Ostpreußen-Warte, Folge 03 vom März 1958

Ostpreußen-Warte

Folge 03 vom März 1958

 

Seite 1   Foto: ELBING / Gotischer Brunnen und Markttor Foto: Fischer

 

Seite 1   Für und wider deutsch-polnische Beziehungen. Auffassungen im Vertriebenenlager gehen weit auseinander.

Der Vorstand des Bundes der Vertriebenen (BdV) gab zur Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Polen eine Erklärung ab, in der er diplomatische Beziehungen zu Polen ablehnt und auch gegen ein Handelsabkommen Einwände erhebt, hingegen spricht sich der BdV für die Förderung kultureller Beziehungen von Volk zu Volk und von Mensch zu Mensch aus.

 

Die Ablehnung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen wird in den einzelnen Punkten der Erklärung ausführlich begründet. Die Erklärung weist vor allem darauf hin, dass ein deutscher Botschafter in Warschau auch in Gebieten tätig werden müsste, die nicht polnisches Staatsgebiet sind, von Polen aber als solches beansprucht werde, während ein polnischer Botschafter in Bonn auch deutsches Reichsgebiet vertreten würde.

 

Außerdem müsste die Bundesregierung alles vermeiden, was die Haltung der westlichen Regierungen beeinträchtigen könnte, diese hätten in allen amtlichen Erklärungen den Standpunkt vertreten, dass die Westgrenze Polens erst im Friedensvertrag festgelegt werden kann, wegen dieser Haltung würden sie aber in ihrer Öffentlichkeit angegriffen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen würde nach Auffassung des BdV im In- und Ausland den Eindruck erwecken, dass die Bundesrepublik damit den Weg zum Verzicht auf die deutschen Ostgebiete beschreite.

 

Als weiteres Argument gegen diplomatische Beziehungen mit Polen wird angeführt, dass diese Maßnahme Rückwirkungen auf das polnische Volk und die in Polen und unter polnischer Verwaltung lebenden Deutschen hätte, die geprüft werden müssten. Man befürchtet, dass die seelische Widerstandskraft gegen den Kommunismus und den sowjetischen Imperialismus sowie das Bewusstsein des unrechtmäßigen Besitzes durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen geschwächt werden könnte. Bei den Deutschen — so heißt es in der Erklärung — könnte der Eindruck entstehen, dass sie mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen von der Bundesrepublik aufgegeben worden seien. Für einen deutschen Botschafter entstünden dadurch fast unlösbar scheinende Schwierigkeiten, indem die Bundesregierung die in den Oder-Neiße-Gebieten lebenden Deutschen als deutsche Staatsangehörige betrachte. All diese Auswirkungen würden nach Auffassung des BdV auch dann nicht vermieden werden, wenn bei einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen ein Rechtsvorbehalt gemacht würde, ohne den ein solcher Schritt nicht denkbar sei.

 

Eine Anzahl heimatvertriebener SPD-Abgeordnete veröffentlichte zu dieser Haltung der Vertriebenen-Verbände eine Erklärung, in der besonders einige Formulierungen von Dr. Kather und Manteuffel-Szoege, die in der mündlichen Begründung der BdV-Erklärung gefallen sind, entgegentritt. Außerdem wird mit Recht darauf hingewiesen, dass alle Tatsachen, die vom BdV aufgezählt worden sind, auch im Falle der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion vorhanden gewesen seien, denn auch dieser Staat hat sich einen Teil des deutschen Gebietes (das nördliche Ostpreußen), das von der Bundesregierung völkerrechtlich als zu Deutschland gehörend angesehen wird, einverleibt. Die SPD-Erklärung lautet: „Ohne Zweifel ist die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Polen besonders mit Rücksicht auf das Oder-Neiße-Problem keine leichte Entscheidung. Jede Stellungnahme zu dieser Frage sollte daher sorgfältig durchdacht werden. Es erscheint daher bedenklich, wenn dies in einer Form geschieht, die über die gebotene Rechtswahrung hinausgeht Die Formulierungen durch Dr. Kather und von Manteuffel-Szoege haben der Sache der Vertriebenen nicht gedient. Formulierungen, ‚dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Polen eine Kapitulation vor dem Bolschewismus bedeute', sind absurd und nicht vertretbar. Solche Äußerungen und der verunglückte Diskussionsbeitrag des Abgeordneten Manteuffel-Szoege in der Sitzung des Deutschen Bundestages von 23. Januar 1958 (,das Böse müsse mit Atomwaffen ausgerottet werden') müssen, den Eindruck erwecken, als ob diese Herren an einer positiven Lösung der anstehenden Fragen kein Interesse hätten. In Vertriebenenkreisen der SPD steht man der Absicht, diplomatische Beziehungen mit Polen aufzunehmen, positiv gegenüber und glaubt, dass die Bedingungen, unter denen die Bundesrepublik die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen hat, auf Polen anwendbar sind und auch angewandt werden sollten“.

 

Seite 1   Polen bereitet Tausendjahrfeier vor. Historische Bauten in deutschen Ostgebieten sollen restauriert werden.

BERLIN. Polen rüstet sich zu einer Folge großer Feierlichkeiten aus Anlass des 1000-jährigen Bestehens des polnischen Staates, die in den Jahren 1960 bis 1965 stattfinden sollen. Schwerpunkte der Jubiläumsfeiern sollen dabei die deutschen Ostprovinzen werden, die durch das Potsdamer Abkommen polnischer Verwaltung unterstellt wurden. In der Danziger Zeitung „Dziennick Baltycki" appelliert die Dozentin Dr. Wojciechowska an die polnischen Neusiedler in Danzig, West- und Ostpreußen, eine würdige Ausgestaltung der Jahrtausendfeiern schon jetzt vorzubereiten. Die „Gesellschaft zur Entwicklung der Westgebiete" solle die historischen Bauten und Kunstdenkmäler soweit wie möglich restaurieren und sich um die Verschönerung der Ortschaften kümmern. Die nach dem Kriege aus Ost- und Zentralpolen zugesiedelten Einwohner sollen angeregt werden, ihre Erinnerungen niederzuschreiben, welche die Umstände ihrer Ansiedlung betreffen.

 

Schwierigkeiten dürfte die Anweisung von „Dziennik Baltycki“ bereiten, die Bevölkerung an hervorragende Persönlichkeiten, die aus ihrer Gegend stammen, zu erinnern und ihrer eventuell mit Erinnerungstafeln und Denkmälern zu gedenken. Andere polnische Zeitungen die in den Oder-Neiße-Gebieten erscheinen, führen Klage darüber, dass sich weite Kreise der polnischen Bevölkerung nicht an den Vorbereitungen für die Tausendjahrfeiern interessiert zeigen.

 

Seite 1   Exilpolnische Presse gegen „Rapacki-Plan"

LONDON. Die exilpolnische Presse, die in der Oder-Neiße-Frage mit Warschau völlig konform geht, lehnt jedoch den „Rapacki-Plan" nach wie vor nachdrücklich ab. Der Londoner exilpolnische „Orzel Bialy" betont, dass der Rapacki-Plan im Westen als „militärischer Unsinn" betrachtet werde. Der Sowjetunion gehe es nur darum, Westeuropa „atomar zu sterilisieren".

Das Zentralorgan der polnischen Emigration, der Londoner „Dziennik Polski", begrüßt es zwar, dass Gumulka in seinem „Times"-Interview die britische Regierung aufgefordert hat, die Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze anzuerkennen, nimmt aber sonst immer noch dieselbe Haltung ein, die der Kommentator A. Bregman kürzlich folgendermaßen formulierte: „Wenn die Errichtung von Raketenbasen in Westdeutschland und in anderen Ländern nicht bevorstehen würde, hätte der Kreml nicht den geringsten Anlass, auf die Länder Osteuropas zu verzichten. Er hätte mehr Nutzen von einer neutralen Zone, weil er dabei nichts herauszugeben brauchte. Aus diesem Grunde ist der Rapacki-Plan so gefährlich und aus diesem Grunde erscheint es unerklärlich, dass es Befürworter einer neutralen Zone gibt, welche für den Rapacki-Plan eintreten“.

 

Seite 1   Aktivierung der Exilpolen

Die polnische „Gesellschaft für die Entwicklung der Westgebiete" hat unter dem Vorsitz des Schriftstellers Olchar eine Auslandskommission gebildet, der Wissenschaftler, Journalisten und Schriftsteller angehören. Die Kommission soll enge Beziehungen zu den Auslandspolen vor allem im Westen anknüpfen, sie für den Aufbau der polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete interessieren und — wie das Parteiorgan „Trybuna Ludu" schreibt — „zum Gegenangriff gegen die antipolnische Propaganda der deutschen Revisionisten ermutigen". Es scheint in Warschau damit die Tendenz zu bestehen, sich mehr und mehr um die sieben Millionen Auslandspolen zu kümmern. Man will die bisher nicht sehr einflussreiche Gesellschaft „Polonia", die auch Beziehungen zur polnischen Emigration unterhält, aktivieren.

 

Seite 1   Ost-West-Gespräch in Berlin

Der Studentenkonvent der Freien Universität in West-Berlin hat in Anwesenheit von drei kommunistischen Jugendfunktionären der Ost-Berliner Humboldt-Universität beschlossen, in zwei Veranstaltungen im Oktober und in den Westsektoren Kundgebungen über den Rapacki-Plan und die damit zusammenhängenden Fragen abzuhalten. Die Eintrittskarten sollen in gleichen Mengen ausgegeben werden.

 

Seite 1   Vatikan tilgt ostdeutsche Städtenamen

In dem neuen amtlichen „Päpstlichen Jahrbuch 1958" sind die deutschen Städtenamen der unter polnischer Verwaltung stehenden Ostgebiete nicht mehr enthalten. Nur Schneidemühl hat seine deutsche Bezeichnung behalten. In Kreisen der Vatikanbotschaft der Bundesrepublik hat dies — wie ein Sprecher vor deutschen Journalisten erklärte — Befremden ausgelöst. Man empfinde es als einen „unfreundlichen Akt" des Vatikans gegen die Bundesrepublik. Offenbar habe sich der Vatikan den Wünschen des polnischen Kardinals Wyszynski gebeugt.

 

Seite 2   Rapacki ergänzt seinen Plan.

Die polnische Regierung hat den drei Westmächten und der Sowjetunion neue Vorschläge für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa vorgelegt, wobei vor allem versucht wird, die westlichen Einwände gegen den Rapacki-Plan zu entkräften. Wie aus Washington gemeldet wird, enthält das Memorandum folgende Vorschläge:

1: Polen, die Tschechoslowakei, die DDR und die Bundesrepublik sollen jeder für sich die Ächtung der Atomwaffen innerhalb ihrer Grenzen proklamieren, um die gemeinsame Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages durch Bonn und Ostberlin zu umgehen. Die Bundesregierung hatte bekanntlich sowohl Verhandlungen als auch eine gemeinsame Unterzeichnung irgendeines Vertrages mit der Sowjetzone abgelehnt.

2. Die vier Großmächte sollen in getrennten oder gemeinsamen Erklärungen die militärisch verdünnte Zone in Mitteleuropa garantieren.

3. Ein System der Luft- und Bodenkontrolle soll die Gewähr dafür bieten, dass die vier mitteleuropäischen Staaten von Atomwaffen frei bleiben. Der ursprüngliche Rapacki-Plan sagte bekanntlich nichts über die Kontrolle aus.

 

Seite 2   Ost-West-Einigung nach österreichischem Vorbild

In der amerikanischen Öffentlichkeit setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass der österreichische Staatsvertrag das bisher erfolgreichste Beispiel einer Verständigung zwischen Ost und West darstellt. So schreibt die angesehene amerikanische Zeitschrift „U.S. News & World Report" in einer Gegenüberstellung der verschiedenen Ansichten über den Wert von Ost-West-Gesprächen folgendes: „Gespräche auf sachlicher Ebene, im geheimen von Botschaftern geführt, können zu praktischen Ergebnissen führen (im Gegensatz zu Gipfelkonferenzen). Auf diese Weise hat Österreich zu guter Letzt seinen Staatsvertrag unter Dach und Fach gebracht, und damit seine Unabhängigkeit erreicht“.

 

Seite 2   Polnische Bevölkerungsziffern

Der in London erscheinende „Dziennik Polski" berichtet über den Rückgang der natürlichen Bevölkerungsvermehrung in Polen. Nach den letzten Angaben des Statistischen Hauptamtes in Warschau verringerte sich der natürliche Bevölkerungszuwachs in Polen 1957 im Vergleich zu den früheren Jahren. Immerhin betrug er auf je tausend der Bevölkerung noch 19,7 Menschen Die Geburtenzahl fiel 1957 auf 26,9 und betrug 1956 27,9 und 1955 29,1 Lebendgeburten je tausend. Auch die Zahl der Eheschließungen ist gefallen. Sie betrug 1957 9 je tausend gegen 9,4 1956 und 9,5 im Jahr 1955. Die größte Geburtenziffer für 1957 konnte, wie in den vergangenen Jahren, in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten festgestellt werden.

 

Seite 2   Seuchengefahr in Danzig

Für die polnischen Bewohner der einstigen Freien Stadt Danzig besteht infolge der Verwahrlosung der Wasserleitungen und der Kanalisation sowie infolge mangelhaften Funktionierens der Müllabfuhr und Straßenreinigung eine latente Seuchengefahr. Dies teilte der zuständige Beamte der polnischen Stadtverwaltung Danzigs einem Reporter der Zeitung „Glos Wybrzeza" mit, die in Danzig erscheint. Er betonte, dass täglich Millionen Liter Trinkwasser aus den defekten Leitungen im Boden versickern. Was den Danziger Hafen anlange, so seien „infolge einer Sparsamkeit am falschen Platz" die Hafenbecken versandet und verschlammt, weshalb größere Überseeschiffe nicht mehr in den Danziger Hafen einlaufen könnten. „Glos Wybrzeza" veröffentlichte den Bericht unter der Überschrift: „Die Stadt, in der wir leben“.

 

Seite 2   Bar-Betrieb in der Marienburg

Wie die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Glos Wybrzeza" (Stimme der Küste) berichtet, ist im Hochschloss der Marienburg und zwar in zwei einst vom Hochmeister des Deutschen Ordens bewohnten Räumen ein Bar-Betrieb eingerichtet worden. Zweimal in der Woche finden hier Tanzabende statt, und es ist geplant, auch Bridge-Abende zu veranstalten. Wie „Glos Wybrzeza" weiterhin meldet, gebe es nunmehr in der Marienburg keine „tote Saison" mehr; denn der Bar-Betrieb laufe in jeder Jahreszeit. Die Initiatoren des Barbetriebs „in den ehrwürdigen Kemenaten" gebühre „eine besonders gute Note". Demnächst würden auch Prospekte in englischer, französischer und deutscher Sprache herausgegeben werden, um in der ganzen Welt Touristen für den Besuch der Marienburg bzw. der Bar zu werben.

 

Seite 2   Polnische Passgebühren.

Die Verordnung über Passgebühren, die Anfang dieses Jahres vom polnischen Finanzministerium herausgegeben wurde und eine Gebühr in Höhe von 5000 Zloty für einen europäischen Pass und von 7000 Zloty für einen Übersee-Pass vorsieht, hat in der polnischen Öffentlichkeit scharfe Kritik hervorgerufen. Die Zeitungen „Zycie Warszawy", „Expres Wieczorny", „Kurier Codzienny" und andere Blätter veröffentlichen Leserzuschriften, die berechtigte Forderungen nach einer Reduzierung der Passgebühren enthalten.

Als Ergebnis auf den Druck der Öffentlichkeit hat das polnische Finanzministerium einen Plan für Zusätze zum Passgebührentarif ausgearbeitet. Damit der Plan baldmöglichst in Kraft treten kann, wird er dem Ministerrat zur Erörterung vorgelegt werden. Es werden umfassende Änderungen erwartet.

 

Seite 2   Landfluchtfieber in den „Westgebieten“. Polnische Presse zieht traurige Bilanz — Programm nicht erfüllt.

Berlin. Die gegenwärtig in Allenstein erscheinende Zeitschrift „Warmia i Mazury" (Ermland und Masuren) erinnert in einem längeren Artikel an den vor einem Jahr in Allenstein veranstalteten „Ersten Kongress der Intelligenz des Ermlandes und Masurens", der eine neue Epoche der Polonisierungspolitik im südlichen Ostpreußen hatte einleiten sollen.

Damals habe ein Redner davon gesprochen, heißt es in dem Artikel, dass das „polnische Volk in seiner Gesamtheit für eine Übernahme unserer Gebiete (d. h. Südostpreußen) nicht reif sei. Auch jetzt noch könne man die Frage, ob im vergangenen Jahre Fortschritte erzielt worden seien, „nicht mit wenigen klaren Sätzen" beantworten. Zwar sei eine Reihe von diskriminierenden Gesetzen aufgehoben worden, aber z. B. das Problem der Rückgabe von Bauernhöfen und Liegenschaften an die eigentlichen Besitzer sei noch immer nicht gelöst. Auch die Familienzusammenführung, in deren Rahmen Deutsche in die Bundesrepublik oder in die Sowjetzone umsiedeln konnten, habe nicht die erhoffte „stabilisierende" Wirkung gehabt. Vielmehr sei eine „Art Landflucht-Fieber" unter vielen Leuten ausgebrochen. Eine „schwarze Maffia von Spekulanten, Neureichen usw." suche die Bevölkerung heim, und keine Behörde stellte sich deren Machenschaften entgegen.

Die schwierige materielle Lage der Arbeiter, geringes Einkommen und ganz allgemein die Sehnsucht nach besseren Lebensbedingungen seien die Hauptmotive für die Ausreisegesuche vieler Menschen, meint die Zeitschrift. Abschließend wird in dem Artikel die Tätigkeit der „Gesellschaft zur Entwicklung der Westgebiete" als „leeres Gewäsch" bezeichnet. Es sei „höchste Zeit", dass eine „konkrete schöpferische Arbeit" beginne, um das vor einem Jahr aufgestellte Programm zu erfüllen.

 

Seite 2   Polen will Deutsche halten

Mehrere Veröffentlichungen in polnischen Tageszeitungen der letzten Zeit lassen erkennen, dass die zuständigen polnischen Behörden den Wunsch haben, den Aussiedlerstrom nach Deutschland möglichst einzudämmen. Die polnische Presse gab Schilderungen von Aussiedlern Raum, deren „Träume sich nicht erfüllten", um die noch Zurückgebliebenen von der Ausreise abzuhalten. Gleichzeitig erschienen Meldungen über „Rückkehrer" aus der Bundesrepublik. Nach einer Mitteilung der „Wojewodschaft" Oppeln seien bisher in diesem Verwaltungsbezirk mehr als 150 Menschen, die zur Familienzusammenführung in die Bundesrepublik ausgesiedelt waren, wieder zurückgekehrt. Außerdem lägen bei den polnischen Behörden schriftliche Bitten von Ausgesiedelten vor, ihnen die Rückkehr zu ermöglichen.

Mehrfach wurde ein Bericht aus der Düsseldorfer „Deutschen Volkszeitung" in polnischen Zeitungen wiedergegeben, in denen sich „die ganze Tragik jener Menschen widerspiegelt, die Polen verließen, um in der Bundesrepublik ein besseres Leben führen zu können". Dieser Bericht solle, so heißt es, alle noch in Polen verbliebenen Menschen mahnen, sich mehr und mehr auf die eigene Vernunft als auf die westliche Propaganda zu verlassen.

In der Warschauer Zeitung „Kurier Polski" wurde betont, viele Deutsche hätten ihre bisherige Heimat verlassen, weil sie dazu „durch politische Kreise in der Bundesrepublik überredet worden seien, denen daran liege, die wirtschaftliche Lage in den wiedergewonnenen Gebieten Polens zu verschlechtern“.

 

Seite 2   Gesamte Ostseeküste „ein weißer Fleck"

BERLIN. Die gesamte Ostseeküste von Swinemünde bis nach Elbing sei „heute noch ein leerer weißer Fleck" auf der Wirtschaftskarte der Volksrepublik Polen, schreibt die Warschauer Zeitung „Zycie gospodarce". Es sei dringend erforderlich, dass hier eine Industrie aufgebaut werde, welche den Bedarf der Schifffahrt, der Werften und Häfen decke. Genauere Angaben über den „weißen Fleck an der Küste" bringt „Glos Szczecinski": Das Küstengebiet nehme 16,5 v. H. des gesamten Territoriums der Volksrepublik Polen ein, weise aber noch nicht einmal 8,5 v. H. der Gesamtbevölkerung auf, und die Produktion des Küstengebiets — „also der Wojewodschaften Stettin, Köslin und Danzig" — belaufe sich sogar nur auf 6,5 v. H. der Gesamtproduktion der Volksrepublik. So würden diese Gebiete „das Land der unausgenutzten Möglichkeiten" genannt, stellt „Glos Szczecinski" fest. Auch die Häfen würden „nicht genügend bewirtschaftet.

 

Seite 2   Katastrophale Zustände in Angerburg. Noch kein Haus wieder aufgebaut — Alle Planungen gescheitert.

Berlin. Schonungslos enthüllt die in Allenstein erscheinende Zeitung „Glos Olsztynski" die Trostlosigkeit der Verhältnisse im ostpreußischen Angerburg. Die Eisenbahn-Linie, Angerburg – Lötzen, ist noch nicht wieder in Betrieb, weil auf 18 km Länge die Schienen demontiert wurden. Die Wohnungsverhältnisse seien in Angerburg besonders schlecht, wo 2,4 Menschen auf einen Wohnraum gezählt werden. Bisher ist — „Glos Olsztynski" zufolge — noch kein Haus in Angerburg wieder aufgebaut worden. Für 1959 (!) rechne man mit der Fertigstellung eines Hauses mit 51 Räumen. Angerburg sollte, nach polnischen Plänen, ein Touristenort werden. Die Pläne für ein Hotel haben, wie „Glos Olsztynski" berichtet, 100 000 Zloty verschlungen; doch sei stattdessen nur eine Baracke mit Gastwirtschaft gebaut worden. Der Stadt Angerburg fehlten, so schreibt die Zeitung weiter, alle Zukunftsplanungen; sie vegetiere unter einer schwachköpfigen Verwaltung dahin. Die Bevölkerung von Angerburg wäre froh, wenn sie für die Millionen Ziegelsteine, die aus der Stadt fortgeschafft wurden, wenigstens die Hoffnung eingetauscht haben würde, dass es mit der Aktivierung von Stadt und Kreis aufwärts gehen werde. Einmal wurde ein Plan aufgebracht, meldet „Glos Olsztynski", eine Bakelitfabrik einzurichten. Aber über diesen Plan habe man „gelacht, weil die Rohstoffe für das Werk aus Schlesien hätten eingeführt werden müssen". Holz dagegen, das sich als Werkstoff anbiete und das es rund um die Stadt massenweise gibt, verfaule in den Wäldern.

Der Kreis Angerburg leide, so meldet „Glos Olsztynski", unter den Auswirkungen der Überschwemmungen, die durch den katastrophalen Zustand der Meliorationseinrichtungen verursacht würden.

 

Seite 2   Landverkauf an Bauern

Wie die Polnische Presseagentur meldet, hat der Sejm-Ausschuss für Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie auf seiner letzten Sitzung den Plan eines Gesetzes erörtert, das den Verkauf von staatseigenem Land reguliert. Auf der Sitzung wurde festgestellt, dass die Durchführung der neuen Agrarpolitik das Bewusstsein der Eigentümerschaft unter den Bauern gestärkt habe. Dieses reflektiere das noch wachsende Verlangen nach Grund und Boden. Die verbliebenen kleinen Reserven an staatseigenem Land würden gemäß dem Plan zu Marktpreisen verkauft werden. Dies würde die wirtschaftlich unberechtigte Steigerung in den Marktpreisen für Land beenden und gestatten, den kleineren Gehöften zusätzlich Land zu geben. Das Gebiet des angekauften Bodens zusammen mit dem bereits vorhandenen Land dürfte 15 ha bzw. für Viehzüchtereien 20 ha nicht überschreiten. Rund 500 000 ha Land, die jetzt teilweise zu Staatsgütern, teilweise zum staatlichen Landfonds gehören, seien für den Zweck des Verkaufs bereitgestellt.

 

Seite 2   Die „Ukrainische Frage" in Ostpreußen Gefühl der Vorläufigkeit — Sehnsucht nach der alten Heimat

Berlin. Die Ukrainer in Ostpreußen bestehen nach wie vor mit allem Nachdruck auf ihrem Recht auf Rückkehr in die angestammte Heimat in den südlichen und östlichen Wojewodschaften Polens, geht aus einem Bericht der in Allenstein erscheinenden polnischen Zeitschrift „Warmia i Mazury" hervor, der die „Ukrainische Frage" in Ostpreußen eingehend schildert. Es wird festgestellt, dass sich in Ostpreußen insgesamt etwa 70 000 Ukrainer befinden, die in den ersten Nachkriegsjahren vornehmlich in den Kreisen Braunsberg, Preußisch-Holland, Rosenberg/Westpr., Angerburg und Rastenburg zwangsangesiedelt wurden. „Warmia i Mazury" hebt hervor, dass diese 70 000 Ukrainer „nicht das Gefühl verloren haben, es sei ihnen Unrecht geschehen", sie betrachteten nach wie vor ihre Anwesenheit in Ostpreußen nur als vorübergehend. Aus diesem Grunde kümmerten sie sich nicht um die ihnen zugewiesenen Gehöfte und vergeudeten die Darlehen, die man ihnen gewährte, um sie „sesshaft" zu machen. Die Ukrainer seien um keinen Preis zu bewegen, mehr zu tun, als sie unbedingt tun müssten. Sie betonten beständig, dass sie in Ostpreußen nicht beheimatet seien und klagten auch über das ungewohnte Klima. Vor allem aber wiesen sie auch darauf hin, dass sie gegenüber den polnischen Neusiedlern ständig zurückgesetzt und auch sonst wie übervorteilt würden. „Warmia i Mazury" gibt bekannt, dass man jetzt ukrainische Genossenschaften gründen wolle, um zu erreichen, dass die Ukrainer in Ostpreußen „das Gefühl der Vorläufigkeit verlieren".

 

Seite 2   Sowjetische Besiedlung in Nord-Ostpreußen

Laut sowjetischem Regierungsbeschluss soll der von den Sowjets verwaltete nordöstliche Teil Ostpreußens nunmehr planmäßig besiedelt werden.

Gegenwärtig beläuft sich die Einwohnerzahl dieses Gebietes auf etwa 800 000 bis 900 000 Menschen. Hierin sind jedoch die dort stationierten sowjetischen Truppenverbände einbegriffen.

Die Einwohnerzahl von Tilsit wird heute mit 43 000, die von Gumbinnen mit 15 000 und von Insterburg mit etwa 32 000 angegeben.

Wer von den hier hoch lebenden deutschen Staatsbürgern nicht ausgesiedelt wurde, musste inzwischen zwangsweise für die UdSSR optieren, besonders wenn sein Name einen slawischen Klang hatte. Die Zahl der offiziell als Deutsche anerkannten Personen beläuft sich in diesem Raum auf etwa 300.

 

Seite 2   Pressespiegel

Geschichte lästig.

Unser Alltag ist „geschichtsfrei" aber er ist es nicht auf Grund philosophischer Bemühungen geworden, sondern eher, weil das Leben so bequemer ist. Das Sich beruhigen in der Unbildung mag durch den Wunsch zu erklären sein, ein möglichst voraussetzungsloses Dasein zu haben und damit auch die Verantwortung für die gemeinsame Vergangenheit loszuwerden. Wer an die Geschichte erinnert, der ist indirekt ein lästiger Mahner, denn er weist darauf hin, dass jeder Mensch an der Geschichte seines Volkes beteiligt ist, ob es ihm erwünscht ist oder nicht. Von solchen Zusammenhängen — man kann sie auch Verstrickungen nennen — will man im Augenblick nichts wissen. Wer sie heraufruft, wird mit dem infamsten und undurchdachtesten Schlagwort bedacht, das unsere Zeit geschaffen hat: er ist restaurativ. Mit diesem Wort hat die geistesgeschichtliche Drückebergerei der Gegenwart den Trick gefunden, der sie am Leben erhält“. FRANKFURTER ALLGEMEINE

 

. . . auf deutsche Kosten

„Im Übrigen können aber die Änderungen im päpstlichen Jahrbuch kaum anders gedeutet werden, als eine psychologische Konzession des Vatikans an die nationalen Ansprüche Polens, zu deren eifrigen Fürsprechern Kardinal Wyszynski gehört. Sein Besuch in Rom im Mai vergangenen Jahres war demnach — auch politisch betrachtet — nicht ergebnislos. — Es gibt in der vorwiegend von Italienern besetzten Kurie — von der angestrebten Internationalisierung der obersten Kirchenbehörden ist man in Wirklichkeit noch weit entfernt — eine Strömung, die bereit zu sein scheint, den Katholizismus in Polen auf deutsche Kosten zu stärken. Obgleich dies seit einiger Zeit spürbar ist, hat sich die deutsche Vatikanbotschaft überraschen lassen. Botschafter Graf Strachwiz hat erst nach Drucklegung des Päpstlichen - Jahrbuches von den, wie er sagte, „befremdlichen" Neuerungen erfahren“.

DIE ZEIT, Hamburg

 

Truppenabzug im eigensten Interesse

„Die Sozialdemokraten versuchten im Bundestag unserer Meinung nach sehr zu Recht — den Beweis zu führen, dass der Rapacki-Plan ein Mittel zu dem Zweck sein könne, eine Diskussion in Gang zu bringen. Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass der Plan in seiner gegenwärtigen Form den sowjetischen Interessen weiter entgegenkommt als denen des Westens. Aber es ist nicht ausgeschlossen, den Plan so zu formen, dass er beiden Seiten gerecht wird. — Diplomatische Verhandlungen sind das einzige Mittel, um herauszufinden, ob diese Möglichkeit wirklich besteht“. MANCHESTER GUARDIAN

 

Brücke zwischen Ost und West

„Die Sowjets haben es klargemacht, dass ein amerikanischer Abzug aus Westdeutschland für sie das Wichtigste ist. Sie können ihre Garnison in Osteuropa nicht nennenswert verringern, solange anglo-amerikanische Truppen an der Elbe stehen; sie wissen, dass die Frage früher oder später akut wird, ähnliche Waffen den Westdeutschen zu geben, wenn diese Truppen (an der Elbe) selbst Atomwaffen für taktische Zwecke brauchen; und die Sowjets haben allen Grund, sowohl die Ausrüstung der Westdeutschen mit Atomwaffen zu scheuen als auch Bedenken zu haben, ihre eigenen widerstrebenden Satelliten damit auszurüsten. Aus diesem Grund unterstützen die Sowjets den polnischen Vorschlag für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa“. THE OB SERVER, London

 

Rapacki-Plan — Mittel zum Zweck

„Die Wiedervereinigung kann nur kommen, wenn sich die westdeutsche Regierung mit Moskau in Verbindung setzt, und der Preis, den die Westdeutschen hier zahlen müssen, wäre die Demilitarisierung und eine zeitlich begrenzte Neutralisierung. Das wahre Interesse des deutschen Volkes müsste sein, weder einem Ost- noch einem Westblock anzugehören, sondern als Brücke zwischen diesen beiden Welten mit ihren entgegengesetzten Ideologien zu dienen“. LA TRIBUNE DES NATIONS, Paris

 

Verängstigung der Öffentlichkeit

„Die Bundesrepublik ist an der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone nicht weniger interessiert als Polen, die Tschechoslowakei oder die DDR. Bundeskanzler Adenauer will die Öffentlichkeit mit der Behauptung in Schrecken versetzen, dass der Rapacki-Plan ein Schlag gegen den Bestand der NATO sei. Der polnische Plan sieht (aber) keine Veränderung vor außer der, dass drei Staaten des Warschauer Paktes (Polen, Tschechei, DDR) und ein NATO-Staat (Bundesrepublik) atomwaffenfrei wären. — Die Argumentation des Bundeskanzlers ist eben auf eine Verängstigung der Öffentlichkeit zugeschnitten, sowie darauf, den wachsenden Interessen am polnischen Plan auch im Kreise vieler westdeutscher Politiker und in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik entgegenzuwirken“. TRYBUNA LUDU, Warschau

 

Seite 3   Die Memel – Moskaus Ader nach Ostpreußen. „Interessanter Fluss der UdSSR“ / Stärkerer Frachtverkehr als 1939 / heute an den Ufern

Die russische Radiostation im sowjetisch verwalteten Königsberg befasste sich jetzt in einer fortlaufenden Sendereihe mit der Memel, die als wichtigstes Verbindungsstück zwischen der UdSSR und dem nördlichen Ostpreußen bezeichnet wurde. Verkehrsfachleute maßen dabei diesem Strom für die Verzahnung mit Russland größere Bedeutung als allen anderen Verkehrsverbindungen bei. Was geht nun eigentlich heute auf der 879 km langen Memel vor, die am Rande der Rokitno-Sümpfe entspringt und mit den beiden Flussarmen Gilge und Ruß in das Kurische Haff mündet?

 

Trotz der Bedeutung, die die Sowjets der Memel zumessen, hat sich die Schiffbarkeit des Stromes (bis Grodno möglich) gegenüber früher verschlechtert. Es muss daher als eine tatsächliche Leistung der russischen Flussschiffer anerkannt werden, dass sie dennoch heute auf der Memel einen stärkeren Frachtverkehr als bis 1945 abwickeln! Den Angaben von Radio Königsberg und den Mitteilungen von Oder-Schiffern, die oberschlesische Kohle auf dem Binnenwasserwege bis zur Memel bringen, kann man entnehmen, dass sich der Güterverkehr auf dem Fluss gegenüber unserer Zeit mindestens um ein Drittel vergrößert hat. Die Russen behaupten sogar in letzter Zeit, der Umschlag habe sich inzwischen verdoppelt.

 

Charakteristisch für den heutigen Verkehr auf der Memel ist, dass er ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt wird. Das heißt: außer Schleppern, Kähnen und kleinen Dampfern sieht man nichts mehr auf der Memel. Zu existieren aufgehört haben alle Fahrten der Anlieger und kleinen Gewerbetreibenden bzw. Landwirte, der Ausflugsverkehr und der Wochenendverkehr mit Segel-, Ruder- oder Paddelbooten. Die Memel ist sozusagen industrialisiert worden — der Strom kennt nur noch Nutzfahrzeuge. Dadurch hat sich natürlich der Charakter des Flusses weitgehend geändert, der früher ohne Wassersportler, Segler und Reisekähne undenkbar war.

 

Die Memel ist die Wirtschaftsader der Sowjetunion nach Nord-Ostpreußen geworden. Über den Strom werden Güter nach Russland gebracht und andere nach Ostpreußen geschickt. Die Zahl der hier eingesetzten Schleppzüge wird von den Russen ständig vergrößert. Es ist eine bunt zusammengewürfelte Flotte, die heute auf dem Strom ihren Dienst versieht. Neben modernsten Schleppern, die von russischen oder sowjetzonalen Werften nach hier gebracht wurden, sieht man altertümliche Fahrzeuge, die oft nur noch die Kraft zum Ziehen von einem oder zwei Lastkähnen haben. Von der Direktion für Binnenschifffahrt wird erst dann ein Schlepper abgewrackt, wenn er völlig ausgedient hat und kurz vor dem Absinken steht.

 

Diese Methode half den Sowjets über die Zeit, bis die Anlieferung neuer Schlepper einsetzte. Ähnlich steht es mit den Lastkähnen. Auf der Memel findet man heute Kähne von allen osteuropäischen Wasserstraßen. Nachdem nun auch auf diesem Gebiet Neulieferungen erfolgen, beginnt langsam die Verschrottung der Veteranen. Zurzeit besteht der weitaus überwiegende Teil aller Schlepper und Kähne aus modernen Fahrzeugen, wodurch die Kapazität und Rentabilität des Frachtgutverkehrs natürlich steigt. Endgültiges Ziel der Sowjets ist, die gegenwärtig moderne Flotte innerhalb von drei Jahren zu verdoppeln und damit die Memel „hundertprozentig auszulasten", wie Radio Königsberg jetzt feststellte. Es besteht kein Anlass daran, zu zweifeln, dass dieses Vorhaben verwirklicht werden kann. Schließlich hat sich Pankow erst vor kurzem verpflichtet, den Export von Schleppern und Kähnen an die UdSSR zu steigern. Die Sowjets wollen einen ununterbrochenen Verkehr von Schleppzügen memelaufwärts und memelabwärts.

 

Die Frage der Schiffe ist dabei aber nicht entscheidend. Wie von den Russen selbst eingestanden wird, haben sie die Stromsicherungsarbeiten gegenüber der Vorkriegszeit sehr vernachlässigt. Als die Folgen dieser Nachlässigkeit vor mehreren Jahren immer offensichtlicher wurden, besetzte man die Posten in den Wasserstraßen- und Stromverwaltung restlos um und holte sich Fachleute. Ihre schwierigsten Probleme bestehen in der Versandung der Memel, den fehlenden oder eingefallenen Spickdämmen sowie den Schutzdämmen vor Überschwemmungen.

 

Zur Behebung dieser Missstände, die eines Tages den gesamten Flussverkehr zum Erliegen bringen könnten, haben die Russen verschiedene Sicherungsaktionen anlaufen lassen. Einmal sind sie dabei, die früher von Sudargas bis zum Mündungsgebiet reichenden kleinen Ufermolen (Spickdämme) wieder herzurichten und sie auch auf den anderen Flussabschnitten anzulegen. Diese Molen waren zu deutscher Zeit angelegt worden und hatten sich sehr gut gegen Versandungen bewährt. Gleichzeitig damit begann man mit Arbeiten zum Überschwemmungsschutz. Dazu gehört die Reparatur von Schutzdämmen, die teilweise zerstört sind oder gar nicht beachtet wurden und mit der Zeit verfielen. Soldaten wurden in letzter Zeit eingesetzt, um auch die zur Regulierung des Wasserhaushaltes notwendigen Kanäle und Gräben wieder instand zu setzen. Die Schöpfwerke arbeiten bereits alle wieder. Auch deutsche Fachleute, die noch im Memelland in beträchtlicher Anzahl leben, werden für diese Arbeiten herangezogen.

 

Sehr kompliziert sind die Versandungen im ganzen Stromgebiet. Viele Sandbänke haben sich inmitten des Stromes und in den Mündungsarmen gebildet, die die Schifffahrt behindern und schon einige Flussteile unpassierbar machten, so dass kleinere Arme befahren werden müssen. Seit 1957 sind nun endlich neue Bagger eingetroffen, die auf Jahre hinaus Arbeit haben. Die Bagger werden zurzeit massiert auf der Atmath, der Skatull und überhaupt auf allen anderen Mündungsarmen eingesetzt. Am wichtigsten erscheinen diese Arbeiten auf der Gilge und der Skirwieth, deren Mündung schon gar nicht mehr schiffbar war. Die Sowjets tun jetzt jedenfalls alles, um die in der Nachkriegszeit durch Vernachlässigung entstandenen schweren Schäden zu beheben und durch sie ihre weiteren Pläne auf der Memel nicht gefährden zu lassen.

 

Natürlich haben sich die verschlechterten Stromverhältnisse auch schon jetzt auf den Verkehr ausgewirkt. Hinzu kommt, dass die Russen Kapitäne und Mannschaften haben, die die Memel von früher her nicht kennen. So entschloss man sich sehr frühzeitig, den ganzen Strom und vor allem die Schadensstellen zu befeuern. Ohne diese großzügig durchgeführte Aktion hätte der Verkehr auch überhaupt nicht durchgeführt werden können. Wer von den alten ostpreußischen Binnenschiffern heute die Memel befahren würde, der würde sich sehr wundern! Überall findet der Fahrensmann jetzt nämlich Baken und Leuchtzeichen. An windungsreichen Stellen ist jede Biegung besonders gekennzeichnet. Da der Frachtverkehr natürlich auch nachts nicht eingeschränkt wird, leuchten abends an beiden Ufern der Memel unzählige Leucht- und Richtungsfeuer auf. Man findet diese Zeichen auf den Sandbänken, an den Ufern und den Dämmen. Erst dadurch ist es den Sowjets gelungen, den mit dem Strom nicht vertrauten Kapitänen eine schnelle und sichere Fahrt zu ermöglichen. Die Stromverwaltung hat ein ganzes Heer von Bakenwärtern und Kontrolleuren eingesetzt, die die Richtungsanzeiger in Ordnung halten und jede Veränderung im Strom melden, so dass neue Sandbänke usw. sofort gekennzeichnet werden können. Befeuert ist heute der ganze Strom von Kowo (Kaunas) bis zur Gilge und weiter entlang des Friedrichsgraben über die Deime, den Pregel bis zu unserer Provinzialhauptstadt. Radio Königsberg meldete jetzt, dass in kurzer Zeit alle nachts leuchtenden Baken elektrisch befeuert würden. Das gilt vor allem für die inmitten des Flusses gelegenen Feuer, die mit Petroleum gespeist und von den Bakenwärtern jeweils angezündet werden. Wegen der Unzuverlässigkeit mancher Wärter, die ihren Dienst nachlässig versahen, sind schon Unfälle vorgekommen, wobei Schlepper und Kähne auf nicht beleuchtete seichte Stellen aufliefen.

 

Weiter haben die Sowjets bekanntgegeben, dass sie vor allem daran interessiert sind, die Fahrsaison auch auf das Winterhalbjahr auszudehnen. Gegenwärtig wickelt sich der Frachtverkehr vor allem zwischen Frühjahr und Herbst ab. Nun soll eine Leningrader Werft mehrere neue Eisbrecher liefern, die besonders für die Memel konstruiert worden sind und für immer dort bleiben sollen. Immer wieder greifen die Russen auf frühere deutsche Praktiken zurück, von denen sie inzwischen eingesehen haben, dass sie sehr zweckmäßig sind und sich rentieren. Die sowjetische Stromverwaltung in Kowno scheut sich daher auch nicht, bei den Deutschen auf dem nördlichen Ufer der Memel Rat einzuholen und an alte Maßnahmen wieder anzuknüpfen.

 

Neu ist allerdings die von den Russen eingerichtete Wasserpolizei, die ganz anders aufgezogen ist als zu unserer Zeit. Viele Polizeiboote kontrollieren jetzt die Schleppzüge sowie alle anderen Stromfahrzeuge. Seitdem auf der Memel die Kohlenkähne aus dem polnisch verwalteten Schlesien aufgetaucht sind, haben die Sowjets Angst vor Schmugglern und Spionen. So lassen sie auch auf dem Fluss ihre Polizeimacht alles und jeden überprüfen. Verboten ist beispielsweise sogar die Einfuhr polnischer Zeitungen, die die schlesischen Schiffer bei sich führen könnten. Die Strompolizei macht ferner Jagd auf Bannwaren aller Art. Dennoch wird natürlich geschmuggelt. Die Polen bringen billigen Schnaps mit, den sie gegen Lebensmittel eintauschen. Gute Geschäfte werden auch mit farbenfrohen Textilien aus Lodz gemacht, die selbst in Polen knapp sind — bei den Russen unter der Hand aber mehr einbringen als auf dem polnischen Schwarzmarkt. So ist dafür gesorgt, dass die Flusspolizisten auf der Memel immer zu tun haben. Sie haben außerdem noch die Aufgabe, die Kontrolleure der Bakenwärter anzuleiten und zu überprüfen. Ferner müssen sie bestimmte Schleppzüge mit wertvoller Ladung begleiten.

 

Einen Personenverkehr auf der Memel wie vor dem Kriege gibt es heute nicht mehr. Er ist so eingeschränkt worden, dass kaum 15 von Hundert der früher beförderten Personenzahl jetzt noch abgefertigt werden. Sehr gering ist vor allem der Verkehr von einem Ufer zum anderen der Memel. Bekanntlich gehört das nördliche Ufer zur litauischen Sowjetrepublik, während das südliche Ufer vom Königsberger Gebiet verwaltet wird. Bis vor fünf Jahren war zudem jedes Überqueren dieser Grenzlinie verboten. In den nachfolgenden Jahren hat sich nur ein kleiner Fährverkehr gebildet, da die lange Absperrung die Ufer zu sehr voneinander getrennt hat und viele traditionelle Bindungen nicht mehr bestehen. In der Hauptsache kommen jetzt Arbeiter mit Fährbooten oder über die Brücke zum Tilsiter Ufer, um in der Zellstofffabrik zu arbeiten oder um in Tilsit etwas einzukaufen oder zu tauschen.

 

Der Ausflugsverkehr kann als völlig eingeschlafen angesehen werden. Für derartige Bedürfnisse der Menschen hat der Sowjetstaat ja bekanntlich kein Verständnis. Er lässt daher nur einen geringfügigen Personenverkehr zu, der wie die Eisenbahn in geringem Maße gestattet werden muss. Von Labiau, Gilge oder Ruß kann man heute nach Tilsit fahren. Dort ist für diese Route Endstation. Von Tilsit aus, gehen andere Dampfer weiter stromaufwärts bis Kowno. Die für den Reiseverkehr eingesetzten Schiffe sind ebenfalls bunt zusammengewürfelt. Es handelt sich bei ihnen einmal um ebenfalls alte Flussdampfer, die man hier oder dort vorgefunden hat. Da sie jedoch mit der Zeit bald alle unbrauchbar wurden, hat man auch hier den Werften in der Sowjetzone Exportaufträge vergeben. Aus Rostock und Stralsund sind in den letzten Jahren daher einige neue und wirklich modern eingerichtete Personenschiffe an die Russen geliefert worden. Diese setzten einige davon auch auf der Memel ein.

 

Die Lage ist nun aber so, dass man glatt die zehnfache Anzahl von Schiffen dieser Art haben müsste, wollte man die Reiselustigen befördern.Infolge des großen Andrangs und der wenigen Dampfer weiß daher niemand, ob er einen Platz ergattern wird. Findige Leute kaufen daher immer wieder Fahrkarten auf und verkaufen sie an Reiselustige, die keine mehr erhalten haben und nicht zurückbleiben wollen. Rund sieben Stunden fahren die Russen heute von Labiau bis Tilsit. Was treibt nun die Menschen so zu den Fahrten memelaufwärts? Nun, das ist vor allem der große Tilsiter Markt, der weithin bekannt und beliebt ist. Dort kann man die unmöglichsten Dinge kaufen, die sonst nicht zu haben sind. So wie man dort alles kaufen kann, so kann man auch alles an den Mann bringen. Das ist vor allem für die Leute wichtig, die nicht über genug Geld verfügen und tauschen wollen. Tilsit ist im nördlichen Ostpreußen so etwas wie das Zentrum des legalen und illegalen Handels geworden. Das zieht die Menschen an. Die Fahrt nach Tilsit ist im Übrigen sehr beschwerlich, da die Reise schon kurz nach Mitternacht beginnt und man erst Mitternacht wieder zurück ist. Viele bekommen in Tilsit keinen Rückfahrplatz, so dass sie einen Tag warten müssen und in der Stadt in den Grünanlagen kampieren. Aus alledem ist ersichtlich, dass es sich bei diesen Fahrten keinesfalls um einen Ausflugs- oder Vergnügungsverkehr handelt.

 

Zu dem Frachtverkehr ist noch zu sagen, dass außer Kohlen für die Zellstoffwerke in Tilsit und Ragnit auch Brennstoffe nach Kowno gebracht werden. Dann bringt man natürlich Holz in großen Mengen zu den Ragniter und Tilsiter Fabriken und holt deren Produktion ab. Weiter werden auch viele im nördlichen Ostpreußen erzeugte Lebensmittel stromaufwärts verschifft. Es spielt bei diesem Frachtverkehr eine große Rolle, dass der Oberlauf der Memel durch einen Kanal mit dem Pripejt verbunden ist. Auch die meisten der in der Ostsee und dem Kurischen Haff gefangenen Fische werden auf dem Wasserwege in das Landesinnere geschafft. Auch industrielle Güter, die für Königsberg bestimmt sind oder dort erzeugt wurden, werden auf der Memel befördert. Nicht zuletzt ist der Strom auch für die Versorgung der Militärstützpunkte in Nord-Ostpreußen wichtig geworden.

 

Alles in allem kann man sagen, dass die Sowjets der Memel größte Bedeutung zumessen und sie dazu benutzen, unsere Heimat enger an die UdSSR anzuschließen. Radio Königsberg sagte deshalb auch: „Die Memel ist einer der interessantesten Flüsse der Sowjetunion!"

 

Seite 3   Foto: Eines der typischen Fischerhäuser an der Memel. Ebenso typisch für diese Landschaft sind die zum Trocknen aufgehängten Flundern. Foto: Löhrich

 

Seite 3   Aus Nord-Ostpreußen. Zinten wurde eine Etappenstadt. Russische Grenzsoldaten bevölkern die Stadt an der Demarkationslinie.

Das in der Landschaft Natangen gelegene Kleinstädtchen Zinten gehört zum sowjetisch verwalteten Teil Ostpreußens. Die Stadt, die in diesem Jahre 645 Jahre alt ist, hat das Unglück, unweit der heute Ostpreußen teilenden Demarkationslinie zwischen Russen und Polen gelegen zu sein. Die Sowjets haben daher Zinten zur Etappe der an der Grenze massiert eingesetzten Grenzsoldaten gemacht.

 

Dadurch hat sich das Bild in dem Städtchen völlig verändert. Wenn die Vertriebenen von dort heute ihre Heimat besuchen könnten, so würden sie sich kaum zurecht finden. Was an Bauwerken den Krieg überstand, das dient heute anderen Zwecken, ist umgebaut worden oder wurde abgerissen. Wo zum Beispiel das schon früher abgebrannte „Deutsche Haus" stand, befindet sich jetzt ein weitläufiges Barackenviertel. Es reicht fast bis zur Post und beherbergt einen Staatsladen sowie allerlei Dienststellen. In etwa hat der kleine Markt am Töpfertor seinen Charakter behalten. Dort befindet sich eine Art Basar, wo es fast orientalisch zugeht. Kolchosbäuerinnen und Tauschlustige bieten hier ihre Waren feil, die reißenden Absatz finden. Die Soldaten vor allem kaufen zusätzliche Lebensmittel und Spirituosen.

 

Verschwunden ist das Waldschlösschen im Zintener Stadtwald. Dort hat man nun ein Offizierskasino aufgebaut. Weitgehend verschwunden sind auch die letzten Überbleibsel der Zintener Stadtmauer, die in den wilden Zeiten der Gegenwart der kleinen Stadt keinen Schutz mehr bot. Auf dem Wilhelmsplatz hat die russische Truppenfeuerwehr nun ihren Standort, um von Zinten das bei Brand zu retten, was Krieg und Nachkriegszeit verschonte.

 

Die an der Demarkationslinie Dienst tuenden Soldaten haben über die ganze Stadt verstreut ihre Etappenquartiere. Viele werden nach einiger Zeit aus dem Grenzdienst gezogen und auf den bei Zinten gelegenen großen Truppenübungsplatz verlegt, wo sie weiter ausgebildet werden. Artillerie-, Panzer- und Werfer-Regimenter befinden sich auf diesem Manövergelände und bilden immer neue Einheiten. In der letzten Zeit haben die Sowjets die Grenze zum polnisch verwalteten Teil Ostpreußens noch weiter befestigt und sogar Truppen mit schweren Waffen nach dort gebracht.

 

Stäbe der sowjetischen Truppen haben sich am Zintener Marktplatz und am Wilhelmsplatz einquartiert. In der Promenade zum Bahnhof wohnen einige Zivilisten. Die Denkmäler in dieser Promenade existieren nicht mehr. Wie Briefe aus Ostpreußen besagen, soll die Pfarrkirche mit ihrem wichtigen Turm stark beschädigt sein. Übel sieht es auch an dem Damm an der Stradick aus, der seit 1945 schon zweimal gebrochen sein soll. Der Mühlenbetrieb an der Stradick ist nicht mehr in Betrieb. Er wurde abgerissen. Auch die Seifenfabrik, die Meierei und die anderen kleinen Firmen bestehen nicht mehr — Zinten ist für Leben und Arbeit tot.

 

Seite 3   Schlösser für West-Touristen

Die ehemaligen Schlösser der deutschen Kreuzritter in der Nähe der ostpreußischen Städte Heilsberg und Lötzen sowie im Kreis Rössel werden gegenwärtig von den polnischen Behörden in Touristenhotels umgebaut, nachdem sie seit Kriegsende nicht benutzt oder als Speicher verwendet worden sind. Nach einer Meldung der polnischen Zeitung „Glos Olsztynski" (Allensteiner Stimme) erwarten die Touristenquartiere bei den Masurischen Seen in Ostpreußen in diesem Jahr zahlreiche Touristen und Gäste aus westlichen Staaten, die in den ostpreußischen Wäldern auf die Jagd gehen können. Die Schlösser Heilsberg und Lötzen liegen nur 30 bis 40 Kilometer von der polnisch-sowjetischen Demarkationslinie in Ostpreußen entfernt.

 

Seite 3   Wolfsjagd mit Flugzeugen

Die in Allenstein erscheinende kommunistische Zeitung „Glos Olsztynski" meldet, dass jetzt bei einer großen Wolfsjagd in der Wojewodschaft Lublin (Polen) zum ersten Mal Flugzeuge eingesetzt werden. Allein in diesem die Sowjetunion angrenzenden Gebiet seien über 100 Wölfe festgestellt worden, die großen Schaden im Wildbestand anrichten und auf der Nahrungssuche sogar in die Dörfer eindringen.

 

Die Wolfsrudel verbergen sich in unzugänglichen Sumpfgebieten. Dort sollen sie von Flugzeugen aufgespürt werden. Das KP-Organ fordert zugleich eine Aktivierung der Wolfsbekämpfung in Ostpreußen, in dessen Wäldern ebenfalls Wolfsrudel anzutreffen seien.

 

Seite 4   Für Dänemark-Internierte keine Entschädigung. Flüchtlinge und Evakuierte gelten nicht als Kriegsgefangene

Ein Lager mit einem Stacheldraht herum bedeutet noch lange nicht, dass seine Insassen Kriegsgefangene sind. Dies wurde jetzt vom Bundesverwaltungsgericht einigen Flüchtlingen klar gemacht, die die Anerkennung der Kriegsgefangeneneigenschaft für sich forderten.

Die Leute waren, wie viele andere Flüchtlinge aus Ostdeutschland, Anfang Mai 1945 mit dem Schiff über die Ostsee nach Dänemark gebracht worden. Dort wurden sie in einem Auffanglager untergebracht. Nach der Kapitulation umgaben die Dänen das Lager mit Stacheldraht und stellten es unter militärische Bewachung. Im Oktober 1948 konnten die Kläger das Lager in Richtung Bundesrepublik verlassen.

Die Kläger beriefen sich nun auf das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, das in Ziffer 2, Buchstabe a den Kriegsgefangenen im weiteren Sinn definiert: „Deutsche, die im ursächlichen Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg im Ausland wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Staatsangehörigkeit ... auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung ... festgehalten wurden". Damit sollten wohl die Deutschen, die im Ausland seit Kriegsbeginn interniert waren, gemeint sein, denn ausdrücklich bestimmt der Absatz 3, Satz 1 des Gesetzes: „Absatz 2 gilt nicht für Deutsche, die entweder vor dem anrückenden Feind evakuiert wurden oder geflohen sind oder als Vertriebene in Lagern im Ausland zum Zweck ihres Abtransports untergebracht worden waren".

 

Das Bundesverwaltungsgericht definierte diese missverständliche Formulierung, indem es klarlegte, dass nur der Kriegsgefangener sein könne, der durch die Kriegsereignisse im ursächlichen Zusammenhang, nicht aber durch eine Kriegsfolge in ein Lager kam.

Die während des Krieges nach Dänemark geflohenen oder evakuierten Deutschen, die nach der Kapitulation in dänischen Lagern festgehalten wurden, haben keinen Anspruch auf Entschädigungen nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz.

 

Seite 4   Ohne Bauern keine Rückkehr. Das Maximilian-Kaller-Heim in Helle.

Das Maximilian-Kaller-Heim, Helle b. Balve (Kr. Arnsberg), Ausbildungsstätte für landwirtschaftliche Lehrlinge, nimmt Ostern 1958 noch einige Lehrlinge auf.

Sechs Jahre werden hier bereits landwirtschaftliche Lehrlinge ausgebildet. Es haben bisher ca. 100 Lehrlinge mit gutem Erfolg die Gehilfenprüfung bestanden. Als Verwalter, Pächter, Siedler, manche auch in anderen Ländern, als Schüler höherer Landbauschulen u. a. m. stehen diese ostdeutschen Jungen im bäuerlichen Leben.

Die Lehrzeit beträgt drei Jahre. Auf von der Landwirtschaftskammer ausgesuchten Lehrhöfen in der Umgebung wird die Ausbildung gewährleistet. Die Unterbringung und Betreuung geschieht im Heim. Mit Autobus wird der Lehrling auf den Lehrhof gebracht und am Abend wieder abgeholt.

Arbeitszeit und Arbeitsmasse sind abgegrenzt. Fünf Tage in der Woche wird auf dem Hof gearbeitet. Ein Tag gilt der theoretischen Schulung im Heim. Die Abende und der Sonntag werden mit Spiel, Sport, Film, Fernsehen, Fachkunde, Heimatkunde und mit allen jugendgemäßen Beschäftigungen gefüllt. Für eine gesunde körperliche, geistige und charakterliche Entwicklung sorgt ein Jugendpfleger. Nach der Gehilfenprüfung kann in Balve in zwei Wintersemestern die Landwirtschaftliche Fachschule besucht werden.

Unsere ostdeutschen Bauernfamilien sollten einen Sohn wieder Bauer werden lassen und eine Tochter wieder Bäuerin! Das Recht auf die Heimat bleibt nur bestehen, wenn Menschen dieses Recht vertreten und bewahren.

Meldungen: An das Maximilan-Kaller-Heim, Helle b. Balve, Kr. Arnsberg. Auskunft auf alle Fragen wird gern erteilt.

 

Seite 4   Wir fühlen mit euch. Jeder ist zur Hilfe aufgerufen.

Der Niedersächsische Minister des Innern hat dem Verein „Friedlandhilfe e. V." in Friedland die Genehmigung erteilt, im Lande Niedersachsen in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1958 eine öffentliche Sammlung von Geld- und Sachspenden durchzuführen.

Wie hierzu bekannt wurde, wird die Sammelaktion für den gleichen Zeitraum auch in anderen Bundesländern genehmigt werden. Der Niedersächsische Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte Albert Höft wendet sich aus diesem Anlass mit folgendem Aufruf an die Bevölkerung des Landes Niedersachsen:

„Immer noch geht Monat für Monat die Zahl der deutschen Aussiedler aus dem europäischen Osten und die der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone, die über die unselige Zonengrenze zu uns kommen, in die Zehntausende. Seit Jahr und Tag versuchen in aufopferungsvoller Weise die Freien Wohlfahrtsverbände, diesen leidgeprüften Menschen ihr schweres Los zu erleichtern. Die Anforderungen, die sich aus dieser, stellvertretend für uns alle übernommenen Aufgabe ergeben, gehen weit über die materiellen Möglichkelten der Freien Wohlfahrtsverbände hinaus.

Zum zweiten Male nach ihrer Gründung im November vorigen Jahres wendet sich daher die „Friedlandhilfe e.V." an die deutsche Öffentlichkeit, durch Geld- und Sachspenden der Freien Wohlfahrt die Fortführung ihres Betreuungswerkes an den Aussiedlern und Flüchtlingen zu ermöglichen.

Ich bin gewiss, dass der Appell der „Friedlandhilfe" gerade im Zonengrenz- und Flüchtlingsland Niedersachsen viele offene Herzen und Hände finden wird. Es kommt dabei nicht so sehr auf die Größe der einzelnen Gabe an. Viel wichtiger ist, dass wir alle geben, dass wir diesen Menschen, die ihre Heimat verloren, durch unsere Gabe sagen: „Wir fühlen mit euch, seid uns herzlich willkommen!"

 

Seite 4   Dringender Appell an die Gemeinden. Stärkerer Einsatz für die Aussiedler notwendig! - Die Landessynode zur Flüchtlings- und Aussiedler-Frage.

Auf Grund eines von Superintendent Lüderwaldt (früher Pommern) erstatteten und erläuterten Berichts des Ausschusses für Flüchtlings- und Vertriebenen-Fragen beschäftigte sich die hannoversche Landessynode eingehend mit den Fragen der SBZ-Flüchtlinge und der Aussiedler aus den polnisch verwalteten Ostgebieten. In der eingehenden Debatte und zwei zum Abschluss der Aussprache angenommenen Anträgen bekundete die Landessynode einmütig die Notwendigkeit, die Kirchengemeinden noch stärker als bisher für die Hilfe vor allem an den Aussiedlern zu erwärmen. Das Männer- und das Frauenwerk der Landeskirche sollen tunlichst dafür sorgen, dass in den Gemeinden der Landeskirche Sachkenner Vorträge über alle Flüchtlings- und Aussiedler-Fragen halten, und zum anderen sollen möglichst viele aktive Gemeindeglieder nach Friedland kommen, um an Ort und Stelle die Probleme der Aussiedler und Flüchtlinge kennenzulernen, weil dann durch sie umso mehr die Bereitschaft zur unmittelbaren Hilfe in den Gemeinden geweckt werden kann. Ferner wurde angeregt, dass der Ausschuss für Flüchtlings- und Vertriebenenfragen der Landessynode das Lager Friedland besichtigen und im Gespräch mit den Lagerpfarrern und ihren Mitarbeitern sowie den Aussiedlern klären möchte, wie der seelsorgerliche und der materielle Einsatz der Landeskirche für die Aussiedler und Flüchtlinge noch verstärkt werden kann.

In der Aussprache wurde u. a. bedauert, dass im Unterschied zu der Zeit vor eineinhalb Jahren bei den Ungarn-Flüchtlingen — die Anteilnahme weitester Kreise der westdeutschen Bevölkerung am Schicksal der Aussiedler fehle, obwohl die Probleme, die durch die Ankunft der Aussiedler entstehen (im Jahre 1958 ist, nachdem bisher bereits weit über 100 000 Aussiedler eingetroffen sind, mit der Aussiedlung von rund 180 000 Menschen zu rechnen), noch schwieriger sind als damals. Ein wesentlicher Teil der Jugendlichen muss erst lernen Deutsch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben, und außerdem darf nicht übersehen werden, dass die Aussiedler weit über ein Jahrzehnt in einer vom Materialismus bestimmten Umwelt gelebt haben. Gerade hier sollte es Aufgabe der Kirche sein, helfend und führend einzugreifen. In der Aussprache wurde weiter anerkannt, dass durch die vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland vollzogene Ernennung eines Flüchtlingsbischofs in der Person des schleswigschen Bischofs D. Wester der Blick nicht nur der kirchlichen Kreise, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit erneut auf die Flüchtlings- und Aussiedlerfragen gelenkt worden und dass die Hoffnung berechtigt ist, dass durch diese gesamtkirchliche Arbeit auch die praktische Hilfe auf weite Sicht verstärkt wird.

Insgesamt sollte, so meinte u. a. Superintendent Achilles, Göttingen, die Arbeit für Flüchtlinge und Aussiedler, die vor allem in Friedland geleistet wird, nicht durch ein äußeres Zeichen, ein „Denkmal der Liebe" in den Herzen der Gemeindeglieder verankert werden. Vikarin Griesang hob vor allem die aufopfernde Arbeit hervor, die nun schon seit langen Jahren von den Göttinger Frauen im Lager Friedland geleistet wird. Landessuperintendent Schulze lenkte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass außer in Friedland auch noch in einer großen Anzahl anderer Lager im Bereich der Landeskirche ein nicht abreißender Dienst der Kirche und ihrer karitativen Stellen für die Flüchtlinge und Aussiedler geschieht.

„Das evangelische Lagerpfarramt Friedland", so heißt es am Schluss des der Synode erstatteten Ausschussberichtes, „bezeugt, dass der Hunger nach Gottes Wort groß ist. Das Vertrauen zur Kirche ist stark ausgeprägt vorhanden, oft übersteigert mit Erwartungen, die nicht erfüllbar sind. Den Aufnahmegemeinden, ihren Pfarrämtern und Mitarbeitern, ihren Kreisen und Gruppen erwächst durch die Spätaussiedler eine wichtige Aufgabe, wenn nicht sehr viel zerstört werden soll ... Wenn die deutsche Öffentlichkeit schweigt, so sollen sich die Gemeinden umso mehr ihrer Pflicht zur Fürbitte für die jetzt Ausgesiedelten, für die, die noch kommen, und für die, die da bleiben wollen, erinnern“.

 

Seite 4   Archive der ehemaligen Wehrmacht.

Das Bundesministerium für Verteidigung teilt mit:

In allen Fragen die die ehemalige deutsche Wehrmacht betreffen, sind folgende Archive zuständig:

1. Bundesarchiv — Zentralnachweisstelle — Kornelimünster bei Aachen: für alle Angehörigen des ehemaligen Heeres, der Luftwaffe, deren Gefolgschaftsmitglieder, sowie für Teilnehmer des ersten Weltkrieges 1914/1918.

2. Deutsche Dienststelle, Berlin-Wittenau, Eichborndamm 167/209, oder Postfach: für alle Angehörigen der ehemaligen Reichs- und Kriegsmarine. Außerdem befindet sich dort das Erkennungsmarkenverzeichnis aller Angehörigen der Deutschen Wehrmacht, einschließlich Gefolgschaftsmitglieder.

3. Heimkehrerlager Friedland bei Göttingen: zur Ausstellung von Zweitschriften von in Verlust geratenen Entlassungsscheinen D 2 aus ehemaliger Kriegsgefangenschaft.

4. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München 19, Leonrodstraße 57: für die Angehörigen der ehemaligen Königlich Bayerischen Armee.

Das Bundesministerium für Verteidigung besitzt keine Personalunterlagen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht.

 

Seite 4   Noch Zeit für Lohnsteuerjahresausgleich 1957

Die Empfänger von Löhnen und Gehältern, die also der Lohnsteuer unterliegen, machen viel zu wenig von der Möglichkeit Gebrauch, sich die ihnen zustehenden steuerfreien Beträge vom Steueramt absetzen zu lassen. Bis zum 30. April können beim zuständigen Finanzamt Anträge auf den Lohnsteuerjahresausgleich 1957 gestellt werden und bis zum 30. März sollten die Anträge über die Anerkennung steuerfreier Beträge für das laufende Jahr beim Finanzamt eingebracht werden. In der nachfolgenden Aufstellung sind die wichtigsten Positionen enthalten, die für einen Jahresausgleich geltend gemacht werden können.

1.     Schwankender Arbeitslohn

Arbeitsplatzwechsel, Lohn- bzw. Gehaltsänderungen, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Todesfall des Steuerpflichtigen

2.     Austausch der Steuerklasse

(Kommt nur dann in Frage, wenn das Einkommen der mitverdienenden Ehefrau höher ist.)

3.     Änderung der Steuerklasse

Verehelichung, Geburten und Erreichung des 55. Lebensjahres (Bedingung mindestens 4 Monate im Kalenderjahr).

4.     Werbekosten

Es werden nur jene Kosten berücksichtigt, die den gesetzlichen Pauschalbetrag von 562,-- übersteigen. Folgende Kosten fallen unter diese Position:

a)     Kraftfahrzeugkosten: Erfordernisse;

dienstliche Notwendigkeit, repräsentative Verpflichtungen, Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Bei letzterem gelten folgende Sätze pro km von der Wohnung zur Arbeitsstätte (nicht zurück): Kraftwagen 0,50 DM; Kleinstwagen (unter 500 ccm) 0,36 DM; Motorräder 0,22 DM; Fahrräder mit Hilfsmotor 0,12 DM.

b)   Umzugskosten (Versetzung aus dienstlichen Gründen).

c)   Beköstigungskosten (mehr als 12-stündige Abwesenheit von der Wohnung — anrechenbarer Tagessatz: 1,50 DM).

d)   Beiträge zur Gewerkschaft, zu Berufsverbänden, Berufsständen.

e)   Fortbildungskosten (Fortbildungslehrgänge, Fachzeitschriften, Fachbücher).

 f)   Aufwendungen für Berufskleidung.

 g) Doppelte Haushaltsführung.

h)   Reisekosten (falls nicht vom Arbeitgeber ersetzt und das Reiseziel mehr als 5 km von der regelmäßigen Arbeitsstätte entfernt liegt).

i)    Unverzinsliche Darlehen zur Förderung des Wohnungsbaues (nur im Jahre der Hingabe — hier ist die genaue Erkundigung beim Finanzamt notwendig, weil mit vielen Klauseln verknüpft).

5. Sonderausgaben

Es werden nur jene Kosten berücksichtigt, die den jährlichen Pauschalbetrag bei Einzelpersonen 624 DM, bei mitverdienenden Ehegatten 1248 DM (hier sind die gemeinsamen Sonderausgaben anzusetzen) übersteigen.

a) Versicherungsbeiträge zur Angestellten-, Invaliden-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung (Arbeitnehmeranteile).

b) Anteilige Überversicherung bzw. Zusatzversicherung.

c) Haftpflichtversicherung, Versorgungs- und Sterbekassenbeiträge.

d) Bausparkassenbeiträge.

e) Sparverträge und sonstige Kapitalansammlungsverträge (n. d. VO. v. 30.03.1957).

f) Ersterwerb von Anteilen an Bau-, Wohnungs- und Verbrauchergenossenschaften, wenn die Einzahlung vor dem 1. Januar 1955 erfolgte.

g) Schuldzinsen, Renten und bis ¼  der Vermögensabgabe.

h) Kirchen- und Vermögenssteuer.

i) Spenden zur Förderung mildtätiger, kirchlicher, religiöser, wissenschaftlicher, staatspolitischer und besonders anerkannter gemeinnütziger Zwecke.

6. Besondere Freibeträge

a) Altersfreibeträge (wenn im 5. Monat des Kalenderjahres das 70. Lebensjahr erreicht wird — bei Einzelpersonen 360 DM, bei Verheirateten 720 DM) — gilt auch für die nicht dauernd getrennte Ehegattin.

b) Freibeträge für Freischaffende.

c) Freibeträge für Kriegs- und Zivilkörperbeschädigte und Kriegshinterbliebene (dieselben werden nach der prozentuellen Minderung unter Berücksichtigung der Steuerklasse berechnet).

d) Freibeträge für Heimatvertriebene, Vertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge, politisch Verfolgte, Spätheimkehrer usw. für 3 Kalenderjahre ab dem Jahr, wo die Voraussetzung für die Gewährung erstmals gegeben ist.

7. Außergewöhnliche Belastungen

a) Unterstützung bedürftiger Personen, wo eine rechtliche oder moralische Verpflichtung besteht.

b) Liebesgabenpakete in die Ostzone unter gewissen Bedingungen (Nachweis durch die Paketabschnitte der Post erforderlich).

c) Diätkosten (auch für bedürftige Angehörige, die der Steuerpflichtige selbst trägt).

d) Kurkosten (Belege und Attest des Arztes sind einzureichen).

e) Kosten für die Haushälterin, Hausgehilfin und Putzhilfe (wegen der mannigfaltigen Richtlinien ist die Auskunft beim Finanzamt erforderlich).

f) Außergewöhnliche Belastung bei Todesfällen (Trauerkleidung ist nicht anrechenbar).

Bei den außerordentlichen Belastungen wird größtenteils eine zumutbare, prozentuelle Eigenbelastung angerechnet. Für die nichtmitverdienende Ehefrau erhält der steuerpflichtige Ehegatte einen Freibetrag von 350 DM (ab 01.08.1957, soweit dieser noch nicht geltend gemacht wurde).

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 3. März 1958.

 

Foto: Auf Regen folgt Sonnenschein. Zwei lachende Kinder unterm Regenschirm.

 

Seite 5   Ein Brief zur Konfirmation.

Lieber großer Junge!

Nun kommt der Tag Deiner Konfirmation immer näher. Ich weiß, Du freust Dich darauf. Nicht so sehr auf den Tag selbst und auch nicht auf die Feier in der Kirche und im Hause und noch weniger auf die vielen Glückwünsche und kleinen Geschenke von all den Verwandten und Nachbarn. Das alles hat für Dich einen etwas peinlichen Beigeschmack, und Du kannst nicht viel damit anfangen.

 

Auch Du freust Dich, dass Du dann endlich Deine „blöden“ Schulbücher auf den Boden bringen kannst, dass Du dann endlich eine lange Hose und einen bunten Schlips tragen darfst, dass Du dann manches tun und mitmachen kannst, ohne Vater und Mutter zu fragen, und dass Du dann endlich „erwachsen“ bist.

 

O ja, es ist eine schöne Zeit, und es ist ein herrliches Gefühl, wenn man so jung und unbeschwert ins Leben hinauszieht. Es ist richtig wie ein „Segel setzen" und „Aus-dem-Hafen-Hinaussteuern in das freie offene Meer, in unbekannte herrlich-weite Fernen".

 

Aber, lieber großer Junge, auch diese erste Fahrt hinaus in die Welt will wohl bedacht und richtig begonnen sein. Denn diese erste Ausreise entscheidet fast immer über die ganze Fahrt durchs Leben.

 

Wir Menschen sind alle verschieden, jeder hat sein Schiff für sich, und jeder muss auch seinen eigenen Kurs steuern und muss sehen, wie er mit den Stürmen und Gefahren da draußen fertig wird und wie er sich von den vielen Untiefen und Klippen frei hält, damit er ohne Schaden und gesund an Leib und Seele das fremde Land erreicht.

 

Mir kommt da wieder ein kleiner Spruch in den Sinn, den ich vor Jahren einmal von einem alten Kapitän gehört habe: „Nur wenn wir unseren Hafen wissen, sagt Gott uns, wo wir steuern müssen!" Ein gutes Wort. Man kann lange darüber nachdenken.

 

Weißt Du Deinen Hafen, mein Junge? Weißt Du, wie und wo Du — nach zehn oder fünfzehn Jahren — heil und gesund „an Land kommen" möchtest, um Dir dann selber ein eigenes Haus oder ein kleines Nest zu bauen? — Ja? — Dann weißt Du auch — oder unser Herrgott wird es Dir sagen —, wie Du schon gleich bei Deiner ersten Ausreise steuern musst.

 

Dann brauche ich Dir auch nichts weiter mitzugeben als einen festen Druck der Hand und ein paar kleine, einfache Segelanweisungen, die schon mein Vater von seinem Vater mit auf den Weg bekommen bat: Sei vorsichtig und wach! Setze bei jedem Wind nicht mehr Segel, als Dein Boot vertragen kann! Halte im Sturm Dein Steuer fest in der Hand und lass Dich auch bei gutem Wetter und glatter See nicht willenlos treiben, denn jede Stunde und jede Seemeile, die Du verspielst oder vergibst, ist für immer verloren! Hab acht auf die Strömung, sie bringt Dich gar zu leicht aus dem Kurs, ohne dass Du es merkst! Sei nicht neidisch auf die anderen Fahrzeuge, die vielleicht höhere Masten und größere Segel haben und darum so scheinbar schneller vorwärts kommen als Du. Es kommt bei der Reise durch das Leben nicht auf die bunten Flaggen und auf die leichte Fahrt an. Es kommt nur darauf an, dass Du Dein Schiff heil und sicher in den Hafen bringst, in Deinen Hafen!

 

Du lieber großer Junge, ich wünsche Dir — durch Sturm und Stille, durch Nebel und Sonne, durch dunkle Nächte und leuchtende Tage — eine herrliche Fahrt! Nimm Deinen Mut als Segel, Dein fröhliches Herz als Steuer und Deinen Herrgott als Lotsen und Berater! Dann ist mir um Dich und um Deine Fahrt durchs Leben nicht bange. Rudolf Kinau.

Aus Johann Christoph Hampe „Dein Tag bricht an". Eine Gabe für die Jugend, Kreuz-Verlag, Stuttgart. Foto: Kinder am Kai schauen auf einen großen Frachter. Darunter steht: Hier müsste man einmal im Leben mitfahren können!

 

Seite 5   Deutsche in aller Welt.

Deutsche Mennoniten in Brasilien. Neue deutsche Dörfer im Staate Parane.

Seit die Spanier in Friesland die Sekte der Mennoniten auf das grausamste zu verfolgen begannen, sind diese friesisch-niedersächsischen Menschen gewissermaßen immer auf Wanderschaft. Sie wanderten nach West und Ost, übers Weltmeer und über die Steppen Russlands bis weit nach Sibirien. Eine zähe Rasse voll unbändigen Fleißes, geborene Kolonisatoren, die fast überall, wohin sie das Schicksal stellte, Erfolg gehabt haben. Tiefreligiös, innerlich und äußerlich sauber, konservativ in den meisten Dingen des täglichen Lebens, aber unternehmungslustig und wirtschaftlich denkend, stellen die Mennoniten einen ganz eigenen Typ niederdeutschen Menschentums dar, der kaum unterzukriegen ist. Jene ersten planmäßig nach Nordamerika eingewanderten 13 Krefelder Leineweberfamilien, die am Rande von Philadelphia Germantown gründeten, waren Mennoniten. Mennoniten haben die Sumpflandschaften an Weichsel und Nogat kolonisiert. Ihre Söhne zogen weiter auf die Steppen Südrusslands, die sie zur Kornkammer des Zarenreiches werden ließen. Von hier wanderten Zehntausende nach Kanada, als sie in Russland nicht mehr nach ihren religiösen Gesetzen leben durften, die ihnen Waffen zu tragen und Kriegsdienste zu leisten, verbieten. Und nach dem ersten Weltkrieg machten sich Tausende aus Russland wieder auf den Weg nach Übersee. Ihre in Kanada lebenden Verwandten halfen ihnen zu einem neuen Start in Mexiko, Argentinien und Brasilien. Diese neue Wanderschaft hat vielen von ihnen eine neue Heimat geschenkt, andere aber zogen bald von ihren Neugründungen weiter, weil sie nicht das gefunden hatten, was sie sich versprachen, denn sie wollen blühende Siedlungen besitzen, die ihnen guten Verdienst abwerfen. Viele dieser 1923 aus Russland ausgewanderten Mennoniten hatten sich im Staate Rio Grande do Sul angesiedelt, wo aber ihre Siedlungen nicht recht gedeihen wollten. Sie siedelten 1951 in die Nähe von Curitiba im Staate Parana um und wurden zum Teil Milchbauern, die bereits nach wenigen Jahren einen großen Teil des Milchhandels dieser ständig wachsenden Großstadt in ihre Hand gebracht haben. Sie liefern täglich etwa 15 000 Liter Vollmilch in die Stadt und verteilen sie selber in die Häuser. Rund 100 Familien haben sich in der Vorstadt Vila Gnaira und in der Stadt selbst als Fabrikarbeiter, Kaufleute und selbständige Unternehmer niedergelassen. Hauptsächlich befassen sie sich mit der Erzeugung von Sperrholz und sie haben zu diesem Zweck eine Reihe eigener Betriebe eröffnet.

 

Die Kolonie Wittmarsum in Parana

Diese Kolonie wurde 1952 auf dem Gut des ehemaligen Senators Roberto Glaser gegründet, der 1951 sein fast 8000 ha zählendes Besitztum an die Mennoniten verkaufte. Hier sind nun im Laufe der letzten drei Jahre vier Dörfer entstanden, in denen insgesamt 80 Familien wohnen. Das ganze Gebiet ist aber in 130 Landlose eingeteilt, so dass noch weitere 50 Familien erwartet werden. Hier beginnt sich nun ein Gemeindewesen zu entwickeln, das ganz bewusst an die Tradition des Gemeinschaftslebens in Russland anknüpft, um auf diese Weise besser das Erbe der Väter erhalten zu können. In wirtschaftlicher Hinsicht hat sich diese Kolonie ganz auf den Absatzmarkt in Curitiba eingestellt und liefert vor allem größere Mengen Butter und Käse in die Großstadt, stellt sich aber auch schon sehr auf Schweinemast und Reisbau ein. Die Siedler haben erkannt, dass eine gesunde Milchwirtschaft die beste Grundlage für ihre wirtschaftliche Zukunft bildet. Witmarsum ist auf offenem Kampfland angelegt worden, und die Siedler haben in wenigen Jahren den Beweis erbracht, dass der Kampfboden bei entsprechender Bearbeitung und Pflege gute Erträge zu bringen vermag. Durch seine milch- und landwirtschaftlichen Erfolge hat es bereits die Aufmerksamkeit weiter Kreise, besonders auch der Regierung, auf sich gelenkt, und dürfte in Zukunft als Beispiel für die Anlage von Neusiedlungen in dem geplanten Grüngürtel um Curitiba dienen. So sind die Mennoniten auch hier wieder als landwirtschaftliche Pioniere tätig.

 

Laureira da Silva bei Bagé

Auch hier handelt es sich um eine neue Bauernsiedlung nach dem Vorbild der Kolonisation in Russland. Die rund 100 Familien sind hier ganz zur Wirtschaftsform der Väter im Osten zurückgekehrt, indem sie wieder Weizen und Mais im Großbetrieb anbauen. Es bestehen hier zwei Dörfer, denen noch eine dritte Siedlung hinzuzurechnen ist, die durch Einzelhöfe von Mennoniten aus der Umgebung von Curitiba gegründet wurde. Die Siedler sind hier zum größten Teil zur mechanisierten Landwirtschaft übergegangen und erzeugen jedes Jahr große Mengen Weizen für den Brotbedarf in Brasilien. Da die brasilianische Regierung auf die Förderung des Weizenanbaues großes Gewicht legt, sind die Mennoniten hier sehr willkommene Siedler. Durch ihren Fleiß und ihre wirtschaftliche Tüchtigkeit haben sie sich das Vertrauen der Banken und Regierungsorgane erworben und bilden heute bereits einen beachtlichen Faktor im Gebiet von Bagé.

 

In der landwirtschaftlichen Tätigkeit liegt überhaupt die Bedeutung der Mennoniten für den brasilianischen Staat, zumal sich in allen Teilen des Landes infolge des ungesunden Zuges in die Stadt ein Mangel an Bauern und Landarbeitern bemerkbar macht. Die bäuerliche Lebensform bietet den Mennoniten aber auch die beste Möglichkeit zur Erhaltung ihrer Gemeinschaft und zur Wahrung des väterlichen Erbes. Der Einfluss der Stadt hat sich auf das deutsche Gemeinschaftsleben noch immer nachteilig ausgewirkt. Die Mennoniten versuchen ihre alte Lebensform dem neuen Lande anzugleichen. Geschähe das nicht, dann würden sie in absehbarer Zeit als Sondergruppe verschwinden. Das mennonitische Gemeinschaftsleben mit seiner preußisch-russländischen Tradition kann wohl nur auf der Grundlage einer geschlossenen bäuerlichen Siedlung erhalten werden. Darin liegt die große Bedeutung der mennonitischen Neusiedlung für die Zukunft ihrer Gemeinschaft in Brasilien.

 

Seite 5   Eine lustige Bastelei.

Liebe Bastelfreunde!

Ist das nicht eine nette Familie, die Familie Knebel? Ihr seht sie hier bei einem friedlichen Spaziergang (Bild).

Passt auf, wie sie entstanden ist, und dann macht es nach. Der Bauer besteht aus einem Paketknebel. Als Hut ist ein passender Pappring übergezogen. Die Arme — mit weißem Papier umwickelte Streichhölzer — sind angeleimt. Als Füße nagelt ihr einen kleinen Holzknopf zusammen mit einem Pappviereck unter.

Der Rock der Hausfrau ist ein dicker runder Holzknopf. Da hinein steckt ihr einen halben Knebel, so, dass die dünnere Stelle den Hals bildet. Die Streichholzarme sind halb mit Papier umwickelt. Ein Stückchen Stoff dient als Kopftuch.

Eine Walnussschale und vier kleine Holzknöpfe oder Papprunds, durch Streichhölzer verbunden und mit einem Stoffstreifchen unter der Nussschale befestigt, ergeben den Wagen, ein Stück Knebel, in einen weißen Stoffstreifen gewickelt und in ein paar Läppchen gebettet, das Kind.

Wenn ihr alles hübsch bunt bemalt, werdet ihr viel Freude an Familie Knebel haben. Und vielleicht fallen euch beim Basteln dann auch noch andere hübsche Figuren ein.

 

Seite 5   Das Buch des Monats

Dein Tag bricht an

In diesem Monat sei es ein einziges Buch, mit dem wir euch bekanntmachen wollen. Viele von euch werden in diesen Wochen konfirmiert; ein neuer Abschnitt des Lebens öffnet sich vor ihnen. Für viele beginnt mit diesem Zeitpunkt der sogenannte Ernst des Lebens: der Abschied von der Schule, der Eintritt in das Berufsleben. Ein neuer Tag. ‚Dein' Tag bricht an. So will der Titel und das Anliegen dieses Buches verstanden sein. An dieser Schwelle will es dir ein treuer Freund sein, will dich hinausgeleiten, will dir auf viele Fragen, die in deinem neuen Lebensabschnitt und oft ungestüm an dich herantreten, Antwort geben, und es will dir Werte zeigen, nach denen es sich lohnt zu streben. Es ist ein gutes Buch und ein guter Weggenosse, dem man sich uneingeschränkt anvertrauen kann. Der Herausgeber, Johann Christoph Hampe, hat es aus zahllosen Einzelbeiträgen bekannter Dichter, Schriftsteller und Denker zusammengestellt, und aus allem — Erzählungen und Geschichten, Berichten und Zwiegesprächen, Gedichten und Worten der Bibel — spürt man die Weghilfe, ob es sich nun um ein einfaches Jugenderlebnis oder um das Erlebnis fremder Erdteile und Völker handelt. Wer zu hören versteht, wird diesem Buch ein Leben lang danken; es wird einen Ehrenplatz in seiner Bücherei erhalten, und immer wieder wird man nach ihm greifen, denn keine Zeit kann das hier Gesagte überholen.

 

Viele Bildtafeln aus allen menschlichen Bereichen, sorgfältig ausgewählt, sind scheinbar zusammenhanglos in die Texte eingestreut, und auch hier das gleiche Anliegen: das Leben aufzuzeigen und zu den ewigen Werten zu führen.

Johann Christoph Hampe: DEIN TAG BRICHT AN. Herausgegeben im Auftrage von D. Dr. Reinold von Thadden-Trieglaff, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Kreuz-Verlag, Stuttgart. 384 Seiten, Großformat, Ganzleinen 12,80 DM.

 

Seite 5   Weißt du ...

. . . dass die besten „Kunden“ des Krantores in Danzig, das zum Einsetzen von Schiffsmasten diente, in früheren Zeiten nicht Seeschiffe, sondern Weichselkähne waren? Sie kamen ohne Masten mit der Strömung die Weichsel herab und fuhren mit dem Winde wieder den Strom aufwärts.

 

Seite 6   ‚Hoffmannstropfen‘ aus Karlsbad.

Noch heute gelten Hoffmannstropfen in vielen Familien und in aller Welt als wirksames Hausmittel gegen allerlei Beschwerden. Jedermann kennt sie, aber kaum einer weiß, dass ein Arzt aus dem sudetendeutschen Karlsbad ihr „Erfinder" ist. Dr. Friedrich Hoffmann, der von 1660 bis 1742 lebte, übte während der Sommermonate das Amt des Badearztes in Karlsbad aus. Gleichzeitig war er auch Professor der Universität Halle. Dieser tüchtige Arzt und Gelehrte bediente sich erstmalig des 1730 entdeckten Äthers bei der Anwendung in der inneren Medizin. Aus Alkohol und Äther mischte er jene Medizin, die später als Hoffmannstropfen in der ganzen Welt volkstümlich wurden.

 

Aber Karlsbad verdankt Dr. Friedrich Hoffmann noch mehr als diese kaiserliche Gunst. Er befasste sich wissenschaftlich mit der Heilkraft der Karlsbader Quellen. Er war es auch, der das Wasser des Mühlbrunns, welches bis dahin in eine Pferdeschwämme bzw. einen Badeplatz der Straßenjungen floss, erstmalig zu Trinkkuren verordnete. Hoffmanns Analysen der Karlsbader Sprudel trugen sehr erheblich dazu bei, den Ruf von Karlsbad als Kurort wissenschaftlich zu festigen. Dr. Friedrich Hoffmann hat aber auch weit über 300 medizinisch wissenschaftliche Arbeiten in lateinischer und deutscher Sprache veröffentlicht.

 

Seite 6   Geheimnis der Cheopspyramide

Die Cheopspyramide birgt die Grundlage eines ganzen Weltbildes in sich. Als Maße der Pyramide ergaben sich folgende Zahlen: Seitenlänge 365,5, Umfang 930,8, Höhe 148,1 Meter, für den Winkel der Seitenfläche mit der Grundfläche 51 Grad. Diese Zahlen aber stellen das tropische Jahr dar, beziehungsweise die Umlaufzeit der Erde um die Sonne (365), die Länge der Erdbahn (390 Millionen Kilometer) und die Entfernung der Erde von der Sonne (148 Millionen Kilometer). Das Gesamtgewicht der Pyramide verkörpert einen ganz bestimmten Bruchteil des Gewichts der Erde. Merkwürdigerweise liegt die Pyramide auf einem Längengrad, der die Erde in zwei Hälften mit gleich viel Land und Wasser teilt und an einem Breitengrad, der ein Maximum an Land von einem Minimum an Meer trennt.

 

Seite 6   Die ostpreußische Himmelwiese. Von Hermann Sudermann.

Mein Auge hat manches von den Wundern der Welt geschaut. Ich habe die funkelnde Gletscherwelt zu meinen Füßen sich breiten sehen, ich bin auf schaukelndem Kamel in den sandigen, granit- durchstarrten Unendlichkeiten der Libyschen Wüste umhergeirrt, ich bin auf dem Indischen Ozean gefahren wie die seligen Götter. Aber das Schönste von allem hat mir meine arme Heimat geboten.

 

Im Monat März, wenn die erste Schneeschmelze die weiten Wiesen zu einem uferlosen See gewandelt hat, aus dem nur hie und da ein Gehöft oder eine Baumkronengruppe herausragt, dann pflegt bei blauendem Frühlingshimmel ein kurzer, milder Frost noch einmal einzusetzen, dann pflegen sich die Wasserflächen noch einmal mit einer leichten Eiskruste zu bedecken. Sie wird gerade stark genug, um einen Schlittschuhläufer zu tragen, und ist durchsichtig, dass man nichts von ihr gewahrt, selbst wenn man dicht über ihr dahinfährt. Im Gegenteil, man sieht nichts weiter wie unter ihr das niedergebogene grüne Gras und die Fischchen, die glitzernd in den Gräben hin- und herschießen. Wäre das Klingen und Klirren nicht, mit dem die Schlittschuhe das Eis durchschneiden, man würde des Glaubens sein, erdentbunden durch die Lüfte zu schweben. Und schließlich glaubt man es wirklich. Nie, selbst im Traume nicht, habe ich die Illusion des Fliegens so ungeschmälert durchkostet wie an jenen sonnenklaren Märznachmittagen, an denen Himmel und Erde in eins zusammenwuchsen.

 

Der große Strom, der sonst ein sagenhaftes Dasein führte, lag in königlicher Ruhe da — weiße Schollengebirge, an den Rändern von blauleuchtenden Spiegeln übergössen. Auf den Spiegeln fuhr man hinaus in die fremde Welt, und das Herz jubelte nahenden Feenländern entgegen. Der Strom wurde breiter und breiter — und plötzlich war er nicht mehr da — hatte sich aufgelöst in unabsehbarem Leuchten und Glitzern. Das Auge ertrank in Fluten des veilchenfarbenen Glanzes, die über breite kristallene Brücken daher strömten. Die Bläue rechts und links, die sich weitab in Nebeln verlor, war durchmustert von Funken und Blitzen, als habe sie einen Sternenhimmel verschluckt, und dunkle, schmale Bänder zogen sich quer hindurch. Das waren die Schrecken der Schlittengespanne, die offenen Stellen, in die man hineinfuhr wie in den Rachen des Todes.

Umkehren oder weiter hinaus? Nein, weiter hinaus. Trotz Todesgefahr. Einen Trunk Unendlichkeit trinken, wie ein Staubkorn werden, wie jener Schlitten, der weit, weit in der Ferne als schwarzes Pünktchen quer über das Haff kroch. Das Eis erklang, die Risse donnerten, und so flog man hinein in die Lichtwelt. Bis sie anfing, sich purpurn zu färben, bis das Blau sich zu Rosa verklärte und der blasse Märzenmond plötzlich am Himmel stand. Und war man am Heimatufer gelandet und stapfte mit steifen Beinen dem Elternhause zu, dann wusste man niemals mehr, wo man recht eigentlich gewesen war. In einem Traumland? Auf einer Himmelswiese? In jenem Märchengarten, dessen goldene Pforte nur Glückskindern sich auftut?

(Aus Hermann Sudermann „Bilderbuch meiner Jugend", Cotta-Verlag. Stuttgart)

 

Seite 6   Die Sage vom Tilsiter Käse / Von Gerhardt Seiffert

Lange Zeit, bevor noch der Deutsche Ritterorden nach Ostpreußen gezogen kam, wohnte auf einer Anhöhe bei Tilsit ein Riese mit seiner Tochter. Auf den weiten grünen Wiesen beiderseits der Memel weideten seine Kühe, und diese gediehen von dem saftigen Gras der Memelniederung so prächtig, dass ihre Zahl immer größer und größer wurde. Die Milch der Kühe war so fetthaltig, dass sie herrlich süßen Rahm und leckere goldgelbe Butter im Überfluss ergab.

Da nun des Riesen Tochter all die viele gute Milch und Butter nicht mehr verbacken und verkochen konnte, hatte sie nach langem Probieren einen Käse erfunden, groß wie ein Wagenrad, der so gelb war wie Gold und so weich wie Butter, dazu von einer so pikanten Würze und so gutem Geschmack, wie man seinesgleichen nicht kannte.

Den Menschen, mit denen die Riesen damals noch in Frieden lebten, gab die Riesentochter wohl von dem Käse zu kosten, verriet ihnen jedoch das Geheimnis der Zubereitung nicht.

So viel, die Niederungsbewohner sich auch mühten und probierten, sie kamen und kamen nicht hinter das Rätsel der Käsezubereitung. Was Wunder also, dass sie neidisch wurden und das Riesenfräulein, heimlich zuerst, bald aber auch offen hämisch „Milchprinzessin" nannten.

Wenngleich die Riesentochter darüber zunächst lachte, grollte sie doch ob der Dauer des Spottes und beschloss, den Menschlein einen tüchtigen Denkzettel zu erteilen. So lud sie diese zu sich auf die Burg zu Gaste, setzte ihnen einen mächtigen Käse, groß wie ein Felsblock, vor und sprach ihnen zu, nur kräftig hineinzubeißen. Das ließen sich die Bauern nicht erst zweimal sagen, sogleich aber brachen sie in lautes Jammern aus, der Käse war tatsächlich aus hartem Stein und sie hatten sich daran die Lippen und Zähne ordentlich blutig geschlagen.

Das Riesenfräulein musste darob so herzlich lachen, dass sie sich mit einem Schwung im Kreise drehte und dabei mit ihrem langen Arm die Bauernschar in den tiefen Burggraben fegte. Da zappelten die Menschlein nun, versuchten sich vergebens an den glatten Felswänden hochzuziehen, barmten um ihr Leben und schworen dem Riesenfräulein hoch und heilig, es nie wieder zu verspotten. Das rührte das Herz der Riesentochter, ihr Groll war verflogen, mit ihrer großen Hand schöpfte sie die genügsam Gestraften wieder ans Trockene und bewirtete sie nun mit echtem, gutem Käse und großen Kannen kräftigen Honigbieres.

Schnell waren aller Schmerz und alle Angst vergessen, immer näher und zutraulicher rückten die Bauern auf den Holzbänken an das versöhnte Riesenfräulein heran, plauderten mit ihm und erzählten von ihrem harten Werken und Mühen ums tägliche Brot. Als dann Teller und Kannen leer waren, führte die Riesentochter ihre Gäste ins Milchhaus und zeigte ihnen, wie der köstliche Käse zubereitet wird.

Und die Tilsiter Niederungsbauern waren gelehrige Schüler, der Käse, den sie fortab daheim in ihren Dörfern herstellten, war gerade so goldgelb und butterweich, gerade so würzig und wohlschmeckend, wie der Käse des Riesenfräuleins. Von Generation zu Generation vererbte sich das Rezept, und gar bald war der „Tilsiter Käse" bekannt und begehrt im ganzen weiten Land und gern gegessen bis auf den heutigen Tag.

 

Seite 6   Der Zeiten Lauf. Von Detlev von Liliencron.

Im ersten matten Dämmer thront

der blaue klare Morgenmond.

Den Himmel färbt ein kühles Blau,

der Wind knipst Perlen ab vom Tau.

Der Friede zittert: Ungestüm

reckt sich der Tag, das Ungetüm,

Und schüttelt sich und brüllt und beißt

und zeigt uns so, was leben heißt.

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,

und Abendröte, Mitternacht.

Im ersten matten Dämmer thront

der blasse klare Morgenmond.

Und langsam frisst und frisst die Zeit

und frisst sich durch die Ewigkeit.

 

Seite 6   Bauernregeln.

Märzenschnee (21.) tut Saaten weh.

Wie der März, so ist der ganze Sommer.

Kunigund (3.) macht warm von unt‘.

März trockener und heller, füllet Scheuer und Keller.

Auf Märzendonner folgt ein fruchtbares Jahr,- viel Frost und Regen bringt Gefahr.

Auf Märzenregen folgt kein Sommerregen.

Der März kriegt den Pflug beim Sterz.

Wenn am Josefitag (19.) der Wind geht, weht er das ganze Jahr.

Im März Ferkel und Fohlen alle Bauern haben wollen.

Ist's an Maria Verkündigung (25.) schön und rein, so soll das Jahr recht fruchtbar sein.

Wenn der März Wind bringt und der April Regen streut, so folgt ein Mai, der das Herz erfreut

 

Seite 6   Bello / Eine Hundegeschichte von Josef Schneider.

Diese Geschichte hat mir mein Freund erzählt. Als sie sich zutrug, wohnte er in einem vereinzelt stehenden Häuschen am Rande einer Kleinstadt. Er besuchte die erste Klasse des Gymnasiums und hatte, um seinen aus einigen Meerschweinchen, einem Igel, einem Goldhamster und einigen Singvögeln bestehenden „Tierpark" zu vervollständigen, einen jungen Hund nach Hause gebracht. Ein Hund war schon immer sein Wunsch gewesen. Nun bekam er von der alten gütigen Neuberin aus dem „Hegerhäuschen" am Waldrande ein allerliebstes Kerlchen geschenkt. Wie auf vier beweglichen Säulchen tollte der hellbraune Wurstbauch mit dem runzeligen Fell auf dem Kopfe und der feuchten schwarzen Nase durch die Stube, dass die an den Spitzen ganz dunkelbraunen Ohrläppchen gar drollig flatterten. Und weil der Kleine so lustig und keck bellen konnte, war der Name bald gefunden. Hans, so hieß mein Freund, nannte ihn Bello.

 

Bello war ein ganz gewöhnlicher Hund, sonst hätte er einen viel vornehmeren Namen erhalten müssen. Von Rasse war bei ihm gar nichts festzustellen. Er war nur eine „Straßenkreuzung", wie man zu sagen pflegt, aber er war ein richtiger Hund wie alle anderen auch. Solange er jung war, zerbiss und zerriss er, was ihm zwischen die Zähne kam. Durch Bellos Eifer im Zerreißen kamen Hans und seine Mutter zu neuen Hausschuhen. Es war nicht schwer, den drolligen Kobold zur Stubenreinheit zu erziehen, ja er schien ein angeborenes Gefühl für Sauberkeit zu haben. Als Spross einer gar nicht verwöhnten Hundemutter war Bello ein Allesfresser — und er gedieh dabei prächtig. Er war flink, konnte sich ausgelassen freuen und zeigte bald eine überdurchschnittliche Hundeklugheit. Es schien ihm Spaß zu bereiten, das Pfötchen zu geben, das linke, das rechte, sogar mehrmals hintereinander, und bald verstand er, auf den Hinterpfoten zu sitzen und „bitte" zu machen, auch wenn er dafür keine Belohnung erhielt. Er war mit ein wenig Streicheln und Tätscheln zufrieden und sprang dann vergnügt an Hans empor, um ihm die Hand — oder unversehens auch einmal die Nase zu belecken.

 

Wie Bello laufen, springen und bitten lernte, so auch das Gehorchen. Nur wenn er daheim bleiben sollte, während sein Herrchen ausging, musste man gut aufpassen, sonst wäre er zum offenen Fenster der ebenerdigen Wohnung hinausgesprungen und in gestrecktem Galopp Hans nachgelaufen.

 

Nach zwei Jahren war Bello schon sehr vernünftig und aus aller Tollpatschigkeit herausgewachsen. Hans bedauerte das manchmal sogar. Aber er konnte ihn nun überallhin als treuen Begleiter mitnehmen, ohne befürchten zu müssen, dass er in seiner Verspieltheit oder seinem Übermut etwas anstellte. Im Sommer wie im Winter lief er neben Hans einher, wenn es nur halbwegs anging. Die beiden waren wirkliche Freunde geworden.

 

Da geschah etwas, was sich Hans damals nicht erklären konnte. Bello begann zu streunen. Plötzlich war er verschwunden, und niemand wusste, wo er sich herumtrieb. Stundenlang blieb er aus, und alles Schelten, ja selbst ein leichter Klaps nützte nichts. Wenn ihn Hans zur Rede stellte, kam Bello schuldbewusst zu seinen Füßen gekrochen und sah ihn aus seinen gutmütigen Augen an, als wollte er sagen: „Versteh mich doch!" Aber Hans wusste nichts davon, dass Bello von einem Trieb erfasst war, der für den Augenblick stärker war als alle Treue zu seinem Herrn. Bello fraß unregelmäßig, er magerte in wenigen Tagen ab und nützte jede Gelegenheit zur Flucht aus.

Anfangs war er wenigstens bei Einbruch der Dunkelheit wieder daheim, aber bald blieb er länger aus. Hans war verärgert, und es tröstete ihn nicht, dass ihm seine Mutter sagte, Bello werde sich schon wieder ändern. Vielleicht gehe er auf Brautschau aus, fügte sie mit sonderbarem Lächeln hinzu, das ihm fremd blieb. Doch es wurde immer schlimmer, und eines Abends blieb Bello überhaupt aus, wie oft und laut auch Hans nach ihm rief. Da nahm er sich vor, dem, wie er meinte, ungetreuen Tier einen Denkzettel zu verpassen.

 

Es war schon finster, als Bello endlich an der Haustür kratzte und durch Bellen kundgab, dass er heimgekehrt sei. Die Mutter war längst in ihr Schlafzimmer im ersten Stock gegangen. Hans überlegte, ob er nicht doch die Tür öffnen sollte — und war schon unterwegs. Aber da überwallte ihn der Zorn, und er öffnete nicht. Heute sollte der Ausreißer draußen bleiben und frieren, dachte sich Hans; dann werde Bello wohl einsehen, wann es sich für einen ordentlichen Hund gezieme, zu Hause zu sein. Zwar kostete es Hans Überwindung, sich durch das Scharren, Bellen und schließlich das Jammern nicht erweichen zu lassen, aber er war nun einmal so verärgert, dass er sich schlafen legte, ohne den „Köter" hereingelassen zu haben.

 

Am Morgen war Bello nicht mehr vor der Tür. Auch im Schuppen schien er nicht zu sein, und alles Rufen blieb vergeblich. Hans bereute nun seine Hartherzigkeit, aber er sagte sich immer wieder, dass der Streuner eine Lektion verdient habe. Er werde sich schon wieder einfinden.

Es wurde Mittag, und Bello war noch immer nicht da Stunde um Stunde wartete Hans ungeduldig, doch vergeblich. Am Abend klopfte der alte Wiesner, der in der Ziegelei draußen am Waldrande arbeitete, ans Fenster und fragte Hans, ob denn Bello zu Hause sei.

„Nein, er ist durchgebrannt und seit gestern abgängig“.

„Mein lieber Hans, dann wird es schon stimmen. In der Nähe der Ziegelei liegt er tot auf dem Felde. Der Revierförster hat ihn heute Morgen erschossen, weil er gewildert hat“.

 

Hans schien das Blut in seinen Adern zu stocken. Bello — tot? Nimmermehr! Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Aber er lief sofort zur Ziegelei hinaus, um sich zu überzeugen, dass Wiesner sich geirrt hatte. Doch eine furchtbare Ahnung sagte ihm: Es ist wahr! Bello ist tot — und du bist schuld daran, weil du den Hungernden und Winselnden nicht hereingelassen hast!

 

Es dunkelte schon, als Hans seinen Bello fand. Das Tier lag verendet in der jungen Frühlingssaat. Er hatte seine Läufe von sich gestreckt. Aus mehreren Wunden war Blut durch das Fell gesickert, und ein Auge war, von einem Schrotkorn getroffen, ausgeronnen. Hans heulte auf, er streichelte seinen toten Freund und sprach zu ihm, als lebte er noch. Bittere Vorwürfe tobten in ihm, und er wollte nicht begreifen, was unwiderruflich geschehen war. Dann hob er seinen Bello auf und legte ihn über die Schulter. Die Beine waren steif, der Kopf nur fiel ihm schwer auf die Brust. So trug Hans seinen Freund in der Dunkelheit nach Hause, wortlos weinend. Am nächsten Tage begrub er ihn in einer Gartenecke.

 

„Ich habe dem guten Tier lange nachgetrauert", sagte mir Hans damals, als er mir die Geschichte erzählte. „Aber von jener Erschütterung ging eine sehr nachhaltige Wirkung auf mich aus. Ich habe mich meiner Herzlosigkeit tief geschämt, die Bello an jenem Abend die Heimkehr verwehrte. Auch ich habe meine Schuld an der Kreatur gutzumachen versucht. Ich habe seither jedem Tier in seiner Not geholfen — und ich habe nie in meinem Leben einen Menschen, der an meine Tür klopfte und um Speise oder ein Almosen bat, abgewiesen“.

 

Seite 7   Herbert M. Mühlpfordt. Der Sarturgus’sche Garten. Im Memoriam Walter Pirsch.

In seinem bescheidenen Unterschlupf in der Sowjetzone, über dessen Unzulänglichkeit ebenso wie über seine körperliche Unbehilflichkeit ihn sein goldiger Humor und die Altersweisheit eines Philosophen hinübertrug, starb am 24. November 1957 der Königsberger Getreidekaufmann Walter Pirsch im Alter von 79 ½ Jahren.

Hier soll nicht die Rede davon sein, was er seinen Freunden war, deren einer ihn andernorts in einem Nachruf ehrte, auch nicht davon, welche Rolle er in gesellschaftlichen Kreisen seiner Vaterstadt spielte, sondern nur davon, wie gut er sein geliebtes Königsberg kannte, dessen Wachsen und Gedeihen er ein langes Leben hindurch liebevoll verfolgte.

Die nachfolgenden Arbeiten über den Saturguschen Garten und das Zschocksche Stift, dessen letzter Vorsteher Pirsch war, verdanken seinen Aufzeichnungen und Erinnerungen, die er mir anvertraute, ihr Entstehen. Ich hoffe, so selbst Kennern dieses Königsberger Kleinods manches Neue zu bringen, umso mehr, als alles Aktenmaterial über das Stift in Königsbergs Schicksalsnacht verbrannt ist.

 

Wer in Hellbrunn die durch Wasserkräfte bewegten Puppenspiele und nassen Überraschungen barocker Gartenkunst sah, wer je durch die hohen Heckengänge französischer Irrgärten in Herrenhausen schritt, die durch weiße Marmorleiber schöner Nymphen belebt werden, wer je in Sanssouci oder im intimsten Garten süddeutschen Rokokos, im Veitshöchheimer Park, den Drachen und dummkomischen Sphinxen Dietzscher Bildhauerkunst begegnete, die Muschelgrotten schaute, die dem Stil den Namen gaben (rocaille = Muschel), der wird sich voll freudigen Stolzes erinnern, dass auch unsere Stadt Königsberg im „fernen Osten“ ein ähnliches verwunschenes Gartenwunder besaß. Wenn es auch kein König und kein Fürstbischof war, der es geschaffen hatte, sondern ein schlichter Bürger unserer Stadt, so war es allerdings ein königlicher Kaufmann gewesen.

 

Königsberg, seit jeher bedeutende Handelsstadt, hat zu allen Zeiten solche Kaufleute gehabt — manchmal Generationen hindurch. So eine Kaufherrenfamilie waren auch die Saturgus. Sie lebten in der Rokokozeit.

 

Das Schicksal der Saturgus und das der Menschen, die nach ihnen in diesem Garten und seinen Häusern wohnten, ist gerade so bemerkenswert, wie der Garten selbst, der noch in unser nüchternes eisernes Zeitalter herüberreichte als ein echtes Rokokospielzeug, als ein unveränderter Zeuge einer lebenslustigen, schönheitstrunkenen, besinnlichen, das freie Spiel der Kräfte ungehemmt begünstigenden, freilich auch frivolen und bis zur Lasterhaftigkeit ungebändigten Zeitepoche.

 

Die Firma Saturgus hatte fast das ganze 18. Jahrhundert über eine führende Stellung im Königsberger Getreidehandel inne. Ihr „Comptoir" und die Stadtwohnung der Handelsherren befand sich im stattlichen Patrizierhaus Kneiphöfische Langgasse 5.

 

Der eigentliche Begründer der Firma war der 1748 zum Kommerzienrat ernannte Friedrich Saturgus, der 1754 ohne eigene Nachkommen starb. Er setzte „seine beyde Brüder Söhne" zu Universalerben ein.

 

Franz Friedrich Saturgus, der ältere der Neffen, lebte von 1728 - 1810; er wurde ebenfalls Kommerzienrat; sein Bruder Adolf lebte von 1730 - 1803 und wurde später Kirchenvorsteher bei der Katholischen Pfarrkirche.

 

Schon der alte Saturgus wusste mit dem Berliner Hofe sehr gute Beziehungen zu unterhalten, wie aus 49 Kabinettschreiben preußischer Könige vom Jahre 1729 ab hervorgeht, die im Königsberger Staatsarchiv aufbewahrt wurden.

 

Namentlich hatte sich König Friedrich Wilhelm I. immer für etwas zu bedanken; sei es für einen der geliebten „Langen Kerls" oder für einen Neujahrswunsch mit Lippitzhonig oder für ein Tönnchen preußischen Pökelfleischs oder ähnliches. Die Neffen blieben diesem Brauch auch unter Friedrich dem Großen treu.

 

Dafür hatte der alte Friedrich Saturgus auch den Vorzug und die Ehre, den Soldatenkönig in seinem Garten begrüßen und bewirten zu dürfen. Ob dieser Garten schon zu Lebzeiten Friedrich Wilhelms all die Rokoko-Überraschungen enthielt, die wir noch in ihm bewunderten, muss dahingestellt bleiben, sicher ist, dass der alte Saturgus sie noch zu seinen Lebzeiten schuf. So nennt Dehio-Gall das Jahr „um 1750" als Entstehungsjahr.

 

Der Ruf dieses im Osten ganz einzigartigen Gartens mit seinen Wasserkünsten drang weit über Ostpreußen hinaus. Der Basler Gelehrte Bernoulli sah ihn 1777 auf einer Reise nach Russland und preist ihn in seiner Reisebeschreibung 1779 als „eine der Hauptmerkwürdigkeiten der Stadt".

 

Die jüngeren Brüder Saturgus kamen in den schlesischen Kriegen durch Getreidelieferungen an die Armeen, besonders während des Siebenjährigen Krieges an die Russen, zu außerordentlichem Wohlstande. Doch vergaßen sie ihre Mitmenschen dabei nicht. Sie standen als Wohltäter im besten Rufe, stifteten Geschenke für die Wallfahrtskirche Heilige Linde und trugen zu einem erheblichen Teil zum Wiederaufbau der 1764 abgebrannten Katholischen Kirche in Königsberg bei.

 

Aber beide Brüder mussten die Wahrheit des Wortes, dass es schwerer sei, ein Vermögen zusammenzuhalten, als es zu erwerben, erleben. Sei es, dass sie in zu großem Stile gelebt hatten, sei es, dass sie durch ihre Geschäftsverbindung mit den Radziwills in Polen zu große Verluste hatten, jedenfalls erlitt die Firma im Anfang der 80-er Jahre einen vollkommenen Zusammenbruch.

 

Vergebens nahmen die Brüder schon 1776 von dem Kaufmann Matthias Lesle ein Kapital von 96 725 Reichsthalern gegen Hypotheken auf zahlreiche Grundstücke und Speicher auf; vergebens suchte auch König Friedrich das Seinige dazu beizutragen, „wie dieses ansehnliche, auf fremden Märkten sonst sehr wohl accreditirte Handelshaus conserviret werden könne" und ließ der Firma leihweise 30 000 Taler auf zehn Jahre auszahlen. Der Konkurs war nicht abzuwenden.

 

In den Jahren 1783/1784 kam alles unter den Hammer. Die Zierde des Hauses, das herrliche Naturalienkabinett, brachte beim ersten Termine „eine zu kleine Bott" und wurde daher am 15. Juni 1784 an den Meistbietenden verkauft. Das Grundstück selbst wurde bereits im März 1783 für 21 000 f. verkauft und gelangte in den Besitz des Justitiarius Kuhnke.

 

So hatte also auch diese einst so gewaltige Firma Saturgus das Jahrhundert nicht überdauert. —

 

Als der Gründer der Firma den Plan fasste, vor den Toren der Stadt einen Sommergarten mit einer Villa zu schaffen, war hier, am Pregelufer, ein weites grünes Wiesengelände, das von Gräben durchschnitten war, deren einer bereits in Casper Steins Beschreibung von Königsberg (1644) den Namen „Neuer Graben" trug, dann der Straße später den Namen gab. Abgesehen von einigen Seilerbahnen gab es keinerlei Gebäude, die den freien Blick auf den Strom gestört hätten. Natürlich reichte der Garten oder Park, den Saturgus sich schuf, bis zum Pregel. Noch zu Lebzeiten der Neffen Saturgus, im Jahre 1803, fiel der zum Pregel gelegene Gartenteil einem großen Brande zum Opfer, so dass er bis auf eine Wasserkunst völlig vernichtet wurde. Das abgebrannte Gartengelände kam viel später in den Besitz der seit etwa 1830 bestehenden Firma v. Gizycki und Schröter, die ein Getreide-Export- und ein Heringsimportgeschäft betrieb. Sie errichtete auf diesem Areal einen Heringshof mit großen Lagerhäusern, ein Wohnhaus und einen Garten. Schon daraus geht auch für den, der das Gelände nicht kennt, hervor, wie gewaltig der Saturgus'sche Garten ursprünglich war. Ein hoher Bohlenzaun trennte nun beide Besitzungen. Die genannte Firma hatte übrigens in der Nähe einen Eisenspeicher: die ehemalige 1768 gebaute Mennonitenkirche in der Tränkgasse, und war also auch auf jener Seite Grundnachbar der Saturgus.

 

Über den Zustand des gesamten Gartens sind wir durch das Poem eines sogenannten „Wasserpoeten" aus der Rokokozeit genau im Bilde; er beschreibt in diesem langatmigen Erguss alle Einzelheiten in Garten und Haus ganz ausführlich. „Wasserpoeten“ nannte man solche Gelegenheitsdichterlinge, die schlecht und recht, aber dafür gründlich die Herrlichkeiten reicher Bürger „besangen". Der Name „Wasserpoet" sollte wohl besagen, dass sie alles mit ihren albernen Übertreibungen und faden Schmeicheleien verwässerten. Leider ist das Gedicht dieses Wasserpoeten mitverbrannt.

 

Idee und Ausführung des Gartens stammt allein von dem ersten Saturgus, seine Neffen haben ihn mindestens zunächst ständig bereichert. Aus der Zeit des Justitiarius Kuhnke ist nur die Eremitenklause hinzugekommen. Seitdem, besonders nach dem Kauf des Besitztums durch den großen Kaufherrn George Carl Friedrich Zschock 1831 wurde im Garten alles gepflegt und behütet, bis die drei Schwestern Zschock den Garten um den langgestreckten Trakt und dessen sechs Vorgärten verkleinerten, den sie an das schöne Patrizierhaus anbauten: das eigentliche Zschocksche Stift.

 

Schalten wir uns, lieber Leser, nun einmal um 180 Jahre zurück und lassen uns als liebe Gäste der Brüder Saturgus im Garten herumführen. Unsere Kutsche mit dem bezopften Kutscher, auf dessen Haupt das schwarze dreieckige Hütchen sitzt, fuhr vor dem neu errichteten Hause vor, wir wurden empfangen und von unseren liebenswürdigen Gastgebern durch den Gartensaal „complimentiert".

 

Wir schreiten durch die hohe verglaste Tür, die von Oleanderbäumen flankiert ist, in den wohlgepflegten, still und verträumt daliegenden Garten. Zunächst schweift der entzückte Blick über einen etwa 1000 qm großen, die Breite des Hauses einnehmenden freien Platz, über den ein breiter Kiesweg führt, während beiderseits Rabatten und schöne Beete in seltener Blumenpracht leuchten. Links schließt eine hohe, durch Buschwerk verdeckte Mauer das Grundstück gegen die Speicherstraße ab, rechts trennt eine hohe Hecke den freien Platz vom parkartigen eigentlichen Garten. Wir geben langsam den Kiesweg voran und betrachten unter den zwölf lebensgroßen Sandsteinputten, von denen er umsäumt ist, bewundernd einen kecken Amor und ein reizendes schamhaftes Evchen. Die Blumenbeete werden belebt durch mehrere zierliche Rokokovasen auf Sandsteinsockeln. Das Ende des Kiesweges flankieren vier halblebensgroße Frauengestalten aus Terrakotta, die in fließende griechische Gewänder gekleidet, verträumt auf die vornehme Hinterfront des Hauses blicken.

 

Hinter ihnen führt, einen Springbrunnen einsäumend, eine breite mit Steinplatten belegte Treppe zu einer großen Tür eines seltsamen Baues, der sich, von zwei alten Linden flankiert, an das dem Saturgusschen Hause gegenüberliegende Gärtnerhäuschen anlehnt. Zum Hause des Gärtners gehörten zwei „Orangerien" — heizbare Gewächshäuser —, eine Laube und ein Stall für die einst unentbehrlichen Kutschpferde und die Wagenremise für die Kutsche.

 

Wir aber schauen durch die geöffnete, mit einem zierlichen Rokokogitter versperrte Tür in den etwa dreißig qm großen Innenraum, der nur durch die Tür sein Licht empfängt, und blicken in eine Muschelgrotte, jene beliebten Scherzräume des Barocks, welche die Saturgus auf ihren Italienreisen gesehen haben mochten und hier nachbilden ließen.

 

Tausende von Muscheln aller Farben und Größen bilden an den Wänden ein Mosaik von Arabesken und Ornamenten, aber auch von Fratzen und Indianerköpfen, und bunte Glassplitter vervollständigten das groteske Bild. In den Ecken stehen kopfnickende Pagoden und Liebesgötter, von der Decke hängt ein tropfsteinartiger Kronleuchter herab.

 

Ein Diener der gnädigen Herren Saturgus öffnet auf ihren Wink die schöngeschmiedete Eisentür und die Gäste werden gebeten, näher zu treten und sich alles recht genau anzusehen. Heimlich aber drückt der schmunzelnde Gastgeber auf einen Knopf — da fällt ein feiner kühler Spritzregen aus dem Kronleuchter herab, während verborgene Strahlen jäh aus dem Boden heraufzischen und die erschreckten Gäste besprühen. (Fortsetzung folgt)

 

Seite 7   Einsamkeit. Von Lena Merker.

Einsamkeit — sengende Wüste ,

 wenn das Herz nach Liebe begehrt

und sich in Sehnen und Suchen

nach dem anderen Herzen verzehrt.

 

Aber weltweite Zuflucht,

wenn mit den Sternen es schwingt

und freudig in Nacht noch und Grauen

der Schöpfung sein Loblied singt.

 

Seite 7   Der begebene Mensch. Zu Wilhelm Kotzde-Kottenrodts 80. Geburtstag

Er entstammt einer Landschaft, die sich weit nach Osten öffnet: Wilhelm Kotzde-Kottenrodt wurde vor achtzig Jahren, am 1. März 1878, in dem Dorfe Gohlitz im Havelland geboren. Obgleich er als junger Lehrer acht Jahre lang am Berliner Wedding tätig war und später in den Schwarzwald zog, blieb er zeitlebens seiner Heimat treu, und während die meisten Schriftsteller seiner Zeit wie gebannt nach Westen sahen, ging sein Blick immer wieder nach dem Osten des alten Reiches.

 

Im Jahre 1924 sah Wilhelm Kotzde-Kottenrodt auf einer Reise zum ersten Mal die Marienburg an der Nogat, das stolze Haupthaus des Deutschen Ordens. Gepackt von der Größe und Schönheit der stolzen Burg, blieb er wochenlang; er ging der Geschichte des Ritterordens nach, die sich ihm als Zeugnis einer der großartigsten Leistungen unserer Vergangenheit, nicht nur der Ritter, sondern ebenso der Bauern und Bürger, der Kaufleute und Künstler jener Zeit, enthüllte.

 

Aus diesem Erlebnis entstand sein erfolgreichster Roman, „Die Burg im Osten". Er erzählte darin vom Schicksal des Deutschen Ordens von 1380 bis 1410, dem Jahr der Schlacht von Tannenberg. Aber wie immer in seinen Werken, wollte er nicht nur Geschichten aus der Geschichte berichten, sondern das Volksschicksal im Strom der Zeiten sichtbar machen und dazu eine besondere Prägung deutschen Menschentums, wie sie als Urtyp des preußischen Pflichtmenschen in solcher Klarheit, nur der Osten formen konnte, den „begebenen Menschen", wie ihn die Zeit der Gotik nannte.

 

Jene Menschen, die nach dem Osten gezogen waren, um das Dunkel der preußischen Urwälder und Sümpfe zu lichten, um „zu Gottes und der Marien Ehr" Burgen und Städte zu bauen, opferten selbstlos ihr Ich der größeren Gemeinschaft, damit der Orden die ihm zugewiesene Aufgabe erfüllen konnte. Sie erfüllten damit ein inneres Gesetz, das ihnen die freiwillig übernommene Sendung diktiert hatte.

 

Ein volles und reiches Leben lang, bis zu seinem Tode am 4. September 1948, spürte Wilhelm Kotzde-Kottenrodt dem Schicksalsweg unseres Volkes nach, um es in seinen Werken zu gestalten, in der Hoffnung, dass wir daraus lernen könnten. Als Lehrer am Wedding hatte er in der sozialen Not der übervölkerten Hinterhäuser die Fehlentwicklung erkannt, die das Reich und das deutsche Leben jener Zeit genommen hatte als Folge der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Davon erschüttert, schrieb er nicht nur einen ersten sozialen Roman „Schulmeister Wackerath", sondern forderte auch in einem vielbeachteten Aufruf, die Massenquartiere abzureißen und durch Siedlungen zu ersetzen. Um die verlorenen Bindungen zur Geschichte und Kultur wieder herzustellen, entfaltete er eine umfassende volkserzieherische Tätigkeit als Herausgeber von Kunstmappen und guten Jugendbüchern.

 

So versuchte er den wurzellos gewordenen Menschen wieder in den Lebensstrom der Nation zu führen. Darum erzählte er die Geschichte seines Urahns in „Wilhelm Drömers Siegesgang", die das Auf und Ab eines märkischen Bauerngeschlechts schildert und den Einzelnen als Glied einer Kette von den Ahnen zu den Enkeln begreift. Und darum schrieb er den Roman seiner Havellandschaft, „Frau Harke"; die Menschen darin erscheinen als Teil des Landes wie der Strom, die Tiere, der Uferwald, die weiten Wiesen. Die Landschaft ist der Held der Erzählung, sie lebt und leidet unter dem zerstörenden Zugriff des Menschen. Mit diesen beiden Büchern setzte er sich literarisch durch.

 

Immer mehr wandte er sich der Geschichte zu: er schrieb den Lutherroman „Die Wittenbergisch Nachtigall" und er zeigte in „Wilhelmus von Nassauen" einen Mann, der ein erster Bahnbrecher der Gewissensfreiheit war und einer der ersten, die nach Jahrhunderten des Niedergangs um das Werden eines Volkes rangen. Er schrieb den Wartburgroman „Wolfram", in dem sich germanische Haltung mit christlicher Liebe verbinden, er erzählte in dem Roman „Der Reiter Gottes" von Gustav Adolf und dem Herzog Bernhard von Weimar und in „Meister Erwin" von dem Dombaumeister des Straßburger Münsters und seiner Zeit, um seine wichtigsten Werke zu nennen.

 

Aus seinem Nachlass erschien soeben im Hünenburg-Verlag Burg Stettenfels bei Heilbronn ein neues Werk „Der Mann von Bernt". Es berichtet von dem Berner General Hans Ludwig von Erlach, der im Dreißigjährigen Kriege für die Einheit des Reiches kämpfte. Ein Buch von brennender Aktualität, denn auch heute geht es wie damals um die Einheit und Freiheit des ganzen Deutschland!

 

Was Wilhelm Kotzde-Kottenrodt erwanderte und erarbeitete, floss in sein Werk ein, denn er wollte nicht Tagesruhm erwerben, sondern wirken und weitergeben, was ihm in dichterischer Schau von dem großen Zusammenhang der deutschen Dinge sichtbar wurde. Die Einzelpersönlichkeit reizte ihn nur dann zur Gestaltung, soweit sie als wirkender Teil im Zusammenhang des Ganzen steht, als Glied des Volkes oder als Gegenspieler. Wo finden wir eine solche Auffassung in der heutigen Literatur? So hat er uns auch heute noch viel zu sagen.

 

Seite 7   Die Heimat im Rundfunk

In seinen ost- und mitteldeutschen Heimatsendungen wird der Süddeutsche Rundfunk, Stuttgart, im Laufe des Monats März 1958 wieder neun Sendungen ausstrahlen, die den ostdeutschen Heimatländern und ihren Menschen gewidmet sind. Darunter stehen ein Rundgespräch über die Ostkunde im Unterricht unter Leitung von Dr. Dr. Ernst Lehmann, zwei Dichterlesungen mit dem ostdeutschen Erzähler August Scholtis, dem „Brückenbauer zwischen West und Ost", und dem aus Oberschlesien stammenden jungen Dichter Heinz Piontek, ferner ein Vortrag über Johann Gottfried Herder und die Slawen von Prof. Dr. Ernst Birke vom Herder-Institut, Marburg/Lahn, ein Gespräch mit dem Dichter Siegfried von Vegesack auf Burg Weißenstein zu seinem 70. Geburtstag, sowie eine Sendung zum 100. Geburtstag des Egerländer Volksdichters Josef Hofmann am 19. März mit Otto Zerlick. Die Sendungen werden teils über Mittelwellen, teils über das UKW-Programm ausgestrahlt.

 

Seite 7   Verstärkter Ostkunde-Unterricht

Einem Beschluss des Westberliner Senats zufolge soll in Zukunft der Ostkunde-Unterricht an den Oberschulen stärker als bisher gefördert werden. Durch Bereitstellung von Lehr- und Anschauungsmaterial sowie durch einen beständigen Erfahrungsaustausch von Schulleitern und Pädagogen sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass den Schülern Kenntnisse von den deutschen Ostgebieten in größerem Umfange als bisher vermittelt werden. Als beispielhaft kann bereits die Arbeit im Bezirk Neukölln gelten, dessen Oberschulen fast sämtlich den Oder-Neiße-Gebieten breiten Raum widmen. Auch Ausstellungen, Vortragsabende und Wettbewerbe der einzelnen Schulen untereinander werden hier in dem Bestreben durchgeführt, die Schüler nicht nur eingehend über die deutschen Ostgebiete ins Bild zu setzen, sondern gleichzeitig klare Einsichten in die politische Seite des gesamten Fragenkomplexes zu erschließen.

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg, Osdorf, Blomkamp 51 unter Angebe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes, sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Barsenicken, Kreis Samland werden: Irmtraud Gelfert oder Gellfart, geboren am 14. September 1941 i n Barsenicken und Reinhard Gelfert oder Gellfart, geboren am 21. Januar 1939 in Fuchsberg, gesucht von ihrer Tante Marie Klemm, geborene Conrad, geboren am 3. August 1913. Die Mutter, Frieda Gelfert oder Gellfart, geborene Conrad, geboren am 25. Juni 1908 und der Bruder Erich Gelfert oder Gelffart, geboren am 3. März 1935, werden ebenfalls noch gesucht.

 

Steckbrief mit Foto.

Name: Hahn

Vorname: Gerhard-Anton

Geb. 12. November 1943 in Seeburg/Ostpr.

Augen: blaugrau

Haar: mittelblond

Der Knabe befand sich bis 11. April 1944 im Säuglingsheim in Heilsberg/Ostpr. und kam dann in eine Pflegestelle. Die Mutter des Jungen soll Hildegard Hahn heißen und aus Bischofsburg, Kreis Rössel/Ostpr. stammen. 02758

 

Aus Forsthausen, Kreis Goldap wird Ruth Sawienko, geboren am 14. März 1938 in Forsthausen, gesucht von ihrer Mutter Ida Sawienko, geborene Romanowski, geboren am 21. September 1909 in Tulkeim, und ihrer Tante Ella Darge, geborene Wollmann, geboren am 26. Juni 1911. Die letzte Nachricht war von 1947 aus dem Waisenhaus in Allenstein.

 

Aus Gerdauen, Danzigerstr. 19 wird Erwin Job, geboren am 20. Mai 1935 in Gerdauen, gesucht von Ewald Job, geboren am 2. Mai 1913.

 

Aus Gerdauen, Friedländerstraße 1 werden: Hans-Joachim Dziubba, geboren am 11. Februar 1941 und Marianne Dziubba, geboren am 23. März 1939, gesucht von ihrer Tante Martha Reich, geboren am 26. Dezember 1908 in Gerdauen. Die Kinder Dziubba wurden am 28. Januar 1945 auf der Flucht in Schippenbeil/Ostpreußen von ihren Angehörigen getrennt.

 

Aus dem Knabenwaisenhaus in Gnadenheim, Kreis Goldap, wird Hans-Dieter Krebstakies, geboren am 6. September 1936 in Magdeburg, gesucht von seiner Mutter Erika Krebstakies, verwitwete Plura, jetzt verheiratete Kläsener, geboren am 12. November 1917.

 

Aus Gomingen, Kreis Gerdauen wird Hubert Schwark, geboren am 13. Oktober 1938, gesucht von seiner Mutter Marie Schwark, geborene Schirmacher, geboren am 4. Oktober 1908 in Mulden, Kreis Gerdauen, Hubert Schwark ist am 16. August 1948 nach Litauen gefahren und nicht wieder zurückgekehrt.

 

Aus Gründamm, Post Kreuzingen, Kreis Elchniederung werden: Traute Skambraks, geboren am 21. April 1942 und Egon Skambraks, geboren am 19. Oktober 1936, gesucht von ihrem Bruder Rudolf Skambraks, geboren am 21. Dezember 1928 in Gründamm. Die Geschwister Skambraks waren mit ihren Eltern: Gustav Skambraks, geboren am 1. Februar 1890 und Marta Skambraks, geborene Kallweit und dem älteren Bruder Manfred Skambraks, geboren am 6. Oktober 1931, auf der Flucht. Die letzte Nachricht war vom 20. März 1945 aus der Nähe von Dirschau/ Westpreußen.

 

Aus Heiligenbeil, Allfahrtweg 1 wird der Jugendliche Klaus Radtke, geboren am 8. Juli 1941, gesucht vom seinem Onkel Paul Fürstenberg, geboren am 28. August 1917. Zusammen mit Klaus Radtke wird seine Mutter Meta Radtke vermisst. Frau Radtke soll im Februar 1945 versucht haben, mit ihrem Sohn Pillau per Schiff zu verlassen.

 

Aus Holzeck, Kreis Goldap wird Siegfried Jordan, geboren im April 1942, gesucht von seiner Tante Elisabeth Frank. Siegfried Jordan wird sich vielleicht erinnern können, dass sein Vater im Stall einen Schimmel hatte. Es ist möglich, dass das Kind seinen Nachnamen nicht wusste, sondern nur den Vornamen Siegfried. Vermutlich sind seine Eltern auf der Flucht verstorben.

 

Aus Königsberg, Hippelstraße 9 wird Claus-Dieter Rohde, geboren am 4. Juli 1943 in Königsberg, gesucht von seinem Vater Erich Rohde, geboren am 10. Mai 1914. Das Kind befand sich zuletzt mit seiner Mutter, Gisela Rohde, geborene Gerber und seinem Großvater Max Gerber, in Königsberg, Hippelstraße 9. Sie werden ebenfalls noch vermisst.

 

Aus Königsberg, Sudetenlandweg 10, wird Ursula Pinarski, geboren am 13. Juni 1944, gesucht von ihrer Mutter Lucie Pinarski, geboren am 22. Febr. 1911. Das Kind wurde Anfang Februar 1945 in das Städtische Krankenhaus in Gotenhafen eingewiesen und am 12. oder 13. Februar 1945 mit dem Lazarettschiff „Meteor" nach Saßnitz/ Rügen verlegt.

 

Aus Lindental, Kreis Elchniederung, wird Dieter Podien, geboren am 4. Februar 1942 in Lindental, gesucht von Willi Schäfer, geboren am 7. Dezember 1914 in Berlin-Charlottenburg. Die Mutter, Meta Podien, geboren am 26. März 1916, wird auch noch gesucht.

 

Aus dem Erziehungsheim in Lyck, wird Horst Klein, geboren am 25. März 1936 in Königsberg, gesucht von seiner Mutter Liesbeth Zimmermann, geborene Klein, geboren am 4. November 1914 in Königsberg. Die letzte Nachricht von Horst Klein war von April 1944.

 

Aus Rhein, Kreis Lötzen, Frankfurterstraße 1 wird Ingrid-Karin Saulus, geboren am 20. Juli 1944, gesucht von ihrem Großvater Gustav Schweda. Ingrid-Karin Saulus ging am 27. Januar 1945 auf der Flucht auf der Straße zwischen Rastenburg und Rhein verloren. Die Mutter und die Großmutter des Kindes wurden seinerzeit durch Beschuss verletzt. Das Kind blieb im Kinderwagen liegend auf der Straße allein zurück. Angeblich soll es von einer Frau aus Berlin mitgenommen worden sein.

 

Aus Steegen, Kreis Preußisch Holland wird Erna Kausch, geboren am 18. August 1940, gesucht von ihrer Mutter Helene Kausch, geboren am 11. März 1909. Das Kind Erna Kausch befand sich mit seiner Mutter 1945, zurzeit der Besetzung in Steegen durch die Russen, noch dort. Erna Kausch verblieb auch noch in Steegen als ihre Mutter in Gefangenschaft genommen wurde.

 

Aus dem Waisenhaus in Wehlau wird Hans Jürgen Wittke, geboren am 5. August 1942, gesucht von seiner Tante Erna Dehn, geboren am 22. November 1917. Hans Jürgen Wittke soll 1947 von Wehlau mit noch fünf anderen Kindern, namens Just, in die sowjetisch besetzte Zone gekommen sein.

 

Aus Sodehnen, Post Heinsort, Kreis Gumbinnen, wird Erna Bartel, geboren am 29. März 1938 in Eichwalde, gesucht von Berta Nacken geborene Naujok geboren am 17. September 1919 in Groß-Bärwalde.

 

Aus Weissensee, Kreis Wehlau, wird Helga-Anna Stuhrmann, geboren am 5. März 1939

in Weissensee, gesucht von ihrer Mutter Helene Stuhrmann, geboren am 27. März 1908. Beim Kind befand sich die Tante Helene Raabe, geborene Kloß, geboren am 26. November 1878 in Weissensee, die ebenfalls noch gesucht wird. Sie sollen sich im Februar 1945 in Danzig aufgehalten haben.

 

Aus Willims, Kreis Rössel wird Dieter Kurowski, geboren am 18. November 1942 in Königsberg/Preußen, gesucht von August Kostrzewa, geboren am 13. Oktober 1888 in Stockhausen, Kreis Rössel. Dieter Kurowski soll Anfang März 1945 mit dem Schiff „Kurland" nach Swinemünde gekommen sein.

 

Aus Worleinen, Kreis Osterode, wird Eckehard Glomp, geboren am 15. Dezember 1941 gesucht von seinem Onkel Paul Lindner, geboren am 5. Februar 1905. Beim Kind befand sich die Mutter, Gertrud Glomp, geboren am 15. März 1922, die ebenfalls noch vermisst wird.

 

Gesucht werden Eltern und Angehörige eines Knaben, dessen Vorname Siegfried ist und der etwa 1941 geboren sein kann. Er hat sich 1944/1945 in der Hautklinik in Danzig befunden und erinnert sich, dass sein Vater verstorben ist. Seine Mutter und seine Großmutter sowie ein Bruder und eine kleinere Schwester lebten in Danzig. Beim Kindersuchdienst hat dieser Knabe die Kenn.-Nummer 1159.

 

Kindersteckbrief mit Foto.

Name: unbekannt

Vorname: unbekannt

geb.: etwa 1944

Augen: blau

Haar: mittel b. dunkelblond

Der Knabe wurde Ende März 1945 in Neutief bei Pillau aufgefunden. Bild Nr. 346

 

Aus Ostpreußen werden Angehörige eines Knaben gesucht, der sich Erich nannte und 1940/1941 geboren worden sein kann. Auf der Flucht wurde er von seinen Angehörigen getrennt. Er erzählte von seinen Brüdern Herbert und Gerhard. Es ist möglich, dass er auch zwei Schwestern Anneliese und Helga hatte. Die Großeltern von Erich müssen von seinem Heimatort entfernt gewohnt haben, da er sich entsinnt, dass er stets mit der Eisenbahn zu ihnen fuhr. Beim Kindersuchdienst hat Erich die Kenn-Nummer: 1044.

 

Gesucht werden aus Ostpreußen Angehörige eines namenlosen Knaben Heinz, der etwa 1943 geboren sein kann. Er befand sich in einem Kindertransport, der 1945 aus Pillau kam. Vermutlich hat der Junge auf der Flucht seine Angehörigen verloren. Beim Kindersuchdienst hat der namenlose Knabe Heinz die Kenn-Nummer: 02068.

 

Aus Allenstein, Schneller Weg 4 wird Walter Ott, geboren am 22. November 1882, gesucht von seiner Tochter Margot Ott, geboren am 25. Mai 1940. Der Vater wurde zuletzt in Schlobitten bei Königsberg/Ostpreußen im Januar 1945 gesehen.

 

Aus Danzig-Langfuhr wird Edith Margarete Zimmermann, gesucht von ihrer Tochter Helga Zimmermann, geboren am 28. Februar in Danzig. Die Mutter Edith Margarete Zimmermann war zuletzt in Danzig-Langfuhr als Hausgehilfin tätig.

 

Seite 8   Ostpreußen in Berlin

Eine Großveranstaltung der Lm. Ostpreußen findet am 8. März in der deutschen Hauptstadt Berlin statt. In der Ostpreußenhalle auf dem Ausstellungsgelände am Berliner Funkturm werden der Sprecher der Landsmannschaft, Dr Gille, und der Vorsitzende der Landesgruppe Berlin. Dr. Matthee, zu aktuellen politischen Fragen Stellung nehmen. Nach dieser Kundgebung wird ein buntes Programm mit bekannten ostpreußischen und Berliner Künstlern geboten. Der Abend ist für ein geselliges Beisammensein mit Tanz vorgesehen.

 

Seite 8   „Falken“-Lager in Elbing

Gemeinsame Jugendlager der deutschen sozialistischen Jugendorganisation „Die Falken" und des polnischen Verbandes der Sozialistischen Jugend, sollen im Sommer in der westpreußischen Stadt Elbing und in West-Berlin stattfinden. Nach seiner Rückkehr von Verhandlungen in Warschau teilte der Vorsitzende der Berliner Falken, Richter, mit, die deutschen Jungsozialisten würden etwa 10 Tage in Elbing bleiben und dann eine Woche lang die Heimatbezirke der polnischen Jugendgruppen besuchen.

 

Seite 8   Turnerfamilie Ostpreußen - Danzig - Westpreußen

Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

Zum Geburtstage herzlichste Glückwünsche allen Kindern des Frühlingsmonats, ganz besonders wiederum den vollen „Zehnern":

 

am 27.03.1958: Karin Thrun, (TC Danzig), 20 Jahre.

am 31.03.1958: Günter Rex (Seeburg/Ostpr.), 30 Jahre.

am 06.02.1958: Gustav Sandhack (Tapiau, KMTV und KSTV Königsberg) 60 Jahre,

sowie dem ältesten Geburtstagskind dieses Monats: 84 Jahre am 15.03.1958: Otto Weigel (Rosenberg/Westpr.).

 

Dank sage ich auch auf diesem Wege, allen, die mich zum 70, Geburtstage durch ihre Glück- und Segenswünsche so unendlich viel Freude erleben ließen, dass es mich schier erdrückt und beschämt. Eine außerordentliche Freude ist mir dabei die namhafte Spende meiner lieben KMTV-Familie zu Gunsten der aus der Sowjetzone nach München kommenden KMTVer.

 

Achtung! Wiedersehenstreffen und Deutsches Turnfest in München

Anmeldung und Zahlung: Wer sich vorangemeldet hat oder es noch tut, erhält einen endgültigen Meldebogen mit Berechnung des bis zum 01.04.1958 einzuzahlenden Betrages, vor allem des Festbeitrages.

 

Turnfahrten:

Das Turnfahrtenbuch für das Deutsche Turnfest bietet schon Montag bis Freitag in der Festwoche täglich billige Ausflugsmöglichkeiten in die Umgegend von München und das Alpenvorland. Nach dem Turnfest sind unzählige Wander- und Fahrtmöglichkeiten angeboten von halbtägiger bis 14-tägiger Dauer. Wer an einer solchen Turnfahrt nach dem Fest teilnimmt, kann gegen Zahlung eines nach der Entfernung gestaffelten Zuschlages mit der Sonderzug-Rückfahrkarte jeden beliebigen Zug des öffentlichen Verkehrs zur Heimfahrt benutzen. Das Turnfahrtenbuch hat bleibenden Wert auch für spätere Reisen allein oder in Gruppen nach dem Süden; es ist ein richtiger Reiseführer. Wer das Buch nicht bei einem Turnverein am Ort erhalten kann, möge es bei mir gegen Einzahlung von 2,-- DM (einschl. 50 Pfg. Drucksachenporto) auf mein Postscheckkonto Hannover 11 60 75 anfordern.

 

Turnfestpostkarten für das deutsche Turnfest je 5 in einer Mappe können bei mir zum Preise von 50 Pfg. je Mappe bestellt werden. Die Vorderseite der Mappe kann ebenfalls als Postkarte benutzt werden.

 

Die Benutzung der Sonderzüge nach und von München gehört zu den Vergünstigungen, die mit Zahlung des Festbeitrages erworben werden. Bestellung und Bezahlung der Fahrkarten ist aber nicht an mich, sondern an die Geschäftsstelle des für den Einsteigebahnhof zuständigen Landesturnverbandes (Landesturnfahrtenwart) zu richten. Wer noch keine entsprechende Nachricht von mir hat, kann die zuständige Stelle und näheres über Fahrstrecke der Züge, Fahrpreis usw. von mir erfragen. Für Benutzer der Sonderzüge werden von ihrem Wohnort zum Zusteigebahnhof um 50 Prozent ermäßigte Anschlusskarten auf der Hinreise und auch auf der Rückreise ausgegeben. Wer die Rückreise auf Sonderzugkarte nach dem Fest — gültig bis 27.08. — mit beliebigen Zügen des planmäßigen Verkehrs macht, hat jedoch von dem auf der Sonderzugkarte angegebenen Zielort zu seinem Wohnort keinen Anspruch auf die ermäßigte Anschlusskarte, muss also diese Reststrecke voll bezahlen. Will er auf der Rückreise (viermalige Fahrtunterbrechung ist gestattet) von der für den Sonderzug vorgesehenen Fahrstrecke abweichen, um an abseits liegenden Orten die Fahrt zu unterbrechen, muss er zusätzlich eine Umwegkarte lösen, bei der die gegenüber der Sonderzugstrecke mehr gefahrenen Kilometer nach dem vollen Tarif berechnet werden.

 

Der Weihnachtsbrief 1957 ist völlig vergriffen. Für neu erfasste Turner aus der Heimat und als Ersatz für mehrere beim Versand in die Sowjetzone verloren gegangene Briefe bitte ich die Turnschwestern und Turnbrüder, die den Rundbrief entbehren können, um Rücksendung. Sparen! Sparen! Sparen! Das ist die beste Sicherung der Teilnahme am X. Wiedersehenstreffen unserer Turnerfamilie beim Deutschen Turnfest in München vom 20. bis 28. Juli 1958. Gut Heil! Onkel Wilhelm

 

Seite 8   Kameradschaft Luftgau I

Schriftführer W.Gramsch, (20a) Celle, Waldweg 83

Suchdienst.

Wer kennt den ehem. Waffeninspektor Hugo Weber, geboren am 01.01.1895, der am 29. April 1945 in Rackowitz Sudetengau gefallen ist, und kann dessen Beamteneigenschaften bekunden? Weber wurde 1939 als Beamter AK einberufen und hatte folgende Verwendung: Waffenmeisterschule Halle/Saale und Kiel, Fl.-H.-Kdtr. Jesau und Powunden, Feldluftpark 2/VIII in Böhmisch-Trübau-Parwick, 1944 beim Feld-Luftzeugamt 1/XII Metz. Die Gebührnisse wurden von der Standortgebührnisstelle Travemünde gezahlt. Die Ehefrau Gertrud Weber, (20a) in Hitzacker Elbe, Amselweg 21, sucht Zeugen zur Regelung ihrer Versorgungsansprüche. In diesem Zusammenhang wird der ehem. Waffenmeister Kühnast, früher Waffenmeisterschule in Dresden, gesucht.

 

Gesucht wird die ehem. Angestellte Frau Margarete Wengel geborene Neumann aus Königsberg/Pr., Mischener Weg 21. Ihr Ehemann Erich Wengel war Angestellter der KWS. Frau Wengel war zuerst Lw.-Helferin, später Stabshelferin in Jesau. Auskunft erbittet Herbert Fischer, Lübeck, Nettelbeckstraße 10, II.

 

Wer kennt den ehem. Oberfeldwebel Karl Kaminski, zuletzt bei Abt. Bild unter Oberst Ernst Schröder, und kann Angaben über seine Dienststellung machen? Kaminski löste die Abt Bild seinerzeit im Dresden auf. Kaminski gehörte 1940 zu der Streife, welche in der Rosenstraße in Königsberg/Pr. einen Fahnenflüchtigen stellte, wobei er und der Streifenführer schwer verwundet wurden. Wer kann sich noch auf diesen Vorgang besinnen? Angaben erbeten an Karl Kaminski, Eßlingen/Neckar, Neckarhalde, Mittelstraße 14, bei Maier.

 

Seite 8   Wir gratulieren!

Zur Goldenen Hochzeit

Eheleute Gustav Broehl und Frau Margarete Broehl, geb. Buchnick, aus German, Kreis Samland, am 16. März 1958 in München 22, Öttingenstraße 56.

 

Eheleute Michael Lagies und Ida Lagies, aus dem Kreis Elchniederung stammend, am 21. Februar 1958 in Immensen. Es war ein Doppelfest, denn die Jubilarin feierte am gleichen Tage ihren 80. Geburtstag. Der ehemalige Landwirt und Viehhändler ist auch in seiner neuen Umgebung bereits eine bekannte Persönlichkeit, bis vor wenigen Jahren sah man ihn noch regelmäßig auf dem Lehrter Ferkelmarkt, wo er oft bis zu 100 Ferkel zum Verkauf brachte.

 

Zum 89. Geburtstag

Martha Czygan, Ehefrau des verstorbenen Stadt-Oberinspektors Wilh. Czygan aus Königsberg/Pr., am 8. März 1958 in Uelzen.

 

Karl Koschinski, Reichsbahnsekretär i. R. aus Allenstein, am 19. März 1958 in Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorfer Straße 22, wo er heute mit seiner Ehefrau lebt. Landsmann Koschinski versäumt keines der monatlichen Treffen der Allensteiner in Berlin.

 

Zum 80. Geburtstag

Witwe Theodora Schellhammer, aus Allenstein am 20. März 1958 in Seesen, Lange Straße 16, wo sie bei ihrem Schwiegersohn, dem Handelsvertreter Wilhelm Dziersk. wohnt.

 

Zum 79. Geburtstag

Tischlermeister Otto Hofer, aus Halweg, Kreis Angerapp, wo er bis zur Vertreibung eine große Tischlerwerkstatt betrieb, am 14. Februar 1958 in Sittensen, Kreis Zeven. Der Jubiilar konnte vor vier Jahren sein 50-jähriges Meisterjubiläum und seine goldene Hochzeit feiern.

 

Emma Mauruschat, aus Allenstein, Kaiserstr. 29. am 10. März in Klein-Machnow, Kuckuckswald 30 (DDR).

 

Zum 78. Geburtstag

Franziska Tietz, aus Allenstein, Bahnhofstr. 48, am 18. März 1958 in Dahme/Mark, Geschwister-Scholl-Straße 10 (DDR).

 

Zum 76. Geburtstag

Rosa Schneidereit, aus Liebenfelde, Kreis Labiau, am 15. Februar 1958 in Hannover, Marienstr. 40. in geistiger und körperlicher Frische im Kreise ihrer Kinder.

 

Zum 75. Geburtstag

Ernst Hauptmann, aus Schönwalde, Kreis Königsberg/Pr., am 12. März 1958 in Münchehof 97 über Seesen bei guter Gesundheit.

 

Zum 70. Geburtstag

Maria Jatzkowski, aus Regerteln am 15. März 1958 in Braunschweig, Donnerburgweg 50.

 

März-Geburtstagskinder in Flensburg

Auguste Ahlrep, aus Johannisburg am 2. März 1958, 78 Jahre.

Wilhelmine Wendling, aus Königsberg am 5.  1958, 83 Jahre.

Marie Zorn, aus Königsberg am 8. März 1958, 76 Jahre.

Richard Stahnke, aus Königsberg am 10. März 1958, 75 Jahre.

Karl Hardt, aus Insterburg am 13. März 1958, 70 Jahre.

Eduard Porredda, aus Angerburg am 13. März 75 Jahre.

Auguste Naggis, aus Gilge am 14. März 1958, 94 Jahre.

Auguste Kross, aus Seemen-Bartenstein am 16. März 1958,79 Jahre.

Waldemar Nielsen, aus Königsberg am 16. März 1958, 81 Jahre.

Gustav Prange, aus Königsberg am 22. März 1958, 76 Jahre.

Henriette Orlowski, aus Rosenberg am 22. März 1958, 84 Jahre.

Hedwig Koslowski, aus Königsberg am 27. Mär 1958,76 Jahre.

Else Kursch, aus Königsberg am 30. März 1958, 78 Jahre.

Witwe Berta Fahrnsteiner, geb. Blosat, aus Blockswalde, Masz(sch)uiken-Schloßberg am 30. März 1958, 83 Jahre.

Elise Kossack, aus Königsberg am 31. März 1958, 81 Jahre.

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen JubiIaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit!

 

Seite 8   Ostpreußen sorgten für Ordnung

Hameln. Eine Strafe auf frischer Tat erhielten drei englische Soldaten, die in Hameln eine Festlichkeit der Ostpreußischen Landsmannschaft gestört hatten. Die Briten kamen angetrunken in den Saal und tranken sich, während getanzt wurde, aus fremden Gläsern und Flaschen Kraft und Mut an. In diesem Zustand übergossen sie mehrere Tischdecken und rempelten die Tanzenden an. Die Soldaten ließen sich nicht bewegen, den Saal zu verlassen, sondern wurden im Gegenteil tätlich. Das wurde einem alten Bauern zu viel, und er „griff" ostpreußisch hart „zu". Wenig später waren die Engländer draußen und wurden dort gleich von Polizisten übernommen. Sie kamen mit zur Polizeiwache und wurden nach der Personalienfeststellung an die Militärpolizei weitergereicht, denn sie waren nach der „Berührung" mit Ostpreußens Söhnen ohne merkliche eigene Haltung.

 

Seite 8   Ostpreußin gewann eine halbe Million

Köln. Von den drei Lotto-Gewinnen mit je 500 000 Mark vom 16. Februar 1958 entfiel einer auf eine 60-jährige ledige Ostpreußin, die heute in Westfalen zusammen mit ihrer älteren Schwester in ärmlichen Verhältnissen lebt. Die Schwestern können ihr Glück noch gar nicht fassen. Sie sagten, sie könnten im Augenblick noch keine Pläne machen, weil sie noch zu aufgeregt seien. Sie wollten aber auf jeden Fall mit dem Geld viel Gutes tun.

 

Seite 8   Staatliche Hufenoberschule für Mädchen in Königsberg

Am 1. Osterfeiertag findet ein Schultreffen in Hamm Westf. um 14 Uhr im Hotel Kaiserhof, Hohe Str. 66, statt. Direktor Walsdorff wird voraussichtlich daran teilnehmen. Wir wollen die Fahrtkosten aufbringen (etwa 70 DM). Anmeldung. Unkostenbeitrag von 1 DM und eine Ehrengabe erbeten bis möglichst 15. März an Oberschullehrerin H. Schmidt, Soest/Westf. Wilhelm-Morgner-Weg 16.

 

Seite 9   Foto: Luther von Braunschweig. Im Dom zu Königsberg hält er seinen ewigen Schlaf. Die hier wiedergegebene Skulptur befindet sich an seinem Grabmal

 

Seite 9   Das Haus Braunschweig und der Deutsche Ritterorden.

Wie Niedersachsen seit Gründung des Ordensstaates bemüht war, für den Zustrom von Menschen zu sorgen, war auch das Haus der Herzöge von Braunschweig mit dem Deutschen Ritterorden verbunden.

 

Im Jahre 1240 hatte sich Herzog Otto von Braunschweig, der Enkel Heinrichs des Löwen, als einer der ersten deutschen Fürsten an den Kämpfen um Balga am Frischen Haff beteiligt. Herzog Albrecht den Großen führte 1265 ein Kreuzzug nach Preußen. Wir finden noch einen weiteren Herzog Albrecht von Braunschweig zunächst als Ordensbruder in Königsberg, dann 1332 als Komtur zu Mewe im kulmischen Lande. Etwa zur gleichen Zeit war Herzog Johann Ordensbruder.

 

Die bedeutendste geschichtliche Rolle spielte Herzog Luther von Braunschweig. Wann Luther den weißen Ordensmantel angelegt hat, ist ungewiss. Drei Urkunden, die ihn in der Zeit von 1302 - 1304 als Zeugen aufführen, weisen darauf hin, dass er dem Konvent zu Christburg angehörte. Anfang des Jahres 1308 steht er als Komtur dem Ordenshause Gollub vor. 1309 kehrt er als Hauskomtur nach Christburg zurück, um dann wieder von 1310 - 1312 die Golluber Komturei zu leiten.

 

Siegfried von Feuchtwangen hatte 1309 die Marienburg als Hochmeister zur Residenz erkoren. Hochmeister Karl von Trier berief Luther 1313 als Hauskomtur nach der Residenz. Hier nahm der Braunschweiger an der wichtigen zentralen Finanzverwaltung teil. Bereits im Juli kam er in den Ring der fünf Großgebietiger als Oberster Trappier mit der gleichzeitigen Verwaltung als Komtur nach Christburg.

 

Im Februar 1331 wurde Luther von Braunschweig zum Hochmeister gewählt. Dass er mit seinem Siedlungswerk in der lebendigen Tradition seiner niedersächsischen Heimat und des herzoglichen Hauses zu Braunschweig stand, darf nicht vergessen werden! Die Kolonisation des Ordensstaates mit niedersächsischen Stammesgenossen war eine hervorragende Wirtschaftspolitik. In diesem Neuland entfaltete sich gerade unter Luther von Braunschweig hinter den Mauern der Burgen und Städte ein Dasein, dem des Mutterlandes im Tiefsten verwandt.

 

Dass er die Kirchen gemehrt habe, wie die Chronik von Oliva es schon von seinen Vorfahren gerühmt hatte, berichtet uns der Ordenschronist Wigand von Marburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, und eine kleine Reimchronik fasst sein Wirken in die Verse:

 

„Zu Merginbuch (Marienburg) und anderswa, zu Golube, Kirsburg (Christburg), hi und da und in ander maniger stat er gotes Dienst gemeret hat mit mancher lobelichen tat, der in Got genizen hat“.

 

Zu den baulichen Förderungen besonderer Art gehört der Königsberger Dom und die St. Annenkapelle der Marienburg.

 

Seine einzigartige Persönlichkeit wird am deutlichsten klar, dass der niedersächsische Fürstensohn sich auch dichterisch betätigt hat Nikolaus von Jeroschin, der die lateinische Ordenschronik des Peter von Dusberg auf Anregung Luthers in deutsche Verse übertrug, rät seinen Lesern:

 

„er suche an dem buche,

das mit grozim ruche

von der selbin magit zart

der herzoge lichtir art,

brudir Ludir, von Brunswic

des stammes ein wurstlichir zwic ..

hat gebraucht zu diutsche ganz

mit getichte an schranz“.

 

Wenn so ein Zeitgenosse des Hochmeisters den Tatbestand überliefert, so berichtet noch eine Königsberger Chronik: „Wie St. Barbara Haupt ist nach Preußen kommen, beschreibt fleißig Luther, der 15. Hochmeister im besonderen Büchlein".

 

Nach der unglücklichen Schlacht bei Tannenberg 1410 kam als Kriegsbeute eine dreiteilige Bibelhandschrift nach Krakau. Ihre schönen Initialen geben Ordensritter im weißen Mantel mit dem schwarzen Kreuz wieder; sie muss also mindestens im Auftrage des Ordens hergestellt sein. Und wie eine Notiz bezeugt, ist diese Handschrift auf Veranlassung des Komturs Luther von Braunschweig 1321 nach Christburg gekommen.

 

Auch hören wir vom Hochmeister, dass er dem Kirchengesang seine besondere Pflege zuwandte, auch selbst notenkundig mitsang. Für den Dom zu Königsberg erlässt er die Bestimmung, dass 26 Schüler an allen Sonn- und Festtagen zu den Gottesdiensten singen.

 

Seine Schutzheilige ist Elisabeth von Thüringen, auf die sein eigener Stamm zurückgeht. Sein Wunsch ist, die Marienburg zu einer Pflanzstätte deutschen Geistes und deutscher Kunst, zu einer Heimat für Dichter und Sänger zu machen, wie es einst unter Elisabeth und ihren Nachkommen in Thüringen gewesen ist.

 

Als der greise Hochmeister sein Ende ahnt, bestimmt er, dass er im Königsberger Dome den ewigen Frieden wünsche. In der Mitte des Chores lässt er seine Grabstätte herrichten, eine ewige Lampe soll dort brennen, und sein Todestag soll jährlich mit einem frohen Gastmahl für die Brüder gefeiert werden.

 

Anfang April 1335, gleich nach der Feier des Osterfestes, stirbt er auf dem Wege von der Marienburg nach Königsberg, nach einer sagenhaften, schönen Überlieferung in seinem geliebten Königsberger Dom selber, in den er zuletzt sich tragen lässt, während die Gebete und Gesänge der Priester und Mönche den im Kerzenlicht schimmernden Chor erfüllen. Hermann Bink

 

Vor 150 Jahren in Königsberg

II.

Wir lesen im Jahrgang 1808 der „Kgl. Preuß. Staats-, Kriegs- und Friedenszeitungen" im

18. Stück Donnerstag den 3. März 1808"

„Kgb. 28. Febr. Heute Nachmittag empfing die neugebohrne Prinzessin K. H. im hiesigen Schlosse die heilige Taufe und erhielt die Namen Louise Auguste Wilhelmine Amalie. Paten u. a. Obermarschall Graf zu Dohna, Polizey-Direktor Krieges-Rath Frey“.

 

„Goebbels u. Unzer zeigt an: Musik von Himmel und Boildieu „Der Calif von Bagdad" und von Méhul. Ferner kleinere Schriften der Kgl. Ostpr. Physikalischen Gesellschaft“ ¹)

19. Stück Montag den 7. März 1808:

„Kgb. v. 6. März. Die hiesige Universität hatte eine seltene Feierlichkeit, nehmlich die Ehre gehabt, des Kronprinzen Friedrich Wilhelm Kgl. Hoheit als Rector magnificentissimus öffentlich zu proclamiren. Bei der letzten Krönungsfeier am 18. Januar hatte der academische Senat den Kronprinzen zum immerwährenden Rector erwählet ... Da besonders mehrere erlauchte Ahnherren und Fürsten und namentlich der Erbprinz Albrecht Friedrich — Sohn des würdigen Stifters der Universität — im Jahre 1567, Herzog Christian von Braunschweig und Lüneburg im Jahre 1581 und des Königs Friedrich Wilhelm I. Majestät vom Jahre 1701 bis 1713 diese Würde geführet haben ... Zeitiger Prorector, Kanzler der Universität v. Reidenitz hielt die Rede und eine Deputation überreichte unterthänigst die Insignien der Rectorwürde“.

 

„Consistorialrath Borowski ²) dankt für Gaben für nothleidende Familien“.

Auch strenge Verkehrsvorschriften gab es damals schon:

20. Stück Donnerstag den 10. März 1808:

„Um bey Eröffnung des Neuen Schauspielhauses und bey dessen fortzusetzendem Gebrauch die nothwendige äußere Ordnung mit Sicherheit zu erhalten, wird festgesetzt: 1) die beym Anfange des Schauspiels ankommenden Kutscher fahren sämtlich über den Platz, welcher zwischen dem Schauspielhause und dem Ende des Königlichen Gartens — da wo selbiger in die Hauptstraße des mittleren Tragheims in gerader Richtung auf die Modestettstraße ³) zuführt — zurück. 2) Eben dieser Platz und der auf demselben befindliche geräumige Fahrweg ist zum Standort für die zur Abholung kommenden Kutschen bestimmt, welche sich nach der Zeitfolge ihrer Ankunft von dem Haupteingange des Schauspielhauses ab in einer Reihe stellen. 3) Die solcher Gestalt geordneten Kutschen fahren mit strenger Beobachtung der Reihenfolge ab und kann dieses sowohl nach der Münzstraße als auch nach dem Tragheimschen Fließ zu, nicht minder auf dem Seitenwege an der Alten Mühle ) geschehen. 4) Den Fußgängern ausschließlich bleibt die Passage aus dem Seiteneingange des Schauspielhauses über die zweyte Fließbrücke und hiernächst über den Paradeplatz vorbehalten.

 

Die Polizey-Offizianten werden, unterstützt durch das Kgl. Gouvernement, auf Beobachtung dieser Anordnungen halten, und hat Jeder, welcher derselben entgegenhandeln sollte, nachdrückliche Beahndung zu gewärtigen.

Kgb. den 8. März 1808. Kgl. Preußisches Polizeydirectoruim“.

Das 21. Stück Montag den 14. März 1808 enthält vom 11. März eine ausführliche Schilderung der Geburtstagsfeier der Königin Luise am 10. März. Am 9. Abends Concert, am 10. morgens heitere Musik von einigen Kirchthürmen. Nach einer Rede des Professors Poerschke im Collegio Albertino in Gegenwart königlicher Prinzen begab sich eine Deputation von Magistrat und Bürgerschaft nach dem Schlosse, „um Ihrer Majestät der Königin die ehrerbietigsten Glückwünsche der Stadt zu Füßen zu legen. Sie wurden huldreich empfangen und brachten die Versicherung des allerhöchsten Wohlgefallens zurück". Mittags Mahlzeit im Waisenhause auf Kosten des Kronprinzen, abends Musik von Thürmen und „große Cour bei Hofe". In der Stadt allgemeine Illumination. Am 12. März anlässlich der Rektoratsübernahme des Kronprinzen Studentenball, den König, Kronprinz und Prinzen „mit ihrer hohen Gegenwart beehrten".

 

22. Stück. Donnerstag den 17. März 1808.:

„Da die in hiesiger Stadt befindliche Windmühle, welche den aus See ankommenden Schiffern als Landmarke diente, in der Nacht vom 2. zum 3. huj. gänzlich abgebrannt ist, so mache ich solches dem seefahrenden Publico hierdurch nachrichtlich bekannt.

Pillau den 6. März 1808. Steenke, kgl. Commerzienrath u. Lotsenkommandeur" ).

 

¹Sie wurde 1789 in Morungen gestiftet vom Landrat Köhne v. Jaski und Landschaftsdirektor Graf Finckenstein. 1799 nach Königsberg verlegt.

²) Pfarrer an der Neuroßgärter Kirche; 1740 - 1831. Später Preußens einziger Erzbischof.

³) Modestengasse = Hintertragheim.

) Alte Mühle = Roßmühle, die die Kehrwiedergasse nach dem Königsgarten hin verschloss. Sie wurde bereits im selben Jahre abgebrochen.

) Dieser treffliche Mann hatte 1806 die aus 6 Schiffen bestehende preußische „Silberflotte" glücklich nach Kopenhagen gerettet, wofür er 1807 den Charakter „Commerzienrath" erhielt. Beim Versuch, eine Schiffsbesatzung zu retten, ertrank er mit 13 Seeleuten im Pillauer Tief. Sein Sohn war der Oberbaurat Steenke, der die geneigten Ebenen des Oberländischen Kanals schuf. H. M. Mühlpfordt

 

Seite 9   Seidenraupenzucht. Großzügige Planung unter Friedrich II.

Die Ende des 17. Jahrhunderts an verschiedenen Orten Ostpreußens unternommenen Versuche mit der Seidenraupenzucht waren so erfolgversprechend, dass der nachmalige König Friedrich I. befahl, auf allen ostpreußischen Kron-Domänen sofort „Maulbeeren zur Speise der Seidenspinner" anzubauen. Sein Nachfolger, der „Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. erweiterte den Befehl dahin, dass sogar alle Stadtwälle und Kirchhöfe sowie ungenutztes Land sofort mit Maulbeersträuchern zu bepflanzen seien. Amtmänner und Geistliche verpflichtete er, persönlich darauf zu achten, dass dieses „mit Fleiß geschehe, um von den Lyoner französischen Seiden loszukommen"; denn viele tausend Taler wanderten damals für die begehrten Seidenstoffe nach Frankreich, und Preußen war arm.

 

Den richtigen wirtschaftspolitischen Wert eines staatlich gelenkten Anbaues erkannte aber erst Friedrich II. und ordnete sofort strenge Maßnahmen zur Durchführung an. Kein Pachtvertrag wurde von ihm unterschrieben, in dem sich der Pächter nicht verpflichtete, Maulbeersträucher zu pflanzen und Seidenraupen zu züchten.

 

In Nordostpreußen entstanden die ersten Maulbeerplantagen im Kreise Ragnit und zwar im Dorfe Budwethen, dessen Pfarrer Vogelerus vom Alten Fritz zwei Lot Maulbeersamen zu diesem Zweck erhielt. Bald grünten im ganzen Kreise Maulbeersträucher, die gut zu gedeihen schienen. Im Kreise Niederung wurde die erste Maulbeerplantage im Dorfe Schakuhnen am Rußstrom angelegt.

 

Nach dem Tode Friedrich des Großen ging dieser Kulturzweig jedoch wieder zurück, da man mit der Pflege der Sträucher und der Seidenraupenzucht noch nicht recht vertraut war. Als 1795 unerwartete Maifröste in Nordostpreußen fast 100 000 Maulbeerbäumchen vernichteten, gab man die Seidenraupenzucht auf.

 

Einige uralte Maulbeerbäume aus der damaligen Zeit standen aber noch bis zuletzt als Überreste einer großen Planung. Kurz vor dem zweiten Weltkrieg wurden erneut Versuche mit der Seidenraupenzucht unternommen, sogar auf der Frischen und Kurischen Nehrung. Die Ergebnisse sollen recht gut gewesen sein.

 

Seite 9   Von Carl Lange.

Lass einmal alle Arbeit ruhen und vergiss,

was du eigentlich zu tun hättest.

 

Lasse nicht nach, wenn du hohen Zielen zustrebst.

 

Seite 9   Russische Soldatenstadt Ebenrode. Zentraler Artillerie-Übungsplatz — Aus Ebenrode wurde „Nestorow"

Fährt man von Gumbinnen mit dem Wagen oder mit der Bahn nach Osten, so liegt vor der Grenzstadt Eydtkau die Kreisstadt Ebenrode, die auch Stallupönen genannt wurde. Auch heute noch herrscht ein reger Verkehr auf diesen Transportwegen — womöglich ist er sogar noch stärker als vor dem Kriege geworden. Die Sowjets nämlich versorgen über diese Linien ihre Truppen in weiten Teilen des nördlichen Ostpreußens. Während die Eisenbahn wieder völlig hergestellt wurde, ist die ehemalige Reichsstraße in einem traurigen Zustand. Auch die ständig eingesetzten Reparaturkolonnen vermögen nicht die durch Panzer und schwere Transporte immer wieder aufgerissene Straße zu flicken. Der Zivilverkehr ist längst auf Nebenwege ausgewichen.

 

Die Kreisstadt Ebenrode hat sich unter der sowjetischen Verwaltung zu einer Soldatenstadt entwickelt. Die bei den Kämpfen und den Plünderungen angerichteten Schäden sind nur selten ausgebessert worden. In geringem Umfang hat es eine Trümmerräumung gegeben. Bald schon ließ die Zentralverwaltung erkennen, dass sie an einem zivilen Leben in Stallupönen nur wenig Interesse hatte. Das zeigt sich auch in der Behandlung der örtlichen Industrie, die vor dem Russeneinmarsch

über eine Reihe nicht kleiner Betriebe verfügte. Es gab Maschinenfabriken, eine Eisengießerei sowie holzverarbeitende Werke und mehrere Mühlen.

 

Heute haben sich in den Maschinenfabriken Reparaturwerkstätten für Trecker und Panzer niedergelassen. Die Eisengießerei ist nicht mehr. Eine Mühle ist in Betrieb und arbeitet für die Kollektivwirtschaften und die Staatsgüter. Auch ein Sägewerk ist wieder in Gang gebracht worden. Die Mehrzahl der Ebenroder Betriebe aber arbeitet nicht mehr.

 

In der Stadt und in ihrer Umgebung sind motorisierte Einheiten und vor allem Artillerietruppen stationiert. Genau nördlich der Stadt nämlich haben die Sowjets ihren zentralen Artillerie-Übungsplatz in Ostpreußen angelegt. Er erstreckt sich über Dutzende von Quadratkilometern bis in den Landkreis Schloßberg (Pillkallen). Die Batterien schießen auch in nördlicher Richtung, so dass außerdem noch andere Gebiete wegen abirrender Granaten gesperrt werden mussten.

 

Nach Ebenrode werden hauptsächlich Rekruten aus der Ukraine und Litauen gebracht, die hier mit den Geschützen vertraut gemacht werden. Auch Werferbatterien stehen zur Ausbildung zur Verfügung. Heute hört man Tag und Nacht in Stallupönen das Donnern der Geschütze und bei Nordwind das Orgeln der Granaten. An Zivilisten befinden sich in der Kreisstadt keine 1000 Menschen mehr, obwohl Stallupönen früher 6300 Einwohner hatte. Die meisten jetzigen Einwohner sind in der Landwirtschaft oder den für die Streitkräfte arbeitenden Werken beschäftigt. Es ist alles auf die Bedürfnisse der Armee zugeschnitten. Das alte Ebenrode hat aufgehört zu bestehen!

 

Seite 10   Licht im Dunkel / Zum 135. Todestag von Ludwig-Adolf von Baczko.

Am 27. März dieses Jahres jährt sich zum 135. Male der Tag, an dem ein Mann seinen Lebenslauf vollendete, dessen Name in den Annalen der preußischen Geschichtsforschung hell aufleuchte: Ludwig von Baczko. In Lyck erblickte er am 8. Juni 1756 das Licht der Welt, ohne freilich zu ahnen, dass über der längsten Strecke seines Lebens das Dunkel liegen würde, Entbehrungen und harte Schicksalsschläge auf ihn warteten. Baczko stammte aus einer kinderreichen Familie. Sein Vater, von Geburt Österreicher, stand als Husarenrittmeister in preußischen Diensten. Seine Mutter war die Tochter des Goldaper Bürgermeisters Christoph Dullo. Der Siebenjährige Krieg brachte für die Offiziersfamilie eine lange Zeit häuslicher Unruhe: häufiger Kommandowechsel und große Aufträge führten den Rittmeister in verschiedene Landesteile Preußens und sogar ins Ausland, wobei ihn die Familie stets begleitete. Erst das Jahr 1764 brachte die ersehnte Ruhe, als der Rittmeister seinen Abschied nahm und sich auf das Gut Borken bei Sensburg zurückzog, das er zuvor erworben hatte. In der ländlichen Stille Masurens, wohlgeborgen in einer nunmehr ruhigen häuslichen Atmosphäre, wuchs der junge Ludwig auf, den eine ungewöhnliche Begabung auszeichnete. Mit 15 Jahren wurde er Schüler des Friedrichskollegs in Königsberg, ein Jahr später bezog er bereits die Albertina, um Jura zu studieren.

 

Erstaunlich groß waren seine Studieninteressen: Neben Jura noch Philosophie, Zeichnen und Malerei, Musik, Dichtkunst, Sprachen und Geschichte. Bei Kant hörte er Naturrecht und Moral, um sich dann schließlich noch medizinischen Studien zuzuwenden. Sein Studieneifer wurde durch eine lebensgefährliche Krankheit jäh unterbrochen; er fiel der Blatternseuche zum Opfer und büßte die Sehkraft eines Auges ein. Kaum genesen, studierte er weiter. Nebenbei schrieb er Rezensionen für die Kanterschen Zeitungen. So drang sein Name an die Öffentlichkeit.

 

Da traf ihn abermals ein harter Schicksalsschlag: nach einem schweren Krankenlager erlosch für immer sein Augenlicht. Eine Augenoperation, die ihm furchtbare Qualen bereitete, konnte an dem bedauerlichen Zustand nichts ändern. Mit zwanzig Jahren völlig erblindet! Alle Zukunftsaussichten schienen nun unerreichbar zu sein.

 

Sein Vater nahm ihn zu sich und enthob ihn vorerst aller Sorgen und Gedanken um die Zukunft. In der ländlichen Einsamkeit, wo er fünf Jahre blieb, reiften bald neue Pläne. Sein vielseitiges Streben drängte zur Stadt seiner Musen zurück. Mit Unterstützung einiger Freunde wurde eine Rückkehr nach Königsberg möglich. Um seinen Unterhalt bestreiten zu können, richtete er zunächst ein Pensionat für junge Leute ein und eröffnete eine Leihbücherei. Nachdem so die Lebensbasis einigermaßen gesichert war, konnte er wieder seinen besonderen Neigungen nachgehen: er setzte seine Studien auf geschichtlichem und literarischem Gebiet fort. Als Vorleser und Sekretär hatte er den Verfasser der Soldauer Chronik, Johann Daniel Meden, einen „ausgezeichnet redlichen Mann mit einem sanften gefühlvollen Herzen und guten moralischen Grundsätzen".

 

Mehr und mehr wandte sich Baczko der Geschichtsschreibung zu; sie wurde das eigentliche wissenschaftliche Arbeitsgebiet seines Lebens. Umfangreiche Forschungsarbeiten in archivalischen Quellen vermittelten ihm viele neue Einsichten und bildeten den Ausgangspunkt für zahlreiche geschichtliche Werke, denen heute noch wegen des unbefangenen und scharfen Urteils große Bedeutung zukommt. Sein bedeutendstes Werk, das als Leistung eines Blinden wohl einmalig in der preußischen Geschichtsschreibung ist und deshalb höchste Bewunderung verdient, ist die „Geschichte Preußens", die in den Jahren 1792 bis 1800 in sechs Bänden in Königsberg erschien. Eine Würdigung dieses Werkes, das von gründlicher Forschungsarbeit zeugte und die Fachwelt aufhorchen ließ, wird vielleicht einmal von berufener Seite erfolgen. Hier soll nur in kurzen Zügen ein Überblick über das Schaffen dieses vom Schicksal so schwer getroffenen Mannes gegeben werden. Umfangmäßig nimmt es einen ziemlich breiten Raum ein. So erschien 1784 in Dessau das zweibändige „Handbuch der Geschichte und Erdbeschreibung Preußens". Drei Jahre später folgte der „Versuch einer Geschichte und Beschreibung der Stadt Königsberg", eine Schriftenreihe von sieben Heften, die besonders deswegen so bedeutsam ist, weil sie neben der allgemeinen Beschreibung auch ein Verzeichnis der damals in Königsberg lebenden Geistesschaffenden, Schriftsteller, Künstler und Musiker, enthält.

 

Zwei Bände mit Erzählungen aus der Ordenszeit, drei Bände Volkssagen, Gespenster- und Zaubergeschichten sowie mehrere Romane mit hauptsächlich pädagogischen und didaktischen Tendenzen geben uns Einblick in sein literarisches Schaffen. Er schöpft aus dem unversiegbaren Quell ostpreußischen Volkstums und lässt es wieder lebendig werden.

 

Die Beschäftigung mit der Musik veranlasste ihn zu einigen Arbeiten auf dem Gebiet der Oper. So verfasste er „Rinaldo und Alcina", eine komische Oper in drei Aufzügen, die von Th. Paradies aus Wien vertont wurde und in verschiedenen deutschen Theatern, über die Bühne ging. Dann folgte „Die Singschule", eine komische Oper, deren musikalische Bearbeitung der Königsberger Musikdirektor Mühle übernahm.

 

Auch an poetischen Versuchen fehlte es nicht. Gedichte religiösen Inhalts, Romanzen, Fabeln, Lieder und Gesänge, dazu eine Menge von Gelegenheitsgedichten, die neben anderen Beiträgen in verschiedenen Zeitschriften erschienen, ergänzen das Bild des rastlos Schaffenden. Sein ungeheurer Fleiß als Schriftsteller ermögliche ihm die Begründung eines eigenen Hausstandes: 1792 heiratete er Magdalena Johanna von Montowt.

 

Die Ernennung zum Professor der Geschichte an der Artillerie Akademie und Divisionsschule in Königsberg (1799) bedeutete für Ludwig von Baczko die Krönung seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeiten. Daneben setzte er seine schriftstellerische Tätigkeit auf geschichtlichen, politischem und belletristischem Gebiet fort. Seine historischen und literarischen Beiträge erschienen in den damals bekannten Zeitschriften „Preußische Tempe", „Preußisches Magazin" und „Annalen des Königreichs Preußen" die von ihm selbst herausgegeben und redigiert wurden. Für die „Kanterschen Zeitungen" war er schon seit seiner Studienzeit als Rezensent tätig.

 

Ein anschauliches Bild über den Lebensstil der damaligen Zeit vermittelt uns Baczko in seiner Selbstbiographie „Die Geschichte meines Lebens" (3 Bände). Mit scharfen Worten geißelt er die luxuriöse Lebensführung des Großgrundbesitzes, die in keinem Verhältnis zu dem allgemeinen Lebensstandard stand, und weist auf die tragenden sittlichen Kräfte der deutschen Kultur hin, auf das Erbe der Vorfahren, das es zu erhalten gelte. Die echte bäuerliche Substanz sei und bleibe der Tragepfeiler eines jeden Staates.

 

Wer einmal den beschwerlichen Lebensweg dieses Mannes nachwandert, der spürt — trotz aller Schicksalsschläge — auch etwas von dem Licht, das in seine Dunkelheit hineinleuchtet, von der Freude an seinem Schaffen, der empfindet das Glück und den inneren Reichtum, die alles Schwere überstrahlen. Einer seiner Zeitgenossen schreibt über ihn:

 

„Seit seinem 20. Lebensjahre sieht er das Tageslicht nicht, und doch ist er ruhig und zufrieden. Er ist verheiratet und kennt das Gesicht seiner Frau nicht, ihr Charakter ist ihm freilich hinlänglich bekannt. Wenn man mit ihm über seine Unfälle spricht, so zeigt er eine so vollkommene Ergebung in sein Schicksal, dass man erstaunen muss. Ja, er ist im Stande, darüber zuweilen zu scherzen und die Vorteile weitläufig auseinanderzusetzen, die der Mangel seines Gesichtes gewährt. Er ist voller Schnurren und witziger Einfälle. Seine Urteile sind so treffend, so wahr, selbst über Gegenstände des Gesichtes. Jedermann ist gerne in seiner Gesellschaft und bedauert, wenn er wieder geht. Was er einmal gehört hat, das behält er auf immer. An der Sprache erkennt er jeden wieder, mit dem er einmal in Gesellschaft war. Sein Fleiß, seine Herzensgüte, seine Großmut, seine Menschenliebe erhalten ihm die allgemeine Achtung, die er unumschränkt besitzt“.

 

Es braucht nicht besonders betont zu werden, dass der Geist, der Ludwig von Baczkos Schaffen beseelte, echt preußisch war. Seine Jugendzeit fiel in die Ära des großen Preußenkönigs, er erlebte Preußens Erniedrigung 1806 und den Sturm der Befreiung von 1813. Das große Geschehen jener Tage spiegelt sich in seinen Versen, mit denen er die Freiheitskämpfer begleitet.

 

Am 27. März 1823 nahm der Tod dem nimmer Schaffensmüden die Feder aus der Hand. Mit ihm verlor Königsberg eine schöpferische Persönlichkeit, die das Geistesleben der Stadt ungemein befruchtet hat. Sein Wirken und Schaffen stellt ihn in die erste Reihe der bedeutenden Männer des deutschen Ostens. Erwin Poschmann

 

Seite 10   Prämiierte Witze

Die Warschauer Zeitschrift „Robotnik rolny“ (Der Landarbeiter) ist dazu übergegangen, „die besten Witze über die Staatsgüter“ zu sammeln und zu prämiieren. Bei den bisherigen Wertungen erhielten u. a. die folgenden Witze „erste Preise“:

 

„Wie hoch sind die Kartoffelerträge Eures Staatsgutes?" — ? — Antwort: „Wir ernten 150 Doppelzentner je Hektar und genau so viel bleibt in der Erde liegen“.

Und: „Wieviel Personen arbeiten auf Eurem Staatsgut?“ — Antwort: „Mit dem Brigadier zusammen neun!" Frage: „Also ohne den Brigadier acht?" — Antwort: „Aber nein! Ohne ihn arbeitet keiner was“.

 

Seite 10   Ostdeutsche Schiffsnamen

Es ist in letzter Zeit der Vorschlag gemacht worden, die Schiffe der Bundesmarine sollten auf die Namen ostdeutscher Städte und Landschaften getauft werden. Weit wichtiger — und aus naheliegenden Gründen wohl auch zweckmäßiger — wäre es, wenn diese Anregung von den Reedereien der Handelsmarine aufgegriffen würde. Alljährlich laufen in den Hafenstädten der Bundesrepublik zahlreiche neue Schiffe vom Stapel, aber kaum jemals ist bekannt geworden, dass größere Neubauten die Namen ostdeutscher Städte erhielten, die gegenwärtig polnischer und sowjetischer Verwaltung unterstellt sind.

 

Dabei sollten gerade die Reedereien in den Hansestädten sich daran erinnern, dass der Name der Hanse auch heute verpflichtet: verpflichtet insbesondere auch dazu, dass die Namen der alten ostdeutschen Hansestädte Stettin, Danzig, Königsberg, Breslau, Elbing, Kolberg, Stolp, Stargard und Frankfurt/Oder durch die Schiffe der deutschen Handelsmarine über die Nord- und Ostsee in die Hafenstädte der europäischen Länder und über die Weltmeere zu den Küsten ferner Kontinente getragen werden, um davon Zeugnis abzulegen, dass der alte Hansegeist lebt und die hanseatische Treue, welche die Glieder des Hansebundes einst vereinte, erneut ihren Ausdruck findet angesichts der Not und Gefährdung Ostdeutschlands.

 

Seite 10   Arthur Degner 70 Jahre

Am 2. März 1958 vollendete der heute in Berlin an der Hochschule für Bildende Künste lehrende, in Gumbinnen geborene Maler Arthur Degner seinen 70. Geburtstag. Degner ist einer der großen Schrittmacher der modernen Malerei nicht nur in Ostpreußen, wo er Anfang der zwanziger Jahre an der Königsberger Kunstakademie seine erste Professur erhielt. Will man ihn künstlerisch einreihen, so wird man ihn, obwohl in jedem seiner Werke ein unnachahmlich Eigener, am ehesten in der Nähe seines großen Landsmannes Corinth suchen. Niemals in die reine Abstraktion verfallend, blieb er, wenn auch mit einem bis zur knappsten Formel vereinfachenden Pinselstrich, stets auf dem Boden der Gegenständlichkeit. Das Foto der auf Seite 11 veröffentlichten Gemäldewiedergabe wurde uns freundlicherweise von der Künstlergilde e. V. Eßlingen zur Verfügung gestellt.

 

Seite 10   Ausstellung in Santiago de Chile

Die Künstlergilde e. V.. Verband der heimatvertriebenen Kulturschaffenden für die Bundesrepublik und Berlin, wurde auf Anregung von Frau Professor Margarita Johow und dank der Vermittlung der Leiterinder schlesischen Gedok-Gruppe, Frau Anni Korn-Gisevius, eingeladen, im Frühjahr 1958 in der Fakultät der bildenden Künste der Universität von Santiago de Chile eine repräsentative Ausstellung zu zeigen. Unter dem Titel „Mensaje Artistico de Alemania" (Künstlerische Botschaft aus Deutschland) werden ausgesuchte Werke der bildenden Kunst, der angewandten Kunst, des Kunsthandwerks, der Buchkunst und der Illustration sowie künstlerische Fotos nach Chile geschickt. Neben der Künstlergilde zeichnen das Instituto Chileno -Aleman de Cultura, und die Facultad de Artes Plasticas als Veranstalter. Den Ehrenschutz der von der Bundesrepublik und der Republik Chile geförderten Ausstellung haben S. Exz. der Chilenische Botschafter in Bonn. S. Exz. der deutsche Botschafter in Santiago de Chile und der Dekan der Fakultät der bildenden Künste der Universität von Chile übernommen.

 

Seite 10   „Unverlierbare Heimat"

In vier Bänden liegt jetzt eine Sammlung von Volksliedern des deutschen Ostens vor. Sie wurde unter dem Titel „Unverlierbare Heimat" mit Unterstützung des Vertriebenenministeriums in Kiel zusammengestellt.

 

Seite 10   „Theater im deutschen Osten"

Dieser Titel Ist das Leitwort für eine Ausstellung des Ostdeutschen Theaterarchivs in Eßlingen, die in Herleshausen an der Zonengrenze eröffnet wurde und einen Überblick über die früheren deutschen Bühnen in den vorläufig von Polen verwalteten deutschen Ostprovinzen vermitteln soll.

 

Seite 10   Dr. Schmauch zum Honorarprofessor ernannt

Der bekannte ostpreußische Historiker Dr. habil. Hans Schmauch, der im vergangenen Jahr 70 Jahr alt wurde, ist von der Universität Mainz zum Honorarprofessor in der Philosophischen Fakultät ernannt worden. Dr. Schmauch, der 1932 bis 1945 an der Staatl. Akademie zu Braunsberg ostdeutsche Landesgeschichte dozierte, leitet heute die ostdeutsche Abteilung des Institutes für die Kultur- und Kirchengeschichte Ostmitteleuropas in Ingelheim a. Rh. Sein wissenschaftliches Lebenswerk galt vor allem Nikolaus Kopernikus. Er ist 1. Vorsitzender des von ihm neugegründeten Historischen Vereins für das Ermland und Herausgeber der „Zeitschritt für Geschichte und Altertumskunde des Ermlands".

 

 

Seite 10   15 000 Bände Ostschrifttum

Vor zehn Jahren wurde von der Stadt Herne eine Bücherei des deutschen Ostens eingerichtet. Heute umfasst sie 15 000 Bände ostdeutschen Schrifttums Eine solche Spezialbibliothek konnte nicht unbekannt bleiben. Allein im vergangenen Jahr trafen aus Schweden, Dänemark, Österreich, Holland Japan, Brasilien und nicht zuletzt aus Mitteldeutschland und von Wissenschaftlern der Bundesrepublik etwa 3000 Anfragen und Leihwünsche ein. Fast 1000 neue Bände wurden 1957 angeschafft. Die Ausleihe stieg auf über 40 Prozent des gesamten Buchbestandes. Für das Jubiläumsjahr ist ein Katalog mit 17 000 Buchtiteln und Zeitschriftenhinweisen aus der Bücherei des deutschen Ostens vorgesehen und geplant. Er soll in allen Spezialbüchereien der Bundesrepublik ausgelegt werden.

 

Eine ostpreußische Gemeinnützige Gesellschaft die ein Studentenwohnheim für west- und ostpreußische Studenten errichten will, wurde unter dem Namen Albertinum e. V. in Göttingen gegründet.

 

Seite 10   Die Stadt Tilsit. Ostpreußische Geschichte am Beispiel einer Stadt.

Selten ist ein Regent in seinem Lande so volkstümlich geworden wie Markgraf Albrecht von Brandenburg (1490 - 1568), letzter Ordenshochmeister und erster Herzog von Preußen. Er kam in jungen Jahren zur Regierung in einem Lande, das damals noch unter der Lehnshoheit Polens stand, zudem fehlte es ihm in der ersten Zeit auch an geeigneten Ratgebern. Trotzdem hinterließ er bei seinem Tode eine schon aufblühende Provinz.

 

Herzog Albrecht führte, nachdem er persönlich mit Martin Luther Fühlung genommen, die Reformation in Preußen ein. Luthers Sohn Hans wurde nach Königsberg berufen und ist dort auch gestorben. Eine Anzahl Städte wurden während der Regierungszeit Albrechts gegründet, neue Flecken entstanden, die Krönung des Ganzen aber war die Gründung der Königsberger Universität, der „Albertina" (1544). Zeitlebens war der Herzog bestrebt, dem Lande eine gewisse Unabhängigkeit und den Frieden zu erhalten.

 

Die im Schutze der Ordensburg Tilsit aus Sumpf und Sandboden entstandene kleine Ansiedlung hatte sich durch Zuzug von Kaufleuten und Handwerkern von jenseits der Elbe bald zu einem ansehnlichen Marktflecken entwickelt, der jetzt nach der Stadtgerechtigkeit strebte. Ständig lagen dem jungen Herzog die Tilsiter mit ihrem Zank und Hader in den Ohren, sie verlangten immer mehr Privilegien für sich und mehr Landzuteilung. Gegen letztere Forderung protestierte wieder die stammeseingesessene Bevölkerung, die bisher nur in den späteren Vorstädten Splitter und Tilsit-Preußen leben durfte und nun von ihren Äckern den zugezogenen Fremden abgeben sollte. Schwer war es, allen Forderungen und Klagen gerecht zu werden, zumal sich die Tilsiter auch hinter die junge Herzogin steckten. Da musste oft salomonisch geurteilt werden, um niemandem weh zu tun; denn die Kassen waren leer, und man konnte es mit keinem Untertanen verderben. Hatte doch 1526 der Tilsiter Amtsschreiber Gall Klemm, ein gebürtiger Reutlinger, dem Herzog einen Pfandbrief über „331 mark preuss. Münz“ nebst Silberzeug usw. aus dem Schlosse und dem ehemaligen Kloster verpfänden müssen. So etwa sah es im Marktflecken „an der Mymmel" bis zur Stadtwerdung 1552 aus.

 

1534. Albrecht, maggrave zu Brandenburgk, usw. verleiht „unnserem Lieben getrewen Gall Klemm etwann amptschreiber zur Tilssit umb seyner getrewen und vleissigen dienste willen (siehe oben. Die Red.) gnediglich den annderen krugk zur Tilssit. Geben zu Konigspergk den Donnerstag unnsres Herrn gepurt 1534“. Der Krug lag in der späteren Deutschen, Ecke Wasser-Straße. Nun waren also schon zwei privilegierte Krüge vorhanden.

 

 

1537. Die erst 1410 erbaute Ordensburg Tilsit, jetzt Schloss genannt, wird als Amtssitz des Burggrafen (Moritz von Perschkau 1529 - 1548) gründlich durchgebaut. Dessen Vater Hans von Perschkau hatte für sich und „Ursula seyne ehelich Hausfrawen und ehelich Sohn Mauritius (Moritz) zu ihrer drey leben" 1486 für treue Dienste 12 Huben Land bei Tilsit (Gut Senteinen) und 1497 ein Werder (Insel) bei Splitter sowie weitere Ländereien und Wald (Schilleningken und Pogegen) verliehen bekommen.

In diesem Jahre besuchte Herzog Albrecht auf einer Inspektionsreise zum ersten Mal Tilsit und stellte die Stadtgerechtigkeit in Aussicht.

 

1538. In Preußen ist die „landes ordennung" eingeführt und das Leben in Tilsit wird allmählich in geordnete Bahnen gelenkt. In 13 wohldurchdachten „artikuln" wird das Marktwesen geordnet: „nemlich dass uff alle markttage des morgens fru vor tage ein fhan uffgericht, denn man bis umb 9 stecken sol lassen, dieweil derselbe fhan stet, sollen sich alle frembden des kouffens enthaltenn, sunder sol den eyn wonernn nach der gleichheit zu kouffen vergunnet seyn. Sobalde aber der fhan nach 8 urenn im selben schlage abgenomenn alsdann so einem jedem frembden und eyn wonern frey zu kouffen und handelnn zugelassen seyn“.

 

Ein landesherrlicher Hinweis auf die ständigen Streitereien: „Wann dieser fleckenn nun mit gepurenden rechten verse, recht unnd gerechtigkeyten uffgericht, auch die von eynem jeden geflogen, so werdenn sich vermittelst gottlicher Hülff alle diese unordenung ab unnd aus dem wege tun".

 

Dem Flecken werden Plätze für den Fisch-, Kram- und Viehmarkt versprochen.

 

1540. Die Zänkereien in Tilsit rissen nicht ab. Amtsschreiber Valentin Neuhof, der „klagweise dem Burggrafen Moritzin angezeyget, doch keinenn bescheyd vernomenn oder irgend eyene ordenung zu gemeinem regiment" und „weill denn diser fleckenn itzt neu unnd kleyn unnd künftig, ja in kurtzer zeyt wann er foerderung hatt ein große Stadt werden kann unnd wie Betleem in Judea nicht als die geringste war, als ist anoch Thilse itzt bereyts nicht geringst in Preußen", beschwert sich beim Herzog. „Simon Bomgart, bürger zu Konigpergk" hat nämlich eigenmächtig seine Hofstelle (in der späteren Packhofstraße) erweitert und dadurch den besten Zugang zum Strome versperrt. Neuhof bittet um Abhilfe, da „sonsten das arme volk an gesetze vergehet“. Da er aber seines eigenmächtigen Schrittes wegen Angst vor dem Burggrafen hat, bittet er um Schutz und Schirm, „uff das ich in meynes von seinem Vorgesetzten bekommen haben. Amtmanns unleydlichen zornn und ungunnst nit falle“. — Wahrscheinlich wird der brave Amtsschreiber donnoch einen tüchtigen Rüffel

(wird fortgesetzt)

 

Seite 11   Die Stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

Der Bauer und der Teufel Nach dem Volksmund erzählt von Josef Schloemp

Da lebte im Ermland einst ein armes Bäuerlein. Viel Missgeschick und Unglück waren schuld an seiner bitteren Armut. Er konnte in dieser Armut keinen Knecht und keine Magd bezahlen, und so rackerte er sich mit seinem Weib allein auf den Hufen.

 

Da hatte der Bauer die Gerste gemäht und war in seiner Scheuer gerade dabei, sich einen Vorrat von Sielen aus Roggenstroh zu drehen, um die kurze Gerste in Garben binden zu können. Da stank es plötzlich nach Pech und Schwefel, und schon stand ein großer kräftiger Kerl mit schwarzem Haar vor ihm.

 

Der Bauer dachte sofort: Wenn das nicht der Leibhaftige ist, fress ich nen Scheffel Spannägel! Aber komm man, Taiwelche, mit dir werd ich schon fertig!

„Bauer", sagte der Schwarze, „du brauchst doch einen starken und fleißigen Knecht. Ich schaff für zehn, und du wirst deine Freude an mir haben“.

„Ich kann keene Knecht bezoahle. Ich sei oarm wie e Kerchemaus!" erwiderte der Bauer.

„Ich brauch' dein Geld nicht", entgegnete der Teufel, „ich schaff bei dir umsonst, bis du mir den Dienst kündigst. Aber wenn du mir kündigst und ich meinen Dienst bei dir aufgeben muss, will ich deine Seele haben!"

 

Der pfiffige Bauer beteuerte sofort: „Gudd, abjemacht! Du sullst — bei Gott — meine Söle hoabe!" und er meinte damit die Strohsiele, die vor ihm lagen.

 

Der Bauer wunderte sich erfreut, wie schnell und tüchtig der Schwarze arbeitete. Er schaffte wahrhaftig für zehn starke Männer und noch mehr. Der Bauer war jetzt im Dorf immer der erste, der Ernte und Neubestellung der Felder vollendete, und die Armut wich bald von seiner Schwelle.

 

Als aber ein paar Jahre vergangen waren, zeigte der Leibhaftige seine teuflischen Tücken.

Eines Tages sprach der Bauer zu ihm: „Heut foahr Möst offs Sommerfeld! Nich veel, — du brauchst'm Acker floß de Möst zu zeige!" Das heißt in der Bauernsprache, den Dung nur sparsam dünn zu streuen.

 

Der Bauer war indessen zur Stadt gefahren. Als er am Nachmittag heimkommt und am Sommerfeld vorbeifährt, findet er keinen Dung darauf. Eben aber kommt der Schwarze mit einer vollen Fuhre vom Hof, fährt bis an das Sommerfeld heran und ruft: „Ackerchen, schau her! Ich zeige dir den Mist! Hast du ihn gesehen?" Dann wendet er den Wagen und fährt in den Hof zurück.

 

Der Bauer voller Zorn stellt den Knecht zur Rede. Der Leibhaftige aber erwidert ihm höhnisch: „Wie du befohlen, hab ich's doch getan; ich habe dem Acker den Dung gezeigt“.

Der Bauer verwindet seinen Zorn, weil er an die große Hilfe denkt, die er dem Schwarzen doch verdankt.

 

Es vergeht einige Zeit, da spricht der Bauer am späten Nachmittag zum Knecht: „Ich muss heut noch zum Scholzetag. Tränk indesse das Vieh on schaff Wasser in e Stall!" Das hieß, dass der Knecht die Wasserkübel nach dem Tränken auf Vorrat füllen sollte.

 

Als der Bauer spät am Abend heimkommt, sieht er Licht im Stall, und er hört den Knecht noch schaffen. Er geht in den Stall und — er erschrickt; Vieh und Pferde stehen schon bis an die Leiber im Wasser, und der Schwarze ist immer noch dabei, Wasser vom Brunnen herbeizuschleppen und es in den Stall zu gießen.

 

Wieder stellt ihn der Bauer zornig zur Rede, und er erhält die teuflische Antwort: „Was willst du, Bauer? Das war doch dein Befehl, Wasser in den Stall zu schaffen. Ich wartete auf deinen Abruf. Mich kannst du wegen meines Fleißes doch nur loben!"

 

Einige Tage darauf sprach der Bauer zum Knecht. „Ich muss zum Viehmarkt! Groab du indesse de Kartoffel aus!" — Es war nämlich an der Zeit, den Rest der Frühkartoffeln einzubringen.

„Als der Bauer schon gegen Mittag heimkommt, hört er von der Bäuerin, was der Knecht angestellt hatte. Mit teuflischer Gewalt und Schnelligkeit hatte er nicht allein die frühen, sondern auch die unentwickelten späten Kartoffeln aus dem Acker gegraben und am Rande des Feldes aufgehäuft. Der Bauer wollte voller Wut, dem Leibhaftigen zu Leibe rücken. Er ergriff eine Grabforke und ging auf ihn los. Da merkte er aber plötzlich, dass er schwach und elend wurde und nicht einmal fähig war, ihn zu verwünschen oder zu verfluchen.

 

Im Herbst sollte der Bauer den größten Ärger und Schaden erleben. Da er mit seinem Weib zu einer Hochzeit fahren wollte, überlegte er sich genau, welchen Auftrag zur Arbeit er dem Schwarzen, dem Leibhaftigen geben sollte. Dann sprach er: „Nimm den Dreschflegel und drisch den Roggen!"

 

Als die Bauersleute fort waren, ging der Schwarze in seine Kammer und holte aus seinem Ranzen eine Höllenkerze. Er zündete sie mit seiner glühenden Teufelszunge an und stellte sie auf die Tenne. Dann holte er die Roggengarben einzeln herbei, hielt sie über das Höllenlicht, so dass das Stroh blitzschnell zu Nichts verbrannte und die Roggenkörner auf die Tenne fielen. Das ging dem Teufel verteufelt schnell von der Hand. Die Tenne war bald mit Roggenkörnern überfüllt. Jetzt begann der Leibhaftige mit der zweiten Arbeit. Er grinste und sprach bei sich: „Der Bauer befahl mir, den Roggen zu dreschen. Das will ich nun tun!" Und mit Höllenkraft schlug er die Roggenkörner zu Mehl und Staub.

 

Als der Bauer mit seinem Weib heimkehrte und der Schwarze ihm höhnisch erklärte, wie er seinen Auftrag brav ausgeführt hätte, da packte ihn der Ärger derart, dass er schrie: „Satan, scher dich zur Hölle!" Da aber fiel der Bauer von einer Schwäche betroffen um, und sein Weib musste ihn in das Bett schleppen. Da lag er nun und konnte sich nicht rühren.

 

Der Schwarze, der Gottseibeiuns, dachte nun, dass seine Zeit gekommen wäre. Er trat vor das Lager des Bauern und sagte: „Der Ärger über mich frisst dein Leben. Dein Ende ist gekommen. Du hast mir endlich den Dienst gekündigt; ich soll mich zur Hölle scheren, hast du gesagt. Aber für meinen Dienst bei dir hast du mir deine Seele verpfändet. Jetzt warte ich auf deinen baldigen Tod und auf deine Seele!"

 

Als der Bauer diese Worte vernahm, kam mit Gottes Hilfe wieder Kraft in ihn. Er richtete sich plötzlich im Bett auf, lachte dem Leibhaftigen in seine Teufelsfratze und rief: „Weib, hol dem Satan de Strohsöle aus 'em Scheunefach! Die hoab ich ihm bei Gott versproche und hibschvawoahrt. Diss Söle sull derr Taiwel ooch kriehe!"

 

Als der Teufel dies vernahm, verwandelte er sich vor Zorn in seine wahre Teufelsgestalt, tanzte in wilden Sprüngen um das Bett des Bauern, stampfte mit seinem Pferdefuß die Dielen der Stube, dass sie zerbrachen und zersplitterten und peitschte mit seinem langen Schweif Tisch und Schemel um. Da kam aber die Bäuerin ihrem Mann zu Hilfe. Sie griff unter ihr Mieder, holte ihr geweihtes Skapulier hervor, darin der „Siebenbeschluss", nämlich das Schutzgebet gegen die sieben Fürsten der Hölle sich befand, und hielt es dem tobenden Teufel vor die Nase. Da fuhr er unter Höllengestank mit Donnerkrach und wüstem Gebrüll zum Fenster hinaus und von dannen, dass Glas und Rahmen zersplitterten.

 

Der Bauer war auf der Stelle gesund, und Bauer und Weib dankten Gott, dass er ihnen die Hilfe gegeben, den Leibhaftigen zu bezwingen.

 

Seite 11   Bild von Arthur Degner: Bauernfamilie

 

Seite 11   Heimat. Von Rudolf Naujok

Da wir als Kinder im Sande gespielt,

Haben wir schon deinen Atem gefühlt.

 

Wir wuchsen und warfen unsern Speer

Von Tal zu Hügel, von Düne zu Meer.

 

In deiner Flüsse blauklare Flut

Sprangen wir nackt und voll Übermut.

 

Am Abend, von dunklen Bäumen umrauscht,

Haben wir deinen Sagen gelauscht.

 

Und deiner Städte lichtvoller Glanz

Rief unsere Jugend zu Spiel und Tanz.

 

Nun sind wir Männer und noch nicht alt

Und alles ist fort, und der Wind weht kalt.

 

Wir suchen dein liebes, gewohntes Gesicht

Und rufen „Mutter" und finden dich nicht.

 

Und nur im Traum zu flüchtigem Glück

Kehren wir nächtlich zu dir zurück

 

Seite 11   Vergebliche Flucht / Will Vesper

In alten Märchen lebt alte Weisheit, und die älteste Weisheit ist immer auch die jüngste, wenn es überhaupt eine rechte Weisheit ist. Es gibt gar keine andere Weisheit als uralte und zugleich blutjunge; denn die Weisheit ist immer dieselbe, heute wie vor tausend Jahren. Um die alte Weisheit immer jung zu bewahren, hat man die Märchen erfunden. Märchen sind keine Kindergeschichten, sondern nur die ewigjungen Gefäße der ewigalten Weisheit.

 

Es lebte einmal ein Kaiser von China, Sohn des Himmels und mächtigster Herrscher der Welt. Eines Abends ging er über die blühenden Terrassen seiner kaiserlichen Gärten und erfreute sich an der Schönheit seiner Rosenbüsche und an dem Duft ihrer Rosen. Da stürzte plötzlich sein oberster Gärtner, die Treppen heraufstürmend, dem Kaiser vor die Füße in den Staub.

 

„O allmächtiger Herr", rief er, „eben, als ich dort unten deine Rosenbüsche begoss, sah ich vor mir den leibhaftigen Tod. Hinter einem Baume spähte er hervor und drohte mir mit der Faust. Sicher will er mir an das Leben. Leihe mir, Herr, dein schnellstes Ross, dein Zauberpferd Zephir, das rascher ist als der Westwind, und lass mich entfliehen nach deinem verborgensten Schlosse Tschanga, das du in den Bergen versteckt hast. Dort wird mich der Tod nicht finden. Noch vor dem Aufgang des Mondes kann ich dort sein“.

„Nimm das Ross", sagte der Kaiser. „Um sein Leben zu bewahren, muss man alles einsetzen“.

Der Gärtner stürmte davon, nach den Ställen. Bald hörte man den silbernen Hufschlag des entfliehenden Rosses, und wie ein Blitz verschwand es in der Ferne.

 

Sinnend ging der Kaiser weiter. Aber da sah auch er den bleichen Tod dicht vor seinem Weg mitten in den Rosen. Doch der Kaiser fürchtete sich nicht, sondern trat ihm rasch entgegen und fuhr ihn an: „Warum erschreckst du mir meinen Gärtner und bedrohst mir meine Leute hier vor meinen Augen?"

 

Tief verneigte sich der Tod und sagte: „Erhabener Herr, Sohn des Himmels, verzeihe mir, dass ich dich erzürnte. Aber ich habe deinen Gärtner nicht bedroht. Als ich ihn so unerwartet hier vor mir in deinen Rosen sah, konnte ich nur ein Zeichen der Verwunderung nicht unterdrücken. Denn heute früh, als der Herr des hohen Himmels, Euer Gebieter und der unsere, seinen Dienern seine Befehle gab, da gebot er mir, diesen deinen Gärtner heute Abend beim Aufgang des Mondes in deinem Schlosse Tschanga abzuholen. Darum wunderte ich mich, dass ich ihn hier antraf, so weit von jenem Schlosse entfernt.

 

Da neigte sich der Kaiser ehrfürchtig vor dem unsichtbaren Herrn über Leben und Tod, blickte dann lange in den roten Kelch einer Rose und dachte: „Da rast nun der Mann auf dem schnellsten Pferd, das niemand einholen kann, vor dem Schicksal fliehend, seinem Schicksal entgegen“.

 

Seite 11   Das Kreuz / Annemarie in der Au

Diese Geschichte ist wahr, denn sie spielte sich in einem Dorfe nahe der alten polnischen Grenze ab. Und was sie erzählt, muss wohl als ein Gotteswunder gelten.

Dieses Dorf zeichnete sich durch nichts Besonderes aus, es sei denn, man hätte schon damals, als in diesem Dorfe nur Deutsche wohnten, jenes Kreuz schon als etwas Besonderes genommen. Es war ein schlichtes Holzkreuz, das auf dem spitz vorspringenden Gartenstück eines Dorfbewohners stand. Es hatte auch keine besondere Bedeutung, etwa die Erinnerung an ein Unglück oder etwa in der Erfüllung eines Gelübdes. Es wurde auch nie sonderlich beachtet. Es stand ebenso auf der vorspringenden Gartenecke an der Landstraße — und damit fertig.

 

Das Holzkreuz überdauerte manchen Sturm. Es überdauerte den Krieg und sogar den Einzug der Polen, die das Dorf zu ihrem Besitz erklärten. Aber dann setzte sich der neue polnische Funktionär in jenes Haus, zu dem das Kreuz gehörte, und der stieß es eines Abends mit Aufbietung seiner ganzen Kräfte um und ließ es liegen, wie es gefallen war. Er hatte diese Arbeit allein machen müssen, denn — so sehr man die Deutschen hasste und alles, was mit ihnen zusammenhing, zu zerstören trachtete — das Kreuz zu stürzen, wagten auch die treuesten Anhänger des Funktionärs nicht. Ja, einige hatten sogar versucht, ihn zu warnen. Aber wusste ein Funktionär nicht besser Bescheid über alle Dinge im Himmel und auf Erden als jeder andere?

 

Seit dieser Tat geht aber etwas Merkwürdiges auf der Besitzung vor. Zunächst blüht eine Seuche im Schweinestall auf und rafft ein Schwein nach dem anderen hin. Selbst die Ferkel werden davon betroffen, die man zur Vorsicht in die Küche genommen hatte. Die Seuche wütet nur hier, sonst nirgendwo im Dorfe. Je nun, was kann man da schon machen, am besten, man denkt nicht weiter darüber nach. Die Versicherung bezahlt ja den Schaden. Ein wenig später werden die beiden Kühe des Funktionärs vom Blitz erschlagen, dann krepiert das neue Pferd aus unerklärlichen Gründen und wieder um ein weniges später trifft den Hühnerstall die Pest.

 

Das geht nun im Dorfe herum, was für ein Pech doch der Funktionär hat, und dann hat irgendjemand etwas vom Kreuz gesagt. Das ist erst nur wie ein Hauch, der durch das Dorf weht, aber dann ist das Wort eines Tages lebendig da und geht stärker und stärker im Dorfe um.

Die Polen gehen zu ihrem Funktionär und geben ihm den Rat, doch ja das Kreuz wieder aufzurichten. Nur so, versteht sich, warum solle man nicht auch dieses Mittel zu allen übrigen noch versuchen, je, je es sei ja nur ein freundlicher Vorschlag, und der Funktionär solle nur nicht böse werden.

 

Aber da muss erst noch wieder eine Kuh an der Kolik eingehen, ehe der Funktionär diesmal nun dem Drängen seiner Leute nachgibt, aber nur so weit, dass sie seinetwegen — verflucht noch einmal! — machen können, was sie wollen.

 

In der darauf folgenden Nacht sind die Polen dabei, das Kreuz wieder aufzurichten. Sie tun es heimlich, weil sie sich vor dem Lachen der zurückgebliebenen Deutschen fürchten. Trotzdem sehen alle Deutschen dieser Szene heimlich zu. Niemand von ihnen denkt daran zu lachen, sie sind feierlich gestimmt wie in der Kirche. Sie sehen, wie auch der Funktionär es schließlich nicht länger mit dem Beiseite stehen aushält und — wenn er auch schon keinen Spaten anfasst oder gar das Kreuz — wenigstens die Laterne hält.

Wer es nicht glauben will — aber die Polen glauben seit jener Nacht alle an das Kreuz, selbst der Funktionär kann es nicht mehr ableugnen, denn seit jener Nacht ist ihm kein Stück mehr seines Viehs zu Schaden gekommen. Wenn sie an dem Kreuz vorbei müssen, ziehen sie tief und scheu die Kappen. Es muss doch noch wohl etwas daran sein — an dem Kreuz des Herrn.

 

Seite 11   Vision / Von Joseph Freiherr v. Eichendorff

Mir scheint unsre Zeit dieser weiten, ungewissen Dämmerung zu gleichen! Licht und Schatten ringen noch ungeschieden in wunderbaren Massen gewaltig miteinander, dunkle Wolken ziehen verhängnisschwer dazwischen, ungewiss, ob sie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten in weiter, dumpf stiller Erwartung. Kometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen sich wieder, Gespenster wandeln wieder durch diese Nächte, fabelhafte Sirenen selber tauchen, wie vor nahen Gewittern, von neuem über den Meeresspiegel und singen, alles weist wie mit blutigem Finger warnend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin. Unsere Jugend erfreut kein sorglos heiteres Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unsere Väter, uns hat frühe der Ernst des Lebens gefasst.

 

Denn aus dem Zauberrauche unserer Bildung wird sich ein Kriegsgespenst gestalten, geharnischt, mit bleichem Totengesicht und blutigen Haaren; wessen Auge in der Einsamkeit geübt, der sieht schon jetzt in den wunderbaren Verschlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und sich leise formieren. Verloren ist, wen die Zeit unvorbereitet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zu Lust und fröhlichem Dichten, sich so gerne mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu sich sagen: Weh, dass ich zur Welt, sie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fugen wird sie noch einmal kommen, ein unerhörter Kampf zwischen Altem und Neuem beginnen, die Leidenschaften, die jetzt verkappt schleichen, werden die Larven wegwerfen, und flammender Wahnsinn sich mit Brandfackeln in die Verwirrung stürzen, als wäre die Hölle losgegangen, Recht und Unrecht, beide Parteien, in blinder Wut einander verwechseln.

 

Wunder werden zuletzt geschehen, um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Greul bricht, die Donner rollen nur noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen, und die Erde hebt sich, verweint, wie eine befreite Schöne, in neuer Glorie empor. —

Wer von uns wird das erleben!

(Aus dem Roman „Ahnung und Gegenwart“)

 

Seite 12   Mein Abschied von der Heimat. Agnes Miegels letzte öffentliche Lesung anlässlich ihres 79. Geburtstages.

Es ist nicht üblich, des 79. Geburtstages eines im öffentlichen Leben stehenden Menschen besonders zu gedenken. Bei der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel müssen wir eine Ausnahme machen. Sie hat diesen Termin gewählt, um sich von uns zu verabschieden: Die weißhaarige Dichterin teilte kurz vor ihrem Geburtstag, als sie im Rathaussaal von Bad Oeynhausen aus ihren Werken las, mit, sie werde in Zukunft keine öffentlichen Lesungen mehr halten. Agnes Miegel will ihren Lebensabend für das dichterische Schaffen in der Stille nutzen. Wenn wir ihr also nicht mehr am Pult begegnen werden, so dürfen wir doch hoffen, dass sie uns in ihrer schlichten Sprache noch manche Werke schenken wird.

 

In Königsberg, der alten preußischen Stadt am Pregel, verlebte Agnes Miegel eine sorglose Jugend. Die Geschichte des Ordenslandes und die Schönheit und Weite der ostdeutschen Landschaft führten sie zur Dichtung und bestimmten zeitlebens ihr Werk. Schon bald nachdem 1901 der erste Band mit Balladen und Liedern erschien, dem bis in die jüngste Zeit viele andere folgten, konnte man Agnes Miegel mit streng gefügten und der Form eingeordneten Versen als eine Meisterin in der deutschen Ballade bezeichnen. Ihre Arbeiten atmeten etwas von der ernsten Backsteingotik der Ordensbauten, aber auch von der flutenden Ostsee und den gleitenden Dünen der Nehrung.

 

Auch bei ihrer Bindung in der Geschichte verlor die Königsbergerin niemals die Fühlung zurzeit. Die Jugend war es besonders, die dieser Dichterin anhing und mit der sie ein inniges Band verknüpfte. Das hat man ihr in engstirniger Beschränktheit zum Vorwurf gemacht, als die Dichterin mit den Elendstrecks aus ihrer in den Flammen des Krieges untergegangenen Heimat im Westen Schutz suchte. Aus dem Flüchtlingslager in Dänemark kam Agnes Miegel nach Schleswig-Holstein. Bemitleidenswerte Bürokraten wiesen ihr eine Küche als Arbeitsraum an und meinten, dass die Dichtkunst auch zwischen Essendämpfen und Geschirrgeklapper gedeihen könne. Aber der Kreis ihrer Freunde hat Agnes Miegel auch in dieser Zeit nicht verlassen. Heute lebt die Dichterin in Bad Nenndorf, wo sie Muße zum Schaffen hat.

 

Das Schicksal jener Irrfahrt der Millionen Ostdeutschen ist wohl kaum an anderer Stelle erschütternder gestaltet als in einem ihrer letzten Werke, dem kleinen Gedichtband „Du aber bleibst in mir". Und obwohl sie die Heimat verlor, verlor Agnes Miegel auch im Alter nicht den Blick für die Realitäten des Lebens. So, wenn sie schreibt:

 

„Vergangen ist die Heimat und mein Stamm,

Der Wache hielt auf dem bedrohten Damm.

Lass es zum Segen sein — und nicht zum Fluch!

In unsres Bruders Acker eingesprengt,

Herr, lass uns wurzeln!"

 

Agnes Miegel konnte die Heimat verlieren, aber nicht ihre Freunde: Als unlängst in Düsseldorf Eltern über den Namen einer Mädchenrealschule zu entscheiden hatten, lag der Vorschlag „Agnes-Miegel-Schule" mit weitem Abstand an der Spitze!

 

Der von Musik festlich umrahmte Vortrag der Dichterin vor etwa 70 geladenen Gästen stand unter dem Gedanken „Mein Abschied von der Heimat". Unter den Gästen befanden sich u. a. Bundesminister Oberländer, Vertreter der Länder und der Landsmannschaft Ostpreußen sowie eine Anzahl namhafte Dichter. Die Feierstunde wurde von Rundfunk und Fernsehen übertragen.

 

 

Seite 12   Herder-Gedenkstätte

Die polnische Verwaltung der ostpreußischen Stadt Mohrungen will in der Geburtsstadt des Dichters und Philosophen Herder eine Gedenkstätte einrichten. In zwei Jahren will man das Material zusammentragen.

 

Seite 12   Wir blättern in neuen Büchern

Europa – Vermächtnis und Verpflichtung. Hrsg. V. Hansgeorg Loebel. Walter Kerber Verlag, Frankfurt. 392 Seiten, davon 128 Bildtafeln, Format 30 x 21,5 cm, Ganzleinen 31,50 DM.

Man hätte dieses Werk, dem so namhafte Professoren wie Hermann Aubin, Maximilian Braun, Louis Janz-Luxemburg, Wilhelm Mommsen, Kurt Schilling, Hans Joachim Schoeps, Max Wundt u. v. a. ihre Feder liehen, auch „Das Abendland" nennen können, jenes aus vielen kostbaren Einzelsteinchen zusammengesetzte, zu einem strahlenden Ganzen verschmolzene Bild, an dem Jahrhunderte formten und alle Völker dieses Raumes ihren entscheidenden Anteil haben. Oder wie es der Herausgeber in seinem Vorwort gleichnishafter auszusagen versteht: „Europa ist vergleichbar mit einem edlen Kristall, dessen innere Struktur erhalten wird durch die Ausgewogenheit der stofflichen Elemente, die ihn bilden. Überwiegt eines dieser Elemente, ist das Gefüge, des Ganzen in Gefahr“. Und er führt weiter aus: „Europa darf deshalb nie der politische Gedanke nur eines Volkes sein, wenn es seine Einheit in der Vielgestalt bewahren will. — Auch ein Buch, das dazu beitragen soll, den Begriff „Europa" aus dem Bereich der unverbindlichen Aussage herauszuheben, darf nicht nur eine Antwort geben in einer umfassenden Deutung, in der sich alle Probleme auflösen, alle Verborgenheiten zu enthüllen scheinen. Es muss sachlich in den Kreis der Zeugnisse europäischen Geisteslebens vordringen. Dieser Weg führt nicht unmittelbar und leicht zu einer umfassenden, weiten Schau, zum schnellen, mühelosen Verstehen. Er vermeidet aber die Gefahr der großen Irrtümer gewaltsamer Lösungsversuche und setzt deshalb am Erfahrbaren, ja zuweilen am scheinbar Äußerlichen an. Zur Entscheidung für diesen Weg hat die Gewissheit verholten, dass der Geist über dem Geiste dieser Welt das Letzte, das wir nicht ergründen, sondern nur demütig hinnehmen können, in unser Sein hineinwirkt und es unserem Erkennen entzogen hat, damit uns die Ehrfurcht vor seinem Werke erhalten bleibe“. Damit erscheint auch schon hinlänglich die Aufgabe, die sich Herausgeber und Mitarbeiter dieses Werkes gesetzt, umrissen; auf kürzeste Formel gebracht, hieße das also: Europa, das Abendland sichtbar zu machen.

 

In acht Gruppen (Von den geistigen Grundlagen Europas, Von den Ordnungsformen der Gemeinschaft, Vom geschichtlichen Schicksal, Von der Bildung, Von Kunst und Literatur, Von der materiellen Kultur, Von den Einigungsbestrebungen der Gegenwart und vom bleibenden menschlichen Auftrag) werden insgesamt 34 Beiträge zusammengefasst. Mosaiksteinchen — um bei diesem Gleichnis zu bleiben —, die sich unter der kundigen Hand des Herausgebers zu einer Einheit verbinden.

Ein Werk mit einem Worte, das man jedem, dem es heute ernstlich um Europa in der Zukunft geht, in die Hand geben möchte. Ein verdienstvolles Werk gerade in unserer Zeit.

 

Hans Joachim Schoeps: Das andere Preussen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV. (2. bearbeitete und erweiterte Auflage). Dr. Hans Peters Verlag, Honnef/Rh. 366 Seiten, Ganzleinen 24,80 DM.

Dieses Buch bemüht sich um den Nachweis, dass das alte Preußen ein im abendländisch-christlichen Denken wurzelnder Rechtsstaat war. Im Zeitalter Bismarcks verkörperte sich der konservative Gedanke des Rechtsstaates in der Gestalt Ernst Ludwig von Gerlachs, in einem Mann antinationalistischer, universaler Prägung. An Hand bekannter und unbekannter Quellen treten hier Bismarcks Gegner Ludwig von Gerlach und Heinrich Leo in ein neues Licht. Hermann Wagener, der sozialpolitische Ratgeber Bismarcks und früher Vertreter eines konservativen Sozialismus, sowie der Jurist Friedrich Julius Stahl, Repräsentant einer evangelischen Katholizität, erscheinen als Wortführer dieses anderen Preußen. Sie alle waren große Frondeure gegen den verflachenden und materialischen Ungeist ihrer Zeit. Ihre politischen und religiösen Gedanken bergen ungehobene Schätze christlich-konservativer Weltanschauung — wertvolle Quellen für unsere eigene Zeit.

 

Die umgearbeitete und stark erweiterte neue Auflage enthält hochinteressante ungedruckte Briefe, Artikel und mündliche Äußerungen Bismarcks. Erstmals werden hier die Unterlagen des Erfurter Gesprächs zwischen Katholiken und Protestanten, mit dem die ökumenischen Bestrebungen ihren Anfang genommen haben, veröffentlicht. Die Fülle der Gesichtspunkte und unbekannten Quellen rechtfertigt den Anspruch des Verfassers, mit diesem Werk ein bedeutsames Kapitel aus der Geisteswelt des unbekannten 19. Jahrhunderts vorzulegen.

 

Carl Guesmer: Von Minuten beschattet.

Limes-Verlag, Wiesbaden. Reihe: Dichtung unserer Zeit. Heft 13. Brosch. 30 S. 1,90 DM.

Der dem nordostdeutschen Raum (Mecklenburg) entstammende, jetzt als Bibliothekar in Charburg-Lahn lebende Autor (Jahrgang 1929) hat nach seinem ersten Gedichtbändchen „Frühling des Augenblicks" (1954) und „Ereignis und Einsamkeit" (1955) — Verlag Eremitenpresse, Stierstadt i. T. — mit den nunmehr in der verdienstvollen Reihe des repräsentativen Limes-Verlages erscheinenden neuen Versen eine Gültigkeit und Reife erreicht, die überall da verstanden wird, wo Gedichte noch mit bereitem und verständigem Herzen gelesen werden. „Schnappschüsse, die mit durchdringender dichterischer Schärfe getroffen worden sind", nannte Karl Krolow die ersten Versuche. „Schlichte, zurückhaltende und konzentrierte Gedichte, die sich abseits von den Heerstraßen des literarischen Verkehrs halten", hieß es in einem Funk-Essai des Norddeutschen Rundfunks über Carl Guesmer, dessen Name bereits in allen namhaften Zeitschriften und Anthologien auftaucht. Die herbe und eigenwillige Sprache des jungen Autors stößt in neue, unerschlossene Gebiete moderner Lyrik vor. Seine Gedichte sind ein gewaltloses Faktum in unserer lauten Zeit. Jochen Hoffbauer

 

Gerhart Hauptmann: Erzählungen.

C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 600 Seiten. Leinen 20,-- DM.

Für Hauptmanns vielgestaltiges, dichterisches Schaffen ist die Kurzform der Erzählung stets eine mehr am Rande liegende Ausdrucksweise gewesen Trotzdem ergibt die Sammlung aller Arbeiten seines Werkes, für die der Gattungsbegriff „Erzählung" gilt, einen an Umfang und Niveau imponierenden Band, mit dessen Herausgabe der Bertelsmann Verlag die inzwischen schon recht umfangreiche Reihe von Einzelausgaben aus Hauptmanns Werk fortsetzt. Dieser Sammelband setzt mit dem sehr realistisch erzählten Stück „Fasching" (1887) ein, dessen Fabel mit der Unglücksfahrt einer zukunftsfrohen Segelmacherfamilie endet. Den Beschluss des Bandes macht die 1944 abgeschlossene, aber erst 1947 veröffentlichte Altersnovelle „Mignon", eine Goethe-Beschwörung, in der Wirklichkeit und Metaphysisches sich gespenstig vermischen. Die einzelnen Prosastücke sind im Abstand von nur jeweils wenigen Jahren entstanden.

 

Die vorliegende Anthologie von elf Erzählungen bringt das reizvolle Capriccio „Die Spitzhacke" in dem Hauptmann vom nächtlichen Abschiedsbesuch der aus der „Welt der Dinge" in die der Lebewesen hinübergewechselten Wirtshausembleme seines Elternhauses berichtet, ferner das exotisch-kriminalistische Stück „Schuss im Park", die Aufzeichnungen des Gescheiterten, der einem „Phantom" erlag und unter dem Titel „Der Apostel" die Vorstudie zu seinem späteren Roman „Emanuel Quint".

 

Als eindrucksvollste Erzählungen erweisen sich die ergreifende Geschichte vom „Bahnwärter Thiel" die berühmte Erzählung „Der Ketzer von Soana"' die in den vierzig Jahren seit ihrer Niederschrift nichts von ihrer Unmittelbarkeit eingebüßt hat und das in einer ähnlichen Sphäre angesiedelte Stück „Das Meerwunder". Im Verein mit den restlichen Titeln dieser Sammlung, „Die Hochzeit auf Buchenhorst" und „Das Märchen", werden sie in dieser Neuausgabe ihren alten Freunden willkommen sein aber sicher auch neue Bewunderer finden.

Erstaunlich ist der Reichtum an Ausdrucksnuancen über den Hauptmann auch hier verfügt. Viel strenger, als es der erste Anschein vermuten lässt ist die Komposition der meisten Stücke. Unter einem mit Händen zu greifenden Realismus liegt das in Wahrheit Wirkliche merkwürdig verborgen. Wer es nicht aufspürt, dem muss diese Welt stumm bleiben Die überraschend stattliche Ausbeute ist geeignet Gerhart Hauptmann von einer neuen Seite her zu gewinnen.

 

Zu trösten alle Traurigen.

Hrsg. von Johann Christoph Hampe. Kreuz Verlag, Stuttgart. 61 Seiten, Leinen mit Cellophanumschlag, 2,80 DM.

Ein Trostbüchlein für alle Traurigen, Klagenden und Leidenden. Eine Auswahl von Zitaten, Aphorismen, Bibelworten und Gedichten. Trost zu spenden, Schmerzen zu lindern und aufzurichten. Eine feinausgewogene und abgestimmte Zusammenstellung, der der Herausgeber ein Vorwort vorausschickt, aus dem sich selbst fast ein jeder Satz als Trostwort in die Sammlung einfügen ließe, z. B. dieser, der als Motto über der ganzen Auswahl stehen könnte: „Kostbar sind Worte der brüderlichen Erfahrung“.

 

Ludwig L. Kreutz: Goliath — Kamerad Pferd im Kriege.

128 Seiten. Halbleinen 7,80 DM. Elch-Verlag, Wiesbaden.

„Goliath" ist der Name eines Zugpferdes der deutschen Feldartillerie, die im Jahre 1939 bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges zu einem großen Teil neu aufgestellt wurde und von ad hoc gebildeten Standorten aus in den Krieg zog, kaum, dass die Pferde mit ihren neuen Obliegenheiten vertraut und die Mannschaften mit den Pferden bekannt geworden waren. Das Zusammentreffen so vieler Pferde aus den unterschiedlichsten Ställen mit so viel Menschen aus den pferdefremdesten Berufen war nicht ohne Spannungen. Es offenbarte bei Mensch und Tier Eigenschaften, die vom Verfasser mit einer erregenden Eindringlichkeit beobachtet sind. Der Niederschlag solcher Eindrücke ist erstmalig in der rasch wachsenden Pferdeliteratur, erstmalig aber auch seine erzählerische Gestaltung. Dem Verfasser ist es gelungen, das Thema über sein Grundmotiv hinaus zu heben und zum Träger, einer ebenso lebendigen, ja fesselnden wie erzählerisch reifen Darstellung zu machen.

 

Dr. Gustav Großmann: Sich selbst rationalisieren.

400 Seiten, 17. Auflage (46. Tausend) Ganzleinen 18,50 DM. Ratio-Verlag Treu Großmann, München.

Wer heute von Rationalisierung spricht, denkt gewöhnlich an einen technisch-organisatorischen Ablauf. Der Verfasser springt mit seinem Buch gänzlich aus der Reihe, weil er aufzeigt, dass die Analyse der eigenen, persönlichen Arbeitsgestaltung in demselben Maße rationell und damit von größtem Nutzen sein kann. An allen möglichen Ecken und Enden setzt Großmann den Hebel an, um Wege aufzuzeigen, wie es gerade dem in gehobener Stellung Tätigen möglich ist, Zeit, Arbeit und Energie zu sparen. Sehr einleuchtend ist z. B., dass die genaue Kontrolle und Überprüfung der täglich wiederkehrenden Arbeiten und Verrichtungen häufig große Rationalisierungsreserven aufdecken kann. Eine Viertelstunde täglich eingespart machen aufs Jahr gesehen etwa 14 Arbeitstage aus. Neben der richtigen Zeiteinteilung kommt es dem Verfasser vor allem auf die planmäßige Vorbereitung wichtiger Aufgaben, auf die rationelle Aneignung von Kenntnissen und Fähigkeiten, auf richtige Ernährung und Gesundheitspflege und die Aneignung der Beeinflussungstechnik an. Das sympathische an dem Buch ist, dass es diese Dinge nicht nur „behandelt", sondern konkret das „Wie?" der aufgeworfenen Fragen beantwortet. Der Stil ist drastisch und mitreißend. Der Verfasser bringt es fertig, dass man seine als nützlich erkannten Vorschläge auch in die Tat umsetzt. Als selfmademan (Großmann ist ein ostpreußischer Bauernsohn) und als freiberuflicher Rationalisierungsfachmann mit einer mehr als 30-jährigen Beratungspraxis folgt man ihm leichter als einem Nur-Theoretiker. Die 17 Auflagen des Werkes zeigen, dass es in der Erfolgs- und Rationalisierungsliteratur als Standardwerk einen festen Platz gewonnen hat.

 

Seite 12   Bücher schlesischer Autoren

In der Flutwelle neuer Buchproduktion, wie sie sich alljährlich zur Frankfurter Buchmesse präsentiert, hat der schlesische Anteil seinen gewichtigen Platz. Das nimmt nicht Wunder, da ja die Schlesier seit jeher als poesievolles Völkchen gelten. Der Rezensent hat sich fünf recht verschiedenartige Bücher aus letzter Zeit herausgegriffen, die in ihrer Art auch andeuten mögen, wie weitgespannt der schlesische literarische Rahmen ist. Da schrieb die vor einigen Jahren in Frankfurt/Main verstorbene Margarete Passon-Darge während des Krieges krank und großstadtmüde in den lieblichen Riesengebirgstälern ihr „Schreiberhauer Tagebuch" (Verlag J. P. Peter, Gebrüder Holstein, Rothenburg ob der Tauber. 192 Seiten. Ganzleinen mit farbigem Schutzumschlag und Foto der Autorin). Ein veröffentlichtes Tagebuch mehr? Nein. Ein Buch des Friedens und der Hoffnung inmitten einer wirren und gespaltenen Welt. „Gott bewahre mich vor Hass" sagt die Autorin, die uns mit ihrer Erzählung „Der Hochzeitsweg" bereits früher ein stilles und sprachlich sauberes Werk schenkte.

 

Nicht gänzlich kann man dies von dem gleicherweise in Kriegs- und Nachkriegsjahren spielenden zeitgeschichtlichen Roman „Fluchtburg" sagen, den Gerhart Pohl im Lettner-Verlag Berlin herausbrachte. (452 Seiten. Ganzleinen mit farbigem Schutzumschlag. DM 15,30). Allerdings ist es bei einem solch zeit- und hautnahen Thema verständlich, dass sich die gestalteten Dinge hart im Raume stoßen, Kritik und Anerkennung gleicherweise hervorrufend. Merklich bleibt, dass der zeitliche und innere Abstand offenbar fehlte und auch trotz dieses Buches der Ruf nach der überzeitlichen und gültigen literarischen Gestaltung Ostdeutscher Tragödie nicht verstummen wird.

 

Leichter tat es da Hans Venatier mit seinem Stoff. Er schildert mit beißendem Spott und vordergründigem Humor den Einmarsch der „amerikanischen Befreier" in Kreutingen und der vertriebene Leser lacht — oft leise und gemütlich, oft laut und schallend — und merkt plötzlich beim Lachen, wie bitter ernst all dies einmal für ihn war und wie ihm alle Bitternis im Laufe der Jahre entfloh („Der Major und die Stiere". Muth-Verlag Düsseldorf. 373 Seiten. Ganzleinen mit farbigem Schutzumschlag)

 

Besonders für unsere heranwachsende Jugend ist es gut, dass Alfons Hayduk als Band 1 eine Reihe „Ostlandheimat und weite Welt“ im Aufstieg-Verlag München „Große Schlesier" — Geistestaten, Lebensfahrten, Abenteuer — zusammenstellte und namhafte Autoren zur Mitarbeit anregte. (240 Seiten, Ganzleinen, mit farbigem Schutzumschlag. Reich illustriert. DM 12,80).

 

Mit diesen jeweils in erzählender und damit ansprechender Form gehaltenen Lebensbildern (denen stets ein kurzer biographischer Abriss folgt) wird gleichermaßen ein Querschnitt durch Schlesiens Geschichte gegeben, der nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Diesem Band werden weitere aus anderen ostdeutschen Siedlungsräumen folgen, so dass sich alsdann ein Ostdeutsches Kompendium ergibt, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte.

 

Mehr für die ältere Generation indessen dürfte das neue Büchlein vom Menzel-Willem (Prof. Wilhelm Menzel, früher Hirschberg) gedacht sein, das kürzlich im verdienstvollen Königsberger Verlag Gräfe und Unzer, jetzt München, unter dem Titel „A neues Packsia schläs’sche Sacha“ erschien (104 Seiten, Pappeinband mit farbigem Schutzumschlag. Mit mehreren Zeichnungen). Obwohl die hochdeutsche Auswahl von der Qualität her nicht restlos befriedigen kann, zeigt Menzel-Willem jedoch in seiner unbestrittenen Domäne, in der Mundart eine so sichere und kundige Hand, dass der heimatliche Band im Ganzen gesehen viel Freude und Erinnerungen auslösen wird. Besonders den heiteren Mundartversen ist ein breiter Raum eingeräumt.

 

Allen Büchern ist gemeinsam, dass sie gekauft werden müssten, aus wirtschaftlichen und ideellen Gründen. Ein gutes Stück ostdeutscher geistiger Substanz ist in unserer ostdeutschen Literatur verankert. Es liegt an uns, von dieser Substanz immer wieder zu profitieren.

 

Seite 13   Alles Buchvorschläge

 

Seite 14   Vor 150 Jahren. Die Pest in Ostpreußen. Ein trauriges Kapitel in der Geschichte unseres Landes.

Bild: Vor der Geißel der Pest verlassen die Bürger die verseuchten Städte und fliehen auf das offene Land. Aber das schwarze Gespenst folgt ihnen überallhin. Die Abbildung zeigt eine zeitgenössische Darstellung aus dem Jahre 1630.

In mancher Stadt Ostpreußens fand man noch die Flurbezeichnung „Alter Pestfriedhof", und jeder Nehrungswanderer kennt jene einsame Stätte, wo die Wanderdüne gebräunte Gebeine der vor einem Vierteljahrtausend dort an der Pest Verstorbenen freiwillig wieder hergab. Die Pest — das war der grausige Würgeengel, der in jenen Zeiten meist im Gefolge von Kriegen durch die Länder zog. Es muss wohl die Lungenpest gewesen sein, die heute Gottlob so gut wie ausgestorben ist.

 

Auch die große Pest-Epidemie, die Ostpreußen, beginnend im Jahre 1708, fast zu entvölkern drohte, scheint auf dem Boden des Krieges gewachsen zu sein. Es waren damals die Zeiten des großen Nordischen Krieges, in dem Schweden, Polen und Russland um die Herrschaft über die Ostsee rangen. In Polen, an der Weichsel, zeigten sich die ersten Krankheitsfälle. Der damalige Stand der ärztlichen Wissenschaft kannte keine rechten Gegenmaßnahmen, und so griff man zum einfachsten, freilich auch unsichersten Mittel, zur Absperrung. Entlang der preußisch-polnischen Grenze wurden regelrechte Verhaue angelegt, Brücken wurden abgebrochen, die Landmiliz musste Pestwachen stellen, und einzelne Dörfer Masurens, wie z. B. Bialutten, umgaben sich zur Kontrolle des Verkehrs sogar mit Palissaden. Besonders scharf ging man vor gegen die zahlreichen aus Polen kommenden Bettler, gegen Hausierer und jüdische Wanderkaufleute.

 

Nun war aber der Winter 1708/1709 ganz ungewöhnlich hart und lang. Haffe und Flüsse tauten erst im späten Frühjahr auf, erst am 15. Mai lief das erste Schiff im Königsberger Hafen ein, Pfingsten blühte noch kaum eine Blume. Das Getreide war größtenteils ausgefroren, und da die Kornvorräte nicht hin und her reichten, so entstand in mancher Gegend geradezu eine Hungersnot. Auf die unterernährte und wenig widerstandsfähige Bevölkerung stieß die Pest.

 

Wir geben nun Zahlen und Ereignisse zum größten Teil nach einer vor 40 Jahren aus der Feder von Dr. W. Sahm erschienenen sehr wissenschaftlichen Abhandlung, die heute wohl kaum noch erreichbar sein dürfte. Danach begann die Pest in Königsberg Anfang August 1709. Hatte ihr auf dem Lande der Hunger den Weg geebnet, so taten das in den Städten die heute beinahe unfassbaren sanitären Verhältnisse. In den Verordnungen des Königsberger Magistrats zeigt sich das mit erschreckender Deutlichkeit: das Trinkwasser ist schlecht, faule Gräben, die sog. Flüsse durchziehen große Teile der Stadt, Kästen mit Dung stehen an den Häusern, „Unlust und Unflat" wird auf die Straße geschüttet und aus Bequemlichkeit wird „Auswurf von Mensch und Vieh" sowie der Inhalt der Aborte in die Rinnsteine entleert, auf dass, sich ein gütiger Regen ihrer erbarme.

 

Beim ersten Auftauchen der Pest verließ die Regierung die Stadt, aber sie kam nicht mehr zu ihrer bisherigen Ausweichstelle Brandenburg am Haff, da auch Natangen schon gefährdet erschien, sondern verlegte ihren Sitz nach Wehlau.

 

Massenweise erkrankten die Menschen, immer unter den gleichen Anzeichen, Hitze und Fieber, Erbrechen, Anschwellungen. Alle die Mittelchen, wie man sie bei früheren Pest-Epidemien, dem „Englischen Schweiß", angewendet hatte, der „wundertätige Giftbalsam", die „Herzschilder" auf dem bloßen Körper u. dgl. versagten. Und so griff man schließlich wieder zum Allheilmittel der Absperrung. Königsberger Truppen besetzten Wälle und Tore, Einfuhrwege wurden durch Zäune und Verhaue gesperrt.

 

In der Stadt bildete sich ein neuer Stand aus allen, die mit der Pest und ihren Opfern zu tun hatten, die „Pestkerle und Pestweiber", die „Pestbalbierer" und als Aufsicht die Pestärzte. Als Abzeichen trugen sie alle Mäntel aus schwarzem Wachstuch. Das Unterpersonal bestand wohl kaum aus den honorigsten Leuten, der hohe Lohn verhexte Abenteurer, Landstreicher und Sträflinge dazu, sich um die Posten zu bewerben, bei denen manch guter Nebenverdienst heraussprang. Wenn irgend möglich, wurden die Kranken in „Pesthäusern" isoliert. Der ärztliche Dienst sollte in der Regel nachts versehen werden, nachts wurden auch die Leichen abgefahren, sehr viele nach den Lehmgruben am Hochgericht zwischen der späteren Cranzer Allee und dem Oberteich. In der sonst so lebensfrohen und lebhaften Stadt herrschte in diesem Herbst Totenstille, alles hielt sich möglichst in den Wohnungen auf, um sich nicht auf der Straße anzustecken; nur die Kirchen waren überfüllt. Der Bürgermeister Derschau, poetisch wie alle Menschen des Barock, schilderte diese trostlosen Tage in einem Gedicht, das mit den Worten beginnt:

 

„Mein armes Königsberg, komm her, hier ist Dein Spiegel,

Der Deine Scheußlichkeit Dir vor die Augen stellt!"

Die Pest wollte und wollte nicht aufhören.

 

Der Gouverneur, General Herzog v. Holstein-Beck, ließ seine Truppen zu einer doppelten Sperrkette verstärken. Trotzdem aber mussten doch Lebensmittel in die Stadt. Mit langen Stangen wurden sie den Soldaten durch die Holzgitter gereicht. Dadurch wurde der Soldat zum ersten Käufer und konnte seinen kargen Sold durch den Weiterverkauf recht erheblich aufbessern.

 

Indessen wurden jetzt allmählich die Stimmen immer lauter, die gegen den Unsinn der Absperrung protestierten. Allmählich hatte auch die Epidemie ihren Höhepunkt überschritten, jede Seuche pflegt ja nach einer gewissen Zeit abzuklingen. Nach langem Hin und Her mit Berlin konnte endlich drei Tage vor Weihnachten die Absperrung aufgehoben werden. Die Schreckenswochen hatten im Hinblick auf die damalige Bevölkerungszahl ganz unerhörte Opfer gefordert. Die ziemlich genau geführten Berichte zählen allein vom 3. September bis 28. Oktober, also zur Zeit des Höhepunktes, nicht weniger als 9368 Tote auf. Darunter aber, wie die Chronik berichtet, nur etwa 200 aus den wohlhabenden Ständen. Wahrscheinlich verstanden sie sich besser zu schützen.

 

Aber anscheinend waren mit dem Abklingen der Epidemie nun doch nicht alle Berufe zufrieden, denn in einem Gedicht aus jenen Tagen heißt es nicht ohne Humor:

 

„Gottlob, das Pesthaus ist von allen Kranken frei,

Im ganzen Sprengel stirbt kaum einer oder zwei.

Der Kantor klaget jetzt: es gibet keine Leichen,

Der Arme gibet nichts — nichts stirbet von den Reichen!"

 

Aus der Provinz, besonders aus den Dörfern, besitzen wir leider meist nicht so genaue Angaben über die Opfer der Pest wie aus Königsberg. Es sind mehr allgemeine Umrisse, aber erschütternd oft heißt es kurz in den alten Kirchenbüchern und Grundregistern: „verpestet gewesen, ausgestorben. Haus gleich geräumet und geräuchert", wobei als Merkwürdigkeit erwähnt sei, dass man ein Ausräuchern mit Rebhuhnfedern für die beste Desinfektion hielt.

 

Wie es in den, kleinen Landstädten aussah, dafür nur das Beispiel der Stadt Heiligenbeil. Dort brach 1709 die Pest zugleich in drei Häusern aus. In den nächsten Monaten raffte die Seuche 104 Einwohner dahin, die Stadt wurde abgesperrt. Obwohl Bürgermeister und Apotheker ihr Möglichstes taten, stieg die Zahl auf 1041, etwa die Hälfte der Bürger. Dazu kamen noch 162 aus den Dörfern, die zur Kirche Heiligenbeil gehörten.

 

Aber weit schlimmer als in der natangischen Landschaft wütete die Pest im Regierungsbezirk Gumbinnen, damals noch Preußisch Lithauen genannt. Hier war die vorhergegangene Hungersnot besonders unheilvoll gewesen. Als Diät aß man Träber aus Leinenspreu und Birkenrinde und stellte sich ein berauschendes Getränk her aus den Gift enthaltenden Körnern eines Raygrases, Roggentrespe oder Täumellolch genannt. Alter Aberglaube aus der Urzeit wurde wieder lebendig in den verzweifelten Menschen, man glaubte das weiße Pestgespenst leibhaftig in den Nächten umherwandeln zu gehen. Ganze Dörfer wurden entvölkert.

 

Auch in Masuren wütete die Pest furchtbar. Leere Häuser, ja leere Dörfer fand man überall, viel herrenloser Acker und herrenloser Wald fiel an den Staat, aber anscheinend auch an Unberechtigte, die sich bereichern wollten, wie denn überhaupt die Moral überall stark nachließ. Aus Angst verließ manche Familie ihr Dorf und erbaute sich hastig Strohhütten auf freiem Felde oder suchte Zuflucht im Walde. Übergriffe der zur Absperrung der Grenze kommandierten Landmiliz kamen vor, mancher scheinbar Tote ist damals in die Lehmgrube geworfen worden.

 

In ganz Ostpreußen wurden zwischen 1709/1711 nicht weniger als 241 171 Tote gemeldet, ein furchtbarer Verlust für das ohnehin nicht übermäßig stark besiedelte Land, das gerade begonnen hatte, sich zu erholen von den Folgen des Tatareneinfalls sechzig Jahre vorher. Wie stets nach solchen Katastrophen setzte damals im ganzen Lande eine förmliche Heiratswut ein, „vom frischen Grab aus wurde geheiratet", wie die Chroniken melden.

 

Indes schien es so, als ob der Himmel wirklich seinen Zorn an dem armen Ostpreußen auslassen wollte, denn der Pest folgten Vieh- und Pferdeseuchen, die ganz besonders stark auftraten in den Ämtern Georgenburg, Rhein und Lötzen. Im Jahr darauf gingen — ein seltsames Ereignis für unseren Osten — starke Heuschreckenschwärme in Masuren nieder, wie die Chroniken berichten. Besonders schwer zu leiden hatte das Amt Sechesten und seine Umgegend.

 

Ein recht trostloses Bild war es, das Ostpreußen nach jenen Jahren darbot. Aber wie jedes Unglück meist irgendwie auch wieder einen Segen in sich birgt, so war es auch hier. Viel brachliegendes Land schrie nach Bebauung, und so war Raum geschaffen für das größte Lebenswerk des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. Schon als Kronprinz hatte ihn auf seinen Reisen die Verödung des Landes, besonders des Gumbinner Bezirkes, tief erschüttert. Nun konnte er als König sofort beginnen mit seinem „Rentablissement", dem Wiederaufbau, den er trotz mancher Rückschläge drei Jahrzehnte hindurch als sein Lieblingswerk ohne Rücksicht auf die gewaltigen Kosten mit größter Tatkraft betrieb. Viel frisches Blut aus dem oberdeutschen Raum kam nach Ostpreußen, und schließlich nahm er gegen Ende zur Krönung seines Werkes als geschlossene Volksgruppe die vertriebenen Salzburger auf. Das neue Blut und der neue Lebenssaft hat unserer Heimat heimischen Landwirtschaft beweist.

Dr. Walter Grosse

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (55)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Kennen Se die graurige Geschichte vom Herr Pfarrer Stories aus Mallwischken, wo mittem Deiwel zu tun kriegd? Das is nu all sehr lang her. Meine Omche hat se mir erzählt, und die war man ebend eigesegent, wie es passierd.

 

Wie ich gerad heite dadrauf komm? Das hängt mit einem von meine Manschettenknöpfe zusammen und außerdem mittem Poseidon, unserm Pängsionshund. Warum und wieso, werden Se noch heeren. Jedenfalls war mit eins einer von meine Knöpfe weg. Ich wolld inne Gemeinderatssitzung gehen, um mir e bissche mit die Kommunalpolletik zu belernen, und suchd mir rein dot und dammlich, war nuscht zu machen, der krätsche Knopf war weg und blieb weg.

 

„Dem hat bestimmt der Deiwel geholt", sagd ich in meine Verzweiflung, und da fiel mir der Herr Pfarrer Stories aus Mallwischken ein. Er war fromm und gottesfirchtig, wie es sich fierem Pfarrer geheert, aber er war sehr abergleibisch und predigd jedem Sonntag von Geister und Dämone, wo dem Verstand verwirren und die arme Menschen Unglick bringen, wenn se nich ganz fest sind im Glauben und in die Gottesfurcht. Ja, so predigd er! Und einem Morgen gegen Uhre vier bullert einer an seinem Schlafstubenfenster und reißt ihm außen scheensten Schlaf. Und wie er rauskickt, steht draußen der alte Glöckner Willnat, weiß wie der Kalk anne Wand, und brillt: „Herr Pfarrer, kommen Se schnell, der Deiwel is inne Kirch! Er hat die Altardecke runtergerissen und schmeißt alle Bänke um. Ich hab ihm schnell zugeriegelt und dem Schlissel stecken gelassen, dass er nich durchem Schlisselloch rauskann. Se missen ihm beschwören!"

 

Der Pfarrer schmeißt den Talar umme Schultern, setzt sein Barettchen auf und nimmt dem Testament inne Hand. Denn gehn se los vorne der Pfarrer tapfer und zuversichtlich, hinten der Glöckner mit weiche Kniee und de Bixen gestrichen voll. Vore Kirchentier wird e großes Talglicht angestochen, und denn beschwört der Pfarrer dem Deiwel: „Hebe dich weg von mir, Satan, denn du bist mir ärgerlich!" Und noch emal und noch emal soll der Deiwel sich wegheben, aber der kimmert sich dem Deiwel drum. Er ramort inne Kirch und saust von eine Eck inne andre, dass dem Willnat der Angstschweiß dem Puckel runterleift und der Pfarrer auch all langsam anfängt, an die Wirksamkeit von seine Beschwörung zu zweifeln.

 

„Es hilft nuscht, wir missen rein und ihm Auge in Auge gegeniebertreten", meint er zuletzt. Da dreht der Willnat den Schüssel rum, und es knarrt orndlich, denn das Schloss is all ziemlich lange nich geölt. Denn reißt er seinem letzte bissche Mut zusammen und de Kirchentier auf. Erst kommt garnuscht. Denn kommt e Windstoß und pust das Talglicht aus, und nu stehen se beide im Diestern. Und wie der Pfarrer nu dem Fuß aufe Schwell setzt und dem Deiwel das Testament mittem Kreiz aufem Deckel entgegenhält, da kommt der Deiwel selbst rausgefegt mit Knurren und Brummen, rennt dem Pfarrer zwischne Beine, nimmt ihm rittlings aufem Puckel und peest mit ihm los nach die Hölle. Das Testament und das Barettche fallen im Dreck, und der Pfarrer schreit lauthals: „Satan, lass mich los! Ich bin Pfarrer Stories aus Mallwischken!"

 

Wie das nuscht nitzt, schickt er e Haufen stille Gebete zum Himmel und versucht, sich irgendwie festzuhalten, denn der Deiwel hat direkt e höllisches Tempo. Da kriegt er im Diestern dem Deiwel seinem Zagel zu fassen und fängt in seine Verzweiflung an, an dem Zagel zu drehen. Der Deiwel kreischt auf vor Schmerz, und der Pfarrer denkt gerad: „Nu missen wir wohl bald inne Milchstraß sein", da hat er mit eins dem ganzen Zagel inne Hand, und der Deiwel schmeißt ihm runter und rennt ohne Zagel und ohne Pfarrer weiter in die dunkle, stirmische Friehlingsnacht. Und der Glöckner Willnat hat später steif und fest behauptet, er hat Funken gesprieht und ganz aasig nach Schwefel gestunken.

 

Der Pfarrer war heilfroh, die Hölle entronnen zu sein, erhob sich keichend außem Friehlingsdreck und wankd nach die Pfarrei. Vom Willnat war um die Zeit nuscht mehr zu sehen. Er hädd sich zu Haus mit Kleider innes Bett geschmissen, sich untre Bettdeck verkrochen und weimerd in eine Tur: „Arme, fromme Gemeinde! Unserm guten Herr Pfarrer Stories hat der Deiwel geholt!"

 

Seine Altsche meind, er missd nu de Glocken läuten gehn, aber er wolld nich. „Das nitzt nu auch nuscht mehr", sagd er, „denn nu schmort er all, und keiner nich kann ihm helfen“. Der Pfarrer aber war gar nich in die Hölle, sondern stand zitternd und durchgefroren vor seine Hausentier und konnd nich rein, denn seine Dienstmergell hädd sich vor Angst von innen zuderiegelt. Endlich machd se ihm auf, und er kickd ihr ganz ernst inne Augen, legd e Stickche schwarzem Zagel aufem Tisch und sagd feierlich: „Mir ist großes Heil widerfahren, denn ich habe den Teufel besiegt“.

 

Und die Mergell lief durches ganze Dorf, klopfd alle Leite ras und brilld: „Der Deiwel is dot, der Deiwel is dot!" Dabei erzähld se ieberall auch noch schnell von dem schwarzen Zagel, wo der Herr Pfarrer mitgebracht hädd. Dauerd nich lang, da kam der Bauer Wischkories und sagd: „Also denn haben Se meinem schwarzen Kuigel dem Zagel abgedreht, Herr Pfarrer! Jetzt steht er inne Bucht und stehnt und schobbt sich das Hinterteil anne Wand“. Es gab denn noch viel Ärger mit dem „Deiwel". Der Kuigel konnd zwar auch ohne Zagel weiterleben, bis se ihm verwursten taten, aber inne Kirch waren Bänke zerbrochen und alles mit Kuigeldreck versaut, und der Willnat mussd mit seine Frau und mit viel heiß Wasser drei Tage schrobben.

 

Aber trotz alle Reinigungsbemiehungen hield der Gestank sich noch ziemlich lange. Der Wischkories missd die zerbrochene Bänke bezahlen, weil er nich aufgepasst hädd, wie sein Kuigel ausrickt. Dem abgedrehten Zagel dirfd er bloß mit eins fuffzig aufrechnen. Mehr war er nich wert, sagd der Pfarrer, und außerdem hädd er ihm zurückgekriegt und mit saurem Kumst gekocht.

 

Bei die nächste Predigt hat der Herr Pfarrer Stories seine Gemeinde ieber dem Kampf mit dem Satan ausführlich berichtet: „Der Teufel nahet euch in jeder Gestalt. In vorliegendem Fall war er in den Kuigel vom Wischkories hineingefahren. Darum sage ich euch, seid wachsam und bekämpfet eure bösen Begierden, die euch der Satan eingibt“. Ja, er war abergläubisch, aber er war e kluger Mann, der alte Herr Pfarrer Stories aus Mallwischken, und verstand es, sogar aus seinem Kuigelritt inne Friehlingsnacht noch e weise Erkenntnis fier seine Gemeinde abzuleiten. —

 

Und nu muss ich noch emal aufem Hund kommen, aufem Poseidon nämlich, wo mir indiräkt zu diese ganze Geschichte verholfen hat. Der eine Manschettenknopf war also weg. Der andre war nu einsam und verlassen. Und ich war traurig, denn was macht e ausgewachsner Mann und Landbriefträger mit einem Manschettenknopf? Sagen Se selbst. Wo einer doch zwei Ärmels hat. Wir haben uns wirklich de Augen außem Kopp gesucht, alles umgestilpt und umgekrempelt, er war und blieb verschwunden.

 

Mit eins heerd de Emma mitten im Wiehlen auf und sagd: „Huch!" Se wissen ja all, denn kommt immer was Besondres. Und das zweite Wort, was se sagd, war „Poseidon!" Sicher, er hädd ihm in seine Rachullrigkeit verschluckt, e andre Erklärung blieb nich mehr iebrig. Deshalb begaben wir sich nu aufe Knopf-Jagd, das heißt, der Poseidon dirft nich auße Stube raus, und ieberall, wo er sich hinduckd, war de Emma mitte Kriemelschaufel und mittem Handfeger hinterher. Es war ja e bisschen unappetitlich, innem Poseidon-Dreck rumzustochern, aber unsre Miehe wurd endlich belohnt: Wir fanden dem Manschettenknopf. Er war e bissche angelaufen und blänkerd nich mehr so scheen wie vor seine Reise durche Kaldaunen vom Poseidon, aber er war wenigstens wieder da. Wir haben ihm mit heiß Wasser und mit Schmirgelpapier bereinigt und nu is er wieder im Dienst.

 

Dem Poseidon sind wir auch wieder los, Ende Februar haben se ihm abgeholt. Bei die Verrechnung gab es e bissche viel Ärger. Zwar wurden wir sich wegen die Vergietung besser einig wie ich dachd, aber ich bestand dadrauf, dass sein Herrche dem Schaden bezahlen missd, wo er angericht hadd. Das hädd ich vorher alles aufgesetzt und am Schluss hädd ich geschrieben: „Weitere Anspriche vorbehalten“. Ja, einer is ja kein Dammlack, sondern ein heeherer Postbeamter mit Intelligänz. Se missden unterschreiben, und denn nahmen se dem Poseidon anne Lein und zodderden ihm raus. Er wolld gar nich mitgehn, miefd und kickd uns immer reihum treiherzig an. Ja, er hädd wirklich e kindliches Gemiet. Und nu fehlt er uns ieberall. Ich möchd all gern weiter aufem alten Sack schlafen, aber wir konnden ihm ja nich behalten. So missen wir ihm vergessen.

Leben Se wohl und lassen sich nich im April schicken! Herzliche Grieße! Ihr alter Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 15   Besuchsreisen nach Südostpreußen. Wer kann fahren — Wohin kann ich fahren — Was kostet die Fahrt

Wir erhalten seitens unserer Leser laufend Anfragen über die Reisemöglichkeit in die Heimat. Obwohl wir bereits vor Monaten ausführlich über Besuchs- und Touristenreisen in die von Polen verwalteten deutschen Ostgebiete berichteten, fassen wir heute noch einmal alles Wissenswerte, dem heutigen Stand entsprechend, kurz zusammen.

Grundsätzlich muss vorausgeschickt werden, dass Reisen dieser Art nur in die polnisch verwalteten Gebiete möglich sind. Nach Nord Ostpreußen bestehen z. Zt. noch keine Reisemögllchkeiten.

 

Reisen nach Masuren, ins Ermland, nach Danzig und Westpreußen sind jederzeit und für jedermann möglich. Der Reisende kann sich bei Gruppenfahrten ab dem dritten Reisetag frei bewegen und seine evtl. noch in der Heimat lebenden Verwandten und Bekannten besuchen. Um auch gleich eine immer wieder auftauchende Frage zu beantworten: Fotografieren ist gestattet.

 

Das amtliche polnische Reisebüro „Orbis", das ausschließlich diese Reisen in Verbindung mit westdeutschen Reisebüros durchführt, propagiert dreierlei Möglichkeiten für den Reiseverkehr für westdeutsche Besucher: a) Gruppenfahrten, b) Einzelfahrten, c) Heilkuren in Bädern.

 

Gruppenfahrten haben in der Regel eine Fahrtdauer von 16 Tagen. Das Programm sieht vor: 1. Tag: Abfahrt von Bahnhof Zoo in Westberlin, mit D-Zug II. Klasse in reservierten Abteilen über Frankfurt/Oder nach Posen. 2. Tag: Übernachtung und Frühstück im Orbis-Hotel „Bazar". Empfang des Taschengeldes und der Esskarte für die Reise. Anschließend Abfahrt zu den gewünschten Aufenthaltsorten. 3. bis 14. Tag: Zur freien Verfügung des Reisenden, etwa Aufenthalt bei Bekannten oder Verwandten. Während dieser Zeit hat jeder Reisende für Verpflegung und Unterkunft selbst zu sorgen. 15. Tag: Eintreffen in Posen, Mittag- bzw. Abendessen in dem genannten Hotel. Am 16. Tag nachts findet die Rückfahrt statt.

 

Preis dieser Reise ab Berlin 297,-- DM. Kinder bis vier Jahre können frei mitgenommen werden. Für Kinder von 4 bis 10 Jahre betragen die Reisekosten 210.-- DM.

Neben diesen 16-tägigen Fahrten sind auch solche für eine Dauer von 12 Reisetagen vorgesehen.

 

Einzelfahrten für belieibige Fahrtdauer können mit Bahn und Flugzeug durchgeführt werden. Einzelfahrer können jedoch das Visum nach Polen, nur erhalten, wenn sie für mindestens 6 Tage Hotelbons (ab 23,10 DM nach Kategorie pro Tag und Person) abnehmen. Dies gilt auch für Einzelreisende, die während ihres Aufenthaltes bei Verwandten wohnen können.

 

Die dritte Reisemöglichkeit (Heilkuren in Bädern) behandeln wir hier nicht gesondert, da sie nach den vorliegenden Anfragen seitens unserer Leser wohl nur in dem einen oder anderen Einzelfall in Frage kommt. Interessierte Leser wenden sich in diesem Falle am besten an ein Orbis-Vertragsreisebüro, auf das wir auf Anfrage gern hinweisen werden.

 

Wie sind nun die Reisebedingungen? Was muss beigebracht werden? Wieviel Geld erhalte ich umgetauscht? Was darf ich mitnehmen? Hier nur kurz einige allgemeine Hinweise.

 

Die Bearbeitung des Visums dauert in der Regel etwa 20 bis 30 Tage. Es empfiehlt sich also, sich mindestens 5 bis 6 Wochen vor Antritt der Reise beim Reisebüro anzumelden. Für die Erlangung des Visums muss ein für In- und Ausland gültiger Reisepass eingereicht werden, dazu zwei Lichtbilder. Außerdem werden Personalangaben verlangt, die formlos auf einem Begleitschreiben eingereicht werden können.

 

Der Devisenumtausch erfolgt durch das bearbeitende Reisebüro. Zurzeit steht der Umtauschkurs für Touristen 1 DM = 5,60 Zloty. Nicht verbrauchte Zahlungsmittel können nicht in DM zurückgetauscht werden. DM können in unbeschränkter Höhe mitgenommen und verbraucht werden.

 

Alle Gegenstände, Nahrungs- und Genussmittel, soweit sie über den Rahmen des eigenen Bedarfs hinausgehen, sind zu verzollen. Der Teilnehmer erhält von seinem Reisebüro eine Liste der zollfreien Gegenstände.

 

Wir hoffen durch diese kurze Zusammenfassung allen jenen Landsleuten, die sich mit dem Gedanken an eine Besuchsfahrt in die alte Heimat tragen, ein einigermaßen umfassendes Bild von dem augenblicklichen Stand der Reisemöglichkeiten gegeben zu haben. Weitere Einzelheiten gehen aus den Prospekten der westdeutschen Orbis-Vertragsreisebüros hervor (siehe Anzeigenteil), an die wir weitere Anfragen direkt zu richten bitten.

 

Seite 15   Bundestreffen der Danziger 1958

Das diesjährige Bundestreffen der Danziger findet am 14. und 15. Juni in Düsseldorf statt. In Verbindung damit wird am 16. Juni die 400-Jahrfeier des Städtischen Gymnasiums Danzig im Düsseldorfer Humboldt-Gymnasium begangen, das die Patenschaft über diese älteste Danziger Schule übernommen hat. Den Abschluss des Tages der Danziger bildet das Jahrestreffen der ehemaligen Dozenten und Studierenden der Technischen Hochschule Danzig in Düsseldorf am 17. Juni.

 

Seite 15   Aus den Landsmannschaften.

Loeffke Ehrenvorsitzender

Lüneburg. Auf ihr zehnjähriges Bestehen blickt die Landsmannschaft Ostpreußen, Kreisgruppe Lüneburg, zurück. In all diesen Jahren hat sich Vorsitzender H. L. Loeffke besonders um die Belange der Landsmannschaft gekümmert. Er ist auch einer der ersten Mitbegründer der Vertriebenen-Bewegung überhaupt und steht u. a. seit der Gründung des Bundes der vertriebenen Deutschen in Lüneburg an der Spitze des Kreisverbandes Lüneburg-Land. Zum Dank für seine verdienstvolle Arbeit wurde er jetzt zum Ehrenvorsitzenden der Landsmannschaft ernannt.

 

Seite 15   Buntes Fastnachtsprogramm

Seesen. Harmonie und Hochstimmung herrschten bei der sehr gut besuchten Fastnachtsfeier der Ost- und Westpreußen in den Festräumen des Ratskellers. Beim Ablauf des Programms wetteiferten die Duette Blaesner-Sander und Geschwister Fleischmann mit heiteren Gesangsvorträgen, in die sich auch die Solistin Erna Bartsch und Conferencier E. Dlugokinski einschalteten. Heimatlichen Humor brachten Lina Fahlke und Herbert Lehmann zum Vortrag.

 

Der nächste Heimatabend findet am 8. März statt, in dessen Mittelpunkt ein Vortrag von Landwirtschaftsoberlehrer Luszick über „Niedersachsens Beziehungen zu Ost- und Westpreußen" stehen wird.

 

Seite 15   Fastnachtsbrauchtum der Heimat

Lübbecke. Die Ortsgruppe der LO gestaltete ihren letzten Heimatabend zu einer fröhlichen Fastnachtsfeier im Sinne der Heimat. Nach einleitenden Worten des Vorsitzenden Hardt über das heimatliche Brauchtum gestaltete die Jugend den weiteren Verlauf des Abends mit Laienspiel, Gesang und Tanz. Eine reichhaltige Tombola tat das ihre zum Gelingen des Abends. Um die Gestaltung haben sich besonders die Lmn. Pieper, Dobroschka und Schulz verdient gemacht.

 

Seite 15   Feierstunde für Musik und Dichtung

Berlin. Im Festsaal der Schillerschule Charlottenburg findet am 20. März eine „Feierstunde für Musik und Dichtung" statt, für die als Gäste die Komponistin Luise Schulze-Berghof, der Danziger Dichter Carl Lange und Kammersänger Domgraf-Wassenberg gewonnen werden konnten. Neben eigenen Vertonungen der anwesenden Komponistin werden Liedkompositionen von Vollerthun, Friedrich Welter und Louis Ferdinand von Preußen zu Gehör gebracht werden, sämtliche nach Texten von Carl Lange.

 

Seite 15   Ostdeutsche Woche in Hamburg. Verbunden mit Memel-Treffen 1958. Ostdeutsche Ausstellung

Hamburg. Vom 15. bis 23. März veranstaltet der Landesverband Hamburg der vertriebenen Deutschen unter der Schirmherrschaft des Senats eine „Ostdeutsche Woche". Während dieser Zeit wird in der Halle der Nationen eine Ostdeutsche Ausstellung gezeigt, zu deren Gestaltung die einzelnen Landsmannschaften wertvolles Material beigesteuert haben, u. a. werden Teile der großen Ostpreußen-Schau anlässlich der Grünen Woche in Berlin gezeigt werden. In das Programm der Ostdeutschen Woche haben sich Schulen und Landsmannschaften mit Veranstaltungen, Vorträgen und Lesungen eingeschaltet. Die festliche Eröffnung findet am Sonnabend, 15. März, im Rahmen einer Feierstunde am Hamburger Rathaus statt, bei der u. a. Bundesminister Lemmer das Wort ergreifen wird.

 

Im Zusammenhange mit der Ostdeutschen Woche findet gleichzeitig auch das diesjährige Memel-Treffen der Arbeitsgemeinschaft der Memel-Kreise in Hamburg statt, und zwar am Sonntag, 16. März, im Winterhuder Fährhaus. Im Mittelpunkt des Treffens wird ein Festvortrag „Memel und das Völkerrecht" von Dr. Hellmuth Hecker von der Forschungsstelle für Völkerrecht, Hamburg, stehen.

 

Seite 16   Familienanzeigen

Die Vermählung unserer Tochter Karin-Ingrid mit Herrn Gerhard Bednarski zeigen an: Willi Käding und Ingeborg Käding, geb. Bertram. Eßlingen/Neckar, Stauffenbergstraße 28. 21./22. Februar 1958

 

Vermählte. Gerhard Bednarski. Karin-Ingrid Bednarski, geb. Käding. Hannover-Linden, Röttgerstraße 24

 

Am 14. Februar 1958 verstarb meine treue Lebensgefährtin, meine inniggeliebte Frau Lena Samel, geborene Skowronnek. In tiefer Trauer auch im Namen aller Familienangehörigen: Georg Samel. Berlin-Wilmersdorf, Bundesallee 55

 

Ein treues Mutterherz hat aufgehört zu schlagen. Nach langem, schwerem, mit großer Geduld ertragenem Leiden entschlief am 24. Februar 1958 früh meine liebe, stets treusorgende Mutter, unsere gute Tante, Frau Auguste Berner geb. Meier, im Alter von 75 Jahren. Sie folgte meinem lieben, unvergesslichen Vater, der auf der Heimreise von Dänemark nach Deutschland im November 1948 durch Zugunglück bei Weinheim a. d. Bergstraße ums Leben kam, in die ewige Heimat. In stiller Trauer im Namen der Angehörigen: Friedel Berner. Charlottenhöhe, Post Calmbach a. d. Enz. Früher Königsberg/Pr., Schrötterstraße 43

 

Seite 16   De Wett. Wanda Wendlandt.

„Wat? nu wöllst all gaohne? Nu wöllst all to Huus un önne Bocht? Hiede ös doch Sinndag, da haddst doch uutligge kunnt — un äwerhaupt in diss fuul Tiek mangk all de Hölljedaog kann doch ook e Buer all sachtkes uutjeschlaope häbbe! Huck Di wedder hen un jöw de Kaorte un — Mutter, Du sett noch eenem Ketel mot Grogwaoter op!"

 

De Rund öm em grote Dösch krajuhlt; aower de Naower Quass weer opjestande un erscht, als se em anne Ärmels op sienem Stohl runderreete, huckd he wedder önne grot mött: „Na nä, laot mi man gaohne! Wi wolle morge fröh rut, wi motte noch värem Faohre de Peerd scharpe Stolles önschruwe, de Schosseh ös doch glatt wi oppe blank Naosch“.

 

„Na morje warscht keine scharpe Stolles mehr bruuke, morje ös doch Lichtmess un „Lichtmesse geiht de Winter pösse“ äs doch de ohl Regel, — warscht sehne, morje rejent dat wi oppe Hund!"

 

„Ook god", wiwackd de Naower Quass möttem Kopp, „denn daut wenigstens de ohl Ies weg! Eener därd doch all nich mehr de Felles ruttalaote bi so e Glattheit, ons Remund ward all rammdäsig ön sien Bocht un dämmert all omma möt alle Veere gegne Plankes".

 

„Meenst, dat se Di dem wörklich awnehme ware als Remund öm Fährjaohr?" De Naower Wittkopp ös e Spieltähn, Optehne un Utjäke ös all ömma sien lewst Jewarw, un nu sön em de väle Tulpkes Grog doch sachtkes önne Kopp jestäje. „Meenst wörklich?" He wöll maol wedder sienem Spijök möt sienem ohle Naower häbbe, un de Naower Quass böt röchtig wedder an: „Wat? dao jöwt noch wat to fraoge bi mienem Remund?" — Wat? häwt et denn so e Peerd äwerhaupt all jejäwe ön onsem Därp?"

 

„Na na, nu man halwlang!" wiwakd de Wittkopp und gröfflacht.

„Wat? onsem Remund? — Na, wer dem wat awstriede wöll, ös rein e Dammelskopp un hät nich e bät Peerdsverstand nich! Häst denn nich jesehne, wi ons Emil möt dem Wihnachte zweit Fierdag dorche Därp jeprescht ös; rein wi de Leibhaftije ös de Remund möt em awjetaoge, kein Hohle weer dao nich mehr, de Emil mussd em de Tägel losjäwe — Beene häwt di de Aos un renne kann de“ .. .

 

De ganze Rund nickköpt möt luchtre Ooges, aower de Naower Wittkopp wöll sienem Spijök hebbe und stöchelt wider: „Weetst, ech hebb dao önne hinderscht Schwiensbocht fiew Breejlinge (Läuferschweine), de hebbe ook ackraod so greidje Beene wi Dien Remund, und renne könne de, dao kömmd Dien Remund nich möt!" De ganz Rund lacht, dat de Lamp wackelt, un de Wittkopp kömmt erscht röchtig in Faohrt: „Weetst, eck wett doch mien best Suu, dat mien Breejling dienem utjepraohlde Remund värbirennde, wenn wi dat oppe Wettrenne ankaome laote wulle —"

 

De ganz Rund wöltert söck rein vär Lache, un de ohl Quass häwt e ganz jähl Näs vor Arjer Lache op sien Koste kann de awsolutemang nich verdräje, dao vasteiht he kein Spaoß nich! He drelld denn ok foorts dem Spieß öm: „Na denn man los! Ju hebbe dat nu aller jeheerd: Sien best Suu häwt de Wittkopp vaspält, de Wett jölt!" —

 

„Na Wittkopp", seggt de Naower Dreier, wi se beide tohuus gaohne, „e klook Henn leggt ook manches Maol värbi! Du häst Di hiede däg mötte Naosch önne Nettel jesett" — „Schient mi ook!" nickköpt de Wittkopp, dem önne kohl Winterloft de Kopp rasch klaor jeworde ös. „Na, denn helpt dat nuscht nich, denn mott mien Suuke de Wett betaohle! Aower ös jao noch lang hen bat Färjaohr, wenn de Wettrenne erscht stiege kann — vleicht häwt da Naower Quass de Wett vagäte bet daohen“.

 

Dao hedd he söck aower verspekulörd, denn dem andre Morje all kriezd de Quass op und wull söck sien jewonne Suu all ömma maoh ankieke, wi he säd. Un de Lichtmess-Regen heel an un bold weer alle les weg, un denn keem e grot Wind, un denn schiend de Sönnke wi önne Mai, un de Weg wurde aller dreej, dat söck eener rein kullre kunn oppe Weg vonnem Wittkopp sien Hoff bet an sienem Földschien, wo he graods Mäst henfaohre leed.

 

„Na Naower, dat ös e Wedderke!" bejrößt em dao de Naower Quass, de dao op em jeluurt hadd. „Jao", nickkopd de Wittkopp, „wenn da so biblöwt, könn wi nu all öm Februar mötte Plöje anfange un bruke nich länger to luure“.

 

„Na, to luure bruke wi nich länger op ons Wett", gröfflacht de Quass so jählbunt, „de war wi man nu oppe Sinndag bereinije! Kann Di doch man leew sön, wenn Du Dien vaspäld Suu nich länger to futtre brukst. Am beste, wi laote dem Wettrenne op Dienem Weg hier stiege, de ös am dreejste un ook lang jenoog, dat Dien Breejling orndlich zeige könne, wat se könne. Denn also oppe Sinndag Klock tije!"

 

De Wittkopp schow sienem Deckel von eenem Ohr oppe andre und klaud söck hindre Ohre; he weer nu doch e bät benaut, denn sien best Suu — dat weer jao nu doch kein Pappestäl nich! He kickd hinder sienem lewe Naower hen, de all op sien Föld losstakt, un kickd sien Földschien an, als wenn em dao Raotschlag un Hölp wäre kunn. Un dat mussd woll ook ware, denn op eenmaol dao jing dat so luchter äwer sien stopplig Jesöcht, als wenn dao grot Taljlicht äwer fluckre ded.

 

„Mutter", säd de Wettkopp ton sien Oolsche, wi de möddigs tohuus keem, „de fiew Breejling önne hindersch Bocht, de laot man de Emma nich futtre, de war eck nu äwernehme“. — „Na, wat sull dat nu wedder?" fraogd de Fru un kickd em scharp an. „Vastoh wi nu vleicht nich mehr Schwien tu futtre?"

 

„Oh jao, nu war man nich jlieks boßig", bejöschd de Wittkopp. „Et ös jao man, dat eck vonne nie Method värt Futtre jelese hebb, de michd eck nu man utprobeere. Eck hebb jelese, dat jung Schwien ömma värem Fräte erscht e Spazeergang maoke sulle, dann wulle se väl bäter tonehme, un dat wull eck na maol utklamiesere“. „Du ömma möt Dien dammlije Proscheckte", schöddkoppt sien Fru. „Na denn miensweje!"

 

Se schöddkoppt aower noch mehr, als dem ganze Naomöddag bät Vesper de Breejling schröje un bälkte vär Hunger. Wi dat schämmerd, nehm ehr Ohler dem Emmer möt Fräte, leet de Breejling ut ehrem Bot un jing ön Röchting Földschien los, ömma möttem Emmer klätre und klappre. De Breejling aller öm em röm; aower erscht önne Földschien köppd hei dem Emmer önne Trog. Wi de Wilf schmeete söck de Hungrije äwre Trog un weer bloßig noch Schlabbre un Schlucke to heere.

 

Dat weer Dingsdag, und Möddwäk jing dat nu ook so De beide andre Daog bruukd de Wittkopp man bloßig noch mötte Emmer to klappre on de Bocht optoriegle, dao jaoge de Fiew all ganz alleen los un önne Galopp hen to dem Földschien. Anne Sönnaowend kreeje se nu aower äwerhaupt nuscht nich mehr to freete, dem ganze lange Dag reinhöllige gaonuscht nich to fräete, un se bröllde un bälkte vär Hunger, dat de Buersche nich schlaope kun vär dem Jebälk un all söck sachtkes rutschlieke wöll un se stöllmaoke. Aower de Wittkopp kreej ehr noch graods be e Wöckel, wei de Där so knarrd, wi se rutwull, on se kabbelde söck e lang Wiel, bät sien Olsch söck bediede leed un wedder önne Pose kroop.

 

Dat weer jao nu doch luutbaor jeworde, un anne Sinndagmorge fund söck alles ön, wat Beene hadd, kein eener wull seck dem Spektaokel entgaohne laote. De ganz Därp stund ömme Hoff vonnem Wittkopp. De Quass weer oos all dao, un dao keem ook all de Emil anjeräde. He hadd all dem ganz Wäch dem Remund dorchjetrömmt un träniert un em manche heimliche Stow Haower tojestöckt, un dat kunn e Blinder all möttem Stock föhle, dat dem Remund de Haower önne Naosch spöckd, he danzd ömma verdwas un kruusd söck op wie e Kulbörsch un hadd dem Jnöck wie e Flötzbaoge kromm. De Sönnke spegeld söck oppe Fell, dat he blänkert wi jeblömt Atlas, so väl Blomes blejde oppe runde Schinkes.

 

„Wörklich e Staot — wörklich e staotsch Peerdke!" praohld de Wittkopp. „Nä nä, wat weer eck doch fär e Dammleskopp, mien Suu to vaspäle!" — „Na, wöllst nu endlich opjäwe? Wöll wi nich e End maoke möttem Spektaokel?" freid söck de Quass, un sien Emil spegeld söck so röchtig möt sienem Rosse un leed em önne Rund danze. „Dat michd eck woll", beduerd de Wittkopp, „dat michd eck man to jeern!" Aower nu hebb eck dat doch mien Breejling all vertellt, un nu heer bloßig, wie de man anjäwe, rein wi onklook bälke de ömma: „Man rut! Man rut! Wi wölle wettrenne!" Nu mott eck se man doch ook rutlaote. — Platz dao, wech vonne Baohn, sonst war Ju ömjerennt!" schicherde he de Junges vonne Weg. Denn klapperd he däg mötte Emmer, aower he hadd dem Schuwer vonne Bocht noch nich maol röchtig op, dao stert dat all äwerun opeenander ruter un los und heidi! un ziehdraoht! un nuscht weer mehr to sehne wie e grot Stoffwolk oppe Wech naohe Földschien. De Remund weer so verschrocke, dat he pruusd un hochsteej un de Emil to dohne hadd, em ruhig to krieje.

 

„Böst e luuriger Hund, Wittkopp! — Na, denn helpt dat nuscht nich!" weimerd de ohl Quass. „Denn komm man jlieks möt un sök Di e Suu ön mienem Stall ut. — Na, mien Olsche ward kicke, de hadd ell e grot Emmer Schrot önjeröhrt als Wöllkomm vär dien Suu, Dien best Suu, wo wi ehr bringe wulle!"

 

Seite 16   Der Einkauf. Von Dr. Alfred Lau.

Da huckt de Frau Lehrer und is so bedrippt

Und sagt denn zu Wischkoreits Jettche:

„Ich brauch doch e Topf, aber nich fiere Milch,

Nei, einem fier unteres Bettche.

Dem giebt fier eins fuffzig bei Hammerschmidts

Im Laden zu kaufen natierlich,

Bloß weißt, mich kennt doch de ganze Stadt,

Drum is mir das etwas schenierlich.

Möchst Du mir das Toppche nich kaufen gehn?

Was meinst? Am besten gleich morgen.

Du bist doch e dreiste Mergell und du kriegst

Noch extra was fieres Besorgen“.

„Das mach ich, Frau Lehrer, das is mir egal“.

„Na schön! Aber wenn se Dich fragen,

Von wem Du kommst und fier wen das is,

Denn darfst Du das, Jettche, nich sagen!"

„I wo, Frau Lehrer, bloß länger kann

Ich mir mit dem Krät nich belassen,

Ich geh doch abends noch erst auf Besuch,

Wo soll ich dem Toppche denn lassen?"

„Ganz einlach! Ich hab mit zwei Damen um vier

Im Café Matull mi versprochen,

Da bringst es mir hin, verpackt, und sagst,

Hier sind für den Hektor die Knochen!" —

Se missden um vier, es war proppevoll,

Mit Miehe e Platzche sich suchen.

Nu hucken de Damen und trinken dem Plurksch

Und kauen dem kleistrigen Kuchen.

So gegen halb fimf, de Frau Lehrer bestellt

Fier jede noch einem Prienellche,

Da kommt de Jettche und drängelt sich durch,

Das druggliche, dreiste Mergellche.

Se schubbst mitte Hiften nach links und nach rechts,

Denn stolz schwenkt se ieber ihr Koppche —

De arme Frau Lehrer wird weiß wie de Wand –

In jede Hand einem Toppche

Und hält de Damens se untre Nas.

Was wird se denn nu bloß noch machen?

Se stellt de Terrinchens mit Schwung aufem Tisch,

Und aller kicken und lachen.

„Er hädd so viele, da wussd ich nich,

Welch einem ich nu solld kaufen.

Da gab er mir diese zur Auswahl mit

Und sagd — ich war all im Laufen —.

Das kleinere könnd de Frau Lehrer ich

Drei Dittche billiger lassen.

Bloß nimm ihr man Maß, zur Sicherheit,

Das Toppche das muss ja auch passen!"

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