehrau, geboren am 11. Januar 1942, Ingrid Schmiegel oder Gehrau, geboren etwa 1940, und Lieselotte Schmiegel oder Gehrau, geboren etwa 1933, von ihrer Großmutter Auguste Schmiegel.

 

Aus Grumbeln, Kreis Memel, wird Werner Lukat, geboren am 25. Februar 1943 in Grumbeln, gesucht von seiner Mutter Marie Lukat. Das Kind lag während der Evakuierung Memels, im Oktober 1944, im Städt. Krankenhaus — Kinderabtlg. — Memel und wurde dort wegen Diphtherie am Hals operiert. Es wurde dann mit den Insassen des Krankenhauses vorerst nach Königsberg, Ostpreußen evakuiert. Im Winter 1944/1945 soll es mit anderen Kindern von Königsberg nach Greifswald Pommern weiter vorlegt worden sein. Werner Lukat hat blaue Augen, hellblondes Haar und wahrscheinlich von der Operation eine Narbe am Hals zurückbehalten.

 

Aus Friedrichswalde, Kreis Samland, werden Erwin Kallweit, geboren im Juli 1941, und Christel Kallweit, geboren im Oktober 1938 gesucht von ihrer Tante Frieda Knöfler.

 

Aus Königsberg, Briesener Straße 27, wird Ute Lapp, geboren am 15. Januar 1942 in Königsberg, gesucht von ihrem Cousin Kurt Meller, geboren am 2. September 1905 in Königsberg.

 

Aus Königsberg, Jerusalemer Straße 18b, werden Klaus-Robert Schwenkner, geboren etwa 1939, und Heinz-Adolf Schwenkner, geboren etwa 1938, gesucht von ihrem Vater Adolf Schwenkner, geboren am 39.? (Schreibfehler) November 1909.

 

Aus Königsberg, Neuer Markt 9/10, wird Joachim Hans Georg Liß, geboren am 22. Dezember 1940 in Königsberg, gesucht von seinem Vater Friedrich Liß. Beim Kind befand sich die Mutter Christel Liß, geborene Windt, die ebenfalls noch vermisst wird.

 

Aus Königsberg, Möwenweg 48, wird Brigitte Janz, geboren am 20. Juni 1939 in Königsberg, gesucht von ihren Eltern Herbert Janz, geboren am 21. Juni 1908, und Martha Janz, geborene Schütz, geboren am 8. August 1916. Das Kind befand sich zuletzt bei seinen Großeltern, Familie August Schützt in Pelkeningken, Kreis Wehlau, Ostpreußen.

 

Aus Königsberg, Sackheim 101, die Geschwister: Renate Wapniewski, geboren am 17. Mai 1942 und die Zwillinge Helga Wapniewski und Ingrid Wapniewski, geboren am 17. Dezember 1940, gesucht von ihrem Vater Karl Wapniewski, geboren am 10. Februar 1912 in Demmin, Pommern. Nach dem Tode der Mutter, Gertrud Wapniewski, geborene Riemann, kamen die Kinder im Jahre 1946 in das Waisenhaus In Metgethen bei Königsberg. Seitdem werden sie vermisst.

 

Aus Königsberg, Schaakenerstraße 3, wird Erika Spatke, geboren am 18. Mai 1939, gesucht von ihrem Vater Bruno Spatke. Erika soll mit ihrer Mutter, Grete Spatke, geborene Wasserberg, 1945 auf dem Dampfer „Memel" von Hela aus geflüchtet sein.

 

Aus Kekitten, Kreis Rössel, werden die Geschwister Gerda Graw, geboren am 16. August 1942, Albert Graw, geboren am 16. Januar 1941, und Rudolf Graw, geboren am 20. Juli 1938, gesucht von ihrer Tante Anna Birkhahn, geborene Graw. Die Kinder Graw waren mit ihrer Mutter, Anna Graw, geborene Gehrmann, die auch noch vermisst wird, im November 1945 in einem Aussiedlungstransport, der bis Küstrin/Oder kam. Drei Wochen hielten sie sich in der früheren Artillerie-Kaserne in Küstrin auf und haben dann Küstrin verlassen.

 

Aus Landau, Kreis Rössel, werden Christel Kastilan, geboren 1941 und Ursula Kastilan, geboren 1938 (der dazugehörige Text wurde falsch eingegeben, daher keine weiteren Angaben) – Text wurde von der vorherigen Anzeige übernommen -.

 

Aus Ortelsburg, Ulmenstraße 18, wird Ulla Chryanowski, geboren am 26. April 1944, gesucht von ihrer Großmutter Auguste Jehring, geboren am 6. März 1892.

 

Aus der Luisenschule in Osterode, werden die Brüder Robert Krause, geboren 1939 und Walter Krause, geboren 1938, gesucht von ihrer Mutter Emmi Rutz, verwitwete Krause. Beide Kinder sollen in Osterode Ostpreußen einer Flüchtlingsfrau übergeben worden sein. Walter Krause, 1938 geboren, hat über dem rechten Auge eine Narbe. Robert Krause hatte damals Ohrenlaufen und hörte etwas schwer.

 

Aus Schulstein, Gemeinde Bledau, Kreis Samland, wird Heinz-Hermann Dreher, geboren am 18. Oktober 1942, gesucht von seinem Bruder Rudi Dreher. Heinz-Hermann Dreher war 1945 mit seinen Eltern, Artur Dreher und Anna Dreher, geborene Daun, auf der Flucht. Es ist möglich, dass die Familie bis 1948 in einem Lager in Preußisch Eylau, Ostpreußen war.

 

Aus Uhlenhorst, Kreis Angerapp wird Lothar Burandt, geboren am 20. Mai 1940, gesucht von seinem Bruder Günther Burandt, geboren am 4. Juli 1930. Lothar Burandt soll sich mit seinen Eltern Johannes Burandt, geboren am 22. November 1894 und Emma Burandt, geborene Bartsch, geboren am 30. Oktober 1897 und seinen Geschwistern Eva Burandt, geboren am 15. Januar 1922 und Herbert Burandt, geboren am 13. November 1927, auf dem großelterlichen Hof in Groß-Malsan, Kreis Dirschau Westpreußen, aufgehalten haben. Es wird vermutet, dass die Familie Burandt im März 1945 mit dem Treck in Richtung Danzig-Neufahrwasser geflüchtet ist.

 

Aus Birkenberg, Kreis Samland, wird Elfriede Reimann, geboren am 24. August 1940 in Birkenberg, gesucht von ihrer Schwester Martha Reimann. Der Vater, Fritz Reimann, geboren am 22. Januar 1901 in Gerdauen, wird ebenfalls noch gesucht.

 

Aus Bladiau, Kreis Heiligenbeil, werden die Geschwister Karl-Heinz Genso, geboren am 8. Dezember 1941 und Brigitte Genso, geboren am 16. Dezember 1943, gesucht von ihrer Mutter Lieselotte Günther. Die Geschwister Genso befanden sich am 17. April 1945 auf einem Lazarettschiff, welches am gleichen Tage die Insel Hela anlief. Die Passagiere des Lazarettschiffes wurden auf See von einem Transporter übernommen. Der Name des Lazarettschiffes und des Transporters ist nicht bekannt.

 

Aus Eydtkau, Kreis Ebenrode, Hindenburgstraße 59, wird Hans-Dieter Gröchel, geboren am 15. April 1942, gesucht von seiner Mutter Berta Gröchel, geborene Seifert, geboren am 30. September 1909 Hans-Dieter Gröchel befindet sich in der Bundesrepublik.

 

Aus dem Krankenhaus Heiligenbeil wird Walter Albert Knorr, geboren am 12. Oktober 1944, gesucht von seinen Eltern Albert Knorr und Charlotte Knorr. Der Junge wurde wegen einer Rippenfellentzündung am 10. Januar 1945 in das Krankenhaus eingeliefert. Man versprach der Mutter, den Jungen bei der Evakuierung des Krankenhauses mitzunehmen.

 

Aus Heiligenbeil werden die Kinder Christl-Ingrid Lang, geboren am 22. April 1940 und Ursula-Hanna Lang, geboren am 25. November 1931, gesucht von ihrem Vater Otto Lang, geboren am 20. September 1904. Die Mutter der Kinder, Berta Lang, geborene Dessauer, geboren am 21. März 1901 in Reginenhof, Kreis Heilsberg, wird ebenfalls noch gesucht. Die Vermissten waren mit Minna Zagermann, geborene Lang, geboren am 21. März 1901, Ilse Zagermann, geboren am 30. Januar 1928, Horst Zagermann, geboren am 16. März 1933, Gisela Zagermann, geboren am 5. August 1938 und Johanna Lang, geboren am 1. Oktober 1893, alle aus Heiligenbeil, zusammen auf der Flucht. Sie werden alle noch vermisst. Als die Genannten am 23. März 1945 in Neufahrwasser, Kreis Danzig, in den Hallen am Hafen auf den Weitertransport warteten, kam ein Fliegerangriff, bei dem das Kind Gisela Zagermann tödlich verwundet worden sein soll. Seit diesem Angriff fehlt von den Gesuchten jede Spur.

 

Aus dem Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg, wird Karin Mattekat, geboren am 7. August 1944 in Königsberg, gesucht von ihrem Bruder Gerhard Mattekat, geboren am 28. Juli 1937 in Königsberg. Die Heimatanschrift war: Königsberg, Karl-Baerstraße 1. Die Mutter, Frieda Mattekat, geborene Sachs, verstarb am 20. November 1945 in Königsberg, Ostpreußen. Karin Mattekat blieb im Krankenhaus der Barmherzigkeit zur weiteren Betreuung zurück. Es soll sich dort von 1946 - 1947 befunden haben.

 

Aus einem Waisenhaus in Königsberg wird Hans-Dieter Lange, geboren am 22. Juni 1942, gesucht von seinem Vater Erich Lange, geboren 1902. Hans-Dieter Lange kam nach dem Tod seiner Mutter — im Sommer 1946 — in ein Waisenhaus in Königsberg.

 

Aus der Kinderklinik in Königsberg wird Heidemarie Berlinke, geboren am 11. November 1943 in Brandenburg, Kreis Heiligenbeil, gesucht von ihrer Schwester Hildegard Reese, geborene Berlinke, geboren am 12. Januar 1932. Das Kind soll Ende Januar 1945 mit einem Schiff evakuiert worden sein.

 

Aus Königsberg, Am Ausfalltor 39, II wird Gabriele Richter, geboren am 5. Januar 1939, gesucht von ihrem Vater Helmut Richter. Gabriele Richter befand sich 1945 auf der „Wilhelm Gustloff". Ein Matrose soll sie beim Untergang des Schilfes gerettet haben.

 

Seite 8   Ostpreußisches Jagdmuseum.

Die „Grüne Farbe“ die Jägerei und Reiterei Ostpreußens hat bereits seit 1950 fern der Heimat ihre besondere und stolze Tradition fortgeführt und in zahlreichen Veranstaltungen und Kundgebungen auch vor der großen Öffentlichkeit ihre Jägerstandarte weithin sichtbar entfaltet.

 

Jetzt haben sich ostpreußische Jäger, denen sich auch ostpreußische Pferdeleute zugesellt haben, organisatorisch zusammengefunden in dem eingetragenen Verein: „Ostpreußisches Jagdmuseum – Wild, Wald und Pferde Ostpreußens –„ mit dem Sitz in Lüneburg.

 

Die Patenschaft für diese „grüne Dokumentation" Ostpreußens wurde bisher übernommen u. a. durch Bundestagspräsident D. Dr. Gerstenmaier, durch Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Lübke, durch den ehem. Niedersächsischen Landwirtschaftsminister v. Kessel, durch den Präsidenten des Deutschen Naturschutzringes Professor Dr. Dr. Krieg, durch den Präsidenten der Deutschen Olympischen Gesellschaft und des Deutschen Schützenbundes Dr. h. c. Georg v. Opel, durch den Oberstjägermeister a. D. und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Jagdschutz-Verbandes Scherping, sowie durch den Landrat des Landkreises Lüneburg Hahn, MdL.

 

Für die Wahl Lüneburgs als Standort des Ostpreußischen Jagdmuseums war einmal der Umstand maßgebend, dass Lüneburg — unweit der landsmannschaftlichen Bundeszentrale in Hamburg und inmitten eines Raumes, in dem die Mehrzahl der Ostpreußen nach der Vertreibung ansässig sind, — als Sitz der Ostdeutschen Akademie zu einem Mittelpunkt der ostpolitischen Arbeit ausgebaut werden soll. Es ist beabsichtigt, das Ostpreußische Jagdmuseum ebenfalls in diese Arbeit für den deutschen Osten mit einzubeziehen. Zum anderen soll das Ostpreußische Jagdmuseum an einem Ort beheimatet werden, der fernab einer übervölkerten Industriegegend auch landschaftlich und wildartenmäßig dem Bild und den Wildbahnen der ostpreußischen Heimat noch am meisten entspricht. Und nicht zuletzt war das gemeinsame niedersächsische Blutserbe bestimmend, sich für Niedersachsen und Lüneburg zu entscheiden.

 

Die tausendjährige Stadt Lüneburg hat erhebliche Kosten nicht gescheut, einen ihrer herrlichsten Barockbauten, „Das Alte Kaufhaus", für Zwecke des Museums anzubauen. Die umfangreiche Spannweite der dem Museum gesetzten Aufgabengebiete geht bereits aus der Namensnennung des Museums hervor. So sollen neben den ostpreußischen „klassischen" Wildarten, dem Elch und dem Rominter Hirsch, auch u. a. die Vogelwarte Rossitten, der Falkenhof Ortelsburg, der Wisent in ostpreußischer freier Wildbahn, das Luchs- und Wolfsvorkommen in Ostpreußen behandelt werden. Das Andenken an bekannte ostpreußische Waid- und Forstmänner, Reiter und Pferdezüchter soll gepflegt, die Erinnerung an die Tätigkeit von ostpreußischen jagdlichen und forstlichen Verbänden, Vereinen bewahrt sein. Jagdliches, forstliches, hippologisches Schrifttum aus Ostpreußen soll gesammelt und ausgewertet werden. Struktur und Leistungen der ostpreußischen Forsten werden mit einbezogen. Die Tradition der ostpreußischen Schützenvereine wird hier beheimatet. Die Tradition des Ortelsburger Jägerbataillons soll hier „ideelle Garnison" beziehen (siehe nachstehenden Bericht). Der Ruhm des Trakehner Pferdes „einst und jetzt" soll gewürdigt werden. Über die Traditionspflege der Ostpreußischen Reiterei, der Reitervereine sowie auch der Kavallerie- und Reiterregimenter, wird gesondert berichtet und „zum Sammeln" aufgerufen werden. Schließlich werden jagdliche und naturkundliche ostpreußische Filme erfasst, um von hier aus einen zweckentsprechenden propagandistischen Einsatz vermitteln zu können. J

 

edes ostpreußische Geweih, Gehörn, jede ostpreußische Trophäe darf nicht zweckentfremdet irgendwo verstauben, sondern muss und soll im Rahmen des Ostpreußischen Jagdmuseums in der Öffentlichkeit für das deutsche Ostpreußen zeugen! Jedes jagdlich, forstlich, pferdekundlich interessierende Bild, jede Photographie, jedes Dokument, jedes Buch aus dem „Grünen Ostpreußen" gehört in die Grüne Ostpreußenschau und Dokumentation nach Lüneburg!

 

Die feierliche Einweihung findet am 23./24. August d. J. statt.

 

Dem Museum ist die Gemeinnützigkeit zuerkannt, Geldspenden können somit steuerlich abgesetzt werden. Jede kleinste Geldspende wird mit Waidmannsdank entgegengenommen. Gerade auch bei den einheimischen Jägern das Gefühl gesamtdeutscher Schicksalsverbundenheit und Jagdkameradschaft, gerade unsere einheimischen Freunde bitten wir um Unterstützung und Hilfe. Geldspenden können unter „Ostpreußisches Jagdmuseum" eingezahlt werden bei der Lüneburger Kreissparkasse Nr. 8400, bei der Lüneburger Stadtsparkasse Nr. 178, beim Postscheckamt Hamburg, Postscheckkonto-Nr. 24 627 6.

 

Von jetzt an soll die Grüne Gilde Ostpreußens mit ihren Freunden jahraus, jahrein bis zu einer deutschen Rückkehr in die Heimat sich in Lüneburg, dem Wallfahrtsort der ostpreußischen Grünröcke und Pferdeleute, treffen, die alten persönlichen Beziehungen, die stolze Tradition des Jagd- und Pferdelandes Ostpreußen pflegen und für das deutsche Grenzland Ostpreußen eintreten!

 

Anfragen, Sendungen werden erbeten an H. L. Loeffke, Lüneburg, Vor dem Neuen Tore 12, „Meyers Garten“.

 

Ehemalige Ortelsburger Jäger!

Wie aus dem vorstehenden Aufruf zur Gründung des „Ostpreußischen Jagdmuseums" hervorgeht, sollen auch die Ortelsburger Jäger als Angehörige des ältesten preußischen Jägerbataillons „Graf Yorck von Wartenberg" fortan in Lüneburg ihre Heimat finden.

 

Kameraden, stiftet für die Ausgestaltung des „Yorck'schen" Traditionsraumes Uniformstücke (Tschakos, Ehrenhirschfänger u. a. m.), Bataillons- und Regimentsgeschichten, Aufzeichnungen, Darstellungen aus den beiden Weltkriegen und der Friedenszeit, Dokumente jeder Art, Bilder und Fotografien!

 

Sammelt, spendet für den Traditionsraum der „Yorck'schen Jäger"! Jede Mark ist wertvoll! Die Konten bitten wir aus dem obigen Aufruf zu entnehmen. Um die Zweckbestimmung für die Traditionspflege des Ortelsburger Jägerbataillons festzulegen, wird gebeten, bei Geldeinzahlungen auf dem betreffenden Postabschnitt unter „Bemerkungen" anzugeben: „Yorck'sches Jägerbataillon".

 

Anfragen, Sendungen usw. werden erbeten an den Gesch.-Vorsitzenden des Ostpreußischen Jagdmuseums. Forstmeister z. Wv. Loeffke. Lüneburg, Vor dem Neuen Tore 12. Waidmannsheil! Haß, Generalleutnant a. D.; Rexilius, Generalmajor a. D.; Knabe, Oberst a. D.; Berger, Oberstleutnant.

 

Ostverein für Prüfung von Gebrauchshunden zur Jagd — Königsberg/Pr.

Vom Ostverein ist nicht viel zu berichten. Trotz der großen Entfernung bin ich zum Verbandstag nach Nürnberg gefahren, da dort über die neue Prüfungsordnung, die nun wieder für lange Jahre gelten soll, abschließend beraten wurde. Wie stets konnten auch jetzt wieder die großen Erfahrungen des Ostvereins bei der Neuordnung verwertet werden.

 

Der Verbandsvorsitzende ließ es sich nicht nehmen, mir öffentlich zur 40-jährigen Zugehörigkeit zum Ortsverein und zum Verband zu gratulieren und zu danken für die geleistete Arbeit und die persönlichen Opfer, auch dass ich weiter versuche, die Reste des Zweitältesten Verbandsvereins zusammenzuhalten. Die größte Freude war es mir, dass nun wieder durch großes Entgegenkommen des Verbandes seine höchste Auszeichnung, die Verbands-Statuette, die mir 1938 zugesprochen war, aber auf der Flucht von Ostpreußen verlorenging, den Ehrenplatz in meiner Wohnung einnehmen kann.

 

Der Ostverein hat zurzeit 17 zahlende Mitglieder und hält die Verbindung mit weiteren alten Mitgliedern aufrecht. Ich bitte, wo immer alte Mitglieder auftauchen oder deren Schicksale bekannt werden, mir Nachricht zu geben. Auch bitte ich, die Mitglieder möchten mir ihr Eintrittsjahr in den Ostverein melden. Einer Anregung folgend, soll für 25- 30- und 40-jährige Mitgliedschaft – wie in guten alten Zeiten – wieder eine kleine Anstecknadel ausgegeben werden. Mit Waidmannsheil! Dr. Otto Gehr-Gr. Neumühl, Münster/Westf., Norbertstraße 1.

 

Seite 8   Kriegsgräberfahrten ins Ausland.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge führt laufend für die Angehörigen der im Ausland gefallenen deutschen Soldaten Kriegsgräberfahrten durch. Nachstehend die nächsten Termine:

 

Niederlande: Ijsselsteijn am 13. Juli ab M.-Gladbach; am 20. Juli ab Aachen; vom 10. bis 12. August ab Aachen: am 17. August ab M.-Gladbach; vom 13. bis 14. September ab M.Gladbach; am 5. Oktober ab M.-Gladbach.

 

Belgien: Lommel am 20. Juli ab M.-Gladbach; am 27. Juli ab Aachen; vom 17. bis 19. August ab Aachen; am 24. August ab M.-Gladbach; vom 24. bis 27. August ab M.-Gladbach (Flandernfahrt); vom 6. bis 7. September ab M.-Gladbach (Wochenendfahrt); vom 14. bis 17. September ab Saarbrücken; vom 20. bis 21. September ab Aachen; am 28. September ab M.-Gladbach. — Zwei-Länderfahrt Holland/Belgien vom 20. bis 23. Juli ab M.-Gladbach. — Zwei-Länderfahrt Holland/Belgien vom 24. bis 28. August ab Frankfurt/M.

 

Luxemburg: Sandweiler am 31. August ab Trier.

 

Frankreich: Raum Nordfrankreich zum Besuch der Ehrenstätten im Raum Abbéville — Amiens — St. Quentin bis nach Calais — Dünkirken vom 10. bis 14. August ab Trier. — Raum Bordeaux vom 24. bis 31. August ab Trier (nicht ab Frankfurt/M.). — Faux — Rethel — Reims — Champigneul vom 3. bis 6. September ab Trier. — Noyers-Pont-Maugis vom 7. bis 8. September ab Trier.

 

Italien: Raum Cassino — Neapel — Salerno vom 14. bis 21. September ab München. — Raum Adria vom 23. September bis 2. Oktober ab Stuttgart (zum Besuch von Friedhöfen längs der Küste von Teramo bis Lecce. — Dolomiten vom 9. bis 14. Oktober ab München (zum Besuch der Ehrenstätten Meran, Bozen, Brixen, Bruneck).

 

Großbritannien: Großraum London- Mittel- und Nordengland vom 8. bis 13. September ab M.-Gladbach.

 

Norwegen: Alfaset vom 31. August bis 7. September ab Hamburg.

 

Griechenland: Raum Athen — Kokkinia — Korinth vom 6. bis 17. September ab München.

 

Nordafrika: Tunesien vom 6. bis 19. Oktober ab Kehl a. Rhein (zum Besuch der Friedhöfe Bizerta, Mateur, Nassen, La Mornaghia, Sfax und El M Dou).

 

Anmeldungen zu allen Fahrten nimmt die Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes in Kassel, Ständeplatz 2, entgegen.

 

Seite 8   Es starben fern der Heimat:

Konrektor i. R. Bernhard Krause, aus Danzig-Langfuhr im Alter von 83 Jahre in Hildesheim.

 

Kaufmann Gustav Radischat, aus Insterburg im Alter von 62 Jahren in Oldenburg.

 

Bauer Hermann Winkler, aus Dörbeck, Ostpreußen, in Vechta, Oldenburg.

 

Margarete-Regina Rhode, aus Danzig am 3. Juli 1958 in Bockhorn (Oldenburg.).

 

Seite 9   Das ostpreußische Albano. Eine Sommerwanderung an die Ostsee im Jahre 1851.

Wenn also die Zeit gekommen ist, wo dem deutschen Schulmeister die herrliche Walpurgisnacht, der Ferienanfang, in den Gliedern zu spuken beginnt, und wo man, wie Jean Paul sagt, allerwegen die gebückte Kreatur sich vom Boden aufrichten und den Himmel anlächeln sieht, dann wird dies öde Königsberg lebendig; es schüttelt den Stubenstaub von den Kleidern und wandert zur Villeggiatur nach seinem samländischen Albano, seinem Aricia und Nemi.

 

Zu Ross, zu Fuß, zu Wagen geht es tagaus tagein durch das Steindammer Tor. Dort vor dem Tore liegt auf einem Ackerland an einer Allee der Humor Königsbergs begraben. Dort raufen auf dem Grabe Hippels muntere Ziegen das Gras aus, eine würdige Satyrgesellschaft auf der Gruft dieses schlafenden Königsberger Faun. Hippel würde sich wundern, sähe er diese Wanderzüge seiner nachgeborenen Mitbürger. Denn zu seiner Zeit wusste Königsberg weder, dass nur fünf Meilen entfernt ein reizender Strand läge noch gab es damals überhaupt ostpreußische Badeorte. Nur der kurische Fischer in seinem Friesrock und in der blauroten Kappe brachte den Stör und den Dorsch zu Markt der Händler brachte den Bernstein und der Forstmann das Reh, den Hirsch und das Elentier.

 

Das ist also Königsberger Kultur in aufsteigender Linie. Unsere Vorfahren zur Zeit Hippels, Kants und Hamanns waren echte Pfahlbürger. Sie lebten eingepfercht in der düstern Hochmeisterstadt, und wenige kannten das mit der Stadtkultur steigende Bedürfnis eines Gegensatzes zu dem Leben in den Mauern, das Bedürfnis einer Sommerreise, eines Bades im Meere, eines Sommerhäuschens in der freien Natur. Ich weiß nicht, welch ein kühner Balboa es war, der im vorigen Jahrhundert die baltische Küste zuerst entdeckte und durch die Wälder Wege nach dem Meere bahnte. Cranz war das erste Bad, welches die Regierung anlegte — es ist noch heute eine Staatsrevenue, aber nicht zum Vorteil der Badegäste. Seitdem gibt es an der nördlichen Küste Samlands in einer Entfernung von vier Stunden, von dem Dorfe Rantau bis zu dem Leuchtturm von Brüsterort kaum ein Stranddörfchen, das nicht Badegäste beherbergte.

 

Eine Wanderung in Sommertagen längs diesem Ufergürtel ist wie ein Spaziergang durch einen großen lieblichen Garten. Der Charakter der Gegend ist ganz idyllische Anmut, fast idyllischer als der von Rügens Küsten, auf denen der redselige Pastor Kosegarten seine „Jucunde" dichtete. Die Natur türmt hier weder Kreidefelsen noch Granitblöcke auf; sie bildete eine ihrer jüngsten Formationen, ein geschichtetes Sandufer und hier und da bizarr gestaltete Kegel von Ton und Ocker und zerrissene Vorberge, meist aber nur sanfte Uferabhänge von 80 bis 100 Fuß Höhe, welche zum Teil üppiger Pflanzenwuchs bedeckt. Dort blüht in malerischen Ranken die Winde, das gelbe Labkraut, die Erdbeere und die Brombeere, die stattliche Weidenrose pflanzt dort ihre rote Blütenpyramide auf, die Campanula wiegt ihre blauen Glocken im Seelüftchen und der bräutliche Rosmarin wuchert auf den Haidebergen. Wenn die Töchter der kristallenen Tiefe und die Erdentöchter Königsbergs aus dem Bade steigen, können sie die zarten Glieder auf dem weichen Sande gemächlich lagern und ungestört Kränze winden.

 

Das baltische Gestade ist von einer reizenden Harmlosigkeit und Verschwiegenheit, wie eine Schäferstunde. Die Wellen wiegen sich in dem melodischen Rhythmus fort und ziehen weiße Schäume ans Ufer, dann und wann schrillt eine flatternde Möwe, der einzige Seevogel jener wenig beliebten Küste, dann und wann wirft die Woge den Tang aus und mit ihm ein blitzendes Stück Bernstein, ein Geschenk für ein putzsüchtiges Menschenkind; selten taucht der Seehund aus dem Wasser und sonnt sich Fischerkahn über die blaue See, die Netze auszuwerfen, und ein vorübersegelndes Schiff, ein Kauffahrer, der nach Riga oder Petersburg segelt, mit den Barbaren zu handeln, erscheint am fernsten Horizont, mit dunklen Masten vorüberschwebend, gleich dem Nebelgebilde eines fliegenden Holländers, von der Küste hinweggewiesen durch das warnende Wandelfeuer des Leuchtturms von Brüsterort.

Dieses Loblied auf den samländischen Ostseestrand entnahmen wir den „Idyllen vom Baltischen Ufer* des aus Neidenburg stammenden Historikers Ferdinand Gregorovius (1821 - 1891). Diese unvergleichlich schöne Dichtung entstand 1851 in Königsberg.

 

Seite 9   Sehenswürdigkeiten der Kurischen Nehrung.

In einem Fremdenführer der Kurischen Nehrung, vom Verkehrsverein Königsberg/Pr. in den dreißiger Jahren herausgegeben, finden wir als besondere Sehenswürdigkeiten verzeichnet:

 

Rossitten: Möwenbruch mit Müllershöhe — Vogelwarte; naturkundliches Museum — Segelfliegerlager in der Nähe des Predin-Berges; Elchrevier.

 

Pillkoppen: Ephahöhe mit Rundblick — Friedhof.

 

Nidden: Hohe Düne mit Rundblick — Tal des Schweigens — Leuchtturm auf dem Urbo-Kalns (Besichtigung) — Kirche mit Friedhof (eigenartige Grabmäler); in der Nähe Erinnerungsmal an Nehrungsmaler und -dichter — Italienblick — Schlagenberg mit Rundblick — Malerheim „Hotel Hermann Blode" mit zahlreichen Gemälden — Elchrevier auf dem Wege nach Schwarzort.

 

Schwarzort: Reiherberge — Blocksberg — Werner-Kanzel — Grikinn-Linde, Schlieckmannshöhe, Haffblick und „Eiserne Ruh" — Eva-Berg — Pfarrtal — Bernsteinhafen — Elchrevier.

 

Besucher, die auch den memelländischen Teil der Kurischen Nehrung durchstreifen wollen, werden darauf aufmerksam gemacht, dass sie hierzu Pass nebst Visum benötigen. „Die Erteilung des letzteren kann beim Litauischen Konsulat in Königsberg, Markgrafenstr. 3, und während der Fahrt auf dem Dampfer „Memel", „Cranz" und „Kurisches Haff" erfolgen. Das für die ganze Saison gültige Badevisum kostet je Familie 5 Lit (etwas über 2 Mark)“.

 

Seite 9   Badeleben mit Humor. Kleine Erinnerungen an Cranz.

Warnschild, darauf steht: Wer Strümpfe, Hosen, Leibchen, Weste beim Baden auf dem Strand verstreut, dem wird der Hintertragheim feste verwalkt und dann noch durchgebläut. Foto: Berger.

Welcher Ostpreuße denkt nicht gerade jetzt in dieser Zeit der Ferien- und Urlaubspläne oft mit Wehmut an das verschlossene Badeparadies der Kurischen Nehrung und der ostpreußischen Ostseebäder, und wer einmal in Cranz war, wer denkt da nicht mit einem Schmunzeln an die vielen originellen Warntafeln, die am Strand aufgestellt waren. Immer da, wo der ostpreußische Feriengast während seiner Erholungszeit auf die unpersönlichen, nüchternen Verbotstafeln — ‚Verboten ist . . .', ‚Untersagt ist . . .' — stößt, werden die humorvollen Ermahnungen der Kurverwaltung Cranz vor seinen Augen auftauchen.

 

Da stand nicht im Unteroffiziers-Befehlston ‚Hunde sind an der Leine zu führen', sondern die lustigen Verse:

 

,Nimm Deinen Hund hübsch an die Leine,

Sonst beißt er andere in die Beine,

Doch sollte dieser Wunsch nichts nützen,

Musst Du bezahlen oder sitzen‘.

 

Während man hier höchst unwillig der barschen Zurechtweisung nachkommt, nahm man dort seinen vierbeinigen Schützling mit einem Lachen an die Leine, und keine Wolke trübte den sonnigen Ferienhimmel.

 

Unsere Abbildung zeigt ein Schild, das die Badegäste ermahnt, ihre Sachen zusammenzuhalten und am Strand Ordnung zu wahren. An anderer Stelle konnte man diese Aufforderung in dieser Version lesen:

 

‚Wer sich hier nicht an Ordnung hält,

Und öfters aus der Rolle fällt,

Den nehmen wir bei Schlafittchen

Und eins zwei drei kommt er ins Kittchen.

Und noch zwei weitere seien in Erinnerung gerufen:

 

‚Wer das Geländer zum Sitzen benutzt

Und es mit seinen Füßen beschmutzt,

Der muss es wieder neu bemalen

Und auch die Kosten dafür bezahlen‘.

 

,Wer Glas, Papier und Frühstückstuten

Und altes was er nicht mehr braucht

Hier fortwirft, der wird fünf Minuten

Ins Ostseewasser eingetaucht‘.

 

Ja, unser schönes, unvergessliches Cranz! Werden wir wohl wieder einmal an seinem Strand unseren Urlaub verbringen können?

 

Seite 9   „Das grüne Sträußchen mit Wasser“. Von Museumsdirektor Dr. Wilhelm Gaerte.

Bild. (Beschreibung des Bildes letzter Satz unten).

Wir versetzen uns im Geiste zurück in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Hochzeit im Oberland! Die üppige Mahlzeit neigt sich dem Ende zu. Da nähert sich die erste Brautjungfer dem Brautpaar. Sie trägt einen Teller, der mit Wasser gefüllt ist; im Wasser liegt ein grünes Sträußchen. Nach Hersagen eines Gedichtes besprengt das Mädchen das Paar mit einigen Tropfen Wasser, wobei es sich des Sträußchens bedient. Darauf erhält die Braut ein Geschenk von ihm.

 

Zuweilen übte diesen Brauch die Köchin aus; sie besprengte gewöhnlich mit dem Strauß die ganze Tischgesellschaft, setzte den Teller auf den Tisch und wartete die Bezahlung ab. Jeder Anwesende legte alsdann seine Gabe in den mit Wasser gefüllten Teller.

 

Diesem Hochzeitsbrauch sei ein ähnlicher zur Seite gestellt, der ebenfalls Ende des vorigen Jahrhunderts im nördlichen Teil Ostpreußens bei der Hochzeitsfeier üblich war. Der Gewährsmann überliefert: „Bei Bewillkommnung der Braut stellten die Jungen gegenüber dem Verbau des Hauses ein Rad auf, das mit Stroh umwunden und bebunden und in einen Trog mit Wasser hingestellt ist; dieses drehen sie und bespritzen die ins Zimmer hineingehenden Hochzeitsgäste".

 

Ohne Zweifel liegt bei der zweiten Erscheinung ein ursprünglich agrarischer Brauch zur Regenbeschwörung vor, der später erst den Hochzeitshandlungen angegliedert wurde. Der zuerst erwähnte ostpreußische Brauch lässt sich mit einer agrarischen Erntesitte zusammenstellen, die an der Küste von Friesland bis Pommern mancherorts in Übung war; beide Geschlechter besprengten sich durch Schlagen mit Büscheln. Auch das mecklenburgische „Bunte Wasser" gehört in diesen Zusammenhang. Am ersten Tag der Roggenernte stellte man dort in einen wassergefüllten Eimer einen mit allerhand Austfrüchten behangenen Klettenbusch. Über das Mühlhausener Wasserspiel zur Hochzeit ist bereits früher hier berichtet worden. Die ursprünglich rein agrarische Verrichtung war zur bloßen Festbelustigung herabgesunken.

 

Ob bei der oberländischen Sitte aber nicht noch ein besonderer Gedanke im Hintergrunde maßgebend gewesen ist? Tief eingewurzelt im Volksglauben nämlich ist die Anschauung, dass Wasser, welcher Art auch immer, nicht nur vegetabilische Fruchtbarkeit bewirkt, sondern auch Empfängnis und Wachstum animalischer Wesen zur Folge hat und fördert. Wie wäre sonst die Volksmeinung zu verstehen, dass es Kindersegen gibt, wenn es der Braut in den Kranz regnet? In ganz Europa ist der Glaube verbreitet an die unmittelbar befruchtende, oder Empfängnis erleichternde Wirkung bestimmter Quellen Teiche und Brunnen. Auch Königsberg hatte seinen heiligen Kinderbrunnen auf dem Roßgarten. Wunderbare Empfängnis durch einen Trunk Wasser ist ein beliebtes im Volksglauben wurzelndes Märchenmotiv. Wie die griechische Göttin Danaë durch den goldenen Regen des Zeus, wird die eingesperrte Königstochter im Märchen von einem Wasserstrahl befruchtet. Ein Gebärzauber liegt vor, wenn man Neuvermählte ins Wasser wirft. In Japan werden alle, die im letzten Jahre geheiratet hatten, mit Wasser begossen. Wasserguss und Wassertrunk bedeuten Fruchtbarkeitszauber.

 

So wird man das Besprengen des Hochzeitspaares im Oberland wohl ursprünglich mit der Anschauung verbunden haben, den Neuvermählten Fruchtbarkeitssegen magisch zu erwirken. Dass ein ‚grüner Strauß' dabei Verwendung fand, hatte seinen Grund in der Natur der Sache. Der Strauß entspricht der grünenden Lebensrute, mit der im Frühling die Mädchen gepfeffert, gefitzelt gekindelt werden. Der Glaube an die empfängnisfördernde Kraft des Wassers hat in jenen Zeiten seinen Ursprung, als der Mensch zur Erkenntnis von der Zeugungskraft des Wassers in der Pflanzenwelt gelangte. Die Abzweigung auf das Animalische entsprang seiner magischen Seele, die heute noch in dem Glauben fortlebt. Mai- und Sommerregen fördere das Wachstum von Kindern, auch des Haarwuchses.

 

Das beigebrachte Bild, eine gotische Hochzeit darstellend, bekundet für das 16. Jahrhundert den Glauben an die fruchtbar machende Kraft des Wassers.

 

Seite 9   Vor 150 Jahren in Königsberg.

VI.

Wir lesen im Jahrgang 1808 der Kgl. Preuß. Staats-Krieges- u. Friedens-Zeitungen in Nro 53 vom 14ten July 1808:

 

„Kgb. d. 2. Juli. Gestern mittags nach 2 Uhr kam in unserm neuen Schauspielhaus Feuer aus, ohne dass man bis jetzt recht weiß, wie? Bei dem frischen Nordwinde, der eben wehte, griff es schnell um sich und in wenig Stunden waren von dem schönen Gebäude nichts als die Mauern übrig. Erst seit kurzem war der auf Aktien unternommene Bau beendigt worden, und die innere Einrichtung, wie das Äußere, ganz vorzüglich ausgefallen, dass mithin dies neue Unglück doppelt empfunden wird, da in gegenwärtiger Zeit an eine baldige Wiederherstellung nicht zu denken ist" ¹).

 

In Nro 55 vom 11ten Juli 1808:

„Publicandum: Durch das Edict v. 29. März c. ist bestimmt, dass der Mühlenzwang in Ostpreußen vom 1. Dezbr. d. J. ab allgemein aufhören soll. Es sollen daher jetzt auch die bisher für Kgl. Rechnung administrirten hiesigen sechs Getreide-Mühlen zu völligem freien Eigenthum und uneingeschränkter Nutzung des Wassers öffentlich an den Meistbietenden verkauft werden. Nehmlich:

 

I.              die Malz-Mühle (Burgfreiheit Nro 113) Oberschlächtig, mit 4 Gängen (es folgen Größe, Mahlleistung, Wert in Rthl.).

II.             Die Mittelmühle (Burgfreiheit Nro 123) Oberschlächtig, mit 4 Gängen. Massives Mühlengebäude mit darin befindlicher Wohnung auf 5530 Rthlr. 20 gr. taxiert. Verkaufstermin 25. Oct. 10 Uhr i. d. Mittel-Mühle ²).

III.            Die Ober-Mühle (Burgfreiheit Nro 95 u. 96) Oberschlächtig, 6 Gänge . . .

IV.           Die Neue "Mühle (Tragheim Nro 344 ½) Am Frei Wasser der übrigen Mühlen gelegen. Oberschlächtig.

V.            Die Tragheimsche Mühle (Tragh. Nro 166) Oberschlächtig, 4 Gänge . . .

VI.           Die Holländische Windmühle (auf dem sogenannt. Butterberg ³) Steindamm Nro 440 ½, 3 Gänge. Die Mühle mit dazu gehörig separat. Wohngebäude ist 3183 Rthlr. taxiert. Königsbergg den 12ten July 1808. Kgl. Ostpr. Krieges- u. DomainenKammer“.

In Nro 59 vom 25ten July 1808:

„Es wird dem Publico hierdurch angezeigt, dass die Kgl. Garnison- u. Vestungs-Kirche zu Friedrichsburg ) so weit in Stand gesetzt worden ist, dass auf den 8ten Sonntag p. Trinitat. d. i. den 7ten August der Gottesdienst wieder eröffnet werden kann . . .

 

In Nrh 60 vom 28ten July 1808:

Rhesa ), Doct. u. Garnison-Prediger“.

 

In Nro 60 vom 28ten Juli 1808:

„Mitteilung der Gewinnliste der Ziehung der 5. Classe der 26ten Kgl. Lotterie“.

H. M. Mühlpfordt.

 

¹) Die Versicherungsgesellschaft bezahlte die Versicherungssumme und das „Neue Schauspielhaus", später „Stadttheater", seit 1922 „Opernhaus" wurde genauso schön wieder aufgebaut und bereits am 09.12.1809 in Gegenwart der Majestäten feierlich eröffnet.

²) Dieses schöne alte Gebäude stand an der nördlichen Ecke Schloßplatz-Mühlenberg noch bis 1901. ³) Der Butterberg hatte seinen Namen nicht von der guten Butter, die dort verkauft wurde, wie man erzählen hört, sondern vom Büttel. Dort stand im Mittelalter das Hochgericht der Altstadt.

) Die noch bis 1945 erhaltene Kirche des vom Großen Kurfürsten 1657 durch den Hof-Mathematicus Otter erbauten Fort Groß-Friedrichsburg.

) Prof. Dr. Ludwig Jedemin Rhesa, geb. 09.01.1776 in Karwaiten (Kur. Nehrung), Sprachforscher, Stifter des Rhesianums, gestorben 1854 in Königsberg.

 

Seite 9   Ehemalige Sackheimer Mittelschüler trafen sich in Köln.

Die Vereinigung Sackheimer Mittelschüler, Königsberg/Pr., hielt diesmal ihr Jahreshaupttreffen in Köln ab, zu dem etwa 60 ehemalige Lehrer, Schülerinnen und Schüler sich aus nah und fern eingefunden hatten. Der 1. Vorsitzende der Vereinigung, Herbert Minuth, Düsseldorf, begrüßte alle Teilnehmer mit herzlichen Worten, denen sich der Vertreter der Elternpflegschaft der Patenschaftsschule in Duisburg, Landsmann Nikoleizik, und der Vertreter der LO Biber, Köln, anschlossen. In allen Ansprachen wurde die Erinnerung an die Hauptstadt Königsberg wachgerufen und der Hoffnung Ausdruck gegeben, die auf der Schulbank geschlossene Kameradschaft und Freundschaft auch fern der Heimat weiter zu pflegen und noch mehr zu vertiefen.

 

In der anschließenden Generalversammlung wurde der bisherige Vorstand auf weitere zwei Jahre einstimmig wiedergewählt. Die Vereinigung umfasst heute 220 eingetragene „Ehemalige" sämtlicher Jahrgänge, darunter als ältestes Mitglied Frau Emma Vahle/Ziehr, mit 83 Jahren. Der letzte Rektor der Schule, Willy Zeil, konnte am 6. Mai 1958 seinen 80. Geburtstag feiern.

 

Die Geschäftsstelle der Vereinigung ist weiterhin Düsseldorf, Suitbertusstraße 34 (p. Adr. Herberth Minuth).

 

Ein Kameradschaftsabend in herzlicher und familiärer Verbundenheit schloss den ersten Tag des Treffens.

 

Der folgende Tag war einer gemeinsamen Besichtigung von Köln vorbehalten, deren besondere Anziehungspunkte die Gartenschau und der Zoo bildeten. Ein weiterer Höhepunkt war eine Fahrt mit der Schwebebahn über den Rhein bei strahlendem Sonnenschein. Eine gemeinsame Kaffeetafel vereinte noch einmal alle Teilnehmer zu einer abschließenden Plauderstunde.

 

Auch bei dem Jahrestreffen der Königsberger in Hamburg fanden sich etwa 40 „Ehemalige“ für ein paar schöne Stunden zusammen. H. M.

 

Seite 10   Elisabeth Pfeil. Vom Hunger getrieben.

Elisabeth Pfeil, eine Königsbergerin, die bis 1948 in ihrer Heimatstadt weilte, erzählt in ihren Erinnerungen, Hunger, Hass und gute Hände (Elchland-Verlag, Göttingen) ihre Erlebnisse aus dieser Zeit. Um nicht den Hungertod zu erleiden, unternimmt sie immer wieder, zusammen mit anderen Frauen und Kindern, nicht ganz ungefährliche und abenteuerliche Fahrten in das benachbarte Litauen. Sie erlebt hier Land und Leute und erzählt davon in ihrem Buch. Alle diese Fahrten standen, wie sie am Schluss bekennt, unter dem Schatten einer außerordentlichen Zeit und erfolgten unter außergewöhnlichen Umständen, als die Welt noch im Wundkrampf des letzten Krieges lag und der Hass unter den Völkern brannte. Mir war es vergönnt zu erfahren, dass sich trotz allem die Menschlichkeit über die Zeiten gerettet hatte. Sie war uns auf allen unseren Wegen begegnet, bedroht von der Geißel der Barbarei, geduckt und eingeschüchtert von Verboten und Verordnungen, aber unversehrt flackernd in den Herzen dieses kleinen Bauervolkes. Nachstehend bringen wir einen Abschnitt aus diesem Buch, das von der Kritik einhellig als ein Dokument der Menschlichkeit bezeichnet wird.

 

Wir saßen zwei Tage und zwei Nächte lang auf dem Bahnhof in einer windgeschützten Ecke, ohne dass ein Zug abfuhr. Eine große Holzbaracke diente als Wartesaal — aber beileibe nicht für uns Deutsche. Die Kinder hatten sich trotzdem hineingeschmuggelt. Da es nachts recht kalt wurde, machten wir ebenfalls den schüchternen Versuch uns mit hineinzuquetschen. An der Tür aber bekam ich von einem liebenswürdigen Matrosen einen Faustschlag ins Gesicht, dass mir gleich das Blut aus der Nase schoss. So mussten wir weiter mit unserer Ecke vorliebnehmen.

 

Am dritten Tage war mein Vorrat, aufgegessen. Die Kinder hatten sich im Wartesaal etwas zusammengebettelt und brachten ihrer Mutter davon heraus.

 

Plötzlich ertönte ein Pfiff. Die ganze Kolonne ergoss sich aus dem Wartesaal, kroch unter und über leerstehende Züge, da der abfahrende Zug auf einem der mittleren Gleise hielt. Wir schlossen uns natürlich an und kletterten auf dem unendlich langen Güterzug in einen leeren Kohlenwagen und legten uns sofort lang auf den Boden. Alles spielte sich verhältnismäßig schnell ab, und plötzlich zog der Zug an. Wir fuhren!

 

Ein Seufzer der Erleichterung entstieg unserm Innern. Der Zug fuhr glatt durch bis Eydtkuhnen, wenn auch sehr langsam. Als wir die Grenze passierten, war von einer Kontrolle und Bahnpolizei nichts zu sehen. Ich schlug vor, bis zur Endstation, die wahrscheinlich Kowno sein würde, mitzufahren. Meine jetzige Kameradin war sonst schon immer an der Grenze ausgestiegen.

 

Wir schliefen ein. Als wir erwachten, graute bereits der Morgen. Es dauerte auch nicht mehr lange, da näherten wir uns einer größeren Stadt; wie ich feststellen konnte, war es Kowno. Der Zug hielt weit draußen.

 

Wir streckten unsere steifen Glieder, hielten vorsichtig Ausschau, kletterten hinunter, liefen schnell über die Gleise, umschlichen die Güterschuppen und standen auf der Straße, — alles nicht ohne Herzklopfen. Es war gegen sechs Uhr morgens. Wortlos sahen wir uns an und wären uns vor Freude beinahe um den Hals gefallen. Ich schickte ein Dankgebet gen Himmel.

 

In einer Anlage fanden wir eine Pumpe. Da wir nicht gerade vertrauenerweckend aussahen, wuschen und erfrischten wir uns hier erst einmal. Auf einer Bank überlegten wir dann unser Tagesprogramm.

 

Meine Kameradin bat mich, ihr das jüngere Kind abzunehmen. Gegen Mittag wollten wir uns wieder in dieser Anlage treffen.

 

An diesem ersten Vormittag hatte ich bereits fünfundzwanzig Rubel und die Kleine etwa dreißig Rubel freiwillig von Straßenpassanten geschenkt bekommen. Man wird fragen, wie das zugegangen sei, ohne zu betteln. Einfach, weil man uns schon von weitem ansah, an unserer zerlumpten Aufmachung und dem schleichenden Gang, dass wir Deutsche und dem Totengräber gerade noch im letzten Moment von der Schippe gesprungen waren. Zu Essen und zu trinken bekamen wir fast in jedem Hause, in dem wir vorsprachen.

 

Allerdings muss ich sagen, dass mein Herz erst einen gehörigen Anlauf nehmen musste, bevor ich an die erste Tür klopfte. Doch ich gedachte der russischen Aristokratinnen, die mit niedergeschlagenen Augen in ihrer verblichenen, abgeschabten Eleganz auf kleinen Stühlen im Vorraum der russischen Kathedrale von Riga gesessen hatten, ein Tellerchen auf dem Schoß und jedes Mal dankbar mit dem Kopf nickend, wenn man ihnen einen Lat hineinwarf. Wenn der Hunger hinter einem steht, bekommt man alles fertig, und ich möchte den sehen, der am Ertrinken ist und nicht nach der rettenden Planke greift.

 

Die Litauer hatten großes Verständnis, waren lieb und nett und machten es uns leicht. Wortlos gaben sie uns Kaffee, Brötchen und sogar gekochte Eier, ein wahres Labsal für unsere ausgehungerten Mägen. Natürlich verzichteten sie auf jede Hilfeleistung als Entgelt.

 

Als wir uns mittags wieder trafen, hatten wir bereits einen Mundvorrat für zwei Tage. Da wir aber nicht wussten, wo und wie wir die Nacht zubringen sollten, beschlossen wir, sofort auf die Dörfer zu gehen. Denn ein Nachtquartier war für uns schwer zu finden, wie mir meine Freundin erzählte, was ich natürlich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen bestätigen konnte. Kein Bauer durfte Deutsche bei sich aufnehmen. Darauf standen hohe Strafen. Und die Miliz war auf dem Posten.

 

Wenn wir Glück hatten, versteckte uns der Bauer auf dem Heuboden. Sonst schliefen wir auf Feldern oder unter Bäumen in der stets gastfreien Natur. Mehr als einmal habe ich auf diese Weise die Nacht verbracht.

 

Zehn Tage war ich mit meiner Freundin in Litauen. Wir verabredeten uns immer in einem Dorf. Ging es gegen Abend, suchten wir uns je zu zweit wieder ein Nachtquartier. Es hatte seine Vor- und Nachteile, dass ich das Kind bei mir hatte. Nachtelle deshalb, weil man mich für die Mutter des Kindes hielt und daher meist nur dem Kind Geldgeschenke gab, das aber eigensinnig darauf bestand, nicht zu teilen. Ein großer Vorteil dagegen war, dass man mit einem Kind leichter ein Unterkommen fand.

 

Morgens trafen wir uns dann wieder, um gemeinsam weiterzuwandern. Als wir genügend

gesammelt hatten, Rucksack und Taschen gefüllt waren, beschlossen wir, die Heimfahrt nach Königsberg anzutreten.

 

Dreimal fuhr ich mit dieser Frau nach Litauen, immer dann, wenn unsere gesammelten Vorräte in Königsberg aufgezehrt waren. Stets begleitete uns auf diesen Fahrten ein guter Stern, der uns für die großen Strapazen und tausend Ängste belohnte. Wie leicht hätte uns die Miliz schnappen können, die uns sofort unsere Rucksäcke abgenommen und uns auf eine Kolchose verfrachtet hätte, wie es manch einem ergangen ist. Ebensogut konnte uns auch unterwegs ein Unglück zustoßen. Mehr als einer hat diese Fahrten mit seinem Leben bezahlen müssen, indem er vom Wagendach rutschte oder auf den Puffern einschlief und herunterstürzte.

 

Auch bei der Ankunft in Königsberg mussten wir große Vorsicht und Eile walten lassen, damit uns nicht noch die Bahn-Miliz erwischte oder halbwüchsige Banditen hinter uns her waren, uns die Rucksäcke abschnitten und die Taschen wegrissen.

 

Seite 10   Kulturschaffende unserer Heimat.

Etta Merz. Künstlerin und Dramatikerin. Foto.

Abgeschieden von der lauten, nach Hab und Gut und Erfolg gierigen Welt, in dem stillen Harzstädtchen Blankenburg, lebt eine ehrwürdige alte Frau, die einstmals im künstlerischen Leben des deutschen Ostens eine bedeutsame Rolle gespielt hat: Etta Merz. Wer Danzig kennt, wer von der Zoppoter Waldoper unvergessliche Eindrücke mitgenommen hat, dem wird das Künstlerehepaar Hermann und Etta Merz ein Begriff sein. In zwanzig schaffensreichen, von großen künstlerischen Erfolgen gekrönten Jahren, die ausschließlich dem gewaltigen dramatisch-musikalischen Werk Richard Wagners gewidmet waren, hatten Hermann Merz und seine Gattin Etta auf der Zoppoter Waldbühne das „Nordische Bayreuth" geschaffen, wie man es nannte, obwohl diese „reichswichtige Festspielstätte" keine Nachahmung des unsterblichen Werkes auf dem „grünen Hügel" in Bayreuth war, sondern ein ganz eigenes, den Anforderungen der Naturbühne angepasstes Kunstwerk, ebenso einmalig und nicht nachahmungsmöglich wie Wagners große Schöpfung im geschlossenen Kulissentheater in Bayreuth.

 

Etta Merz fiel damals die verantwortungsvolle Aufgabe der Bühnenbildnerin und Beleuchterin zu. Wer aber in jahrelangem Miterleben dieser von Wagneroper zu Wagneroper immer großartiger und überzeugender wachsenden Verwirklichung kühner szenarischer Ideen auf der Freilichtbühne zum begeisterten Anhänger der Waldoper geworden ist, der weiß auch, dass der eigentliche spiritus rector dort im Zoppoter Walde, der einfallsreiche Bewältiger aller szenarischen Schwierigkeiten Etta Merz selber gewesen ist. Sie ging neue Wege, ohne die Absichten Wagners zu stören und seine großen Ideen zu vereiteln. Ihr Genius ist es, der diesem einmaligen und nicht mehr wiederholbaren Kunstwerk Weltruhm verschafft hat.

 

Wie so vieles Großartige und Einmalige unter den kulturellen und künstlerischen Werken des deutschen Ostens ist auch die Zoppoter Waldoper, wie sie Hermann und Etta Merz geschaffen haben, brutal durch den Krieg und das Nachkriegsgeschehen vernichtet worden. Kein Max v. Schillings, kein Pfitzner und Heger schwingen dort in der stimmungsreichen Natur mehr den Taktstock, kein Wagnerorchester lässt mehr die im Walde fast überirdisch schön klingenden Melodien der Wagneropern ertönen, keiner der großen Sänger und Sängerinnen Deutschlands singt mehr die bezaubernden Partien des Lohengrin und der Elsa, des Tannhäuser und der Elisabeth, des Siegfried und Hagen und der Krimhild und Brunhild, auch keiner mehr den Hans Sachs und den Walter

Stolzing, den Beckmesser und das anmutige Evchen, eine der beglückendsten Schöpfungen Wagners, und alles dies aus urdeutscher Gemütstiefe kommend, von Wagner selbst und allen seinen nachschauenden Dienern am großen Werke gestaltet. „Versungen und vertan", so könnte man auch angesichts dieses totalen Verlustes der Zoppoter Waldoper für das deutsche Volk sagen.

 

Der große unsterbliche Geist deutscher Kunst ist tot inmitten eines fremden Volkes, einer fremden Sprache, die jetzt im Zoppoter Walde ertönt. Auch Hermann Merz ist lange schon dahingegangen und mit ihm Max v. Schillings und so mancher Künstler, dessen Stimme einstmals Tausende von Zuhörern auf der Freilichtbühne begeistert hat. Nur Etta Merz, nun schon im 88. Lebensjahr, lebt noch als eine lebendige Erinnerung an jene große Zeit unter uns, wie eine der Nornen aus Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen", wie die weise Wala selbst. Aber die laute Welt weiß nichts mehr von ihr. Sie teilt das Schicksal so vieler bedeutender Künstler: die Einsamkeit und das Vergessen sein. Noch immer gilt das Wort: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“.

 

Nur wenige ihrer alten Freunde, die ihr treu geblieben sind und sie nicht im Elend verlassen haben, wissen davon, wie diese tapfere Frau mit dem hellen wachen Verstande, dem gütigen, verstehenden Herzen und der leidenschaftlichen Künstlerseele nach ihrer Vertreibung von ihrer geliebten Wirkungsstätte im Zoppoter Walde und nach der in dem Harzstädtchen gefundenen Zuflucht in den Jahren nach dem Kriege in einem unerhört fruchtbaren schöpferischen Jahrzehnt den harten Verlust zu überwinden versucht und die plötzliche Leere der zur Untätigkeit Verdammten mit bewundernswerter geistiger Produktivität ausgefüllt hat. Etta Merz hat in dieser Zeit fünf abendfüllende Bühnenwerke geschaffen und noch ein sechstes begonnen. Man bedenke, diese Dramen stammen von einer hochbetagten Frau, und was das fast Unglaubhafte ist, es sind echte spielbare Bühnenkunstwerke, kein literarisches Hobby, mit dem ein Mensch seine einsamen Tage auszufüllen bemüht ist. Sie sind alle der kritischen Untersuchung und ernsthaften Diskussion wert. Dilettantismus entzieht sich von vornherein jeder Kritik. Echte Kunst aber fordert immer die kritische Betrachtung heraus.

 

Das Ergebnis dieser Untersuchung darf vorausgeschickt werden: Etta Merz ist geborene Dramatikerin, das Dramatische liegt ihr im Blut. Ihr Vater war Intendant des Opern- und Schauspielhauses in Frankfurt a. M., ihre Mutter eine sehr geschätzte Darstellerin jugendlicher Hauptrollen in Leipzig. Etta selbst eine Zeitlang Schauspielerin bis zu ihrer Ehe mit dem damaligen Oberspielleiter Hermann Merz.

 

In der Stille und Einsamkeit ihres Blankenburger Asyls hatte sie Muße genug, die unerhört eindrucksvollen Erlebnisse ihres Künstlerlebens vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen zu lassen. Daraus ergab sich eine größere Arbeit „20 Jahre Richard-Wagner-Festspiele im deutschen Walde“. Dann aber begann sie mit der Niederschrift ihrer dramatischen Ideen, die sie schon in früheren Jahren während der Vorbereitungszeit in der schöpferischen Pause im Zoppoter Walde beschäftigt hatten. Sie selbst sagt, dass sie in ihren Werken den Trost und den seelischen Beistand gefunden hat, dessen sie nach dem Zusammenbruch aller ihrer Hoffnungen und Pläne so sehr bedurfte.

 

Das begonnene Werk nun fortzusetzen, war für sie eine besondere Mission. Es ist unmöglich, hier auf den Inhalt der Dramen einzugehen. So entstanden der Reihe nach die Schauspiele: „Die Männer um Maria Stuart", in dem die Irrungen und Wirrungen der Jugendzeit der schottischen Königin gestaltet sind. Darauf schrieb sie das zweite historische Schauspiel „Philipp von Macedonien", in dem die frech geniale Gestalt des Vaters Alexander des Großen bühnenwirksam charakterisiert ist. Es folgten das ergreifende Hebbeldrama „Solange es noch Zeit ist“ und das gedankenliefe Sokrates-Schauspiel „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Aber die Dichterin griff zu einem noch gewaltigeren Stoff. Sie schrieb ein Drama um Jesus Christus, „Kreuzige ihn", und stellte die von Tragik umwitterte Figur des Pontius Pilatus in den Mittelpunkt des Geschehens. Und noch einmal wählte sie ein religiöses Thema mit der Legende „Vom Baum der Erkenntnis".

 

Lassen wir die verehrungswürdige Künstlerin selber dazu das Wort ergreifen: „Und nun habe ich mit 87 Jahren noch einmal die Feder in die Hand genommen, denn immer noch tut es mir weh, dass die Menschen noch nicht das rechte, das letzte Wort gefunden haben, das zum ewigen Troste, zum ewigen Frieden, zur ewigen Freude führt. Vielleicht ist das eben nicht möglich. Aber um zu diesem Letzten den Weg zu finden, bin ich zum Anfang zurückgegangen, habe Gott gesucht in seiner Schöpfung und stehe jetzt im Garten Eden, wo die undankbaren Menschen auf die Schlange lauschen. So will ich versuchen, das begonnene Werk fortzuführen als — Warnung. Adam und Eva — Kain und Abel — der erste Brudermord! Wann wird der letzte sein? Und wenn mir Gott die Kraft und das Leben lässt, dass ich es beende, dann werde ich mit diesem meinem letzten Stück Abschied vom Dasein nehmen“.

 

Ergriffen stehen wir angesichts eines solchen Lebens voll Arbeit, voll Gottvertrauen, voll stillem sich bescheiden und überwältigender innerer Größe. Man kann nichts weiter tun, als sich in schweigender Ehrfurcht vor dieser großen und bescheidenen Frau zu verneigen, deren Lebensabend Gott mit so viel innerem Licht und so viel innerer Schönheit verklärt hat.

Franz Erdmann.

 

Seite 10   Östliche Mystik und nordische Schicksalshaftigkeit.  Zum Balladenstil von Agnes Miegel.

Es nimmt wunder, dass die Ballade, jene knappe, heldische, fast dramatische Form der Dichtung immer unter den Händen von Frauen zu ihrer höchsten Vollendung gebracht wurde. Der bedeutendste Balladendichter des 19. Jahrhunderts ist eine Frau: Annette von Droste Hülshoff. Im zwanzigsten Jahrhundert gibt es nur drei wirklich bedeutende Balladendichter: Börries von Münchhausen und zwei Frauen: Lulu von Strauß und Torney und Agnes Miegel. Münchhausen schrieb in großer Bescheidenheit: „Ich bin nicht wert, die Riemen ihrer Schuhe zu lösen, sie (Agnes Miegel) ist unbedingt und zweifellos der größte lebende Balladendichter!"

 

Wer Agnes Miegel in ihrer Bescheidenheit und Fraulichkeit kennt, mag sich verwundert fragen, wie es möglich ist, dass gerade diese Frau die herbe und strafte Form dieser Kunstgattung zu bisher einmaliger Höhe innerhalb der deutschen Dichtung brachte. Dabei müssen wir uns zunächst darüber klar werden, dass ihre Balladen nicht jene altgermanische Härte und Knappheit haben, sondern dass Agnes Miegel bei aller Kürze einen großartigen Fächer innerer Stimmungen entfaltet, darin der Droste ähnlich.

 

Agnes Miegels Balladensprache ist von jener scheinbar hingegossenen Leichtigkeit, die jedes große Kunstwerk auszeichnet. Der Ton ihrer Balladen schwillt auf und ab („Die Nibelungen"), ist von dramatischer Wucht und dann wieder leise und weich. Da sind Worte von eindringlicher Magie, sinnlich, plastisch, weich und voll, da sind suggestive Bilder, die über dem Abgrund des Ungesagten und Unsagbaren schweben („Die Mär vom Ritter Manuel").

 

Im Gefühlshaften und im Mythisch-Visionären liegt die Kunst ihrer Gestaltung. Den alten balladischen Vorwurf der rätselhaften Beziehungen zwischen Mensch und Natur wandelt sie in immer neue Formen ab. Ihr Schicksalsbegriff liegt tiefer, als dass es eine bloße Schuld-Sühne-Verkettung wäre. Übernatürliche Wesen sind bei ihr nie wegen des Schauers oder des unklar Geheimnisvollen da, sondern sie bezieht sie in ihre naturmagische Schau ein — wie Goethe in seiner lyrischen Ballade „Der Fischer" — und gestaltet auf diese Weise ihre Weltschau.

 

Es zieht sie zum Elementaren und Geheimnisvollen des Lebens. In allen ihren Balladen sind jene Doppelbödigkeit, die wie in magischem Licht schimmert, die sichtbare Handlung und das untergründige metaphysische Geschehen. Denn so, wie es in der großen Ruhe ihrer Sprechmelodie oft zittert von untergründigen Gewalten, so hat Agnes Miegel auch wieder die Beziehungen zum Sager- und Sehertum, das die altgermanischen Balladen und Lieder (der Edda) auszeichnet. In Agnes Miegel ist jene östliche Grenzenlosigkeit des Fühlens, die sie mit allen Dingen der Natur und des Seins, den sichtbaren und unsichtbaren, leben lässt. Es ist etwas an ihr vom Archetypus, jenem Menschen, in dem die uralten Erfahrungen aus den Tagen der Vorfahren verdeckt schlummern, die zuweilen in traumhaften Visionen in die fremde Welt des Heute aufsteigen. Von hier aus ist ein Ansatzpunkt zum Verständnis der Tatsache, dass die Literaturkritik ihre „Mär vom Ritter Manuel" immer wieder als die stärkste Ballade der gesamten deutschen Literatur hinstellt.

 

Und so stellt sie sich selbst dar in einem Gedicht, einerseits als einen unbeschwerten Menschen des Alltags, dann aber als Schwester jener Wesen mit „mondlichtgezeichneten Stirnen", die „jenseitiger Weisheit kund" sind. Wolfgang Glantz

 

Seite 11   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

 

Bild: Herbert Wentscher. Kleiner Ostseehafen (Aquarell).

Wir haben schon verschiedentlich in unseren letzten Ausgaben auf die von der Künstlergilde vorbereitete Deutsche Kunstausstellung in Santiago de Chile unter dem Titel „Mensage Artistico de Alemania" (Künstlerische Botschaft aus Deutschland) aufmerksam gemacht und auf beteiligte ostpreußische Künstler hingewiesen. Unter den Ausstellern befindet sich auch der aus Danzig gebürtige, heute in Hannover lebende Maler und Graphiker Herbert Wentscher.

 

Seite 11   Der tote Bruder. Von Franz Erdmann.

Meine Mutter steht am Zaun

immer, wenn der Abend kommt,

und sie starrt den Weg entlang,

ob mein Bruder dort nicht kommt.

 

Offen lässt sie Haus und Tür

und sein Bett hat sie gemacht,

einmal könnte es doch sein,

dass er käme still zur Nacht.

 

Mancher, der vorübergeht,

grüßt und sieht dann scheu zur Seit';

aus dem Aug der Mutter blickt

alles Weh der Welt und Leid.

 

„Was ihr wisst, ich weiß es längst",

sagt ihr Blick und schließt sich zu.

„Eines Tages find auch ich

mit dem Toten meine Ruh“.

 

Seite 11   Erinnerungen … / Von Annemarie in der Au.

Jahre sind verflossen seit den Tagen da ich mir Königsberg — und zwar ein ganz geheimnisvolles, nur mir gehörendes Königsberg — einverleibte. Ich war damals in dem Alter in dem man eher geneigt ist, Unwirklichkeit phantastischen Zauber und geheimnisvolle Vision als wahr zu empfinden, als jede irdische allerseits gewusste Wirklichkeit. Ich kannte in Königsberg niemand, der mir die Sehenswürdigkeiten nach Baedeker-Art hätte zeigen können, und hätte ich jemand gekannt, ich wäre trotzdem auf eigene Faust meinen Entdeckerfreuden nachgegangen. Wie ein junger Hund, der überall da einbiegt, wo seine spezielle Witterung in der Luft liegt, so zog ich damals von meiner Unterkunft am Unterhaberberg los und bog mal in diese, mal in jene Gasse oder Straße ein, ohne nach deren Namen zu schauen oder mich um deren zweckbestimmten Verlauf zu kümmern, und eroberte mir Königsberg so auf eigene Art. Von meinen Exkursionen sind mir fünf Bilder besonders eindringlich haften geblieben, weil sie von Anbeginn in höchst seltsamer Beziehung zu den späteren grauenvollen Ereignissen zu stehen schienen.

 

So geschah es, dass ich eines Tages auf dem Wege zum Schloss hin, links abbog — und mich plötzlich in einer versunkenen Stadt fand. Dieser Eindruck entstand nicht nur dadurch, dass der große Platz, auf dem ich mich unter diesem Eindruck verwirrt umsah, tatsächlich tiefer lag als die Brücke, die ich eben noch überschritten hatte, sondern diese Empfindung wurde durch etwas ausgelöst, was außerhalb aller Erklärungen zu liegen scheint. Ich ging durch die warme, etwas drückende Luft wie durch Wasser, das ohne Nass ist. Der Himmel war von einem unwahrscheinlich hellen blaugrün überzogen, so dass er ebensogut die von Sonne übertanzte Meeresoberfläche sein konnte, wenn man sie vom Meeresgrund aus sehen durfte. Die Häuser und Speicher standen starr und glatt da, als hätte ihr Dasein keine Beziehung mehr zu dem Leben, aus dem ich kam. Keine Luke war auf, kein Fenster, kein Tor, alles war sehr still, sehr sauber, sehr glatt, sehr tot. Gewiss, es war ein Sonnabendnachmittag, aber genügte mir das, diese versunkene Wesenlosigkeit zu erklären, die mich hier überfiel? Aber den stärksten Eindruck verliehen mir die Menschen. Oh, sie trugen ihre Kleider um keine Modesaison älter als die meinen waren, die Kinder spielten mit den Murmeln, wie ich es in den Tagen gemacht haben würde, und aller Bewegung war um nichts anders als überall woanders auch. Ich sah sie gehen, spielen und sprechen - aber es drang kein Ton so zu mir wie ich es erwarten durfte. Dazu beobachtete ich, dass die Menschen vorbeigingen als wären sie sich nichts Neues, mich aber betrachteten sie alle wie etwas, was in ihrer Atmosphäre fremd war. Ich gestehe, dass mich ein Gefühl der Furcht beschlich, aber um nichts in der Welt hätte ich mein traumhaftes Erlebnis vor der Zeit aufgegeben. Ich kostete meine versunkene Stadt aus, bis die hereinbrechende Dämmerung sie mir entzog und mich in Eilschritten in bekanntere Gegenden verwies.

 

An einem andern Tag stand ich unversehens an einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern, der von der Uferanlage zu der Parallelstraße führte. War unten der Gang vielleicht etwas über einen Meter breit, so verjüngte er sich nach oben so sehr, dass man nicht mehr an den Himmel glauben wollte. An der rechten Hauswand meine ich mich an ein winziges Fenster, das eher einer eckigen Schiffsluke glich, erinnern zu können. Meine Augen glitten von ihm ab, tasteten die rohen Wände entlang und entdeckten plötzlich das Schild „Katzensteg". Sofort stand die sagenhafte Brauersfrau vor mir, die nachts als Katze auf Raub ausging, und die ihren Brauersknecht ins siedende Gebräu stürzen wollte. Es bestand für mich kein Zweifel mehr, dass sie hier wirklich gelebt hatte. Durch den Gang, der sich in Stufen durch die Häuser schiebt, flüchtete sich ein fröstelnder Hauch mir entgegen der nichts mehr mit dem schönen Aprilwetter zu tun hatte. Noch konnte ich umkehren, aber ich stand bereits auf der ersten Stufe, und so wie in der versunkenen Stadt ist auch diesmal der Zwang, die geheimnisvolle Atmosphäre auskosten zu müssen, stärker, und ich gehe weiter. Langsam, sehr langsam setze ich Fuß vor Fuß, beinahe Stein für Stein einzeln einnehmend. Und dann ist plötzlich die grauschwarze Katze vor mir und glupt mich mit ihren bernsteingelben Augen an. Sie könnte gut eine Verwandte jener verwandelten Brauersfrau sein. Jetzt macht sie einen hohen Buckel, faucht, springt mit langem Satz an mir vorbei, und ehe ich mich noch umdrehen kann, ist sie verschwunden, spurlos verschwunden. Etwas betäubt erreiche ich den Ausgang des Katzensteges und gehe schnell weiter, ohne mich noch einmal umzuschauen. Später habe ich immer wieder versucht, noch einmal den Katzensteg zu entdecken, aber es ist seltsam, ich fand den Weg nicht mehr dahin, und gefragt habe ich natürlich auch nicht. Ich hätte an einen Spuk glauben können — und heute, ist uns heute nicht manches Ferne wie ein spukhafter Traum?

 

Es war wieder ein Sonnabend und dazu ein Tag vor der Matthäus-Passion-Aufführung, als ich den Dom erleben durfte. Ich war auf die Dominsel gelangt, ohne sie besonders gesucht, noch jemand nach dem Weg gefragt zu haben. Es war einfach so, dass der Dom plötzlich vor mir stand. Teils war ich erstaunt, solch einen machtvollen Bau gerade hier zu finden, teils war er mir selbstverständlich, dass dieser Bau nur aus einer machtvollen Stille heraus entstehen konnte, und eben diese Stille war hier. Die Domtüren standen auf. Mir war so feierlich zu Mute, dass ich kaum wagte, in das Gotteshaus einzutreten. Aber wie um meinen Wunsch, es doch zu tun, zu unterstreichen, spielte in diesem Augenblick das Cembalo seinen Part aus der Matthäus-Passion. Gedanken, sagt mir wer ich sei, dass man nur für mich spielte! War ich eine reiche Tochter aus altem Patriziergeschlecht, war ich irgendeine Prinzessin, die heimlich einem eben angekommenen fremden Schiff entstiegen war, um hier irgendeinem Wunder begegnen zu müssen, oder war ich ein armes Mädchen, das der Gnade teilhaftig wird, aus der Welt lebend ins Paradies zu kommen? Ach, es reicht keine Phantasie aus, einmalige Augenblicke mit Vergleichen und Gleichnissen anderen nahebringen zu wollen! Und so saß ich dann auf der Bank nahe am Eingang, bewegungslos, und hörte Musikdirektor Wilhelmi aus der Passion spielen, nur für mich. Aber auch dieser Augenblick erfüllte sich erst ein halbes Jahr später ganz, als wir die Passionszeit am eigenen Leib erfahren mussten.

 

Ein zweites musikalisches Erlebnis, das ebenfalls erst später zur vollen Wirkung kam, war ein Abend in der Oper. Irgendeine gute Seele hatte mir eine Karte geschenkt. Es gab Butterfly. Da wir gerade an diesem Tage länger als sonst arbeiten mussten, sah ich fast schon die Aussichten von Karschau nach dem Haberberg und vom Haberberg zur Oper zu kommen, sich mehr und mehr verringern, und gewiss verdankte ich dann mein rechtzeitiges Hinkommen überhaupt nur meinen damaligen Rennbeinen. Gerade verglomm das Licht, als ich die kleine Tür zum dritten Rang aufmachte. Dritter Rang, letzte Reihe, äußerster Platz — und ich hatte kein Opernglas. Aber meine Augen waren gut und meine Sinne bis zur äußersten Spannung empfindungsbereit. Es war nicht die erste Oper, die ich hören und sehen durfte, es ist auch nicht die letzte geblieben, ich habe sehr gute, gute und weniger gute Aufführungen gesehen, aber keine wird mich mehr überwältigen können, als die der Butterfly im Königsberger Opernhaus 1944 vom dritten Rang in der letzten Reihe aus erlebt. Ich glaube, ich könnte die hellen, sehr freundlichen Bühnenbilder zeichnen, und es war mir unbegreiflich, dass Linkerton aus dieser lieblichen Umgebung scheiden, mehr noch, sie vergessen konnte. Hätte er doch nur einmal Butterfly, das Kind und die Dienerin sehen können, wie sie — gleichsam transparent geworden wie die große Glaswand, vor der sie standen — durch die musikgewordene Bewegungslosigkeit sich selbst und alle kargen Gegenstände auf der Bühne ganz Sehnsucht werden ließen. Die Sehnsucht war so groß, dass auch das Publikum davon ergriffen wurde, von der Sehnsucht danach, sich das bewahren zu können, was man noch fest zu besitzen glaubte, Butterfly ihren Linkerton und die Zuhörer ihre Oper, ihr Königsberg, ihre Heimat.

 

Bald nach all diesen Erlebnissen, die sich innerhalb kurzer Zeit abspielten, fuhr ich wieder nach Hause, nach Tilsit. Am letzten Sonntag meines Aufenthaltes hörte ich aus irgendeiner Kirche Orgelmusik. Ich trat ein und fand viele andächtige Menschen versammelt, die einem Konzert zuhörten. Etwas abseits stand eine Bank. Ein Mann saß hier. Für mich war gerade noch Platz. Es fiel mir auf, dass der Mann noch in Zivil war, für die damalige Zeit schon eine Seltenheit. Seinen Kopf hatte er in die Hände gestützt. Es waren ungewöhnlich schöne Hände, auch das fiel mir auf, ehe mich der volle Ton der Orgel in die Zeit Bachs und Telemanns zurückversetzte. Ich hielt meinen Kopf gesenkt und sah plötzlich ein silbernes Etwas neben mir fallen und dann noch eins. Der Mann weinte. Ich war so erschrocken darüber, dass ich ihn fassungslos anstarrte. Er merkte es, stand auf und ging aus der Bank, ohne sich nach mir umzublicken. Jetzt sah ich, dass er klein war und weißes Haar hatte. Er trug einen seltsam weiten und hellen Mantel, der bei seinem schnellen Schritt ein wenig hinter ihm her zu flattern schien. Ich sah ihm nach, bis sich die schwere Tür hinter ihm schloss und hatte dabei das Gefühl, als wäre etwas wenig Irdisches aus der Kirche gegangen. Obwohl das Konzert noch nicht beendet war, ging auch ich kurze Zeit später, weil sich meine Gedanken einfach nicht mehr in die Musik eingliedern wollten. Draußen hatte die Sonne den Weg ihres Tagesabstiegs fast schon vollendet. Sie war groß und rot. Es wird morgen Sturm geben, sagte jemand in der Unterkunft.

 

 

Ein halbes Jahr später sah ich Königsberg wieder. Da hatte ein Vorläufer des Sturmes sich bereits über der Stadt ausgetobt. Ich erkannte „mein" Königsberg nicht wieder und lief verwirrt um große Trümmerblocks. Da wusste ich, warum der Mann hatte weinen müssen. Da wusste ich, warum die Sehnsucht der Butterfly so einen gewaltigen Eindruck auf mich gemacht hatte. Nun wusste ich, warum die Erlebnisse von Anbeginn so unheimlich unwirklich hatten sein müssen. Denn es ist schwerer, sich von einer „Wirklichkeit" zu trennen, als eine „Unwirklichkeit" für ewig fest zu behalten. Oder anders gesagt: das Königsberg, wie es in Stein, Wasser, Fleisch und Blut vor uns lag, konnten wir nicht mitnehmen, wohl aber das Königsberg, wie es ein jeder von uns mit eigenem Geist und Verstand, mit eigener Phantasie sich erlebt und erobert hatte.

 

Seite 11   Die rote Strickjacke. Tamara Ehlert.

Wenn Frau Jaguttis alt und entwurzelt durch die fremde Stadt geht, begegnet sie manchmal Frauen oder Mädchen, die rote Strickjacken tragen. Dann wendet sie sich ab und sieht hilflos auf die andere Straßenseite oder in ein Schaufenster.

 

Frau Jaguttis hatte einen Sohn. Er ist tot. Gefallen. Er war ein fleißiger Schüler, später ein strebsamer kaufmännischer Lehrling gewesen.

 

Und dann kriegte er den Gestellungsbefehl. Es war Sommer, und Frau Jaguttis konnte es nicht fassen, dass er weg sollte. Sie hatte gerade Johannisbeergelee eingekocht, das aß Rudi so gern. Überhaupt, sie hatte so ihre Pläne mit ihm gehabt; für zwei Wochen sollte sie mit ihm an die See. Und nun musste er weg. Am letzten Tag fuhren sie nach Pillau, um noch einmal die See zu sehen und von Frau Lenkeit Räucheraal zu holen. Rudi aß Räucheraal für sein Leben gern. Es war selbstverständlich, dass Fräulein Mischke mitfuhr. Sie war seit kurzer Zeit Rudis Freundin, die einzige, die er bisher mit nach Hause gebracht hatte. Sie war Verkäuferin in einem Feinkostgeschäft, und sie hatte sich den Nachmittag freigenommen.

 

Während der Fahrt sahen alle drei schweigend und etwas bedrückt aus dem Fenster. Fräulein Mischke trug eine rote Strickjacke, und ab und zu reichte sie eine Bonbontüte herum. Um ihren kräftigen bräunlichen Hals hatte sie ein Samtband mit Medaillon.

 

In Pillau tranken sie im „Goldenen Anker" Kaffee, und dann gingen sie zur Mole. Fräulein Mischke und Rudi gingen vor, Frau Jaguttis kam etwas langsamer hinterdrein. Sie hatte eine große Tasche mit, obenauf lag Fräulein Mischkes Jacke. Die jungen Leute hatten die Tasche tragen wollen, aber Frau Jaguttis sagte: „Lasst nur, Kinder, genießt es man“. Als sie den Molenkopf erreicht hatten, setzten Rudi und Fräulein Mischke sich hin. Sie hielten sich an den Händen und sahen aufs Wasser.

 

Frau Jaguttis stand etwas abseits, sie mochte sich nicht auf die Steine setzen. Der Wind riss an ihrem Kopftuch und spritzte ihr Schaumflocken ins Gesicht Die Möwen kreischten. Morgen muss Rudi weg, dachte sie. Sie nahm Fräulein Mischkes Jacke aus der Tasche und studierte das Strickmuster.

 

Dann sah sie wieder zu den beiden hin. Fräulein Mischke hatte ihren Kopf an Rudis Schulter gelegt. „Ich geh' schon mal vor", schrie Frau Jaguttis durch den Wind. „Ich geh' zu Frau Lenkeit und hol' die Aale. Ihr könnt mich abholen. Um sieben“.

 

Sie ging zu Frau Lenkeit und ließ sich vier große Aale einpacken. Sie aß auch noch Abendbrot dort, und um halbacht kamen die beiden, um sie abzuholen. Fräulein Mischke glühte, wahrscheinlich hatte sie ihre Strickjacke gar nicht vermisst; aber sie hatte ihr Medaillon nicht mehr. „Sie haben Ihr Medaillon verloren", sagte Frau Jaguttis erschrocken.

 

Fräulein Mischke glühte noch mehr, und Rudi sagte: „Sie hat es nicht verloren, sie hat es mir geschenkt. Als Talisman“. Auf der Rückfahrt waren sie allein im Abteil. Frau Jaguttis setzte sich in eine Ecke und tat, als ob sie schliefe. Die beiden saßen ihr gegenüber. Es war ganz dunkel, nur wenn ein kleiner Bahnhof kam, konnte sie für kurze Zeit ihre Gesichter sehen. Sie sahen sich in die Augen und schienen Frau Jaguttis ganz vergessen zu haben.

 

Einige Wochen später bekam Frau Jaguttis einen Brief von Rudis Kompanieführer, und auch ein paar von Rudis Sachen, darunter Fräulein Mischkes Medaillon. Als Frau Jaguttis begriffen hatte, was der Brief und die Sachen bedeuteten, packte sie das Medaillon ein und ging in das Feinkostgeschäft, in dem Fräulein Mischke Verkäuferin war. Es war ein großer Laden, und es waren viele Verkäuferinnen da. Frau Jaguttis stand verwirrt und kurzsichtig an der Tür. Aber dann sah sie etwas Rotes aufleuchten, es war Fräulein Mischkes Strickjacke, die sie unter dem ärmellosen Verkaufskittel trug.

 

Frau Jaguttis ging auf die rote Jacke zu. Sie wusste nicht recht, wie sie es sagen sollte, aber sie musste es doch sagen. Sie nahm das Medaillon aus der Tasche und schob es über den Ladentisch. Fräulein Mischke nahm es, wickelte es aus und legte es sofort wieder auf den Tisch zurück. Sie sah Frau Jaguttis an, und Frau Jaguttis wusste, dass sie verstanden hatte.

 

Der Laden war voll, und die Leute hatten es eilig; sie konnten nicht wissen, warum Fräulein Mischke nicht weiterbediente. Der Chef kam durch. „Was ist denn los mit Ihnen, Fräulein Mischke", sagte er ungehalten.

 

„Nichts", sagte Fräulein Mischke.

 

Frau Jaguttis reichte ihre Karte über den Ladentisch. „Ich wollte Kaffee-Ersatz, Fräulein", sagte sie. „Ein Viertelpfund Kaffee-Ersatz“.

 

Frau Jaguttis geht alt und entwurzelt durch die fremde Stadt. Wenn ihr eine rote Strickjacke begegnet, sieht sie weg.

Aus Tamara Ehlert „Die Dünenhexe", Elchland-Verlag Göttingen.

 

Seite 11   Leidenschaften. Von Fritz Kudnig.

I.

Wir trennen uns von unsern Leidenschaften,

obwohl sie uns dem Leide nur verhaften,

so schwer, wie wenn sie beste Freunde wären.

Doch müssten wir als Feind sie nicht betrachten?

Scheint's nicht, als ob sie unablässig wachten,

um gierig unsrer Seele Kraft zu zehren? —

 

II

Vielleicht macht unser Blut uns auch nur blind ..

Vielleicht sind Kräfte sie, an uns gebunden,

um uns in schwachen, unbewachten Stunden

indem sie uns im Tiefsten schwer verwunden —

zu prüfen, ob wir ihrer wert auch sind..

 

III

Frag nur dein Herz Ist jene Leidenschaft,

die in uns lebt, nicht ungeheure Kraft?

Sie will von uns nur hart gebändigt werden.

Dann wird sie, die uns schien so raubtierhaft,

für unsre Seele wahrer Wurzelsaft:

Urschöpfungskraft des Himmels und der Erden!

 

Seite 12   Johann Christoph Hampe. Freundschaft mit der Fremde.

Gerade im richtigen Zeitpunkt, zu Beginn der Urlaubs- und Reisesaison, erscheint Im Kreuz-Verlag, Stuttgart, ein Buch (J. Chr. Hampe: Freundschalt mit der Fremde. Querformat, Ganzl. m. Cellophanumschlag, 128 S., DM 5,80), das alle Reisefreudigen in ihrem Urlaubsgepäck haben sollten, ganz gleich, ob sie nun im hohen Norden, unter den Palmen des Südens oder in einem abgelegenen Schwarzwalddörfchen Erholung vom Alltag suchen. Ein Reiseführer also, der mehr auf das innere Erlebnis der ständig wechselnden neuen Eindrücke abzielt. Die heitere Feder des bekannten Graphikers Erich Behrendt begleitet die Abschnitte des Buches, von denen nur einige Überschriften herausgegriffen seien: Festliche Stunde, Reisefieber, Lehrmeister des Unscheinbaren, Reisebekanntschaften, Die steinernen Träume und viele andere mehr. Man sollte das Buch mit in die Ferien nehmen; es wird sich als stiller, unaufdringlicher, dennoch aber stets gesprächsbereiter, freudeschenkender Freund erweisen, der in einer stillen Stunde des Nachdenkens vor dem Einschlafen den Erlebnissen des Tages erst seinen rechten Wert verleiht. Nachstehend bringen wir als Probe das Einleitungskapitel ‚Festliche Stunde'.

 

Du hast den Koffer vom Boden geholt; du hast die Sohlen deiner neuen Schuhe befragt, ob sie es aushalten werden, was die Füße mit ihnen vorhaben, Steine, Treppen, Wiesen, Strand, Waldweg und Schneefeld; du hast den Kalender beschworen, dir gute Reisetage zu schenken; du hast für alles vorgesorgt. Nur noch eins: Nimm mich mit! Du brauchst einen Gefährten, mit dem du unterwegs plauderst. Du brauchst ein kleines Vademekum in deinem Gepäck, eine sanfte, freundliche Stimme an deiner Seite.

 

Nicht dass es an Menschen fehlen wird, die mit dir lachen und mit dir träumen, mit dir sich freuen und mit dir die Sonntagnachmittage überstehen, die in den großen fremden Städten eine so gequälte Miene aufsetzen. Eher wäre zu sagen, dass heute an den meisten Stellen der Erde zu viel Menschen anzutreffen sind und besonders viele von der lauten Sorte. Aber in aller mir zukommenden Demut bitte ich dich, auf meine Stimme besonders zu achten, jetzt vor deiner Ausfahrt, unterwegs und auch hinterher, wenn du, mit der Tonnenlast der frohen Erinnerung befrachtet, wieder in deine vier Wände trittst.

 

Ich rede nicht viel. Ich sage nicht alles, was ich dir sagen könnte und was mir auf der Seele brennt. Man muss nicht alles sagen. Ich deute an. Ich sage dir ab und an in das Ohr, was gut ist zu wissen auf Reisen und was einen besseren Geschmack für das Reisen gibt, als ihn die meisten Reisenden haben. Oder lass mich bescheiden sein: ich werde den Versuch machen, dein Herz so munter zu halten, wie es in diesem Augenblick ist, in diesem Augenblick, wo die Koffer neben dir stehen und du überlegst, ob du die Wohnungsschlüssel dem Nachbarn oder deinem Hosensack übergeben sollst. Denn alles bleibt zurück, aber du schenkst ihm keinen Gedanken mehr. Du bist mit allen Sinnen dorthin gerichtet, wo die Hoffnung ihr buntes Königsschloss und das Wunder sein dunkles Märchennest gebaut hat.

 

Ich sage dir, was Jonathan Swift, ein Genie von einem Reisenden, der einst zu seinem anderen Ich sagte, zu Lemuel Gulliver, Wundarzt und Kapitän vieler Meere, ich sage dir, meine Freundin und mein Freund: Wir sind sogar von mütterlicher Seite ein wenig verwandt. In diesem Augenblick und so, wie wir zusammen verbleiben wollen, geht unser Blut auf die gleiche Mutter zurück. Denn auch meine Mutter ist die Hoffnung, die Hoffnung auf das Wunder.

 

Vielleicht denkst du gar nicht so sehr an die Palmen der Costa Brava, die du aufsuchen willst, sondern daran, dass es in Arenys für dich ein Hotel mit fließendem Wasser gibt. Vielleicht verleugnest du deine Mutter. Dergleichen gibt es. Heute mehr als je. Aber das ist natürlich ein ganz vergeblicher Versuch. Denn der einfältigste, der oberflächlichste, der lustloseste Reisewunsch hat diese Mutter, die Hoffnung. Er hat sie, auch wenn er nichts von ihr weiß und wissen will, und diese geistige Mutter lässt sich so wenig verleugnen wie die Leibliche.

 

An dieser Stelle also sind wir verwandt. Ich halte es auch mit der Hoffnung auf Wunder. Wir wollen uns darüber verständigen. Diese Art Hoffnung, mein Freund, hat ebenso viele Stufen wie der Parnass. Die Unterste ist breit. Auf sie treten viele, und ihre Gedanken sind ebenso großartig wie unbestimmt. Hinausfahren. Wohin? Wozu, Hinaus, das genügt. Das andere findet sich. Draußen wohnt das Glück, das Abenteuer, die Freiheit.

 

Reisen ist eine uralte Sache, wenn auch nicht in den heutigen Formen, und ein uraltes Wort, wenn es auch heute am meisten von Handelsvertretern in den Mund genommen wird. Es bedeutet im Deutschen genau dasselbe wie das gleichlautende englische Wort, das uns der Lehrer mit dem britischen Sprichwort der Frühaufsteher unvergesslich machte, nämlich „aufbrechen". Und wir wollen uns daran erinnern, dass Aufbruch allemal eine festliche Stunde ist. Jeder Aufbruch wird zu einer Rückkehr in die Kindheit. Wer mit sechzig zur Reise um die Welt aufbricht, hat ein paar Jahrzehnte gewonnen wie der Raumfahrer, der der Zeit entgegen- und über sie hinwegfliegt. Das Haus stehen lassen, den Wohnungsschlüssel dem Nachbarn geben — das ist eine Häutung. Zahl alle Schulden oder erkläre dich insolvent; auf jeden Fall: schlage den Schuldbüchern deines alten Lebens kräftig auf den Mund, bevor du gehst! Lass dir die Post auf keinen Fall nachschicken! Kauf dir neue Kleider! Denn die Welt, die so lange nur eine wortkarge Erfindung des Erdkundebuches war, soll nun Wirklichkeit werden. Und das ist wunderbar genug.

 

Seite 12   Der Zauber des Preußenlandes. Von Paul Fechter, verstorben.

Es ist eine beinahe unausrottbare Vorstellung des Westens (auch des deutschen Westens), dass der Osten nichts als Ebene ist. Man hat da offenbar etwas von der russischen Welt auf die deutsche übertragen, obwohl die gerade im Osten von einem Reichtum und einer Fülle der Abwechslung und des immer Neuen ist, wie selten anderswo. Da sind die viel besungenen Dünen der Kurischen Nehrung, da ist aber auch — o Täler weit, o Höhen — das kaiserliche Gut Cadinen am Fuß der Rehberge mit dem unendlichen Ausblick von seinen Höhen und dem Zauber seiner buchendurchrauschten Schluchten und Täler. Da ist die verwunschene, verwachsene Sommerwelt des Drausensees bei Elbing mit seinem Vogelparadies, das dem von Rossitten auf der Kurischen Nehrung nichts nachgibt mit seinen Tausenden und aber Tausenden von Wasservögeln aller Art; da ist das Werder um Tiegenhof, das Machandelstädtchen, in seiner holländisch weiten, grünen, ebenen Weidenlandschaft.

 

Da ist die Seenwelt, sind die Seenwelten, die Oberländische zwischen Maldeuten und Mohrungen und die Masurische um Lyck, deren unvergessliche Schönheit Ernst Wiechert bis zum Ende immer wieder besungen hat. Da ist weiter — aber was frommt Beschreibung, was das Nennen bloßer Namen und Gegenden? Der Zauber, der unzerstörbar über dem Preußenland liegt, über dem verwunschenen Eichenwald von Romowe, wo der Priesterkönig Waidewutis wirkte, der Merlin des Ostens, den Zacharias Werner besang, ist so wenig in Worten festzuhalten, wie die Einsamkeit über dem Felde der Preußenschlacht von Rudau, wie die lebendige Stille über der alten, verbrannten und wieder erstandenen Stadt Memel, aus deren Untergang im Feuer einst der Ruhm Heinrich Schliemanns aufstieg: ohne den Brand dieser Stadt am Tief wäre er wohl nie dazu gekommen, die ferne verbrannte Stadt auf dem Hügel Hissarlik , das Troja Homers, wieder auszugraben.

 

Ein Land wie den deutschen Osten mit der nie zu vergessenden Weite kann man nicht beschreiben; man kann höchstens immer wieder seine Herrlichkeit beschwören, Herrlichkeit eines Landes, das wartendes Land ist, dem die unsterblichen Verse einer Frau am schönsten gesungen und ausgesagt haben, was es für uns bedeutet hat und immer bedeuten wird; sie stehen bei Agnes Miegel in dem trauervoll herrlichen Schluss ihres Gedichtes „Es war ein Land", das eigentlich freilich heißen müsste: „Es ist ein Land ..."

 

Vater, Du weißt, wie einsam wir sind!

Nie zu klagen war unsre Art,

Du gabst und Du nahmst — doch Dein Joch drückt hart!

Vergib, wenn das Herz, das sich Dir ergibt,

Nicht vergisst, was zu sehr es geliebt,

Was Gleichnis uns war — und noch bleibt im Leid —

Von Deines Reiches Herrlichkeit!

 

Aus Paul Fechter „Deutscher Osten — Bilder aus West- und Ostpreußen“, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. Reihe „Das Kleine Buch“.

 

Seite 12   Dr. Alfred Lau: So schabbern wir (Neue Folge).

Wer in unserm Schabbergarten

Jetz wie ich mal weden geht,

Sieht, dass ieberall e trautstes,

Halbvergess'nes Wortche steht.

Wo e Passlack nält und loddert,

Wo de Oma Spulchen spult,

Wo der Glumskopp sagt: „Au golle!“

Und am Krepsch der Pracher pult.

 

Dwatsch und wischig wird de Muttche,

Wenn das Huhn all Weihnacht kluckt,

Wenn der Pierack is verpraasselt

Und im Sock e Pruddel huckt.

Wenn der Gnoss am Essen gnaschelt,

Nicksch und mäklig, kriegt er, rietz,

Einem fiere Freß getachtelt,

Und im Knösel kocht der Giez.

 

Wie e Keichel nachem Schnodder

Mancher Jung nach Kruschkes gielt,

Wer als Gniefke is geboren,

Gieprig mang e Dittchens wiehlt.

Der Wenktiener porrt und pranzelt,

Muschkebad steht im Rogal,

„Los, Musik!" — so brillt der Prickel,

„Oder sonst — öck schiet öm Soal!“

 

Aufem Kumst kommt kein Kaneel rauf,

Wer Stachlinskis angeln geht,

Wirgt dem Pieratz aufem Haken.

„Inne Hotz, es is all spät!“

Gnietsche Pleester viel kadreiern,

Alte Kerdels kölstern oft,

Und im Diestern trampelt mancher

Aufem Grumpel unverhofft.

 

Kasels sind mit Dreck beoselt,

We e Dulks kriegt, macht pardautz,

Wem noch untre Zudeck hubbert,

Brauch e Maitrank inne Plautz.

Mancher Lauks hat prebsch und kiewig

E Rapetschke inne Fupp,

Kaffee giebt nich, sondern heechstens

Plurr, Pischull und Schlorrensupp.

 

Jedes Wortche mach dich glicklich

Und ramort dir untre West,

Wie der Adebar de Poggen,

Grabsch ihm raus und halt ihm fest.

Denn ob päsern oder brisseln,

Ob Pareezke, ob Figglien,

Mit Schmelecksche, rösch und Kodder

De Gedanken heimwärts ziehn.

 

Seite 12   Kulturelle Nachrichten.

Ostpreußische Kulturpreise

Beim diesjährigen Bundestreffen der Ostpreußen wurden zum ersten Mal die von dem Bundesvorstand der LO gestifteten Kulturpreise verliehen, und zwar an den Komponisten Otto Besch (1885 in Neuhausen bei Königsberg geboren), an den Maler Karl Eulenstein (geboren 1892 in Memel) und — wie wir bereits in unserer letzten Ausgabe berichteten — an den Schriftsteller Walter von Sanden-Guja. Die Verleihung der Preise erfolgt alljährlich jeweils am Geburtstag des verstorbenen Ehrenpräsidenten der LO, Staatssekretär Ottomar Schreiber, am 1. Mai.

 

Georg Didszun gestorben.

Der ostpreußische Heimatforscher und Mundartdichter Georg Didszun fand auf dem Friedhof zu Aurich seine letzte Ruhestätte. Sein Schaffen galt vor allem der Eigenart des Dorflebens und des bäuerlichen Menschen der Rominter Heide.

 

Memelländer mit dem Bremer Kunstpreis ausgezeichnet

Der „Kunstpreis der Böttcherstraße" in Bremen wurde dieser Tage dem 1920 in Jugnaten im Memelland geborenen Maler Horst Skodlerak verliehen, der heute in Lübeck-Brodten lebt. Von 1927 bis 1939 hatte Skodlerak die Akademie in Königsberg besucht und war dann als Lehrer im Memelland tätig gewesen.

 

Prof. Nowakowski im Programm der Weltausstellung

Professor Anton Nowakowski wirkt anlässlich der Brüsseler Weltausstellung im Rahmen des Internationalen Orgelkonzerts in Genf am 10. Juli und beim Musikfestival in Tongers am 15. Juli als Solist an der Orgel mit.

 

Dr. Reichenberger erhielt eine österreichische Auszeichnung

Am 31. Mai wurde Pfarrer Dr. Emanuel J. Reichenberger das ihm vom österreichischen Bundespräsidenten Dr. Schärf verliehene Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich durch Innenminister Oskar Helmer überreicht. In einer längeren Ansprache hob der Minister die Verdienste Dr. Reichenbergers um die Vertriebenen und Flüchtlinge hervor, dankte ihm für sein Wirken, sprach aber auch den Mitgliedern des Flüchtlingsbeirates, die dem Festakt beiwohnten, sowie den privaten Hilfsorganisationen den Dank aus. Pfarrer Dr. Reichenberger erwiderte und sagte u. a., dass seine Bemühungen darauf gerichtet waren, die Menschen wieder zu Menschen zu machen. Im Übrigen erklärte er, dass die Flüchtlingsfrage mit ein Zentralproblem Europas sei, an dem sich das Schicksal des Kontinents entscheiden wird.

 

Ehrung für Werner Bergengruen

Die Philosophische Fakultät der Universität München hat dem deutsch-baltischen Dichter Werner Bergengruen die Würde eines Ehrendoktors verliehen. Bergengruen, der kürzlich aus Zürich nach Baden-Baden übergesiedelt ist, hat Jahrzehnte hindurch im Münchner Vorort Solln gelebt.

 

Schwedische Anerkennung für Direktor Dr. Gaerte

Der schwedische Gelehrte Gösta Berg schreibt über das kürzlich erschienene Buch des letzten Direktors des Prussia-Museums in Königsberg, Dr. Wilhelm Gaerte, „Volksglaube und Brauchtum Ostpreußens" in der Stockholmer Zeitschrift „Rig“: „Sämtliche der Untersuchung unterzogenen Themen sind mit großer Sachkenntnis und tiefem Scharfsinn behandelt worden, die Bräuche sind fesselnd geschildert, die Beweisführung ist mustergültig.

 

Kants Einfluss auf das amerikanische Denken.

Professor George Schrader von der Yale-Universität sprach in München über die Bedeutung der Philosophie Kants für die amerikanische Kultur. Die systematische Pflege der Philosophie habe in Amerika mit der Begründung eines Kant-Klubs im Jahre 1859 begonnen, betonte der Vortragende. Kant sei in den vergangenen hundert Jahren mehr und mehr zum Anreger von Erkenntnistheorie, Ethik und Religionsphilosophie in den Vereinigten Staaten geworden, und seine Wirkungen seien im Pragmatismus und auch in den neueren logizistischen Forschungen spürbar. Vor allem die evangelische Theologie Amerikas verdanke ihm viel. Selbst der Existentialismus, der sich heute in Amerika ausbreite, habe entscheidende Grundpositionen Kants beibehalten. Kants Freiheitsbegriff entspreche dem politischen Empfinden der Amerikaner, hob Prof. Schrader abschließend hervor.

 

Im Warschauer Kulturpalast wurde die Dritte Internationale Buchmesse eröffnet, bei der rund 30 000 Bücher aus 20 Ländern, darunter auch aus der Bundesrepublik, gezeigt werden.

 

Eine ostpreußische gemeinnützige Gesellschaft, die ein Studentenwohnheim für west- und ostpreußische Studenten errichten will, wurde unter dem Namen „Albertinum e. V.“ in Göttingen gegründet.

 

Über einen regen Schriftenaustausch mit polnischen Instituten, Bibliotheken und Archiven berichtete die Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung auf ihrer Jahreshauptversammlung in Bad Oeynhausen. Wie der Vorsitzende der Kommission, Prof. Dr. Erich Keyser (Marburg/Lahn) mitteilte, tragen diese wissenschaftlichen Wechselbeziehungen und gegenseitige Besuche zwischen westdeutschen und polnischen Historikern wesentlich dazu bei, die Grundlagenforschung über die Geschichte der zurzeit von Polen verwalteten deutschen Gebiete zu erweitern. Die historische Kommission habe auch genaue Kenntnisse über das Staatsarchiv in Danzig.

 

Seite 12   Neue Lyrik.

Allen Unkenrufen zum Trotz, dass die Lyrik tot sei, erscheinen immer wieder schmale Bände mit Versen, freilich mit wechselnder Qualität. Ein Phänomen besonderer Art ist der 1889 geborene Hans Huldreich Büttner, der jeden Sommer als fahrender Sänger mit seinen Büchern durchs Land zieht und in Vorlesungen versucht, Jugend und Alter für Verse zu gewinnen. Nach einer Reihe von Büchern seit 1922 legt der Autor nun zwei Bände vor: „Jubelnd tönt der Stundenschlag" (Wander- und Naturgedichte) und „Von Gott, der Welt und den Menschen" (Gedankenlyrik). In einfacher volkstümlicher, aber sauberer und klarer Sprache sagt hier ein Mensch vom Menschsein aus: „Das Wort ist leer und ohne Sinn, wenn ich im Wort nicht selber bin“.

— Ebenfalls zu einer Reihe bereits vorliegender Lyrik-Bände gesellt nunmehr der Schlesier Bolko von Richthofen sein Gedichtbändchen „Dank an Bayern" mit einem Vorwort von Dr. Joseph Huber. Diese Verse sind ein schöner Beweis dafür, wie stark sich die ostdeutschen Autoren von ihrer neuen landschaftlichen Umgebung formen und inspirieren ließen.

— Um modernere und eigenwilligere Formen handelt es sich allerdings bei dem 1933 geborenen Horst Bingel, der mit seinen kurzen, zuweilen skurilen Versen beweist, dass modern nicht gleich unverständlich zu sein braucht. „Kleiner Napoleon" heißt der schmale Band, dessen Titelzeichnung von Reinhold Ewald stammt. Horst Bingel, Redakteur der originellen „Streit-Zeitschrift" ist eine der Hoffnungen jüngerer Lyrik. Sein „Spruch" ist beispielgebend für gedrängte Kürze, hintergründige Aussagekraft und ehrliche Form: „Was man nicht ernst meint, kann man durchs Telefon sagen. Ich liebe dich — ist ein Telegramm“. J. H.

 

Hans Huldreich Büttner: Jubelnd tönt der Stundenschlag. Gedichte. Ln. m. Cellophanumschlag, 94 S., DM 4.--. Derselbe: Von Gott, der Welt und den Menschen. Gedichte (5. erweiterte Aufl.), Ln. m. Cellophanumschlag. Beide zu beziehen durch den Autor in Nordenham (Oldb.), Hohewegstraße 4.

 

Bolko Frhr. v. Richthofen: Dank an Bayern. Gedichte. Grabski-Verlag. Herne. 70 S., kart.

Horst Bingel: Kleiner Napoleon. Gedichte. Verlag Eremiten-Presse, Stierstadt i. T. 16 S., kart.

 

Franz Taut: Kronprinzessin Cecilie. Aktueller Buchverlag, Bad Wörishofen, 336 S., Ln. DM 14,80.

Das Leben der letzten deutschen Kronprinzessin, geschildert anhand von Berichten ihr besonders nahestehender Menschen. Das Buch lässt zugleich vierzig Jahre deutscher Geschichte vor den Augen des Lesers abrollen, einsetzend kurz nach der Jahrhundertwende, über zwei Weltkriege hinweg bis in unsere Tage hineingreifend. Viele Schicksale sind mit dem der Kronprinzessin verknüpft. Sie selbst als Mittelpunkt der Handlung hinterlässt viele Sympathien im Herzen des Lesers. vT.

 

Seite 13   Erster Landesrat Dr. Bezzenberger 70 Jahre.

Am 26. Juli 1958 begeht der heute in Karlsruhe lebende ehemalige Erste Landesrat Dr. Bezzenberger seinen 70. Geburtstag. Er ist, vielen Ostpreußen als der Stellvertreter des Landeshauptmanns der Provinz Ostpreußen und als stellvertretender Vorsitzender der Landesversicherungsanstalt Ostpreußen, in guter Erinnerung. Auch wenn es nicht seinem Charakter entsprach nach außen hin in Erscheinung zu treten, so wissen doch alle, die mit ihm zusammengearbeitet haben, wie ruhig und überlegt er in wechselnden Zeiten stets mit gleichem Fleiß, gleicher Umsicht und unermüdlicher Arbeitskraft für den ordnungsmäßigen Ablauf der ihm anvertrauten Verwaltungen Sorge trug.

 

Dr. Reinhart Bezzenberger wurde als Sohn des als Sprach- und Vorgeschichtsforscher und durch seine Heimatforschungen weithin bekannten Universitätsprofessors Dr. Adalbert Bezzenberger in Cranz geboren, studierte in Königsberg, wo er in der Burschenschaft Germania aktiv war, diente sein Jahr bei den Insterburger Ulanen und machte den ersten Weltkrieg als Soldat bis zuletzt mit. Nach bestandenem Assessor-Examen trat er zur Preußischen Provinzialverwaltung über, bei der er 1921 als Landesrat übernommen worden ist. Dr. Bezzenberger hatte bereits in fast sämtlichen Dezernaten der Provinzialverwaltung und Landesversicherungsanstalt gearbeitet, als er 1929 zum Ersten Landesrat gewählt wurde und damit als Vertreter des Landeshauptmanns sämtliche Fäden der weitverzweigten ostpreußischen Provinzialverwaltung in der Hand hatte, in welcher kulturelle, wirtschaftliche und soziale Aufgaben bearbeitet wurden, die über den Bereich der einzelnen Städte und Landkreise hinausgingen.

 

Darüber hinaus ist Dr. Bezzenberger als Geschäftsführer des Königsberger Universitätsbundes und des Vereins zur Erhaltung der Marienburg besonders hervorgetreten. Es ist ihm gelungen, für die Albertus-Universität in Königsberg zahlreiche Freunde zu werben und mit Hilfe seiner weitreichenden Beziehungen in Westdeutschland, besonders auch in den Kreisen der Industrie, Interesse für den Ausbau der Universität Königsberg zu erwecken.

 

Auch im zweiten Weltkrieg war Dr. Bezzenberger wiederum Soldat; 1945 geriet er bei der Verteidigung von Königsberg in russische Gefangenschaft, aus der er erst nach langen schweren Jahren zurückkam, um dann als Richter und Leiter am Oberversicherungsamt Karlsruhe seine Arbeitskraft wieder der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Dr. Bezzenberger ist auch Mitglied des Kuratoriums der „Gemeinnützigen Gesellschaft Albertinum e. V." in Göttingen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in Göttingen zur Erinnerung an die Albert-Universität für ostdeutsche Studenten ein Wohnheim zu errichten, das gleichzeitig ein Zentrum für die Pflege und Bewahrung des geistigen Erbes dieser verlorengegangenen Hochschule werden soll.

 

An seinem 70. Geburtstag denken zahlreiche Ostpreußen, vor allem die Angehörigen seiner ehemaligen Verwaltungen und Vereine, mit Dankbarkeit seiner Tätigkeit. Er wusste auch in der schwierigsten Lage stets einen guten und ausgeglichenen Rat und war besonders den jüngeren Beamten und Angestellten stets ein Vorbild getreuer Pflichterfüllung und warmherziger Hilfsbereitschaft. Wir wünschen dem Jubilar noch viele glückliche Jahre im Kreise seiner Familie.

 

Seite 13   Das ganze Deutschland soll es sein!

Unter diesem Geleitwort veranstaltet der Verband der ostdeutschen Chöre im Reg.-Bezirk Detmold, Sitz Lage/Lippe, seit seinem Bestehen (1951) seine Chortreffen. In diesem Jahr trafen sich die dem Verband angeschlossenen Chöre auf dem „Rütli" bei Bielefeld. Vertreter verschiedener interessierter Behörden und Verbände waren erschienen. Regierungspräsident Dr. Galle, der schon einige Male die Schirmherrschaft über die Chortreffen übernommen hatte, war persönlich anwesend und bestätigte dadurch das Interesse an der Arbeit des Verbandes. Dieser will nicht nur das ostdeutsche Liedgut pflegen und erhalten, sondern auch die Verbundenheit aller Singenden — ob aus Ost oder West — anstreben. In den Chören singen neben ostdeutschen auch viele Sänger und Sängerinnen, die ihre Heimat im westlichen Deutschland haben. Auch die Einschaltung westlicher Gastchöre bekundete diese Verbundenheit. Das nächste Treffen soll  voraussichtlich im Jahre 1960 stattfinden.

 

Seite 13   Wir gratulieren!

Zur Goldenen Hochzeit

Eheleute Erich Brilling und Margarete Brilling, aus Groß-Peterwitz, Kreis Rosenberg (Westpr.), am 3. Juni 1958 in Immensen, Kreis Burgdorf.

 

Eheleute Gustav Falk und Auguste Falk, aus Ostpreußen am 21. Juni 1958 in Syke. Hohe Straße 24.

 

Eheleute Otto Leschinski und Mathilde Leschinski, aus Deutsch-Eylau am 12. Juni 1958 in Seboldshausen bei Gandersheim.

 

Eheleute August Stanko und Marie Stanko, aus Treuburg am 19. Juni 1958 in Bad Zwischenahn. Am Brink.

 

Zum 80. Geburtstag Baumeister

Johannes Thiessen, aus Elbing, Dampfsägewerk und Bautischlerei, am 19. Juni 1958 in Siedenburg, Kreis Diepholz. Der Jubilar war 1930 maßgeblich an der Errichtung der Pädagogischen Akademie in Elbing beteiligt, wurde im gleichen Jahre Vorsitzender der Handwerkskammer Elbing und 1933 Obermeister der Bauinnung. Nach der Vertreibung widmete er sich tatkräftig der Vertriebenenarbeit und gehörte bis 1956 dem Gemeinderat an.

 

Marie Valentin, aus Bladiau, Kreis Heiligenbeil, am 24. Juni 1958 in Wimmer, Kreis Wittlage.

 

Landwirt Albert Grusdas, aus Rehfeld bei Insterburg am 26. Juni 1958 in Osnabrück.

 

Seite 13   Juli-Geburtstagskinder in Flensburg

Wanda Zorn, aus Rauschen bei Königsberg am 12. Juli 1958, 80 Jahre, wohnhaft Angelburger Str. 71 (Hinterhaus);

 

Alma Marquardt, aus Angerapp, Kreis Darkehmen, am 15. Juli 1958, 70 Jahre, wohnhaft Angelsunder Weg 4;

 

Marta Fieber, aus Königsberg am 19. Juli 1958, 87 Jahre, wohnhaft DRK-Heim;

 

Berta Blumenthal, aus Lichtenfeld, Kreis Heiligenbeil, am 21. Juli 1958, 84 Jahre, wohnhaft Brixstraße 5;

 

Friederike Ringlau, aus Schloßberg am 21. Juli 1958, 75 Jahre, wohnhaft Peter-Christian-Hansen-Weg 8;

 

August Freitag, aus Neugarschen bei Heilsberg am 30. Juli 1958, 75 Jahre, wohnhaft Klosterholzweg 23.

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit!

 

Rest der Seite 13 Buchvorschläge.

 

Seite 14   Emil Merker. Die Sommer der Kindheit.

Sie waren alle verzaubert. Es begann mit dem Barfußlaufen. Tagelang lagen wir der Mutter deswegen in den Ohren: der Boden sei schon so warm... Wenn wir dann, als sie es schließlich erlaubt hatte, zum ersten Mal wieder mit nackten Sohlen Sand und Rasen abtasteten, in dem vom Gewitterregen warmen Schlamm stapften, dann war es eine mystische Verbrüderung mit der Erde. Eltern, wenn ihr euren Kindern einen Sommer lang verwehrt, barfuß zu gehen, bringt ihr sie, so liebreich eure Fürsorge sonst sein mag, um Unersetzliches.

 

Dem Barfußgehen folgte bald das Baden. Immer war es aufregend. Trotteten wir, die Badehose schwenkend, den schmalen Wiesenpfad zwischen Gras und Blumen, die über unseren Köpfen zusammenschlugen, zum Wehr, blitzte aus dem lichterdurchsprenkelten Dämmer überhängender Weiden der Wasserspiegel auf, dann zog sich uns in erwartungsvollem Glück das Herz zusammen. Die flutende Kühle griff uns nach dem Atem, als wir Schritt für Schritt tiefer hineingingen, und wir netzten, eingedenk der Mahnung der Mutter, andächtig Stirn und Mund und Brust im Kreuzzeichen. Hatten wir uns aber schließlich ein Herz gefasst und getaucht, dann wurde es eitel Jubel und Lärmen und Lachen und trunkenes Randalieren. Ein Besonderes war es, über die glitschigen Bohlen des Wehres hinabzuklettern, die bauchige, blaugrüngläserne Wand des Wassersturzes zu durchdringen und ein Weilchen in dem schaurigen Dämmer zu kauern, die Ohren erfüllt von dem Getöse. War das Barfußgehen Verbrüderung mit der Erde, das Baden war eine doch dunklere Verschwisterung mit dem Wasser.

 

Folgte das Anziehen. Ohne vorheriges Abtrocknen, denn das Trocken- und Warmwerden unter den Kleidern, wir hatten nur Hemd und Hosen, war eine eigene Lust. Ich weiß nicht, schenkt unser erwachsener Leib auch heute noch so viel unschuldiges Glück wie damals in Kindertagen?

 

Lange müsste man erzählen vom Geheimnis der Kinderspiele. Da ist schon ihr durch ein ungeschriebenes Gesetz diktierter Ablauf im Reigen der Jahreszeiten, vom Murmelspiel an der eben erst trocken gewordenen Erde bis zum Drachensteigenlassen über den abgeernteten Feldern. Da ist ihr besonderes Erglühen in den Abendstunden, wenn die Schatten sinken. Die Erwachsenen saßen dann vorm Haus auf dem Stein oder auf der nackten, sommerwarmen Erde und schwatzten von den Ereignissen des Tages, von geschaffter oder noch zu schaffender Arbeit, von Geburts- und Todesfall, vom Wetter. Schwalben schossen dicht über den Boden hin, Wetterleuchten zuckte am Horizont, mitunter grollte fern ein Donner. Uns Kinder aber packte es nur umso toller. War der Ball noch Ball? War er nicht vielmehr hinterhältig-tückischer Gnom, der eben noch durch die letzte Helligkeit des Himmels geflogen war, nun aber im Unkraut des Straßengrabens sich so hämisch verbarg, dass kein Auge ihn entdeckte? Die Mädchen spielten ‚Stemmeisen', wobei je zwei, sich an den Händen fassend, die Fußspitzen gegeneinander gestemmt, mit mänadisch zurückgerissenem Kopf wie ein Kreisel um sich selber wirbelten, schnell und immer schneller, bis sie schwindelig und atemlos und lachend an die Erde sanken. In den Buben aber entzündete sich Rauflust. Im Spaß begannen sie; die immer heißer ineinander verknäulten Leiber aber dulden keinen Spaß und ruhen nicht eher, bis die Ringer sich an der Erde wälzen; der mütterlich dunklen Erde, an der hier eine graue Kröte hockt, über die es dort unbestimmt schattenhaft hinweghuscht, ein Wiesel, ein wildes Kaninchen, ein Igel; oder nur eine streunende Katze? Dann hallt vom Turm das Abendläuten und die Mutter mahnt ins Haus.

 

Den Höhepunkt erreichte der Sommer, wenn im tauglitzernden Morgen die Männer zur Mahd auszogen und im sinkenden Tag verschwitzt und braungebrannt heimkehrten und der Widerschein des Abendrots von ihren Sensen troff wie Blut. Sie kamen mir vor wie Henkersknechte, wie Scharfrichter, und oft, wenn ich ihnen beim Mähen zusah, packte es mich wie ein Rausch und ich kam singend und randalierend heim. Und meine Schwester, vermeinend, es habe mich der Sonnenstich getroffen, holte schnell eine Gießkanne Wasser und überbrauste mich, um mich wieder zur Vernunft zu bringen.

 

Später, im Gymnasium, hörte ich von Pan und der Erdmutter Demeter. Der Professor gab Erklärungen. Ich schwieg dazu. Was er zu berichten wusste, hatte ich längst, nur in Worten unsagbar, an mir erfahren.

 

Seite 14   Sonnenblumen / Eine Skizze von Margareta Pschorn.

Ich habe Sonnenblumen gesät und warte sehnsüchtig auf ihr Ersprießen. Es wird eine glückliche Zeit sein, wenn sie ihre flammenden Strahlenkronen aus großen, grünen Blattherzen hervor über das vergitterte Maschennetz neigen.

 

Sonnenblumen! Wieviel Licht und Wärme entströmt diesem Wort. Ich begegnete ihnen zum ersten Mal im großmütterlichen Garten. Wie die guten Schutzgeister jenes umhegten Erdenstückchens, das so viel Kindheitsglück umschloss, hoben sie sich säulenhoch über Rosenbüsche, Tränende Herzen, Goldregen, Kraut- und Salatköpfe und die vielen kunterbunten Dinge, die einen Dorfgarten füllen.

 

Ich entsinne mich, ich maß meine Größe an ihnen, und da sie sogar über meinen hochgewachsenen Vater noch erhaben hinwegsahen, konnte ich nie anders als sehr demütig zu ihnen aufschauen. Wenn uns die Abendglocke ins Haus mahnte, galt mein letzter Blick Sonnenblumen längs des Zaunes. Sie schienen mir dazu bestimmt, die Hüterinnen des Gartens zu sein, wenn die Nacht sich herabsenkte. Was konnte ihm Böses geschehen unter dem Schutz dieser stillen Nächte? Sogar in meinen Träumen tauchten sie manchmal steil empor. Dann flammten ihre Sonnenkronen noch leuchtender als sonst, und über ihnen standen blass die Sterne des Nachthimmels.

 

Später, als der Sommer sich seiner Höhe näherte und die Samenkerne reiften, kamen mitunter Vögel und pickten Ölkerne aus den Blütenböden, dass die hohen Stengel schwankten. So oft ich das sah, empfand ich Schmerz um die königliche Blume. Großmutter aber war es, die alle meine Bedenken wieder zerstreute.

 

In der Schule erfuhren wir allerlei Gelehrtes und Bedeutsames über die Sonnenblume: dass sie über das große Wasser, aus Amerika, zu uns gekommen sei, dass die Sonnenrose oder lateinisch Helianthus Annuss genannt wurde, dass sie der Familie der Korbblütler angehöre und einen Wurzelstock mit reichem Wurzelgeflecht habe. Es wurde auf die sinnvolle Anordnung der Blätter aufmerksam gemacht, die Regenableiter und Windschutz zugleich sind.

 

Wir hörten interessiert zu, dass besonders in Südrussland und Bulgarien ganze Felder, ja riesige Flächen mit Sonnenblumen bebaut werden, diene sie doch in diesen Ländern als Nutzpflanze; Samen und Ölkuchen bilden ein gutes Geflügelmastfutter. Aus den Samenkernen wird feines Speiseöl gewonnen. Auch bei der Herstellung duftender Seifen spielt Sonnenblumenöl eine große Rolle.

 

Aus ihrer umfangreichen, 55 Arten zählenden Verwandtschaft erfuhren wir insbesondere noch über die Helianthus tuberosus, auch Erdschocke oder Topinambur genannt, dass sie an ihren unterirdischen Ausläufern Knollengewächse trage, die als Viehfutter dienen, und dass Helianthus macropryllus hingegen, die reichen Knollenertrag habe, wegen des Insulingehaltes (statt Zucker) ein gutes Wintergemüse für Diabetiker sei.

 

Die große Nützlichkeit also, verbunden mit so viel anmutiger Schönheit dieser Blume, ließ uns schon als Kind das unendliche Wunder des Schöpfungswerkes innewerden. Unvergänglich aber bleibt der paradiesische Zauber, der uns aus den goldenen Sonnenrädern der Gartenzäune entgegenlächelt.

 

Seite 14   Adalbert Stifter. Denke nicht schlecht von den Espen!

Meine Großmutter — als ich noch ein kleiner Knabe war — erzählte mir, dass, als noch der Herr auf Erden wandelte, sich alle Bäume vor ihm neigten, nur die Espe nicht. Darum wurde sie bestraft mit ewiger Unruhe, dass sie bei jedem Windhauch erschrickt und zittert wie jener Ewige Jude, der nie rasten kann, so dass die Enkel und Urenkel jenes übermütigen Baumes in alle Welt gestreut sind — ein zaghaft Geschlecht, ewig bebend und flüsternd in der ewigen Ruhe und Einsamkeit der Wälder.

 

Darum schaute ich als Knabe jenen gestraften Baum immer mit einer Art Scheu an, und seine ewige Unruhe war mir wie Pein. Aber einmal, vor einem Gewitter, sah ich (ich war schon ein erwachsener Mann) einen ungemein großen Baum dieser Art auf einer sonnigen Waldblöße stehen, und alle seine Blätter standen stille. Sie waren so ruhig, so grauenhaft unbeweglich, als wären sie in die Luft eingemauert und sie selber zu festem Glase erstarrt.

 

Es war auch im ganzen Wald kein Lüftchen zu spüren und keine Vogelstimme zu hören, nur das Gesumme der Waldfliegen ging um die sonnenheißen Baumstämme herum. Da sah ich denn verwundert den Baum an, und wie er mir seine glatten Blätter wie Herzen entgegenstreckte und auf den dünnen, langen und schwankenden Stielen, so kam mir ein anderer Gedanke.

 

Wenn alle Bäume, dacht ich, sich vor dem Herrn geneigt haben, so tat es gewiss auch dieser und seine Brüder; denn alle sind seine Geschöpfe, und in den Gewächsen der Erde ist kein Trotz und Laster, wie in den Menschen, sondern sie folgen einfältig den Gesetzen des Herrn und gedeihen nach ihnen zu Blüte und Frucht.

 

Darum ist nicht Strafe und Lohn für sie, sondern sie sind von ihm alle geliebt, und das Zittern der Espe kommt gewiss nur von den gar langen und feinen Stielen, auf die sie ihre Blätter wie Täfelchen stellt, dass sie jeder Hauch lüftet und wendet, worauf sie ausweichen und sich drehen, um die alte Stellung wiederum zu gewinnen.

 

Und so ist es auch; denn oft habe ich nachher noch ganz ruhige Espen an windstillen Tagen angetroffen und darum an anderen, wo sie zitterten, ihrem Gepluder mit Vorliebe zugehört, weil ich es gutzumachen hatte, dass ich einstens zu schlecht von ihnen gedacht.

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (59)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Vor drei Wochen zeigd mir unser Hauswirt Hermann Bauerochse einem Brief. Dem hädd er von oberwärts gekriegt, aus Elberfeld, von entfernte Verwandte. Wie es nu wirklich mit die Verwandtschaft is, hab ich nich genau rausgekriegt. Er hat es mir ungefähr so erklärt: Der wo dem Brief geschrieben hat, heiß Käse und is e kleines Wirtschaftswunder, denn er hat einem Molkereibetrieb mit fimf Filjalen. Sein Vater heiß auch Käse und is der Bruder vonnem Bauerochse seinem Schwager. Der heiß auch Käse — es is e reine Käserei! — und is mit eine Schwester vom Bauerochse verheirat. Ungefähr so war es, und wie er mir das auseinanderverposamentiert, stand ich da, bis mir zuletzt all im Kopp und untres Schemisett ganz käsig wurd.

 

Aber es kam noch doller. Der Herr Käse is auch verheiratet. Seine Frau heiß Agathe, is e geborene Kimmel und stammt aus eine Distille. Erst wolld se ihm gar nich nehmen, weil ihr der Name Käse nich gefiel. Deshalb solld er ihm ändern lassen. „Denn hechstens franzeesisch", meind er, „also Frommaasch“. Da lagt se bloß: „Pfui, das is ja noch schlimmer“. Zuletzt wurden se sich einig auf Kammambär, aber das ging nich durch. Wegen die fimf Filjalen hat se sich denn doch mit dem Namen abgefunden, und nu heiß se Frau Agathe Käse. Weil se aber gut durchem Winter gekommen und scheen wabblig is, nennt ihr de Kundschaft Vollfettkäse. Aber das is noch nich alles. Inzwischen haben se zwei Kinder gekriegt, einem Jung und eine Mergell. Das sind nu natierlich die Kimmel-Käs'chen. Der Jung is sechs, die Mergel vier. Das hat der Bauerochse mir alles genau erzählt.

 

Und nu wollden se ihm besuchen kommen, vorvorgtes Jahr waren se in Italien, vergangenes Jahr in Spanien, und dies Jahr brauchden se nu ländliche Stille und dörflichen Frieden, schrieb der Schwagers-Bruder-Sohn Käse aus seine Molkerei mit die fimf Filjalen. Und de Agathe, geborene Kimmel, schrieb noch zu: „Ich denke es mir herrlich, mit dem Hahnenschrei aufzustehen, kuhwarme Milch zu trinken und durch die taufrischen Wiesen zu wandern“. Das hat se bestimmt irgendwo aus einem Roman abgeschrieben oder im Heimatfilm gesehen. Der Bauerochse kratzd sich dem Kopp, denn er wussd nich, was er machen solld. Wo solld er se schlafen lassen? Wer solld fier die Käse-Famielje Essen kochen? Mit die kuhwarme Milch mechd ja all gehen, aber wo solld er dem Hahn herkriegen? Und wenn der Krät denn nich kräht? Nu stinkt er außerdem vor Geiz aus sämtliche Knopflöcher. Aber er meind ja, se werden sich rewangschieren. Se sind sehr wohlhabend, sagd er, und deshalb kann er es ihnen nich abschlagen. Wenn es arme, plätrige Flichtlinge gewesen wären, hädd er dem Brief bestimmt gar nich beantwort. Die hädden lauern können, bis se schwarz waren.

 

Zuletzt wolld er noch wissen, wie ich dadrieber denken tu. Ich hab ihm natierlich zugeredt wie e krankem Kind, wenn es Millezien schlucken muss. Solld er doch emal seine Dittchens rausricken, die setzen ja mitte Zeit Grienspan an. Das hab ich natierlich nich gesagt, sondern mir bloß im Stillens gedacht. Und fier uns kam e bissche Leben innes Haus. Das is so wichtig, wissen Se, dass einer mal e bissche Abwechslung hat, sonst verkommt einer ja rein. Also huckd der Bauerochse sich hin und tauchd dem Federhalter an dem Herrn Käse ein: „Ihr seid mir jederzeit herzlich willkommen. Freundliche Grüße Eeuer Onkel Hermann“. Das war zwar nicht wahr, aber wie oft schreiben andere Leite das auch, obwohl se dem Loschierbesuch am liebsten beim Deiwel aufe Rinn winschen. Und denn gings los mit die Vorbereitungen. Dem Bauerochse seine Schlafstub wurd aufgekraasselt, ausgereimt und frisch geweisst. Er hädd sich damit abgefunden, dass er aufe Lucht in das entzweine Harmonikabett schlafen missd, wo einer sich aus eins klemmt, wenn einer sich umdreht. Fieres Wirtschaften und Kochen nahm er sich de Frau Kuprat, weil se mal innes Hotel beschäftigt gewesen war, sagd er. Er wussd aber nich, dass se entweder bloß de Garderobe oder das Klosett unter sich gehabt hadd. De kuhwarme Milch solld der Nachbar Gropengießer liefern, und de taufrischen Wiesen der liebe Gottche. Dem Hahn borgd er sich aus und iebt mit ihm virzehn Tage krähen. Zuletzt kam noch.e buntes Schildche iebre Tier mit die Inschrift: „Herzlich willkommen!"

 

Nu war alles parat, und es dauerd auch nich lang, da kam die Käse-Famielje mit e großem schwarzem Auto angerauscht. Er ganz zusammengeschorrt vonnes Geldverdienen, sie mit plautzige Backen und Fettaugen. Der Onkel Hermann begrießt und neetigd ihnen inne Stub rein. De Emma nahm de Kimmel-Käs'chen anne Hand, und ich immer einem Koffer nachem andern aufem Puckel. Dadrum hadd der Bauerochse uns heeflich gebeten. Wahrscheinlich wolld er die vornehme Verwandtschaft mit seine Bedienung importieren. „Imponieren", sagt de Emma. Mir is egal, irgendwas wolld er jedenfalls. De Kupratsche stand erst da wie e Glumsfladen, dem wo einer de Rosinen rausgepolkt hat. Denn rucksd se mit Gewalt ihr rundes Gesicht zurecht und lächeld freindlich, dass se aussah wie e Sonnenblum. Dabei strich se sich aus eins de Schirz glatt, wo aber ieberhaupt nich verkrunzelt war, denn se hädd ihr ganz frisch geplätt. Zur Feier des Tages hädd der Bauerochse einem von seine alte Hiehner de Gurgel umgedreht. Das bestand bloß aus Haut und Knochen und reichd nich fier aller. Deshalb gab hinterher gleich Kaffee und Topfkuchen. Er war e bissche klietschig geraten, aber Hunger treibt ein, und e geschenktem Barsch kickt einer nich innes Maul. Abends gab noch belegtes Brot und labbrigem Tee. Denn gingen aller inne Hotz.

 

Am andern Morgen gab es allerhand Ieberraschungen. Der Bauerochse war all um drei aufe Beine und tat dem Hahn gut zureden, dass er krähen solld. Er fing ihm ein und kitzeld ihm mittem Strohhalm inne Gurgel. Davon missd er husten, aber er krähd nich. De ländliche Stille kam so um sieben rum, wie de Bauern mit ihre Treckers vorbeirumpelden. Da wurd de ganze Käse-Famielje von wach. Aber denn schliefen se wieder ein, bis sich so gegen acht Uhr der dörfliche Friede einstelld, indem dass de Milchkannen mit viel Schkandahl aufe Wagen raufgestellt wurden. Das bumsd so doll, dass der Herr Käse hochsprang und mittem Dassel gegne Deck bauzd, weil indem dass das Stubche man sehr niedrig is. Dabei trug er eine Brusch davon, wo nu seinem Vorderkopp verzieren tut. De Vollfett-Agathe verschrak sich auch ganz doll und war bald außes Bett rausgeplumpst. Zum Höhenflug hadd se zu viel Gewicht das schaffd se nich. Und wie die kleine Kimmel-Käs'chen nu noch losbrillden, war das frohe Erwachen komplett. Das hängt nämlich beim Bauerochse iebres Bett: „Froh erwache jedem Morgen“. „Jeden Morgen", meint der Herr Wirtschaftswunder-Käse, das kann ja gut werden“. Und es wurd auch gut. Denn wie er iebrem Hof aufes Abe ging, fand er auf seine Kiehlerhaub de Inschrift „Herzlich willkommen". Das hadd e Jung außes Dorf mit e spitzem Nagel in dem scheenen schwarzen Lack reingekratzt. Aber da kam de Elfriede, so heiß das weibliche Kimmel-Käs'che, ihm mittem ganzen Arm voll Blumen treesten. Dem ganzen Garten häd se abgerissen und lachd freehlich: „Sieh mal, Pappi was ich gefunden hab!" Natierlich war se nu ganz erstaunt, dass se Pems kriegd. Der Erwin, das männliche Kimmel-Käs'che, wurd inzwischen hintre Schein vom Onkel Hermann versohlt. Der hädd sich nämlich de Katz gegriffen — die mit dem einen Ohr, das andre hädd ihr ja unser Pängsjohnshund Poseidon abgerissen — und ihr an die kuhwarme Milch rangezoddert, wo der Bauerochse mit viel Miehe zum Friehstick besorgt hädd. Er packd ihr im Genick und stuppsd ihr mitte Schnauz rein, weil se von allein nich fressen wolld. Und wie das auch nuscht half, stoppd er ihr inne Kann rein und wolld ihr versaufen, und in dem Momang kam der Onkel Hermann umme Eck. Nu gab bloß Zichorjenkaffee, denn der Bauerochse fiehrt e gesundem Lebenswandel und is außerdem geizig, wie se wissen.

 

Von all die erhoffte ländliche Freiden blieb nu bloß noch das Wandern durche taufrische Wiesen iebrig. Aber es war zu viel Tau, denn es hädd inne Nacht aasig gegossen. Außerdem braschd der Gropengießer ihnen an, se soll den gefälligst aufem Weg gehen und nich das scheene Gras zertrampeln. Traurig und niedergeschlagen saß de ganze Käse-Famielje mittags am Tisch, und de Kupratsche war ganz verzweifelt, weil der Rinderschmorbraten angesängt war. Das ganze Haus stank bis aufe Straß. Bloß der Bauerochse war zufrieden, denn er kam nachmittags bei uns rein und sagd, und einer spierd orndlich, wie ihm e ausgewachsener Schossehstein von die Seele kullerd: „Nu hat der Ärger bald ein Ende. Übermorgen wollen sie abfahren“.

 

Und nu sind se wieder weg, am Bodensee, wo se Kahnche fahren und angeln können, sagden se. Und se werden dem Onkel Hermann in freindliche Erinnerung behalten, sagden se auch.

Viele herzliche Grieße von Ihrem alten Landbriefträger z. A. Ernst Trostmann

 

Seite 14   Von Goethe.

Und wenn mich am Tag die Ferne

blauer Berge sehnlich zieht,

nachts das Übermaß der Sterne

prächtig mir zu Häupten glüht —

alle Tage, alle Nächte

rühm ich so des Menschen Los:

Denkt er ewig sich ins Rechte,

ist er ewig schön und groß.

 

Seite 15   Wiedersehensfeier nach 25 Jahren. Treffen des Abiturientenjahrgangs 1933 an der Vorstädtischen Oberrealschule. Mit Foto.

Wiedersehen nach 25 Jahren! Was mag wohl aus den Klassenkameraden geworden sein? Wird man sich noch wiedererkennen? Werden die Männer einander fremd sein, die einst durch gemeinsames Erleben zu einer Gemeinschaft geworden waren, die manche harte oder bangende Stunde zusammen erlebt, so manchen Jungenstreich ausgeheckt und durchgeführt haben. Und nun steht man einander gegenüber, hat bisweilen Mühe wiederzuerkennen und findet doch so bald zueinander, bisweilen sogar in Augenblicken. Ganz der Alte, heißt es dann. In den einzelnen Gesichtern der Männer finden sich die Züge der Jugend.

 

Alle waren im letzten Jahrzehnt hineingewachsen in ihre neue Umgebung, hatten Bekannte und Freunde gefunden und hatten doch das Gefühl, dass ihnen mit dieser Zusammenkunft unersetzliches gegeben werde, nicht nur Wiederanknüpfung von Jugendfreundschaften, sondern so etwas wie Wiederverwurzelung mit dem heimatlichen Boden, der zusammen mit seinen Menschen sie alle in der Hauptsache geformt hat.

 

Erleichtert wurde das Zusammenfinden durch die Atmosphäre des privaten Rahmens, denn das Treffen fand am Hause Günther Fleischmanns statt, auf dessen Initiative die Veranstaltung zurückgeht.

 

Wie wichtig, dass man gerade jene Erzieher getroffen, die damals die Schüler zu so einer nachhaltigen Gemeinschaft werden ließen. Nicht weniger eindrucksvoll war daher diese Zusammenkunft gerade für diese beiden Lehrer, den Ordinarius, Studienrat Uffhausen, und den Vertreter der Geschichte und Erdkunde, Studienrat Dr. Saborowski. Durften sie doch aus den Gesprächen die Überzeugung mitnehmen, zur Formung dieser Menschen, die sich im Leben bewährt haben, beigetragen zu haben. Denn wieviel Enttäuschung und Kummer bereitet doch oft pädagogische Arbeit, umso wichtiger, dass es auch wieder Augenblicke gibt, die ihre Bedeutung zum Ausdruck und damit den Mut zu stets neuem Einsatz beleben. Man nahm die Überzeugung mit, dass die heute — gerade höheren Orts — vertretene Auffassung, die höhere Schule diene fast ausschließlich der Entwicklung des Intellekts und biete kaum erzieherische Möglichkeiten, abwegig ist. So wurde es in den Gesprächen deutlich, welchen Einfluss auf die Entwicklung des Einzelnen die väterliche Güte des Ordinarius gehabt hat, der den Schülern damals immer ein väterlicher Freund sein wollte und es auch war. Andererseits wurde aber auch der straffe, stark staatsbürgerkundlich durchsetzte Geschichtsunterricht als nachhaltig formend empfunden, obwohl oder vielleicht gerade weil die Anforderungen bisweilen als sehr hoch erschienen; denn er betonte stets die Forderung nach Objektivität und Toleranz. Diese Dinge wirkten sich — so wurde gesagt — auch heute im beruflichen wie privaten Leben der Menschen aus und hätten auch viel zu jenem Gemeinschaftsgefühl beigetragen, ohne dass dieses Treffen nach 25 Jahren kaum möglich gewesen wäre.

 

Foto: Nach 25 Jahren feierten in Isernhagen bei Hannover die Abiturienten des Jahres 1933 der Vorstädtischen Oberrealschule Königsberg ein freudiges Wiedersehen. Das Foto zeigt stehend von links nach rechts: Horst Kutschke (Krempe/Holst., Süderstr. 10), Willi Illas (Heide/Holst., Schölermannstr. 1), Walter Wisniewski (Köln, Gutenbergstr. 11), Fritz Schulz (Bremen, Hamburger Str. 258), Dr. med. Horst Kristeit (Ronnenberg b. Hannover, Staßfurter Str. 5), Günther Fleischmann (Isernhagen NB-Süd, Am Fasanenbusch 38), Günther Goldbaum (Dinslaken, Schloßstr. 87) und sitzend von links n. rechts: der ehem. Lehrer in Geschichte und Erdkunde, Stud.-Rat Dr. Saborowski (Diesbrock 146 bei Herford), der ehem. Ordinarius Stud.-Rat Uffhausen (Ratzeburg, Ziethenstraße 27b), Horst Sahm (Hannover, Omptedastraße 22), Georg Eicke (Hannover, Altenbekener Damm 61), Dr. med. Bruno Rapecki (Alt-Duvenstedt b. Rendsburg) und Alfred Nakath (Hannover, Striehlstraße 7).

 

Seite 15   Stelldichein der Prinz-Albrecht-Dragoner in Minden.

Zwei Gefühle bewegten die Alten Herren – viele von ihnen waren schon über 70, ja sogar 86 Jahre – hatten die weite Reise nicht gescheut, um am 5. Wiedersehenstreffen des Bundes ehemaliger Prinz-Albrecht-Dragoner in Minden teilzunehmen.

 

In ihrem Namen dankte Vorsitzender Bruno Masurath dem Kameraden Amtmann a. D Peterat für die Vorbereitungen dieses Treffens bei dem er nicht nur die ehemaligen Regimentsoffiziere, Major Schulz, Major Dr. Raehs und Rittmeister a. D. Bajorat, sondern auch General Cramer als Vertreter der Stadt Minden und eine stattliche Zahl neuer Bundesmitglieder begrüßen konnte. Nach der Ehrung der verstorbenen Kameraden stellte er heraus, dass diese Wiedersehensfeier der Pflege der Kameradschaft dienen solle, die sich im aktiven Dienst entwickelte. Unter allgemeinem Beifall ernannte er den Kameraden Stabsintendant Otto Hinz, jetzt Landshut in Bayern, für seine besonderen Verdienste zum Ehrenmitglied und überreichte ihm eine Ehrenurkunde.

 

Als ältester in Minden lebender Kavallerie-Offizier entbot dann General Cramer herzliche Willkommensgrüße der alten Festungsstadt Minden, die zwar niemals eine Kavallerie-Garnison, aber doch eine Reiterstadt gewesen sei. Er erinnerte an die entscheidende Rolle, die preußische Dragoner in der Schlacht bei Minden spielten. Aus seinem Munde erfuhr man, dass das Dragoner-Regiment „Prinz Albrecht", 1717 gegründet, das Zweitälteste preußische Dragoner-Regiment war und fast 200 Jahre bestand, als es im Verband der 1. Kavallerie-Division in den ersten Weltkrieg ausrückte. Nach Auflösung der preußischen Armee im Jahre 1919 führte die 1. Eskadron des 1. Preuß. Reiter-Regiments und dann das Grenadier-Regiment, das als letztes bei Stalingrad unterging, seine Tradition weiter.

 

Im geschäftlichen Teil wurden der Vorsitzende und Geschäftsführer Masurath und sein Stellvertreter Drost einstimmig wiedergewählt. Oberst a. D. Wottrich und andere Kameraden, denen eine Teilnahme aus Gesundheitsrücksichten nicht möglich war, hatten Grüße zum Treffen der Tilsiter Prinz-Albrecht-Dragoner gesandt.

 

Frau Ella Liehr, jetzt Hamburg, überreichte ein selbstgesticktes Tisch-Banner und Kamerad Lorbach, jetzt Hannover-Hainholz, ein selbstgefertigtes Wappen. Alle diese Teile sollen bei den künftigen Treffen die Tafeln schmücken! Es sei den Stiftern hier noch einmal gedankt.

 

Der gemütliche Teil wurde ausgeschmückt durch einen Prolog, vorgetragen von Fräulein Wornemann aus Minden sowie der Mindener ostpreußischen Jugendgruppe, die mit ihren vielseitigen Darbietungen reichen Applaus und Anerkennung fanden. Aus seiner aktiven Dienstzeit gab Kamerad Eisenheim, jetzt Baerl bei Moers, einen mit Humor gewürzten Bericht, dem alle mit Freuden lauschten. Bis spät abends wurde das Wort „Weißt du noch?" immer wieder als Einleitung der Erinnerungen gebraucht.

 

Sonntag früh fanden sich noch viele Kameraden ein, um der Besichtigung des Wasserkreuzes und des Domes beizuwohnen. Am Nachmittag fuhren die Teilnehmer zum Porta-Denkmal, und der Wettergott meinte es besonders gut.

 

Das nächste Treffen findet im Juni 1959 in Hannover statt.

 

Seite 15   4. Divisionstreffen der ostpreußischen 121. Infanterie-Division.

Die „Adlerschild-Division", eine der bekanntesten und bewährten Divisionen der Heeresgruppe Nord, die sich anlässlich des fünfjährigen Bestehens ihres Traditionsverbandes am 30. und 31. August dieses Jahres in Düsseldorf trifft, wurde nach dem Frankreich-Feldzug aus der 1. und 21. Inf.-Div. gebildet. Allein drei ihrer Divisionskommandeure sind vor dem Feinde geblieben, und der Blutzoll dieser vorwiegend aus Ostpreußen, Rheinländern und Westfalen bestehenden Division war ungewöhnlich hoch. Viele der überlebenden Kameraden haben sich in dem Traditionsverband zusammengefunden, der alle zwei Jahre sein großes Treffen veranstaltet. Auch in diesem Jahr werden in Düsseldorf aus allen Teilen unseres Vaterlandes und sicher auch wieder aus dem Ausland die alten Kampfgefährten zusammenkommen, um aus der Erinnerung neue Kraft zu schöpfen. Daneben wird die so wichtige und überaus schwierige Arbeit des Vermisstensuchdienstes, der vielleicht schon mit Bildlisten vertreten sein wird, ein Hauptanliegen des Treffens sein. — Meldungen zum Divisionstreffen erbittet der Traditionsverband möglichst bald an die Anschrift: Traditionsverband der 121. Inf.-Div., Engehausen über Schwarmstedt i. H. (20a).

 

Seite 15   Turnerfamilie Ostpreußen - Danzig – Westpreußen.

Anschrift: Wilhelm Alm. Oldenburg (Oldb.), (Gotenstr. 33, Postsch.-Kto. Hannover 116 075.

Glückauf! zum neuen Lebensjahr allen im Juli 1958 geborenen Turnschwestern und Turnbrüdern! Besonders beglückwünschen wir:

 

am 09.07.1958: Lothar Nickel (Lyck), 30 Jahre;

am 02.07.1958: Konrad Heckel (Rößel), 50 Jahre;

am 05.07.1958: Kurt Doerfer (KMTV Königsberg), 50 Jahre;

am 28.07.1958: Alfred Granicky (KTC Königberg), 50 Jahre;

am 22.07.1958: Hertha Braunewell-Gabrie (KTC Königsberg), 60 Jahre;

am 29.07.1958: Gertrud Fryske-Thal-Werner (Tgm. Danzig), 60 Jahre;

am 24.07.1958: Johanna Löbel (FrTV Königsberg), 81 Jahre;

am 14.07.1958: Otto Rauschning (KMTV Königsberg), 83 Jahre;

 

Willkommen in München! Allen jetzt zur Reise nach München rüstenden Turnbrüdern und Turnschwestern rufe ich zu: Gute Reise! Fröhliches Wiedersehen! Sonnige Festtage! Am 22.07. um 20 Uhr soll uns der Bennosaal des Löwenbräukellers am Stiglmaierplatz in München zum X. Wiedersehenstreffen vereinen. Kommt recht pünktlich, damit die einleitende festliche Stunde nicht verzögert und gestört wird. Ein Münchener Streichquartett wird diese Stunde umrahmen, in der wir unserer Toten gedenken, die Treue zur Heimat bekräftigen und unsern Glauben an die Stunde der Wiedervereinigung offen bekennen wollen. Anschließend dann zwangloses Beisammensein in Freude und Fröhlichkeit bei Scherz und Tanz volkstümlich in unserer heimatlichen Art.

 

Eine Ausstellung schöner Bernstein-Arbeiten — gestaltet von Walter Bistrick, München (KMTV Königsberg) wird uns an diesem Abend die Heimat besonders nahe fühlen lassen.

 

Sonderzusammenkünfte in München. Mehrere unserer nordostdeutschen Turnvereine haben zu besonderen Vereinszusammenkünften aufgerufen. Die Termine und Lokale hierfür habe ich noch nicht sammeln können. Sie werden im Treffbuch unserer Turnerfamilie im Löwenbräukeller bekanntgegeben. Der KMTV 1842 Königsberg hat Freitag, den 25.07.1958, 20 Uhr, dafür vorgesehen. Durch das Treffbuch können auch Einzelverabredungen getroffen und Turnfreunde gesucht werden.

 

Für das Deutsche Turnfest bestimmte Ausweise — Festkarte, Quartierkarte, Turnfahrtenteilnehmerkarte, DTB-Festabzeichen usw. —, die bis zum 15.07. nicht verschickt werden können, werden in München ausgegeben. Im Hauptbahnhof ist eine Auskunftsstelle unserer Turnerfamilie in Aussicht genommen; sonst Auskünfte im Standquartier Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz oder in meinem Quartier: Lehrlings- und Jugendheim München 13, Adalbertstraße 86, Fernsprecher 37 32 95. Vom Hauptbahnhof Straßenbahnlinie 7 bis Josefsplatz.

 

Unsere Hoffnung: Das nächste Deutsche Turnfest feiern wir in einem wiedervereinigten Deutschland! Das walte Gott! Gut Heil! Onkel Wilhelm

 

Seite 15   Kameradschaft Luftgau I

Schriftführer: W. Gramsch, Celle, Waldweg 83.

Unser Suchdienst

Gesucht werden ehem. Angehörige der Flugbereitschaft des Stabes, insbesondere die Besatzungen der Stabsmaschinen Ju 52 D-AJON und D-APUU, die Majore Slawig und Bambach, Hptm. Pachnicke und Obltn. Gaewert, von Heinz Berndt, Mönchen-Gladlbach, Hardterbroicher Straße 12. Wer kann Berndt eine Bestätigung seiner damaligen Tätigkeit als Besatzungsmitglied und Berufssoldat geben, die er dringend benötigt?

 

Gesucht wird der ehem. Major der Landwehr Kurt Pohl, geb. am 5. Januar 1892, wohnhaft zuletzt in Königsberg/Pr., Hindenburgstraße 35. Sein letzter Einsatz soll im Raume von Insterburg gewesen sein. Nachrichten erbeten an Dietrich Lazarz, Duisburg, Düsseldorfer Straße 23/25.

 

Gesucht werden Dipl.-Ing. Gerhard Haak, Flak-Rgt. 1 und Kraftfahrtechnische Schule der Landwehr in Rudolstadt/Thür.; Paul Wenk, Techn. Ob.-Insp. (K) vom Flak-Rgt. 1 sowie Amtmann (K) Philipp Lgk. I, von Heinz Aßmann, Diepholz, St. Hülfe 115.

 

Gesucht werden ehem. Angehörige der Bauleitung Seerappen/Ostpr., insbesondere Amtmann Kniemeyer, die Angestellten Erwin Stobbe und Alfred Rodmann, von Hermann Dorr, Architekt und Baumeister. Berlin-Charlottenburg, Rückertstraße 3.

 

Gesucht wird der ehem. Oberstleutnant Seyfert (oder Seyfart) vom RLM von Günther P. Baur, Heiligenhafen/Holstein. Thulboden 33.

 

Kameraden! An unserem Treffen am 1. Juni in Hamburg nahmen mehr als 100 Kameraden teil. Sie waren vorzugsweise aus Norddeutschland gekommen, aber neben Berlin waren auch Süd- und Westdeutschland vertreten. Der Bundesführer des Luftwaffenrings. General a. D. Seibt, nahm das Wort zu Ausführungen über den Zusammenschluss aller Luftwaffenangehörigen und stellte die Aufgaben des Luftwaffenrings heraus. Unser nächstes Treffen halten wir in Göttingen am 7. September 1958 ab. Allen Anfragen bitten wir Rückporto beizufügen.

 

Seite 15   Grenzverkehr erleichtert

Die polnischen Behörden treffen gegenwärtig Maßnahmen, um den Grenzverkehr zu den Nachbarländern zu erleichtern. Die Grenzformalitäten in den Zügen sollen verkürzt werden. Auch will man jetzt Besatzungsmitglieder ausländischer Schiffe in polnische Häfen ungehindert an Land gehen lassen.

 

Seite 15   Todesanzeige

Tiefbewegt geben wir Kunde, dass uns Oscar Hempel, gest. 15. Februar 1958 in Detmold;

Hermann Leo Ehnimb, gest. 8. Juni 1958 in Hamburg, für immer verlassen haben. Als zwei der Getreuesten aus dem alten Sportclub Ostpreußen, hochherzige Gönner in der ostpr. Heimat und Förderer unserer Traditionen nach der Vertreibung werden beide uns unvergesslich sein. Sp. Vgg. ASCO Königsberg. i. A.: Hans Schemionek, Sullingen/Hannover

 

Seite 15   Suchdienst

Gesucht werden die Angehörigen von Max Waschkun, Gefr., geb. 05.03. 1908 in Insterburg. Waschkun ist bei den Kämpfen in Ober-Italien am 07.01.1945 gefallen und auf dem Soldatenfriedhof Meran beigesetzt. In seinem Soldbuch fand sich unter Anschrift der nächsten Angehörigen die Eintragung: Marg. Waschkun, Insterburg/Ostpr., Wilhelmstraße 7. Wer Auskunft über die Angehörigen des Gefallenen geben kann, schreibe bitte an: Ostpreußen-Warte. Redaktion, Göttingen.

 

Seite 16   Westpreußen - Brücke zum Osten. 30 000 Westpreußen waren nach Bochum gekommen.

Bochum. „Die Bundesregierung wünscht, dass ihr heutiges Bundestreffen ein Markstein wird auf dem Wege zur Vereinigung und zur Rückkehr unserer Ostgebiete", erklärte Bundesvertriebenenminister Prof. Oberländer vor über 30 000 aus ganz Deutschland nach Bonn gekommenen Westpreußen. Eine Riesenkarte der Heimat an der Stirnseite der BV-Festhalle verkündete „Westpreußen — Brücke zum Osten".

 

Gleich, ob eine Landsmannschaft in den Grenzen von 1937 gewohnt habe oder nicht, sagte Prof. Oberländer, das Recht auf Heimat sei unabdingbar für alle aus ihrer Heimat vertriebenen Völker und Grundlage jeder Einheit des Friedens und Rechts. Nicht die Eingedrungenen, sondern die daraus Vertriebenen hätten über ihre alte Heimat zu bestimmen.

 

Zur Oder-Neiße-Linie sagte Oberländer, eine Unrechtsgrenze könne niemals eine Friedensgrenze werden. Wer das Gegenteil behaupte, wolle überhaupt keinen Frieden haben. Er betonte jedoch: „Wir wünschen ein gutes Verhältnis zum polnischen Volk. Es kann kein Problem zwischen zwei Völkern geben, das sich nicht lösen lässt“. Die Überwindung Potsdams, von der die Zukunft Europas abhänge, sei eine Aufgabe beider Völker und der gesamten freien Welt. Deutschland und Polen hätten durch ihre tragische Geschichte die gemeinsame Berufung zum Brückenbau.

 

„Als Sprecher der Westpreußen bekenne ich mich dazu", sagte Dr. Hans Kohnert abschließend, „dass die Lösung der Fragen unserer Heimat mit die schwerste für ein Europa in Frieden ist. Wir aber sind gewillt, sie ohne einen Krieg zu lösen, der sooft über uns ging und uns stets nur die Unfreiheit gebracht hat. Wir aber wollen die Freiheit auch für die Menschen im Osten, die nicht Deutsche sind, und wir können und dürfen weder auf die Freiheit noch auf die Heimat verzichten. Darum fordern wir auch ein Recht auf Selbstbestimmung für ganz Osteuropa“.

 

Seite 16   Elbinger Kreistag in Bremerhaven

Aus dem ganzen Bundesgebiet waren die 24 Abgeordneten mit den Vertretern der beiden Heimatkreise Elbing-Stadt und Elbing-Land nach Bremerhaven zur Sitzung des Elbinger Kreistages gekommen. Die Patenstadt Bremerhaven zeigte durch Entsendung ihrer Vertreter, u a. Stadtrat Dr. Jahn in Vertretung des Oberbürgermeisters, starkes Interesse an dieser Sitzung. Im Verlauf der Tagung wurden einzelne Arbeitskreise und Referate geschaffen: Kulturfragen (Dr. Hans Tschirner). Mundart und Volkskunde (Walter Braun). Elbing von heute (Hans-Jürgen Schuch). Jugend und Jugendlager (Hans-Jürgen Schuch). Für Geschichte und Heimatpresse sollen noch Referenten gewonnen werden. Die Verbindungen und die Pflege der Beziehungen zur Patenstadt werden vom Heimatkreisvertreter Elbing-Stadt, Dr. Fritz Pudor, wahrgenommen. Das nächste Heimattreffen ist für Pfingsten nächsten Jahres in Bremerhaven anlässlich der fünfjährigen Patenschaftsübernahme geplant. Einstimmig wurde beschlossen, dass die ehrwürdige Elbinger St. Georgen-Brüderschaft nach Möglichkeit wiedererweckt werden soll.

 

Flensburg

Wie alljährlich unternahmen die Ostpreußen, zu denen sich auch Westpreußen gesellt hatten, einen Ausflug. Die Fahrt ging zunächst nach Neumünster zum „Altpreußentreffen“ in der Holstenhalle, wo viele alte Bekannte nach langer Zeit ein Wiedersehen feiern konnten. Danach ging es mit drei Omnibussen weiter nach dem herrlich gelegenen Bordesholm, wo die 700-jährige Linde und die Klosterkirche besichtigt wurden. Auf der Rückfahrt gab es noch einen schönen Abstecher in die Hüttener Berge mit einer Fußwanderung auf den Ascheberg. Alle Teilnehmer waren sich in dem Wunsch einig, recht bald wieder einmal eine ähnliche Fahrt ins Blaue zu unternehmen.

 

Itzehoe

Im Mittelpunkt der letzten Vorstandssitzung stand ein heimatpolitisches Referat des 1. Vorsitzenden Schulrat i. R. Grohnert. Auf die Frage der Wiedervereinigung eingehend, bemängelte der Vortragende die augenscheinliche Passivität unserer maßgeblichen Politiker hinsichtlich konkreter Vorschläge und der Einleitung von Gesprächen zur Lösung dieses Problems. Die Heimatvertriebenen, so führte er aus, haben seit langem erkannt, dass Gespräche geführt werden müssen, wenn man auf dem Wege der friedlichen Wiedervereinigung vorwärts kommen will. Polen sei nun einmal unser Nachbar, es sei daher nicht absurd, ein Gespräch mit diesem Nachbarn zu fordern. Dr. Bahr, der 2. Vorsitzende, unterstrich diese Ausführungen und hob besonders hervor, dass einem Gespräch zwischen Deutschen und Polen keine gegenseitige Aufrechnung von Schuld vorangehen dürfe. Beide Seiten müssten das Unrecht der Vergangenheit vergessen.

 

Seesen

Der Jahresausflug in die lieblichen und anmutigen Täler und Höhen des Teutoburger Waldes war ein voller Erfolg. Dank der sorgfältigen Vorbereitung durch Obmann Papendick und der kulanten Betreuung durch den Reisedienst Pülm vermittelte die von bestem Wetter begünstigte Fahrt unauslöschliche Eindrücke. Sie führte über die ‚Perle des Weserberglandes‘, das 1100-jährige Höxter (mit Abtei und Kirche Corvey sowie Besichtigung des Kaisersaales, der Bibliothek und des Klostermuseums), man stand tiefbewegt am Grabmal des Dichters des Deutschland-Liedes Hoffmann v. Fallerslebens, dann ging es weiter in den Teutoburger Wald, wo man sich eine Besteigung des trutzigen Hermanndenkmals und der Externsteine, der altgermanischen Kultstätte, nicht nehmen ließ. Ein Rundgang durch die schöne Garten- und Musikstadt Detmold bildete den Abschluss.

Im Rahmen der Kulturstunde des Heimatabends am 2. August wird Schulrat a. D. Papendick einen Lichtbildervortrag über „Ostpreußen: Nördliche Wanderung" halten.

 

Wilhelmshaven

Als der Vorsitzender der Landsmannschaft Ostpreußen, Obermedizinalrat Dr. Zürcher, die zu einem Johanni-Abend in Namkens Gasthof in Rüstersiel in stattlicher Zahl erschienenen Landsleute als „internationales Publikum" begrüßte, meinte er damit aus Kuba hier besuchsweise weilende Ostpreußen, aber auch Gäste aus den anderen Landsmannschaften und nicht zuletzt einheimische Gäste von der Liedertafel Rüstersiel, die gemeinsam einen sehr unterhaltsamen Abend verlebten, durch den als bewährter Conférencier der 2. Vorsitzende Konrektor Schlokat führte. Es rollte dann gewissermaßen eine Gemeinschaftsleistung ab: „Teenager" aus Pommern und Schlesien boten anmutige Kunsttänze, einstudiert von Frau Drews von der Landsmannschaft Pommern. Dann kündigte der Ansager eine scharfe Konkurrenz für den in Kürze hier gastierenden Zirkus Althoff an: Die „Hohe Schule" der Rüstersieler Liedertafel, vorgeführt von „Direktor" Weschke. Nicht enden wollte das Lachen über die sehr geschickt mit vielen lustigen Einfällen gespickten Darbietungen der 3 „Rassepferde", die trotz Zucker und Peitsche nicht immer den Anordnungen ihres „Direktors" folgten, sondern bisweilen eigene Wege gingen. Sehr reicher Beifall belohnte die Darsteller für ihre auch körperlich erstaunlichen Leistungen.

 

Dann kam „Hein Mück" aus Wilhelmshaven. Wer ihn nicht kennt, versäume nicht die nächste Gelegenheit, ihn zu sehen und zu hören. Man weiß nicht, ob das Sehen nicht noch belustigender ist als das Hören, die Pointen kamen sämtlich gut an, aber das Gesicht dazu, das muss man gesehen haben.

 

Sehr lebhafter Dank wurde allen Mitwirkenden zuteil und der allseitige Wunsch geäußert, sie bald wiederzusehen.

 

Es war ein Abend des Sich kennen lernens, und bis in den frühen Morgen hinein wurde von alt und June zu den Klängen einer sehr flotten und eifrigen Kapelle getanzt.

Die Landsmannschaft Ostpreußen kommt nach der Sommerpause wieder am 1. September zusammen.

 

Frankfurt

Am 18. Juni verstarb nach kurzer schwerer Krankheit der 2. Vorsitzende der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen, Lm. Hermann Ewert .Sein unermüdlicher Einsatz für die Heimat wird stets Vorbild bleiben.

 

Hof/Saale

Zahlreich war die Beteiligung der hiesigen Kreisgruppe am Fränkischen Kultur- und Heimattreffen der Ost- und Westpreußen in Bad Berneck. Die Großkundgebung auf dem Festplatz, die Gedächtnisandacht, die Ausstellung ‚Unser deutsches Ost- und Westpreußen‘ sowie ein bunter Heimatnachmittag ließen die Veranstaltung, bei der auch der menschlichen Begegnung breiter Raum gelassen war, zu einem einmaligen Erlebnis werden.

Als nächste größere Veranstaltung der Kreisgruppe ist eine Wanderung von Schwarzenbach am Wald durch das Thiemitztal – Großvater - Engelhardsgrün geplant.

 

Amberg

Unter zahlreicher Beteiligung — mit einem 42-Personen-Omnibus und 8 Privatfahrzeugen — startete die Ostdeutsche Landsmannschaft mit unbekanntem Ziel. Die Fahrt ging über Ursensollen — Lauterachtal — Hohenburg — Kastl (mit Besichtigung der Klosterburg, in der heute ein ungarisches Gmynasium untergebracht ist) — Lauterhofen nach Illschwang, wo im Gasthaus Reiff, sehr zur Überraschung der Landsleute, die Kaffeetafel bereits gedeckt war.

Es war eine herrliche, sonnige Fahrt durch die oberpfälzische Landschaft bis ins Mittelfränkische hinein.

In Illschwang wurde eine Feierstunde zum Gedenken des 17. Juni gehalten. Anschließend erläuterte der 1. Vorsitzende Dr. Asmus die Landschaft der Fahrtroute und Illschwangs selbst, das er als seinen früheren Arztsitz recht gut kannte. Humorvolle Worte, Kaffeetafelmusik und schöne Spaziergänge in die nähere Umgebung zeichneten den Nachmittag aus. In den Abendstunden ging es mit Gesang und guter Laune über Sulzbach-Rosenberg wieder zurück nach Amberg.

 

Wie alljährlich, so waren auch am 21.06.1958 alle Heimatvertriebenen Ambergs unter Fanfarenklängen des DJO-Musikzuges hinausmarschiert zum Schützenheim, um die Sonnenwende, im Gedenken an die Heimat, zu begehen.

Nach der „Forderung an die Welt" wurde mit einem Feuerspruch der Holzstoß entzündet und unter dem Lied „Flamme empor!" loderte das Feuer in die dunkle Nacht.

 

Mit herzlichen und mahnenden Worten gedachte Herr Wanhoff der Heimat. Danach fielen die grünen Eichenkränze mit Kornblumen geschmückt für Ostpreußen, Westpreußen mit der Freien Stadt Danzig, Pommern, die Mittelzone, die tapfere Stadt Berlin und die Mark Brandenburg, für Schlesien, Oberschlesien und das Sudetenland, für die Toten der Heimat und unserer Gastheimat in das prasselnde Feuer.

 

Seite 16   Flüchtlinge seit sechs Jahren im Lager

Das Kuratorium „Unteilbares Deutschland“ hat ein Programm für eine raschere Leerung der Flüchtlingslager und Notunterkünfte vorgelegt. Es ist an Bundeskanzler Adenauer und die zuständigen Bundesminister gerichtet und empfiehlt vier Schritte:

 

1. Schnellere Zuteilung der Bundesmittel zur Förderung des Wohnungsbaues an die Länden

2. raschere Abwicklung des Wohnungsbauprogramms durch die Länder, also Beseitigung formaler Schwierigkeiten und Hemmnisse;

3. neue und entschiedene Maßnahmen zur Bereitstellung von Bauland und

4. finanzielle Unterstützung für finanzschwächerer Städte und Gemeinden.

 

Zur Begründung des Programms stellt das Kuratorium fest, dass der ständige Zustrom von Flüchtlingen und Aussiedlern ein politisches und soziales Problem sei, das neue Maßnahmen erfordert. Einzelne Personen und Familien hätten bis zu sechs Jahren in Lagern und Notunterkünften verbringen müssen. Der Bundestag wird sich am Mittwoch mit diesem Problem befassen.

 

Seite 16   Arbeitskreis für Ostfragen hielt „Zweites Barsinghäuser Gespräch“

Barsinghausen. Nachdem die seit kurzem im „Arbeitskreis für Ostfragen" zusammengeschlossenen Heimatvertriebenen-Verbände: Konvent der Zerstreuten Evangelischen Ostkirchen (Hilfskomitees), Bund der vertriebenen Deutschen, vereinigte Landsmannschaften Mitteldeutschlands und Deutsche Jugend des Ostens (sämtlich für das Land Niedersachsen) in einem ersten Barsinghäuser Gespräch den geistigen und politischen Standort der Heimatvertriebenen untersucht hatten, beschäftigte sich jetzt ein am 15. Juni abgeschlossenes „Zweites Barsinghäuser Gespräch" mit dem Thema „Der Reichsgedanke und die Völker", das sich auf Grund eines Referats von Dr. Christ, Stuttgart, dem Leiter der Jugend des Deutschen Ostens, vor allem der Frage der unbewältigten Vergangenheit 1933/ 1945 zuwandte. Prof. Dr. Gollwitzer, Münster, zeigte in einem weiteren Referat Bedeutungswandel und Entleerung des Reichgedankens auf, über den vorher Prof Dr. Lemberg, Frankfurt, historisch gegründet, in einem Vortrag „Erwachen der Völker und Völkerordnung" gesprochen hatte. Nach überaus lebhaften Gruppengesprächen und Gesamtdiskussionen fasste Pastor Dr. Petersmann, Hannover, das Ergebnis der Tagung zusammen, die in ein weiteres Barsinghäuser Gespräch mit der Frage nach konkreten Nahzielen und neuen Aufgaben einmünden soll.

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