Ostpreußen-Warte, Folge 10 vom Oktober 1955

Ostpreußen-Warte

Folge 10 vom Oktober 1955

 

Seite 1   Wir grüßen unsere Heimkehrer!

Foto: Tausende waren nach Friedland geeilt, um die heimkehrenden ehemaligen Kriegsgefangenen zu empfangen. Die Angehörigen hatten Pappschilder angefertigt, die sie den Heimkehrern entgegenhielten, um ein Wiederfinden leichter zu machen. Unser Bild zeigt die glückliche Frau Brinkmann mit ihrem heimgekehrten Mann. Foto: Friedrich

 

Foto: Erschüttert und mit Tränen in den Augen stand der aus der Sowjetunion heimgekehrte ehemalige General von Kurowski, seiner Frau und seinem Sohn gegenüber, ehe sie sich in die Arme fielen. Aufn.: PIK

 

Foto: Mutter und Tochter Krahn waren zusammen in die Sowjetunion verschleppt worden. Jahrelang lebten sie getrennt voneinander in sowjetischen Lagern. Jetzt konnten sie gemeinsam heimkehren. In Hannover wollen sie eine neue Heimat finden. Aufn.: Kluwe

 

Seit einer Woche läutet täglich die Friedländer Lagerglocke: Unsere kriegsgefangenen Kameraden, die seit mehr als zehn Jahren im tiefsten Russland in den berüchtigten Zwangsarbeitslagern und in den Gefängnissen der Sowjetunion festgehalten wurden, kehren endlich heim. Sie kehren heim auf Grund einer Vereinbarung, die Bundeskanzler Dr. Adenauer bei seinem Moskauer Besuch mit den Sowjets getroffen hatte. Täglich rollt nun ein Transport nach dem anderen über den Zonengrenzkontrollpunkt Herleshausen nach dem Lager Friedland. Hier im Lager Friedland spiegelt sich das deutsche Schicksal unserer Zeit wieder. Die ergreifenden Szenen, die sich hier in Friedland abspielen, lassen sich kaum mit der Feder wiedergeben. Man muss es erlebt haben, wie unsere Heimkehrer von der Bevölkerung, die aus allen Teilen der Bundesrepublik herbeieilt, begrüßt werden. Man muss die Wiedersehensszenen gesehen haben, wenn Vater und Sohn, Frau und Mann nach zehn Jahren sich wieder in den Armen lagen, um zu begreifen, was Friedland für die Deutschen bedeutet. Unsere Bilder sprechen von dem großen menschlichen Leid und der Tragik, die der grauenvolle Krieg über unser Volk gebracht hat. Sie sprechen aber auch von der menschlichen Treue und Größe unserer Väter und Mütter, die sie trotz des schweren Schicksals bewahrt haben.

 

Nun kommen sie heim, unsere Brüder, unsere Väter, unsere Mütter und unsere Kinder, unsere Söhne und unsere Schwestern. Wir wollen keinen mit Namen nennen. Sie haben alle das gleiche Schicksal erlitten. Unter ihnen, die aus dem tiefsten Russland kommen, sind auch besonders viele Ostpreußen, Frauen und Männer dabei. Sie grüßen wir und alle anderen heimgekehrten und heimkehrenden Brüder und Schwestern! Unsere Herzen sind bei ihnen und unser Gruß und Dank gilt Ihnen!

 

 

Seite 2   Das Fazit von Moskau / Von Prof. Dr. Dr. Hans Koch. Leiter des Osteuropainstitutes in München

Die Moskauer Konferenz vom 9. bis 13. September 1955 bot mit ihren blitzartig sich wandelnden Situationen, dem Auf und Ab dramatischer Spannungen und dem pittoresken Hintergrund zwischen Kreml und Spiridonowka eine solche Fülle von Eindrücken, dass eine endgültige Analyse nur in einem gewissen zeitlichen Abstand gewonnen werden kann. Hier sei nur eine erste Beurteilung der Lage gestattet.

 

Die Wiedervereinigung.

Das schwere Problem der deutschen Wiedervereinigung war den Sowjets sichtlich peinlich, seine Diskussion stets unerwünscht; aber es war das Gespräch jeder offiziellen und inoffiziellen Begegnung. Eines fiel uns sofort auf: Bei allen Auftritten des Diplomatischen Korps (Empfang, Abschied, großes Gala-Diner im Kreml) fehlten die Vertreter von Pankow; über sie selbst äußerten sich die sowjetischen Würdenträger nur sehr diskret und stets mit dem Stoßseufzer, „diese Herren seien nun einmal eine Realität, an der man ja nicht vorübergehen dürfe“. Im Übrigen sei die Wiedervereinigung eine rein deutsche Angelegenheit. In der praktischen Durchführungsmöglichkeit dieses Obersatzes zerfielen die sowjetischen Andeutungen nach zwei Richtungen. Molotow knurrte — dem Sinne nach — folgenden, echt dialektischen Schluss: „Wir sowjetische Menschen sind alle für eine deutsche Wiedervereinigung. Unter Wiedervereinigung der Deutschen verstehen wir einen Zusammenschluss der beiden bestehenden Republiken (nach dem Verhältnis 1:1). Da die tatsächlich nun einmal vorhandenen beiden deutschen Staaten nicht miteinander sprechen wollen sind nicht die Russen, sondern die Deutschen selbst gegen die Wiedervereinigung“. Bulganin und selbst Chruschtschow waren versöhnlicher und redeten uns zu: „So sprechen Sie doch einmal selbst mit den Leuten. Deren soziale Errungenschaften sind doch Realitäten. Sie werden es sicher nicht bereuen“. Die Haltung des deutschen Bundeskanzlers war diesen Anbiederungen gegenüber zurückhaltend: Die Wiedervereinigung Deutschlands sei im Sinne bestehender Erklärungen Sache der vier Besatzungsmächte, die Deutschland gespalten hätten. Für die Vertretung Gesamtdeutschlands sei nur die deutsche Bundesregierung — und nur diese — zuständig. Besonders den letzteren Satz unterstrich er schneidend und eindeutig. Während der Schlussberatung über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verlas er zwei Vorbehalte: Die Einrichtung von gegenseitigen Botschaften dürfe nicht als Anerkennung des Status quo (der Spaltung Deutschlands und einer Vorwegnahme seiner Ostgrenzen) gedeutet werden; die Vertretung Gesamtdeutschlands stehe ausschließlich der Bonner Regierung zu. Als die Sowjets, besonders Molotow und sehr temperamentvoll Chruschtschow, sich weigerten, eine solche Erklärung entgegenzunehmen, sagte Adenauer (der die beiden Akte bereits verlesen und Bulganin in die Hand gedrückt hatte) würdevoll. „Dann werde ich Ihnen das Ganze auch noch schreiben“. (Dies ist kurz vor seinem Abflug, nachdem er die gleichen Vorbehalte vor einer Pressekonferenz verlesen hatte, geschehen.)

 

Mein Eindruck ist, dass nach Säuberung des Vorfeldes die Auseinandersetzung um die Wiedervereinigung jetzt in ihr entscheidendes Stadium getreten ist. Mit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Bonn werden die Sowjets zu ständigen Vergleichen der Bundesrepublik mit Pankow herausgefordert, die — praktisch nur zugunsten Westdeutschlands ausfallen können. Es war sehr bezeichnend, dass Molotow auf eine ihm von dem hartnäckigen Halstein aufgedrängte Aussprache über den vermutlichen Zeitpunkt einer etwaigen Wiedervereinigung überhaupt einging und nach minutenlangen Erörterungen über das abzufassende Kommuniqué erklärte, „die gewählte Fassung enthält das Element einer Beschleunigung der Wiedervereinigung im Sinne der deutschen Partner“.

 

Tatsächlich halten die Sowjets — wie wir uns durch vorsichtig sondierende Gespräche unterrichten — auch jetzt noch die Ausklammerung der Deutschen Demokratischen Republik aus dem sogenannten Warschauer Pakt vom 8. Mai 1955 (dem Gegenpakt des Ostblocks gegen die Partnerverträge) aufrecht; wir erkannten das geflissentliche Bemühen: den Westdeutschen alle Schwierigkeiten mit der sowjetischen Zone aus dem Weg zu räumen.

 

Die Deutschen in der UdSSR

Das wichtigste und praktisch sofort überprüfbare Ergebnis der Verhandlungen ist die bindende sowjetische Zusage, alle deutschen „zurückgehaltenen Personen“ (d. h. die Kriegsgefangenen, Zivilinternierten, Verschleppten, ja selbst die „rechtmäßig verurteilten Kriegsverbrecher“) zu entlassen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Heimkehrwilligen in die Bundesrepublik oder in die sogenannte Deutsche Demokratische Republik zurückkehren wollen. Nachstehend der Text dieser Erklärung, die Chruschtschow am letzten Verhandlungstag, dem 13. September, nachmittags 16 Uhr Moskauer Zeit, abgab (nach meinem persönlichen Stenogramm, unabhängig vom amtlichen sowjetischen Übersetzer):

 

„Meine Herren, unser Standpunkt ist: Wir stellen die diplomatischen Beziehungen her; ohne jeden Vorbehalt und ohne Vorbedingungen — etwa in dem Sinne unseres Schreibens von gestern an den Herrn Bundeskanzler. Wir begreifen den Schmerz und die Aufregung der Angehörigen deutscher, bei uns noch zurückgehaltenen Personen. Wir sagen Ihnen daher: Wenn wir den Vertrag über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen abschließen, so ist das der Anfang freundschaftlicher Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern.

 

Wir geben Ihnen hiermit unser Gentleman-Ehrenwort (dzentelmenskojeslovo), dass wir alle zurückgehaltenen Personen entlassen und zurücksenden werden, und zwar: entweder unter Zugrundelegung eines Amnestieverfahrens — oder indem wir Ihnen sofort alle übergeben und Ihre Regierung kann mit ihnen verfahren wie sie will, nach Ihren Gesetzen.

 

So wie die Dinge nun einmal real liegen, — dass es nämlich noch eine DDR gibt — werden wir jene Deutschen, die der Bundesrepublik zugehören, an die Bonner Regierung absenden; und jene Deutschen, die der DDR zugehören, werden wir — im Sinne eines Briefes, den wir vom Präsidenten der DDR erhalten haben — der DDR übergeben. Es gibt ferner bei uns Deutsche, die auf Grund freiwillig abgeschlossener Verträge (Kontrakte) arbeiten. Wir werden auch sie entlassen und zurücksenden, wenn der Kontrakt abgelaufen ist und sie selbst es wollen.

 

 

Seite 2   Noch 130 000 Deutsche in der UdSSR?

Andere Kategorien von Deutschen sind nach unseren Unterlagen nicht in unserem Lande; es sei denn solche Deutsche, die Bürger der Sowjetunion sind; solche gibt es viele — Ingenieure, Arbeiter aller Art, Kolchosniski: Von ihnen kann doch hier keine Rede sein.

 

Die von Ihnen angeführten Zahlen, als seien, auf Grund von Briefen Ihrer Kriegsgefangenen, angeblich 130 000 Menschen bei uns zurückgehalten — kommen uns unerwartet, wir wissen auch nicht, auf Grund welcher Unterlagen Sie zu dieser Zahl gelangt sind. Es ist ausschließliche Ihre Erklärung, für welche nur Sie die Verantwortung übernehmen; wir selbst übernehmen diese Zahl nicht. Wir wissen, dass angesichts bestehender Spannungen zwischen den Großmächten sich gewisse Bedingungen des sogenannten Kalten Krieges herausgebildet haben; dahin gehört auch die genannte Zahl von angeblich 130 000 zurückgehaltenen Deutschen. Man versucht mit dieser Zahl schon jetzt die beginnende Entspannung zu trüben, indem man derlei Ziffern nennt. Wir haben keine Unterlagen, um die Angaben des Herrn Bundeskanzlers zu widerlegen, aber wir sind bereit, sie zu prüfen. Bitte, geben Sie uns die Verzeichnisse dieser Menschen mit Angaben ihrer Namen und ihres Aufenthaltsortes: Wir geben Ihnen unser Wort, dass alle diese, in den Listen, genannten Menschen — soweit sie Bürger der beiden deutschen Staaten sind — von uns entlassen werden.

 

Wir bitten, diesem unserem Ehrenwort zu glauben, dass wir Ihnen als Leader der Sowjetunion geben. Das sind doch gewiss keine schlechten Bedingungen. Ich wäre dankbar, wenn wir jetzt zum nächsten Punkt der Tagesordnung übergingen.

 

Wenn Sie allerdings, meine Herren der deutschen Delegation, uns irgendwelche Vorbedingungen stellen würden, so haben wir bereits erklärt, dass wir keinerlei Bedingungen entgegennehmen. Es geht nicht an, unsere beiderseitige Existenz zu negieren, wir müssen die Realitäten anerkennen, dieser Anerkennung der Realitäten folgt die Anerkennung der Bundesrepublik; mit ihr wollen wir Freundschaft und diplomatische Beziehungen.

 

Wenn diese diplomatischen Beziehungen einmal hergestellt sind, so wird sich das andere regeln“.

 

An dieser Erklärung ist mancherlei bemerkenswert: Sie trägt formell dem Moskauer Standpunkt Rechnung, dass es in der Sowjetunion keine Kriegsgefangenen gäbe (sondern nur Kriegsverbrecher) und dass Verhandlungen über die Entlassung der „zurückgehaltenen Personen“ keine „Vorbedingung“ für die Einleitung diplomatischer Beziehungen bilden dürften. In der Sache bildet die Deklaration eine volle Erfüllung aller deutschen Wünsche, indem sie — unter Verpfändung des Ehrenwortes sowohl der Regierung insgesamt, als auch der Parteiführer persönlich — die Entlassung aller, aber auch aller Internierten zusichert. Selbst die Vorlage deutscher Gefangenenlisten und -Verzeichnisse ist nicht Bedingung, sondern nur technischer Notbehelf für den Fall, dass nicht alle Internierten erfasst würden; ausdrücklich versprach Chruschtschow, dass die Sowjetregierung auch diese, ihr nachträglich etwa zu benennenden Personen, sofort nach ihrer Feststellung ebenfalls entlassen werde, über den Termin der Heimführung sagte Chruschtschow nichts, aber Bulganin erklärte uns beim Absched: „Meine Herren, Sie werden kaum wieder zu Hause sein, so wird die deutsche Öffentlichkeit die Folgen dieser unserer heutigen Abmachung zu spüren bekommen“.

 

So wichtig alle diese Deklarationen vom menschlichen Standpunkt auch sind (ich bin überzeugt, dass entsprechende Anweisungen tatsächlich erfolgen), so haben sie darüber hinaus auch eine politische Bedeutung: Sie liegt darin, dass die Sowjets diese ihre Konzession nicht an die verbündete sogenannte Deutsche Demokratische Republik, sondern ausgerechnet an die, mit Moskau noch nicht diplomatisch akkordierende Deutsche Bundesrepublik (die den Sowjets überdies ideologisch widerstreben muss) abgegeben haben. Bedeutsam ist ferner, dass das russische Zugeständnis erst in allerletzter Minute erfolgte; von den insgesamt zur Verfügung stehenden fünf Tagen hat der deutsche Bundeskanzler viereinhalb Tage um die Heimkehr der deutschen Kriegsgefangenen gekämpft.

 

Die Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen der Moskauer Konferenz sollen nicht unterschätzt werden: Beide Partner lernten einander wirklich kennen; die Sowjetführer waren offensichtlich überrascht von der Härte und Glätte des deutschen Bundeskanzlers, dessen Popularität in der Hauptstadt von Tag zu Tag wuchs. In den entscheidenden Stunden, da um die letzten Formulierungen gerungen wurde, stand eine vielhundertköpfige Menge vor dem sowjetischen Auswärtigen Amt und rief ungeduldig: Adenauer! Als er nach endlichem Abschluss nachts in seinen eigenen, mit dem deutschen Ministerstander versehenen Mercedes 300 stieg, harrten die Leute immer noch und applaudierten bei seinem Erscheinen demonstrativ.

Umgekehrt gewannen auch die deutschen Unterhändler — jedenfalls der Kanzler, von Brentano und von Eckhardt — einen erkennbaren Eindruck von der Wucht, der Größenordnung und der Vielgestalt des Ostproblems: Die Folgen solcher Erkenntnis werden nicht ausbleiben; sie werden sich wahrscheinlich zunächst auf handelspolitischem Gebiet äußern, an dem die Sowjets besonders interessiert zu sein scheinen.

 

Umgekehrt tritt die Bundesrepublik — und mit ihr Gesamtdeutschland — aus der bisherigen, einseitigen Westpolitik in ein neues Stadium der komplementären Ostpolitik: Mit dem Standbein im Westen verharrend, mit dem Spielbein nach Osten agierend, eröffnet sie den deutschen Eintritt in die Nachkriegsweltgeschichte. (Entnommen den „Salzburger Nachrichten“.)

 

 

Seite 2   Sexbomben statt Saar

(K. K.) An der Saar wehren sich deutsche Menschen verzweifelt gegen ein Regime, das ihnen mit Gummiknüppeln und verlogenen Europa-Parolen das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten will. Es geht um das Schicksal der Saar! Aber wie reagiert die sogenannte öffentliche Meinung in der Bundesrepublik? Was sagt die Presse? Zum größten Teil beschränkt sie sich auf „unparteiische“ Meldungen, in denen ein Unterton von Verärgerung über die Ruhestörung mitschwingt. Sie tut fast so, als sei das Drama an der Saar irgendein zweit- oder drittrangiges Ereignis irgendwo in Venezuela oder Südafrika. Sie schaut nicht hin, sie nimmt nicht Stellung, denn sie will um Gottes Willen nicht in den Verdacht der nationalen Parteilichkeit geraten! Umso eingehender befasst sie sich etwa mit dem Krieg zwischen den Sexbomben Gina Lollobrigida und Sophia Loren. Über die Sektorengrenze strömt ein rapid anschwellender Flüchtlingsstrom. Zehntausende unglückliche deutsche Menschen müssen, weil ihr Leben unerträglich wurde, die Heimat in der Sowjetzone verlassen. Eine Tragödie spielt sich vor unseren Augen ab. Aber was sagt die bundesrepublikanische Presse? — Sie registriert, ungerührt und herzlos, lediglich die Rekordzahlen, die der Flüchtlingsstrom erreicht. Dafür füllt sie ganze Seiten mit Reportagen über das Fußballmatch in Moskau und mit instinktlos „objektiven“ Reiseberichten aus der Sowjetunion. Und die Illustrierten bringen auf ihren Titelseiten keineswegs die Bilder aus den Notaufnahmelagern, sondern zum siebenundneunzigsten Mal das Porträt der Kaiserin Soraya oder das Busenprofil irgend einer neuen Sexbombe. Hier paart sich nationale Gleichgültigkeit und Herzlosigkeit mit Trivialität, die bereits stumpfsinnig anmutet.

 

Oder: In München macht der von den Kommunisten gekaufte und ihnen dann wieder entsprungene Verleger der östlich gesteuerten „National-Zeitung“ sensationelle Aussagen über das Ausmaß und die Methoden der Infiltration. — Die Presse nimmt von diesen alarmierenden Tatsachen kaum Notiz, die Sensation verläuft im Sande — warum sich mit einer Sache befassen, die zwar von höchster staatspolitischer Wichtigkeit ist, die aber keineswegs so ernst genommen werden muss wie ein Sexualmord!

 

Das Gros der westdeutschen Presse versagt, wenn es um heikle, aber umso brennendere Hauptfragen unserer Nation geht. Sie hält einen Vergleich etwa mit der britischen, der französischen oder amerikanischen Presse nicht aus. Selbst die oppositionellste englische Zeitung würde in Fragen, die das Schicksal Englands betreffen, niemals „unparteiisch“ oder gar antienglisch sein. In der Bundesrepublik aber müssen wir dieses beschämende Schauspiel immer wieder erleben. Man nehme sich die Mühe, in den Spalten der westdeutschen Blätter nach klarer Haltung in nationalen Fragen zu suchen. Das Ergebnis wird dünn sein. Dafür wird man eine umso gewaltigere Flut an kriminellen und erotischen Knüllern finden, und man braucht nur einen Blick auf die Titelbilder und Schlagzeilen zu werfen, um zu erkennen, wie tief das Niveau gesunken ist.

 

Die Presse hat eine wichtige Funktion im politischen und geistigen Leben des Volkes. Sie prägt, sie lenkt die öffentliche Meinung. Sie hat dabei eine große Verantwortung. Die westdeutsche Presse scheint sich dieser Verantwortung nur zu einem geringen Teil bewusst zu sein. H. H.

 

 

Seite 2   Der Unterhaltungsanspruch nach dem BGB

In weiten Kreisen der Heimatvertriebenen herrscht vielfach Unklarheit darüber, unter welchen Voraussetzungen gesetzliche Unterhaltsansprüche bzw. Unterhaltsverpflichtungen bestehen. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch sind nur Verwandte in gerader Linie einander unterhaltspflichtig, das bedeutet, dass beispielsweise Kindern Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern und Großeltern sowie gegebenenfalls gegen die Urgroßeltern zustehen. Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben umgekehrt Unterhaltsansprüche gegen ihre Kinder und Enkelkinder. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass keine Unterhaltspflicht zwischen Verwandten in der Seitenlinie noch zwischen Personen besteht, die nur verschwägert sind. So haben also Geschwister bzw. Onkel und Nichte, ferner Stiefvater und Stiefsohn keinerlei Unterhaltsansprüche.

 

Eine wesentliche Voraussetzung für den Unterhaltsanspruch ist die Bedürftigkeit desjenigen, der Unterhalt verlangt; somit ist unterhaltsberechtigt nur, wer selber nicht in der Lage ist, sich zu unterhalten. Bedürftig ist, wer weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus dem Vermögen den Unterhalt bestreiten kann. Hinzu kommt noch die Erwerbsunfähigkeit; diese liegt vor, wenn der Unterhaltsberechtigte aus Gesundheitsgründen nicht in der Lage ist, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen. Wer seine Arbeit grundlos aufgibe, wird dadurch nicht bedürftig im Sinne des Gesetzes. Bei Studenten, Lehrlingen, Volontären, also Personen, die sich noch in der Berufsausbildung befinden, ist die Erwerbsunfähigkeit zu bejahen.

 

Bei der Gewährung einer Unterhaltsleistung spielt die Leistungsfähigkeit dessen, der zum Unterhalt verpflichtet ist, eine ausschlaggebende Rolle: somit ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen standesgemäßen Unterhalts nicht in der Lage ist, einem an sich Unterhaltsberechtigten Unterhalt zu gewähren. Den Eltern allerdings legt das Gesetz gegenüber ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern eine erhöhte Unterhaltspflicht auf. Kinder brauchen bevor sie Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Eltern geltend machen können, ihr etwa vorhandenes Vermögen nicht aufzuzehren, wohl aber müssen die Erträgnisse aus dem Vermögen, wie Zinsen usw., zunächst zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts verbraucht werden.

 

Den Eltern hat der Gesetzgeber darüber hinaus die Verpflichtung auferlegt, mit ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern alle verfügbaren Mittel wie Arbeits- und Vermögenseinkünfte zu teilen. Vater und Mutter müssen daher gegebenenfalls für sich selbst mit weniger auskommen, als zum eigenen standesgemäßen Unterhalt erforderlich ist. Das unbedingt notwendige Existenzminimum muss den Eltern allerdings immer belassen werden. Der Gesetzgeber hat nun eine bestimmte Reihenfolge für Unterhaltsverpflichtete festgelegt. Unterhaltsbedürftige Eltern haben beispielsweise in erster Linie einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Kinder, und zwar werden diese zu gleichen Teilen herangezogen.

 

Kinder haben in erster Linie einen Unterhaltsanspruch gegen die Eltern; erst wenn diese nicht in der Lage sind zu helfen, steht den Kindern auch ein Unterhaltsanspruch gegenüber den Großeltern zu.

 

Innerhalb der Rangordnung der Unterhaltspflichtigen spielt nun aber der Ehegatte eine wesentliche Rolle insofern, als er vor allen Verwandten eines Unterhaltsbedürftigen in erster Linie haftet. Erst wenn der Ehemann seinerseits nicht zur Unterhaltspflicht herangezogen werden kann, besteht die Möglichkeit, Unterhaltsansprüche gegenüber Verwandten geltend zu machen.

 

In welchem Umfange ist nun der Unterhalt zu gewähren? Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch richtet sich der Unterhaltsanspruch nach der Lebensstellung des Bedürftigen. Der Unterhaltsanspruch umfasst an sich den gesamten Lebensbedarf, das heißt nicht nur die Kosten für Ernährung und Kleidung, sondern auch die Kosten für die Pflege geistiger Interessen, also beispielsweise auch Schulgeld und Hochschulgebühren für einen Studenten. Der Gesetzgeber kann jedoch unmöglich die Frage über die Höhe des Unterhaltsanspruchs mit festen Zahlenangaben beantworten. Wenn ein Gericht also durch Urteil einen festen Unterhaltsbetrag bestimmt, so kann es sich dabei in gewissem Sinne nur um eine Ermessensentscheidung handeln.

 

In Ausnahmefällen steht dem an sich Unterhaltsberechtigten nur ein Anspruch auf den sogenannten notdürftigen Unterhalt zu, und zwar dann, wenn der Unterhaltsberechtigte durch eigenes sittliches Verschulden, durch Trunksucht oder Spielleidenschaft bedürftig geworden ist. Der notdürftige Unterhalt kommt auch dann in Frage, wenn der Unterhaltsberechtigte sich so verhalten hat, dass der Unterhaltspflichtige ihm den gesetzlichen Pflichtteil nach erbrechtlichen Bestimmungen entziehen könnte.

 

Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Ehegatten untereinander und die Unterhaltspflicht des außerehelichen Vaters sowie allgemeine prozessrechtliche Fragen, die mit Unterhaltsansprüchen zusammenhängen, werden zu einem späteren Zeitpunkt behandelt.

 

Wir hoffen, den gesetzesunkundigen Schicksalsgefährten in der Frage des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs einige wesentliche Hinweise gegeben zu haben. H. W.

 

 

Seite 3   Der geschwärzte Christus von Eckersberg

Spirding- und Tirklosee waren vor der Jahrhundertwende noch eine einzige Wasserfläche. An der schmalen Stelle beim Kirchdorf Eckersberg gab es eine Fähre, die dem Fußgänger- und Wagenverkehr auf dem Landweg Arys – Eckersberg - Nikolaiken diente. War der Spirding sehr bewegt, so kam es gelegentlich vor, dass die Fähre umschlug und ihre Fracht ins Wasser purzeln ließ. Als solches mal in finsterer Nacht einem Herrn von der Landkreisverwaltung zugestoßen war, wirbelte er nach Heimkehr in sein Büro einen Berg von Aktenstaub auf, der sich im Verlauf mehrerer Jahre über dem Projekt „Chaussee Arys – Nikolaiken – Sensburg“ gebildet hatte. Dieses Vorhaben gelangte alsdann endlich zur Verwirklichung. Damit hatte die letzte Stunde der unsicheren Eckersberger Fähr geschlagen; denn als aus dem Landweg besagter Route eine schmucke Chaussee geworden war, fügte sich vor dem Dorfe Eckersberg in sie eine Holzbrücke ein.

 

Im ersten Jahrzehnt des neuen Säkulums verband man Arys und Sensburg noch mit einem Schienenstrang. Dessen Bahndamm watete — annähernd zweihundert Meter von der Chaussee entfernt — durch die Spirdingflut und bildete so mit der Chaussee ein quadratisches Wasserbecken, das man als Hafen ansprechen konnte; denn auch der Bahndamm erhielt eine Brücke eingefügt, so dass der Spirding und der Tirklo in Verbindung blieben. Eckersberg war ein kleines, doch hübsches Dorf; hübsch vor allem durch die vielen alten Gärten und auch durch die baumumstandene, mauerumwehrte Kirche mit dem hell getünchten Schiff und dem hölzernen Glockenstuhl. Sie stand auf einer grünen Bodenwelle inmitten der Ortschaft.

 

Es war wohl der 6. August des Jahres 1914 — also nur ein paar Tage nach Ausbruch des Krieges, der als Weltkrieg I in die Geschichte der Völker einging — da ballte sich über der Chaussee Arys - Eckersberg Staubgewölk. Unter ihm rollten Hunderte von vollbeladenen Wagen jeder erdenklichen Art, stampften Tausende von Pferdehufen, trotteten Herden von Kühen und Schafen, wanderten Frauen, Männer und Kinder daher. Das Stadt- und Landvolk aus dem Aryser und Johannisburger Bezirk befand sich auf der Flucht vor den Heeresmassen der Russen, die in das unzulänglich gesicherte ostpreußische Grenzland eingedrungen waren und ihre Marschrouten durch Flammen und Rauch markierten.

 

Eckersberg wurde diesen Scharen zu einer der ersten Fluchtetappen und überdies zu einer großen Hoffnung; denn man hatte gehört, dass der Ort am Westufer des Spirding und des Tirklos von deutschen Truppen besetzt sowie befestigt worden war. Hinter dieser Riegelstellung würde man also sicher sein, zumal auch alle übrigen Landengpässe in der Kette der masurischen Seen durch Militär versperrt sein sollten.

 

Tatsächlich befanden sich seit vierundzwanzig Stunden ein Infanteriebataillon und eine Landsturmkompanie in Eckersberg. Die Feldgrauen hatten eiligst Schützengräben und MG.-Stände hergerichtet und alle notwendigen Vorkehrungen für eine rechtzeitige Zerstörung der beiden Brücken getroffen. Mit dem neuen Feldgrau uniformiert waren damals erst die Aktiven und die Reservisten. Die Landstürmer — meist bärtige Opas — trugen noch die alten blauen Uniformen und schwarzlederne Tschakos mit dem aufgesetzten Eisernen Kreuz des Befreiungskrieges. Als der Abend nahte, hatte der gesamte Flüchtlingstreck die Chausseebrücke passiert und das schützende westliche Ufer erreicht. Das Vieh wurde auf die umliegenden Weiden und Wiesen getrieben, und die Menschen suchten Nachtunterkunft in Häusern, Ställen und Scheunen. Unter jedem Dach entstand eine drangvolle Enge.

 

Um diese Zeit rollte auch der letzte Bergungszug aus Richtung Arys über die Bahnbrücke. Mit ihm kam eine ausgesandte Patrouille mit; und da diese die Meldung machte, dass in Arys bereits der Russe eingezogen sei, ließ der Kommandant von Eckersberg die Stahlbrücke sprengen und die Holzbrücke mit Äxten und Pickeln auseinanderschlagen. Jetzt gab es keine feste Verbindung mehr vom Ostufer zum Westufer.

 

Je tiefer die Nacht niedersank, umso röter wurde die Lohne, die über dem östlichen Horizont waberte. Hin und wieder kam dorther der Hall von Gewehrschüssen. Er trug dazu bei, die innere Erregung all der Menschen im Eckersberger Bereich zu steigern, auch in den Soldaten, die erstmals im Frontgebiet eingesetzt worden waren und noch keine Feinderfahrung hatten. Selbst der Natur begann sich Spannung und Unruhe zu bemächtigen, denn den Himmel überzuckte Wetterleuchten und die Seen spiegelten es wider.

 

Um Mitternacht herum eilte ein Melder von Haustür zu Haustür und rief in die Stuben hinein: „Der Kommandant befiehlt, dass bei anbrechender Morgendämmerung sämtliche einheimischen und fremden Zivilisten die Ortschaft räumen! Aus Kundschafterberichten geht hervor, dass die Russen schon bei Sonnenaufgang vor dem Dorf sein werden“. Und so verhielt es sich dann auch wirklich. Der Flüchtlingstreck, nun vermehrt durch die Eckersberger Bevölkerung, hatte sich kaum wieder in Bewegung gesetzt, als das schwere Maschinengewehr, das am östlichen Dorfausgang postiert worden war, auch schon zu rattern begann.

 

Auf der Chaussee tauchten aus dem Frühnebel die ersten Gestalten in erdbraunen Uniformen auf. Die Russen stießen also auf Eckersberg vor. Es währte nicht lange, da drang fernher sechsfacher dumpfer Abschusslaut von Geschützen in das Rattern hinein. Mit rasch ansteigendem und jäh abschwellendem Heulen senkten sich Granaten auf die Häuser, Höfe und Gärten des Dorfes. Dann gab es ein sechsfaches Detonieren, und über den Dächern und Baumkronen wuchsen graublaue Qualmpilze auf.

 

Ein weiteres Dorf des deutschen Grenzlandes fiel der Vernichtung anheim. Der Brandschutt über den Ruinen Eckersbergs war noch warm, als die Oberste Heeresleitung zu den großen Gegenschlägen ansetzte. Die Einkesselungs- und Vernichtungsschlacht von Tannenberg und die Schlacht an den masurischen Seen machten Ostpreußen bis auf weiteres feindfrei. Bis auf weiteres ... denn im Winter versuchten es die Russen noch einmal, Ostpreußen zu überwältigen. Doch wiederum zogen sie den Kürzeren und mussten nunmehr endgültig vom deutschen Boden weichen. Der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete konnte beginnen. In Eckersberg hatten nur wenige Baulichkeiten den Beschuss durchstanden, wenn sie auch weniger oder mehr in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Kirche und Pfarrhaus gehörten nicht dazu, so dass sich der Geistliche in einem der Nachbardörfer niederlassen musste. Als man den Schutt von den Fundamenten der Eckersberger Kirche abräumte, fand man darin die Christusfigur von einem kleinen Kruzifix. Die Bronze hatte sich in Flammenglut schwarz verfärbt, ohne aber in ihrer Form gelitten zu haben. Der Pfarrer, dem die Figur übergeben wurde, beließ sie so, wie sie war, doch gab er einem Tischler Auftrag für ein schlichtes Holzkreuz.

 

Der so aus Trümmerschutt und Brand wiedergewordene Kruzifixus fand nunmehr seinen Platz in der Amtsstube des Pfarrers. In ihr verblieb er, bis ein neues Dorf Eckersberg und eine neue Kirche entstanden waren; und als dies Gotteshaus feierlich eingeweiht wurde, war schon der Nagel in die Wand geschlagen, an den er angebracht werden sollte.

 

Heut — vier Jahrzehnte nach dem Wiederaufbau der Eckersberger Kirche — harrt er wiederum des Tages, an dem die geflüchteten Mitglieder seiner Kirchengemeinde am Spirding- und Tirklosee heimkehren, um angesichts seiner zu beten und zu singen. G. S.

 

 

Seite 3   Die Religion der alten Preußen

Jeder von uns kennt noch aus seiner Schulzeit die alten preußischen Götternamen: Perkunas, Potrimpos usw. Was waren das aber für Götter, und was wissen wir überhaupt über die Religion unserer Vorfahren?

 

Das Gebiet, das von den alten Preußen (besser bezeichnet man sie als Prussen) besiedelt war, als der Orden in das Land kam, deckt sich etwa mit der westlichen Hälfte der Provinz Ostpreußen. Die östliche Grenze gegen die benachbarten Litauer kann man noch heute an der Form der Ortsnamen erkennen: im preußischen Gebiet haben sie die Endungen -keim und -garben, im litauischen -kehmen und -kallen. Ihre Zahl wird sich unmittelbar nach dem Eroberungskampf des Ordens wohl nur auf etwa 100 000 Menschen belaufen haben. Verwandt waren die Prussen mit den Sudauern, die vom Orden nach ihrer Besiegung nach dem nordwestlichen Samland verpflanzt wurden, wo sie sich noch lange von den anderen Bewohnern unterschieden, und mit den Litauern. Diese Verwandschaft lässt sich vor allem auf dem Gebiet der Sprache nachweisen. Wenn auch alle drei Völker eine eigene Sprache hatten, verstanden sie doch einander ohne weiteres. Auch auf dem Gebiete der Religion bestand eine weitgehende Einheit; so wird uns aus jener Zeit berichtet, dass sie „dieselbe Sprache und Religion hätten" und dass sie „gemeinschaftlich den Kriwe als Oberpriester ansahen“. Wir dürfen also das, was wir an Nachrichten über die Religion der Litauer finden, auch auf die Prussen übertragen.

 

Ohne Kenntnis der litauischen Sprache wird man leicht die uns bekannten Götternamen für Eigennamen bestimmter Wesen halten, die etwa den griechischen, römischen oder germanischen Göttern entsprechen, wovon ja auch Simon Grunau in seiner bekannten, aber erwiesenermaßen zum größten Teil auf völlig frei erfundenen Quellen beruhenden preußischen Geschichte ausgeht. Die Namen der preußisch-litauischen Götter sind aber keine derartigen Eigennamen und die Götter selbst keine bestimmten Persönlichkeiten, sondern nur Personifizierungen der verschiedensten Lebensgebiete und Tätigkeiten. Solche Gottheiten nennt die Wissenschaft „Sondergötter“. Für jede Handlung und für jeden Zustand gibt es also bei den Prussen eine besondere Gottheit: der „Pflüger“ ist der Gott des Pflügens, der „Säer“ der des Säens, der „Mäher“ der des Mähens, der „Summer“ ist der Fliegengott, der „Brüller“ ist der Rindergott usw. Auf jedem Gebiet menschlicher Tätigkeit können wir solche Gottheiten nachweisen. Auch für die erst in den Anfängen stehenden sittlichen Begriffe gibt es solche Sondergötter: der „Gleichmacher“ ist der Gott des Rechtes, und der „Verbinder“ ist der Gott der Eintracht und des gemeinsamen Unternehmens. Auch die Erdmutter Zemina oder Zeminele, die stets das Beiwort „die Blütenspenderin“ trägt, und der Erntegott Kurche gehören zu dieser Art.

 

Allerdings beginnen schon einige Gottheiten, sich aus dieser Menge herauszuheben. Es ist einleuchtend, dass etwa der Gott des Hofes eine bedeutendere Stellung gewann als der Fliegengott. Nur steckte diese Entwicklung noch sehr in den Anfängen, als sie durch die Christianisierung abgebrochen wurde. Wir müssen dabei als ersten Perkunas nennen, der ursprünglich der Gott des Donners ist. Er ist eigentlich der einzige, der dann als eine Persönlichkeit verstanden wurde: er ließ nicht nur donnern, sondern spendete auch Sonnenschein und Regen und stand dem Himmel vor; ihm brannte ein heiliges Feuer, dessen Asche als Heilmittel diente, und auch Seen waren ihm heilig, wie sogar urkundlich erwähnt wird. Wenn wir von der Verehrung prussischer Götter hören, ist meist die Verehrung des Perkunas gemeint.

 

Ein weiterer aus der Menge der Sondergötter hervorragender Gott ist Patollu. Er ist ursprünglich der Gott des Sterbens; da aber der Tod im religiösen Denken immer eine besondere Rolle spielt, wird aus diesem Sondergott ein persönlicher Todesgott. Noch im Jahre 1418 wird von seiner Verehrung berichtet. Neben ihm steht Potrimpos (anders auch Natrimpe genannt), ursprünglich der Gott der fließenden Gewässer. Sein Name stammt von einem prussischen Wort, das „Vorjahreszeit, wenn die Erde sich auftut und Feuchtigkeit aufnimmt, so dass sie fruchtbar wird“ bedeutet. Auch er scheint wie Patollu eine besondere Rolle gegenüber den übrigen Sondergöttern gespielt zu haben, und zwar als Gott der Ernte und der Fruchtbarkeit, ohne jedoch so deutlich eine eigene Persönlichkeit zu sein wie der Gott Perkunas.

 

Nach der Einführung des Christentums sind dann noch zwei weitere Gottheiten entstanden, Pikollos und Occopirmos. Pikollos wird unter dem Einfluss der christlichen Lehre von der Hölle der Herr aller bösen Geister und Teufel; sein Name kommt von dem polnischen Wort pieklo, die Hölle. Occopirmos war niemand anders als der Christengott, den die Prussen in ihren immer noch heidnischen Götterhimmel aufnahmen, und zwar unter der Bezeichnung Occopirmos, „der Allererste“, da ihre neuen Herren diesem so große Verehrung zollten.

 

Neben den drei Göttern Perkunas, Patollu und Potrimpos und den übrigen Sondergöttern gibt es noch eine ganze Reihe von niederen übernatürlichen Wesen, an die die Prussen glaubten, wie die fliegenden Drachen (Aitvaras), denen wohl Sumpflichterscheinungen zu Grunde lagen, die Laumes, die den germanischen Nachtmahren verwandt sind, und die unter verschiedenen Namen bekannten segen- und unglückspendenden Gnomen.

 

Das wir von der Verehrung der prussischen Götter wesentlich weniger wissen als etwa von den germanischen, römischen oder griechischen Göttern, liegt eben daran, dass abgesehen von Perkunas keiner der prussischen Götter eine selbständige Persönlichkeit war. Wir wissen daher nur wenig von den Stier- und Schweineopfern, deren letztes großes öffentliches Feiern uns noch aus dem Jahre 1571 (!) berichtet wird. Außerdem wissen wir, dass die Prussen überall in unzulänglichen, meist sumpfigen Gegenden heilige Wälder hatten. Einer dieser heiligen Orte in Nadrauen hieß Romove (Romove ist eigentlich ein aus zwei Stämmen zusammengewachsener Baum, der für besonders heilig galt), und dort wohnte der Oberpriester der Prussen, der Kriwe, der in alten Nachrichten mit dem Papst der christlichen Kirche verglichen wird. Dieses Romove ist aber keinesfalls etwa ein Nationalheiligtum der Prussen gewesen, wie oft fälschlich angenommen wird. Neben dem Kriwe gab es eine ganze Anzahl geringerer Priester, Wurschkaiti oder Waidelotten genannt.

 

Aus allem diesen dürfen wir aber nicht etwa den Schluss ziehen, dass die Religion unserer Vorfahren besonders geistesarm oder phantasielos gewesen wäre, sondern es handelt sich hierbei nur um eine frühere Stufe der Kulturentwicklung, die wir auch in der Geschichte anderer Völker finden. Peter Meier, stud. theol.

 

 

Seite 3   Die Preisträger.

Die Preisträger im Erzählerwettbewerb des Göttinger Arbeitskreises sind der 29-jährige Siebenbürger Sachse Bernhard Ohsam („Keiner kennt des anderen Grenze“), Hedy Groß - Szapnik (Ostpreußische Skizze — „Unser Rendant“) und Erich Hoffmann - Rusteberg (Schlesische Schilderung — „Um zehn Uhr mussten die Wagen stehen“).

 

 

Die LM Ostpreußen führt vom 7. bis 9. Oktober ein Arbeitstreffen ihrer Landeskulturwarte unter Leitung des Bundeskulturreferenten Grimoni-Düsseldorf in der Ostdeutschen Akademie Lüneburg durch. An der Tagung nehmen auch die Vorsitzenden der Landesgruppen sowie die Mitarbeiter der Landsmannschaft auf kulturellem Gebiet teil. Die Arbeitstagung soll neben dem Überblick über die gesamte Kulturarbeit Anregungen für die diesjährige Winterarbeit vermitteln, Planungen fördern und den persönlichen Kontakt stärken. Eine Materialausstellung ist vorgesehen. Der Lichtbildner Otto Stork wird seinen Dokumentarbericht in Farbbildern „700 Jahre Königsberg“ vorführen.

 

 

Seite 3   Paracelsus-Medaille an Dr. Hildegard Haslinger

Als erster Frau wurde Dr. med. Hildegard Haslinger aus Hannover (früher Königsberg) die Paracelsus-Medaille verliehen. Die Verleihung dieser hohen Aaszeichnung bildete den Höhepunkt und Abschludd des 58. Deutschen Ärztetages in Baden-Baden. Neben Frau Dr. Haslinger wurden noch Prof. Dr. med. Siebeck (Heidelberg) und Dr. med. Thieding (Hamburg) ausgezeichnet.

 

Die Paracelsus-Medaille wurde im Jahre 1952 auf dem Deutschen Ärztetag in Berlin für vorbildliche ärztliche Haltung, außerordentliche wissenschaftliche Leistungen und für besondere Verdienste um Geltung und Stellung des ärztlichen Standes gestiftet. Sie wird im Allgemeinen jährlich an drei Ärzte verliehen.

 

Dr. med. Hildegard Haslinger blieb im Jahre 1945 als praktische Ärztin freiwillig mit ihrer damals fünfzehn Jahre alten Tochter in Königsberg zurück und war drei Jahre lang unter schwersten äußeren Bedingungen als Ärztin mit der Leitung eines Krankenhauses für die deutsche Bevölkerung betraut. Während der schweren Zeit in Königsberg setzte sie sich ungeachtet eigener Gefahr und Bedrängnis für Leben und Gesundheit ihrer Landsleute selbstlos ein.

 

Mit der Verleihung der Paracelsus-Medaille an Frau Dr. Haslinger ehrt die deutsche Ärzteschaft gleichzeitig die vielen Ärztinnen und Ärzte, die in diesen Jahren der Not unter schwersten Bedingungen die Pflichten des ärztlichen Berufes über ihr eigenes Schicksal gestellt und damit aller Welt ein lebendiges Beispiel aufopfernden Arzttums gegeben haben.

 

Foto: Unser Funkbild aus Baden-Baden zeigt die am dem Deutschen Ärztetag mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichneten Ärzte und den wiedergewählten Präsidenten des Ärztetages. Von links nach rechts: Der Präsident des Ärztetages. Prof. Dr. Neufller, Prof. Dr. Siebeck (Heidelberg), Frau Dr. Haslinger (Hannover) und Dr. Thieding (Hamburg). dpa-Funkfoto

 

 

Seite 4 und 10   „Grenzen der Sowjetmacht“. Von Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Starlinger – Königsberg.

Mit der vorliegenden Ausgabe setzen wir unsere Veröffentlichung aus dem aufsehenerregenden Buch „Grenzen der Sowjetmacht“, erschienen im Holzner-Verlag, Würzburg, fort:

 

Die zweite Gruppe, die trotz des ungeheuren Kulakenmordes auch heute noch — namentlich im Süden und Osten — nicht gering ist, kennt nur eine Grundhaltung, nur eine Sehnsuchtaus dem Kolchos herauszukommen und wieder eigenes Land zu haben — selbst auf die Gefahr einer vorübergehenden ökonomischen Minderung ihrer individuellen Existenz. Dieses bäuerliche Menschentum ist wahrscheinlich auch das einzige, in welchem christlich-nationale Traditionen pravoslaver Prägung wenigstens beschränkt und bei der älteren Generation noch wirksam sind. Allerdings erscheint auch ihr Restchristentum mehr traditional und formal geprägt, eine Einheit von Glauben und Leben, die man dem alten Kulakentum offenbar mit Recht zubilligte, lässt sich kaum je erweisen, einen echten seelisch-religiösen, geschweige missionarischem Aufschwung kann man wohl nur bei den Sekten finden, die im Lager echte Märtyrer herauszustellen auch heute noch imstande sind. Im Ganzen scheint es, dass der furchtbare Kulakenmord, der in den dreißiger Jahren begann und sich bis in den Nachkrieg hinein fortsetzte, das alte russische Bauerntum biologisch bis ins Mark getroffen hat. Wieweit davon noch eine Erholung möglich ist, d. h. wieweit der Verlust eines übergroßen Anteils wertvoller biologischer Erbketten überhaupt verwunden werden kann, darüber kann ein Urteil wohl noch lange nicht gegeben werden. Zunächst jedenfalls muss das seiner selbst noch bewusste russische Bauerntum wie ausgeschlackt erscheinen.

 

Seelisch-geistige Spannungen

Daraus ergibt sich, dass ein Aufschluss über die derzeitigen seelisch-geistigen Spannungen und Strömungen nur bei der ersten Gruppe gesucht und — soweit es sich überhaupt um einflussnehmende Zukunftsträchtigkeit handelt — gefunden werden kann. Denn diese Gruppe hält nicht nur die Nation zusammen und steht ihr führungsmäßig vor, sondern gibt ihr auch konventionell und gesellschaftlich das Gepräge. Sie scheint sich von der überschmalen obersten Führungsschicht in Wort und Begriffsbildung formal noch kaum zu unterscheiden, hat aber unter der Oberfläche einen bereits sichtbar werdenden Aufbruch begonnen, der aus der offiziellen Staats- wie Gesellschaftslehre zunehmend herausführt, sich im wirklichen Leben zu ihnen in Gegensatz stellt und auf alten Wegen neuen, im Umriss bereits gut erkennbaren Zielen zustrebt.

 

Will man diesen Aufbruch schildern, muss man mit zwei negativen Feststellungen beginnen:

 

1. Ein echtes Angerührt sein von Problemen christlichen Bewusstseinsinhaltes, sei es vergangener, sei es künftiger Prägung, ist in diesen Kreisen nicht festzustellen, und es muss daher sehr fraglich erscheinen, ob diese Problematik in absehbarer Zukunft eine wesentliche Wirksamkeit entfalten wird.

 

2. Man lasse sich in diesem Zusammenhange nicht täuschen von den Besuchsreisen und -empfangen der heutigen orthodoxen Restkirche, die in Wirklichkeit einerseits ein manipuliertes Instrument in der Hand des Systems, anderseits ein Haupt ohne Glieder, d. h. ein synodaler Episkopat ohne pastoralen Unterbau ist, und noch weniger von den rührenden Berichten journalistischer Reporter über die zu allen Tageszeiten übervollen Kirchen. Dieser Besuch betrifft nur bestimmte und sehr, sehr wenige Kirchen, seine Relation zur wirklichen Bevölkerungszahl ist nicht ausdrückbar gering, seine Beweggründe sind zum großen Teil traditional formalistisch, zudem ist er auch im ganzen streng gelenkt und manipuliert. Entscheidend ist nicht, dass das System und seine dialektisch-materialistische Grundlegung jeden religiösen, wie insbesondere christlichen Führungs- und Geltungsanspruch nicht nur wie je ablehnt und ohne Duldsamkeit bekämpft, wo es auch nur eine erste Regung davon verspürt, sondern dass auch die Menschen, die sich vom System abgewandt haben und dafür bewusst in den Tod oder wenigstens in den Kerker gingen und gehen, dieses nicht unter dem inneren Zwange irgendeiner christlichen Berufung taten und tun, sondern — sofern die die Beweggründe der Gegnerschaft echt und innerlich sind und nicht von zufälligen äußeren Faktoren abhängig waren — aus einem Glaubensinhalt heraus, der noch zu kennzeichnen sein wird. Es scheint allerdings möglich, dass dieser Glaubensinhalt später einen engeren Anschluss an alt-neue christliche Heilslehren etwa Dostojewskijscher Prägung suchen und finden wird.

 

Trennung von Glauben und Leben.

Auf der anderen Seite kann man folgendes feststellen: so sehr die offizielle Wort- und Begriffsbildung von der Terminologie des dialektischen Materialismus geprägt wird und sich wie unwillkürlich auch auf die konventionelle Gesprächsformung überträgt — und dieses geht so weit, dass jüngere, gebildete, kritische Russen streng antisowjetischer Gesinnung im persönlichen Gespräch konterrevolutionärster Zielsetzung immer wieder in diese ihnen geläufige, wiewohl abgelehnte Symbolsprache verfallen,— so sehr schließlich jeder einzelne im öffentlichen Gespräch überhaupt nur im offiziellen Jargon sprechen und antworten kann, so total ist die Trennung von Glauben und Leben, die Spaltung von Lehre und Werk. Über den Marxismus-Leninismus als solchen diskutiert man nicht mehr, er ist Totem und Tabu zugleich, seine Worte zitiert man zwar täglich dogmatisch und zelebriert sie in den Gebärden

der Parteiliturgie, aber planen und handeln muss man im wirklichen, im täglichen Leben, als ob das alles nicht bestünde. Ein innerliches Ringen um diese Dinge, um ihren seelischen Inhalt, um eine Einheit von Dogma und Wirklichkeit, geschweige von Glauben und Leben wird gar nicht mehr versucht. Der Marxismus-Leninismus als Erweckung und Bewegung, als religiöse Pseudomorphose, was er einmal wenigstens in Ansätzen war und im ganzen sein wollte, wofür man kämpfte und notfalls starb, worüber es eine ausgebreitete Helden- und Heiligenlegende gibt, ist heute tot, und aus aller Legende kann man eine lebendige Wirklichkeit nicht mehr entzünden.

 

Als Stalin diese Entwicklung in ihren Anfängen erkannte — und dieses geschah zweifellos schon vor dem „Großen Vaterländischen Krieg“, wenn auch schon in seiner Voraussicht und Vorsorge —, mag er sich wohl zunächst nur im Sinne eines zeitbedingten Vorganges dafür entschlummernde und immer wieder jäh aufschieben haben, diese Ansätze zu einer Integration auf neuer Ebene auszunützen, um die allzu gefährliche, weil in jedem Russen brechende national-religiöse Emotion in seine Bahnen zu leiten, wenn möglich zu beherrschen, auf jeden Fall unter Kontrolle zu behalten.

 

Dieser emotionelle fanatische und fanatisierende Nationalismus des Russentums kann nicht gleichgesetzt werden irgendeinem nationalen Chauvinismus abendländischer Art, er muss ebenfalls aufgefasst werden als eine religiöse Pseudomorphose besonderer Art, in der er in der Vergangenheit wiederholt deutlich geworden ist und künftighin immer wieder wirksam werden wird. Man kann ihn vielleicht am besten veranschaulichen, wenn man sich Dostojewskijs erinnert: Ja, wir wollen den Frieden für alle Menschen, wir wollen das Heil der ganzen Welt, aber zuerst muss diese Welt russisch werden, jawohl radikal russisch! — Dieses Sendungsbewusstsein muss durchaus messianisch-eschatologisch aufgefasst werden, es hat für den heutigen, namentlich jungen Russen, der nach neuen seelisch-geistigen Wegen und Werten sucht, die gleiche Bedeutung und Faszination wie zur Zeit, als Dostojewskij ihm seine Worte lieh — und hatte wahrscheinlich lange vor Dostojewskij keine andere, wiewohl mehr gefühlte und gehandelte als gedachte Bedeutung für einen grausamen Iwan oder großen Peter.

 

Im Mantel des Gossudars.

Es war wohl so, dass Stalin und sein engerer Kreis zunächst nur dachten, die national-religiöse Erweckung als politisches Instrument auf Zeit zu aktivieren und nach Bedarf, jedenfalls nach Erfüllung des Zweckes wieder zu inaktivieren. Es kann auch nicht bezweifelt werden, dass Stalin ursprünglich ein überzeugter dogmatischer Bolschewik war oder jedenfalls glaubte, es zu sein. In dem Maße aber, als ihm die Schaffung eines Großchanats im Mantel des Gossudars als politische Notwendigkeit zur totalen Integration der Macht notwendig erschien — und es ist kein Zweifel, dass diese Zielsetzung im Ausgange seines Wirkens jede sonstige Bestrebung überschattete —, musste ihm, dem Grusinier, die national-russische Fundamentierung seiner Allmacht immer unabdinglicher erscheinen. Denn aus der Dogmatik der „Partia“ war der Anspruch des Prinzipats (zusammengesetzt aus Consulat/Premier des Miniterialrats, Tribunat/1. Sekretär der Partei und imperatorischer Gewalt/Oberster Befehlshaber aller Streitmächte, „Generalissimus“) nicht ableitbar und noch weniger die durchaus real angestrebte Stellung als „Lehrer und Vater aller Völker der Welt“ (entsprechend der des Divus der spätrömischen Cäsaren, aber auch der jedes echten Großchans), wohl aber fand jede derartige Strebung alle Hilfe in jeder Tradition des russischen Gossudars. Es mochte also dieser gewordene Prinzips und werdende Divus in seiner letzten Wirksamkeit den „neuen Kurs“ selbst schon nicht mehr als Zweckmittel der politischen Taktik, sondern als entscheidendes Instrument seiner „kaiserlichen“ Strategie angesehen haben. Jedenfalls, wie es auch sein mag, es kann nicht daran gezweifelt werden, dass Stalin, selbst wenn er es gewollt hätte, die Geister, die er gerufen, niemals mehr hätte bannen, im besten Falle sich selbst dienstbar machen können. So wurde und wird auch diese Entwicklung der jüngsten Zeit zur Demonstration der uralten Menschheitsgeschichte, dass jede dogmatische abstrakte Ideologie, welche den Gesetzen des sie tragenden Menschentums widerspricht, zwar unter Missbrauch und Entstellung ihrer selbst wie der betrogenen Masse die Macht vorübergehend erringen kann, sie aber nur festzuhalten vermag, wenn sie die eingangs geleugneten und zum eigenen Schaden verletzten Gesetze von Natur und Schicksal auf Umwegen (die immer wieder die gleichen sind) anerkennt und in Kraft setzt. Die abstrakte Dogmatik kann dabei noch lange Zeit formal anerkannt bleiben, aber sie wird ausgehöhlt, neu ausgelegt, angepasst und schließlich umgewertet. In Russland ist dieser Vorgang heute in vollem Gange und sein Wegbereiter war Stalin selbst. Auch der Stalinismus und was auf ihn folgte und noch folgen wird, präsentiert sich als Pseudomorphose, nicht religiöser, aber politischer Prägung.

 

Flucht ins Kollektiv

Nach Stalins Tod hat sich diese Entwicklung nicht abgeschwächt, sondern eher verstärkt. Wohl ist die monumental-dämonische Gestalt des Gossudars mit dem Tode der Persönlichkeit verblasst und sein Kultus demonstrativ zurückgedrängt worden. Dieses musste geschehen, weil nur so den Diadochen Gelegenheit geboten war, wenigstens zu versuchen, die Erinnerung an Blut und Tränen allein dem großen Toten aufzulasten, und weil Diadochen zunächst immer ins Kollektiv zurückflüchten, um den Kampf um die neue Einzelmacht und ihren Kult wenigstens zu Anfang im Schutze der Anonymität führen zu können. Die großrussisch-national-messianische Grundfärbung aller massen- wie individualpsychologischen Einwirkung aber wurde dadurch nicht berührt. Die Propaganda und Verherrlichung solcher Art ging und geht unvermindert weiter, sie erfasst alle Sparten des privaten und öffentlichen Lebens, Meeting, Theater und Kino, Zeitung und Buch, Illustration und Malerei, Skulptur und Architektur, Technik und Wissenschaft. Auch die Umschreibung der wissenschaftlichen wie technischen Autoren und ihrer Priorität, die den abendländischen Leser und Zuhörer irgendwie grotesk anmutet, gehört hierher. Das Entscheidende ist aber nicht, dass solche offenbar wissenschaftlichen Fälschungen lanciert werden, sondern dass man sie annimmt, nicht nur von Seiten primitiver, sondern auch durchaus kluger und gebildeter Menschen, die sonst stolz daraus sind, kritisch denken zu können — eben weil man nicht nur annehmen, sondern glauben will.

 

 

Seite 4   In Moskau wird Russland verteidigt.  

Der Berichterstatter hat mehrmals erlebt, dass Personen der letzteren Art, die wenige Jahre zuvor sich noch selbst über die Umschreibung der Entdeckergeschichte lustig gemacht hatten, nun völlig ernsthaft diese Umschreibung nicht nur angenommen hatten, sondern durchaus bereit waren, sie zu verteidigen. Auf die Frage, wie sie denn zu einer solchen Sinnesänderung gekommen wären, sagten sie: Wir haben unsere Meinung an Hand neuer Argumente ändern müssen — und entscheidend ist: sie waren davon nunmehr fest überzeugt.

 

In welchem Maße schließlich der Mythos der Armee und des Sports als Sinnbilder der nationalen Steigerung „über Europa und Amerika hinaus“ gepflegt und zu eigen gemacht wird, ist bekannt, wird in seiner Wirkungstiefe aber wahrscheinlich im Abendland unterschätzt. Bei den letzten „echten“ Bolschewiken mag diese „Nationalisierung“ des Bolschewismus vielleicht auch heute noch den Sinn haben, ein trojanisches Pferd zur Gewinnung des eigenen wie fremden Menschentums für den Bolschewismus aufzuzäumen, in Wirklichkeit ist aber dieser Bolschewismus selbst in seinen Kadern bereits derart „nationalisiert“, dass keine Macht der Welt diese von innen her kommende Umprägung als „echte Umprägung“ aufhalten, geschweige denn rückgängig machen könnte. Der Bolschewismus hat sich solcherweise nicht nur pathetisch maskiert, sondern er ist im Begriffe, dieses Pathos nicht nur andern glaubhaft machen zu wollen, sondern es selbst glaubend anzunehmen und sich selbst darin glaubhaft zu erscheinen. Und in der Tat — es hat ja auch dieser russische Bolschewismus die von ihm im eigenen Lande erkämpfte Führung zu einer imperialen Integration solchen Ausmaßes benützt, dass jeder fühlende und denkende Russe in ihm den Verwirklicher von Zielen sehen muss, die niemand seinesgleichen noch vor kurzem auch nur zu träumen gewagt hätte (zu träumen aus seiner Seele!), während andererseits, wie er wohl versteht, jede von außen kommende Störung oder gar Zerstörung dieser Führung und ihres Apparates auch das von diesem geführte Volk – sein Volk – und dessen träumend-erträumtes Weltreich gefährden müsste.

 

Darum muss man sich darüber klar sein, dass das echte Russentum in jeder Auseinandersetzung zwischen einem äußeren Feind und seiner augenblicklichen Führung, gegen die er in Opposition stehen mag, aber die in Moskau residiert und herrscht, wie ein Mann zur Verteidigung eben dieses heiligen Moskau aufstehen wird. Denn in Moskau wird dann nicht nur der Bolschewismus, sondern noch mehr Russland verteidigt.

 

Was im Falle einer derartigen äußeren Gefährdung die Randvölker tun würden, kann von niemandem prophezeit werden, doch hat der Berichterstatter immer wieder den Eindruck gewonnen, dass mit wirksamen nationalen Partisanerien (die sich dann gleichzeitig gegen Bolschewismus und Russentum richten müssten) wahrscheinlich nur in der Westukraine, in Litauen, vielleicht auch in Abschnitten der kaukasischen und Turkovölker gerechnet werden könnte. Doch würde eine westukrainische Erhebung mehr als paralysiert werden, durch die in diesem Falle sicher gegensätzliche Einstellung der Ostukraine und Weißrusslands, wenn man von der bereits sehr starken russischen Unterwanderung gerade in diesen Gebieten absehen will. Eine Erhebung der kaukasischen und Turkovölker aber würde immer an ihrer inneren Zersplitterung und ebenfalls bereits an der sehr starken russischen Unterwanderung scheitern. - Man darf nie vergessen: Wohl ist die heutige Union ein großer Schmelztiegel, aber, während der aus- und umgesiedelte oder freiwillig in der Zerstreuung lebende Nichtrusse früher oder später so gut wie immer als Russe assimiliert wird, bleibt der Großrusse unter fremden Völkern immer russisch und assimiliert sich nicht.

 

Während sich so der äußerlich noch geformt erscheinende Bolschewismus von innen her neu gestaltet, indem er unter einstweiliger Beibehaltung seiner Terminologie auf die Verwirklichung seiner Ideologie im eigenen Lande verzichtet, eben weil er in Seelenhaltung, Kulturgefühl, Wirtschaftsformung und politischer Zielsetzung dem tiefen Zwang seines ihn tragenden Menschentums zunehmend unterliegt — vollzieht sich parallel hierzu ein zwar oberflächlicherer, aber nicht weniger bedeutungsvoller Vorgang, der das materiell-individuelle Lebensideal neu prägt. Denn die breite, insbesondere städtische Masse will nicht mehr hinter dem Westen zurückstehen, dessen Lebenshaltung und -führung sie im sterbenden Deutschland noch mit Staunen und Neid gesehen und erlebt hatte. Aber es ist nicht nur der allgemeine Anspruch auf eine Lebensart höheren Stiles, der sich immer auffälliger bemerkbar macht, so auffällig, dass die Diadochen von Anfang an mit ihm rechnen mussten, sondern es wird darüber hinaus das dringende Verlangen deutlich, die private Wunschbefriedigung von der politischen Beaufsichtigung und Einflussnahme abzulösen, die bis nun im Sinne des totalen Anspruches auf Einheit von Lehre und Leben auch die persönliche Sphäre bis ins kleinste kontrollierte. Dieses neue Wunschideal zeigt sich vorerst am stärksten im Vergnügungssektor, wird in Kino und Theater bereits deutlich, greift auf Zeitung und Buchgestaltung über und wirft erste Schatten voraus auf Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Man kann auch hier spüren, wie das national-emotionelle Neue mit der Abgedroschenheit der Doktrin erfolgreich rivalisiert, vielleicht morgen schon an erster Stelle steht. — Im ganzen kann man sagen, dass alles dies immer symptomatischer auf die Unmöglichkeit hinweist, die bisherige Erstarrung in der bereits toten ideologisch-politischen Formel aufrechtzuerhalten — insbesondere seitdem der totale Terror als Stabilisator des totalen Anspruches der Doktrin eine entscheidende Erschütterung erfahren hat.

 

Auf der andern Seite ist klar, dass ein erfolgreicher Fortgang dieser beiden großen Strebungen: der aus der Tiefe aufbrechenden nationalimperial-messianischen Hoffnung und der zunächst oberflächlich erscheinenden zivilisatorischen Erwartung für die Stabilisierung des Führungsapparates im Sinne einer volksverankerten, zunehmend als legitim empfundenen, echten Führung von größter Bedeutung werden könnte, wenn es dem heutigen, am Scheidewege stehenden Systemapparat gelingt, die ihn zutiefst bedrohende Führungskrise zu überwinden und einen neuen Goseudar zu gebären, der den begonnenen Aufbruch anerkennt, zusammenfasst, ausrichtet und vorantreibt.

 

3. Die innerpolitische Führungskrise

Ob den Diadochen die Überwindung der Führungskrise des Systems, die zutiefst ihre eigene menschliche Krise ist, im oben angedeuteten Sinne gelingen wird, hängt nicht zuletzt vom zeitlichen Verlaufe der im letzten Jahre begonnenen Kämpfe um die Gestalt der neuen Alleinherrschaft ab. Man kann vielleicht nicht mit Unrecht von einem Wettlauf mit der Zeit sprechen, denn die das System von innen- und außenher bedrängende Problematik ist so drängend geworden, dass die sie lösenden Entscheidungen nicht mehr all zulange hinausgeschoben werden können.

 

Die unmittelbare Systemkrise begann äußerlich im Anschluss an Stalins Tod, war aber wie bei jedem nicht legitim verankerten Prinzipal schon vorher in personeller wie materieller Hinsicht vorgezeichnet. Der politische Verfall vollzog sich äußerlich vor allem in zwei Vorgängen, deren jeder schon für sich allein einer politischen Katastrophe gleichkam.

 

Der erste Vorgang war die nach Form und Sache geradezu einzigartige Diffamierung des von Stalin kurz vor seinem Tode großpolitisch aufgezogenen Ärzteprozesses durch Beria, der bis dahin als des Gossudars Vollstreckungshand galt und sich selbst in dieser Rolle darstellte. Diese Diffamierung des Prozesses und damit der gesamten Justiz des toten Alleinherrschers geschah offensichtlich aus zwei Gründen: einmal, um die eigene Person und den kommenden neuen Kurs von der Vergangenheit und ihrem großen Träger so eindeutig wie möglich zu distanzieren und damit von Blut und Tränen zu reinigen, sodann, um dadurch die Möglichkeit zu gewinnen, auf schnellstem Wege den Staatssicherheitsapparat und sein entscheidendes Terrorsystem personell von allen eventuell widerstrebenden Elementen zu befreien und völlig in die eigene Hand zu bringen. Hinter allem aber sollte sich schon der neue Herr abzeichnen, der Freiheit und Frieden bringt. Dieser Vorgang war der Beginn eines Staatsstreiches und vereinigte in Berias Hand eine Macht, die automatisch die Gegnerschaft aller auf sich vereinigen musste. Hätte Beria damals den Schlussakt der totalen Machtübernahme angeschlossen, bevor sich seine Gegnerschaft sammeln und gemeinsam gegen ihn erheben konnte — vielleicht wäre ihm die Vollendung dieses Staatsstreiches gelungen, vielleicht, wenn er selbst ein Russe gewesen wäre.

 

Der Eindruck dieses Vorganges sowohl auf die breite Masse wie auf den Führungsapparat von Partei, Staat und Armee war ungeheuer. Alle bisher ausgebaute, wohl gehasste, aber kaum mehr angefochtene, weil scheinbar endgültig stabilisierte Autorität von Partei und Staat war zutiefst erschüttert. Dieses wirkte sich nach unten bis in die letzte Verzweigung aus. Jeder, der gestern noch als großer oder kleiner Natschalnik irgendeines Amtes, einer Behörde, eines Unternehmens nichts weiter zu tun hatte, als ruhend in der Befehlsgewalt seines Amtes das weiter zu befehlen, was ihm selbst vorher in kleinster Detaillierung anbefohlen worden war, und im Übrigen nur das nachzusagen brauchte, was der allmorgendlich im Radio vorgelesene Leitartikel der Prawda als Motiv des Tages (und Glaubensbekenntnis) vorgesagt hatte, wusste nun mit einem Schlage nicht mehr, was er tun, ja nicht einmal, was er sagen sollte. Denn nach der Diffamierung des „Großen Stalin“ und seiner Justiz wusste er nun nicht mehr, ob sein heutiger Befehlshaber auch morgen noch Befehlender sein würde, ob die heutige Generallinie der Prawda nicht schon morgen ins Gegenteil umgeschlagen sein könnte. Die beiden letzten großen Bücher Stalins über die Entstehung der Sprachen (deren Darstellung im Übrigen als völlige Abwendung vom dialektischen Materialismus aufgefasst werden kann!) und über die ökonomischen Probleme der Sowjetunion (kurz vor der 19. Parteiversammlung zu Anfang 1953 erschienen) verschwanden wie spurlos aus Rundfunk und Presse. Gestern waren beide Bücher noch täglich, meistens mehrmals täglich in Zeitung wie Rundfunk in jeder nur möglichen Abwandlung breitgetreten und als letzte Eingebung des menschlichen Genius nicht gepriesen, sondern als Glaubensverpflichtung auferlegt worden. In zahllosen, bis in das kleine Dorf hineinreichenden, ad hoc eingerichteten Zirkeln hatte man noch bis gestern diese Bücher diskutiert, ausgelegt, exzerpiert und auswendig gelernt. Nun über Nacht waren die Zirkel tot, sie wurden nicht aufgelöst, sie hatten nie bestanden. Das Wort vom „Großen Stalin“, bis dahin im Rundfunk an manchen Tagen bis zu 20 mal pro Stunde ausgesprochen (vom Berichterstatter wiederholt gezählt), verklang, erschien selten, wandelte sich in die Bezeichnung des Schülers und Fortsetzers des „Genius der Menschheit“, Lenins.

 

Der „Neue Kurs“

Alles sprach nur mehr vom neuen Kodex des Justizministeriums (der längst fertiggestellt in seiner Verkündigung nur durch Stalin selbst immer wieder zurückgestellt worden wäre), von der großen Amnestie (die lange geplant, aber nun endlich herauskommen könnte), von der totalen Umgruppierung der Ministerien, von der Ausschaltung des eben noch auf der 19. Parteiversammlung von Stalin neu gebildeten und groß herausgestellten „persönlichen Führungskreises“, vom „Neuen Kurs“, von Frieden und Freiheit, von der Auflösung der Lager, von der Möglichkeit geduldeter Opposition. Die allgemeine Unsicherheit, juristisch, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich (und wahrscheinlich auch militärisch) griff rasend um sich. Die Amnestie erfolgte, nicht so groß als man erwartete, aber groß genug, um zahllose Banditen aus den allgemeinen Lagern frei zu machen, mit denen niemand etwas anfangen konnte, die sich in den Städten breitzumachen begannen und allgemeine Unsicherheit verbreiteten. In Moskau und andern Städten, aber auch in der Provinz leerten sich die Magazine, im Brotvertrieb (der Lebensader des russischen Lebens) entstanden Stockungen, Transportprobleme (eine permanente Quelle russischer Schwierigkeiten auch in ruhigen Tagen) wurden brennend. Die Gerüchte jagten sich in Stadt und Land, innerhalb der Palisaden war es ruhiger als außerhalb derselben.

 

Man hat später versucht, von amtlicher Stelle für all dieses Beria verantwortlich zu machen, er allein habe alle Schwierigkeiten absichtlich inszeniert, um in der von ihm erzeugten Unordnung und Unsicherheit die Macht zu ergreifen. Dass der Ärzteprozess ein offenbarer Scheinprozess war (der durchaus dem früheren, der um das Sterben Gorkis abgerollt war, an die Seite gesetzt werden kann), wurde nicht mehr betont, die ausgesprochene Freilassung und Rehabilitierung der als systematische Mörder bezichtigten Ärzte allerdings auch nicht widerrufen, trotzdem sie von Beria ausgesprochen und durchgeführt worden war. Aber im Übrigen gab es nichts, dessen er nach seinem Sturze nicht beschuldigt worden wäre: er habe einen Staatsstreich mit westlicher Hilfe gewollt, wäre überhaupt Zeit seines Lebens (!) ein westlicher Agent gewesen, hätte danach gestrebt, den fremden Kapitalismus in das „sowjetische Vaterland“ zurückzurufen und die Ausbeutung des Menschen (sprich des russischen durch den fremden Menschen) wiederherzustellen, hätte sogar die Bildung von „kapitalistischen Nationalstaaten“ auf dem „heiligen Boden des gemeinsamen Vaterlandes“ (sprich des russischen Vaterlandes) geplant!

 

Der Prozess, der dann die Liquidation aussprach, war nicht öffentlich, kritische Beurteiler glaubten nicht, dass Beria damals noch lebte. Die Scheu vor diesem Manne war zu tief verwurzelt, als dass man annehmen könnte, selbst die ihn Verhaftenden hätten sich davon frei gemacht. Jeder von ihnen musste schnell handeln, wenn er nicht zu spät handeln wollte.

 

Alles dieses haben wir erst später, teilweise erst nach Monaten, allerdings recht genau erfahren. Wie es auch geschehen sein mag — jedenfalls, als am Morgen im Lagerrundfunk die vorher durch nichts vorbereitete lakonische Meldung durchkam, dass Beria als Verräter aus der Partei ausgestoßen, aller Ämter entkleidet, als Staatsverbrecher verhaftet sei und demnächst zur Aburteilung käme — da hielt jeder den Atem an, und gleiches geschah überall im ganzen Reich auch außerhalb der Palisaden. Alles hätte man für möglich gehalten, nur dieses niemals, zu sehr galt dieser Mann, seit Jahrzehnten Herr der Tscheka und Justiz, als unabsetzbar, zu sehr schien gerade er das Gesetz des Handelns an sich gerissen zu haben. — Dieser Sturz Berias war die zweite politische Katastrophe, aber auch sie hat noch nichts entschieden.

 

Berias Sturz

Die unmittelbare Auswirkung in den Lagern glich einem Blitzschlag auf Autorität und Regime, welche sich moralisch fallen ließen und in der ersten Zeit alle Haltung verloren. — Der Berichterstatter möchte ausnahmsweise eine Anekdote von symtomatischer Bedeutung erzählen. Die Anekdote scheint nur eine solche, in Wirklichkeit schildert sie eine Begebenheit, die sich um die gleiche Zeit nicht nur in unserm Lager, sondern in allen andern Lagern und darüber hinaus in jeder Amtsstube und Parteistube des ganzen Reiches in gleicher Weise abgespielt haben mag.

 

Wenige Minuten nach der Durchgabe der Funkmeldung über Berias Sturz stürmten der Chef des Lagers und der politischen Abteilung die Lagerstraße hoch (obwohl das Ereignis um 6 Uhr, also 3 Stunden vor dem Dienstbeginn der Offiziere geschah). Sie stürmten weiter in die Verwaltungsbaracke, wo selbstverständlich auch einige Bilder Berias (als obersten Chefs der Tscheka) hingen. Unmittelbar danach erschienen sie wieder, mit roten, erregten, aber befriedigten Gesichtern, in der Faust noch den Hammer, der die Bilder des gestern noch Allmächtigen eben zerschlug, unter dem Arm die „Trophäen“ — die zerschlagenen Bilder als demonstrativen Beweis der vollzogenen Loyalität. — Und alles vor den Augen der Gefangenen!

 

Kurze Zeit vorher, ebenfalls nach der Morgenmeldung über die Diffamierung des Ärzteprozesses, saßen der Berichterstatter und einige Russen der Lageraristrokratie zusammen. Einer von ihnen (vor seiner Verhaftung höheren Führungskreisen der Partei angehörig, später verhaftet, weil er im engsten Kreis Zweifel an der von höchster Stelle als sicher hingestellten baldigen Atlantikoffensive [1944] geäußert hatte), war naturgemäß zutiefst beeindruckt und fragte einen unmittelbar danach zukommenden Offizier (MWD), der von der Nachricht noch nichts wusste, weil er sich während der Rundfunkmeldung auf dem Gang ins Lager befunden hatte, was dieser denn nun dazu sage, man müsse dann ja wohl alle andern Prozesse, z. B. den seinen auch wieder aufrollen. Der Offizier, der unter anderen Bedingungen überhaupt nicht geantwortet hätte, stockte, sein Gesicht wurde abwechselnd blass und rot, nach längerer Zeit würgte er stockend heraus: „Ich weiß nur eines, die Regierung hat immer recht“, und entschwand.

 

Wenn es damals, nach Berias Sturz, nicht in vielen andern Lagern ähnlich wie in Workutta zuerst zum Streik und dann zum offenen Aufstand kam, so nur deshalb, weil die Mehrzahl der politischen Häftlinge sich sagte, die Krise sei bereits so tief, dass es nicht mehr nötig sei, ein persönliches Risiko zu tragen. Zumal alle, inner- wie außerhalb der Palisaden, im Hinblick auf die große Rede des Präsidenten der USA vom Frühjahr 1953 (die als einzige Rede wörtlich in den Zentralzeitungen, nicht in den Provinzzeitungen erschienen war) damals mit einem harten Druck von Westen her unmittelbar rechneten — der damals wohl viel hätte bewirken können, aber ausblieb.

 

Schlag der Armee

Zunächst wusste niemand, wer den Schlag gegen Beria geführt hatte. Kritische und erfahrene Gewährmänner aber urteilten von Anfang an, dass hierzu nur eine Macht fähig gewesen wäre, die der Armee, wenn sie sich zu einer solchen, seit Tuchatschewski nicht mehr denkbaren Willensbildung ermannt hätte. Sie urteilten, dass es letztlich ein Zweikampf zweier Nachrichtenapparate hätte sein müssen, bei dem sich offenbar der der Armee als zuverlässiger und schneller bewährt hätte. Sie waren aber sicher, dass keine Führungsgruppe der Armee eine solche Tat ohne die wenigstens stille Billigung einer einflussreichen Gruppierung auch im Zentralkomitee hätte wagen können. Es sprach vieles dafür, dass der Synchronisator (nicht Inspirator) der Aktion und der Mann, der die letzte Entscheidung traf, Woroschilow war, dem als wahrscheinlich einzigem Manne in der ganzen Union, gleicherweise in Partei, Armee und im Volk selbst zureichende Autorität und Popularität zugesprochen wurde.

 

In der Partei ist er der Held des Bürgerkrieges, dessen überragende Verdienste selbst Stalin nicht außer Acht lassen konnte, so dass er ihn zuletzt zwar völlig entmachtete (ihm angeblich nur die Inspektion der Theater beließ), aber es niemals wagen konnte, ihn aus dem öffentlichen Blick ganz verschwinden zu lassen, geschweige zu liquidieren — in der Armee war er der einzige, der in der großen Führungskrise um und nach Tuchatschewski den Schild über viele höhere und niedere Offiziere hielt, außerdem die Kolchosierung verzögerte, deren massives Anlaufen seinerzeit die Armee in so hohem Maße beunruhigte, dass W. persönlich bei St. intervenierte und tatsächlich zeitliche Milderungen erreichte, was ihm weder Stalin vergaß noch die Armee, am wenigsten aber das Volk, innerhalb dessen er bereits zur Legende wurde. — Nach Stalins Tod und der danach folgenden Neuformung des Machtapparates übernahm er das Amt des Vorsitzenden des Obersten Sowjets und damit den Rang des offiziellen Staatsoberhauptes.

 

Worroschilow handelte

Es sprach vieles dafür, dass Worroschilow eine unwiderrufliche Krise des Systems und Staates, vor allem aber der Armee, der er sich wahrscheinlich am engsten verbunden fühlt, mit allen Mitteln verhindern wollte oder wenigstens hinauszuzögern sich verpflichtet fühlte. Darum bot er wohl seine Hand, um den Sieg des Machtputsches durch Beria zu vereiteln, in dem er eine Wiederholung der Alleinherrschaft Stalinscher Prägung gefürchtet haben mochte, darum tat er auch seither offensichtlich alles, um einerseits die Stellung der Armee durch die Besetzung auch örtlicher politischer Schlüsselstellungen mit höchsten Offizieren (Wehrkreisbefehlshaber!) unangreifbarer zu machen, andererseits aber auch die Armee nicht in eine von der Partei unabhängige Stellung geraten zu lassen. Nach allem schien es, dass Woroschilow sowohl von seiten maßgebendster Armeekreise wie auch einflussreicher Kreise im Zentralkomitee als loyal angesehen wurde — und dieses gab ihm offenbar sein Gewicht gegenüber, vielleicht zwischen beiden und mag auch die kommenden, an sich unvermeidbaren Auseinandersetzungen dämpfen, ihre letzten Entscheidungen vielleicht sogar noch um einige Zeit zu verzögern. Aber W. ist alt und, wie man sagt, recht krank, er kann einmal plötzlich sterben, auch aus natürlichen Gründen, und sein Tod wird kaum ohne Folgen bleiben.

 

Man darf aber den sich abzeichnenden Kampf nicht zu einfach sehen. Wohl wird man annehmen dürfen, dass die allerletzte Entscheidung einmal zwischen den höchsten Autoritäten der Partei und der Armee fallen wird, aber zunächst scheint es eine solche höchste Autorität weder in der einen noch der andern zu geben. Solange Woroschilow lebt, wird seine Autorität innerhalb der Armee vermutlich stark genug sein, um eine Spaltung der militärischen Linie zu verhindern, aber solche gegensätzliche Strömungen bestehen ohne Zweifel schon heute und nicht nur zwischen den beiden Marschällen Schukow und Wassilewski, von denen der erste die weitgehende Souveränität der Armee stabilisieren möchte, während der zweite schon durch seine enge Bindung an Stalin seine Deckung in der Partei sucht. Zwischen beiden mag der dritte Schlüsselmarschall Bulganin stehen, obwohl auch er in der Vergangenheit eng an Stalin gebunden war. Aber, wie man an Beria sehen konnte alle derartigen Bindungen der Vergangenheit besagen im Kampf um die Macht der Zukunft nichts. Manche große Persönlichkeit mag noch ihr Profil ändern oder hat es schon geändert, ohne dass es bereits offenkundig wurde. Und niemand kann heute sagen, ob hinter den heute im Vordergrunde stehenden alten Marschällen, nicht längst Gruppen höchstgebildeter, energischer und ehrgeiziger Generalstäbler jüngerer Jahrgänge stehen, die sich recht bewusste Gedanken um die weitere Zukunft ihres russischen Vaterlandes machen und auf ihre Stunde warten.

 

Und was von der Armee gilt, gilt in erhöhtem Maße für die Partei, deren innere Geschlossenheit umso gefährdeter erscheinen muss, je mehr sie ihre „monolithische Einigkeit und Geschlossenheit“ proklamiert.

 

Es wurde bald nach Stalins Begräbnis, dessen eigentliches pomphaftes Ereignis die Proklamation des Neuen Triumvirats: Malenkow — Beria — Molotow zu sein schien, immer offenkundiger, dass sich hinter der Kulisse des Triumvirats Machtkämpfe von entscheidender Bedeutung abspielten. Wie diese vor sich gingen und heute weitergehen mögen, ließ und lässt sich nur vermuten. Immerhin gab es große und kleine Zeichen, welche erfahrenen und personalkundigen Beobachtern, wie es die Gewährmänner des Berichterstatters waren, Schlüsse von nicht geringer Wahrscheinlichkeiten ermöglichten.

 

Die Machtkämpe im Kreml

Da war zunächst Malenkow. Seine Stellung war bereits zu Beginn der Machtübernahme undurchsichtig, ja zweideutig. Er galt mindestens seit dem Herbst 1949, als er die große Novemberrede unter dem Leitspruch „Befehl ist Befehl, und zwar für alle“ hielt, als der erklärte Kronprinz des höchsten Herrn und stellte sich selbst als bedingungslosen und zutiefst ergebenen Schüler und Gefolgsmann bei jeder Gelegenheit heraus. Auf der Tribüne des Leninmausoleums stand er bei der Abnahme der großen Partei-Armee-Staatsaufmärsche zur Linken Stalins, und dieses bedeutete den ersten Platz in der offiziellen Rangliste. Als aber Stalin starb, war er es, der in der programmatischen Grabrede den Ruhm des großen Toten sehr gedämpft sang, aber in den Vordergrund die Notwendigkeit einer kollektiven Führung gegenüber der nicht parteigerechtfertigten persönlichen Herrschaft und ihres Kults stellte. Und im gleichen Tone sprach Beria, während Molotow von einer tiefen (glaubhaften) Rührung erfasst schien und sich fast nur mit der Person des zu Grabe zu Tragenden in menschlich herzlichster Weise beschäftigte. Dann kam die Diffamierung und Inhibierung des Ärzteprozesses, und dieses war die Diffamierung der Rechtsgrundlage des vergangenen Prinzipals. Es muss als unmöglich angesehen werden, dass dieses, wenn auch von Beria initiiert, ohne Billigung Malenkows geschah, der damals immerhin schon Vorsitzender des Ministerrates und noch Sekretär des Zentralkomitees war. Als dann Beria gestürzt war, wurde amtlich herausgestellt, dass die „in letzter Stunde von dem Vorsitzenden des Ministerrates im Zentralkomitee gemachten Ausführungen die Aufdeckung und Unschädlichmachung der verbrecherischen Verschwörung ermöglicht hatten“. Um diese Zeit war Beria offenbar längst verhaftet oder schon tot. Von Krustschew war damals noch keine Rede. Wohl war er, der „Zar der Ukraine“, noch zu Lebzeiten Stalins nach Moskau in das Politbüro berufen worden, wohl wurde seine Bedeutung offenbar immer größer, er hielt sich sowohl bei der großen Umgruppierung auf der 19. Parteiversammlung vor wie bei der kurz darauf erfolgten zweiten großen Umgruppierung nach Stalins Tod in der Spitzenführung der Partei, aber in der ersten Zeit des Triumvirats bis zu Berias Sturz war oder hielt er sich im Hintergrund. Dann aber schied Malenkow aus dem Sekretariat der Partei aus, die „Trennung der Gewalten zwischen Partei und Staat“ wurde proklamiert, und Krustschew übernahm (praktisch allein) das Sekretariat des Zentralkomitees und damit die gleiche Ausgangsbasis des Machtkampfes, von der aus Stalin seinen Weg zur Alleinherrschaft begonnen hatte. Über das anschließende immer offenkundigere Auseinanderklaffen der Ansichten über die Gestaltung des „Neuen Kurses“ zwischen M. und K. und über die immer massiver werdenden, öffentlichen Angriffe des letzteren gegen den ersteren wird noch zu sprechen sein. Wichtig ist, dass um diese Zeit der Einbau von Wehrkreisbefehlshabern in örtliche Gebietssekretariate begann, worauf bereits hingewiesen wurde.

 

Nach sorgfältiger Abwägung dieser und anderer Indizien hielten es meine Gewährsmänner für möglich, dass Malenkow dem geplanten Staatsstreich Berias näher stand, als er nachher wahrhaben wollte. Vielleicht hatte er sogar Grund, zu erwarten, dass, wenn nicht die Armee, so doch entscheidende Teile ihrer Führung mit Beria gemeinsame Sache machen würden, um das absolute Regiment „der Partei“ zu stürzen. Wenn Malenkow um diese Zeit schon Grund hatte, zu fürchten, dass Krustschew in der Partei auf die Dauer der Stärkere sein würde, diese ihm also als „Hausmacht“ keinesfalls länger zur Verfügung stünde (wie er zu Stalins Lebzeiten noch mit Sicherheit erwarten durfte), dann könnte es gewesen sein, dass er den in der Partei, d. h. im Zentralkomitee bereits drohenden Verlust der Führung durch die Rückendeckung bei Beria und der Armee wettmachen wollte. Als sich dann aber herausstellte, dass ein Zusammenhang zwischen den letzteren nicht möglich war, blieb ihm nur mehr die Preisgabe Berias und die „Flucht in die Armee“ und zu Woroschilow. Die Armee andererseits (verstanden als die Vertreter der militärischen Souveränität) musste auf jeden Fall gegen den persönlichen Putsch Berias und gegen die Allmacht des Zentralkomitees stehen und brauchte ihrerseits eine Stütze im ZK und im Staat. Beides vermochte Malenkow zu bieten, denn um diese Zeit stand sicher noch eine starke Gruppierung im ZK hinter ihm und den Staat beherrschte er als Vorsitzender des Ministerrates, solange er nicht von der Partei abberufen wurde. Dazu aber war damals seine Stellung in der Partei noch zu stark und die Krustschews noch nicht stark genug.

 

Malenkows Stellung

So spricht vieles dafür, dass die Stellung Malenkows nicht annähernd so entscheidend ist, wie sie außerhalb der Union angesehen wird; vor allem in keiner Weise mit der Stellung Stalins verglichen werden darf. Vielleicht kann man ihn am ehesten als einen Platzhalter der Macht betrachten, der so lange bleiben wird, bis die letzten entscheidenden Machtkämpfe ausgetragen werden, die sich wahrscheinlich doch zwischen einem durch Krustschew „wieder integrierten ZK“ und den dann einflussreichsten Machtträgern abspielen werden. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Krustschew heute wesentlich älter ist, als es Stalin zu Beginn seines Aufstieges zur Macht war, und — dass Malenkow um fast 10 Jahre jünger ist. Auch aus diesem Grunde wird viel davon abhängen, wie lange Woroschilow noch lebt. — Aber nochmals sei betont, dass die Lösung der Staatskrise umso schwieriger werden muss, je länger die Lösung der Führungskrise hinausgeschoben wird.

 

Was schließlich die zum Machtkampf parallele Entwickelung im Staatssicherheitsapparat selbst angeht, war es naturgemäß nur möglich, allgemeine Anhaltspunkte der Beurteilung zu gewinnen. Sicher schien, dass die bisher (trotz aller periodischen Umgruppierungen) lückenlose Tradition von der ursprünglichen Tscheka über GPU und NKWD zum MGB einen entscheidenden Bruch erfuhr und die bisherige Allmacht dieses in sich hermetisch abgeschlossenen, nur dem höchsten Machtträger unterworfenen und ihm allein dienenden Systems in ihren Grundlagen erschüttert wurde. Fortsetzung folgt.

 

 

Seite 5   Stiftungsfest der Landsmannschaft Ostpreußen Kreisgruppe Stuttgart.

Der Rahmen der Feier war in diesem Jahr besonders weit gesteckt. In eigner Regie hatte die Kreisgruppe Stuttgart der Landsmannschaft Ostpreußen einen Dokumentarbericht über Königsberg und die 700-Jahrfeier in Duisburg herausgebracht, der am 25.09.1955 in einer Matinee in Wort, Ton und Bild uraufgeführt wurde. Es war ein kühner Versuch der Kreisgruppe, der durchschlagende Erfolg hat das Werk gekrönt.

 

Die Matinee im Lindenmuseum bildete den Hauptteil des Stiftungsfestes. Schon vor Beginn der Vorführung war der Saal voll besetzt und mancher Landsmann fand keinen Einlass mehr.

 

Der 1. Vorsitzende Krzywinski begrüßte die erschienenen Gäste, insbesondere die Ehrengäste.

 

Als zur Einleitung der Feier die Toccata in d-moll von Joh. Bach ertönte, herrschte schon eine spannungserwartende Stille. Es erlosch das Licht im Saal und mit dem Erklingen der Fanfaren von Tschaikowski „Capriccio italien“ wurden Bilder von der Weichsel, den Ordensburgen und des Königsberger Schlosses gezeigt. Es waren ganz hervorragende Aufnahmen, die im Verein mit der sich steigernden Musik die Spannung bei den Zuschauern ständig erhöhte.

 

Mit dem Verklingen der Musik und nach einer kleinen Pause wurde eine mannigfaltige Reihe von prächtigen Farbbildern von Königsberg und dem herrlichen Ostseestrand gebracht. Um den Bildern Wärme und Leben zu verleihen, waren sie von einer Unterhaltung einer Königsberger Flüchtlingsfamilie (Vater, Mut und erwachsenen Sohn) umrahmt. So wurden die Erschienenen bei diesem Gespräch und Austausch von Erinnerungen durch ganz Königsberg geführt. Man hörte und sah: u. a. den Königsberger Dom, die Universität, den Hafen mit großen Überseedampfern, die Lastadienspeicher, den Seekanal und in vielfacher Gestalt den Ostseestrand. Dies Gespräch war so ermunternd dazu noch in vertrauten Heimatlauten gehalten, dass man glaubte, mit dabei zu sein. Sehnsucht nach der geliebten Heimat wurde wach. Insbesondere die belehrenden Erklärungen des Vaters an den Sohn brachten im Einklang mit den Bildern und unter Hinweis auf unsere großen Denker: Hamann, Herder und Kant den gewaltigen kulturellen und wirtschaftlichen Impuls, der von Königsberg nach Osten und Westen ausstrahlte, in Erinnerung.

 

Die Feier erreichte ihren Höhepunkt, als die getragene Weise des Liedes „Land der dunklen Wälder“ ertönte und Bilder mit ostpreußischen Wäldern und Seen gezeigt wurden, die der ergreifenden Stimmung des Liedes entsprachen. Es setzte eine geradezu feierliche Stille im Saal ein. Ein jeder verharrte ergriffen in Andacht. Sodann: ein herrliches Bild mit der untergehenden Abendsonne und ihre Spiegelung in der See zeigte wohl symbolhaft an unser Schicksal und das unserer engeren Heimat.

 

Selbst Vater, Mutter und Sohn im Tonband waren derart ergriffen, dass ihre Fahrt nach Duisburg zur Königsberger 700 -Jahrfeier eine Selbstverständlichkeit war.

 

Es folgte nun die Vorführung der Feier in Duisburg. Als Grundlage diente das von der Stadt Duisburg aufgenommene Tonband. Es war erheblich gekürzt worden, so bei den Ansprachen der Festreden, bei den Musikstücken war es abgeändert worden.

 

Auch hier waltete Landsmann Storck als Meister des Bildes. Die von ihm selbst in Duisburg gemachten Aufnahmen brachte er mit einer derartigen Exaktheit im Einklang mit dem Tonband zur Schau, dass man glaubte einen Farbfilm zu sehen, ja man war selbst in Duisburg. Man sah: das gewaltige Stadion angefüllt mit vielen Tausenden von Landsleuten, Gruppen in verschiedenen Trachten, die liebe, alte Königsberger „Domglocke“, man hörte sie auch läuten, man sah die Ehrentribüne mit Agnes Miegel, Feldmarschall Küchler, u. a. m. Umrahmt waren die vielen Bilder vom Marsch der „alten Kameraden“ von dem Fehrbelliner Reitermarsch und dem Niederländischen Dankgebet.

 

Mit der Rede von Dr. Gille und dem Deutschlandlied klang die erhebende Feier aus. Es gab wohl kaum einen Landsmann, der nicht ergriffen und in Gedanken versunken den Saal verließ.

 

Mit Fug kann man sagen: es war eine wirkungsvolle und gelungene Feier.

 

Mögen die ehernen Töne der alten Domglocke besonders unserer Jugend tief in das Herz dringen und sie ermahnen, unserer lieben ostpreußischen Heimat die Treue zu bewahren.

 

Es soll schließlich nicht verschwiegen werden, dass der Kulturreferent der Landsmannschaft Dannat die Regie zu diesem Dokumentarfilm geführt hat unter rühriger Mithilfe von Landsmann Schedwill und Stork. Diesem gebührt besonderes Lob für seine wunderbaren Aufnahmen und seine aufopferungsreiche Tätigkeit bei der Vorführung.

 

Bei der Feier am Nachmittag im Freizeitheim Feurbach herrschte die leichte Muse. Es wurden ostpreußische Volkstänze von der Jugendgruppe unserer Landsmannschaft unter ihrem Leiter Rieß aufgeführt. Sodann wurde zum Tanz aufgespielt. Unterbrochen wurde er durch weitere Vorträge wie Rezitationen von Dr. Lau — früher Königsberg — aus seiner Dichtung „Schabbelbohnen“, die sehr viel Beifall fanden. Großen Beifall erntete auch Frau Knecht mit ihren Jodlergesängen zum Akkordeon.

 

Diese fröhliche, dennoch gediegene Feier brachte das Fest zum Abschluss.

 

 

Seite 5   Seesen a./H.

„Lebe beständig! Kein Unglück ewiglich“

Diesen Ausspruch des Preußenkönigs nahm Obmann Papendick zum Motto seiner einleitenden Ausführungen über „Preußentum und Geist von Potsdam“ gelegentlich des Heimatabends der Ost- und Westpreußen am 03.09. — Die amerikanische „Sonntagspost“ in Minnesota schrieb darüber vor kurzem: „Der deutsche wirtschaftliche Aufschwung ist zu einem großen Teil der Zähigkeit der Vitalität und der Genügsamkeit der Vertriebenen zu danken. Hier war der härtende und belebende Gegensatz zum weicheren Wesen des westlichen und südlichen Deutschen. Eine neue Rasse ist entstanden. Preußen ist abgeschafft und zum alten Eisen geworfen. Aber diese 10 bis 12 Millionen haben Preußen bis an den Rhein und die Isar getragen. Das Wirtschaftswunder ist nicht zum wenigsten eine preußische Leistung“. — Der eindrucksvolle heimatkundlich-historische Vortrag von Hilfsschullehrer Fenske über das ostpreußische Ermland wurde durch schöne Lichtbilder veranschaulicht. Auch Reg.- Rat z. Wv. Augustin erntete für seine Ausführungen „Zur Kanzlerreise nach Moskau“, die auf einem Kommentar des Russlandexperten Prof. Starlinger basierten, verdienten Beifall. — Die beliebte Vortragskünstlerin Lina Fahlke bereicherte das abschließende gemütliche Beisammensein durch Mundartgedichte aus „Starker Tobbak“ von Wilhelm Reichermann.

 

Wieder „wie zu Hause“ war es bei der Erntefeier der Ost- und Westpreußen am 1. Oktober im „Ratskeller“. Die Mitglieder dieser Heimatgemeinschaft sind allmählich zu einer großen Familie zusammengewachsen und füllten die mit Herbstblumen geschmückten Festräume bis zum letzten Platz, als Obmann Papendick in seiner Eröffnungsansprache die Gedanken seiner Landsleute auf die einstmals so reichen goldenen Ährenfelder der altpreußischen Heimat richtete, deren Ernteüberschuss weitere fünf bis acht Millionen Deutsche ernährte. In bunt wechselnden Szenen aus dem Erntebrauchtum der Heimat, die mit Eifer und Hingabe nach einer Vorlage der Heimatdichterin E. v. Olfers-Batocki von allen Altersklassen über den kleinen Buben hin bis zum alten Mütterchen eindrucksvoll gestaltet wurden, erstand das Leben und Schaffen des Pflügers, des Sämanns und der Schnitter bis zur Krönung durch den Erntezug mit der Überreichung der Erntekrone an das glücklich-dankbare Bauernpaar. Lieselotte Donnermann, Alfred Fenske und Bruno Scharmach ernteten für die gediegene Vorbereitung des Heimatabends nicht enden wollenden Beifall. Im geselligen Teil glänzten besonders Werner Pasenau, Willi Blaesner und Sander-Münchehof durch heitere Gesangsvorträge und Lina Fahlke mit Gaben ostpreußischen Humors. — Die Ostpreußenstunde am 5. November wird im Zeichen der Tonfilme „Kurenfischer“. „Sowjetzone ohne Zensur“ und „Kopernikus“ stehen.

 

 

Bornhausen.

Einen symbolischen „Erntedank“ nach heimatlichem Brauch in Form von Früchten und Erträgen aus Feld und Garten, Wald und Bergwerk überreichte Landsmann Bluhm im Auftrag der hiesigen Ortsgruppe dem Kreisvorsitzenden der Ost- und Westpreußen in Seesen gelegentlich der dortigen Erntefeier. Der Ertrag der Verlosung dieser 20 Geschenkbeutel, die ein Gewicht bis zum halben Zentner erreichten, wurde dem Kulturfonds überwiesen.

 

 

Achtung! Grundbuchunterlagen!

Dem Archiv für Grundbesitz in Bad Ems liegen Grundbuchunterlagen für folgende ostpreußische Grundbesitzer vor, die sich beim Archiv zur Registrierung melden können:

 

Hermann Broszio, Großgarten, Amtsgericht Angerburg;

 

P. R. Langwenus und Helene Langwenus, geborene Smuikat, Kickwieden, Amtsgericht Ebenrode;

 

Ewald Sudau,  Mandtkeim, Amtsgericht Fischhausen;

 

Rudolf Schrock und Elise Schrock, geb. Schlien, Friedland, Amtsgericht Friedland;

 

Hermann Karrasch, Groß-Rogallen, Amtsgericht Gehlenburg;

 

Helene Balschun, geb. Neubauer, Serguhnen, Amtsgericht Goldap;

 

Paul Bluhm, Serguhnen, Amtsgericht Goldap;

 

Alfred Braun, Serguhnen, Amtsgericht Goldap;

 

Eduard Buttgereit und Helene Buttgereit, geb. Neukamm, Serguhnen, Amtsgericht Goldap;

 

Franz Tobuschat und Martha Tobuschat, geb. Bleier, Wittighöfen, Amtsgericht Goldap;

 

Wilhelm Bartlich und Maria Bartlich, geb. Lotzmann, Groß-Rogallen, Amtsgericht Gehlenburg;

 

Johann Sczesny und Wihelmine Sczesny, geb. Sobolewsky, Belzonzen, Amtsgericht Gehlenburg;

 

Ludwig Sowatzki und Gertrud Sowatzki, geb. Wilk, Großrosen, Amtsgericht Gehlenburg;

 

August Raphael, Sulimmen, Amtsgericht Gehlenburg;

 

Kurt Moderegger und Helene Moderegger, Kleehagen, Amtsgericht Gumbinnen;

 

 Paul Kuhnigk, Lauterwalde, Amtsgericht Guttstadt;

 

Otto Schönfeld und Klara Schönfeld, geb. Müller, Groß-Lüdtkenfürst, Amtsgericht Heiligenbeil;

 

Ewald Nitsch, Beuern, Amtsgericht Heiligenbeil;

 

Heinrich Behrendt, Gassen, Amtsgericht Heinrichswalde;

 

Wilhelm Thelieps und Marie Thelieps, geb. Warzeil, Gnieballen, Amtsgericht Heydekrug.

 

 

Seite 5   Aus der Turnerfamilie.

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg(Oldb), Gotenstraße 33.

 

Unsere herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstage entbieten wir allen im Oktober 1955 geborenen Turnschwestern und Turnbrüdern, besonders zur Vollendung eines vollen Jahrzehnts

 

am 15.10.1955: Klaus Meißner, Zoppot (30 Jahre),

 

am 27.10.1955: Edeltraut Engel, Turngemeinde Danzig (40 Jahre),

 

am 29.10.1955: Helmut Rott, Konitz (50 Jahre),

 

am 04.11.1955: Elfriede Bartsch, Frauenturnverein Königsberg (70 Jahre) und

 

am 19.11.1955: Paul Kalcher, KMTV 1842 Königsberg (70 Jahre).

 

Die Patenstadt für den Turn- und Sportverein von 1861 Pr. Holland hat der Männer-Turnverein von 1858 Itzehoe in einer Feierstunde am 27.08.1955 übernommen. Itzehoe ist Patenstadt von Stadt und Kreis Pr. Holland. Der jetzige Bürgermeister von Itzehoe Joachim Schulz, früher Bürgermeister von Pr. Holland, dann Landrat des Kreises Pr. Holland war auch Vorsitzender des TuS Pr. Holland.

 

Einige Turnvereine haben 1955 Mitgliedertreffen gelegentlich von Heimattreffen oder bei sonstigen Anlässen veranstaltet. Ich bitte, mir kurze Berichte darüber zu geben, wenigstens Ort, Zeit, Teilnehmerzahl und Leiter, um sie in den Jahresrundbrief aufzunehmen, der wiederum zu Weihnachten erscheinen soll. Auch andere Berichte aus dem früheren Vereinsleben oder über jetzige Erlebnisse von Mitgliedern oder ihre Tätigkeit im Deutschen Turnerbund könnten in den Jahresrundbrief aufgenommen werden. Onkel Wilhelm.

 

 

Siedlerschule Katlenburg

Der Ausbau der Siedlerschule, der Mitte Juli begonnen wurde, schreitet rüstig voran. Nach Fertigstellung des Beispielstalles wird mit dem Ausbau der Werkräume für die hauswirtschaftlichen Lehrgänge begonnen. Ebenso erhält die Schule eine vielseitige Anlernwerkstätte für Holz- und Eisenbearbeitung. Das Mädchenwohnheim soll auch noch vor Einbruch des Winters fertiggestellt sein. — Inzwischen beginnt am 24. Oktober 1955 der nächste Hauptlehrgang, der wieder in zwei Semestern durchgeführt wird. Der Grundausbildungslehrgang (1. Semester) dauert bis Ostern 1956, das Aufbausemester vom 16. 04.1956 bis zum 31.08.1956. In den Grundausbildungslehrgang können noch Bewerber (Mindestalter 19 Jahre, Mindestpraxiszeit 3 Jahre, Nachweis des Besuchs der Berufsschule) aufgenommen werden. Für Flüchtlinge und Vertriebene werden je nach Bedürftigkeit volle oder anteilige Ausbildungshilfen aus LAG-Mitteln auf Antrag gewährt. Auch Einheimische können, wenn sie bedürftig sind, in Zukunft Beihilfen erhalten. Die Schule stundet bis zur Bewilligung alle Gebühren. Anmeldungen schnellstens erbeten an die Verwaltung der Siedlerschule Katlenburg/Harz, Kreis Northeim/Hann.

 

 

 

Seite 5   Wir gratulieren!

 

Eugen Reuser, Abt.-Leiteri. R. der Graph. Kunstanstalt in Königsberg/Pr., vollendete am 12. Oktober 1955, sein 79. Lebensjahr. Jetziger Wohnort Salzgitter-Lebenstedt, Am Bauerngraben 4.

 

Fräulein Evelyn Dohnke, aus Braunsberg (Ostpreußen.), jetzt wohnhaft in Warendorf/Westf., zur Ablegung des ersten theologischen Examens vor der Prüfungskommission der Evangelischen Landeskirche von Westfalen, nach Abschluss ihrer theologischen Studien an den Universitäten Münster, Göttingen und Marburg. Den Lesern der „Ostpreußen-Warte“ wird Frl. Dohnke aus ihren Artikeln über ihre ostpreußische Heimat noch in Erinnerung sein.

 

Frau Margarete Mertineit geborene Korsch aus Mohrungen/Ostpreußen, vollendet in Seesen am Harz, Lautenthaler Straße 50, am 12. November 1955, ihr 70. Lebensjahr.

 

Frau Elina Schischke geborene Schelonka, aus Braunsberg in Ostpreußen, jetzt in Seesen am Harz, Bornhäuser Straße 4 wohnhaft, wird am 26. November 1955, 78 Jahre alt. Sie hat bisher an jedem landsmannschaftlichen Heimatabend teilgenommen.

 

Der Bauer Otto Krause, aus Althof, Kreis Pr.-Eylau (Ostpreußen), vollendet am 28. Oktober 1955, in Bornhausen Nr. 182 (über Seesen am Harz) sein 70. Lebensjahr.

 

Am 19.09..1955: vollendete Frau Marta Kolitz, geborene Kuhn, Witwe des im Februar 1947 in der Sowjetzone verstorbenen Zementwaren und Grabsteinfabrikanten Fritz Kolitz. aus Zinten (Ostpreußen) ihr 70. Lebensjahr. Sie wohnt jetzt in Hannover-Buchholz, Meersmannufer 78.

 

 

Seite 5   Lultgau I!

Gesucht werden folgende Angehörige des ehemaligen Luftgau I:

 

Reg.-Rat Dombrowski und

 

Reg.-Rat Heusser;

 

Ob.-Zahlmeister Günter Mertens,

 

die Angestellten Paul Scheiba , Wilhelm Weber und Werner Skibbe vom Lgk. I, Abt. IV a 2 b 2, gesucht von ehem. Ob. Zahlmeister d. B. Otto Klein, wohnhaft Wismar/ Mecklenburg, am Köpernitztal 20.

 

Oberstabsintendant Gustav Joraschkewitzt, geb. 1905, Fl.-Horst Kmdtr. Neukuhren, später Muna Blumenau, gesucht von Frau Marta Güldner, Eilte 18 über Schwarmstedt/Nieders.

 

Reichs-Angestellter Albert Rohn, geb. 28.10.1889 zu Königsberg (Pr.), letzte Wohnung: Königsberg, Herbartstraße 10a, zuletzt beim Volkssturm Tiergarten. Gesucht von seinem Sohn Dieter Heinz Rohn, geb. 11. 05.1940 in Bromberg. Mitteilung an Frau Margarete Scholz, 20a) Fallingbostel, H. Wildungstr. 4.

 

Hauptmann Bosse, Fl.-Horst Komp. Prowehren, Stabsfeldw. Heinz Fröhlich und Ofw. Schulz von der Flugleitung Prowehren, Ofw. Walter Pfohl von der Flugleitung Seerappen, Stabsfw. Heinrich von der Flugleitung Schippenbeil, Oberstleutnant Horn vom Lgk. I (Splitterboxenbau!) gesucht von Erich Kehl, 13a) Ellingen/Bayern, Neue Gasse 140.

 

Edwin Schwohl, Flugwerk-Prüfer, Fl.-H. Thorn, Werft-Prüfgruppe, Heinz Murach, Statistiker, wohnhaft in Königsberg, Sackheim, Prüfgruppe Seerappen und Gutenfeld, Helmuth Hellwich, Statistiker, wohnhaft Ostseebad Rauschen — Ort, Prüfgruppe Gutenfeld gesucht von Wilhelm Gramsch, Celle, Waldweg 83.

 

Oberst Jakoby und Generalmajor Saul, früher Nafü I gesucht von Toni Fuchs, Mannheim-Sandhofen, Lorscher Str. 3.

 

Otto Rösnick, Obergef r., geb. 02.09.1900, zuletzt Flugleitung Seerappen und Pillau-Neutief. Letzte Wohnung: Königsberg, Jägerstr. 55, gesucht von seiner Ehefrau Anna Rösnick, 22) Hilden/Rhld., Eilerstraße 3.

 

Techn. Inspektor Erich Bach, geb. 07.12.1914, bis 1941 beim Fl.-Horst Neuhausen, dann bei der Höheren Luftnachrichtessschule in Köthen, von dort nach Cottbus, zuletzt Einsatz in der Tschechei, dort seit Mai 1945 vermisst. Wer kennt den Gesuchten und kann bestätigen, dass er Berufssoldat war? Mitteilungen an seine Ehefrau, Annemarie Bach, 20a) in Zernien b. Lüchow-Dannenberg erbeten.

 

Bei allen Anfragen bitte ich Rückporto beizufügen. Wilhelm Gramsch, 20a) Celle, Waldweg 83, Tel. 4734.

 

 

Der Göttinger Arbeitskreis veröffentlichte als jüngste Neuerscheinung seiner ostdeutschen Schriftenreihe (Heft 55) „Scharnhorst“ von General a. D. Hoßbach.

 

 

 

Seite 5   Memel und Allenstein

Die Memelländer der LM Ostpreußen begingen am „Tag der Heimat“ in Mannheim die Erneuerung der Patenschaft dieser Stadt über das Memelgebiet aus dem Jahre 1926. Der seitherige Oberbürgermeister Mannheims, Dr. Heimerich, wurde zum Ehrenbürger der Arbeitsgemeinschaft der Memelländer ernannt. Der Bundessprecher der LM Ostpreußen, Dr. Gille, MdB, sprach sich für eine sinnvolle Ordnung in Osteuropa aus, wie sie bis zum ersten Weltkrieg bestanden hat. Am Ende des letzten Krieges habe der gemeinsame Kampf gegen den Bolschewismus Litauer und Memelländer, einstige Gegner, in Freundschaft zusammengeschweißt. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Oberregierungsrat i. R. Richard Meyer, dankte der Patenstadt unter anderem für die Einrichtung einer geschichtlichen Dokumentarschau und der qualifizierten Kunstausstellung „Maler in Nidden“ in der Städtischen Kunsthalle.

 

 

Über 4000 Allensteiner wohnten dem zweitägigen Jahreshaupttreffen in der Patenstadt Gelsenkirchen bei. Der gastgebende Oberbürgermeister, Geritzmann, gab bei einem Empfang für die Allensteiner Stadtvertretung Gelegenheit zur Aussprache über die weitere Entwicklung der Patenschaft. Der Allensteiner Stadtvertreter, Loeffke, dankte der Stadt Gelsenkirchen für die bisherige Unterstützung, insbesondere bei der Allensteiner 600-Jahrfeier im Vorjahr, gab der Hoffnung auf Schaffung eines Allensteiner Traditionsraumes in der Patenstadt Ausdruck und betonte, dass Gelsenkirchen für die Allensteiner immer nur Etappe, nur Atempause, niemals das Ziel sein dürfe. Das Ziel und Zuhause heiße Allenstein. Der stellvertretende Stadtvertreter, Pfarrer Kewitsc h gedachte der Toten und der noch in Allenstein befindlichen 500 Landsleute. Die Stadtvertreter Loeffke und Kewitsch wurden wiedergewählt.

 

 

Die Ostpreußen des Kreises Mohrungen begingen in einer erhebenden Gedenkstunde die 650-Jahrfeier ihrer Heimatstadt Saalfeld in der Patenstadt Gießen.

 

 

 

Seite 6   Der „Tag der Deutschen“ in Berlin. Von unserem Berliner Mitarbeiter Wolfgang Greiser.

Foto: Die machtvolle Kundgebung in der Berliner Waldbühne. Aufn.: Wunicke

Den fesselnden Auftakt zum „Tag der Deutschen“ in Berlin bildeten bereits eine Woche zuvor zwei Ausstellungen in den Rathäusern der Bezirke Schöneberg und Charlottenburg. Ostdeutsch Schaffende aus Malerei und Plastik erfüllten hierbei, was den Veranstaltern vorschwebte: Für die Jugend das Land der Väter lebendig zu erhalten. Drei Maler hatten diese Ausstellungen beschickt: Kate Sambale, Franz Sikora und Georg Kupke als Schlesier, Georg Lehmann und Werke von Pechstein, Maye-Pyritz als die Rufer des norddeutschen Ostens. Zehntausend Vertriebene besuchten diese Ausstellungen in wenigen Tagen mit dem Ergebnis, dass als erster Westberliner Bezirk Schöneberg die Patenschaft der Schlesier in Berlin übernommen hat. Friedenau umbenennt seinen Rathaussaal in „Schlesiersaal“, und die Berliner Schulen benennen ihre Klassen fortan nach Orten aus dem Osten. Es gibt seit diesen Tagen also in den Schulen Berlins eine „Memelklasse“, eine Klasse Königsberg, Stettin, Breslau usw. Kleine Geschehnisse — aber wichtig genug, als Auftakt zum „Tag der Deutschen“ recht ernst genommen zu werden.

 

Dann ist da ein anderes gewesen, das auch noch zum „Auftakt“ gehört. In der Stadt, in der man am besten für die alte Heimat demonstriert, wurde, wie der fast gleichzeitig in Berlin anwesende Bundespräsident erklärte, „in einem Augenblick, der geschichtliches Gewicht bekommen kann“, ein Mahnmal auf dem Reichskanzlerplatz errichtet, dessen Flamme bis zum Tage der Wiedervereinigung brennen und die Inschrift beleuchten wird „Freiheit — Recht — Friede“. Zur Einweihung dieses Steinblocks mit der eisernen Feuerschale darauf, waren, wie zu alle den übrigen Veranstaltungen, mit Zehntausenden Deutschen aus Ost und West u. a. auch anwesend der Bundesvertriebenenminister und der Minister für gesamtdeutsche Fragen, die Abordnungen aller Landsmannschaften der Bundesrepublik wie auch die Delegationen sämtlicher westdeutschen Landtage, eintausend weitere westdeutsche Gäste, die Repräsentanten der Exilgruppen der ost- und südosteuropäischen Länder, Vertreter aus Polen, Rumänien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei, alle: schicksalsverbunden mit denen, die die Träger dieser Veranstaltung waren und im Sternmarsch zum Mahnmal gekommen sind, den Berlinern aus allen Schichtungen und den im Landesverband der Heimatvertriebenen-Berlin mit ihrem Vorsitzenden Dr. Alfred Rojek.

 

Eingedenk der gegen jedes sittliche und göttliche Gesetz der Menschheit verstoßenden Austreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat vor nunmehr 10 Jahren, war auch eine Anzahl Grußbotschaften führender Männer des deutschen Volkes in Berlin eingegangen. Wo diese Botschaften zur Verlesung kamen, hatten sich im Rahmen einer Delegiertentagung zahlreiche Gäste neben den Vertretern der Landsmannschaften der Vertriebenen, der westdeutschen Länderparlamente, der Vereinigten Landsmannschaften der Sowjetzone und des Berliner Landesverbandes der Vertriebenen eingefunden.

 

Drei leere, mit Trauerfloren umspannten Sitzreihen im Parkett wurden zum symbolischen Ausdruck für jene die als Vertreter der 18 Millionen Deutsche im sowjetischen Gebiet nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnten. Nicht ein „Deutscher Tag“, sondern ein Tag der Deutschen sei dieses Treffen, betonte Bundestagsabgeordneter Ernst Lemmer, dessen Frage, ob wohl noch ein anderes großes Volk die Amputation, die sich am deutschen Volkskörper vollzog, mit so viel politischer Disziplin hingenommen hätte, wie wir. Ein objektives Unrecht in Recht zurück zu verwandeln sei daher die Aufgabe einer Zeit, in der alle Welt wie es das deutsche Volk bereits getan hat, einen Schlussstrich ziehen sollte unter die Politik des Hasses. „Wir werden keinen Weg gehen, der uns das Vertrauen des Westens kosten könnte, und nur ein ehrlicher Friedensvertrag wird unsere Grenzen zum Osten hin einmal endgültig regeln können“. Ich bin der Meinung, dass die Worte, die in der Magna Charta der Heimatvertriebenen niedergeschrieben sind, noch in später Zukunft als ein Ausdruck politischer Reife eine sehr spät zum politischen Selbstbewusstsein gekommenen Volkes würdig werden dürfen. Hier ist kein Gefühl des Hasses, kein Gefühl der Vergeltung zum Ausdruck gekommen. Somit vereinigt uns keine Demonstration des Chauvinismus, aber es sei freimütig gesagt, dass die Normalisierung der Beziehungen zwischen West und Ost kein sanftes Ruhekissen für die Politik der deutschen Wiedervereinigung ist, im Gegenteil. Die Regierung der sowjetzonalen Republik ist für uns und für die Welt so lange kein legitimierter Faktor, keine Sprecherin irgendeines Teils der Bevölkerung unseres Landes, solange sie nicht die Möglichkeit gegeben hat, durch Wahlen, durch echte Wahlen freier Parlamente sich diese Legitimation einzuholen. Wir erklären von vornherein, dass wir den Mehrheitswillen der Bevölkerung in Thüringen und in Sachsen, in Mecklenburg und in Brandenburg — ganz gleich, wie er ausfallen würde — bei einer echten Wahl vorbehaltlos respektieren und anerkennen werden. Dies spreche ich Insbesondere auch aus im Gedanken an die 18 Millionen Brüder und Schwestern, die im Gebiet zwischen Oder und Neiße und dem Quellgebiet der Werra leben. Sie sollen von dieser Stelle aus zur Kenntnis nehmen, dass wir uns nicht zuletzt hier in dem Gedanken an ihr Schicksal versammelt und vereinigt haben ... Und wenn wir hier wie anderwärts auch von den Grenzen im Osten sprechen müssen, so ist das weder eine Bosheit noch ein Zufall. Das muss nur einfach deshalb geschehen, weil die westlichen Grenzen unseres Landes im Wesentlichen keine Veränderung erfahren haben. Wenn das deutsche Grenzproblem allein in östlicher Perspektive erscheint, bedeutet das also nicht, dass wir unter irgendwelchen antisowjetischen Komplexen leiden. Es ist vielmehr die Realität, dass die östlichen Grenzen eines wiedervereinigten Deutschland erst durch einen Friedensvertrag festgestellt werden können. Es kommt darauf an, dass wir Deutschen aus der geistigen und seelischen Enge herauskommen und hinstreben zu der großen brüderlichen Duldsamkeit, über alle Gegensätze in unserem Volksleben hinweg, weil nur in dem Maße, wie uns das gelingt, das Gewicht unserer volklichen und nationalen Existenz verstärkt werden kann.

 

Wie die Ausführungen des Abgeordneten Lemmer immer wieder von starkem Beifall begleitet, bzw. unterbrochen wurden, so widmeten die Anwesenden auch der Rede des Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses Willy Brandt stärkste Aufmerksamkeit. Wir entnehmen seinen gehaltvollen Ausführungen, als gültig für jeden wahren Deutschen, die Sätze:

 

Das deutsche Volk hat die bitteren Erfahrungen seiner jüngsten Vergangenheit nicht umsonst gemacht. Es hat daraus gelernt, und so lebt in ihm nicht nur eine große Sehnsucht, nein, in ihm lebt, in ihm muss leben ein unbändiger Wille, dass wieder zusammengefügt wird, was willkürlich und widernatürlich auseinandergerissen wurde. Was für andere ein Strich auf der Landkarte sein mag, ist für uns ein Schnitt quer durch Millionen unserer Familien und mitten durch das Herz unseres Volkes. Niemals werden wir uns damit abfinden! Niemals wird Europa Ruhe finden, wenn den 70 Millionen Deutschen das Recht auf nationale Einheit vorenthalten bleibt. Wer das Recht der volklichen Einheit für sich selbst in Anspruch nimmt, darf es anderen nicht bestreiten wollen. Wer es ernst nimmt mit der Befriedung Europas, muss zur Widervereinigung der Deutschen „Ja“ sagen. Durch kein wie immer geartetes oder bereitetes Linsengericht werden wir uns das Erstgeburtsrecht abkaufen lassen.

 

Wir sind zusammengekommen, um den Blick nach vorn zu lenken und damit eine Erklärung entgegenzunehmen, die einem Appell gleich kommen soll für die ganze Welt. Sie lautet:

 

„Zum Tag der Deutschen“ am 10. und 11. September 1955 haben sich in Berlin Abgeordnete der frei gewählten Parlamente der Bundesrepublik einschließlich Berlins sowie Vertreter aller deutscher Landsmannschaften im Gedenken der Teilung Deutschlands und der Vertreibung von Millionen Deutscher vor zehn Jahren aus ihren Heimatgebieten zusammengefunden.

 

Wir erklären vor der Weltöffentlichkeit:

 

1. Die Vereinigung der willkürlich geschaffenen Teile Deutschlands in Frieden und Freiheit ist die einmütige Forderung aller Deutschen. Ohne ein geeintes Deutschland gibt es keinen Frieden in der Welt.

 

2. Wahrer Frieden wurzelt in Gerechtigkeit. Gerechtigkeit muss allen Völkern werden.

 

Das durch das internationale Recht und durch die Atlantik-Charta verbürgte Selbstbestimmungsrecht, das Recht jedes Volkes, seine politische und soziale Ordnung in voller Freiheit sich selbst zu geben, gilt für alle Völker,

 

3. fehlt.

 

4. Millionen von Menschen ist unter Bruch menschlichen Rechtes und aller göttlichen und sittlichen Gesetze die Heimat geraubt worden. Das Recht auf Heimat muss als ein Menschenrecht von allen Völkern anerkannt und verwirklicht werden, um diese Vergewaltigungen gutzumachen und ihnen für alle Zukunft ein Ende zu setzen.

 

5. Jedes Volk hat das Recht, in voller Freiheit seine eigenen Werte zu bewahren, zu entwickeln und dadurch seinen Beitrag zur Kultur der Menschheit zu leisten.

 

6. Wir bekennen uns zu einem politisch geeinten Europa. Dieses geeinte Europa kann nur aus der Gemeinschaft freier Völker erwachsen.

 

In der „Waldbühne“.

Hier waren im weiten Rund Zehntausende versammelt, als sie von Dr. Rojek, dem 1. Vorsitzenden des BLV, begrüßt wurden. Er bezeichnete die Waldbühnenkundgebung als eine Tagung, die sich in Berlin stellvertretend für alle Deutsche zusammengefunden hat, um dem Appell Ausdruck zu verleihen, dass bei Ablehnung jeglicher Gewalt der Ruf, endlich herauszukommen aus dem Ghetto der Nachkriegszeit von aller Welt gehört und verstanden werden müsse. — Baron Manteuffel setzte seinen Worten von der Delegiertentagung hinzu, dass bei allem Gefühl der eigenen Verpflichtung das Gefühl der verpflichtenden Liebe zum Volk nicht zu kurz kommen dürfe, zumal sich der Geist wahrer Demokratie nicht in Formalien bewegt, sondern damit, dass alle diejenigen, die zusammen etwas wollen, mögen die äußeren Ausdrucksformen auch gelegentlich verschieden sein, ja, sich aneinander stoßen, doch zusammengehören. — Dr. Gille, der das Treffen in der Waldbühne damit kennzeichnete, dass es zum ersten Male dazu geführt hat, auf breiter Front zu einmütigen Grundsätzen zu kommen und damit einer echten Volksdeutschen Begegnung Ausdruck zu verleihen. Zum Mut des Schweigens sei jedoch auch der Mut hinzuzugesellen, zu sagen, was die Stunde erfordert und damit fortan in keiner Hinsicht mehr nur eine Rolle zu übernehmen, die uns nur schwach sieht.

 

Besonderen Beifall fanden die Worte, die Minister Kaiser an die Anwesenden richtete. Mit Worten des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Prof. Suhr, der das Treffen als ein Vorparlament des Tages der endgültigen Vereinigung des deutschen Volkes bezeichnete, und mit dem Deutschlandlied wurde die „Waldbühnen-Kundgebung“ beendet. Die Teilnehmer gingen einem lichthellen Sonnenmittag entgegen, um ausklingend in ihren einzelnen Versammlungslokalen, und damit im jetzt engeren Kreis, nachwirken zu lassen, was sie als Motto in den Alltag mitnehmen wollten, dass Einigkeit und Recht und Freiheit das Unterpfand ihrer Zukunft sein und bleiben müsse.

 

 

Seite 6   7. Stiftungsfest der Ost- und Westpreußen in Hamm (Westf.)

Die Kreisgruppe der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen Hamm (Westf.) feierte im Feldhaus die siebenjährige Wiederkehr ihrer Gründung. Die Feierstunde, die der alten Heimat in Lied und Gedicht gewidmet war, wurde von dem Mandolinenorchester unter der Leitung von Karl Fehr umrahmt. Der Vorsitzende der Landsmannschaft Rudolf Schaefer hielt in seiner Eröffnungsansprache einen Rückblick auf die landsmannschaftliche Arbeit der vergangenen Jahre. Der Erfolg der Jahre sei, sagte er, dass die Landsmannschaft trotz Meinungsverschiedenheiten, doch zu einer großen Familie zusammengewachsen ist, die ihr heimatliches Kulturgut, ihre Sitten und Gebräuche pflegt und fördert.

 

Er dankte dem Bundeskanzler für sein Bemühen um die Rückkehr der Kriegsgefangenen und sprach die Hoffnung aus, dass es bald allen Landsleuten vergönnt sei, in die Heimat zurückzukehren. Er beendete seine Ausführungen mit einem stillen Gedenken an die alte Heimat im Osten, die es eines Tages auch wieder gilt aufzubauen und ein deutsches Wunder zu vollbringen, an die Toten des Krieges und der Vertreibung und an die vielen Brüder und Schwestern, die noch heute unter schweren Bedingungen in der Heimat leben. Das gemeinsam gesungene Ostpreußenlied beendete die Feierstunde!

 

Der zweite Teil des Abends, der unter dem Motto „Ostpreußischer Humor“ stand, lag in den Händen des bekannten ostpreußischen Heimatdichter und Schriftsteller Dr. Lau (z. Z. Bad Grund).

 

Er rief die Landsleute, und vor allem die Jugend auf, die ostpreußische Mundart zu pflegen und somit dieses heimatliche Kulturgut zu erhalten. Leider stelle man heute in den Reihen der Jugend immer wieder fest, dass die Kenntnis dieser Mundart nicht mehr bestehe. Er rezitierte aus seinen humorvollen Erzählungs- und Gedichtwerken. Diese heitere Plauderei in der ostpreußischen Mundart, die auch vom Mandolinenorchester Herringen umrahmt wurde, wird noch lange in Erinnerung aller Anwesenden bleiben.

 

Der Ausklang des Abends gehörte der leichten Muse, wo in fröhlich geselliger Runde das Tanzbein geschwungen wurde. W. B.

 

 

Seite 6   Heimatwoche 1955 in Hof (Saale)

Der Verband der Landsmannschaften, Kreisverband Hof, dem die gleichen Organisationen der Sudetendeutschen, der Schlesier, der Oberschlesier, der Pommern, der Balten, der Ost- und Westpreußen sowie der Verband der Sowjetzonenflüchtlinge angeschlossen sind, veranstaltet zusammen mit dem Hofer Heimat- und Kulturvereinen unter der Schirmherrschaft des Herrn Oberbürgermeisters Hans Högn aus Anlass der zehnjährigen Vertreibung eine Heimatwoche vom 09.10. bis 16.10.1955.

 

Wie allgemein der „Tag der Heimat 1955“ steht die Kulturwoche unter dem Motto „Gewalt verjährt — Recht währt“. Sie soll den Heimatgedanken, der neben so vielen anderen ideellen und sittlichen Werten unserer Zeit bedroht ist, bei den Heimatvertriebenen und bei den Heimatverbliebenen in gleicher Weise stärken und festigen. Schon im vorigen Jahr ist es dem VdL gelungen, mit den einheimischen Heimatverbänden den „Tag der Heimat“ zu begehen und ihn zu einer eindrucksvollen Kundgebung für den Heimatgedanken zu machen.

 

Wir Heimatvertriebenen wissen, welch ungeheure Kraft wir in den vergangenen zehn Jahren aus dem Begriff Heimat geschöpft haben. Wer anders als wir, denen die Heimat geraubt wurde, haben all die Werte besser erkannt und erfühlt, die aus dem Wurzelboden der Heimat fließen! Es mag widersinnig klingen: die verlorene Heimat ist das Band, das die Vertriebenen überall zusammenhält und eint. Heimattreue und Heimatliebe sind vielleicht noch nie so stark und inbrünstig gewesen wie in unseren Tagen. Sie gilt es weiter zu stärken und zu festigen.

 

Wir wollen aber auch, dass die, denen ein gütiges Geschick die Heimat ließ — unser einheimischen Freunde — den hohen sittlichen und kulturellen Wert, der aus dem Begriff Heimat fließt, erkennen. Sie möchten die verpflichtenden Bindungen sehen, sie pflegen und bewahren.

 

Aus solchem tiefen Heimatbewusstsein könnte ein wachsendes Verständnis zwischen Binnen- und Ostdeutschen entstehen. Am Ende wird dann der gemeinsame Wille alle großen deutschen Schicksalsfragen lösen, die wir in Ost und West mit heißem Herzen ersehnen.

 

Die Veranstalter der Heimatwoche in Hof (Saale) haben sich von derartigen Gedanken bewegen lassen. Wir wollen als sichtbaren Ausdruck unserer Überzeugung in der nordostoberfränkischen Grenzstadt Hof — dicht gelegen vor dem Eisernen Vorhang — ein acht Meter hohes, weithin sichtbares Mahnmal errichten. In der diesjährigen Heimatwoche wird der Grundstein dazu gelegt. Das Mahnmal soll in Stein gemeißelt die Worte tragen „Treue der Heimat“, „Gerechtigkeit“, „Freiheit“, „Friede“. Die Stirnseite des Males wird sich nach Osten wenden. Die Worte und sein Leuchtfeuer werden zu den aus der Sowjetzone kommenden und dahin fahrenden Deutschen weisend und deutend sprechen.

 

 

Flensburg

Die Landsmannschaft Ostpreußen hielt am 7. September ihre Monatsversammlung in der Aula der Mädchen-Mittelschule ab. Nach Eröffnung durch den 3. Vorsitzenden, Herrn Bocian, gab dieser bekannt, dass Herr Schulrat Babbel infolge Krankheit an der Versammlung nicht teilnehmen kann. Anschließend erfolgte die Totenehrung für die in den letzten Monaten verstorbenen Landsleute. Herr Bocian erteilte dann Herrn Rietenbach das Wort zu seinen Vorträgen aus der Sozialgesetzgebung und dem LAG.

 

Anschließend gab der Redner Hinweise auf die interne Arbeit der Landsmannschaft. Er verwies auf die vorgesehenen Veranstaltungen, wie sie nachstehend aufgeführt sind:

 

2. November, 19.30 Uhr, Mädchen-Mittelschule (Simon Dach und Johanna Ambrosius); 5. November, 20 Uhr, Versammlung der Königsberger Heimatstube; 27. November, 15 Uhr, Heimatstube — Alten Kaffee; Monatsversammlung Dezember fällt aus; 4. Dezember, 15 Uhr, Heimatstube, Alten Kaffee; 9. Dezember, 19.30 Uhr, Allgem. Adventsfeier, Großer Saal „Neue Harmonie“; 4. Januar 1956, 19.30 Uhr, Monatsversammlung, Vortrag über die Satelliten-Staaten (Dr. Kob); 11. Februar, 19 30 Uhr, Kappenfest (Gewerkschaftshaus); 7. März, 20 Uhr, Heimatabend (Näheres wird noch bekanntgegeben); 18. April, 19.30 Uhr, Generalversammlung (Mädchen-Mittelschule).

 

Herr Bocian dankte dem Redner für seine aufschlussreichen Ausführungen. Der Vorstand wurde durch die Versammlung beauftragt, dem erkrankten 1. Vorsitzenden der Landsmannschaft Ostpreußen beste Wünsche für die Genesung der Versammlung zu unterbreiten.

 

 

Seite 6   Lustige Stunden mit Dr. Lau

Unter der Überschrift „Plidder-Pladder“ —„Schabbelbohnen“ meldet der BVD-Dienst Niedersachsen vom 5. Oktober 1955:

 

Dr. Alfred Lau, der Verfasser der ostpreußischen Gedichtbändchen „Schabbelbohnen“ und „Plidder-Pladder“, erschienen im Verlag Gräfe & Unzer, hat sich bereit erklärt, anlässlich von landsmannschaftlichen Veranstaltungen der Kreis- und Ortsgruppen in Niedersachsen Rezitationen aus seinen humorvollen Arbeiten in ostpreußischer Mundart und Platt vorzutragen. Eventuelle Anforderungen bitten wir, direkt an Herrn Dr. Alfred Lau, Bad Grund (Harz), Hubichweg 16, zu richten. Da Herr Dr. Lau beruflich tätig ist, kommt nur das Wochenende in Frage. Honorar wird nicht beansprucht, nur die tatsächlich anfallenden Spesen bittet Herr Dr. Lau, ihm zu vergüten. (Anmerkung der Schriftleitung: Wie wir auf Anfrage erfahren, ist Dr. Lau auch bereit, außerhalb Niedersachsen auf Einladung zu erscheinen. So war er kürzlich z. B. in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Er bittet lediglich darum, für die Veranstaltungen einen Sonnabend oder Sonntag zu wählen.)

 

 

Seite 7  Entromantisierung des Rückkehrwillens der Vertriebenen. Von Prof. M. H. Boehm / Ostdeutsche Akademie Lüneburg

Die Auseinandersetzung der Ostvertriebenen mit ihrer neuen Umwelt im Westen, ob sie nun in stärkerem Maße zur Einschmelzung oder zur Eingliederung der Millionenmassen von „Neubürgern“ führt, ist ein dynamischer Vorgang, der sich von Jahr zu Jahr unter allmählich veränderten Bedingungen fortsetzt. Vergleicht man die Rolle, die die Vertriebenen in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft im Westen in Stadt und Land spielten, mit ihrer heutigen Lage im Bund und in den Ländern, dann kann man allerdings feststellen, dass sich in erheblichem Maße eine neue soziale Differenzierung innerhalb der Vertriebenenmassen selber durchgesetzt hat, weil natürlich dieser Prozess der Einfügung in eine sich gleichzeitig wandelnde Sozialordnung individuell und gruppentypisch stark variiert. Man darf auch nicht vergessen, dass vor 10 Jahren nicht nur ein Regime und ein von ihm aufgebautes, weithin aufgeblähtes Staats- und Gesellschaftsgebilde zusammengebrochen ist. Die Maßnahmen, zu denen sich die unter sich uneinigen Besatzungsmächte auf Grund der „bedingungslosen Kapitulation“ berechtigt und sogar verpflichtet glaubten, haben den Fortbestand des deutschen Volkes als staatlich-nationale Ganzheit so tief in Frage gestellt, dass es in einem viel problematischeren Sinne als etwa 1648, 1815 oder 1848 wieder eine „deutsche Frage“ als europäisches Problem gibt, auf die die Geschichte einstweilen nur vorläufig und mit Improvisationen und Experimenten antwortet, deren Dauererfolg noch immer schwer zu ermessen ist. Eine in sich selber noch fragwürdige, auf provisorische Notstandsmaßnahmen gegründete Sozialordnung ist von sich aus nicht fähig, in nachhaltigem und endgültigem Sinne zu assimilieren. Auf alle Fälle handelt es sich dabei nicht um einen Vorgang einseitiger Angleichung, sondern tiefgreifender Wechselwirkung zwischen Einheimischen und Vertriebenen.

 

Stellt man nun in zehnjährigem Rückblick die Frage, in welcher Richtung sich in diesem Zeitraum Haltung und Einstellung der Ostvertriebenen zu ihrem Schicksal gewandelt haben, dann sind dabei die folgenden Punkte besonders zu beachten:

 

1. In den ersten Zeiten nach dem Zusammenbruch war unter den Vertriebenen die naive Meinung weit verbreitet, eine Wahnsinnstat wie die Zwangsverpflanzung dieser Millionenmassen in den Westen könne keinen längeren Bestand haben. Der unbedingte Wunsch zur Rückkehr war weithin ein Reflex für absolute Verelendung und Verzweiflung und setzte sich in rational unbegründete Hoffnungen auf baldige Rückkehr in die alte Heimat um. Diese Illusionen sind in der Breite der Vertriebenenmassen zusammengebrochen und haben mehr und mehr der Bereitwilligkeit Platz gemacht, sich praktisch zum mindesten auf eine relative Dauer des Zwischenzustandes der Vertreibung umzustellen. In überraschendem Maße erwiesen sich die zwangsweise Entwurzelten gerade auf Grund ihrer Heimatfähigkeit und traditionellen Bodenständigkeit auch als fähig zur Wiedereinwurzelung in einer veränderten Umwelt. Es setzte damit ein Vorgang der Akklimatisierung der Vertriebenen im Westen ein, der in diesen zehn Jahren erheblich fortgeschritten ist.

 

2. Hieraus entwickelte sich ein Sozialproblem der Ostvertriebenen, das verbands- und parteipolitisch vorgetrieben wurde und auf Wiederherstellung wohlerworbener Rechte (besonders z. B. der Beamten-, Angestellten- und Sozialrechte) sowie auf Besitzentschädigung und Existenzbefestigung in den Ländern der Bundesrepublik durch einen gerechten Lastenausgleich gerichtet war. Obgleich die dahinzielenden Maßnahmen von Bund und Ländern die Vertriebenen weder im Ausmaß und Tempo noch in der Form befriedigen konnten, hat sich eine weitgehende Kleinrenten abzugelten, fielen die Hauptvorteile des westdeutschen Sanierungswerkes denen zu, die ohne stärkeren Kapitalbedarf wirtschaftlich unselbständig oder bereit waren, sich auf eine solche Existenzform umzustellen. Eine durchgreifende Radikalisierung der Ostvertriebenen wurde hauptsächlich dadurch verhindert, dass die Vertriebenen durch die Formen der Entschädigung und sozialen Restituierung am Wirtschaftsaufschwung der Bundesrepublik und an stabilen Verhältnissen in Sanierung gegenüber der Nullpunktexistenz von 1945 vollzogen. Infolge der herrschenden Zeittendenz, schon aus grundsätzlicher Besitzfeindlichkeit Vermögensverluste durch Staat und Gesellschaft existenziell mitinteressiert wurden, die dem einzelnen den sozialen Wiederaufbau und allmähliche neue Vermögensbildung erleichtern.

 

3. Die endgültige Resignation im Hinblick auf die verzögerte Rückkehrmöglichkeit konzentrierte sich infolgedessen hauptsächlich auf die Herde der sog. strukturellen Arbeitslosigkeit. Soweit diese örtlich oder landschaftlich bedingt war, schufen die wachsende Freizügigkeit, der energisch vorwärtsgetriebene Wohnungsbau und die planmäßige Umsetzung von Vertriebenen in Gegenden mit besseren Marktbedingungen einen spürbaren Ausgleich. Dauernd benachteiligt blieben bestimmte Berufsgruppen (besonders in der Landwirtschaft, die sich dem bitteren Schicksal der Deklassierung am schwersten entziehen kann und daher z. T. zur überseeischen Auswanderung drängt) und die Altersklassen mit geminderter Arbeitsfähigkeit, die übrigens auch auf die Möglichkeit einer Rückkehr keine ernsten Hoffnungen setzen können und daher der absoluten Resignation anheimfallen, im Übrigen aber langsam absterben. Hier hat daher auch ein rein romantisches und retrospektives Verhältnis zur guten alten Heimat seinen festesten Platz, dessen praktisch-politische Bedeutung gering ist.

 

4. Eine natürliche Differenzierung der Einstellung zur alten Heimat vollzieht sich durch den Generationenumschlag. Zwischen dem echten Heimaterlebnis und der daraus erwachsenden Treue zur angestammten und altgewohnten Heimat bei den älteren Generationen und dem rein bildungsmäßigen, pietätvollen Verhältnis zur Väterheimat, das dem Nachwuchs nur durch Elternhaus und Schule vermittelt werden kann, besteht kein gradmäßiger, sondern ein wesensmäßiger Unterschied. Wird von der Jugend (aus der Denkweise der Älteren heraus) eine unbedingte Treue zur alten Heimat verlangt, der die natürliche Erlebnisgrundlage fehlt, dann ist das Ergebnis, wie die Erfahrung schon nach zehn Jahren lehrt, besonders im Pubertätsalte t ein übersteigerter und verkrampfter Protest. Da zugleich damit den Jungen die Einwurzelung in der neuen Wohnheimat ihrer Eltern gefühlsmäßig erschwert wird, verlieren sie nicht nur die letzten gefühlsmäßigen Bindungen an die Väterheimat, sondern leiden an ihrer Heimatfähigkeit überhaupt Schaden.

 

5. Die Folge dieser Umschaltung im Bewusstsein der Heimatvertriebenen ist besonders bei der Jugend, aber auch bei großen Teilen der mittleren Generation eine offenkundige Entromantisierung des Rückkehrwillens. Auch die unverkennbar tiefen Strukturveränderungen in den östlichen Herkunftsgebieten unter bolschewistischer Diktatur lassen sich nicht übersehen und wirken in derselben Richtung auf die Einstellung zur alten Heimat ein. Die Volkstumssubstanz der Ostvertriebenen verändert sich im Laufe der Jahre auch biologisch durch steigende Versippung mit einheimischen Familien, die allerdings besonders in den Aufnahmegebieten mit starker Überfremdung durch Vertriebene auch das vererbte Stammestum der Einheimischen in Sitte, Brauch und Lebensstil, zum Teil sogar in der Sprache spürbar abwandeln. Die positive Auswirkung dieser Entwicklung kann darin bestehen, dass gerade das ererbte Stammestum der Einheimischen in Sitte, Brauch und Lebensstil, zum Teil sogar in der Sprache spürbar abwandeln. Die positive Auswirkung dieser Entwicklung kann darin bestehen, dass gerade durch Ausgleich der anfänglichen Spannungen zwischen Einheimischen und Vertriebenen die innere Bereitwilligkeit, sich an einer künftigen Wiederbesiedlung persönlich zu beteiligen, auch auf wahlverwandte Elemente der westdeutschen und süddeutschen Bevölkerung übergreift.

 

Für die Breitenarbeit der Landsmannschaften ergeben sich aus diesen Tatbeständen, die Größtenteils unausweichlich sind, wichtige Folgerungen, die schon heute in der Gruppenarbeit durchdiskutiert werden sollten. Die Schwierigkeiten für die praktische Arbeit namentlich in den Ortsgruppen ergibt sich daraus, dass die heimatpolitischen Bemühungen der landmannschaftlichen Führung an der Unsicherheit ihrer politischen Voraussetzungen und damit an einem gewissen Mangel an konkreten Zielsetzungen leiden, soweit sie über die bloße Anmeldung unabdingbarer Heimatrechte hinausgehen. Für eine Wiederbesiedelung des besetzten Ostens, deren Vorbedingung die Wiedervereinigung der Bundesrepublik mit der Sowjetzone ist, lassen sich weder Tag und Stunde, noch der Umfang des künftig verfügbaren Siedlungsraumes im Osten und die politischen Begleitumstände der Rücksiedlung voraussehen. Je länger sich der ersehnte Augenblick der Rückkehr in den Osten hinauszögert, desto mehr gewinnen alle Überlegungen konkreter Art, die sich auf die Rückkehr beziehen, den Charakter von Gedankenexperimenten im luftleeren Raum. Der

unaufhaltsame Prozess einer Desillusionierung unserer ostpolitischen Vorstellungen, dem sich die Landsmannschaften nicht entziehen können, kann und muss dadurch ins Positive gewendet werden, dass wir uns von allen Hoffnungen auf mechanische Wiederherstellung früherer Zustände abkehren und innerhalb wie außerhalb künftiger ostdeutscher Hoheitsgebiete auf eine tiefgreifende und konstruktive Neugestaltung aller kulturellen, sozialen und politischen Verhältnisse schon jetzt unseren Blick richten.

 

Entscheidend ist, dass der Osten nicht unserer Verantwortung als Volk unter Völkern und als Volk der umfassendsten Osterfahrung im westlichen Europa entgleitet, wofür gerade im Zuge der Eingliederung der Ostdeutschen in der Bundesrepublik erhebliche Gefahr besteht, sondern dass im Gegenteil die landsmannschaftlich zusammengeschlossenen Heimatvertriebenen aus dem Osten im Herzen Deutschlands selber die zuverlässigen Bürgen unserer fortbestehenden Ansprüche auf Siedlerboden und Wirkungsraum in Ostmitteleuropa bleiben. (Entnommen dem „Ostbrief“ der Ostdeutschen Akademie Lüneburg.)

 

 

Seite 7   Eine neue Zeitschrift Bertelsmann Drei.

„Bertelsmann DREI“ ist der Titel einer neuen Monatszeitschrift, deren erste Nummer soeben erschienen ist. Die reichhaltig ausgestattete Zeitschrift ist so geplant, dass sie der ganzen Familie etwas gibt: sie bringt Beiträge über das neue, spannende und wichtige aus allen Gebieten und richtet ihr besonderes Augenmerk auf interessante Begebenheiten und Schicksale, die jeden Menschen berühren. Im ersten Teil der Oktobernummer beginnt die Lebensgeschichte Bulganins und Chruschews, geschrieben vom früheren Sowjet-General und Gewerkschaftspräsidenten Gregory Bessedowsky. Eine große Farbreportage über das Zukunftsprojekt „Kraft durch Sonne“ berichtet umfassend über die Möglichkeit, Sonnenenergie der menschlichen Zivilisation nutzbar zu machen. Im zweiten Teil, der Unterhaltung und Wissen dient, stehen Erzählungen von Carl Zuckmayer und Somerset Maugham und ein großer China-Bericht von Anton Zischka. Der dritte Teil des Heftes wendet sich vornehmlich an die Frau und bringt psychologische Beiträge zur Eheberatung, die neuesten Berichte über die Herbstmode, Ratschläge für gemütliches Wohnen, Spartipps sowie einen heiteren Familienroman. Das Einzelheft mit 148 Seiten, davon über 50 Seiten zwei- oder vierfarbig, kostet 2,-- DM.

 

 

Seite 7   Wrack der „Wilhelm Gustloff“ gehoben.

Stettin. Das Wrack der „Wilhelm Gustloff“ ist zehn Jahre nach der Versenkung von Marine- und Bergungskommandos gehoben worden. Dies teilte kürzlich die polnische Fachzeitung für Binnenschifffahrt mit. Das mit 6000 Menschen — vorwiegend Frauen, Kindern und Verwundeten besetzte 25 000 BRT große Passagierschiff war Ende Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot nördlich von Swinemünde torpediert worden. Nur rund 800 überlebten die Katastrophe. Das Wrack, in dem sich noch einige tausend Leichen befinden, soll auf Grund gesetzt und später in Swinemünde abgewrackt werden.

 

 

Seite 7   Paul Lindenau gestorben.

Der Seniorchef der Lindenau-Werft in Kiel-Friedrichsort, Paul Lindenau, ist im Alter von 72 Jahren unerwartet verstorben. Er gehörte zu den ältesten Mitgliedern der Schiffbautechnischen Gesellschaft und des Verbands der Seeschiffswerften. Die von ihm in Friedrichsort nach dem Kriege aufgebaute Werft zählt zurzeit mehr als 400 Beschäftigte. Paul Lindenau besaß früher eine Werft in Memel, auf der unter anderem die „Helgoland“ für die Hapag gebaut wurde. Während des Krieges musste die Werft nach Pillau verlegt werden. Zusammen mit seinem Sohn Harald und einem Teil seiner Memeler Mitarbeiter baute Paul Lindenau nach dem Zusammenbruch seine Werft in Kiel-Friedrichsort wieder auf.

 

 

Seite 7   Dr. Karl v. Buchka

beging am 23. September 1955 in Freiburg an der Niederelbe seinen 70. Geburtstag. In Göttingen geboren, besuchte er Gymnasium und Universität in Göttingen und vollendete sein rechts- und staatswissenschaftliches Studium in Berlin. Er trat in den Verwaltungsdienst, war Regierungsrat in Aurich und wurde Landrat des Kreises Kehdingen und dann des Kreises Goldap in Ostpreußen. Im zweiten Weltkrieg wurde er als Divisionsadjutant schwer verwundet und geriet in englische Gefangenschaft. 1948 wurde er CDU-Bezirksvorsitzender in Stade und ist seit 1953 Mitglied des Bundestages.

 

 

Seite 7   Ostdeutschland heute. Eine erschütternde Zehnjahresbilanz.

Im Rahmen einer „Ostbrief“ benannten Schriftenreihe hat die Ostdeutsche Akademie in Lüneburg soeben eine Schrift von Dr. H. v. Krannhals veröffentlicht, die mit wissenschaftlicher Nüchternheit das Schicksal der deutschen Landschaften jenseits von Oder und Neiße untersucht, die heute unter polnischer Verwaltung stehen. In den vergangenen zehn Jahren kam es dort nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung — die sich noch heute erheblich auf den zivilisatorischen Zustand dieser Gebiete auswirkt — nach einer sowjetischen Demontage zu einer polnischen „Demontage-Spetlese“, so dass im Endergebnis mit Fug und Recht von einer „Demontage der Landschaft“ gesprochen werden kann.

 

Aber auch die Form des sich unter polnisch-kommunistischer Wirtschaftsführung vollziehenden Aufbaus hat Entwicklungen verursacht, die das Gesicht dieser deutschen Provinzen erheblich veränderten. „Infolgedessen lässt sich noch jetzt, nach 10 Jahren, feststellen, dass zwar mit einer Hand ein Auf- und Neubau dort betrieben wird, wo es der Staat aus wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Gründen für dringend erforderlich hält, dass aber andererseits mit der anderen Hand laufend weiter demontiert wird, weil es vor allem an Menschen mangelt denen die bestehenden, von Deutschland übernommenen Einrichtungen dienen können“.

 

 

Seite 8   Neuer Film „Die Barrings“. Die Uraufführung ist für den 27. Oktober 1955 in Hannover vorgesehen.

Foto: „Wenn man Schwein haben will, muss man ein Schwein haben!“ sagte Sonja Sutter, die junge Münchener Filmschauspielerin, und holte sich ein Ferkel aus dem Stall des Landwirts Max Drews. Neben ihr: Schauspieler Paul Hartmann sowie Curt Troue, der Leiter des städtischen Verkehrsamtes der Reiterstadt Verden, der die Außenaufnahmen bei Kl. Häuslingen organisierte. Bild: Lena Bruns

Foto: „Halt Dich lest!“ mit Fried Barring (Dieter Borsche) seiner Schwägerin Gisa (Sonja Sutter) zu. „Ich kann mich nicht mehr halten!“ ist die Antwort. Kurz darauf geht die Schimmelstute durch und bald ereignet sich der schwere Sturz von Fried Barring, der an dessen Folgen stirbt. Bild: Lena Bruns

 

Verden. Die Filmschauspielerin Sonja Sutter eroberte sich im Fluge die Herzen der Landarbeiter auf dem Hofe des ostvertriebenen Landwirts Max Drews in Kl. Häuslingen (Kr. Fallingbostel), als sie eigenmächtig eine Expedition in die Stallungen unternahm und mit einem quiekenden und strampelnden Ferkel auf dem Arm wieder herauskam. Kunstgerecht das Glücksschweinchen bändigend, stellte sie sich uns zu einem Schnappschuss und brachte den „Arm voll Schwein“ wieder zurück in den Stall. Sonja Sutter verkörpert in dem neuen Film „Die Barrings“ eine der weiblichen Hauptrollen. Es ist ihr dritter Film.

 

Regisseur und Drehbuchbearbeiter Rolf Thiele schloss bei Kl.-Häuslingen auf den Weiden von Max Drews die Außenaufnahmen zu der Verfilmung des ostpreußischen Romans von Simpson ab, der den gleichen Titel trägt und inzwischen zu einem der meistgelesenen deutschen Familienromane wurde.

 

Der Roman und jetzt auch der Film schildern den Niedergang eines ostpreußischen Gutes nach dem ersten Weltkriege. Fried Barring (gespielt von Dieter Borsche) sucht zu verhindern, dass die Absichten seiner verschwendungssüchtigen Frau Gerda (Nadja Tiller), das Gut zu verkaufen, in die Tat umgesetzt werden. Aber sein Widerstand wird sichtlich schwächer und droht weiter zu erlahmen. Bei einem Ausritt mit seiner Schwägerin Gisa (Sonja Sutter), Gerdas Schwester, ereignet sich ein folgenschweres Unglück, das das Verhängnis nur beschleunigt.

 

An Fried und Gisa braust in wildem Tempo eine Pferdekoppel vorbei. Gisas Stute lässt sich nicht mehr halten. Fried Barring versucht, Gisa zu helfen und ein Durchgehen ihres Pferdes zu verhindern. Er kommt dabei schwer zu Fall und bleibt liegen. An den Folgen stirbt Fried Barring. Seiner Frau Gerda ist es jetzt möglich, das Gut zu verkaufen. Paul Hartmann spielt in diesem Film den Vater Barring, der das Gut mühsam aufgebaut hat.

 

Die Szene des gefährlichen Sturzes war eine der wichtigsten und auch schwierigsten Außenaufnahmen. Rolf Thiele hatte bereits vor Wochen Verbindungen mit der Reiterstadt Verden angeknüpft, wo er genügend Pferde zur Verfügung zu erhalten hoffte. Der Leiter des städtischen Verkehrsamtes Verden, Curt Troue, u. a. auch Geschäftsführer des Verdener Rennvereins und somit Pferdefachmann, wusste Rat. Er organisierte, dass in Kl.-Häuslingen genügend Hannoveraner zusammengezogen werden konnten, die die Trakehner des Romans „Die Barrings“ notgedrungen ersetzen mussten. Doch das wird später, wenn der Film in unseren Lichtspieltheatern läuft, nicht stören. Nur dem Fachmann könnte es auffallen.

 

Der Charakter des Allertals, in dem das kleine Dorf Kl.-Häuslingen liegt, entspricht dem der ostpreußischen Landschaft. Die Filmleute kamen, sahen und bauten ihre Kamera auf. Reiter der Verdener Reitschule wurden zur Hilfe genommen, um die über 30 Pferde starke Koppel anzutreiben, als es galt, die Schimmelstute der Gisa (Sonja Sutter) zum Scheuen zu bringen. Wohl zehnmal mussten die Kameramänner die Objektive auf die galoppierenden Pferde richten. Erst nach langwierigen Versuchen gelangen die Aufnahmen. Auch die Szene des Sturzes von Fried Barring musste mehrmals wiederholt werden, bevor der Regisseur zufrieden war.

 

„Die Barrings“ sollen am 27. Oktober 1955, wenn alles klappt, in den „Weltspielen“ in Hannover uraufgeführt werden. „Bis dahin, so hoffen wir, werden wir fertig sein!“ sagen die Männer der Roxy-Filmgesellschaft aus München. Das heißt, dass die Außenaufnahmen bereits der letzte Teil der Dreharbeiten waren. Nur muss der Film jetzt noch geschnitten und kopiert werden. Die Atelieraufnahmen in den Göttinger Filmstudios hatten etwa sieben Wochen in Anspruch genommen. Andere Außenaufnahmen wurden auf Gütern in der Umgebung von Göttingen gedreht.

 

Sonja Sutter, die schon vor zwei Jahren im Film „Meines Vaters Pferde“ dabei war, ließ es sich nicht nehmen, selber die gefährlichen Szenen zu reiten. Sie wurde nicht durch ein Double ersetzt, wohl aber Dieter Borsche, für den ein Reiter aus Göttingen zu Boden ging. Trotzdem „benahm“ sich Dieter Borsche bei den ruhigeren Aufnahmen im Sattel recht gut. Er liebt Pferde und will seinen 14-jährigen Sohn nach Möglichkeit in die Reitschule in der Reiterstadt Verden geben, damit auch er das Wort verstehen lernt „Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde!“ Lena Bruns

 

 

Seite 8   Wiedersehen des Männerturnvereins Lyck.

Foto: Blumenrabatte in der Johanniskirche zu Hagen mit Namensschleifen der Gefallenen des MTV Lyck

Zum sechsten Male nach dem Verlust der Heimat fanden wir Turner des MTV Lyck uns zu einer Feierstunde zusammen, diesmal am 6. und 7. August 1955 in der Patenstadt Hagen in Westfalen. Wir danken den Bürgern der Stadt für ihre Gastfreundschaft und ihre Patenschaft, die sie am 17. Juli 1955 für unsere Heimatstadt übernommen haben.

 

Was ist Patenschaft? Es ist: „Treue zueinander!“

 

Patenschaft übernehmen heißt also, ein Gelöbnis tun. Es ist ein Gelöbnis zu unserer Heimat, die 700 Jahre zu Deutschland gehörte und die vor 35 Jahren am 11. Juli 1920 der Welt bewiesen hat, dass Masuren deutsches Land war, ist und immer bleiben wird. Alle unsere Wiedersehenstreffen sind Treuebekenntnisse zu unserem schönen Heimatland „Ostpreußen“.

 

Ein stilles Gedenken fand in der Johanniskirche statt. Die Angehörigen und Turnfreunde gedachten ihrer Gefallenen vor der Blumenrabatte mit den Namensschleifen. Unsere Toten weilen auch unter uns bei unseren Treffen, denn sie sind das stärkste Band zur Heimat. Sie starben für Ideale, weil sie für Ideale lebten. Sie starben für uns, weil sie an Deutschland und an Europa glaubten. Wir machen unsere Toten nicht zu Gespenstern, sondern geben ihnen Heimatrecht! Sie sollen gerne zu jeder Stunde in unseren Kreis treten, ohne unser Lachen zu stören. Wir geben ihnen Heimrecht, dass sie unter uns wohnen und weilen dürfen in dunklen und hellen Stunden. Wir geben ihnen das Heimrecht, wie sie es im Leben genossen haben. Getreu dem Gesetz, nach dem sie als Soldaten und Offiziere in den Kriegen Heimat und Vaterland gedient haben, gaben sie ihr Bestes. Ihr Opfer verpflichtet uns zum Dank. So wurden fast zur gleichen Stunde unseres Gedenkens in der Johanniskirche und während des Gottesdienstes auch an unserem ostpreußischen Ehrenmal in Göttingen Blumensträuße für unsere gefallenen Turner niedergelegt. „Liebe Turner, wir vergessen Euch nie!“ Besitz stirbt, Sippen sterben, Du selbst stirbst wie sie. Eines weiß ich, das ewig lebt: Der Toten Tatenruhm.

 

Schon am Sonnabend, den 6. August, fanden sich die MTVer unter der Turnerfahne im Festzelt, Wiedersehensfreuden, nette Erinnerungen an alte Schwänke bestimmten den Frohsinn dieses Abends. Am Sonntag wurde der Familie trotz des ewigen Hin- und Hergehens größer und damit stieg die Stimmung noch mehr. Ab 16 Uhr genossen wir die „Heimatliche Feierstunde“ aller Lycker mit den Hagenern.

 

Das Scheiden fiel schwer, sahen wir doch einige Turner zum ersten Male und Gesuchte wurden gefunden. Aber die Vorfreude auf das nächste Wiedersehen in der gesamten Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen 1956 ließ uns etwas leichter heimkehren. Helmut Gronen.

 

 

Seite 8   Der Glöckner von Liebemühl

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Es war zur Zeit des sogenannten Reiterkrieges. Im weiten Deutschland war eine große Bewegung aufgebrochen, die der Welt ein neues Gesicht geben sollte. Auch im Ordensland war der Name Martin Luthers längst bekannt. Man erzählte davon, dass Hochmeister Albrecht von Hohenzollern oft nach Wittenberg schrieb und ebenso oft von dort wichtige Nachrichten, Briefe, Flugblätter und Büchersendungen erhielt. Aber auch der Ordensmarschall und die anderen hohen Beamten des Ordens, die Komture und Pfleger lasen Luthers Schriften. Ja, Bischof Georg von Polenz im Samland stand offen auf der Seite des Mönches. Was Wunder, wenn da die ohnehin allen Neuerungen zugänglichen Preußischen Stände ihre Ohren und ihre Herzen den Liedern der Wittembergischen Nachtigall weit auftaten? Und einfältigen Köpfen etlicher Bauern unruhige Gedanken erwachten, die später zum Samländer Bauernkrieg führen sollten?

 

In jener Zeit also war es, dass die Polen aus recht nichtigen Gründen und ganz unvermutet mit ihren Reitern ins Preußenland einfielen. Sie fanden keinen richtigen Widerstand und konnten deshalb mit einzelnen Schwadronen raubend und plündernd bis weit in das ungeschützte Land eindringen. Südlich von Heiligenwalde gelang es ihnen sogar, den Pregel zu überschreiten. Aber es war auch hier so wie bei den Blitzkriegen zu allen Zeiten und an allen Orten: eine geregelte Besetzung des „eroberten“ Landes war nicht möglich. Man musste links und rechts Widerstandsnester liegenlassen und konnte es nicht verhindern, dass die Männer, die 60 abseits des Heereszugs unbehelligt geblieben waren, sich verbanden und gefährlich wurden.

 

So fand sich eines Tages eine Schar von Ordensrittern vor dem kleinen Städtchen Liebemühl im Süden des Landes. In der Stadt lag der Pole. Die beiden Tore, das Saalfelder und das Osteroder, waren fest verschlossen, die Stadtmauer bewacht. Aber die alte Ordenskirche war in die Stadtmauer und ihre Befestigungen mit einbezogen, wie es häufiger bei den Städtegründungen des Ritter-Ordens der Fall war: sie lag an der Südwestecke der Stadt, ihre Südwand war soweit in und über die sumpfigen Wiesen des Liebe-Flüßchens hinausgeschoben, dass sie im Verlauf der Jahrhunderte mehr und mehr abrutschte und deshalb nach 400 Jahren die Kirche neu errichtet werden musste. Und hier auf dem Turm hatte der Glöckner von Liebemühl seinen Platz, — ein deutscher Mann wie alle anderen Bürger der kleinen Stadt. Mit Frohlocken hatte er draußen die deutschen Ritter gesehen. In heimlichen Besprechungen mit den alten Ratsherren hatte er überlegt, wie man die Stadt befreien konnte. Aber niemand wusste Rat. Da beschloss der wackere Glöckner, auf eigene Faust den Rittern zu helfen. Er warf vom Turm aus an der Seite, die von der Stadt nicht beobachtet werden konnte, einen Stein weit in die Ebene hinein und sah mit Genugtuung, wie die aufmerksamen Ritter ihm zugeschaut hatten. In einem günstigen Augenblick arbeitete sich einer von ihnen dahin, wo der Stein liegen musste, hob ihn auf und brachte ihn zu seiner Schar. Der Glöckner war es zufrieden. Für ihn fing nun eine große und nicht ungefährliche Arbeit an. Er hatte um den Stein ein Papier gewickelt und darauf den Rittern Weisung gegeben, ein paar Mann, nächtens an ein bestimmtes Fenster der Kirche zu entsenden, die anderen sollten sich vor dem Saalfelder Tor aufhalten. Nun knüpfte er aus alten Glockentauen eine Strickleiter, und als die verabredete Stunde gekommen war, stand er selbst draußen an der Kirchenwand. Er kannte ja jeden Stein und half den Männern vorwärts. Vorsichtig kletterten sie einer nach dem anderen die letzte Steile der Wand an der Strickleiter empor. Schon waren sie in der Kirche, — ein kurzes Gebet, nun öffnete sich leise das Portal, und es ging zum nahen Saalfelder Tor. Die verdutzte Wache war schnell überrumpelt, das Tor geöffnet, die harrenden Freunde eingelassen und die Stadt vom Feinde befreit. Der Name des Glöckners ist unbekannt geblieben, seine treue Tat blieb aber unvergessen, und fröhlich läuteten die Glocken die Stunde der Befreiung ein. Pastor Helmut Walsdorff.

 

 

Seite 8   Professor Dr.-Ing. e. h. Fritz Horn

in Berlin, wurde am 9. Oktober 1955, 75 Jahre alt. In Elbing geboren, besuchte er das dortige Gymnasium und die Berliner Technische Hochschule und war dann mehrere Jahre in der Industrie als Ingenieur tätig. 1926 wurde er Abteilungsleiter bei der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau in Berlin und wirkte von 1928 bis 1950 als ordentlicher Professor für Schiffbau an der Technischen Hochschule in Charlottenburg. Jetzt lebt er in Zehlendorf im Ruhestande. Er ist Ehrensenator der Charlottenburger Hochschule, Ehrendoktor der Techn. Hochschule in Karlsruhe und Inhaber der Goldenen Medaille des Schiffbau-Instituts in Newcastle sowie der Silbernen Medaille der Schiffbautechnischen Gesellschaft. Verfasser vieler Fachschriften.

 

 

Seite 8   Siegfried Graf zu Eulenburg-Wicken, 85 Jahre alt. Foto.

 

Am 10. Oktober 1955 vollendete in Lindau (Bodensee) — Äschach, Hochbucher Weg 49, Siegfried Graf zu Eulenburg das 85. Lebensjahr. Er war der letzte Kommandeur des Ersten Garderegiments zu Fuß, an dessen Spitze er im Weltkrieg 1914/1918 mit dem Orden pour le mérite mit Eichenlaub ausgezeichnet wurde als einer von 6 Regts.-Kommandeuren, welche diese höchste preußische Kriegsauszeichnung erhielten; er war der einzige unter ihnen, der auch Inhaber des Goldenen Verwundetenabzeichens ist. Ferner ist Graf Eulenburg der letzte Ritter des Schwarzen Adlerordens aus nicht-dynastischem Hause und Ehrenkommentator des Johanniterordens, auch gehört er dem Ältestenrat der Landsmannschaft Ostpreußen an.

 

Als er 1870 zu Crangen (Pommern) im Hause seiner Großmutter Frau v. Bonin geboren wurde, stand sein Vater als Oberleutnant im ostpr. Wrangel-Kürassier-Regt. und Adjutant der 2. Garde-Kavalleriebrigade im Felde. Früh schon verlor er seine Mutter und auch das schützende Heim der Großmutter. Nach Absolvierung des Berliner Kgl. Friedrich-Wilhelms-Gymnasium trat er 1889 als Avantageur in das Erste Garde-Regt. zu Fuß in Potsdam ein, dem er fast 30 Jahre angehörte. Während seiner Dienstzeit war er ältester Offizier in der Kompanie des Kronprinzen Wilhelm, auch 3 Jahre zur Kriegsakademie sowie anschließend 2 Jahre zum Großen Generalstab — Kriegsgeschichtliche Abteilung — kommandiert. 1919 stellte er ein Freikorps auf, das u. a. teilweise noch im Baltikum eingesetzt wurde. 1920 übernahm er den alten Familienbesitz Wicken im Kreise Bartenstein, den er in rund 25 Jahren durch alle wirtschaftlichen Schwierigkeiten erhalten und bedeutend verbessert hat, besonders was die Wirtschaftsgebäude und die Viehzucht betraf.

 

Graf Siegfried zu Eulenburg war bis 1934 Landesführer des Stahlhelm in Ostpreußen und Danzig, außerdem für den Ernstfall als Führer eines Grenzschutzverbandes vorgesehen. In dieser Eigenschaft hat er bei seinen zahlreichen Reisen wohl den letzten Winkel unserer Heimatprovinz kennen gelernt!

 

Am 27. Januar 1945 musste unter russischem Kanonendonner die angestammte Heimat verlassen werden. Graf Siegfried zu Eulenburg treckte in Begleitung seiner Gattin mit Pferd und Wagen 2000 km quer durchs ganze Deutsche Reich bis an den Bodensee, wo er zunächst bei seiner Schwiegertochter auf dem dortigen kleinen Weizsäckerschen Besitz Aufnahme fand. Von der Gegend des Harzes an musste er selbst die Zügel führen und die treuen Kutschpferde versorgen, weil unterdessen infolge der Kapitulation die beiden Franzosen-Kutscher entlassen worden waren.

 

„Der Markgraf“ — wie ihn seine ostpreußischen Stahlhelmer nennen — oder auch „der letzte Preuße“ aber rastet und rostet nicht! Er schrieb nach geretteten Quellen die Familiengeschichte der Eulenburgs mit ihren über 500-jährigen Beziehungen zum Ordenslande Preußen. Auf Studienreisen lernte er deutsche Burgen kennen sowie die Stätten der Hohenstaufen in Sizilien und Karls des Fünften in Spanien, in dessen deutsch-römischem Weltreich die Sonne nicht unterging. In geistig führender Eigenschaft nimmt er alljährlich teil am „Semper-talis-Treffen“ seiner ehemaligen Regts.-Kameraden und an der Tagung der alten ostpreußischen Stahlhelmer. Mit heißem Herzen verfolgt er die politischen Ereignisse in der Welt und die Geschicke unseres Vaterlandes, für dessen gutes Verhältnis zu unserm französischen Nachbarn er eine kleine Denkschrift verfasste. Möge ihm beschieden sein, die Wiedervereinigung Deutschlands noch zu erleben! –

 

 

 

Seite 9   Das Fleischerhandwerk im 700-jährigen Königsberg. Ein Gedenkblatt zum Jubiläumsjahr 1955.

Bild: Die lange Königsberger Wurst.

Das Fleischerhandwerk hat in der alten Krönungsstadt Königsberg am Pregelstrande eine ganz besondere Rolle gespielt; zu allen Zeiten haben die Schlachter im Gewerbeleben in vorderster Linie gestanden und ihnen ist es zum Teil zu verdanken, dass die Fleischgerichte „Königsberger Fleck“ und „Königsberger Klops“ eine Berühmtheit erlangten, Speisen, die man allenthalben auf den Karten der deutschen Gaststätten findet.

 

Die Gewerbe in Königsberg wohnten seit jeher zusammen, und dem Andenken der Fleischer war die Fleischbänkenstraße bis zum Untergange der Ordensstadt 1945 benannt.

 

Das Königsberger Staatsarchiv, heute nach Göttingen verlagert, bewahrt ein Verzeichnis der Gewerberollen auf und in dieser Rolle sind die „Fleischhawern“ bereits 1376 erwähnt. Im Jahre 1304 wurde den Bewohnern der Altstadt gestattet, eine Fleischbank am Schlossberg zu errichten. Später lagen die Bänke der Fleischer parallel zu den Brotbänken. „Finniges Fleisch“, das im Mittelalter nicht als gesundheitsschädlich, sondern als minderwertig galt, musste nach den Bestimmungen auf weißen Tüchern feilgehalten werden, damit jeder es als solches erkannte. Wenn auf dem Markte ein Fleischer oder Aufkäufer ein Stück Vieh bereits erstanden hatte und einem Bürger dasselbe Tier für den eigenen Bedarf geeignet erschien, so musste der Fleischer das Tier gegen ein bestimmtes Aufgeld abtreten.

 

Von dem Brauch, dass die Fleischer zu Neujahr in Königsberg eine sehr lange Wurst verfertigten und durch die Stadt trugen, auch der Herrschaft auf dem Schlosse zeigten und etwas verehrten, wird uns zuerst im Jahre 1520 berichtet. Damals maß die Wurst 41 Ellen. Henneberger erzählt dann für 1583, dass die Wurst 596 Ellen maß. „Wenn die solche nun wollen umtragen, so ziehen sich alle Fleischergesellen aus allen drei Städten (Altstadt, Löbenicht und Kneiphof) fein säuberlich an, weiße Hemden oben über, ebensolche Schuhe an den Füßen. Und der erste hat das eine Ende von der Wurst etliche Male um den Hals gewunden und etwas hinabhängend, diesem folgen die andern alle etwas voneinander entfernt, gleichen Trittes nach, die Wurst auf der Achsel tragend, zwischen ihnen etwas herunterhängend, der letzte hat sie wieder etliche Male um den Hals gewunden und herabhängend wie der erste. Solche Wurst macht man hinfort nicht alle Jahre, weil sie viel zu viel kostet; denn man muss sie stets länger machen. Die Fleischer verehren die Wurst den Bäckern. Die Bäcker schenken zum Dreikönigstag den Fleischhauern einen großen Stritzel oder Wecken. Im Jahre 1583 haben sie jenen fünf Stritzel verehrt. Zu solchen bitten die Fleischhauer und Losbäcker einander zu Gaste und verzehren sie mit Freuden“.

 

Im Jahre 1601 war die Wurst 1605 Ellen lang. Die Fleischer zogen mit Trommeln und Pfeifen auf und vornean mit einem Spieße und einer weißgrünen Fahne ein Führer, der mit Federn und Binden wohl ausgeputzt war. Ihm folgten 103 Fleischhauerknechte, die die Wurst trugen.

 

Bei allen fürstlichen Empfängen waren die Königsberger Fleischer an der Spitze des Zuges zu Pferde in Harnisch. Die Fleischer trugen blaue Röcke, ein Rest jener Verpflichtung aus früheren Zeiten, da sie mit den Rotgerbern, Fuhrleuten und Hufnern bei feindlichem Einfall ein Reiterkorps bildeten.

 

Die Fleischer begleiteten den ersten Preußenkönig 1701 und 1864 König Wilhelm I. zur Krönung in das Schloss.

 

Noch im 18. Jahrhundert wurde zur Jahrmarktszeit von den Fleischern ein mit Kränzen und Bändern gezierter Ochse in den altstädtischen Junkergarten geführt, wo er verwürfelt wurde, wobei die Stadtmusikanten aufspielen mussten. Oft wurden während eines Jahrmarktes mehrere Ochsen, mitunter auch Kälber und Lämmer, verspielt. Dieser Brauch hörte 1766 auf.

 

Ein altes Siegel: „Das Hwerk der Knochenhauer in der Alt“ (stadt Königsberg) von 1650 zeigte im Schilde einen Schöps, nach rechts schreitend, über dessen Rücken ein Kreuzlein mit einer Krone darüber schwebt. Hermann Bink.

 

 

Seite 9   Treffen ostpreußischer Feldzeugdienststellen

Nach genau 2 Jahren trafen sich die Angehörigen der ehemaligen ostpreußischen Feldzeugdienststellen zum 2. Treffen in Hannover im Lokal „Schloßwende“ — Am Sonnabend, dem 3. September 1955 fand ein Kameradschaftsabend statt, bei dem nach der Begrüßung und der Gefallenenehrung durch Kam. Obstltn. Wetzel der frühere langjährige Vorstand des Heeres-Zeugamts Königsberg/Pr. Kam. Oberst W. Weisse die Festansprache hielt. Er gab einen Rückblick über die Entwicklung der ostpreußischen Feldzeugdienststellen von 1918 bis zum bitteren Ende 1945. Ganz besonders begrüßte er, dass es die ostpr. Feldzeugdienststellen sind, die sich als erste zu einer Kameradschaft zusammengeschlossen haben. Im Anschluss an die Rede wurde gemeinsam das Ostpreußenlied „Land der dunklen Wälder“ gesungen.

 

Kam. Oberfeuerwerker Augustin gab einen Bericht über die bisherige Arbeit der Kameradschaft. Er forderte die Kameraden auf, bei der Erfassung der ehem. Kameraden mitzuhelfen; denn je mehr Kameraden erfasst sind, desto eher kann den ehem. Angehörigen bei der Beschaffung von Ersatzbescheinigungen usw. geholfen werden. Ganz besonders wurde nach der Verlesung von Suchanzeigen auf die Vermisstenforschung hingewiesen.

 

Nachdem Kam. Oberstltn. Wetzel noch Worte des Dankes für die zahlreiche Beteiligung ausgesprochen hatte, ging es zum kameradschaftlichen Teil über, der in der Hauptsache den Kameraden zum Austauschen früherer Erinnerungen diente. Viel zu früh war um 1 Uhr „Zapfenstreich“.

 

Am Sonntag, dem 4. September 1955 versammelten sich alle Teilnehmer in der St. Ägiedienkirche, einer Trümmerkirche, die heute als Ehrenmal dient, zur Kranzniederlegung. Kam. Oberstltn. Wetzel hielt eine kurze Ansprache und legte dann einen Kranz, dessen Schleifen in der Waffenfarbe des Feldzeugpersonals gehalten waren, für die gefallenen und vermissten zivilen und militärischen Angehörigen der ehemaligen ostpr. Feldzeugdienststellen nieder. Bei der nun folgenden Arbeitstagung im Trefflokal begrüßte Kam. Oberstltn. Wetzel die Gäste und Kameraden, die erst am Sonntag zu dem Treffen gekommen waren. Anschließend sprach Kam. Obfrw. Augustin über die Kameradenhilfe für bedürftige Kameraden. Die Aufforderung, Patenschaften zu übernehmen, fand freudigen Beifall. Er forderte weiter, bei der karteimäßigen Erfassung der ehem. Angehörigen behilflich zu sein.

 

Kam. Oberstltn. Rohkrämer gab nach erfolgter Prüfung der Kasse den Kassenbericht. Bei der Bestätigung des vorläufigen Arbeitsstabes wurden Kam. Oberstltn. Wetzel zum 1. Vorstand und Kam. Obfrw. Augustin zum 2. Vorstand gewählt. Als Verbindungsmann zum Deutschen Roten Kreuz wurde Kam. Hauptm. Kohlborn gewählt.

 

Auf Beschluss der Teilnehmer findet das nächste Treffen 1957 wieder in Hannover statt. Nach dem Schlusswort des Kam. Oberstltn. Wetzel vereinigten sich die Kameraden zum gemeinsamen Mittagsessen (Erbsen mit Speck) und blieben anschließend noch in kameradschaftlicher Unterhaltung bis zur Heimfahrt zusammen.

 

Es war ein schönes Treffen. Wir freuen uns schon heute auf das nächste Treffen, wo hoffentlich noch mehr Teilnehmer sein werden.

 

Wir bitten alle Angehörigen der ehem. ostpr. Feldzeugdienststellen, die sich noch nicht gemeldet haben, sich zur karteimäßigen Erfassung bei Kam. Fritz Augustin, (21b) Hemer-Sundwig, Hüttenstraße 16, zu melden.

 

 

Seite 9   Land der Sehnsucht

Zehn Jahre lang lagen die deutschen Ostgebiete und das Sudetenland für Deutsche hinter einem undurchdringlichen Vorhang. In den Wochen, da sich mit der Genfer Konferenz im Juli 1955 und der Reise Bundeskanzler Adenauers nach Moskau eine durchgreifende Wandlung des Ost-West-Verhältnisses vollzog, bereiste Joachim Steinmayr im Auftrag der „Suddeutschen Zeitung“ dieses Land der Sehnsucht für Millionen von Heimatvertriebenen. Nach eigenem Ermessen konnte Steinmayr seine Reiseroute durch Schlesien, Pommern, Ostpreußen und das Sudetenland festlegen. Ungehindert sprach er mit den dort verbliebenen Deutschen und sah sich in vielen Städten und Dörfern um. Seinen umfassenden, um Objektivität bemühten Bericht veröffentlichte die „Suddeutsche Zeitung“ in zwei großen Artikelserien, die unter dem Titel „Entdeckungsfahrt zwischen Eger und Prag“ und „Land der Sehnsucht hinter der Oder“ erschienen sind. Zum Zeitpunkt des wiedereröffneten Ost-West Gespräches haben diese Augenzeugenberichte eines weitgereisten Journalisten aus dem Redaktionsstab der „Süddeutschen Zeitung“ ungewöhnliches Interesse gefunden. Deshalb werden sie nun in einem bebilderten Sonderheft zusammengefasst vorgelegt, das zum Preise von 50 Pfennig überall im Buch- und Zeitschriftenhandel oder direkt beim Süddeutschen Verlag, München 3, Sendlinger Straße 80, erhältlich ist.

 

 

Seite 9   Freundin bedeutender Geistesgrößen.

Als ich in diesem Sommer in Garmisch war, besuchte ich eine alte Dame, von der ich wusste, dass sie ihre Kindheit und ihre Jugendjahre in Königsberg verbracht hat. Seit 50 Jahren lebt sie in Garmisch. Ich fand sie körperlich gebrechlich, aber regen Geistes in ihrem mit vielen Blumen geschmückten Heim. Sie ist am 24. September 1955, 90 Jahre alt geworden. Wir plauderten ein wenig von schönen alten Zeiten. Sie erzählte von David Hilbert, dem später weltberühmten Mathematiker, der damals Professor an der Abertina war. Er hat sie bei Königsberger Abendgesellschaften mehrfach zu Tisch geführt. Ein guter Unterhalter war er allerdings nicht, und es war schon viel, wenn er einmal sagte: „Warum tragen Sie Ihr schönes Armband an diesem Arm und nicht an dem andern?“ Damals ahnten wohl beide nicht, dass aus der Bekanntschaft eine tiefe Freundschaft fürs Leben werden sollte. Hilbert hatte die Gewohnheit, jeden Abend mit seiner Frau und seinem Sohn auf die Häfen hinaus zu pilgern und dort an einer erhöhten Stelle gymnastische Übungen zu machen, die sich für die anwohnenden Leute als luftige Silhouette gegen den Abendhimmel abhoben.

 

Zum Kreis der Freunde gehörte auch Arnold Sommerfeld, der damals ebenfalls Professor an der Albertina war und später als Physiker Weltruf erlangen sollte. Als ihm in den dreißiger Jahren der Nobelpreis zuerkannt wurde, durfte er ihn auf Hitlers Geheiß nicht in Empfang nehmen. Geheimrat Sommerfeld ist vor einiger Zeit tödlich verunglückt. —

 

Unsere Unterhaltung führte auf die verschiedensten Gebiete von Kunst und Literatur, und ich musste staunen über das Wissen und die klare Urteilskraft eines Geistes in einem so gebrechlichen Körper. Die vielen stillen Stunden, in denen die alte Dame sich selbst überlassen ist, benutzt sie, um Verse zu schmieden. Hier eins ihrer vielen lyrischen Gedichte:

 

Die Schönheit.

Des Mondes Sichel schwimmt im Blau,

Und um ihn her ein Sterngefunkel,

In jeder Blüte liegt der Tau,

Leuchtkäufer gaukeln durch das Dunkel.

 

Die Sonne steigt im Morgengrau,

Und jeder Gipfel wird entflammt;

Im Silberkleid, im Demanttau

Die grüne Watte wirkt wie Samt.  

 

Und wenn die Sonne geht zur Rüst,

Der Abend feurig flammend strahlt,

Dann merke, dass du nur ein Stäubchen bist

Von dem, was die Natur jetzt malt.

 

Die alte Dame, von der ich erzählte, heißt Gabriele Zaertner. Vielleicht erinnert sich jemand ihrer aus längst vergangenen Zeiten. O B.

 

 

Seite 9   Ostdeutsche Kulturtage in Nürnberg. Arbeitskonferenzen und öffentliche Veranstaltungen.

Den zahlreichen eindrucksvollen Veranstaltungen dieses Jahres, auf denen in der Bundesrepublik und Westberlin der Deutschenaustreibung vor zehn Jahren gedacht und der Anspruch auf Wiedervereinigung und Rückgabe der angestammten Heimat gefordert wurde, wird sich Ende Oktober in Nürnberg eine Besinnung auf die kulturellen Leistungen und Aufgaben der Ostdeutschen in Gegenwart und Vergangenheit anreihen.

 

Der Ostdeutsche Kulturrat und die vier regionalen Kulturwerke der Vertriebenen rüsten zu den „Ostdeutschen Kulturtagen“, die sich im Wechsel von internen Arbeitskonferenzen und kulturellen Demonstrationen vor der Öffentlichkeit abspielen werden. Schirmherr ist der bayerische Ministerpräsident Dr. Hoegner. Höhepunkt wird der Festakt in der ehrwürdigen Kartäuserkirche des Germanischen Nationalmuseums am Sonntag, dem 30. Oktober, sein, auf dem Professor Dr. Grundmann (früher in Schlesien, jetzt in Hamburg) den Festvortrag über „Die europäische Kulturleistung des deutschen Ostens als Erbe und Verpflichtung“ halten wird. Wie im Vorjahr beim Festakt im Kaisersaal des Rathauses zu Aachen werden auch diesmal wieder die Spitzen aus Politik und Geistesleben des In- und Auslandes erwartet.

 

Dem Festakt, der vom Fränkischen Landesorchester unter Stabführung von Staatskapellmeister Erich Kloß mit Werken ost- und westdeutscher Komponisten umrahmt werden wird, geht eine Studientagung der vier Kulturwerke im Saal des Nürnberger Kulturvereins voraus. Auf ihr wird in einem Vortrag der engen historischen Kulturbeziehung zwischen Nürnberg und dem deutschen Osten gedacht und in einem zweiten Vortrag die innere Strukturwandlung der Vertriebenen in ihrer Einstellung zur alten Heimat aufgezeigt werden.

 

Von besonderer Bedeutung für die praktische Kulturarbeit in der nächsten Zukunft wird die geschlossene Arbeitssitzung sein, die am 29. Oktober die Sprecher der Landsmannschaften und ihre Bundeskulturreferenten mit den Führungsgremien der Kulturwerke, des Kulturrates und insbesondere auch der Deutschen Jugend des Ostens zu Besprechungen über Ziele und Grundsätze der Kulturarbeit und Abgrenzung der Arbeitsgebiete vereinigen soll.

 

Anschließend werden die Deutsche Jugend des Ostens in Nürnberg und die Vereinigung heimatvertriebener deutscher Studenten in Erlangen interne Arbeitstagungen abhalten; letztere verbunden mit einem Seminar über den Studenten in der Sozialordnung.

 

Während der Dauer der Ostdeutschen Kulturtage wird im Germanischen Nationalmuseum die Sonderschau über die kulturelle Leistung Böhmens, Mährens und Schlesiens und in der Fränkischen Galerie die Sonderschau „Zeitgenössische Kunst des deutschen Ostens“, veranstaltet von der Künstlergilde/Verband der heimatvertriebenen Kulturschaffenden, zugänglich sein.

 

So werden die Nürnberger Kulturtage von den verschiedenen Seiten des Kulturlebens aus einen Beitrag zu erneutem Protest gegen die vor zehn Jahren erzwungene Preisgabe deutschen europäischen Bodens im Osten leisten und die Forderung auf Beseitigung Unrechts mit dem Nachweis geistiger und sittlicher Werte legitimieren.

 

 

 

Seite 11   Das Bernstein-Museum Stuttgart

Foto: In Bernstein gefasste Uhr

Vom wolkenlosen Himmel brennt die Sonne hernieder. Sie spiegelt sich in einem Tümpel schickt ihre Strahlen durch das Schilfrohr und wundert sich über die Hast des Lebens auf der Erde. Denn geschäftig rascheln die Palmwedel, die Mammutbäume strecken ihre Äste tatenlustig von sich, und die riesigen Nadelhölzer raunen sich klatschsüchtig das Neueste von der Lagune zu: Die alte Föhrenmuhme am Hang drüben wird's auch nicht mehr lang machen, der letzte Orkan hat ihr einige große Äste gebrochen, nun fließt ihr Harz in Strömen, und sie wird immer schwacher. Ja, dick, goldgelb und duftend quillt der Lebenssaft aus den hundert Wunden der Föhre, quillt langsam hervor und tropft ins Moos. Da, plötzlich, ein hohes zirpendes Summen, ein ängstliches Vibrieren hauchdünner, grünlicher Flügelchen: Ein junger Heuschreck ist auf das weiche Gold gehüpft, nun sitzt er fest, immer tiefer sinken seine langen Beine ein, da klebt auch noch der eine Flügel fest. Nach einiger Zeit ist es still, — er hat sich zu Tode gerungen. Das Harz kommt und deckt ihn zu. Es quillt weiter und weiter. Stürme brausen über das Land, die Föhre stürzt eines Tages, sie sinkt ins Moor wie andere vor ihr. Neue Bäume wachsen auf, und Jahre gehn, und Zeitalter gehn drüber hin, das Klima wechselt, die Erde bewegt sich; es wird kalt, Gletscher kommen von Norden, graben und schürfen, lagern ab und nehmen mit. Schließlich weichen sie wieder. Eine Mulde lassen sie zurück, eine Mulde, die sich mit Wasser füllt, die Ostsee.

 

Und Menschen bevölkern die Erde. Sie schaffen sich Werkzeug aus Stein, aus Eisen, aus Bronce. Menschenkultur entsteht. Und heute finden wir in ägyptischen Pyramiden Bernstein als Totengabe, lesen in alten griechischen Büchern, in der Odyssee vom Elektron, von dem seltsamen Stein, der aus dem Norden kommt und brennen kann.

 

Ja, der Bernstein, der im Tertiär entstand und dann an der Küste des Samlands in Ostpreußen in der blauen Erde abgelagert wurde, hat eine lange, interessante, von Sagen umwobene Geschichte. Schon im Altertum wurde er durch ganz Europa gebracht, im Mittelalter bestand ein reger Handel auf den Bernsteinstraßen ans Mittelmeer und bis nach Arabien. Wollte ein Araber nämlich eine Frau, so musste er sie mit einer dicken Bernsteinkette von ihrer Familie loskaufen. Noch im letzten Krieg wurde der köstliche Stein zu 90% bei Palmnicken im Tagebau abgebaut, weitere Stücke spülte das Meer an den Strand. Und heute? —

 

Heute liegt Ostpreußen weit, weit entfernt. Russen und Polen verwalten das Land, die Deutschen sind größtenteils ausgewiesen. Kaum eine Nachricht erreicht uns von dort, es wird auch kein Bernstein mehr gehandelt. Das „Deutsche Gold“ ist eine kostbare Seltenheit geworden, und wenige kennen es mehr aus der Anschauung mit all seinen Eigenarten und Schönheiten.

 

Da hat sich nun ein Ostpreuße in Stuttgart um den Bernstein angenommen. Aus eigenem und fremdem Privatbesitz hat er in der Haußmannstraße 70, ein wundervolles Bernsteinmuseum aufgebaut. Wir lernten Herrn Bistrick auf der Suche nach Material für eine Ausstellung über Ostpreußen kennen, und wir fanden bei ihm ganz reizend Rat und Hilfe. Ich möchte jedem, der sich nur ein wenig für Geschichte und Erdgeschichte, für Bernstein und Ostpreußen interessiert, eine Führung durch diese Schätze warm empfehlen.

 

Das Schönste ist wohl ein von unten durchleuchteter Kasten mit Bernstein-Einschlüssen: Spinnen, Käfer, Mücken, Schmetterlinge, Ameisen, Moose und Flechten, ja sogar ein Mausschwanz blieb da vor Tausenden von Jahren einmal am Harz kleben. Die Tierlein tun einem fast heute noch leid, wenn man so sieht, wie sie gegen das unerbittliche goldgelbe Schicksal kämpften. Von Gold bis dunkeltopasbraun gibt es den Bernstein in allen Tönungen; es gibt milchigen, wo er sich mit Luft mischte; dort, wo Wassertröpfchen im Harz verdunsteten, entstanden Bläschen, Sonnenflinten. Manchmal fiel das Harz auf Sand, und es wurden ganz einzigartige Bernsteinkiesel. Herr Bistrick zeigte uns, wie der Bernstein verarbeitet wird zu Ketten und Broschen und Ringen, er zeigte uns seine arabischen Ketten, einen kostbaren Bückeburger Brautschmuck und das Glanzstück: einen rohen Bernsteinbrocken, der über ein Kilogramm schwer ist. — An einer Wand hängt eine Karte der mittelalterlichen Bernsteinhandelswege, Verordnungen des Großen Kurfürsten über den Bernsteinfund und — wer sich viel Mühe gibt, kann‘s entziffern — das Todesurteil eines Rauschener Fischers, der sich unrechtmäßig Bernstein angeeignet hatte.

 

Viel gibt‘s zu schauen, viel zu hören. Die letzte Sehenswürdigkeit im Bernstein-Museum ist das Gästebuch: alte Ostpreußen und Stuttgarter, Leute aus Persien, Japan und Amerika haben sich da eingetragen, Menschen, die — sicher kann man so sagen — dem Bernstein und damit Ostpreußen ein treues Andenken bewahren. Bärbel Irion.

 

 

Seite 11   Mocca Löffel für Bundeskanzler Dr. Adenauer (Foto)

Zum Zeichen dafür, dass die guten Wünsche aller heimatvertriebenen Ostdeutschen Bundeskanzler Dr. Adenauer auf seiner Reise nach Moskau begleiteten, hatte die Landesgruppe Baden-Württemberg der Landsmannschaft Ostpreußen dem Kanzler noch vor seiner Reise ein Etui mit 12 silbernen Mokkalöffeln überreicht. Die Löffel zeigen auf Ihrem Stiel in Email gemalt die Wappen der deutschen Städte Königsberg/Pr., Danzig, Breslau, Stettin, Memel, Tilsit, Insterburg, Gumbinnen, Marienburg, Elbing, Allenstein und Treuburg.

 

Unser Bild zeigt das Etui mit den 12 silbernen Mokkalöffeln, die von der Königsberger Firma Walter Bistrick stammen.

 

Der Bundeskanzler bedankte sich in einem persönlichen Schreiben an die Landsmannschaft in Stuttgart für das Geschenk.

 

 

 

Seite 11   Noah Fieroawend

Der Auspuff.

Es war zu Beginn des Jahrhunderts. Das Zeitalter des Autos war angebrochen. Selbstverständlich gehörte es da zu den Gepflogenheiten der Kinder „Auto“ zu spielen. Hinzugefügt werden muss, dass diese alten Benzinkutschen mit ihrem Auspuff noch erheblich stärker die Luft verpesteten, als dies heute — wenn auch vermindert — noch geschieht. Als uns nun eines Sonntags Bekannte mit ihren Kindern besuchten, und wir nach dem Kaffee gemütlich in der Laube saßen, hörte ich, dass die Kinder „Auto“ spielen wollten, und wie mein Zehnjähriger die einzelnen Rollen verteilte: „Du bist der Motor; ich sitze am Steuer, und du bist der Besuch, den ich spazieren fahre“. — „Onn wat ben ek?“ fragte da resigniert der fünfjährige Wolfgang, der der Jüngste in dieser kleinen Gesellschaft war. „Du?!“ — „Du löppst hinterher onn stinkst!“ war die Antwort.

 

 

Enttäuscht.

Tante Minne, der Schrecken aller Verwandten, hat sich zum Besuch angemeldet. Der kleine Peter kann es gar nicht erwarten, bis sie kommt. Endlich klingelt die Glocke, wie wild stürmt er da zur Tür, öffnete sie vorsichtig einen Spalt und blinzelt hinaus. Voller Enttäuschung stößt er dann aus: „Nanu, Tante, du kommst ja selbst?!“ — „Wieso denn, mein Sperkukschen?“ — „Na, Papa hat gesagt: Heute kommt das Kamel von Tante an ...“

 

 

Man tut, was man kann.

Bei Kalweits war Schlachtfest gewesen; und weiß der Kuckuck, wie es kam, diesmal waren dem Kalweit die frischen Spirgel nicht bekommen. Er musste also zum Arzt. „Tja, mein Lieber“, sagte der, „wenn Sie gesund werden wollen, müssen Sie sich aber streng an meine Vorschrift halten und jeden Morgen eine Stunde vor dem Frühstück warmes Wasser trinken. — Nach einer Woche erschien Herr Kalweit wieder beim Arzt. „Nun wie fühlen Sie sich denn jetzt?“ erkundigte sich dieser. — „Du meine Giete, Doktorchen“, erwiderte Kalweit, „viel schlechter kann es mir eijentlich nicht mehr gehen“. — „Na, haben Sie sich denn nicht an meine Vorschrift gehalten und jeden Morgen eine Stunde vor dem Frühstück warmes Wasser getrunken?“ — „Nu ja“, wurde Kalweit kleinlaut, „man tut, was man kann; aber länger als eine Viertelstunde habe ich es nie durchgehalten“.

 

 

Zu wörtlich.

Ein älterer Bauer, der sich in Königsberg in die Straßenbahn gesetzt hat und sich die Stadt etwas ansehen will, raucht sich gemütlich sein Pfeifchen an. Da kommt auch schon der Schaffner auf ihn zu und fragt ihn, ob er denn nicht lesen könne; da stehe doch groß und deutlich auf dem Schild, dass das Rauchen in diesem Wagen nicht gestattet sei. „Ach mein Jehchen“, meint da der Bauer, „muss man denn alles tun, was da anjeschrieben steht?! Sehen Se dort steht ja noch viel größer dran: „Trinkt Bitterwasser. Na, trinkt hier einer im Wagen Bitterwasser? Nei! Und da sagen Sie nutscht dazu“. Sprachs und rauchte unter dem Beifall der Mitreisenden gemütlich weiter.

 

 

Auf den Namen kommt es an.

Fritzchen hat einen schönen schwarzen Kater mit Namen Peter. Als sich seine Tante eines Tages nach dem Kater erkundigt, sagt ihr Fritzchen voller Stolz: „Ich habe ihn jetzt umgetauft; er heißt nun Mieze“. „Warum denn das“? fragt ihn darauf erstaunt die Tante. — „Na, damit er endlich einmal Junge kriegt!“

 

 

Wie gewünscht.

Bei Förster Krause hatte ein neues Dienstmädchen ihre Stelle angetreten. „Bertha“, erklärte ihr da Frau Krause, „bei uns ist es üblich, dass Sie abends immer gute Nacht sagen“. Prompt erschien auch am Abend Bertha in der Wohnzimmertür und rief laut und vernehmlich: „Gute Nacht! Ich gehe nu schlafen“. — „Aber Bertha“, belehrte sie da Frau Krause, „das müssen Sie doch leise sagen“. — Am nächsten Abend saß Förster Krause mit zwei anderen Jagdkumpanen beim Skat alleine zu Hause. Plötzlich öffnete sich leise die Tür, auf Zehenspitzen kam Bertha zu dem Hausherrn und flüsterte ihm ins Ohr: „Herr Färschter, ich geh' nu ins Bett ...“

 

 

Seite 11   Ein Anglerparadies und ein bisschen Anglerlatein.

Die Dampferroute Angerburg — Lötzen — Niedersee (Rudzanny) bezog auch den waldumstandenen Beldahnsee mit ein. In neuerer Zeit gab es hier die Dampferanlegestelle Wigrinnen, die man ein paar hundert Meter nördlich der vielbesuchten „Königseichen“ hergerichtet hatte. Wasserfahrzeuge mit geringerem Tiefgang konnten aber noch an einer anderen Stelle anlanden, u. a. in der Schleibucht westlich der Ziegeninsel beim Wigrinner Grund.

 

Dieser Wigrinner Grund lag — abgesondert vom Dorf Wigrinnen — unmittelbar am Ufer der Schleibucht und war ursprünglich ein Schneidemühlengrundstück. 1918 erwarb es der damalige Pfarrer von Ukta als Alterssitz und setzte ein Landwirtsehepaar als Verwalter hinauf. Von dieser Zeit an entwickelte sich der Wigrinner Grund zu einem Ferienheim, das den Sommerfrischlern aus einer Hand Land-, See- und Waldluft bot.

 

Der Fischreichtum des Beldahn, seine schilfgesäumten, stillen Buchten und die breiten Schilfgürtel seiner Inseln zogen vor allem Angler an. Sie kamen mitunter sehr weit her, um in diesem idealen Fanggebiet ihre Köder auszuwerfen, und sie pflegten Jahr um Jahr wiederzukommen, so dass sie sich alle bestens kennenlernten.

 

Den Kern dieser Gemeinschaft bildeten ein Warenhausbesitzer aus dem Ruhrgebiet, ein Techniker aus Berlin sowie vier Königsberger: ein Spediteur, ein Zahnarzt, ein Beamter und ein Pelzwarenhändler. Bliebe noch zu sagen, wie sie hießen; aber da es nicht jedermann behagt, sich namentlich erwähnt zu sehen, soll von einer Anführung der richtigen Namen abgesehen werden. Stattdessen mögen von den Lesern dieser kleinen Plauderei die Tarnnamen Duisberger, Berliner, Kunz, Hinz, Six und Pelzler hingenommen werden.

 

Obwohl einige von ihnen die Praktiken des Angelns meisterhaft beherrschten, betrieben sie die Angelei doch nicht als Selbstzweck, sondern lediglich zu ihrer Unterhaltung. Man fuhr des Öftern schon vor Sonnenaufgang in einem der vielen Boote oder Kähne, mit denen der Wigrinner Grund aufzuwarten vermochte, zu einem der erprobten Fangplätze hinaus; am liebsten hielt man sich zu zweien, weil dann überhaupt keine Langweile zu befürchten war. Ein reichliches Frühstück nebst ein paar Flaschen Bier und einem „Rachenputzer“ lag in der Bugspitze verstaut. Die Jackentasche aber barg das prall gefüllte Zigarrenetui.

 

Derart versorgt, ließ es sich gut bis zum Mittagessen durchhalten. Näherte sich die Sonne dem Zenit, dann hob man den Anker vom Grunde, betrachtete noch einmal den Fang und ruderte gemächlich heimwärts. Beim Bootssteg stand nun schon harrend die langhaarige Gesellschaft, bereit, denjenigen munter zu bespötteln, der da nur mit kleiner Beute eintraf. Den Wartenden hatten sich alle Katzen des Wigrinner Grund beigesellt, weil sie regelmäßig den „Ausschuss“ vorgeworfen bekamen.

 

Noch vor dem Mittagessen rollten die Angler ihre Schnüre aus und hingen sie zum Trocknen über die Zäune. Dort verblieben sie gewöhnlich bis zum Spätnachmittag. Dann machte man das Gerät wieder einsatzfertig, um mit ihm bei Sonnenuntergang erneut draußen sein zu können.

 

In einem schönen Sommer machte ein Hecht von sich reden, den die einheimischen Angler, denen jener schon zu Gesicht gekommen war, auf mehr als zwanzig Pfund Lebendgewicht einschätzten. Es hieß, dass er morgens oft bei der Ziegeninsel raube.

 

Selbstredend war alles angelnde Volk auf das eifrigste hinter diesem gewaltigen Burschen einher, obwohl man aus Erfahrung wusste, dass solche alten — im Nacken schon bemoosten Räuber nicht mehr über schmackhaftes Fleisch verfügen. Aber es ging den Anglern hierbei nicht so sehr um das Fleisch, als vielmehr um die sportliche Leistung.

 

„Ach, wisst ihr“ … sagte da mal beim abendlichen Beisammensein in der Veranda des Haupthauses der große, wuchtige und immer gemütliche Herr Duisberger zu seinem Angelkumpanen und deren Weiblichkeit ... „Ich werd mir nach dem Burschen kein Bein ausreißen. Kommt er mir an den Haken, ist's gut; kommt er mir nicht an den Haken, so lass ich mir auch keine grauen Haare wachsen“.

 

„Sooo gelassen kann ich der Sache nun nicht gegenüberstehn“, entgegnete Pelzler. „Jedenfalls setze ich mich morgen an der Ziegeninsel auf ihn an".

 

„Ich auch“, erklärte Kunz, „und ihr sollt mal sehen, dass er bei mir und keinem anderen anbeißt“.

 

„Anbeißen wird er vielleicht, aber nicht hängen bleiben“, meinte Six schmunzelnd.

 

„Warum denn nicht?!“ ereiferte sich Kunz. „Willst du damit etwa sagen, dass ich von der Angelei weniger verstehe als einer von euch?“

 

„Streitet euch bloß nicht“, fiel Frau Hinz ein, „denn damit erreicht ihr nur, dass euer Grog kalt wird. Übrigens haben wir Frauen es uns vorgenommen, uns auch an dieser Jagd zu beteiligen. Morgen früh schon sitzen Elli Berliner und ich am Schilfrand der Ziegeninsel, und ihr sollt mal sehen, was dann geschieht!“

 

„Ho ho, ho ho!“ röhrten die Männer, und Pelzler rief: „Grad auf euch Weiberchen hat der Hecht bisher mit dem Anbeißen gewartet!“ —

 

Als der nächste Morgen kam, sah er die gesamte Bootsflottille des Wigrinner Grund um die Ziegeninsel herum verteilt und in einem der Boote Frau Margot Hinz und Elli Berliner. „Na, denn man tau!“ sagte er sich und machte — der Weiblichkeit zuliebe — sein allerschönstes Gesicht.

 

Am Schilfrand raubten Barsche im Kleinfischvolk und zwangen es, allweil über die Oberfläche hinweg zu schnellen. Es sah dann aus, als würden Silberstifte aus der Tiefe emporgeworfen. Duisberger, Pelzler und Six bekamen rasch nacheinander ein paar Halbpfünder an die Haken und sahen allem weiteren hoffnungsvoll entgegen. Bei Hinz hatte noch nichts angebissen und auch die beiden Damen warteten einstweilen vergeblich darauf, dass die Schwimmer ihrer Angeln einen Anbiss verraten würden. Plötzlich aber juchzte Frau Berliner auf, denn irgendwas zerrte jetzt an ihrer Angelschnur und hätte ihr um ein Haar die locker gehaltene Rute aus der Hand gerissen. Sie packte fester zu und begann danach, zu ziehen. Aber was da an der Angel hing, das zog nicht minder kräftig, und nun geschah es sogar, dass das Boot von dem zerrenden Fisch vom Schilf hinweg ins freie Wasser gezogen wurde.

 

„Nicht loslassen!“ rief Hinz, der das beobachtete, den Frauensleuten zu. „Ich fress 'nen alten Besen, wenn ihr da nicht 'nen starken Hecht am Haken habt!“

 

In diesem Moment schnellte vor dem Boot der beiden Frauen ein graugrünes Ding vom Ausmaß eines mittleren Ofenrohres aus dem Wasser, überschlug sich in der Luft und platschte mit wuchtigem Flossenschlag in die Flut zurück.

 

Auch der in der Nähe angelnde Kunz hatte den Vorgang beobachtet und lärmte: „Die haben den Zwanzigpfünder dran! Kein Zweifel, sie haben ihn! Ich werd verrückt!!“ Und er traf Anstalten, den Damen zu Hilfe zu kommen; doch da er sich von der Erregung überwältigen ließ, verlor er das Gleichgewicht und kippte über Bord.

 

Der Hecht, dem der Haken immer ärger zusetzte, je mehr er im Wasser herumwirtschaftete, schlug jetzt Purzelbaum um Purzelbaum, wähnend, das üble Ding auf diese Weise aus der Schnauze verlieren zu können.

 

„Schnur nachlassen!“ belehrte Hinz aufgeregt. „Erst nach ner Weile wieder ein bisschen anziehn! Du musst ihn ermüden. Ich komme mit dem Kescher!“ Er versuchte alsdann, sich mit seinem Boot in eine günstige Position zu bringen und danach den Kescher unter den tobenden Hecht zu schieben. Bei diesem Unterfangen lehnte er sich aber zu weit über und verschwand mit einem Plumps in der Flut. Doch er kam gleich wieder hoch, schwamm zu dem Boot der Frauen hinüber und enterte es am Heck.

 

Und nun erhielt der Kampf mit dem Hecht die richtige Taktik.

 

Immerhin währte es noch eine Viertelstunde, bis der große Fisch Anzeichen der Erschöpfung erkennen ließ und reif für den Kescher geworden war.

 

Erst beim Hinauswuchten aus dem Wasser wurde es offensichtlich, dass es sich nur um den vielbesprochenen Riesenhecht handeln konnte. „Der hat noch mehr als zwanzig Pfund Gewicht“, schätzte Hinz; und wie sich's später erwies, hatte er mit seiner Schätzung recht. Der alte, stramme Räuber wog nämlich fast vierundzwanzig Pfund.

 

„Na, ihr Herrn der Schöpfung und Meisterangler ... wie stehn wir Frauen vor euch da?“ pustete sich Margot lächelnd auf und knickte den rechten Arm zum rechten Winkel ein wie ein Muskelprotz nach siegreich beendetem Ringkampf. „Kommt uns nicht noch einmal mit der lächerlichen Behauptung, dass ihr von der Angelei mehr versteht als das langhaarige Volk!“ ..

 

 

Wer da nach dem Lesen dieses Geschichtchens wähnen sollte, dass es sich bei dem Ganzen um das berühmte Anglerlatein handele der mag dabei bleiben. Aber wo hört man auch sonst schon volle Wahrheit allein? Ein bisschen Dichtung ist alleweil dabei. Stimmt's oder hab ich recht? G. S.

 

 

 

Seite 12   Als noch das Rädchen surrte ….

Ein dämmriger Herbstabend hüllt das verschlafene ostpreußische Dörfchen in gleichmäßiges Grau. Auf den Straßen ruht friedliche Stille, die nur ab und zu von Hundegeblaff durchbrochen wird. Da klingen helles Lachen und fröhlicher Zuruf durch die abendliche Einsamkeit. Aus den Türen und Toren der stattlichen Bauernhöfe und langgestreckten niedrigen Insthäuser treten junge Mädchen heraus, den „Pungel“ Flachs unter dem Arm, Spinnrocken und Holzschemel in den Händen. Lustig plaudernd schreiten sie dem Gehöft des Bauern Sakuth zu, wo heute am Martinstag die „Spinnte" eröffnet wird. In der großen Stube sitzen der Bauer, seine Frau und Tochter mit den Mägden im traulichen Dämmerlicht des Kaminfeuers beisammen und erwarten die Gäste, die alsbald im „Spinntehaus“ lärmend ihren Einzug halten. Die heitere Mädchenschar entrichtet bereitwillig ihr „Anzuggeld“ in Höhe von einer Mark und einen Betrag von 50 Pfennig als „Lichtgeld“ an den „Spinntewirt“. Die frischen Marjells in der kleidsamen Bauerntracht aus buntem „Wand“ und „Warb“ nehmen auf den mitgebrachten Holzstühlen zu beiden Seiten des Zimmers Platz und beginnen sogleich mit der Arbeit, die bald in ein emsiges Wettspinnen übergeht. Die Frage, wer in diesem Winter die meisten „Stücke“ schaffen und damit das Anrecht auf die größte Anzahl „Flinsen“ oder „Puntschek“ beim Fastnachtsschmaus erwerben wird, beschäftigt lebhaft die Gemüter. Wieviel angestrengter Fleiß und welch großes Geschick sind erforderlich, um eine „Talle“ Garn zu spinnen, die zehn „Gebinde“ mit je 40 „Fäden“ umfasst, von denen jeder einzelne Faden drei bis vier Ellen misst! Schneller drehen sich die Rädchen und flinker bewegen sich Füße und Hände in sanftem, gleichmäßigem Takt.

 

Nur Anna, des Hauses anmutige Tochter, lässt die sonst so fleißigen Hände müßig in den Schoß sinken. Ihr Auge streift sehnsuchtsvoll die Tür, durch die jetzt polternd und johlend die Burschen eintreten. Vergeblich sucht ihr Blick den Liebsten, der schon lange Zeit das elterliche Haus mied. Ihre schwermutsvolle Stimmung löst sich in der alten Weise vom Sichelrauschen, die ihre Freundin Gertrud in mitleidigem Verstehen anstimmt. In das verhaltene Schluchzen des betrübten Mädchens mischen sich die klagenden Verszeilen: „Wir beide müssen uns scheiden, ja Scheiden, das tut weh“. Auch das Lied der Großmutter, das von fünf wilden Schwänen und den fünf Mädchen singt, „von denen keines den Brautkranz wand“, fügt sich in vollem Gleichklang in die leise Wehmut dieser Stunde.

 

Während die Burschen hinter den Stühlen der Mädchen Aufstellung nehmen, die Alten den beliebten Skat dreschen und die Frauen die Stricknadeln eifrig klappern lassen, sucht Mutter Sakuth die Karten hervor, um Liebesglück und -leid der neugierigen Mädchen zu erforschen. Noch gedrückter wird die Stimmung, als Anna erfahren muss, dass ihr die Zukunft nichts Gutes verspricht. Vater Sakuth, der schon mehrmals missmutige Blicke auf die Frauen und Mädchen geworfen hat, legt plötzlich die Skatkarten aus der Hand, steht ärgerlich auf und weist schimpfend auf die Torheit dieses abergläubischen Treibens hin. Unter den nachdrücklichen Worten des erfahrenen Mannes weicht allmählich der lastende Druck, der sich auf die Frauen- und Mädchengemüter gelegt hat. Anna trocknet mit dem Schürzenzipfel die letzten Tränen, während Mutter Sakuth beschämt die Karten im Tischkasten verwahrt. Lustige Scherzworte der übermütigen Burschen rufen die Marjells auf ihre Plätze zurück. Die nun eintretende wohltuende Entspannung wandelt sich sogleich in helle Freude, als Annas Liebster unerwartet die Spinnstube betritt und neben seinem beglückten Mädchen Platz nimmt.

 

In aller Eile wird jetzt das „Gesätz“, die vorschriftsmäßige Menge Garn, gesponnen und nach Begutachtung durch die Hausfrau an der Stubendecke aufgehängt. In kultartigem Begehen wird ein Flachsrest am Rocken belassen, den die fleißigen Spinnerinnen nach getaner Arbeit beiseite stellen, um sich ganz dem Spiel und Tanz hinzugeben. Die schönen alten Spinnstubenlieder, von denen die meisten Mädchen etwa fünfzig Stück auswendig wissen, und besonders kundige Sängerinnen bis zu zweihundert Volksweisen beherrschen, erklingen in bunter Folge; Märchen, Gespenster-, Räuber- und Lügengeschichten halten den Spinnstubenkreis in erregter Spannung; lustige Neckverse wechseln mit schwierigen Rätselfragen ab, um deren schnelle Lösung sich Jung und Alt bemüht.

 

Mit lautem Gekreisch und Halloh wird der „Czak“ begrüßt, ein Bursche, der sich einen alten Schafpelz umgehängt, einen langen Flachsbart angesteckt hat und auf einem Holzschemel durch die Stube reitet, vor sich den verdeckten Rußtopf, den jeder misstrauisch betrachtet. Sofort eilt er auf eins der Mädchen zu und überfällt die Erschrockene mit seinen schnellen Fragen: „War hier der Czak? — Was hat er getan?, denen unvermittelt die Antworten folgen müssen: „Er war hier und hat Kartoffeln geschält, Reis gekocht“ usf. Weiß die Gefragte nichts zu sagen, so fährt ihr der rüpelhafte Czak mit seinem berußten Hedebüschel ins Gesicht, was jedes Mal allgemeine Heiterkeit auslöst.

 

Dem „schwarzen“ Treiben des Czak bereiten Puppenspieler ein Ende, die marktschreierisch ihre Vorführungen ankünden. Flink legt sich ein Bursche auf den Fußboden und wird mit einem Laken so zugedeckt, dass nur die Hände frei bleiben. In jede Hand nimmt er eine „Flickerpuppe“, die er zu den spaßigen Worten des daneben stehenden Sprechers die drolligsten Bewegungen machen lässt. Mit der üblichen Schlägerei der Kasperlpuppen endet das kleine, beifällig aufgenommene Zwischenspiel, dem eine flotte Tanzweise folgt. Nach den Klängen der Ziehharmonika, die von der Teufelsgeige, vom Pfeifen und kunstvollen Kammblasen der Burschen begleitet wird, schwingt Alt und Jung in ausgelassener Fröhlichkeit noch lange das Tanzbein. Der Ruf des Nachtwächters, der laut die mitternächtliche Stunde verkündet und der Spinnte Feierabend gebietet, macht dem frohen Treiben ein Ende. Erich Schattkowsky

 

Heimatworte — Heimatweisen aus der Welt der Spinnstuben. — Unter diesem Leitwort kündigt der „Bund heimattreuer Ost- und Westpreußen e. V., Berlin“ eine Veranstaltung an, die am Sonntag, dem 6. November, 16 Uhr in den Lichterfelder Festsälen, Berlin-Lichterfelde, Finkensteiner Allee 38, stattfindet.

 

 

Seite 12   „Archiv der ostdeutschen Theater“

Im Rahmen der „Eßlinger Begegnung 1955“, die vom 4. - 8. November 1955 stattfindet, zeigt die Künstlergilde E. V., Verband der heimatvertriebenen Kulturschaffenden in der Bundesrepublik und Berlin, Sitz Eßlingen/N., eine Ausstellung

 

„Das Gesicht des deutschen Theaters im Osten“.

In Dokumenten, Bildern und Erinnerungen wird davon berichtet, welchen bedeutenden Raum das Theater im Kulturleben des Ostens einnahm, wie die Einheit Deutschlands im ostdeutschen Theater beredten Ausdruck fand, und wie die ostdeutschen Theater und ihre Künstler oft das gesamtdeutsche Theaterleben befruchteten. Selbstverständlich kann es sich hierbei zunächst nur um einen Ausschnitt handeln. Mit der Ausstellung wird aber das „Archiv der ostdeutschen Theater“ begründet. Darin wird die Künstlergilde alles sammeln, was nicht nur der Erhaltung der Tradition der Theater in den Vertreibungsgebieten dient, sondern auch alles das, was am Tage der Heimkehr den Wiederaufbau unserer Theater erleichtern kann.

 

Die Künstlergilde bittet darum die Landsmannschaften und ihre Kreisverbände, alle vertriebenen Leiter und Mitglieder der ostdeutschen Theater und vor allem auch die im Osten immer besonders treuen Theaterbesucher, alle in ihren Händen befindlichen Erinnerungen, z. B. Plakate, Theaterzettel, Programmhefte, Bilder, Autographen, Urkunden, Porträts, Karikaturen, Kritiken, Bühnenbild-Entwürfe, Figurinen usw. als Spenden oder Leihgaben der Künstlergilde e. V., Eßlingen am Neckar, Augustinerstraße 22 zuzuleiten.

 

Auch für die Mitteilung persönlicher Theatererinnerungen wird die Künstlergilde sehr dankbar sein.

 

Die Einsendungen müssen bis spätestens 23. Oktober 1955 erfolgt sein.

 

 

 

Seite 12   Suchanzeigen

Nr. 1499: Unbekannter Briefträger aus dem Kreis Rössel (Ostpreußen). Personalien: geboren 1902/1905, mittelgroß, untersetzt, verheiratet, 6 bis 8 Kinder. Verstorben: Anfang 1947 auf dem Heimtransport.

 

Nr. 1517: Arno, unbekannter Gutsbesitzersohn aus Ostpreußen. Personalien: geb. etwa 1927, led., hatte angeblich eine verheiratete Schwester (Wanninger) in Hamburg. Verstorben: 1948/1947 im Lager Gestania.

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (27)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Unser Pochel von damals, wo dem Milcheimer und de Emma umschmiss, dem Bauerochse durche O-Beine rannd und sich denn im Drängrohr verdrickd, is e Staatskerl geworden. Das is nu all e ganzes Jahr her, wo wir ihm kriegden, und wir haben ihm gut gefittert. Eigentlich solld er all e paar Mal geschlacht und durche Wurstmaschien gedreht werden, aber wir kriegden es einfach nich fertig. Wissen Se, unser Franz, — so haben wir ihm getauft als Erinnerung anne Emma ihrem ältsten Bruder, wo all nich mehr lebt — kickt einem immer so treiherzig an, dass es einem ganz warm untre West wird. Ich wolld ja dem Namen nich haben, sondern ihm Julius Zäsar nenen, das klingt viel vornehmer, aber de Emma bestand dadrauf wegen die treiherzige Augen, wo ihr Bruder auch gehabt hädd. „Hadd er denn auch so große Ohren?“ fragd ich ihr. „Na nei, das gerad nich“, meind se, „aber auch so e großem, rundem Bauch“. Na jedenfalls, alles Reden und Schimpfen half mischt, se blieb dabei. Aber ich hab ihm von Anfang an, wenn de Emma nich heerd, Juljus Zäsar gerufen, und denn, nach e paar Wochen, bloß noch Juljus, weil es sonst zu lang war. Und das Scheenste is, nu heert er auf beide Namen. Ganz egal, wer von uns beide mittem Eimer reinkommt und ihm ruft, er meldt sich gleich auße Eck, wo er dem ganzen Tag aufe Seite liegt, und kommt am Trog ran. Und nu stellen sie sich vor, wir sollen ihm schlachten! Das is nich meeglich, das kriegen wir einfach nich iebers Herz, de Emma nich wegnem Franz, und ich nich wegnem Juljus. Da kannst nuscht machen, und deshalb wird er nu immer weiter gefittert, bis er platzt. Verkaufen wollden wir ihm auch all emal, aber der Kuppscheller sagd, der is viel zu fett, de Leite wollen aller bloß noch mageres Fleisch, Kotlett und Schnitzel und magerem

Schinken. Da giebt es nu bloß einem einzigen Ausweg: Wir missen mittem Juljus e Entfettungskur machen. Auf Diät setzen, viel mit ihm spazieren gegen, morgens und abends e halbe Stund Leibesiebungen machen und emmend auch noch Entfettungspillen fier ihm vom Prowiesor kaufen. Nei, nei, was einer mit so e Kuigel block fier Sorgen hat! Aber verhungern darf er ja auch nich, sonst kommt einem noch der Tierschutzverein aufem Hals, und denn mechd er auch brillen, dass sich uns vor Mitleid das Herz im Leib umdreht. Deshalb hab ich ihm vorgestern e Zentner Hafer besorgt und mittem Handwagen aufe Schrotmiehl gebracht. Und da fiel mir die Geschichte von dem alten, pängsionierten Lehrer Budschuhn ein. Der war viele Jahre in ein großes Dorf im Kreis Gerdauen und hat de Kinder belernt und verwamst und aus ihnen anständige und orndliche Menschen gemacht. Das is gar nich so einfach, sich mit die Kinder von fremde Menschen rumzuärgern. Drum denken Se man nich, dass e Lehrer e bequemes Leben hat. Jedenfalls war der Herr Budschuhn sehr beliebt und hat viele Menschen geholfen und beraten, und jeder zog vor ihm tief de Mitz, wenn er ihm traf. Er fitterd auch jedes Jahr zwei Schweinchens und zog auch immer selbst mittem Handwagen aufe Schrotmiehl. Die lag auf ein End im Dorf, und er wohnd aufem andern End. So missd er immer durches ganze Dorf zockeln, und das war ziemlich lang. In Ostpreißen hädden de Leite meistens viel Durst, und dass se auf dem weiten Weg nich verdurstetden, gab es drei Gastheiser, wo auch der Herr Budschuhn regelmäßig Statzjohn machd. Manchmal dauerd es denn ziemlich lang, bis er wieder zu Haus war. Einmal, es war der letzte Tag vonne Osterferien, war er auch wieder unterwegens vonne Schrotmiehl nach Haus und kehrd auch wieder beim Gastwirt ein. Und wie das Unglick es manchmal will, huckden da der Gemeindeverstand, der Pollezist und ein Viehhändler, wo geradzig e gutes Geschäft gemacht hädd und nu mächtig ausgab. Er traktierd de Herrens mit Kornus, bis se nich mehr ausse Augen kicken konnden. Und draußen hädden sich e paar Steppkes am Herr Lehrer seinem Handwagen rangemacht und große Löcher innen Schrotsack reingeschnitten. De Sitzung dauerd von vormittags zehn bis nachmittags um drei. Vleicht hädd se auch noch länger gedauert, aber da war der Kornus aller. Nu grabschd sich der Herr Budschuhn seinen Handwagen und zog vagniegt nach Haus. Aber er stukerd mächtig auf das holprige Pflaster, und der ganze scheene Schrot kleckerd aufe Straß. Erst ganz langsam und denn immer doller. Zuletzt waren bloß noch e paar Handchens voll innem Sack, dafier hädden sich aber alle Gänse und Enten außes ganze Dorf versammelt und freiden sich ieber die scheene Ertra-Mahlzeit, indem dass se ihr eifrig verdricken. Der Herr Lehrer kriegd nu, wie er zu Haus die Bescherung sah, den Bauch voll Zorn, ging zurick aufe Miehl und gab dem armen Miller geheerig Bescheid, dass er dem Sack nich orndlich zugebungen hädd. Erst am andern Morgen merkd er dem Braten, indem dass er dem Sack grindlich untersuchen tat. Nu wurd er aber richtig bees und ging inne Schul, wo all siebzehn neie Schielers auf ihm lauerden neben die vierunddreißig alte. „Gestern haben mir ungezogene Lümmels Löcher in den Schrotsack geschnitten, so dass ich den ganzen Schrot auf der Dorfstraße verloren habe“, so donnerd er los, „was habt Ihr dazu zu sagen?“ Erst war alles mudtsmäusche-still, aber dann meldt sich einer von die sechsjährige Anfänger und meind ganz treuherzig: „Da bist Du aber mächtig duhn gewesen!“ Der Herr Buschubn war platt, aber denn erhold er sich rasch und missd lachen, dass ihm der Bauch wackelt und ihm de Tränen iebre Backen kullerden. Und noch viele Jahre später hat er gern die Geschichte erzählt, das war seine scheenste Erinnerung. Aber wie er denn pängsioniert war und wurd innes Gasthaus aufgefodert, doch noch e bißche zu bleiben, denn sagd er immer lachend: „Nei, jetz is genug, sonst schreit der Strohsack!“ Und wenn denn e Ortsfremder dabei huckd, denn machd der e sehr dummes Gesicht, weil er nich wussd, was das bedeiten solld. Gemeint war natierlich: „Sonst streut der Schrotsack!“ — Und nu muss ich noch emal auf unserm Pochel zurickkommen. Sagen Se, was schlagen Sie mir vor? Was soll ich mit ihm anfangen? Wer mir de beste und lustigste Antwort giebt, der kriegt e Preis! Und nu man ran! Aber verärgern Se mir nich de Emma, die huckt ja mit mir zusammen im Preisgericht. Ach ja, weil wir geradzig vonne Emma sprechen, muss ich Ihnen gleich noch e andre Geschicht erzählen. Inne Emma ihre Jugendzeit — es is all lang her! — konnden de Mergellens sich ihre Breitgams sich nich mit nackte Beine und Atombusen angeln. Das gab es damals nich. Sie waren fest verpackt von oben bis unten und missden hibsch zichtig zu Boden kicken und rot werden, wenn se mittem jungen Mann zu tun kriegden. Aber was sollden se nu machen, wenn se auf einem ganz bestimmten Jingling gieprig waren? Wie sollden se ihm das beibringen? Da gab es nur e einzge Meegligchkeit, nämlich den Liebestrank. Was da eigentlich drin war, wussd kein Mensch nich, bloß die alte Weiber, wo ihm zurecht machden. Nu hädd de Emma e Freindin, die war ganz verrickt auf einem Bauernjung. Se kickd all gar nich mehr zichtig aufe Erd, wenn se ihm traf, und se wurd auch nich rot, aber er merkd und merkd nuscht. Da fassd se dem kiehnen Entschluss, e Liebestrank zu kaufen und ihm innes Bier zu schiften. „Hilft das auch wirklich?“ fragd se die alte Frau, wo se ihr hingeschickt hädden. „Ja“ meind die, „wenn du eine Mark bezahlt, denn wird er dir freindlich ankicken“. „Und wenn ich zwei geb?“ „Denn kann ich ihn natierlich stärker machen, und denn wird dir der junge Mann beim Tanzen ganz fest annes Herz dricken. Wenn du aber ganz sicher gehen willst, dann musst du drei Gulden riskieren. Denn mach ich ihm so stark, dass er dir nach Hause bringt und vor e Tier e Butsch giebt!“ „Gut“, sagt da de Emma ihre Freindin, „denn mach mir man einem fier fimf Mark!“ Was denn dadraus geworden is, hat mir de Emma noch nich verraten. Emmend war es gar nich ihre Freindin? Das stößt mir jetz ebend auf, dadrieber muss ich mal ganz geheerig nachdenken. Morgen muss ich unserm Bauerochse bei die Kartoffel helfen, er will anfangen mittels Buddeln, und ich soll mit auflesen. Da hab ich denn de scheenste Zeit zum Griebeln. Wenn es bloß nich so kalt sein mechd! Mir schuchert all jetz, wenn ich an morgen denken tu. Aber wenn es regent, denn is ja nuscht mittes Buddeln, denn sind die Kartoffel viel zu klätrig. Viel zu ernten wird sowieso nich geben, denn es huckt leider nich viel drunter. Ich hab gester e bißche auf Prob gebuddelt. Wenn ich nu helfen tu, denn is das hauptsächlich wegen unser Pochel, er muss doch auch e paar Kartoffel zu fressen kriegen. Womit wir denn wieder da ange'angt sind, wo wir angefangen haben. Jetz muss ich noch schnell e bissche Holz raufholen, viel heizen kann einer ja nich, denn es is erst Herbst, und der Winter is lang. Aber es is ja auch all ganz scheen, wenn de Luft inne Stub e bissche verschlagen is. So verabschied ich mir fier heite und grieße Ihnen aller bis aufem nächsten Monat!

Ihr Ernst Trostmann Landbriefträger z. A.

 

 

Seite 13   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg – Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Gesucht werden aus:

Alexbrück, Kreis Ebenrode: Manfred Heinz Schwirblat, gebireb 10.03.1942, von seiner Mutter: Martha Schirblat. Manfred Heinz Schirblat wurde von einer Frau Ring im Januar 1946 in einer Rot-Kreuz-Baracke eines Vorortes von Berlin abgegeben. Der Name des Vorortes ist nicht bekannt. Es könnte sein, dass der Knabe Manfred Heinz Schirblat seinerzeit Ausschlag gehabt hat.

 

Cosnehnen, Kreis Samland: Lotte Bargholt, geboren 18.03.1934, von ihrer Pflegemutter: Anna Weiß, geborene Bargholt, geboren 22.11.1904. Lotte befand sich im Februar 1947 im Krankenhaus Palmnicken.

 

Dorntal, Kreis Lyck: Gertrud Borris, geboren 26.08.1935 in Stettenbach, von ihrem Onkel: Erich Mittelstädt, geboren 26.12.1919, und vom Vater: Rudolf Borries.

 

Drengfurt, Kreis Rastenburg: Marianne Thulke, geboren 18.03.1941 in Drengfurt, von Helene Thulke, geborene Willud, geboren 11.08.1917

 

Güntersruhm, Kreis Plöhnen: Erna Dreher, geboren 02.01.1939 in Güntersruhm, von ihrem Vater: Adolf Dreher. Erna Dreher sowie die Mutter: Emma Dreher, geborene Bethke, geboren 28.03.1903, wurden auf der Flucht bei Leipe verwundet und kamen ins Lazarett.

 

Partental, Kreis Goldap: Horst Dörfer, geboren 26.03.1939 in Wedern und Gisela Dörfer, geboren 24.03.1942 in Hartental, von ihrem Vater: Eduard Dörfer, geboren 12.07.1905

 

Heideckshof bei Heinrichswalde, Kreis Elchniederung: Winrich Rathke, geboren 05.10.1939, von seinem Vater: Erich Rathke. Winrich befand sich mit seiner Mutter: Gertrud Rathke, geborene Gawlik, am 24.03.1945 in den großen Hallen im Hafen von Danzig-Neufahrwasser, die für Flüchtlinge für den Abtransport per Schiff freigemacht worden waren. Zur gleichen Zeit soll auf diese Hallen ein Großangriff stattgefunden haben.

 

Insterburg, Steinstraße 2: Die Geschwister Szillat; Bruno Szillat, geboren 1933, Alfred Szillat, geboren 1935; Ingeborg Szillat, geboren 1937 und Irmgard Szillat, geboren etwa 1939, von ihrem Vater: Karl Heinz Szillat.

 

Johannisburg, Lindenstraße 12: Brünhild Synowzik, geboren im Januar 1941 und Marita Synowzik, geboren im Februar 1943, von ihrem Vater: Richard Synowzik.

 

Königsberg, Gerlachstraße 97a: Waltraud Rautenberg, geboren 24.01.1940, von ihrer Tante: Ruth Schiemann. Waltraud kam Anfang Januar 1946 krankheitshalber in das Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg.

 

Königsberg-Abbau Lauth: Ingrid Schlesiger, geboren 12.03.1942, von ihrem Vater: Paul Schlesiger, geboren 04.05.1909. Ingrid Schlesiger kam im Februar 1947, nach dem Tode der Mutter, wegen einer Hautkrankheit in das Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg. Nach Genesung wurde das Kind in das Waisenhaus soll noch 1947 evakuiert worden sein. Wo befinden sich Schwestern, die uns über den Verbleib des Kindes sowie die Verlegung des Waisenhauses Auskunft geben können?

 

Labiau, Siedlung Viehof 27: Erika Bluhm, geboren 25.01.1937; Brigitte Bluhm, geboren 07.03.1943, von ihrem Vater: Adolf Bluhm, geboren 07.06.1903.

 

Mittel-Warkau, Kreis Insterburg: Lothar Hartwich, geboren im August 1943 in Insterburg, von seinem Onkel: Ewald Hartwich, geboren 06.10.1919. Lothar war mit seiner Mutter: Meta Hartwich, geborene Koskalwies, im Oktober oder November 1944 nach Hagenau, Kreis Mohrungen, evakuiert.

 

Neuhausen, Kreis Samland: Günter Gefram, geboren 1937 in Trausitten und Manfred Gefram, geboren 10.12.1939 in Neuhausen, von ihrem Bruder: Kurt Gefram.

 

Prökuls, Kreis Memel: Edda Scheurer, geboren 24.04.1939 in Kiel und Reymund Scheurer, geboren 09.11.1942 in Memel, von ihrer Mutter: Ilse Scheurer, geborene Wichmann, geboren 15.05.1911.

 

Raunau, Kreis Heilsberg: Die Geschwister Paul Kather, geboren 28.06.1933 in Raunau; Monika Kather, geboren 24.03.1938 und Erich Kather, geboren 06.03.1942 in Raunau, von ihrem Vater: Josef Kather, geboren 17.02.1890. Die Geschwister Kather wurden zuletzt im Februar 1945 in Pillau an der Fähre gesehen.

 

Reuschendorf oder Wartenburg, Kreis Allenstein: Die Geschwister Ursula Jeworutzki, geboren 16.12.1933 in Reuschendorf; Kurt Jeworutzki, geboren 10.03.1935 in Reuschendorf; Walter Jeworutzki, geboren 31.03.1938 in Reuschendorf und Klaus Martin Jeworutzki, geboren 11.11.1942, von ihrer Mutter: Auguste Jeworutzki, geborene Fischer, geboren 27.01.1910 in Roggaliken.

 

Rollnau, Kreis Mohrungen: Die Geschwister Herbert Fischer, geb. 16.02.1936 in Rollnau; Heinz Fischer, geboren 03.04.1937; Helmut Fischer, geboren 16.04.1938 in Rollnau und Siegfried Fischer, geboren 24.08.1941 in Rollnau, von ihrem Vater: Gustav Fischer, geboren 02.01.1889, in Hagenau.

 

Scharnau, Kreis Neidenburg: Hildegard Lorenz, geboren 05.03.1936 in Wonsin und Horst Lorenz, geboren 28.08.1937 in Wonsin, von ihrer Mutter: Gretel Lorenz, geborene Schlee, geboren 09.12.1913. Die Kinder Hildegard Lorenz und Horst Lorenz sollen im Lager Potulice bei Bromberg gewesen sein.

 

Schönlinden, Kreis Gerdauen: Albrecht Schnappenat, geboren 03.09.1933 und Bruno Schnappenat, geboren 06.01.1934 in Schönlinden, von ihrer Mutter: Elisabeth Schnappenat, geborene Ditkowski, geboren 30.05.1912 in Fritzendorf.

 

Abschruten, Kreis Wilkowischken: Irene Giest, geboren 20.04.1937 in Abschruten, von ihrer Mutter: Emma Giest, geborene Dacht, geboren 09.09.1899.

 

Almenhausen über Friedland, Kreis Preußisch-Eylau: Renate Diester, geboren 19.11.1939 in Königsberg, von ihrer Tante: Selma Podehl, geborene Nichau, geboren 31.03.1907

 

Braunsberg, Kienbruchstraße 5: Erwin Kort, geboren 16.04.1934 in Schönwalde, von seiner Mutter: Anna Kort

 

Vermutlich Dittauen, Kreis Memel: Werner Galgsdies, geboren etwa 1940, von seiner Tante: Anna Wagner. Werner soll von einer Familie Lapat, die auch aus dem Memelgebiet stammt, als Pflegesohn angenommen worden sein.

 

Ellenbruch, Kreis Gerdauen: Brunhilde Grafke, geboren 04.05.1939 und Gerhard Grafke, geboren 02.04.1941, von ihrem Vater: Robert Grafke, geboren 1905

 

Freudenau, Kreis Plöhnen: Ursula Gruner, geboren im Juli 1941 in Freudenau, von ihrem Onkel: Erich Kugler

 

Gnadenheim, Kreis Goldap: Hans-Dieter Krebstakies, geboren 06.09.1936 in Magdeburg, von seiner Mutter: Erika Krebstakies, verwitwete Plura, verehelichte Kläsener, geboren 12.11.1917

 

Groß-Lassninken, Kreis Insterburg: Günther Unger, geboren etwa 1938, von Gottlieb Meyer, geboren 05.12.1875

 

Grünberg, Kreis Gerdauen: Herbert Rothermund, geboren 02.01.1939 in Grüneberg, von seiner Mutter: Else Richert, verwitwete Rothemund. Herbert ist im Mai 1947 von Kortmedien nach Litauen gegangen. 1948 befand er sich in der Nähe der Stadt Widukeln in Litauen.

 

Gutenfeld, Kreis Samland, Reichssiedlung: Kurt Jung, geboren 04.08.1936 in Ebenrode, von Helene Pässler, geborene Jung, geboren 07.05.1904

 

Johannisburg: Rainer-Richard Broszio, geboren 20.06.1945 in Johannisburg, von seiner Mutter: Gertrud Broszio. Rainer-Richard soll im Sommer 1947 mit einem Kindertransport von Preußisch-Eylauaus nach dem Westen gekommen sein.

 

Königsberg-Ponarth, Barbarastraße 90: Arno Siegfried Bortz, geboren 13.01.1934 in Königsberg, von seinen Eltern: Artur Bortz, geboren 12.01.1906 und Emma Bortz, geborene Jenschewski, geboren 27.12.1909

 

Lindental, Kreis Elchniederung: Dieter Wolfgang Sakautzki, geboren 19.04.1936 und Alfred Klaus Sakautzki, geboren 30.07.1939, von ihrer Tante: Auguste Rochna, geborene Sakautzki, geboren 02.04.1898. Im März 1945 befanden sich Dieter-Wolfgang und Alfred-Klaus in Wolfsdorf, Kreis Samland

 

Meludwiesen, Kreis Bartenstein: Gerda Schwarz, geboren 05.03.1934 in Meludwiesen, von ihrem Bruder: Gerhard Schwarz, geboren 12.04.1928

 

Opinogora bei Zichenau: Siegfried Kuhn, geboren 29.04.1936 in Tapiau, von seinem Vater: Hermann Kuhn, geboren 10.04.1900

 

Posmahlen, Kreis Preußisch-Eylau: Fritz Bries, geboren 09.08.1935 in Tollkheim, von seiner Schwester: Gertrud Bries, geboren 06.05.1931. Fritz wurde 1947 im Waisenhaus Königsberg-Ponarth gesehen.

 

Regitten, Kreis Samland: Die Geschwister Christel Broschinski, geboren 01.01.1933; Manfred Broschinski, geboren 12.03.1939; Elsa Broschinski, geboren 13.02.1940 und Erwin Broschinski, von ihrem Vater: Fritz Broschinski

 

Reuschenfeld, Kreis Gerdauen: Rudi Keiwel, geboren 11.09.1935 in Wolfshöhe und Siegfried Keiwel, geboren 08.12.1938 in Wolfshöhe, von ihrer Mutter: Hildegard Keiwel, geborene Frohnert, geboren 13.02.1919

 

Sensburg: Dieter Trutenat, geboren 1942, von Anni Füssing. Dieter soll in Sensburg bei Gertrud Trutenat nach dem Tod seiner Mutter gelebt haben.

 

Schwenzen, Kreis Memel, bei Familie Rugalis: Alfred Martin Petrauskas, geboren 05.06.1940 in Dumben, von seiner Mutter: Stasi Petrauskas.

 

Steegen, Kreis Preußisch-Holland: Boto Groß, geboren 23.07.1937 in Groß-Tippeln, von seiner Mutter: Elise Groß, geborene Runge, geboren 15.07.1913.

 

Tapiau, Kreis Wehlau, Kirchenstraße, bei Margarete Neumann: Helga Schiffer, geboren 18.04.1939, von ihrer Mutter: Margarete Schiffer

 

Warengen bei Medenau, Kreis Samland: Rosemarie, Hanna Klein, geboren 12.06.1939 in Warengen, von ihrem Vater: Ernst Johannes Klein, geboren 19.02.1902. Rosemarie kam im April 1947 in das Kinderkrankenhaus in Kaunas, Litauen, Gereicostraße 4. Sie war an Typhus erkrankt.

 

Wiskiauten, Kreis Samland: Helmut Rimkus, geboren 12.7.1943 in Wargenau, von Franz Wach, geboren 07.09.1905

 

Wittenrode, Kreis Labiau: Margarete Jakobeit, geboren 11.01.1939 in Wittenrode, von ihrer Mutter: Anna Jakobeit, geboren 12.08.1917. Margarete wurde 1945 in Wittenrode von ihrer Mutter getrennt und kam angeblich nach Königsberg in ein Heim.

 

Königsberg: Regine Lohmeier, geboren 08.03.1945 im Hochbunker Kopernikus in Königsberg, von ihrer Mutter: Liesbeth Lohmeier, geboren 20.03.1926. Das Kind wurde von der Mutter am 07.04.1945, um 18 Uhr, in Königsberg, Schönbuscher Friedhof, getrennt. Die Erstlingswäsche des Kindes war mit „RL“ gezeichnet. Im Kinderwagen befanden sich eine Geburtsurkunde und ein Stammbuch. Wer hat am 07.04.1945 oder kurz darauf von der Besatzungsmacht einen Säugling in Empfang genommen und kann über den Verbleib des Kindes Regine Lohmeier Auskunft geben?

 

Königsberg: Klaus Matolat, geboren 12.11.1937 in Königsberg, von Anna Hergaden, geborene Trampler, geboren 05.03.1906.

 

Königsberg, An den Birken 25: Gerda Rohde, geboren 1933 in Königsberg, von ihrer Tante: Margarete Rupp, geborene Mai, geboren 04.08.1912

 

Königsberg, Bärenstraße: Christa Borchert, geboren 1937 und Willibald Borchert, geboren 1939, von ihrem Onkel: Karl Borchert

 

Königsberg, Boelckestraße 8: Monika Reuter, geboren 1941 und Margitta Reuter, geboren 18.11.1943, von ihrem Onkel: Willi Schenk, geboren 02.02.1927

 

Königsberg, Domtauer Weg 19: Gisela Roew, geboren 1942 in Königsberg, von ihrer Tante: Gertrud Birth, geborene Roew, geboren 29.10.1897. Das Kind ist im Oktober 1944 von Memel mit der Großmutter, Frau Günter, nach dem Westen evakuiert worden.

 

Königsberg, Hagenstraße 32: Karin Giese, geboren 1933 in Königsberg, von Gerda Essen, geborene Rose, geboren 18.01.1906, und von Hans Giese, geboren 10.08.1892

 

Königsberg, ehemalige Hermann-Göring-Straße Nr. 79/I: Reinhard Wieberneit, geboren 02.07.1936 und Ingrid Wieberneit, geboren 1938, von Wilhelm Reimann, geboren 18.07.1902

 

Königsberg, Magisterstraße 54: Irmgard Schrade, geboren 30.09.1934, von ihrem Vater: Ernst Schrade

 

Königsberg, Roonstraße 19: Dorothea Wohlgemuth, geboren 12.08.1936, von ihrem Vater: Hermann Wohlgemuth, geboren 10.09.1905

 

Königsberg, Schleiermacherstraße 50: Adolf Hoffmann, geboren 01.05.1938, von seinem Vater: Ernst Hoffmann

 

Petersdorf, Kreis Wehlau: Ursula Lehwald, geboren 04.12.1935 und Günter Lehwald, geboren 22.08.1937, von ihrer Mutter: Charlotte Lehwald, geborene Abel, geboren 26.08.1913

 

Mühlhausen, Kreis Preußisch-Eylau: Ernst Glahs, geboren 1936 und Ingrid Glahs, geboren 1942, von Kurt Glahs. Bei den Kindern befand sich die Mutter: Frieda Stanisch, geborene Glahs, geboren 06.04.1906

 

Rauschen-Düne (Kinderkrankenhaus): Gerhard Klowski, geboren 23.12.1943, von seiner Mutter: Elisabeth Klowski, geboren 03.03.1918. Vermutlich kam der Knabe mit einem Transport nach Mecklenburg.

 

Tilsit, Schwedenfeld 22: Karl-Heinz Kalweit, geboren 29.08.1935, von seinen Eltern: Otto Kalweit, geboren 19.12.1898 und Frieda Kalweit, geborene Ohlendorf, geboren 17.11.1898. Karl-Heinz Kalweit wohnte zuletzt in Schlawe (Pommern), Nikolaistraße 6. Von dort soll er mit den älteren Geschwistern Hanna Kalweit und Traute Kalweit nach Dänemark gekommen sein.

 

Wenzken, Kreis Angerburg: Jürgen-Klaus Jacobeit, geboren 25.10.1935 in Wenzken, von seiner Tante: Helene Jacobeit, geboren 28.06.1907. Jürgen-Klaus befand sich im Januar 1945 im Waisenhaus in Heilsberg.

 

Zinten, Kreis Heiligenbeil, Augustastraße 6: Doris Mayer, geboren 1943, von ihrer Mutter: Luise Mayer, geborene Stadthaus, geboren 22.03.1915. Das Kind befand sich in Zinten bei der Großmutter Auguste Stadthaus, geborene Penkwitz, geboren 05.10.1886.

 

Aglohnen, Kreis Memel: Ruth Bandsze, geboren 17.04.1933 in Aglohnen, von ihrer Mutter: Eva Bandsze, geboren 21.06.1898.

 

Fließdof, Kreis Lyck: Bruno Konopka, geboren 08.12.1934 in Gorlau und Ursel Konopka, geboren 12.11.1944 in Allenstein, von ihrer Tante: Helene Gutowski, geborene Gryzik, geboren 19.04.1915. Die Kinder wurden mit ihrer Mutter: Anna Konopka, im November 1944 nach Allenstein evakuiert.

 

Friedrichshof, Kreis Ortelsburg: Irene Mattheussek, geboren 05.10.1936 in Friedrichshof, von ihrer Schwester: Ingeborg Brunotte, geboren 24.08.1929

 

Gedaithen, Kreis Allenstein: Hedwig Chojnowski, geboren etwa 1937, gesucht von ihrem Onkel: Josef Chojnowski. Hedwig soll mit ihrer Schwester, Vorname unbekannt, in ein Waisenhaus nach Allenstein gekommen sein.

 

Golzhausen, Kreis Labiau: Die Geschwister Erika Schlegge, geboren 19.05.1933 in Pillau II; Eva Schlegge, geboren 28.07.1934 in Pillau II; Friedrich Schlegge, geboren 28.07.1935 in Golzhausen und Gerhard Schlegge, geboren 31.05.1942 in Golzhausen, von ihrem Vater: Hermann Schlegge.

 

Grönfleet, Kreis Goldap: Gerhard Genzer, geboren 07.11.1939, von seiner Tante Elisabeth Warnecke, geborene Mathiszik, geboren 11.07.1910. Gerhard kam im Herbst 1945 in das Flüchtlingslager Laage in Mecklenburg.

 

Grünheim, Kreis Gerdauen: Magdalene Pehl, geboren 27.05.1935 in Grünheim, von Gustav Pehl, geboren 24.09.1887.

 

Heilsberg, Infanteriestraße 19: Christel Nichotz, geboren 31.10.1937 in Heilsberg, von ihrem Onkel Rudolf Schmissat, geboren 11.07.1902.

 

Karkelbeck, Kreis Memel: Bernhard Gailus, geboren 11.11.1933 in Karkelbeck, von Hilde Nerke, geborene Gailus, geboren 27.02.1921

 

Karkeln, Kreis Elchniederung: Helga Urban, geboren 02.12.1936 in Karkeln, von ihrer Tante: Käte Puzicha, geborene Radau, geboren 27.03.1904 und von ihrem Vater: Herbert Urban

 

Königsberg, Oberhaberberg 63: Karl Heinz Neumann, geboren 19.11.1943, von Inge Werner

 

Leidtkeim, Kreis Preußisch-Eylau: Die Geschwister Gerhard Mertins, geboren 06.12.1938; Udo Mertins, geboren 25.01.1941 und Heidemarie Mertins, geboren im Februar 1942 in Königsberg, von ihrem Onkel: Hans Mertins

 

Memel, Tilsiter Straße 50: Harald-Jürgen Pippirs, geboren 02.05.1943, von seiner Mutter, Edith Pippirs. Der Knabe hat sich in Memel, Tilsiter Straße 50, bei Anna Willumeit, in Pflege befunden. Dieselbe gab 1945 den Junger einer Frau Burkowsky oder Burkowitz in Memel-Schmelz.

 

Nordenburg, Kreis Gerdauen: Reinhard Gröning, geboren 26.09.1939 in Nordenburg, von seinem Vater: Otto Gröning.

 

Pillau-Neutief: Wolfhardt Schirrmacher, geboren 15.03.1943, von seinem Vater: Kurt Schirrmacher und dem Großvater Hermann Biermann. Wolfhardt Schirrmacher war im Februar 1945 auf der Flucht von Heiligenbeil nach Pillau in Begleitung seiner Mutter, Frieda Schirrmacher, und seinen Großeltern, Biermann. Bei einem Fliegerangriff wurden Wolfhardt und seine Mutter verwundet und vermutlich in das Hilfslazarett des Seefliegerhorstes Pillau-Neutief eingewiesen. Dieses Lazarett soll seinerzeit von einem Oberstabsarzt Dr. med. Wagner geleitet worden sein.

 

Rudau, Kreis Samland: Heinz Riess, geboren 27.04.1935 in Königsberg und Erika Riess, geboren 20.10.1937 in Steinitten, von ihrem Onkel, Heinz Riess, geboren 01.07.1917. Die Kinder kamen 1946 in das Waisenhaus Quednau bei Königsberg

 

Tanenwalde, Kreis Samland: Herbert Wittrin, geboren 31.12.1935 in Goldschmiede und Klaus Wittrin, geboren 22.07.1943 in Tannenwalde, von ihrem Onkel, Emil Laurien, geboren 18.08.1890

 

Warschfelde, Kreis Elchniederung: Asta Wohlgemuth, geboren 09.04.1941, von ihrer Mutter: Pauline Pfaff, geborene Wohlgemuth. Das Kind befand sich zuletzt bei der Großmutter, Berta Wohlgemuth, geborene Siebert, geboren 1882 und wurde mit derselben nach Heiligenbeil evakuiert.

 

Wiedenau, Kreis Gerdauen: Fredi Schemmerling, geboren 18.12.1938 und Arno Schemmerling, geboren 02.02.1940 in Wiedenau, von ihrer Mutter: Elsa Grün, verwitwete Schemmerling, geboren 26.08.1912

 

Wolfshöhe, Kreis Gerdauen: Kurt Gräwert, geboren 18.10.1934, von seiner Tante: Hildegard Keiwel, geborene Frohnert, geboren 13.12.1919. Kurt Gräwert soll bei Rassiny in Litauen bei einem Bauern gewesen sein.

 

Wormditt, Kreis Braunsberg, St.-Elisabeth-Waisenhaus: Hildegard Czerwinski, geboren 04.11.1933 in Bottau, von ihrer Tante: Magdalene Kempe

 

Zinten, Kreis Heiligenbeil, ehemalige Straße der SA 9: Hannelore Hollstein, geboren 11.01.1940 in Zinten, Hartmut-Uwe Hollstein, geboren 08.12.1944 in Stollberg (Harz) und Traute Hollstein, geboren 28.04.1937 in Heiligenbeil, von ihrer Tante: Margarete Rozek, geborene Lucas, geboren 23.01.1900. Die Kinder sollen mit der Mutter, Charlotte Hollstein geborene Lucas, im Auffanglager Rosenberg gewesen sein und wurden dann in Pillau auf dem Dampfer „General Steuben“ gesehen.

 

Kumehnen, Kreis Samland: Margarete Wiedom, geboren 02.02.1935 in Dulwehnen, von ihrer Mutter: Helene Wiedom, geborene Möhrke, und von ihrer Schwester, Hildegard Loewert, geboren 02.04.1924

 

Löwenhagen, Kreis Samland: Gerhard Ganns oder Ganus, geboren 10.02.1939 und Ingrid Ganns oder Ganus, geboren 02.03.1940 in Löwenhagen, von ihrem Vater: Peter Ganus oder Ganns, geboren 07.12.1913

 

Neuendorf, Kreis Heilsberg: Die Geschwister Ursula Woelki, geboren 21.10.1936; Reinhold Woelki, geboren 18.07.1938; Manfred Woelki, geboren 20.04.1940 und Brigitte Woelki, geboren 20.10.1944, von ihrem Vater: Bruno Woelki, geboren 31.10.1907. Die Kinder sollen sich auf dem Dampfer „Andros“ befunden haben.

 

Proeck, Kreis Gerdauen: Lothar Molzahn, geboren 13.09.1943, von seinem Vater, Robert Molzahn. Lothar ist mit seiner Mutter im November-Dezember 1945 in Sawadden oder Hochlindenberg, Kreis Gerdauen gewesen.

 

Gut Saalau, Kreis Insterburg: Anneliese Jeschke, geboren 14.10.1939 in Siemohren, von ihrer Mutter, Martha Jeschke, geboren 27.04.1912 in Koschen. Das Kind Anneliese Jeschke war bei seinen Großeltern, Martin Schulz und Luise Schulz auf dem Gut Saalau. Auf der Flucht von dort soll die Großmutter ums Leben gekommen sein.

 

Sandkirchen, Kreis Tilsit-Ragnit: Franz Werner Urbschat, geboren 26.09.1937, von seinem Pflegevater, Gustav Binding, geboren 25.09.1882. Franz Werner Urbschat war zuletzt zusammen mit den Kindern, Gerhard Voigt und Walter Voigt aus Argenfelde, Kreis Elchniederung, in dem Kinderheim Heinrichswalde, Kreis Elchniederung

 

Sonnigheim, Post Rositten, Kreis Samland: Gerda Frischmuth, geboren 08.11.1937; Erna Frischmuth, geboren 20.12.1938 und Reinhold Frischmuth, geboren 07.04.1941, von ihrem Vater: Otto Frischmuth, geboren 06.04.1899. Die Kinder waren im September 1944 von Darzeppeln nach Sonnigheim zu dem Bauern Teschnit evakuiert worden.

 

Schönbruch, Kreis Bartenstein: Die Geschwister Klaus Grönig, geboren 14.08.1940, Harald Grönig, geboren 14.01.1939, Gisela Grönig, geboren 04.07.1936 und Helga Grönig, geboren 28.03.1931, von ihren Eltern: Otto Grönig und Marta Grönig. Die Kinder sollen sich zuletzt mit der Großmutter Auguste Klein, geborene Hoffmann, geboren 08.08.1877 und der Tante, Erna Hoffmann, geboren 13.07.1920 auf dem Gut Pöhlen in Schönbruch, Kreis Bartenstein, aufgehalten haben.

 

Schwerfelde, Kreis Insterburg: Walter Erich Strasser, geboren 07.01.1933 und Erwin Alfred Strasser, geboren 22.03.1934, von ihrer Mutter, Emma Warlies, geschiedene Strasser, geborene Tillwick. Walter Strasser und Erwin Strasser waren im März 1947 in Litauen und haben dort bei Bauern gearbeitet.

 

Widminnen, Kreis Lötzen, Lycker Straße 7: Inge Waltraut Albrecht, geboren 17.08.1939 und Ursel Traute Albrecht, geboren 14.06.1941 in Königsgrätz, von ihrer Mutter, Margarete von Bandel, geschiedene Albrecht, geborene Fuhrmann.

 

 

Seite 13   Suchdienst – Gefallene und gestorbene Wehrmachtsangehörige.

Anfragen und Mitteilung zu dieser Liste sind unter Angabe des Namens und Vornamens des Gemeldeten (zweiter Name in der Suchmeldung) an den Suchdienst München, Rundfunkauskunft München 13. Infanteriestraße 7a. zu richten.

 

Gesucht werden:

Fritz Pilzer, aus Ebenrode, Kasseler Straße 36, für Fritz Pilzer, geb. 07.10.1926.

 

Marie Poetschke, aus Guttstadt/Abbau, für Paul Poetschke, geb. 11.07.1907 in Galitten.

 

Familie Poetsch, aus Insterburg, Brauereistr. 8, für Heinrich Poetsch, geb. 26.03.1894.

 

Berta Schrank,  aus Kleitz, Kreis Blumenau, für Otto Pietzkowski, geb. 07.10.1904 in Osterode.

 

Familie Pill, aus Königsberg, Preußisch-Quednau, Gartenstraße 26, für Walter Pill, geb. 07.03.1913.

 

Erhard Pöppel, aus Königsberg, Lückestraße 18, für Hans-Erhard Pöppel, geb. 07.10.1905 in Königsberg.

 

Martha Plathe, aus Königsberg, Philosophendamm 10, für Werner, Plate, geb. 18.05.1905 in Remscheid.

 

Käthe Pieseck, aus Königsberg, Polwestr. 53, für Friedrich Pieseck, geb. 08.08.1903 in Königsberg.

 

Fritz Pierk, aus Liedicken, Kreis Tilsit, für Willi Pierk, geb. 11.09.1921 in Naujeningken.

 

Maria Pogies, aus Memel, Querstr. 1a, für Ernst Pogies, geb. 11.11.1915 in Memel.

 

Ruth-Marie Podszus, aus Memel, Töpferstr. 1a, für Michel Podszus, geb. 22.12.1899 in Truschellen

 

Auguste Plewka, aus Neidenburg, Hohensteiner Straße, für Karl Plewka, geb. 28.01.1907 in Groß-Tauersee.

 

Wilma Piethe, aus Neudamm-Neuwerk, Friedrichstraße 13, für Otto Piethe, , geb. 04.01.1889 in Ludwigsthal.

 

Herr H. Koß, aus Postgen, Kreis Lyck, für Paul Plewka, geb. 08.04.1922 in Oberhausen.

 

Berta Pohl, aus Rastenburg, Ludendorffstr. 4, für Willi Pohl, geb. 10.10.1907 in Rastenburg.

 

Elisabeth Pietronski, aus Saniprode, Kreis Rastenburg, für Gustav Pietronski, geb. 28.11.1894 in Maschnen.

 

Adeline Pohlke, , aus Steinsee, Kreis Insterburg, für Fritz Pohlke, geb. 12.02.1905 in Sesslacken.

 

Erna Paroll, aus Abbau-Thierberg über Osterode, für Karl Paroll, geb. 07.03.1900 in Zinten.

 

Marta Paukstadt, aus Althof bei Insterburg, für Ernst Paukstadt, geboren 01.0.1903 in Uszballen.

 

Martha Pfeiffer, , aus Bertung, Kreis Allenstein, für Franz Pfeiffer, geb. 17.03.1901.

 

Alma Parzer, aus Deutsch-Eylau, Kreis Rosenberg, Bahnhofstraße 20, für Kurt Parzer, geb. 19.01.1906 in Rosenberg.

 

Familie Paul, aus Eichhorn, Kreis Preuß.-Eylau, für Gustav Paul, geb. 27.12.1883 in Eichhorn.

 

Ferdinand Philipp, aus Ellerswald III, Kreis Elbing, für Gustav Philipp, geb. 25.07.1919 in Ellerswald III.

 

Fritz Philipp, aus Erlenau, Kreis Sensburg, für Heinrich Philipp, geb. 18.02.1921 in Erlenau.

 

Luise Pauli, aus Galsdon 2, Kreis Heydekrug, für Josef Pauli, geb. 20.08.1919 in Kastelbell.

 

Gottlieb Pianka, aus Gronau, Kreis Allenstein, für Erich Pianka, geb. 26.08.1907 in Steinberg.

 

Martha Peldzus, aus Heiligenberg, für Gustav Peldzus, geb. 26.01.1890 in Baublen.

 

Familie Paul, aus Königsberg, Inselweg 8, für Peter Paul, geb. 15.09.1889.

 

Frau Pawils, aus Königsberg, Insterburger Str. 13, für Walter Pawils, geb. 27.11.1908 in Memel.

 

Fritz Peppel, aus Königsberg, Kohlhof 1054/2, für Fritz Peppel, , geb. 29.01.1924 in Königsberg.

 

Gertrud Pelka, aus Landsberg-Lehmgrube, Kreis Rosenberg, für Karl Pelka, geb. 23.10.1907 in Landsberg.

 

Anna Paternoga, aus Neurode 56, Kreis Groß-Wartenburg, für Helmut Paternoga, geb. 12.20.? (vielleich Dezember 1920?) in Neurode.

 

Erna Pawlowski, , aus Osterode, Wilhelmstr. 45, für Otto Pawlowski, geb. 20.03.1912 in Steubendorf.

 

Rudolf Pasternack, aus Petsch, Kreis Heilsberg, für Heinrich Pasternack, geb. 04.03.1915 in Marienwerder.

 

Lina Passlack, aus Rastenburg, Kösheimer Weg 4, für Fritz Passlack, geb. 23.12.1900 in Marlach.

 

Jakob Pawils, aus Schlappschill, Kreis Memel, für Hans Pawils, geb. 12.02.1926 in Dinwethen.

 

August Pettkus, aus Schönfeld, Kreis Labiau, für Rudolf Petkus, geb. 27.08.1920 in Medszo-Kelmoor.

 

Hermann Paschko, aus Wilhelmssorge, Kreis Gerdauen, für Helmut Paschko, geb. 20.12.1923.

 

Gertrud Peteroschka, aus Tilsit, frühere Straße der SA 21, für Ernst Peteroschka, geb. 27.02.1902.

 

 

 

Seite 14   65 Jahre eheliche Gemeinschaft

Zum 65. Male jährt sich der Hochzeitstag des Rentnerehepaares Eduard Horn und seiner Ehefrau Berta, die beide noch sehr rüstig ihren Lebensabend in Apelnstedt, Kreis Wolfenbüttel, verbringen. Genau am 19. Oktober 1890 wurden sie in der St Barbarakirche zu Danzig getraut und gemeinsam begannen sie nun in ehelicher Verbundenheit den Kampf gegen das manchmal sehr harte und wechselvolle Leben.

 

Eduard H. wurde am 30. November 1867 in Bartenstein geboren. Seine Schuljahre verbrachte er in Allenstein, wo er dann auch in der Werkstatt des bekannten Meisters Lion den Beruf des Schlossers erlernte. Nach Beendigung seiner Lehre zog er nach Danzig und arbeitete hier in der „Königlichen Artilleriewerkstatt“ an dem Bau von Feldgeschützen. Diesen Dienst übte er bis zu seinem 62. Lebensjahr aus. Für seine jahrelange Tätigkeit erhielt er vom Staat das Verdienstkreuz am Bande als Auszeichnung.

 

Hier in Danzig lernte er auch seine Frau Berta kennen, die am 27. September 1868 als Tochter eines Eisenbahners geboren wurde. Durch den frühen Tod ihrer Mutter musste Frau Berta den Haushalt des Vaters führen, bis sie Eduard Horn in ihr eigenes Heim, eine Mietswohnung in Danzig, entführte.

 

Viel Glück und Leid haben die Eheleute miteinander erlebt. Von den elf Kindern, die dieser Ehe entsprossen waren, verstarben sechs. Zwei schwere Kriege, die großes Leid über das deutsche Volk brachten, haben sie miteinander erlebt Ihren geliebten Wohnort Danzig, der ihnen Heimat geworden war und in dem Eduard Horn durch seine Tätigkeit als Vorstand des evangelischen Arbeitervereins sehr bekannt war, mussten sie am 27. Januar 1945 verlassen auf der Flucht vor den hereinbrechenden Feinden. Die Eheleute wissen viel von der anstrengenden Flucht in einem Güterzug zu berichten, von den dauernden Bombenangriffen. Zunächst wurden sie in das Lager Rüdersdorf verschlagen. Durch die Fürsprache des damaligen Bürgermeisters von Apelnstedt gelang es, das Ehepaar nach Apelnstedt zu bekommen, wo sie bis heute noch sehr rüstig ihren Lebensabend verbringen. Die beiden alten Leute werden zurzeit von ihrer Tochter betreut die durch die Flucht auch nach Apelnstedt verschlagen wurde.

 

Tag für Tag kann man E. Horn auf seinen Spaziergängen durch die weiten Fluren des Dorfes beobachten. Schon von weitem grüßen die Dorfkinder „ihren“ Opa Horn.

 

Im Kreise von vier Kindern wird das Jubelpaar am 19. Oktober 1955 hier im Orte die eiserne Hochzeit feiern. Einer Tochter, die in Kanada lebt, und die seit 33 Jahren nicht wieder in Deutschland war, musste leider die Teilnahme an der Hochzeit versagt bleiben, da für sie die weite Reise zu anstrengend gewesen wäre. — Persönlichkeiten des Ortes und des Landkreises Wolfenbüttel werden ihre Glückwünsche dem Jubelpaare überbringen. Durch den ostpreußischen Pfarrer Bodschwinna wird das Ehepaar in der hiesigen Dorfkirche eingesegnet werden. Die hiesige Gemeinde und mit ihr alle Ost- und Westpreußen, die das Ehepaar gekannt haben, werden an diesem Tage ihre Glückwünsche zu diesem seltenen Fest der Eisernen Hochzeit aussprechen.

 

 

Seite 14   Foto. Die erfolgreichen ostpreußischen Senioren beim Traditionssportfest in Frankfurt a. M.

Obere Reihe von links: Hilbrecht, Schories (beide VfB Kbg.), Domschat (Preußen-Insterburg), Kurreck (Pr. Samland, Kbg.), Scharmacher (VfB Kbg.), Dr. Schmidtke (Asco Kbg.), Liedig (Pr. Samland, Kbg.), Geelhaar (Mannschaftsleiter), Blask (beide SpV. Lötzen), Schemionek (Ostpreußenvertreter), X ?. — Untere Reihe: X ?, Albrecht (Pr. Samland, Kbg.), Petschull (Asco, Kbg.), Hildebrand (Pr. Samland, Kbg.), Wagemann (Post Kgb.), X ?.

 

 

Seite 14   Europäische Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen.

Vom 9. bis 15. August tagten in Helsinki, der Hauptstadt Finnlands, der Kongress und die Forschungsgruppe der Europäischen Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen (AER)). Um ein wichtiges Ereignis gleich vorweg zu nehmen, sei darauf hingewiesen, dass in Helsinki die Konstituierung der Weltforschungsgruppe für Flüchtlingsfragen (AWR) erfolgte. Diese Gruppe will durch die Zusammenfassung vor allem der Wissenschaftler und Soziologen der freien Welt, die sich dem Studium des Weltflüchtlingsproblems gewidmet haben, das ihrige zur weiteren notwendigen Bearbeitung und Bekanntmachung dieses Problems beitragen. Die bisherige Europäische Forschungsgruppe (AER) wird Sektion der Weltforschungsgruppe für Flüchtlingsfragen (AWR).

 

In Helsinki hatte sich eine stattliche Gruppe von Wissenschaftlern und auch sonst an der Vertriebenenfrage interessierten Personen zusammengefunden. Sie kamen aus allen Teilen der Welt, u. a. aus Indien, Pakistan, Indochina. Besonders stark waren die Bundesrepublik und Finnland vertreten. Unter den Deutschen sah man u. a. Staatssekretär Dr. Nahm vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Prof. Müller aus Nürnberg, der die soziologische Sektion der AER leitet, den Vorsitzenden des Vertriebenenausschusses des Bundestages, Kuntscher, den Abgeordneten Kinat, den bekannten Hygieniker Prof. Harmsen aus Hamburg, Prof. Dr. Rgge aus München und Prof. M. H. Boehm aus Lüneburg.

 

Die Deutschen und die Teilnehmer aus Finnland konnten in ganz besonderem Maße aus der Gesetzgebung ihrer Länder zum Austausch der Gedanken usw. beitragen. Hierbei darf unterstrichen werden, dass insbesondere die Österreicher unumwunden zugestehen mussten, dass in ihrem Land in der Vertriebenenfrage auch nicht annähernd so viel geschehen ist, wie in den genannten Ländern und wie es notwendig wäre.

 

Mit besonderem Interesse wurden die Darlegungen der Teilnehmer aus Finnland zur Kenntnis genommen, vor allem das große Aufbauwerk, das sich in Finnland im Hinblick auf die Eingliederung der rund 400000 Karelier vollzogen hat. Unter Beistimmung der karelischen Vertreter konnte erklärt werden, dass diese Eingliederung, wirtschaftlich gesehen, positiv durchgeführt worden ist, dass aber trotzdem die Karelier ihre, wie die Vertreter der Landsmannschaften mit Genugtuung feststellen konnten, kulturellen und sonstigen landsmannschaftlichen Aufgaben mit ganz besonderer Intensität weiterverfolgen, vor allem die heimatpolitische Art. Die Karelier in Finnland stellen heute im besten Sinne dieses Wortes eine landsmannschaftliche Gruppe dar, die sich ihrer Aufgaben und ihrer Bedeutung voll bewusst ist.

 

 

Im Holzner-Verlag Würzburg erschien Heft 1 des vom Göttinger Arbeitskreis herausgegebenen „Ostdeutschen Literatur-Anzeigers“. Die Zweimonatsschrift bringt eine laufende Übersicht über die wichtigen Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Ostforschung, Ostgeschichte und Ostpolitik. —

 

 

Seite 14   Zivil-Gefangene

Gesucht werden aus: Elchwerder, Kreis Labiau: die Angehörigen des Erich Kuhn, geb. etwa 1926.

 

 

Seite 15   Wieviel Steuern spart eine Lebensversicherung ein?

Obwohl in der Öffentlichkeit die Steuersenkung auf Grund der großen Steuerreform hier und da als nicht in jeder Hinsicht befriedigend bezeichnet wird, lässt sich nicht verkennen, dass für die mittleren Einkommen von 6000 bis 20 000 DM ab 01.01.1955 recht beträchtliche Steuernachlässe eingetreten sind. Für eine breite Schicht steht damit bei gleichbleibendem Einkommen ein höheres Nettoeinkommen für den Verbrauch zur Verfügung. Mancher Familienvater, der bisher einen Beitrag für seine Alterssicherung oder die seiner Familie unter Hinweis auf sonstige dringende gegenwärtige Bedürfnisse nicht glaubte aufbringen zu können, ist jetzt in der Lage, an die Zukunftssicherung der Seinen und seines eigenen Alters zu denken und z. B. auch den bisher hinausgeschobenen Lebensversicherungsabschluss vorzunehmen.

 

Die folgende Tabelle zeigt, was ein Lohnsteuerpflichtiger jetzt über den Pauschbetrag von monatlich 52 DM hinaus in jedem Monat für eine Lebensversicherung aufwenden kann, ohne daß sein Nettogehalt kleiner wird, als es vor dem 01.01.1955 war:

 

Monatl. Bruttogehalt: DM 500, Steuerkl. 1 = 8 DM; Steuerkl. 2 = 7 DM; Steuerkl. 3,1= 7 DM; Steuerkl. 3,2 = 8 DM; Steuerkl. 3,3 = 17 DM

 

Monatl. Bruttogehalt: DM 600, Steuerkl. 1 = 15 DM; Steuerkl. 2 = 15 DM; Steuerkl. 3,1= 12 DM; Steuerkl. 3,2 = 12 DM; Steuerkl. 3,3 = 22 DM

 

Monatl. Bruttogehalt: DM 800, Steuerkl. 1 = 38 DM; Steuerkl. 2 = 32 DM; Steuerkl. 3,1= 30 DM; Steuerkl. 3,2 = 26 DM; Steuerkl. 3,3 = 39 DM

 

Monatl. Bruttogehalt: DM 1000, Steuerkl. 1 = 48 DM; Steuerkl. 2 = 63 DM; Steuerkl. 3,1= 58 DM; Steuerkl. 3,2 = 53 DM; Steuerkl. 3,3 = 66 DM

 

Monatl. Bruttogehalt: DM 1200, Steuerkl. 1 = 48 DM; Steuerkl. 2 = 91 DM; Steuerkl. 3,1= 88 DM; Steuerkl. 3,2 = 85 DM; Steuerkl. 3,3 = 99 DM

 

Monatl. Bruttogehalt: DM 1400, Steuerkl. 1 = 48 DM; Steuerkl. 2 = 123 DM; Steuerkl. 3,1= 118 DM; Steuerkl. 3,2 = 115 DM; Steuerkl. 3,3 = 133 DM

 

Wendet ein verheirateter Lohnsteuerpflichtiger mit einem Kind (Steuerklasse 3,1) diese Beträge monatlich für eine Lebensversicherung auf, so kann er, ohne dass sein Nettoeinkommen unter den Stand vor dem 01.01.1955 sinkt, Lebensversicherungen in Höhe der in der folgenden Tabelle angegebenen Beträge abschließen:

 

Monatsbeitrag und Vers.-Steuer: 7 DM. Höhe der Versicherungssumme bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren = 3200 DM; 40 Jahren = 2800 DM; 40 Jahren = 2400 DM; 45 Jahren = 2000 DM

 

Monatsbeitrag und Vers.-Steuer: 12 DM. Höhe der Versicherungssumme bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren = 5800 DM; 40 Jahren = 5100 DM; 40 Jahren = 4200 DM; 45 Jahren = 3600 DM

 

Monatsbeitrag und Vers.-Steuer: 30 DM. Höhe der Versicherungssumme bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren = 14600 DM; 40 Jahren = 12700 DM; 40 Jahren = 10900 DM; 45 Jahren = 9200 DM

 

Monatsbeitrag und Vers.-Steuer: 58 DM. Höhe der Versicherungssumme bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren = 29500 DM; 40 Jahren = 25600 DM; 40 Jahren = 21800 DM; 45 Jahren = 17800 DM

 

Monatsbeitrag und Vers.-Steuer: 88 DM. Höhe der Versicherungssumme bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren = 44800 DM; 40 Jahren = 38800 DM; 40 Jahren = 33000 DM; 45 Jahren = 27800 DM

 

Monatsbeitrag und Vers.-Steuer: 118 DM. Höhe der Versicherungssumme bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren = 62900 DM; 40 Jahren = 54100 DM; 40 Jahren = 44300 DM; 45 Jahren = 37300 DM

 

Wenn sich also ein nach Steuerklasse 3,1 veranlagter Steuerpflichtiger mit einem Einkommen von 12000 DM im Jahr 1955 mit dem Netteinkommen begnügt, das er seit 1954 hatte, d. h. den Steuernachlass von monatlich 58 DM in einer Lebensversicherung anlegt, so kann er auf das 65. Lebensjahr als 35-jähriger den ansehnlichen Betrag von 25600 DM versichern.

 

Diese Berechnung zeigt ganz klar, welchen Wert die große Steuerreform hat, wenn man sie für einen Lebensversicherungsabschluss ausnutzt.

 

 

Seite 15   Pilz-Weisheiten

Mal Hand auf’s Herz, liebe Hausfrau, werden Sie nicht auch an Sonn- und Feiertagen ein bisschen nervös, wenn der Braten in der Pfanne brutzelt und Sie beim Abschmecken immer wieder feststellen: da fehlt doch etwas? Ja, und dann beginnt  die Kramerei im Gewürzfach; manchmal mit, oft aber auch ohne Erfolg Vater hat ja keine Ahnung von den Küchensorgen!  Er braucht ja auch nicht alles zu wissen, aber alles essen soll er schon. Darum ist schmackhaft  zu kochen für die Hausfrau Selbstzweck. Natürlich spielt die geschickte Zusammenstellung der Speisefolge eine nicht zu unterschätzende Rolle, doch ausschlaggebend aber bleibt, dass die einzelnen Gerichte gut abgeschmeckt sind. Der Gaumen muss freundlich, angenehm würzig, pikant und ausgeglichen beeindruck werden. Kurz gesagt, eine Symphonie an Wohlgeschmack muss ihn begeistern. Um Suppen und Speisen so geschmackvoll abzurunden, stehen uns heute vielerlei Hilfsmittel zur Verfügung; es kommt nur darauf an, die richtige Auswahl zu treffen. Diese Sorgen hatten nun unsere Großmütter nicht, denn sie kannten kaum ein halbes Dutzend Suppenwürzen bzw. Extrakte. Dennoch wussten bereits vor mehr als 100 Jahren englische Feinschmecker ihre „Worcester-Sauce“ als Speisenwürze zu schätzen. Dabei braucht nicht verschwiegen werden, dass echtes Pilzpulver zu den Hauptbestandteilen einer guten „Worcester-Sauce“ zählt. Auch bei den alten Germanen, also bereits in grauer Vorzeit, waren Pilze eine beliebte Speisenwürze. Damals stand zwar der Wald unmittelbar vor der „Haustür“, aber auch heute geht man nur um die Ecke ins Lebensmittelgeschäft, um im Zellophanbeutel, hygienisch einwandfrei verpackt, Silva-Trockenpilze zu erhalten. Als wohl einziges Unternehmen in Europa verarbeiten die Silva-Werke Edelpilze in modernen Trockenanlagen naturfrisch und vollkommen mechanisch. Die durch Warmluftstrom getrockneten Pilze behalten voll die ihnen von der Natur gegebene starke Würze und das wundervolle Pilzaroma. Die Pilzkonserven in der bekannten Dosenkonservierung eignen sich kaum zum Würzen von Speisen, während Silva-Trockenpilze geradezu ein ideales Gewürz für den Haushalt und die Großküche sind. Die kleinste Packung kostet küchenfertig 30 Pfennig und hält sich auch im angebrochenen Zustand noch lange gebrauchsfertig, und gebrauchen kann man Trockenpilze zu fast allen Speisen. Anerkannte Küchenchefs kennen die Pilzgeheimnisse und illustrieren gern ihre Speisenkarten durch Beilagen von Pilzgerichten. Und warum soll die Hausfrau das nicht können? Von der Pilzsuppe angefangen, üer Pilzsaucen, Pilzgoulasch, Pilzomelett bis zu Pilzpastete gibt es ungezählte Möglichkeiten, durch Pilzgerichte oder Pilzbeigaben würzige Abwechslung in den Küchenzettel zu bringen. Anregungen und Probebeutel senden Ihnen auf Wunsch gern und kostenlos die Silva-Werke GmbH, 17a Siegelsbach, Postfach 19.

 

 

 

Seite 15   Heimkehrer-Aussagen über Vermisste

Wer kennt die Angehörigen? Nachrichten an die Auskunftsstelle für Wehrmachtsvermisste München 13, Infanteriestr. 7 a.

 

Gesucht werden aus:

Königsberg: die Angehörigen von: Willi Eisermann, geb. etwa 1924/1925, ledig.

 

Tilsit: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Engelmann, geb. in Tilsit, verh. Beruf: Musiklehrer.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Karl Behrendt; verh., Beruf: Maurer.

 

vermutlich aus Ostpreußen: die Angehörigen von Gustav Berwing, geb. etwa 1905 in Waropönen, verh., Beruf: Landwirt.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Paul Belgard, geb. etwa 1907/1909 in Ostpreußen, verh., Beruf: Landwirt, Gefreiter.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Walter Belgard, geb. etwa 1908, verh., Holzfäller, Gefreiter oder Obergefreiter.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Vorname unbekannt, Berents, Unterwachtmeister.

 

Vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von Herbert Birwirt, geb. etwa 1915/1920 in Ostpreußen, ledig, von Beruf Schmied.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Vorname unbekannt, Fechner, geb. etwa 1910/1911 in Ostpreußen, verh., Wehrmachtsangestellter, Soldat.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Bruno Engelin, geb. etwa 1914/1915, ledig.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Xaver Eduard, geb. etwa 1926, Beruf: Friseur, Obergefreiter.

 

Vermutlich aus Ostpreußen: die Angehörigen von vermutlich Kurt Eisenhart, geb. etwa 1890.

 

Vermutlich aus Allenstein: die Angehörigen von Vorname unbekannt Butgereit, Unteroffizier, A 7395.

 

Der Gegend von Gumbinnen: die Angehörigen von Otto Frenik, Molkereiangestellter, A 7510.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Vorname unbekannt, May, geb. etwa 1900/1902 in Ostpreußen, Stabswachtmeister bei der 3. Schwadron Kradschützen-Abteilung 4 der 24. Panzer-Division, A 6302.

 

 

Seite 15   Familienanzeigen

Sie sollen uns für alle Zelt als Vorbild umschweben in Freud‘ und Leid. Der Tod riss wiederum zwei liebe alte Turnbrüder aus unseren Reihen. Am 17. August 1955 starb in Klütz (Mecklenburg) im 78. Lebensjahr, Emil Herder, von der Elbinger Turngemeinde – Ehrenmitglied - .

Am 10. September 1955 starb in Oldenburg (Oldb.) im 72. Lebensjahr, Emil Korbanka, vom Männer-Turn-Verein Lyck. Mit ihnen sind zwei hervorragende Vorturner und Mitarbeiter dahingegangen, die in ihren Vereinen und darüber hinaus selbstlos und treu jahrzehntelang für die Ziele deutschen Turnens im Geiste Friedrich Ludwig Jahns an der deutschen Jugend gearbeitet haben. Ihr Geist lebt in uns fort und wird auch seinen Teil dazu beitragen, die Heimat in Frieden und Freiheit wiederzuerlangen. Turnerfamilie Ostpreußen – Danzig – Westpreußen. Fritz Babbel. Wilhelm Alm

 

Aus einem frohen und hoffnungsvollen Leben entriss uns nach Gottes Willen die Nordsee am 31. August 1955 unseren geliebten einzigen Sohn und Bruder, Oberprimaner Peter Trilat, im fast vollendeten 20. Lebensjahr. Wir bitten um stilles Gedenken. Gustav Trilat, Verwaltungsamtmann.Margarete Trilat, geborene Fischer. Urte Trilat. Früher: Königsberg Preußen, Hans Saganstraße 46a. Jetzt: Sanderbusch in Oldenburg, Landeskrankenhaus.

 

Zum 10-jährigen Gedenken an meinen lieben, fürsorglichen Ehemann, Kaufmann Arthur Heyer, gestorben am 18.10.1945 in Georgenwalde, Samland. Er folgte unserem guten, treusorgenden Vater, Robert Dorn, der am 08.10.1945 in Königsberg in Preußen, verstorben ist. Unsere liebe Schwester, Anna Dorn, ist am 26.11.1945 ebenfalls in Königsberg verstorben. Witwe Gertrud Heyer, geborene Dorn. (22a) Solingen-Ohligs, Trommershausenstraße 16a. Früher: Königsberg in Preußen, Goltzeallee 24.

 

 

Seite 15   Suchanzeigen

Reinhold Radschun, Zwillingsbruder des Fotografen Paul Radschun, aus Königsberg/Pr., Friedl. Torplatz 9, geb. 16.01.1889, wird vermisst. Wer kann Auskunft über seinen Verbleib geben? Nachr. erbittet Eugen Kühlewindt, Ansbach (Mfr.), Schalkhäuser Straße 76.

 

Wer kann Auskunft geben? Paul Scheer, geboren am 18.12.1925 in Reimerswalde, Kreis Heilsberg (Ostpreußen), SS-Soldat. Letzte Nachr. Dezember 1945, letzte Feldpost-Nr. unbekannt. — Ebenfalls wird gesucht: Emilie Scheer, geboren am 16.06.1922 in Reimerswalde, Kreis Hellsberg (Ostpreußen). Sie wurde am 22. März 1945 von den Russen verschleppt. Gesucht werden sie von Valentin Scheer, Reimerswalde, Kreis Heilsberg (Ostpreußen) zurzeit Oppenau, Haus Posen, Kreis Offenburg/Baden.

 

 

Seite 16   Unsere sozialpolitische Seite: Das Häftlingsgesetz.

Das „Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (West) in Gewahrsam genommen wurden“, vom 6. August 1955 (BGBl I S. 498) — kurz als „Häftlingshilfegesetz“ bezeichnet — ist am 10. August dieses Jahres in Kraft getreten. Es ist auf Grund von Anträgen der Koalitionsparteien und der Opposition erlassen worden und soll die Opfer des „kalten Krieges“ sowie deren Angehörige den Opfern des zweiten Weltkrieges gleichstellen.

 

Wer hat Ansprüche nach dem Gesetz

Leistungen auf Grund des Gesetzes erhalten in erster Reihe deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die nach dem 8. Mai 1945 in der Sowjetzone, im Sowjetsektor von Berlin, in den zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebieten, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und Albanien in Gewahrsam genommen wurden. Die Freiheitsentziehung muss aus politischen und von dem Betroffenen „nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertretenden Gründen“ erfolgt sein. Ansprüche nach dem Gesetz haben ferner die Angehörigen von Personen, die in den angegebenen Gebieten aus den angegebenen Gründen jetzt noch in Gewahrsam sind sowie Hinterbliebene von Personen, die infolge einer im Gewahrsam erlittenen Schädigung verstorben sind.

 

Voraussetzung für die Geltendmachung von Ansprüchen ist in jedem Falle, dass der Antragsteller am Tage des Inkrafttretens des Gesetzes, nämlich am 10. August 1955, seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet oder in Westberlin hatte oder dort später als sogenannter „Aussiedler“, anerkannter „Sowjetzonenflüchtling“ oder im Wege der „Familienzusammenführung“ begründet hat. „Aussiedler“ sind die Personen, die nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die oben bezeichneten Gebiete verlassen haben oder verlassen. Als „Sowjetzonenflüchtlinge“ gelten die Personen, die aus der Sowjetzone oder dem Sowjetsektor von Berlin flüchten mussten, um sich einer (von ihnen nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten) besonderen Zwangslage zu entziehen und durch ihr Verhalten nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Als „Familienzusammenführung“ gilt die Zusammenführung von Eheleuten, minderjährigen oder volljährigen, aber noch in der Ausbildung stehenden oder sonst unterhaltsbedürftigen oder pflegebedürftigen Kindern mit den Eltern, von hilfsbedürftigen Eltern mit den unterhaltspflichtigen Kindern, von minderjährigen Kindern mit den Großeltern, wenn die Eltern nicht mehr leben oder sich der Kinder nicht annehmen können, und schließlich von minderjährigen Kindern mit Verwandten der Seitenlinie, wenn die Eltern und Großeltern nicht mehr leben oder sich der Kinder nicht annehmen können.

 

Ausgeschlossen von den Rechten und Vergünstigungen des Gesetzes sind Personen, die in den Gewahrsländern — vor, während oder nach ihrer Inhaftnahme — dem dort herrschenden politischen System in verwerflicher Weise, insbesondere durch aktiven Einsatz, Vorschub geleistet oder durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben. Bloße Mitgliedschaft zu einer im Gewahrsamslande herrschenden Partei oder eine Stellung im dortigen öffentlichen Dienst ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Ausgeschlossen von den Vergünstigungen des Gesetzes sind ferner nach dem Zusammenbruch durch ein westdeutsches oder Westberliner Gericht rechtskräftig zu Zuchthausstrafe von mehr als drei Jahren oder Ehrverlust Verurteilte.

 

Die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz kann versagt oder eingestellt werden, wenn sich herausstellt, dass der Betreffende sich im Dienste oder zugunsten eines in den Gewahrsamsländern herrschenden politischen Systems betätigt hat und hierdurch die Sicherheit oder die demokratischen Einrichtungen der Bundesrepublik oder des Landes Berlin gefährdet wurden oder werden.

 

Angehörige von Personen, die auf Grund ihres Verhaltens von den Rechten und Vergünstigungen des Gesetzes ausgeschlossen sind, können sich ebenfalls nicht auf das Gesetz berufen.

 

Im Gesetz ist die Bundesregierung ermächtigt worden, den Kreis der Begünstigten durch Verordnung noch zu erweitern, insbesondere auf Personen, die in anderen als den angeführten Gebieten in Gewahrsam genommen wurden. Gedacht ist hierbei insbesondere an Gebiete, wo die politischen Verhältnisse ähnlich wie in der Sowjetunion geartet sind, z. B. die Volksrepublik China, das kommunistisch regierte Indochina und andere in gleicher Weise regierte Gebiete. Die Erweiterung des Personenkreises kann sich auch auf Personen erstrecken, die nicht in Gewahrsam genommen, aber durch andere Maßnahmen, z. B. Misshandlungen durch Polizeiorgane oder politische Terroristen, Schädigungen erlitten haben.

 

Schon vor Erlass der in Aussicht genommenen Verordnung kann, wie das Gesetz ausdrücklich bestimmt, in derartigen Fällen — und in anderen Fällen —, wo die formalen gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Rechten und Vergünstigungen nicht gegeben sind, „zur Vermeidung unbilliger Härten“ durch Einzelmaßnahmen („Härteausgleich“) geholfen werden. Zuständig hierfür sind die obersten Landesbehörden, die in jedem Falle der Zustimmung des Bundesvertriebenenministers bedürfen.

 

Welche Ansprüche und Vergünstigungen gewährt das Gesetz?

Personen, die infolge ihrer Inhaftierung gesundheitliche Schädigungen erlitten haben, erhalten — in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes — Beschädigtenfürsorge — wozu bekanntlich nicht nur Beschädigtenrente und Pflegezulage, sondern auch Heilbehandlung, Krankengeld, Hausgeld, Arbeits- und Berufsförderung sowie Hinterbliebenenrente gehören. Hinterbliebene von Personen, die an den Folgen der Schädigung gestorben sind, haben — ebenfalls entsprechend den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes — Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung. Die Anträge auf Gewährung von Beschädigten- oder Hinterbliebenenversorgung sind binnen eines Jahres zu stellen. Die Frist beginnt für Beschädigte mit dem Eintreffen im Bundesgebiet oder Westberlin. Für Hinterbliebene beginnt die Frist mit dem Empfang der Todesnachricht. Waren die Hinterbliebenen zu dieser Zeit noch nicht im Bundesgebiet bzw. Westberlin, so beginnt die Frist mit ihrem Eintreffen daselbst. In keinem Falle endet die Frist für die Stellung des Antrags vor dem 10.08.1956 (1 Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes). Ist die Antragsfrist versäumt worden, so kann der Antrag in gewissen Fällen auch noch später gestellt werden; auch besteht die Möglichkeit, im Wege des „Härteausgleichs“ zu helfen.

 

Befindet sich der Betroffene noch in Gewahrsam, so erhalten seine Angehörigen Unterhaltsbeihilfe, und zwar in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen. Die Unterhaltsbeihilfe wird von dem Beginn des Monats ab gewährt, in dem der Antrag gestellt wird.

 

Berechtigte, die länger als zwölf Monate in Gewahrsam waren, und binnen sechs Monaten nach ihrer Entlassung ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet oder in Westberlin genommen haben, erhalten — in entsprechender Anwendung des Heimkehrergesetzes — die darin vorgesehenen Vergünstigungen, sofern ihnen nicht nach anderen Vorschriften gleichartige Vergünstigungen gewährt werden können. Die Leistungen des Heimkehrergesetzes sind insbesondere: Entlassungsgeld und Übergangsbeihilfe, Befreiung von Zuzugsbeschränkungen in gewissem Umfang, bevorzugte Wohnraumzuteilung, Sicherung des früheren Arbeitsverhältnisses, Kündigungsschutz, erleichterte Zulassung in gewissen Berufen, bevorzugte Arbeitsvermittlung und Einstellung in den öffentlichen Dienst sowie Besserstellung in der Arbeitslosenhilfe und Sozialversicherung.

 

Welche Behörden sind zuständig?

Für die Gewährung von Beschädigtenversorgung, Hinterbliebenenversorgung, und Unterhaltsbeihilfe sind die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und des Unterhaltshilfegesetzes, für die Ansprüche nach dem Heimkehrergesetz die mit dessen Durchführung beauftragten Behörden und Stellen.

 

Der Nachweis, dass 1. die Voraussetzungen gegeben sind, an die das Gesetz die Ansprüche und Vergünstigungen knüpft, und 2. keine Ausschließungsgründe vorliegen, muss in jedem Falle durch eine Bescheinigung erbracht werden. Der Bundesvertriebenenminister hat den für die Durchführung des Gesetzes zuständigen obersten Landesbehörden in einem Rundschreiben (vom 10.08.1955) nahe gelegt, die Ausstellung der Bescheinigungen den Behörden zu übertragen, die für die Ausstellung der sogenannten C-Ausweise (für „Sowjetzonenflüchtlinge“) nach dem Bundesvertriebenengesetz zuständig sind. Das sind die Vertriebenen- oder Flüchtlingsämter bei den Kreisbehörden. Da diese schon längere Erfahrung in der Beurteilung der gesetzlichen Voraussetzungen und in der Anwendung und Auslegung der hier wesentlichen Begriffe, wie des „verwerflichen Vorschubleisten“, des Verstoßes gegen die Grundsätze der „Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit“ und ähnliches haben, wird man annehmen können, dass die Länder den Empfehlungen des Bundesvertriebenenministers folgen.

 

Hält sich der Berechtigte noch in einem Gast- oder Durchgangslager auf, so sind für die Gewährung von Leistungen und die Ausstellung der Bescheinigungen die Behörden zuständig, in deren Bezirk sich das Lager befindet.

 

Das Gesetz gilt auch in dem Lande Berlin. Dr. L.

 

 

Seite 16   Professor Dr. Ernst v. Hippel ein Nachkomme Theodor v. Hippels, des namhaften Schriftstellers und Oberbürgermeisters von Königsberg, ein Sohn des Geheimrats Robert v. Hippel, Strafrechtsprofessors in Göttingen, vollendete am 26. September 1955 in Mehlem a. Rh. sein 60. Lebensjahr. Er studierte in Köln und Göttingen Jura, habilitierte sich 1924 in Heidelberg, wirkte als Ordinarius in Rostock und Königsberg, kam 1940 als ordentlicher Professor für öffentliches Recht, Völkerrecht, Rechts- und Staatsphilosophie an die Universität Köln. Seine „Untersuchung zum Problem des fehlerhaften Staatsaktes“, „Der Bolschewismus und seine Überwindung“, „Einführung in die Rechtstheorie“, „Der Krieger Gottes“, „Bacon und das Staatsdenken des Materialismus“ sowie „Rechts- und Naturgesetz“ wurden wiederholt aufgelegt.

 

 

Seite 16   Der Völkerrechtler Prof. Krauß, Vorsitzender des Göttinger Arbeitskreises, erklärte, der bevorstehende Diplomatenaustausch zwischen der Bundesregierung und der Sowjetunion habe keinerlei rechtliche Bedeutung für Grenzfragen. Für die deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße sei der Völkerrechtssatz maßgeblich, dass  Annektion völkerrechtswidrig und damit nichtig sei, zumal durch sie Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker erfolgte.

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