Ostpreußen-Warte, Folge 01 vom Januar 1955
Ostpreußen-Warte
Folge 01 vom Januar 1955
Seite 1 Die Freiheit verlangt Opfer. Von Bundestagspräsident, D. Dr. Eugen Gerstenmaier.
Wird das Jahr 1955 das Jahr der großen Entspannung? Es gibt Voraussagen dieser Art. Wir Deutschen erwarten von der auch von uns so heiß erwünschten Entspannung zwischen Ost und West die Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands. Ein sonst wohlunterrichteter Journalist mit internationalem Namen hat vorausgesagt, dass das neue Jahr das Jahr mit den besten Friedensaussichten seit dem Kriegsende sein werde. Aber er hat hinzugefügt, dass dieser Frieden geschlossen werde auf der Grundlage des Status quo, und das würde heißen, über dem geteilt bleibenden Deutschland.
Europäische Neuordnung.
Wir Deutsche haben — ähnlich wie andere Völker — viele Wünsche für das neue Jahr. Die einen sind mehr, die anderen sind vielleicht weniger gerechtfertigt, aber die meisten lassen sich vertreten. Aber sie sind alle zusammen nicht so wichtig wie der eine große Wunsch, der seit Jahr und Tag unser politisches Denken und Tun bestimmt: die Wiederherstellung der nationalen und gebietsmäßigen Einheit Deutschlands mit den Mitteln des Friedens und im Zeichen der Freiheit. Das vergangene Jahr hat nicht nur uns, sondern auch anderen europäischen Völkern eine bittere Enttäuschung gebracht: Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist nicht deshalb so bedauerlich, weil damit eine bestimmte Form der militärischen Zusammenarbeit unmöglich geworden ist. Sondern dieses Scheitern ist und bleibt deshalb so schmerzlich, weil eine große Chance für eine dauerhafte Friedensordnung der europäischen Völker vertan wurde. Die EVG als Mittel und Antriebskraft der politischen Einigung Europas war die große Hoffnung vieler Junger und Alter, die sonst über Wehr und Waffen nur zurückhaltend denken. Das neue Jahr wird möglicherweise die Entscheidung darüber bringen, ob der Gedanke der europäischen Einigung auf lange Sicht unverwirklicht bleibt oder ob die Pariser Verträge eine verhältnismäßig kurzfristige Übergangslösung darstellen. Die Pariser Verträge können beides sein: eine Brücke in eine neue Epoche der europäischen Gemeinschaft oder die Endstation dieser Bemühungen.
Wiedervereinigung Deutschlands.
Unser großer Wunsch an das neue Jahr ist, dass es uns vor einer ähnlichen Enttäuschung bewahren möge im Ringen um die Lösung der Wiedervereinigung unseres Landes. Ein wesentlicher Sinn der Pariser Verträge liegt für uns darin, dass diese Verträge der Bundesrepublik als der einzig legitimen Vertretung Gesamtdeutschlands das Recht zur politischen Aktionsfreiheit geben. Mit der Beendigung des Besatzungsregimes gewinnt die Bundesrepublik das Recht, damit aber auch die Verpflichtung, mit der eigenen Stimme und der eigenen Initiative im internationalen Bereich jede große und kleine Chance wahrzunehmen, die der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes nützen kann. Wenn jene Voraussage zutreffen sollte, dass das neue Jahr das Jahr der Entspannung, das Jahr des auf der Grundlage des bestehenden Zustandes gefestigten Weltfriedens werden wird, dann würde das für uns Deutsche bei aller Friedensliebe ein schmerzliches Jahr werden. Wir glauben zwar, dass die Entspannung zwischen Ost und West erst die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung schafft, aber wir sind ebenso der Überzeugung, dass der Friede der Welt gefährdet bleibt und die Entspannung zwischen Ost und West jeden Augenblick in das Gegenteil umschlagen kann, wenn Deutschlands Einheit nicht darauf folgt. Alles, was wir mit unserer eigenen Stimme und unserer eigenen Initiativkraft im internationalen Bereich, am internationalen Konferenztisch, aber auch in der direkten Begegnung mit den Regierungen des Westens und Ostens zu tun vermögen, sind wir solange zu tun verpflichtet, als damit nicht die Freiheit der Bundesrepublik und die zukünftige Freiheit Gesamtdeutschlands in Frage gestellt wird.
Innerdeutsche Aufgaben.
Es gibt große Aufgaben anderer Art, die Deutschland im neuen Jahr lösen muss. Dazu gehört — so wie die Dinge stehen — die Errichtung einer neuen deutschen Wehrverfassung, die Schaffung einer Armee und eine grundlegende Klärung und Überholung unseres gesamten Sozialsystems. Damit sind Aufgaben umschrieben, die auf uns zukommen und denen nicht ausgewichen werden darf, auch wenn sie — wie z. B. die Verabschiedung einer Wehrverfassung — ohne alle Begeisterung geschehen. Wir machen uns keine Illusion über die Schwierigkeit und den Ernst der uns mit der Wiederbewaffnung Deutschlands gestellten Aufgaben. Wir glauben, dass z. B. mit der Errichtung der Armee unserem ganzen Volk eine Aufgabe gestellt ist, die nicht nur seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit entschieden beanspruchen, sondern die noch mehr eine große Probe auf sein unter schweren Erfahrungen geläutertes und geklärtes nationales Bewusstsein sein wird.
Nicht um diese Probe machen zu können, haben, wir uns der Wiederbewaffnung nicht verweigert, sondern weil wir uns in der Welt, wie sie heute ist, der Forderung nicht entziehen können, das unsere für die Sicherheit unseres eigenen Bodens und unserer eigenen Freiheit zu tun. Die Lasten, die uns dabei auferlegt werden, sind weder leicht, noch dürfen sie im Mindesten verharmlost werden. Aber
man darf sich ihnen auch nicht mit vielleicht ideal klingenden, aber illusionären politischen Konzeptionen entziehen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unsere Entschlossenheit zur Freiheit Opfer verlangt. Diese Opfer dürfen nicht verweigert werden.
Entspannung zwischen Ost und West im Zeichen des Weltfriedens mit der Folge der Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands — das ist der große Wunsch, mit dem die Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze in das neue Jahr gehen.
Seite 1 Über 10000 dürfen schreiben.
Wie der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Weitz, in einem Aufruf zur Jahreswende mitteilte, haben sowjetische Stellen die Unterlagen für Reisevisa angefordert, die Weitz und andere Angehörige des DRK für den geplanten Besuch der sowjetischen Rotkreuzgesellschaft in Moskau benötigen. Damit sind die Aussichten für neue Verhandlungen über eine Freilassung der noch in der Sowjetunion zurückgehaltenen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten günstiger geworden. Von ihnen stehen zurzeit nach einer Mitteilung des evangelischen Bischofs Meckel 9000 Kriegsgefangene in Briefverkehr mit ihren Angehörigen, von den Zivilgefangenen, die neuerdings in größerem Umfang Schreiberlaubnis erhielten, sind es 1500.
Gleichzeitig meldet das Informationsbüro West, die Sowjetregierung habe den Behörden der Sowjetzone die Ankunft eines neuen Heimkehrer Transportes im Laufe des Januar angekündigt. Die Rückführung dieser Heimkehrer sei schon 1954 geplant gewesen, habe sich jedoch „aus technischen Gründen“ verzögert. Die sowjetische Mitteilung gibt die Schuld für die Verzögerung den Verurteilten selbst, die die notwendige Überprüfung angeblich erschwerten.
Als positiv bezeichnete Weitz in seinem Aufruf die durch das polnische Rote Kreuz ermöglichte Umsiedlung von Deutschen aus Polen zu ihren in der Bundesrepublik lebenden Angehörigen. Über das Schicksal der noch über 1300 namentlich bekannten Gefangenen in Polen konnte er nichts Neues sagen. Dagegen nannte Weitz die Zusage des tschechischen Roten Kreuzes, den 2400 Gefangenen in der Tschechoslowakei zu Weihnachten Liebesgabenpakete zu übermitteln, einen Beweis der Wirksamkeit der internationalen Zusammenarbeit des Roten Kreuzes.
Seite 1 Gelder für den Lastenausgleich fließen zügig.
Finanzministerium rechnet mit Fortsetzung der günstigen Entwicklung des Lastenausgleichs. Bei seinen sehr ausführlichen Darlegungen über den Haushaltsplan 1955 vor dem Deutschen Bundestag kam Staatssekretär Hartmann u. a. auch auf die Auswirkungen des Lastenausgleichs zu sprechen. Die Einnahmen hätten sich auch 1954 befriedigend entwickelt und es sei anzunehmen, dass das gleiche Aufkommen auch 1955 gehalten werden könne. Zu der Steigerung des Aufkommens habe insbesondere beigetragen, dass die Abgabepflichtigen in zunehmendem Maße von der Möglichkeit einer Ablösung Gebrauch gemacht hätten. Bisher — so sagte Staatssekretär Hartmann weiter — sind in etwa 100 000 Fällen Lastenausgleichsabgaben mit einem Gesamtbetrag von über 200 Millionen DM abgelöst worden. Gleich günstig sei auch das Aufkommen aus der Vermögenssteuer gewesen.
Wörtlich fuhr Staatssekretär Hartmann dann fort: „Die Leistungen aus dem Ausgleichsfonds haben inzwischen die ursprünglichen Schätzungen weit überstiegen. 1954 sind allein für Hausratshilfen bisher 1060 Millionen DM, für Aufbaudarlehen in ihren drei Formen rund 1080 Millionen bereitgestellt worden“. Das Bundesausgleichsamt sei bemüht gewesen, auf den Abfluss der Kassenbestände hinzuwirken und habe deshalb in beträchtlichem Umfange Vorgriffe auf die Einnahmen des Rechnungsjahres 1955 durchgeführt. Es liege in der Natur der Sache, dass die so ausgegebenen Mittel im folgenden Jahr nicht nochmals zur Verfügung stünden. Daher werde der Ausgleichsfonds auch im Rechnungsjahr 1955 zwar erhebliche Leistungen an die Geschädigten gewähren können; zusätzliche Verplanungen über die gesetzlich fixierten Leistungen hinaus seien aber jetzt nur noch beschränkt möglich. Das Bundesausgleichsamt prüfe zurzeit Wege, den Übergang zu dem neuen Zustand erleichtern.
Seite 1 Zum Paketversand in die alten Heimatgebiete.
Seitens der polnischen Regierung soll eine neue Durchführungsbestimmung zu dem Zollgesetz vom 9. Januar 1954 veranlasst worden sein, nach der bei Bedürftigkeit eine Ermäßigung der sehr hohen Zollsätze bis zu 50 Prozent nach Ermessen der polnischen Verwaltungsbehörden angewandt werden dürfte. Danach liegt es also an den Entscheidungen örtlicher polnischer Verwaltungsstellen, ob den deutschen Landsleuten in der alten Heimat wieder vermehrt geholfen werden kann.
Man sollte nur solche Gegenstände schicken, die wertvoll sind und für die der Zoll in erträglichen Grenzen bleibt. Dieses sind erfahrungsgemäß wenig gebrauchte Kleidung und Schuhwerk, ferner Medikamente, Reis, Kakao, Seife und Waschmittel. Es empfiehlt sich, brieflich zu erfragen, was notwendig ist und gewünscht wird.
Jüngste Pressemeldungen, wonach Zollerleichterungen bei der Anfertigung von Geschenkpaketen nach dem Ausland mit einem Inhaltswert bis zu 50,-- DM eingetreten sind, beziehen sich nicht nur auf das westliche, sondern auf das gesamte Ausland einschließlich des Ostens. Demnach kann das Aufgeben geringwertiger Pakete auch bei Postämtern unter Hinzufügung einer Zollinhaltserklärung erfolgen.
Seite 1 „Ganz bestimmt nicht“. Mendes-Frances Haltung gegenüber dem deutschen Osten.
In der jüngsten außenpolitischen Debatte der französischen Nationalversammlung hat der gaullistische Abgeordnete Soustelle die Äußerung Dr. Adenauers zitiert, dass sich die Bundesrepublik trotz ihrer begrenzten territorialen Ausdehnung als identisch mit dem Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 betrachte, und dass vierzehn Länder sich zur Unterstützung dieser These verpflichtet hätten. Soustelle wies darauf hin, dass sich innerhalb dieser Grenzen das Saargebiet und die ostdeutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie befänden, und fragte den Ministerpräsidenten Mendes-France, ob Frankreich sich durch die Verträge verpflichte, den „deutschen Irredentismus“ im Hinblick auf diese Gebiete zu unterstützen. Die Antwort von MendesFrance war: „Ganz bestimmt nicht“.
Seite 1 Vertriebenenausweise beantragen.
Die Bundesregierung hat eine Rechtsverordnung verabschiedet, durch welche die von den einzelnen Bundesländern ausgestellten Flüchtlingsausweise am 31. März 1955 ihre Gültigkeit verlieren.
Wir machen unsere Leser darauf aufmerksam, bei den zuständigen Stellen die Ausstellung der neuen Ausweise nach § 15 des Bundesvertriebenengesetzes zu beantragen. Die Bedeutung des Ausweises liegt darin, dass er zum Nachweis der Vertriebenen, und Flüchtlingseigenschaft dient.
Seite 1 Skizze. Vor 100 Jahren: Bei Baranow gelang den Russen zuerst der Durchbruch, dann ergossen sich die sowjetischen Armeen gegen die deutsche Ostgrenze
Seite 2 Ostdeutschlands soziale Struktur erhalten. Eingliederung bleibt ein Provisorium – Von Staatssekretär Dr. Peter Paul Nahm.
Die Eingliederung wird oft als vollzogen angesehen, wenn man vernimmt, dass durch die nahezu erreichte Vollbeschäftigung im Bundesgebiet 94 Prozent der arbeitsfähigen Vertriebenen einen Arbeitsplatz gefunden haben. Diese Feststellung ist ein Trugschluss aus Kurzsichtigkeit, Bequemlichkeit und Feigheit. Arbeitsbeschaffung ist keine Eingliederung. Damit soll nichts gegen die Arbeitsbeschaffung gesagt sein. Sie ist eine Vorstufe der Eingliederung, aber nicht diese selbst. Das Ziel bleibt nicht der von der Wirtschaft her bestimmte Einsatz des Menschen, sondern die vom Menschen her bestimmte Eingliederung, d. h. die Beschaffung des Arbeitsplatzes und der sozialen Stellung, welche der Fähigkeit, der Neigung und der Leistung entspricht. Es ist ein Fehler, die soziale Frage heute noch als eine Lohn- und Magenfrage anzusehen. Sie bewegt sich vielmehr um die Sicherung der menschlichen Freiheit und Würde und um die Entfaltung der Persönlichkeit.
Ohne Zweifel ist eine echte berufliche und soziale Eingliederung ein Wagnis im Hinblick auf den Heimkehrwillen. Das Wagnis muss aus zwei Hauptgründen in Kauf genommen werden: Einmal um der Nivellierung und dem naturnotwendig folgenden Absinken in eine amorphe Masse zu entgehen. (Jede Vermassung zerstört das europäische Profil und schafft Voraussetzungen, auf denen der Bolschewismus wuchern kann.) Weiterhin um in der beruflichen Tätigkeit das körperliche, geistige und seelische Potential zur Erfüllung der Staats- und kulturpolitischen Aufgaben im Bundesgebiet und bei der Wiederherstellung von Gesamtdeutschland zu erhalten.
Breiter Mittelstand.
Unsere Eingliederungs- und Wiederaufbauleistungen sind großartig. Bei näherem Zusehen aber werden wir entdecken, dass dort, wo früher ein breit gelagerter Mittelstand das Herzstück unserer sozialen Gliederung war, eine immer größer werdende Lücke entsteht. Die Heimatvertriebenen, die über 17 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik ausmachen, stellen nur 7,2 Prozent der selbständigen Gewerbetreibenden, 6,5 Prozent der Industriellen und 2,6 Prozent der auf eigener Scholle werkenden Bauern. Die durch die Vertriebenen bedingte Steigerung der Zahl der Konsumenten hat also nicht zu einer ebenmäßigen Steigerung der Produzenten und Verteiler aus Vertriebenenkreisen geführt. Die Tragik mehrt sich durch die Beobachtung, dass nicht etwa der einheimische Mittelstand das Vakuum ausfüllen konnte. Man braucht nur einmal die Lebens- und Genussmittelgeschäfte zu betrachten, um zu erkennen, dass Filial- und Konsumbetriebe die Chance wahrnehmen konnten.
In einer Zeit, die es dem von unmittelbaren Kriegsereignissen verschont gebliebenen Mittelstand schwermacht, Schritt zu halten, ist das potenzierte Abdrängen mittelständischer Existenzen unter den Vertriebenen, Flüchtlingen und Ausgebombten besonders folgenschwer. Nicht, als ob man diesen Vorgang nicht sehe. Man nimmt ihn aber hin, weil wir unter dem Diktat der Zweckmäßigkeit des Augenblickes handeln.
Westen muss zusammenrücken.
Die Bevölkerung Ostdeutschlands ist in die hütende Hand Westdeutschlands gegeben worden. Trotz furchtbarer, während der Flucht und Austreibung erlittener Verluste ist die Volkskraft biologisch und geistig erhalten geblieben. Sie muss auch in ihrer Struktur erhalten werden. Wir müssen uns zwar darüber klar sein, dass eine Übertragung dieser Struktur in den Westen nicht nach der Methode eines Abziehbildes möglich ist. Der Westen wird die Heimat nie ersetzen können. Selbst eine durchaus vollzogene Eingliederung bleibt ein schmerzliches Provisorium. Wichtig ist jedoch, dass das Schmerzliche nicht ein Vorrecht der Vertriebenen bleibt, sondern geteilt werden muss, d. h. die Eingliederung der Vertriebenen darf sich nicht nur dorthin vollziehen, wo ein Bedarf vorhanden ist. Die paritätische Lagerung des Schmerzlichen wird sich auch in einem Zusammenrücken in der Berufsstruktur des Westens bemerkbar machen müssen.
Wir sind allzu leicht geneigt, in uns die Norm zu sehen. Diese Überschätzung unserer Lage und unserer Kraft verführt uns dazu, die Aufgaben, die uns innerhalb Europas bei der Wiederherstellung Gesamtdeutschlands und bei der Wiederbesiedlung der deutschen Ostgebiete gestellt werden, zu bagatellisieren oder überhaupt nicht zu sehen. Wir müssen den Mut haben, die materiellen und geistigen Strapazen, die allein schon die Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen mit sich bringen wird, zu erkennen, damit wir nicht eines Tages unvorbereitet vor die Aufgabe treten, die wir gegenwärtig als das Kernstück unserer Politik bezeichnen. Selbst die heimatvertriebene Wirtschaft wird bei der Wiedervereinigung aus dem Zwang ihres Standortes heraus Opfer zu bringen haben. Wir sind nicht die Norm, sondern nur ein Teil. Allerdings ein Teil, dem das bessere Los zufiel und der infolgedessen die höhere Verpflichtung gegenüber dem Ganzen hat.
Unternehmerische Kraft erhalten.
Das Ganze aber fordert auch von uns, dass wir die uns anvertraute ostdeutsche Bevölkerung nicht nur als eine willkommene Investition von Volks- und Arbeitskraft ansehen, sondern als ein in sich wohl gegliedertes Potential, das auf seine Rolle in Gesamtdeutschland und Europa ausgerichtet bleiben muss. Das aber heißt nicht Einschmelzen und Aufgehen, sondern Einfügen in eine sinnvolle, auf das Ganze bezogene Ordnung. Ohne Erhaltung der unternehmerischen Kräfte des Handwerks, des Gewerbes, der Industrie und des Bauernstandes schwächen wir das deutsche Volk als solches. Mit Arbeitern allein werden wir die Wiedervereinigung der gegenwärtig den rechtmäßigen Besitzern entzogenen Gebiete nicht durchführen können. Es bedarf des Ferments eines kräftigen Mittelstandes und mutigen unternehmerischen Geistes. Es bedarf natürlich auch der Bauern, mit dem die Wiederbesiedlung stehen und fallen wird.
Einschmelzung vergeudet das Erbe.
Die Vertriebenen sind eine unveräußerliche Substanz Deutschlands und Europas. Das deutsche Volkstum war weit ausgefächert von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Der Fächer ist heute auf die Ruhelage zusammengedrängt, aber noch in jedem einzelnen Glied erhalten. Es wäre töricht, wollte man nun diese Glieder zusammenschweißen. Einschmelzung und Nivellierung wollen eine Konsolidierung des gegenwärtigen Zustandes. Die echte Eingliederung weicht der Gegenwart nicht aus, sie verliert aber die Zukunft nicht aus dem Auge. Sie bewahrt das Erbe und investiert das Bewahrte; sie stärkt damit die Ausgangsposition der deutschen und europäischen Zukunft und pflegt die Kräfte, aus denen Wiedervereinigung Und Wiederbesiedlung möglich bleiben.
Weniger Flüchtlinge Berlin.
Um fast ein Drittel hat sich der Zustrom von Sowjetzonenflüchtlingen nach Westberlin im letzten Jahr vermindert. Während 1953 noch 306 000 Bewohner der Sowjetzone um Aufnahme als politische Flüchtlinge baten, waren es 1954 nur rund 105 000 Personen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigten, dass seit der Erleichterung des Interzonenverkehrs Westberlin nicht mehr allein Auffangland für Flüchtlinge ist, sondern etwa 40 Prozent der Flüchtlinge als Interzonenreisende in die Bundesrepublik kommen. So sind durch die niedersächsische Notaufnahmelager 1954 12 000 Flüchtlinge mehr als im Vorjahr gegangen. Insgesamt haben in der Bundesrepublik 74 000 Personen um Asyl ersucht. Die Gesamtzahl der Sowjetzonenflüchtlinge wird amtlich mit rund 170 000 angeben. In Wirklichkeit dürften es jedoch weit mehr sein, da diese Zahl nicht die vielen Interzonenreisenden erfasst, die sich nicht in den Notaufnahmelagern gemeldet haben.
Seite 2 „Lasst uns die Vertriebenen da“.
Es gab einmal eine Zeit — und sie liegt gar nicht so lange zurück —, da konnte man in schleswig-holsteinischen Zeitungen Sätze lesen wie diesen: „Wer weiterkommen und befördert werden will, tut gut daran, den Flüchtlingsausweis A vorzuzeigen. Und dann bleibt noch ein großer Teil übrig, denen es heute bei uns auch ohne Arbeit bedeutend besser geht, als es ihnen in der Heimat mit Arbeit je gegangen ist“. Und dann fragt der Schreiber nach der Ursache dieses „Wohlergehens“ der Heimatvertriebenen und findet auch schnell die Antwort: es gab infolge der Entnazifizierung der Einheimischen „keinen Beruf, der nicht plötzlich großen Mangel an Arbeitskräften aufwies, und in dieses Vakuum strömten die Ostvertriebenen hinein; denn so viel weiß doch jeder: aus dem Osten war kaum einer vorbelastet!“
Auf diese Weise kam es zu einer eindeutigen Forderung der Schleswig-Holsteinischen Landespartei: Aussiedlung aller Heimatvertriebenen aus Schleswig-Holstein in die Industriegebiete, Beendigung der Ansiedlung von heimatvertriebenem Landvolk, Besetzung aller höheren Stellen der Verwaltung nur mit Einheimischen.
Dabei wurde ganz außer Acht gelassen, dass der Flüchtlingsstrom jenem einheimischen Geschäftsmann ohne sein Zutun eine Kundenvermehrung von 43 Prozent einbrachte.
Tatsache war, dass Schleswig-Holstein vor Niedersachsen und Bayern den höchsten Anteil von Heimatvertriebenen hatte, dass es das „Flüchtlingsland Nr. 1“ war und dass dieser Sachverhalt von den Einheimischen zum Teil erhebliche Opfer erforderte. Das macht verständlich, dass sich sowohl Regierungsstellen als auch die Heimatvertriebenen selbst stark für die Umsiedlung einsetzten. Die Vertriebenen strebten dabei berufliche Verbesserung oder Erhalt eines Arbeitsplatzes überhaupt, ihre Familienvereinigung oder bessere Wohnungen, Klimaverbesserung oder „Tapetenwechsel“ vom ungewohnten Dorf in die Stadt an.
So ist die Zahl der Heimatvertriebenen Schleswig-Holsteins in den letzten Jahren sehr zusammengeschmolzen: das Jahr 1950 brachte einen Rekord in der Umsiedlung, mehr als 90 000 Personen verließen ihre neue Heimat. 1951 trat eine starke Verzögerung ein: nur etwa 45 000 wurden umgesiedelt. Dieser schleppende Gang hielt mit etwa 52 000 Umsiedlern auch 1952 noch an. 1953 brachte wieder eine Steigerung auf etwa 80 000. Am 31. Dezember 1953 betrug die Gesamtzahl der Umgesiedelten 292 355. Die Forderungen lokalpatriotisch denkender Kreise gingen also in recht beachtlichem Tempo ihrer Verwirklichung entgegen.
Die Reaktion war jedoch überraschend: „Umsiedlung drosselt Einwohnerzahl“, „Wohnungsmäßig kaum Entlastung, aber fühlbare Verminderung der Kaufkraft“, „Umsiedlung bereitet Facharbeitersorgen“ und „Lasst uns die Vertriebenen da“, so stand es in den Zeitungen der Provinz. Und offizielle Stellen der Wirtschaft, voran die Industrie- und Handelskammern, erhoben warnend ihre Stimme: die Umsiedlung sei bereits in einem solchen Umfange durchgeführt, dass schwerste Bedenken gegen ihre Fortführung geltend gemacht werden müssten.
Wörtlich schrieb eine Tageszeitung: „In den letzten 14 Tagen verließen wieder zahlreiche Familien . . . ihre bisherigen Dörfer, die ihnen für mehr als acht Jahre zur zweiten Heimat geworden waren. Ihr Abgang ist doch recht fühlbar geworden. Das haben nicht nur Schulen, Vereine und Verbände spüren können, sondern vor allem auch die Geschäftswelt, der mit jeder umgesiedelten Familie eine fühlbare Kaufkraft verlorengeht“. Und an anderer Stelle heißt es: „Die kleine Stadt Nortorf konnte — oder musste — nach dem Krieg durch die Flüchtlingsströme sich von einem winzigen Städtchen von etwa 2900 Einwohnern sehr rasch auf eine Stadt mit fast 6000 Menschen ausdehnen . . . Eine aufstrebende Industrie, darunter eines der größten deutschen Schallplattenwerke, sog die Nichtbeschäftigten Nortorfs rasch auf und zieht heute schon in erheblichem Umfang Arbeitskräfte aus der Umgebung heran. Es wurden sogar schon Schwierigkeiten mit Facharbeitern gemeldet, die durch die Umsiedlung entstehen . . .“
In einer anderen Zeitschrift hieß es unter dem Titel „Lasst uns die Vertriebenen da!“: Die Vertriebenen sind unentbehrlich geworden! Für Schleswig-Holstein bedeutet das eine Sensation. Jahrelang rang man verzweifelt um den Abtransport und die Umsiedlung der vorerst unbeliebten Eindringlinge aus dem Osten . . . jetzt hat der Abtransport eingesetzt und man ist verzweifelt. Schleswig-Holstein beginnt um seine Vertriebenen zu kämpfen“.
Seite 2 Werbung für die ostdeutsche Heimat.
Bundesverkehrsminister Dr. Seebohm hat die Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen angewiesen, die Gasträume und Fremdenzimmer der Raststätten an den Bundesautobahnen soweit wie möglich in der Eigenart der ostdeutschen Gebiete auszustatten und sie entsprechend zu bezeichnen. Ebenso hat er angeregt, gute Stiche und Bilder ostdeutscher Städte in den Gaststätten anzubringen.
Ferner will der Bundesverkehrsminister veranlassen, dass im Mittelstreifen der Bundesautobahnen vor der Zonengrenze ein Autobahnschild mit Entfernungshinweisen auf die an den früheren Reichsautobahnen gelegenen ostdeutschen Städte Danzig, Königsberg, Breslau, Gleiwitz und Beuthen aufgestellt wird.
Seite 2 Heimatvertriebene werden überwacht.
Das sowjetzonale Innenministerium hat erneut sämtliche Dienststellen des Staatssicherheitsdienstes zur größten Wachsamkeit gegenüber Heimatvertriebenen aufgefordert. Zusammenkünfte nach Landsmannschaften, selbst in den kleinsten Gruppen in Privatwohnungen, sind als verbotene und friedensfeindliche Versammlungen anzusehen. Auch ist es nach wie vor ratsam, in Briefen keine Formulierungen zu verwenden, die unsere Landsleute nur gefährden könnten. Bei Päckchensendungen ist streng darauf zu achten, dass keine Druckschriften beigelegt und keine Zeitungen als Packmaterial verwandt werden.
Seite 2 Zuerst Arbeitsplätze für Vertriebene. Dr. Oberländer gegen Anwerbung ausländischer Arbeiter.
An eine Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte soll erst dann gedacht werden, wenn die jetzt noch arbeitslosen Vertriebenen und Flüchtlinge feste Arbeitsplätze erhalten haben. Zu dieser grundsätzlichen Übereinstimmung sind, wie das Bundesvertriebenenministerium in Bonn mitteilt, Bundesvertriebenenminister Professor Oberländer und Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard gelangt. Auf zahlreiche Anfragen aus Vertriebenen- und Flüchtlingskreisen teilte das Ministerium mit, dass bisher lediglich vorbereitende Besprechungen über eine eventuelle Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte geführt worden seien. Es handle sich dabei um eine Maßnahme, die erst verwirklicht werden soll, wenn ein akuter Arbeitermangel nicht mehr gedeckt werden könne.
Seite 2 Bundesversorgungsgesetz verabschiedet.
Die Entscheidung über die Verbesserung in der Kriegsopferversorgung ist nun gefallen. In der Plenarsitzung vom 15. Dezember 1954 wurde die 3. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz einstimmig verabschiedet; sie tritt mit dem 1. Januar 1955 in Kraft.
Welche Verbesserungen bringt nun die 3. Novelle?
A. Für Beschädigte.
1. Erhöhung der Grundrenten um 20 bis 30 v.H.
Bisherige Grundrenten: MdE 30 v. H. 15,-- DM. Ab 01.01.1955: 18,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 40 v. H. 20,-- DM. Ab 01.01.1955: 24,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 50 v. H. 25,-- DM. Ab 01.01.1955: 31,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 60 v. H. 35,-- DM. Ab 01.01.1955: 43,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 70 v. H. 45,-- DM. Ab 01.01.1955: 56,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 80 v. H. 55,-- DM. Ab 01.01.1955: 69,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 90 v. H. 65,-- DM. Ab 01.01.1955: 83,-- DM
Bisherige Grundrenten: MdE 100 v. H. 75,-- DM. Ab 01.01.1955: 97,-- DM
2. Erhöhung der Ausgl.-Rente um durchschn. 10 v.H. Ab 01.01.1955. Ges.-Erhöhung von Grund- u. Ausgl.-Rente ab 01.01.1955
Bish. Mde 30 v. H. -- DM. Ab 01.01.1955: -- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 3,-- DM
Bish. MdE 40 v. H. – DM. Ab 01.01.1955: -- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 4,-- DM
Bish. MdE 50 v. H. 48,-- DM. Ab 01.01.1955: 52,-- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 10,-- DM
Bish. MdE 60 v. H. 48,-- DM. Ab 01.01.1955: 55,-- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 15,-- DM
Bish. MdE 70 v. H. 60,-- DM. Ab 01.01.1955: 65,-- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 16,-- DM
Bish. MdE 80 v.H. 72,-- DM. Ab 01.01.1955: 78,-- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 20,-- DM
Bish. MdE 90 v.H. 90,-- DM. Ab 01.01.1955: 98,-- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 26,-- DM
Bish. MdE 100 v. H. 100,-- DM. Ab 01.01.1955: 120,-- DM. Ges. Erhöhung ab 01.01.1955: 34,-- DM
Ab 1. Januar 1955 erhöhen sich also die Versorgungsbezüge der Kriegsbeschädigten, die außer der Rente kein sonstiges Einkommen haben, um diese Beträge.
3. Für Beschädigte, die ein Einkommen aus Arbeit, Ruhegeld, Renten aus der Sozialversicherung usw. haben, sind die Einkommensgrenzen wie folgt erhöht worden:
Bish. Einkommensgr. bei einer MdE von 50 v.H. 95,-- DM. Ab 01.01.1955: 100,-- DM
Bish. Einkommensgr. bei einer MdE von 60 v. H. 100,-- DM. Ab 01.01.1955: 105,-- DM
Bish. Einkommensgr. bei einer MdE von 70 v. H. 110,-- DM. Ab 01.01.1955: 115,-- DM
Bish. Einkommensgr. bei einer MdE von 80 v. H. 120,-- DM. Ab 01.01.1955: 130,-- DM
Bish.Einkommensgr. bei einer MdE von 90 v. H. 140,-- DM. Ab 01.01.1955: 150,-- DM
Bei Erwerbsunf. 160,-- DM. Ab 01.01.1955: 175,-- DM
Freiwillige Zuwendungen aus früheren Arbeitsverhältnissen, Sozialrenten und Ruhegeldern werden vom 01.01.1955 nicht mehr voll angerechnet, vielmehr bleibt bei den Beschädigten grundsätzlich ein Betrag von 20,-- DM anrechnungsfrei.
5. Die höchste Stufe der Pflegezulage wird vom 01.01.1955 ab von bisher 175,-- DM auf nunmehr 200,— DM erhöht.
B. Für Kriegerwitwen 1. Erhöhung der Grundrenten um 20 Prozent
a) bisher 20,--DM. Ab 01.01.1955: 24,--DM
b) bisher 40,-- DM. Ab 01.01.1955: 48,-- DM
2. Erhöhung der Ausgleichs-Rente um 10,-- DM
bisher 60,-- DM ab 01.01.1955: 70,-- DM
3. Erhöhung der Einkommensgrenze für die Ausgleichsrente um 5,-- DM,
bisher 95,-- DM. Ab 01.01.1955: 100,-- DM
4. Auch für die Berechnung der Ausgleichsrente wird bei den Kriegerwitwen ab 01.01.1955 erstmalig ein zusätzlicher Freibetrag von 15,-- DM bei der Anrechnung von freiwilligen Zuwendungen aus früheren Arbeitsverhältnissen, in der Sozialversicherung und beim Ruhegehalt festgesetzt.
5. Kapitalaufwendungen für Ehefrauen Verschollener. Durch die Verabschiedung der 3. Novelle zum BVG haben nunmehr auch die Ehefrauen Verschollener einen Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Kapitalabfindung zum Erwerb oder zur Erhaltung eigenen Grundbesitzes.
C. Waisen- und Vollwaisen
Die Grundrente der Waisen, deren Vater oder Mutter noch lebt, beträgt ab 01.01.1955: 12,-- DM, Vollwaisen erhalten künftig 18,--DM. Die volle Ausgleichsrente beträgt bei Waisen, deren Vater oder Mutter noch lebt, ab 01.01.1955: 36,-- DM. Vollwaisen erhalten ab 01.01.1955 eine Ausgleichsrente von 60,-- DM. Ausgleichsrente ist nur insoweit zu gewähren, als sie zusammen mit dem sonstigen Einkommen folgende Monatsbeträge nicht übersteigt:
a) bei Waisen, deren Vater oder Mutter noch lebt, 46, --DM
b) bei Vollwaisen 70,-- DM
D. Kriegereltern.
Erhöhung der Elternrenten:
a) für einen Elternteil ab 01.01.1955 : 70,--DM
b) für ein Elternpaar ab 01.01.1955: 100,-- DM.
2. Erhöhung der Einkommensgrenzen für die Gewährung der Elternrente
a) für einen Elternteil ab 01.01.1955: 105,-- DM
b) für ein Elternpaar ab 01.01.1955: 150,--DM.
Freibeträge bei freiwilligen Zuwendungen auf Grund einer früheren Arbeitstätigkeit:
a) für einen Elternteil ab 01.01.1955: 15,-- DM
b) für ein Elternpaar ab 01.01.1955: 20,--DM.
4. Fristverlängerung bei Elternrentenansprüchen bis 31. Dezember 1956!
Alle Kriegereltern, die es bisher versäumt haben, ihren Anspruch auf Elternversorgung anzumelden, haben nunmehr die Möglichkeit, ihre berechtigten Ansprüche bis 31. Dezember 1956 geltend zu machen.
Was ist nun bei der Durchführung der 3. Novelle zu beachten?
Die Versorgungsbezüge werden, soweit der Anspruch auf Rente bereits anerkannt ist, vom Amt wegen festgestellt. Es können aber auch neue Ansprüche entstehen, wenn beispielsweise die Gewährung der Elternrente abgelehnt wurde, weil das Einkommen die maßgebliche Einkommensgrenze überschritt. Wer glaubt, nunmehr einen neuen Anspruch zu haben, möge sich sogleich an das für den Wohnort zuständige Versorgungsamt wenden. H. W.
Seite 3 Sturm über dem ostpreußischen Land. Vor zehn Jahren brach das grauenhafte Unheil über die ostdeutsche Heimat herein.
4 Fotos: Unsere Aufnahmen zeigen die endlosen Trecks über das zugefrorene Frische Haff – als letzter Ausweg, nachdem der Fluchtweg über Elbing abgeschnitten war. Viele dieser Trecks gerieten in den Bombenhagel der russischen Flugzeuge und fanden ein grauenhaftes Ende. Aufn. Archiv
Januar 1945. Über dreitausend Kilometer war der deutsche Soldat, immer mit der Brust gegen den zahlenmäßig schwer überlegenen und durch das amerikanische Leih- und Pachtsystem wohl ausgerüsteten Rotarmisten, zurückgewichen. Nun lagen die Landser dem etwa 100 Kilometer breiten und 50 Kilometer tiefen sowjetischen Brückenkopf Baranow gegenüber. Sowjetmarschall Konjew hatte hier mit seiner „1. ukrainischen Front“ 34 Schützendivisionen und 3 Panzerbrigaden massiert.
Wo waren die stolzen Tage von 1941, die den deutschen Soldaten bis vor Moskau, Leningrad und an den Don geführt hatten? Wo die von 1942, die bis tief in den Kaukasus gingen? Sie waren in den Schlachten und Gefechten ohne Zahl untergegangen. Sie waren durch die gigantische Hilfe an Waffen, Munition, Gerät, Verpflegung und Sanitätsmaterial, die über den Ozean gekommen war, verloren. Der beinahe am Boden liegende Bolschewismus war durch seinen amerikanischen Verbündeten in letzter Stunde gerettet worden.
Tausende Massengräber blieben auf diesem einzigartigen Rückzug zurück. Die Blüte der Regimenter war längst dahin.
Dass die Soldaten dennoch die Kraft und den Mut aufbrachten, immer wieder aus diesem Absetzen zurückzustoßen, den Feind andauernd schwerste Verluste beizubringen, oftmals im Gegenstoß den feindlichen Erfolg um seine reale Auswirkung zu bringen, gehört in jene Bereiche einer Heldensage, die kaum mit Worten erklärbar sind.
So lagen sie nun an den Rändern des deutschen Vorfeldes und hielten den Feind zurück. Sie hofften noch die Zeit zu gewinnen, um die Wunderwaffe entwickeln zu lassen. Sie hofften — vielleicht hofften sie auf nichts mehr so ganz. Aber sie standen.
Die rote Flut bricht los
Am 12. Januar 1945 ging ein orkanartiges Trommelfeuer aller Kaliber der sowjetischen Artillerie auf die dünnen deutschen Linien. Dann erhoben sich die wohlausgeruhten sowjetischen Schützen- und Panzerdivisionen und rollten wie eine Woge Tod und Verderben gegen die erschöpften und geschwächten deutschen Regimenter. Sie überrannten die 68. ID., die 304. ID. und die daneben liegende 75. ID. Schon nach den ersten 12 Stunden hatten die roten Panzerspitzen einen Einbruch von 25 Kilometer Tiefe erzwungen. Nun war das Unglück nicht mehr aufzuhalten. Die große Winterschlacht des Iwans, von der Memel bis hinab in die Karpaten, hatte begonnen.
Marschall Schukow trat mit seiner „1. weißrussischen Armee“ an. Südlich Warschaus erzielte er einen Einbruch von 120 Kilometer. Nach schweren Kämpfen ging im ostpreußischen Grenzgebiet die erste deutsche Stadt, Schlossberg, verloren.
Die Tragödie warf ihre ersten drohenden Schatten auf deutsches Land. Schon am 17. Januar konnte der rote Generaloberst Malinin, der Stabschef Schukows, die Eroberung Radoms und weiterer 1500 Ortschaften melden.
Im Weichselbogen warfen die Bolschewiken nicht weniger als 50 Schützendivisionen und 15 Panzerkorps in die Schlacht. — Ihnen gegenüber lagen die deutschen Landser mit ihren vor Übermüdung entzündeten Augen, kälteklammen Fingern und wehrten sich verbissen und verzweifelt. Jeder von ihnen fühlte, dass nun die letzte große Entscheidung herangekommen war. Sie taten ihr Bestes. Aber sie taten es allein. Keine Wunderwaffe war gekommen, und was fast noch bitterer war, es kamen kaum noch nennbare Verstärkungen.
Aber beim Iwan rollte es Tag und Nacht. Nördlich Warschaus warfen die Russen zusätzlich 40 Schützendivisionen und mehrere Panzerkorps nach vorne. Trotzdem kamen sie nur zögernd vorwärts. Denn der deutsche Soldat übertraf sich in diesen Tagen selbst. 25 rote Schützendivisionen setzten zwischen der Rominterheide und Schlossberg zu einem Durchbruch an. Noch kamen sie nicht durch.
Auf die Dauer aber konnte diese Masse von Menschen und Material von den bereits schlecht munitionierten und teilweise sogar schwach verpflegten deutschen Verbänden nicht aufgehalten werden. Rokossowski nahm mit den Truppen der „2. weißrussischen Armee“ über 500 neue Ortschaften. Warschau musste geräumt werden. Der Druck auf Ostpreußen verstärkte sich um weitere 10 Schützendivisionen und mehrere Panzerkorps.
Panik über deutschem Land
In den Abendstunden des 20. Januar meldete der Kreml die Eroberung Krakaus durch Konjew. In den Karpaten griffen die Truppen der „5. ukrainischen Front“ an und die der „3. weißrussischen Armee“ stürmten vor gegen Tilsit und Königsberg. Die „2. weißrussische Armee" eroberte das Westufer der Weichsel und überquerte die Warthe. Am 21. Januar überschritten die Rotarmisten stürmend die Grenze Oberschlesiens, griffen gegen Posen und Breslau an und bedrohten, die Weichsel, abwärts, Danzig. Deutsche Städte fielen von jetzt an laufend in sowjetrussische Hand. Kreuzberg, Rosenberg, Landsberg, Insterburg, Allenstein, Osterode, Deutsch-Eylau. Das Drama erreichte seinen Höhepunkt.
In den Städten und Dörfern des deutschen Ostens erhob sich ein irrsinniges Gespenst: die Panik. Die deutschen Bauern, stetig und gelassen, wurden von ihr gleichermaßen gepackt wie die lebenserfahrenen Städter: „Sie kommen!“ Das Flüstern wurde zum aufgeregten Fragen, zum Rufen und steigerte sich zum Schrei, der alles übertönte.
Jahrelang hatte die offizielle Propaganda bis ins kleinste Detail die Grausamkeiten der Roten Armee geschildert. Die Urlauber der Ostfront hatten sie teilweise bestätigt. Nun, da die beschwichtigenden Parolen der unteren und mittleren Führung durch die sich überstürzenden Ereignisse unwiderruflich widerlegt wurden, ergriffen Furcht und Entsetzen die Menschen. Sie fühlten sich, besonders angesichts der offensichtlichen Ohnmacht der deutschen Soldaten, verraten und verkauft. Vor dem Strom der Roten Armee begann die angestaute Angst zu fluten.
Auf vereisten und überfüllten Straßen drängten sich die Massen verzweifelter Menschen, die alle dem roten Grauen entfliehen wollten, Männer, Frauen und Kinder, Autos, Kohlengaser, Wagen und Karren, beladen mit kranken Menschen und Hausrat, vor- und zurückstrebende Truppeneinheiten verknäulten sich zu einem nicht wiederzugebenden Chaos. Schreiende Menschen und brüllendes Vieh überschrien oft das Heulen der Granaten.
Der größenwahnsinnige Erich Koch hatte in verbrecherischer Weise mit der Unterrichtung und Fluchterlaubnis so lange gewartet, bis es für viele zu spät war. Die Hölle war los und alle Teufel beherrschten die schreck- und furchtgepeitschten wehrlosen Menschen.
Ilja Ehrenburgs Saat geht auf
In jenen dunklen Tagen starben nicht nur die Soldaten, die Männer. Es erfroren die Greise, die Frauen, die Kinder. Sie wurden gleich neben der Straße in die Gräben gelegt. Denn schon walzten weiter rückwärts die überholenden T 34 mit ihren malmenden Ketten über Menschen, Wagen und Vieh. Der Vergewaltigungsaufruf des Kremldichters IIja Ehrenburg begann sein grausiges Ernten. Viele der gehetzten und an allem, an Gott und der Welt verzweifelten Menschen, wählten den Tod. Andere wurden zur Belustigung betrunkener Sieger erschossen.
Vor, zwischen und hinter diesen gequälten Massen standen aber noch immer deutsche Soldaten und wehrten verbissen und mit grenzenloser Wut und Verzweiflung, dem erbarmungslosen, unmenschlichen Feind. Zwar erreichten sie da und dort ein vorübergehendes Halten, ein Stocken. Aber nur für Stunden. Manchmal für Tage. Dann aber flutete die rote Masse weiter gegen den Westen.
Die Deutschen glaubten an keinen Sieg mehr. Jede Illusion war in diesem Inferno untergegangen. Sie hörten mit verlorenem Lächeln an ihren Batteriesendern die großen Reden entfernter Funktionäre und verschossen die letzten Granaten. Sie standen auf verlorenem Posten. Und sie wussten es. Aber sie ergaben sich nicht, solange auch nur ein Funken physischer Möglichkeit zum Kampf vorhanden war. Der deutsche Landser, der deutsche Frontoffizier wuchsen in diesen Tagen zu einer Größe auf, von der die Nachwelt dereinst nur flüsternd zu sprechen wagen wird. Aber dem Opfergang war der Erfolg verwehrt. Über weite Teile deutschen Landes sank die Nacht.
Hoffnung ohne Illusionen
Zehn Jahre! Es ist nahezu unglaublich, dass sich der große russische Durchbruch von Baranow schon zum zehnten Mal jährt. Seine Folge bleibt für uns eine ewig offene Wunde. Soviel Wasser kann die Oder und Neiße nie herabfließen lassen, um das Feuer zu löschen, das in unseren Herzen aufflammt, wenn wir Ostpreußens, Schlesiens und all des deutschen Landes gedenken, über dem die harte Hand des Bolschewismus liegt.
Ohne unrealen Wunschträumen nachzuhängen oder uns in phantastische Pläne und Kombinationen zu verlieren, muss all unser Sinnen und Trachten nach dem verlorenen deutschen Osten gehen. Auf die Dauer gesehen gibt es für uns kein Dahinvegetieren als eine Art europäischen Wurmvorsatzes. Das ist nur ein Übergang. Hoffentlich nur ein kurzer.
Illusionen allerdings dürfen wir uns nicht hingeben. Denn im Grunde sind wir fast allein. Herr Mendés-France sagte nicht umsonst, als ihn der französische Abgeordnete Soustelles fragte, ob Frankreich die Forderungen Deutschlands auf die jetzt unter polnischer Verwaltung stehenden Ostprovinzen unterstütze: „Gewiss nicht!“
Die Sowjetunion nahm sich von ihren polnischen „Katyn“-Verbündeten Galizien und die anderen von Polen bisher beherrschten Gebiete der Ukraine, um endlich das brave ukrainische Volk ganz zu versklaven.
Polen folgte dem Beispiel seines russischen Herrn und hielt sich an uns schadlos. Deutschland soll die ganze Zeche zahlen.
Es gibt aber keine Bäume, die in den Himmel wachsen. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen. Wenn wir die letzten zehn Jahre Revue passieren lassen, brauchen wir trotz aller Mängel nicht verzweifeln. Alles was wir heute tun können, ist jede Chance wahrzunehmen, die nicht nur zur Wiedervereinigung mit der sowjetbesetzten Zone Restdeutschlands in Freiheit, sondern auch mit dem deutschen Osten führt.
Denn Deutschland ist größer als Bonn und Pankow. Dessen wollen wir uns gerade in diesen Tagen voll bewusst sein.
Seite 4 Westfalen bauen an Altpreußen. Von Prof. a. D. phil. Edward Carstenn.
Vor siebenhundert Jahren taten sich die Ratsherren mehrerer deutscher Seestädte zusammen, um sich unter der Führung von Lübeck Handelsvorteile in fremden Ländern zu verschaffen. Da sie Erfolg hatten, schlossen sich andere Hafen- und Kaufmannsstädte an, und daraus erwuchs im Laufe von hundert Jahren jener große Städtebund, den wir „Deutsche Hanse“ nennen. Der größte Teil dieser wagemutigen Kaufleute stammte aus Westfalen, ganz besonders aus Soest, dessen Rechtsbuch auch die Grundlage für das Recht der Stadt Lübeck abgab. Wie Pilze schossen damals an der Ostseeküste von Lübeck über Mecklenburg, Pommern zum Rigaischen und Finnischen Meerbusen hin die Hafenstädte neben den Flussmündungen aus der Erde. Und die Gründungsunternehmer dieser Städte wurden jene Kaufmannsfamilien in Lübeck, die stets neuen Nachwuchs aus ihrer Verwandtschaft und Bekanntschaft herbeizogen. So dürfen wir uns nicht wundern, hier überall auf sächsische, besonders westfälische Namen an führender Stelle zu stoßen.
Die Lücke zwischen Pommern und Livland, das Mündungsgebiet von Weichsel, Pregel und Memel, wurde zuletzt in Angriff genommen, dieses Mal zunächst kriegerisch. Denn der polnische Teilfürst Herzog Konrad erbat sich von Kaiser Friedrich II im Jahre 1226 die Hilfe des Deutschen Ritterordens gegen die Preußen, die ihn und sein Land bedrohten. Das führte zu Verträgen über das Preußenland, das dem Deutschen Orden als Lohn zufallen sollte mit der Aufgabe, die alten Preußen zu Christen zu machen. Entstammen die Ritter dieses Ordens auch allen deutschen Landschaften, allen deutschen Stämmen, so fanden sich auch Westfälinger in ihren Reihen, so z. B. Hermann Balk, der vom Hochmeister Hermann von Salza eingesetzte erste Landmeister für Preußen, aus Balksen bei Soest. Und da einst im Jahre 1190 der Deutsche Ritterorden von Bremer und Lübecker Kaufleuten begründet worden war, so erlangten die Bürgergeschlechter beider Städte mancherlei Einfluss auf den Orden. Hochmeister Hermann benutzte daher gerne den erprobten Kaufmannsgeist der Lübecker Geschlechter, um ihn für die Stadtgründungen in Preußen einzusetzen. Er ließ durch Kaiser Friedrich Lübeck zur reichsunmittelbaren Stadt erheben (1226) und damit dem lübischen Recht besondere Unabhängigkeit zuteilwerden.
In Preußen allerdings wünschte sich als Landesherr der Deutsche Orden Städte, die rechtlich von ihm abhängig waren. Als erste entstanden dort Thorn und Kulm: und die von Hoch- und Landmeister gegebene Verfassungsurkunde, die Kulmer Handfeste von 1233, sollte für das ganze Land gelten. Sie wählte sich hauptsächlich Magdeburger Recht zum Vorbild, obgleich auch hier schon vereinzelt sächsisch-lübische Familien bei der Gründung mitgeholfen hatten. Als aber die Ritter sich nordwärts wandten, der Weichselmündung zu, und dort die Burg Elbing begründeten, da meldeten sich zahlreiche Lübecker Familien, besonders Dortmunder Abkunft (Ludfried, Siegfried, Eberhard von Dortmund, aber u. a. auch Eberhard von Heringen), und verlangten statt des Kulmer Rechts das lübische, das ihnen denn auch gewährt wurde. Lübecker verhandelten auch damals mit dem preußischen Landmeister über eine Hafengründung im Samland an der Pregelmündung (1241). Das aber zerschlug sich zunächst (1246).
Neben den Lübeckern traten maßgebend die Dortmunder auf, z. B. am Ausfluss des Kurischen Haffs. Sie gründeten hier Neu-Dortmund vor genau 700 Jahren (1252). Und die Urkunde mit dem Dortmunder Recht für Neu-Dortmund bewahrt heute noch das Dortmunder Stadtarchiv auf. Nicht lange, und man wünschte sich für diese neue Stadt, das vorteilhaftere lübische Recht, erstritt es sich auch und gab nun der Stadt den Namen Memel (1254).
Von Elbing strahlte das lübische Recht aus nach Dirschau (1260) und sehr viel später nach Hela unter Hochmeister Winrich von Kniprode aus Monheim (Niederrhein). Fast hätte Danzig es auch verlangt. Wohl aber gab der Bischof Heinrich Fleming vom Ermland, ein Lübecker, das Recht dieser Stadt seinen beiden Häfen am Frischen Haff Braunsberg (1284) und Frauenburg (1300) offenbar um ihnen den Wettbewerb mit Elbing leicht zu machen, was aber auf die Dauer nicht möglich war. Kulm, Thorn, Elbing und seit etwa 1400 auch Danzig erhoben sich wirtschaftlich und politisch hoch über die andern Städte, auch über die Altstadt Königsberg. So fühlten sich die Kaufmannsgeschlechter Westfalens besonders zu diesen vier hingezogen. Teils zogen sie über Lübeck nach Preußen, teils kamen sie auf dem Landwege unmittelbar, war doch Westfalen das Durchgangsland für den Fernhändler von Preußen nach Holland, nach Flandern, England und Frankreich. Manch einer kehrte im Alter in die westfälische Heimat zurück, aber viele Geschlechter blieben im Osten.
Dazu gehörten, um einige zu nennen: die „von Herdecke“ in Kulm, die „Huxer“ (Höxter) in Thorn, Königsberg und Danzig, die „Hitfeld“, die „von Suchten“ in Elbing, Königsberg und Danzig, die Mindener „Langes“ in Elbing, Braunsberg und Königsberg. Die Geschlechter „von Volmenstein“, „von Soest“, in Thorn bewiesen ganz besondere Tatkraft und verhalfen den Namen „Preußen“ und „Livland“ draußen in der europäischen Welt zu besonderem Ansehen.
Da den Städten auch beträchtliche Landgebiete vom Deutschen Orden übertragen worden waren, so hatten die Ratsherren Gelegenheit genug, Bauern zur Gründung von Dörfern und Einzelhöfen heranzuziehen, wobei sie Landsleute bestimmt bevorzugten. Das Geschlecht „von Cusvelt“ (Coesfeld) gründete im Elbinger Bereich die Dörfer Alt- und Neu-Kußfeld und auf der Halbinsel Hela „Cusfeld“. Auch hier stehe dies Beispiel für viele.
Nicht weniger hervorgetan haben sich Geschlechter von Bochum und Umgegend (den Namen „von Bokkum“ und „von Altenbokum“ begegnen wir öfters). Doch zwei Bochumer haben sie alle in den Schatten gestellt: die Gebrüder Ostermann. Johann Christoph Dietrich und Heinrich Johann Friedrich. Jener tritt am Hofe Peters d. Gr. zunächst als Erzieher auf, dieser folgt dem Bruder rasch, um in deutschen Landen einer gerichtlichen Verfolgung zu entgehen, und steigt bei Peter d. Gr. zum Kanzleramte auf. Er wird von dem Zaren wegen seiner Unbestechlichkeit, eine Seltenheit damals, besonders geschätzt und hält noch lange nach Peters Tode seine Stellung; zeitweilig beherrscht er Russland mit dem sächsischen Landsmann, dem Generalfeldmarschall von Münnich aus Neu-Huntorf in Oldenburg. Er endete schließlich (wie viele russische Großen) in der Verbannung; durch seine Tochter aber lebte sein Blut in der Familie Tolstoi weiter. Zu Altpreußen hat er nur geringe Beziehungen gehabt. Aber mehrfach dürfte er als Begleiter Peters des Großen dort geweilt haben. Hervortreten lag dem ernsten, verschlossenen Manne nicht. Er ist oft Vermittler zwischen dem russischen Reich und den deutschen Grenzstaaten: Kurland-Livland und Preußen, gewesen und hat als Westfale gerade für die Erhaltung des Deutschtums hier mit seinem stark westfälischen Einschlag hervorragend gewirkt. Enge Bande knüpften ihn an die Heimat, wenn er sie auch meiden musste.
Vor etwa dreihundert Jahren schrieb ein Westfale: „Wie sollen wir Preußen erheben und Livland? Welches Volk gilt dort so viel als das unserige? Wer sind dort die Fürsten, wer die Regenten der Städte, wer anders als unsere Sendlinge und ihre Nachkommen?“ Er hat mit seiner Feststellung nicht zu viel gesagt. Seit 700 Jahren ist zu allen Zeiten unternehmend das westfälische Blut nach Osten gezogen, auch nach Altpreußen, während die Westfälinger, die das Alte ehrten, in der Heimat blieben. Die Familienverbindungen rissen selten ab. Und als der deutsche Osten gut besiedelt war, da zog es manchen Überzähligen in die Heimat der Vorfahren zurück.
So ging neben dem Strom von Westen nach Osten der andere von Osten nach Westen wieder zurück, heute durch traurigen Zwang veranlasst.
Seite 4 Blass wie eine Ziegel von Thorn.
Wie über jeden Stand und Beruf im Besonderen, so schwingt der Volkshumor auch über Land und Leute im allgemeinen seine schalkhafte Pritsche, um lächelnden Mundes der Wahrheit eine Gasse zu bahnen oder seine harmlosen Neckereien und lustigen Wortspiele im nachbarlichen Geplänkel und in kleinen Scharmützeln Neckintes anzubringen.
Wenn jemand aus Verlegenheit oder Scham rot wird, pflegt man ironisch zu sagen: „blass wie ein Ziegel von Thorn“; denn dieselben waren hochrot. Die Weichsel war der Schicksalsstrom Westpreußens; „sie ist wie unser Herrgott; dem einen gibt, dem andern nimmt sie“, bezog sich auf die Überschwemmungen und Veränderungen des Flussbettes, wodurch der eine an Grund und Boden gewann, der andere verlor. Dieses Problem hat der Westpreuße Max Halbe in seinem Drama „Der Strom“ behandelt. Aber: „Lewa ön de Nedderung versupe as op de Hög vadrege“ (lieber in der Niederung ersaufen als auf der Höhe verhungern), meinten die Weichselanwohner; denn die Niederung war fruchtbar im Gegensatz zum Höhenlande.
Als es noch unter den Truppeneinheiten Westpreußens ein Deutschordensregiment gab, wandte man ein altes Wort an, welches aus dem Mittelalter stammte und Bezug auf die Ritterherrschaft in der Marienburg nahm: „Kleider aus, Kleider an, essen, trinken, schlafen gahn (gehn), ist die Arbeit, so die Deutschherrn han (haben)“. Vom alten Hochmeistersitz hieß es: „Marienburg ex luto (Ton, Lehm), Ofen ex saxo (Fels), Mailand ex marmore sind die 3 stärksten Schlösser auf Erden“.
Einen alten Ursprung hat auch die Redensart: „Ein Preuße, der seinen Herrn verriet“. In „Erläutertes Preußen“ wird dieses Wort ein „uraltes Sprichwort“ genannt um einen falschen Menschen zu bezeichnen. Es soll die Beschuldigung der Verwandten des abgesetzten Hochmeisters Heinrich Reuß von Plauen zu Grunde liegen, die den Orden der Untreue anklagten, und sie hätten an ihrem Herrn (dem Hochmeister Reuß) wie Meineidige gehandelt. Nach anderer Auslegung ist es veranlasst durch die Übergabe des Preußenlandes an den König Kasimir von Polen durch Land und Städte 1454.
An eine dürftige Lebensweise erinnert: „Alle Meedag (Mittag) Moss (Muss), alle Awend en Päkelhering (Pökelhering), alle Nacht ein Stoß“, so sagte man auf der Danziger Nehrung. Danzig gehörte ja ursprünglich auch zu Westpreußen und diese Stadt war im volkstümlichen Sprichwort recht viel bedacht. Das Gegensätzliche zwischen deutschem und polnischem Gebiet kam in dem Ausspruch zur Geltung: „In Danzig ist man in der Nacht sicherer als in Warschau am Tage“. „In der Hansezeit war der Ort mächtig und wohlhabend, aber dennoch hieß es in der Nachbarschaft: „Auch in Danzig sind die Häuser mit Fladen nicht gedeckt“. Mit dem Ausdruck: „Danziger Schokolade“ bezeichnet man heute noch Geld. Das Wort rührt von der Einnahme der Stadt 1807 her. Napoleon ließ den Marschall Lefebre, der die Einnahme bewirkt hatte, zu sich kommen und gab ihm ein Päckchen Danziger Schokolade zum Andenken an den Sieg mit den Worten: „Kleine Geschenke unterhalten die Freundschaft“. Es fanden sich 100 000 Krontaler darin.
Scherzhaft bezeichnete mansche Danziger als „Pomuchelsköppe“ und „Mottlauspucker“. Pomuchel hieß im Volksmunde der Dorsch und die Mottlau gehört zur alten Hansestadt wie die Pellkartoffel zum Hering, meinten früher die Einheimischen. Unfern Danzigs, am äußersten Rande der Nehrung liegt das Dorf Pröbbernau, wo‘s Ende der Welt ist“ oder: „Wo die Welt mit Brettern verschlagen ist“. Heute ist es beinahe im wahrsten Sinne des Wortes zur Wirklichkeit geworden; denn unsere östlichen Nachbarn haben bekanntlich Grenzen mit Brettern vernagelt. H. Bink
Seite 4 Zum neuen Jahr. Von Gerhard Kamin.
Herauf aus Schächten welcher Ewigkeiten
Türmt sich ein neues Jahr zu welcher Wende?
O schneeumwehte, ausgestorbene Weiten,
Antlitz der Heimat — ungelöschte Brände ...
Aus tausend Klüften hört die bittere Klage:
Vereinsamt wir, die Toten, die Verscharrten...
Aus Trümmeröden, Anruf, Bitte, Frage:
Vergesst ihr, dass wir warten, warten, warten?
Der Zeiger kreist, die Weltuhr schlägt die Stunden,
Nicht weniger wägt die Tränen sie als Freuden;
Sie lindert Schmerzen nie vernarbter Wunden,
Sie weiß um hoffnungslos durchschrittene Leiden.
Land unsrer Väter, keins wie du geschunden,
Land unsrer Kindheit, keins wie du geschlagen ...
In weiße Grabestücher starr gebunden,
Harrst du und bittest, dass wir nach dir fragen.
Seite 4 Ausstellungen der Nordostdeutschen Künstler. Von Dr. G. Bender
„Die Ausstellungen nordostdeutscher Künstler sollen ein Zeichen dafür sein, dass wir trotz aller bitteren Notstände, mit denen wir immer noch zu kämpfen haben, uns nicht nur auf das Erbe des abgetrennten Ostens und auf die Kulturleistungen besinnen wollen, die wir zur vielgestaltigen und reichgegliederten Kultur des deutschen Gesamtvolkes seit Jahrhunderten beigetragen haben, sondern dass wir das Unsere tun wollen, diesen notwendigen Beitrag auch nach der Vertreibung weiter zu pflegen“, lautet das programmatische Motto, das Prof. Dr. Max Hildebert Boehm dem Katalog der Lüneburger Schau der Nordostdeutschen Künstlereinung e. V. Lüneburg im Sommer 1954 vorausschickte. Es war eine jener kulturpolitisch bedeutsamen, repräsentativen Ausstellungen, die Ida Wolfermann-Lindenau während der vergangenen Jahre in verschiedenen Städten der Bundesrepublik veranstaltete.
Bei diesen erfolgreichen Versuchen, lebenden, heimatvertriebenen Malern und Plastikern den Weg zum Beschauer finden zu hellen, ließ sich die in Marburg wohnende Königsberger Malerin von dem Bewusstsein leiten, dass die nordostdeutschen Künstler als berufene Träger des Kulturgutes ihrer Heimat in besonders hohem Maße verantwortlich für dieses wertvolle Erbe sind, das sie zu gültigen, überzeugenden Leistungen verpflichtet. Da sie erkannte, dass diese denkbar schwere Aufgabe nur von einer in sich geschlossenen Gemeinschaft schöpferischer Menschen, die aus heimatverbundener Lebenskraft heraus gestalten, erfüllt werden kann, setzt Ida Wollermann sich seit 1948 unermüdlich dafür ein, diese zu schaffen. Ihrem zukunftsweisenden Wollen entsprechend kommt es ihr dabei vor allem darauf an, auch die junge Generation zu erlassen und die Nachwuchskräfte zu fördern.
Zunächst nahm sie Fühlung auf mit Künstlern aus Königsberg, bald darauf auch mit solchen aus Danzig, Pommern und dem Baltikum. Nach mehreren gemeinsamen Ausstellungen gründeten diese 1951 die Nordostdeutsche Künstler-Einung e. V., die sich dem Nordostdeutschen Kulturwerk in Lüneburg anschloss. Die Anregung dazu gab Prot. Dr. Boehm, der auf allgemein kulturellem und geistigem Gebiete die gleichen Ziele verfolgt, wie sie auf spezifisch künstlerischem. Zu ihrem 1. Vorsitzenden ernannten sie Prof. Fritz Pfuhle, den 76-jährigen ehemaligen Lehrer der Danziger Technischen Hochschule, der heute in Hamburg lebt, zu ihrer 2. Vorsitzenden Ida Wolfermann-Lindenau, die sich mit opferbereiter Hingabe und mütterlicher Wärme sehr aktiv für diese ihre Aufgabe einsetzt.
Der Einung gehören fetzt 60 Mitglieder an, weitere sind gewillt, ihr beizutreten. Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu ihr ist echtes, um die Bewältigung künstlerischer Probleme aus innerer Notwendigkeit geborenes Ringen unserer Gegenwart, das auf äußere Effekthascherei verzichtet und nach Wahrhaftigkeit strebt. Die Einung will nicht eine bestimmte Richtung innerhalb der modernen Kunst vertreten, denn jede Sprache hat ihre Gültigkeit, jede Individuelle künstlerische Aussage ihren Reiz und Ihre Berechtigung, sofern sie einer tiefen Verantwortung und Echtheit des Empfindens entspringt“. (Ida Wollermann.)
Die Einung pflegt auch keine „Heimatkunst“ im landläufigen, begrenzten Sinne einer landschaftlich gebundenen Lokalschule. Die zu ihr gehörigen Künstler setzen sich schöpferisch mit den westeuropäischen Einflüssen auseinander. Sie gestalten Bildvorwürfe ihrer heutigen Umwelt oder verdichten verklungene Landschaftserlebnisse zu ausdrucksvollen, verklärten Erinnerungsbildern des deutschen Ostens, den sie im Herzen tragen. Manche, vor allem die Nachwuchskräfte, suchen ihre Motive in lernen, außereuropäischen Ländern. Das sie einende Band, das ihre Persönlichkeit und ihre Kunst mitgeprägt hat, ist ihre Herkunft aus dem gleichen Raum und das gemeinsame Schicksal.
Obwohl sich ein jeder dieser Maler und Plastiker seine eigene, oft wandelbare Ausdruckssprache schuf, empfindet man bei der Begegnung mit ihren Schöpfungen, wie verwandt sie trotz aller individuellen Eigenart dennoch einander sind. Intuitiv erkennt man, dass sich in ihnen das Wesen des im Herkömmlichen verwurzelten, aber weltoffenen Menschen der ostdeutschen Grenzmark künstlerisch offenbart. Seine verhaltene Leidenschaft, sein aufrichtiger Charakter und seine zu zähem Ausharren und zu besinnlicher Betrachtung befähigende Gelassenheit spiegeln sich sowohl in der gebändigten Ausdruckskraft und klaren Formprägung der Plastiken als auch in der sicheren beherrschten, großzügigen Flächen- und Formgestaltung der Gemälde, Aquarelle und Graphiken. Gleichfalls tun sie sich kund in dem Verzicht auf koloristische wie kompositionelle Effekte und der vergeistigenden Gestaltung der mannigfaltigen Erscheinungsformen der Welt“.
Dass sich die Mitglieder der Einung die seelische Spannkraft bewahrten, die sie zu überzeugenden künstlerischen Schöpfungen befähigt beweist auch das sehr rege Interesse, das ihnen in Westdeutschland entgegengebracht wird.
Allein Im vergangenen Jahr sind von den Werken, die in den Werken, die in den fünf Ausstellungen, die 1954 in Recklinghausen, Osnabrück, Lüneburg, Westerland/Sylt und Marburg zur Schau gestellt wurden, 70 Arbeiten von staatlichen Behörden und privaten Kunstfreunden angekauft worden. Dieser beachtliche finanzielle Erfolg ist ganz wesentlich dem persönlichen Bemühen Ida Wolfermanns um den Verkauf und ihrer selbstlosen Sorge um die sozialen Belange tüchtiger, ernsthaft strebender Künstlerpersönlichkeiten zu verdanken.
Für das hohe Niveau der bisherigen Ausstellungen spricht auch die Tatsache, dass 1955 eine Reihe weiterer Ausstellungen in der Bundesrepublik veranstaltet werden. Die Planungen dafür liegen bereits fest. Wie im vergangenen Jahr sollen jeweils nach strengen Gesichtspunkten ausgewählte Arbeiten weniger Mitglieder der Gesamtgruppe kollektiv gezeigt werden. Ida Wolfermann, die jede Schau neu aufzubauen pflegt, ist bestrebt, einer jeden ihr eigenes, einmaliges Gepräge zu geben. Um den einheitlichen, geschlossenen Charakter derselben zu gewährleisten, verzichtet sie aus verantwortungsbewusster Überzeugung heraus darauf, Arbeiten vieler Künstler gleichzeitig zu bringen. So vermeidet sie die Gefahr, den Beschauer durch eine Überfülle von Namen und verschiedenartigen Stilrichtungen zu verwirren und ermöglicht diesem eine lebendige Vorstellung vom Wirken der jeweils vertretenen Maler und Plastiker während ihrer letzten Schaffensperiode zu gewinnen. Wer die Werke dieser Künstler kennen und schätzen gelernt hat, wird ihnen von Herzen wünschen, dass ihrem schöpferischen Ringen auch zukünftig die gebührende Anerkennung und wirtschaftliche Erfolg geschenkt werden wird.
Seite 5 Aus den Landsmannschaften.
Goldaper beschenkte Landsmannschaft.
„Als Zeichen der steten Verbundenheit mit der Landsmannschaft Ostpreußen, Ortsverband Seesen erlaube ich mir, in diesem Jahr ein zweites Wappen, das ich in meiner Freizeit angefertigt habe, als Weihnachtsgeschenk zu überreichen, so lautet das Begleitschreiben zu der gediegenen Intarsien Arbeit des 21-jährigen Tischlergesellen Willi Sander aus Rüsselsheim a. M. an den Obmann der hiesigen Landsmannschaft. Der geborene Goldaper, der schon als 11 jähriges Kind aus seiner Geburtsheimat vertrieben wurde und bis 1952 bei seinen Eltern im Nachbarort Münchehof wohnte, hat damit einen greifbaren Beweis geliefert für die Tatsache, dass auch unsere heranwachsende Jugend in der Landsmannschaft eine Form gefunden hat, die Liebe zur Stammheimat wachzuhalten und auch ohne Heimat, „heimatlich fortzubestehen“. Mit dem Weihespruch von Johanna Ambrosius: „Ostpreußen hoch! Mein Heimatland, wie bist du wunderschön“, wurde das Wappen gelegentlich des Adventsabends am 11.12.1954 seiner Bestimmung übergeben.
Seesen am Harz.
Die Adventsfeier für unsere 110 Kinder bei Kakao und Kuchen mit dem glanzvollen Märchenspiel „Paulchens Himmelswanderung“ von Urbschat (Regie: Kulturleiterin Lieselotte Donnermann) und wertvollen Geschenktüten von Knecht Ruprecht verbreitete wahre Vorweihnachtsfreude.
Die sehr gut besuchte Jahreshauptversammlung der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen am 8. Januar entrollte durch die sachlichen Tätigkeitsberichte ein sehr erfreuliches Bild von der Organisation, Arbeits- und Opferbereitschaft dieses Heimatverbandes, bei dem alles wie in einer großen harmonischen Familiengemeinschaft scheinbar ganz von selbst läuft. Drei heimatpolitische Veranstaltungen, neun Kulturabende und eine Vorweihnachtsfeier für die Kinder waren das erfolgreiche Werk der unermüdlichen Kulturleiterin Lieselotte Donnermann. Außerdem führte die Seesener Gruppe weitere vier Heimatabende in Lutter, Gandersheim und beim Harzklub durch. — Für die „Paketaktion Westpreußen“ soll ein Geldbetrag aus laufenden Kassenmitteln zur Verfügung gestellt werden. — Der bisherige Arbeitsstab wurde einstimmig wiedergewählt. — Sin besinnliches Grußwort des Obmanns zur Jahreswende und eine eindrucksvolle Gedenkstunde für die kürzlich in Bad Harzburg verstorbene Heimatdichterin Erminia von Olfers-Batocki waren der Generalversammlung vorausgegangen. — Der Heimatabend am 5. Februar wird auf eine fröhliche Fastnachtsfeier abgestimmt sein.
Kreisgruppe Warendorf (Westfalen)
Die landsmannschaftliche Arbeit ist im Kreise Warendorf besonders rege. Die Ostpreußen waren die ersten, die sich unter ihrem Vorsitzenden, Gestütsoberrentmeister Dohnke (früher Braunsberg) zu einer landsmannschaftlichen Kreisgruppe zusammenschlossen. Ihnen folgten die Pommern, die Sudetendeutschen und vor einem Jahre auch die Schlesier, die hier zahlenmäßig am stärksten vertreten sind. Die Westpreußen, Danziger und Warthegauer genießen Gastrecht bei den Ostpreußen, da sie zu wenig zählen, um eigene Kreisgruppen zu bilden. Alle landsmannschaftlichen Kreisgruppen sind im Kreisverband des BvD vereinigt und arbeiten in vollster Harmonie.
Die landsmannschaftliche Arbeit der Ostpreußen war auch im abgelaufenen Jahre wieder sehr rege.
Das gesellige Leben begann mit einem im Februar veranstalteten Kappenfest, welches sehr besucht war und gemütlich verlief.
Im März folgte ein Vortrag des Ermlandforschers, Oberstudiendirektor Dr. Poschmann - Rüthen (früher Rößel), über „Westfalen und das Ordensland Preußen“. Dieser Vortrag fand auch bei den Eingesessenen großes Interesse, zumal er durch Lichtbilder anschaulich erweitert wurde.
Der im November durch Freiherr von Ungern-Sternberg - Kiel (früher Königsberg Pr.) gehaltene Lichtbildervortrag über „Das verlorene Jagdparadies Ostpreußen“ fand in vier Orten des Kreises vor etwa 800 Zuhörern statt. Er erweckte bei den Ostpreußen wehmütige Erinnerungen, zeigte aber den Westfalen und besonders der Jägerwelt wie reich gerade Ostpreußen an Wild und Naturschönheiten war. Viele der einheimischen Zuhörer bedauerten, Ostpreußen gar nicht oder nur wenig gekannt zu haben.
Die alljährlich am 2. Advent stattfindende Adventsfeier war wie immer gut besucht; sie war durch die Frauengruppe diesmal ganz besonders reich und schön ausgestaltet.
Die ostpreußische Frauengruppe ist in Warendorf sehr aktiv; sie wird durch Frau Palfner (früher Kauschen) geführt, die es versteht, die Zusammenkünfte, welche am zweiten Mittwoch im Monat stattfinden immer wieder abwechslungsreich und interessant zu gestalten, so dass diese Gruppe ständig wächst und bei den übrigen landsmannschaftlichen Gruppen in Warendorf Anlass zur Nacheiferung wurde.
Die Ostpreußen treffen sich in Warendorf im Übrigen am jedem ersten Mittwoch im Monat, abends, im Gasthof Höner, wo in zwangloser Weise stets ein reger Gedankenaustausch stattfindet.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Leben und Wirken der Ostpreußen im Kreise Warendorf die heimatliche Verbundenheit festigt und in jeder Weise zum Ausdruck bringt.
Der Veranstaltungsplan für das begonnene Jahr soll in der demnächst stattfindenden Hauptversammlung beschlossen werden.
Seite 5 Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußien
Dies Losungswort soll uns durch das Jahr 1955 begleiten. Möge das neue Jahr unsere Gesundheit erhalten und allen, die von Krankheit geplagt sind, Genesung und Wiederherstellung bringen. Möge aber darüber hinaus recht bald unser aller dringendster Wunsch in Erfüllung gehen, dass ein Ausgleich zwischen Ost und West auf friedlicher Grundlage gefunden wird, der uns Deutschen die Wiedervereinigung aller Schwestern und Brüder in einem von Einigkeit und Recht und Freiheit getragenen Vaterland bringt und überleitet zu einer Verständigung und Vereinigung aller Völker Europas in einem wahrhaftigen Friedensbund.
Das alles wollen wir aber nicht in Abgeschiedenheit stumm abwartend erhoffen oder es zweifelnd und misstrauisch nur als Wunschtraum gelten lassen. Nein, wir wollen ein jeder an seinem Platz an der Verwirklichung mitarbeiten! Jeder von uns ist dazu in der Lage. Jeder von uns ist auch dazu vonnöten! Ohne den festen und unbeirrbaren Willen des Einzelnen gibt es keinen einheitlichen starken Willen der Gemeinschaft, der Gesamtheit. Der Wille aber ist dem Glauben gleich zu achten, der Berge versetzt.
Was kann der Einzelne denn zu diesem Ziele beitragen? Nichts Außergewöhnliches braucht es zu sein. Wir wollen uns zunächst nur einmal bei unseren Alltäglichkeiten selbst gewissenhaft prüfen, ob wir das große Ziel als Richtschnur aller Gedanken, Worte und Werke im Auge behalten, oder ob wir uns durch andere Wünsche von der Zielrichtung entfernen und vielleicht im Verkehr mit den nächsten Mitmenschen etwas getan oder unterlassen haben, was wir im Verkehr der Völker und ihrer diplomatischen Vertreter untereinander kopfschüttelnd oder gar voller Empörung bemängeln. Woher sollen Achtung, Hilfsbereitschaft, neidloses Nebeneinander und fröhliches Miteinander zwischen den Völkern kommen, wenn den Einzelnen im Verkehr mit seinem Nebenmann nicht die gleichen Eigenschaften beseelen? Hier liegt der Ansatzpunkt für die wertvolle Mitarbeit auch des Kleinsten und scheinbar Unbedeutendsten, auch wohl gar dessen, der sich immer noch einsam fühlt. Sei freundlich zu Deinem Nachbarn und suche, ihn zu verstehen. Siehst Du ihn hilfsbedürftig, dann hilf, auch wenn er nicht darum bittet. Suche die Gemeinschaft und gibt in ihr ein gutes Beispiel; es erweckt Nacheiferung. Warte nicht, dass die anderen Dir ein Beispiel liefern und zuerst ihren guten Willen zeigen. Scheue Dich nicht, mit einer kleinen Freundlichkeit im Verkehrsgedränge allein zu stehen oder gar bespöttelt zu werden. Freundlichkeit ist ansteckend und stärker als Gehässigkeit. Ein wenig Mut, der auch dazu gehört, bringen wir Turner schon auf. Daher frisch, fromm, fröhlich, frei hinein ins neue Jahr und alleweil
Mit guter Tat voran!
Allen Geburtstagskindern des Januar 1955 gelten unsere herzlichsten Glück- und Segenswunsche, besonders denen, die wieder ein volles Jahrzehnt beenden:
Am 06.01.1955: Hannelore Jacobs (KTC Kbg) und am 07.01.1955: Gerhard Gohr (Zoopot) 30 Jahre.
Am 02.01.1955: Helmut Meißner (Zoppot) und am 03.01.1955: Elfriede Klinnert (Tgm. Danzig): 40 Jahre.
Am 05.01.1955: Kurt Bohl (Tgm. Dzg) 50 Jahre
Am 17.01.1955: Gustav Behrend (Gumbinnen) 60 Jahre.
am 04.01.1955: Franz Lopp (Allenstein) 70 Jahre.
Am kräftigsten aber schlagen unsere Herzen unserm verehrten Sprecher und letzten Kreisvertreter Fritz Babbel (KMTV Königsberg) in Liebe und Dankbarkeit entgegen, der am 21.01.1955 sein 75. Lebensjahr vollendet.
Im Dezember ist an alle in meiner Kartei erfassten Turnschwestern und Turnbrüder der Weihnachtsrundbrief 1954 verschickt worden. Wer ihn etwa nicht erhalten hat (vielleicht wegen Wohnungswechsels), bitte ich um Anforderung in Oldenburg (Oldbg.), Gotenstraße 33. Eine kleine Restauflage früherer Jahresrundbriefe steht auch noch kostenlos zur Verfügung. Gut Heil! Onkel Wilhelm.
Seite 5 Suchanzeige.
Gefreiter Erwin Hochwald, geb. 30.11.1909 in Weißenstein (Ostpreußen), Beleuchtungsinspektor im Schauspielhaus, wohnhaft in Königsberg, Sternwartstraße 16 gewesen. Wehrmachtsanschrift: Inf. Nachgr. Ausb. Komp. 32 Ostrow. Letzte Nachricht vom 16. Januar 1945 vom Ort Werder, zirka 150 km von Beuthen (Oberschlesien). Wer kann über den Verbleib des Gesuchten Auskunft geben? Unkosten werden ersetzt. Angaben an Hans Liedtke (20a) Celle (Hann.), Breite Straße 1 A I. erbeten.
Gesucht wird Emilie Adler, geborene Tabbert, geb. 04.05.1884 in Stobbendorf, Kreis Marienburg und Auguste Freitag, geborene Tabbert, geb. 13.07.1888 in Stobbendorf, Kreis Marienburg. Wer kann über den Verbleib der Gesuchten Auskunft geben? Nachricht erbeten an Ernst Hinsky, Hellendorf 2 über Schwarmstädt b. Hannover.
Gesucht werden die Eheleute Bäckermeister Birgoleit oder deren Kinder aus Gr. Waltersdorf (früher Walterkehmen), Kreis Gumbinnen. Ev. Kosten werden erstattet. Nachricht erbeten an Fritz Rusch, (21a) Minden (Westf., Westfalenring 31.
Seite 5 Paketversendung durch das DRK.
Das Deutsche Rote Kreuz teilt uns mit: Es scheint die Meinung vertreten zu sein, dass Liebesgaben- und Geschenksendungen mit Bekleidungsstücken und Lebensmitteln an bedürftige Deutsche jenseits der Oder-Neiße-Linie dann zollfrei an den Empfänger ausgehändigt werden, wenn die Pakete mit dem Stempel des Deutschen Roten Kreuzes versehen sind und das Deutsche Rote Kreuz in Hamburg diese weiterleitet. In der letzten Zeit sind dem Suchdienst Hamburg bzw. dem DRK-Referat Familienzusammenführung, Arbeitsgruppe Hamburg, von Einzelpersonen im Bundesgebiet derartige Paketsendungen zugestellt worden, mit der Bitte, für die Weiterleitung besorgt zu sein. Leider mussten diese Pakete zurückgesandt werden mit dem Hinweis, dass Pakete gegenwärtig auch unter dem Absender oder mit dem Stempel des Deutschen Roten Kreuzes im Hinblick auf die Zollgebühren keine günstigere Behandlung erfahren. Das Generalsekretariat ist allerdings seit längerer Zeit bemüht, über das Polnische Rote Kreuz von den zuständigen polnischen Stellen wenigstens für bestimmte besonders bedürftige Personen eine Ausnahmeregelung zu erreichen. Diese Bemühungen haben jedoch bis zur Stunde noch nicht zu positiven Ergebnissen geführt.
Sammelaktion des ostpreußischen Bäckerhandwerks.
Anlässlich des Weihnachtsfestes ging das elfte Rundschreiben in über 500 Exemplaren an die bisher ermittelten Kollegen heraus. Leider kamen diesmal nicht wenige zu mir zurück mit dem Postvermerk „Empfänger unbekannt verzogen“. Ich bitte nun, dass durch diese Notiz die Verzogenen, soweit sie mein elftes Rundschreiben noch nicht erhielten, sich umgehend bei mir zu melden. Mit landsmannschaftlichem Gruß Arthur Tobias, Travemünde Am Heck 2.
Seite 5 Wir gratulieren.
Der Publizist Karl Lemke, der sich mitunter auch K. H. Lee nennt, begeht am 10. Januar 1955 in Lohof bei München den 60. Geburtstag. In Königsberg geboren, widmete er sich der Presse und wirkte unter anderen als Feuilletonredakteur und Theaterkritiker in Königsberg, Danzig und Berlin. Nach 1933 war er Pressechef beim Circus Busch und seit 1946 ist er Chefredakteur des „Münchner Kulturpressedienstes“. Als Romanschriftsteller bemüht er sich um eigene Farbenfülle und Sprache, und verknüpft gern die Wechselfälle des Lebens zu wuchtigen Schicksalen. Seine Romane „Claus, der Seemann“, „Dity und die Vier“, „Ambrea“ und „Die Reise ins Glück“ zeigen unmittelbare Fühlung mit dem Leben. „Heinrich Mann“ hat er in einer Monographie eine Würdigung zuteilwerden lassen, und in einem Buche „Meister des Wortes“ gepriesen. Seine Gattin, Else Lemke geborene Stahl, ist eine tüchtige Romanschriftstellerin und Ostpreußin, stammt aus Allenstein und wird am 10. Januar 1955, 65 Jahre alt.
Herr Malermeister Franz Eisenberg aus Braunsberg, jetzt in Berlin-Neukölln, Briesestr. 86 wohnhaft, vollendete am 15.12.1954 in alter Frische sein 82. Lebensjahr.
Ebenfalls feierte am 1. Januar 1955 seine Ehefrau Martha Eisenberg, geborene Aishut bei guter Gesundheit ihren 81. Geburtstag.
Der Photograph Ernst Gebhardi aus Insterburg, noch berufstätig in Seesen a. H., Poststr. 14, vollendet am 14.02.1955 sein 82. Lebensjahr.
Frl. Elma Rohn, langjährige Lehrerin an der Overbergschule in Königsberg feierte am 14. Dezember 1954 ihren 70. Geburtstag. Frl. Rohn wohnt heute in Berlin W 30, Berchtesgadener Straße 9.
Frau Anna Kussat aus Königsberg, Ostpreußen, Rhesastr. 12/13, jetzt in Seesen a. H., Lange Straße 3 wohnhaft, vollendet am 29. Januar 1955 in körperlicher und geistiger Frische ihr 78. Lebensjahr.
Hohe Auszeichnungen.
Dem früheren Generaldirektor der Schichau-Werft, Elbing, Hermann Ilow, wurde das Verdienstkreuz des Verdienstordens verliehen.
Das Verdienstkreuz am Bande wurde dem Oberstudiendirektor im Staatl. Friedrichskollegium zu Königsberg, Prof. Dr. phil. Bruno Schumacher, verliehen. Der verdienstvolle Pädagoge feierte kürzlich seinen 75. Geburtstag.
Nachruf.
Prof. Joachim von Reichelt, genannt Joachim von Kürenberg, der am 21. September 1892 in Königsberg geboren wurde, verstarb in Meran. Von ihm stammen etwa 25 Biographien und mehrere Gesellschaftsromane.
Berthold Hellingrath, der Altmeister der Danziger Radierkunst, seit Jahrzehnten in Deutschland als Graphiker, später sich ganz auf die Malerei verlegend, bekannt, verstarb in Hannover an den Folgen eines Unfalls. Professor Hellingrath hat jahrzehntelang in Hannover, u. a. als Professor an der Technischen Hochschule, wo er nach seiner Imitierung noch sein Atelier hatte, gewirkt. Er war Vorstandsmitglied der Landesgruppe Niedersachsen der Künstlergilde, die ihn auch vor einigen Jahren durch die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet hat. Professor Hellingrath hat trotz seines Alters (77 Jahre) bis kurz vor seinem Tode unermüdlich gearbeitet.
Seite 5 Aus der Heimat.
Mit Vorbereitungen zur Wolfsjagd begann die Allensteiner staatliche Forstverwaltung. Aus den Beobachtungen der Förster geht hervor, dass allein in den Wäldern dieser „Woiwodschaft“ 100 Wölfe hausen.
Verschleppt wurde ein Ehepaar aus Korschen (Ostpreußen), nachdem die Frau von den Polen den Auftrag erhalten hatte, ihren in Rostock arbeitenden Mann zu sich kommen zu lassen. Man versprach ihr, das kleine Haus und die dazugehörige Landwirtschaft zu belassen. Als der Mann kam, wurden beide sofort abgeführt. Niemand weiß wohin. Drei unmündige Kinder sind in ein „Waisenhaus“ gebracht worden.
Seite 5 Neue Ostpreußische Bücher
Charlotte Keyser: Und dann wurde es hell. Stürme, angekündigt durch fernes Wetterleuchten, Stürme, die in seelischen Bereichen alles, was unter ihren dunklen Schwingen steht, genauso beugen und niederschlagen wie Unbilden über weitem Land, ziehen herauf und formen Menschenschicksale. Aber mit der Stille, die den Wettern folgt, verteilen sich die Schatten, und die Getroffenen finden den Weg ins Helle. 280 Seiten auf blütenweißem Papier, in Leinen gebunden DM 8,50
Und immer neue Tage.
Roman um eine memelländische Familie zwischen zwei Jahrhunderten (1700 - 1800). Das auf einem Gut der Memelniederung ansässige niederdeutsche Patriziergeschlecht der Kroegers steht im Mittelpunkt dieses großen Familienepos. II. Auflage im 76. Tausend, 452 Seiten auf blütenweißem Papier, in Leinen gebunden DM 10,80
Schritte über die Schwelle.
Alle Vorzüge ihres starken Erzählertalents zeichnen auch diesen Roman Charlotte Keysers wieder aus, der von der Zeit erzählt, als nach der großen Pest im Beginn des 18. Jahrhunderts in Tilsit am Memelstrom das erloschene bürgerliche Leben neue Form gewinnt. 4. Auflage. 480 Seiten mit Buchschmuck auf blütenweißem Papier, in Leinen gebunden DM 11,80
Bi ons to Hus.
22 memelländische Lieder (mit Noten), 48 S., kartoniert DM 4,--
Ostpreußen. Unvergessene Heimat in 116 Bildern.
Dieser erste große Dokumentarbildband zeigt Ostpreußen, Danzig, Westpreußen und Memel. Der Textteil bringt Beiträge von ostpr. Autoren. Buchformat 20 X 26 cm, 160 Seiten, Leinen DM 13,80, in Halbleder DM 18,50
Königsberg.
Ein Buch der Erinnerung Dieses große Buch der Erinnerung erschien anlässlich der 700-Jahrfeier Königsbergs im Jahre 1955 mit 66 eindrucksvollen Bildern aus der alten Pregelstadt und wertvollen Beiträgen Königsberger Autoren. Buchformat 20 X 26 cm, 128 S., Leinen DM 11,80, in Halbleder DM 15,50 HEIMAT
Ostpreußen.
Ein Bildbuch mit Geleitwort von Dr. Ottomar Schreiber. 4. Auflage, Buchformat 20 X 26 cm, 16 Text- und 64 Bildseiten, Leinen DM 7,50, kart. 6,--
Rudolf G. Binding Das Heiligtum der Pferde.
Der große Pferdeliebhaber Rudolf G. Binding schrieb den Text zu diesem schönen Bildwerk. Mit 69 Originalaufnahmen aus Trakehnen. 69. Tausend, 108 Seiten, in Leinen DM 9,80
Robert Johannes. Klops und Glumse. Aus Keenigsbarg und Ostpreißen.
Mit einem Vorspruch von Walter Scheffler: Heimkehr nach Königsberg. - Neue Auslese aus dem 9-bändigen Deklamatorium des berühmten ostpreußischen Dialektrezitators, ferner enthaltend Gedichte aus dem unveröffentlichten Nachlass. Zunächst erschienen Auslese I und II zu je 64 Seiten, kart. je Band 2,50
Schabbelbohnen. Plidder – Pladder
(2. Band der „Schabbelbohnen“). Humoristische Gedichte in ostpreußischer Mundart, besonders geeignet zum Vortrag und Vorlesen an Heimatabenden von Dr. Alfred Lau. Jeder Band 44 Seiten, kart. DM 2,--
Wilhelm Reichermann Starker Tobak.
Auslese der plattdütschen Spoaskes: „Ut Noatange“. Humoristische Gedichte in ostpreußischer Mundart. 64 Seiten, kartoniert DM 2,50
Stadtplan von Königsberg.
Neudruck 1953 in 3 Farben im Maßstab 1 : 15 000, Format 62 X 44 cm. Preis des gefalzten Planes im Umschlag DM 2,--, plano für Rahmungszwecke in fester Papprolle DM 2,50
Bildkarte Ostpreußen in 5-Farben-Reproduktion ein wertvoller Wandschmuck. Format 40 X 60 cm DM 6,--; gerahmt ca. DM 15,--
Ostpreußen-Kalender 1995.
Ein lieber Begleiter aller Ostpreußen. 17. Jahrgang. Abreißkalender mit 24 Fotopostkarten auf Kunstdruckkarton und Beiträgen ostpreußischer Autoren, im Format 15 X 21 cm, DM 3,50
Fritz Kudnig.
Das Wunder am Meer.Das Lied einer Landschaft. Gedichte von Haff, Meer und Dünenland. Mit 8 Bildern dieser Landschaft. 48 Seiten, kartoniert DM 2,80. Leinen DM 4,25
Walter Scheffler. Mein Königsberg. Spaziergänge in Sonetten und Liedern. Dem Buch sind 8 Bilder aus der Stadt Königsberg auf Kunstdruckpapier beigegeben. 48 Seiten, kartoniert DM 2,80, Leinen DM 4,25
Ferdinand Gregorvius. Idyllen vom Baltischen Ufer 56 Selten mit 4 Abb., kartoniert DM 1,--
Walther Hubatsch. Im Bannkreis der Ostsee. Grundriss einer Geschichte der Ostseeländer in ihren gegenseitigen Beziehungen. 98 S. mit 15 Kartenskizzen, kartoniert DM 1,50
Günther Schwab. Land voller Gnade — Die Landschaft Ostpreußens, wie sie lebt und webt. Ein Buch von Wäldern, Wassern und Wildnis. 634 S. mit zahlreichen Illustrationen, Ganzleinen DM 12,50
Aber das Herz hängt daran! Ein unvergleichliches Zeitdokument — Ein Gemeinschaftswerk der Heimatvertriebenen dem ganzen deutschen Volke gewidmet. Das Wichtigste, Bedeutendste und Schönste aus 12 000 literarischen Einsendungen. 400 Seiten, hervorragend ausgestattet. Ganzl. DM 10,80
Seite 6 und 11 Ein ostpreußischer Geistlicher /Sein Werden und sein Wirken. Der eigene Lebensweg geschildert von D. Matthias Lackner, Geheimer Kosistorialrat. 3. Fortsetzung.
Foto: Pfarrer Mathias Lackner.
Nach dreiviertel Jahren kam die Erlösung. Die Mutter und ich waren bei ihr. Es wurde ihr dunkel vor den Augen, und sie fragte mich, ob das der Tod sei und wieviel Zeit sie wohl noch hätte. Ich sagte ihr, das stehe in des Herrn Hand. Da wünschte sie ihr Kind noch zu sehen. Man brachte es ihr und legte es in ihre schwachen Arme, sie herzte es, nahm dann von mir und der Mutter Abschied und hauchte ihre Seele aus unter meinem Gebet. Es war das Schwerste, was ich bisher erlebt hatte, denn ich hatte sie innig lieb gehabt. Ich war sehr gedrückt, glaubte nie mehr fröhlichen und getrosten Herzens werden zu können. Cosack, mein verehrter Lehrer, der meine tiefe Gedrücktheit merkte und missbilligte, sagte mir am Begräbnistage: „Nur nicht so verzagt und trostlos. Sie werden Ihren Gott noch einmal loben und preisen lernen“. Mir schien das keineswegs in Erfüllung zu gehen. Aber schon das Kind, das ich nun zu erziehen hatte, beschäftigte mich vielfach, und mit Gottes Hilfe gedieh es an Leib und Seele und ist zu meiner Freude bis heute gesund und arbeitsfreudig geblieben, und sechs Kinder sind ihr in der Ehe mit Pfarrer Schwark geboren, von denen drei
Pfarrer Söhne im Felde standen, einer davon ist gefallen. Wohl ist die Ehe nicht frei von tiefem Leid geblieben; ihr Mann hat dauernd in eine Krankenheilanstalt gebracht werden müssen, aber an ihren Kindern hat sie doch Freude gehabt.
In den ersten Jahren war ich als Geistlicher an der Altstadt nicht voll beschäftigt. Die vierzehntägige Nachmittagspredigt genügte mir nicht. Ich suchte mir mehr Arbeit an der Gemeinde und fand sie im Kindergottesdienst, und dieser wurde einer meiner liebsten Beschäftigungen. Zuerst ging es freilich damit nicht so glatt. Der Kindergottesdienst war damals noch nicht so beliebt wie später, war auch keineswegs so allgemein eingeführt wie jetzt. Ich fand zwar an der Altstadt eine Art Kindergottesdienst in einer Klasse der Kirchspielschule, welchen eine Dame leitete. Es besuchten ihn etwa dreißig bis vierzig Kinder. Die Dame war gerne bereit, mir die Leitung abzutreten, und ich übernahm sie gerne, vermehrte auch sofort die Zahl der Kinder auf zwei Klassen und bald genügten auch diese nicht mehr. Ich strebte nach der Kirche, stellte auch den Antrag an den Gemeindekirchenrat, mir die Kirche für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Aber ich wurde abgewiesen, man machte allerlei Bedenken dagegen geltend. Die Kinder würden sich nicht der Kirche würdig betragen, die Bänke und Tische beschädigen und beschmutzen. Aber ich beruhigte mich dabei nicht, kam immer wieder, übernahm die Verantwortung für das anständige Betragen der Kinder und konnte endlich den Kindergottesdienst in die Kirche verlegen. Die Orgel durfte ich freilich nicht benutzen, aber ich schaffte mir ein Harmonium an und fand auch Damen bereit, auf demselben den Gesang unserer lieblichen geistlichen Volkslieder zu begleiten. Nun wuchs die Zahl der Kinder schnell. An Lehrern und Lehrerinnen fehlte es zwar anfangs, aber das wurde auch bald besser, sie fanden sich aus meinen Konfirmanden und Konfirmandinnen. Auf ihre Vorbereitung legte ich ganz besonderes Gewicht. Sie fand am Freitagabend statt. Der biblische Abschnitt war im Voraus für ein ganzes Jahr bestimmt. Die Vorbereitung gestaltete sich so, dass der Abschnitt in Frage und Antwort behandelt wurde. Ich war der Lehrer, meine Helfer und Helferinnen waren meine Schüler, ich fragte, wie sie die Kinder fragen sollten, und sie antworteten, als ob sie die Kinder wären. Sie ließen sich gerne fragen, und die Vorbereitung gewann an Frische und Lebendigkeit. In einer Versammlung von Geistlichen und Pädagogen schilderte ich einst diese meine Art, fand aber bei den Anwesenden keine Zustimmung, nur einer, aber ein Dembowski, der Waisenhausdirektor, stimmte mir voll zu, und das genügte mir. über den Segen des Kindergottesdienstes habe ich die allergünstigsten Erfahrungen. Noch kürzlich hat mich als Emeritus eine nach Dresden verheiratete ehemalige Konfirmandin und Sonntagsschullehrerin besucht und mir geschildert, welchen Segen sie davon gehabt hätte, der immer noch fortwirkt. Sie bedauert, dass ihre fünf Kinder nicht dort ähnliche Einrichtungen getroffen haben.
Es nahmen an dem Kindergottesdienst zumeist die Volksschüler teil, aber doch auch die Kinder der höheren Stände, oft sehr eifrig. Manche Töchter blieben auch gleich nach ihrer Einsegnung im Kindergottesdienst als Lehrerinnen und haben ihn erst aufgegeben mit ihrer Verheiratung. Auch bin ich mit manchen Helfern und Helferinnen in schriftlichem Verkehr geblieben viele Jahre hindurch, wenn wir auch nur jährlich einen Brief wechselten. Aber eine Antwort bin ich nie schuldig geblieben. Eine kleine Schattenseite möchte ich noch erwähnen, bin freilich zweifelhaft, ob es eine so große Schattenseite ist. Es ist wohl in den vielen Jahren vorgekommen, dass ein kecker Gymnasiast sich als Lehrer im Kindergottesdienst gemeldet hat, weil seine Flamme dort mitwirkte. Nun, absperren voneinander kann man sie doch nicht, und es ist besser, dass sie sich in solchen Kreisen treffen, wie bei anderen Gelegenheiten. Der Ernst des Kindergottesdienstes schloss auch alle unnützen Gedanken aus. Hauptsache war mir nicht, dass die Kinder viel Neues lernten, sondern dass ihnen das Herz warm wurde für den Heiland, sie ihn lieb gewannen, in seine Gewalt kamen, so dass er sie täglich begleitete. Am meisten gewannen in religiöser Erkenntnis die Lehrer und Lehrerinnen, aber auch die Kinder gingen nicht leer aus, sie brachten unter anderem die geistlichen köstlichen Volkslieder mit ihren gewinnenden Melodien ins Elternhaus, und auch die Eltern fingen an, sich für den Kindergottesdienst zu interessieren, ja, die Mütter begleiteten die Kinder in das Gotteshaus und hörten zu. Manche der Kirche entfremdete Häuser sind dadurch wieder für den Heiland gewonnen.
Hier möchte ich die Schilderung meines weiteren Familienlebens einschieben, weil von demselben doch auch meine amtliche Tätigkeit abhängt. Nach dem Heimgang meiner ersten Frau blieb mein Haus zwei Jahre ohne Hausfrau. Meine Schwiegermutter verstand sich auf meine Bitte dazu, mir die Wirtschaft zu führen, auch meine beiden Kinder, meine Tochter und meinen Bruder, mir erziehen zu helfen. Ich hielt ihr zwei Dienstmädchen, Köchin und Kindermädchen, und so lebten wir still und im Andenken an die Heimgerufene. Die Ereignisse in der Politik zogen uns ab von unserem persönlichen Erleben. Es war das große Jahr 1866, wo die Sehnsucht des deutschen Volkes sich erfüllte: wir wurden ein Volk; ein deutsches Reich entstand zwar noch nicht, aber es war alles dafür vorbereitet, der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich war für Deutschland beseitigt. Man sprach es im Reichstag schon aus, dass wir nicht an der Mainlinie Halt machen würden. Und welche glänzenden Siege hatten uns dazu verholfen! Das ganze Volk atmete auf; man hoffte auf eine bessere Zeit. Das alles ließ das eigene Leid zurücktreten.
Dazu kam, dass es meiner Schwiegermutter bei ihrem hohen Alter zu schwer wurde, meinen Haushalt weiter zu führen. Sie selbst riet mir, doch eine Hausfrau zu suchen. Es war nicht leicht, eine zu finden, die beides sein sollte, Gattin und Mutter für zwei Kinder. Ich suchte nicht viel herum, vertraute auf des Herrn gnädige Führung, er würde mich nicht fehlgreifen lassen, und er hat es auch nicht getan. Ich fand die Rechte im Hause meines früheren hochverehrten Direktors Wagner in seiner Tochter Hedwig. Sie war zwar noch sehr jung, achtzehn Jahre alt, und für mich, der ich zweiunddreißig Jahre alt war, zu jung. Aber ich hatte sie sehr lieb gewonnen und hatte zu ihr wie zu dem ganzen Haus großes Vertrauen. Sie war die älteste von acht Kindern, vier Töchter und vier jüngeren Söhnen. Bei dem großen, aber knappen Haushalt hatte sie arbeiten und dienen gelernt, und ich nahm an, dass sie dazu auch im eigenen Hause bereit sein würde. Energie und Tüchtigkeit hatte sie schon gezeigt. Und sie hat mich nicht enttäuscht. Es war eine sehr glückliche Wahl, für die ich meinem Gott und Heiland nicht genug danken kann. Sie war mir in den fast fünfzig Jahren unserer Ehe eine treue, liebevolle, fromme Gattin und ihren eigenen neun Kindern wie den beiden übernommenen eine sorgsame verständige Mutter und erzog sie in der Zucht und Ermahnung zum Herrn. Schon der Geist und Ton des Vaterhauses war ein gesunder und gottesfürchtiger. Sie begleitete sonntäglich ihren Vater zu Cosack, wurde auch von diesem unterrichtet und eingesegnet und blieb der Kirche treu bis zu ihrem Heimgang und hat nur in Fällen der Krankheit einen Gottesdienst versäumt. In der Zeit der Ehe besuchte sie regelmäßig meinen Gottesdienst, und nach meiner Emeritierung in den letzten drei Jahren den meines Sohnes, des Pfarrers Dr. Otto Lackner. Sie war eine tiefreligiöse Natur und hielt auf regelmäßige Hausandacht morgens und abends. Sie schloss sich dem Frauen-Bibelkränzchen an und hat sich auch selber im Auslegen der Schrift versucht. Dem Pastor Samuel Keller trat sie nahe, so dass er jedes Mal, wenn er hier zur Evangelisation weilte, sie besuchte, auch noch das letzte Mal, wie sie schon ernst krank war, um von ihr Abschied zu nehmen.
Ein vorbildliches Familienleben.
Lebhaft beteiligte sie sich an, allen Werken der Barmherzigkeit. Sie war viele Jahre Mitglied des Krankenbesuchs-Vereins, hat nie in einer Sitzung gefehlt und die Armen und Kranken, die ihrer Pflege befohlen waren, gewissenhaft und treu besucht. Auch auf die anderen Mitglieder des Vereins hatte sie durch ihre gewinnende, freundliche Art großen Einfluss. Sie kamen nicht nur um meinetwillen, auch um mit ihr zusammen zu sein.
Sie war im Hauptvorstand und auch im Damenvorstand des altstädtischen Kinderasyls, hat lange Zeit das Asyl regelmäßig besucht, die Wirtschaft revidiert und namentlich sich am Bazar alljährlich in der Weihnachtszeit lebhaft beteiligt. Sie war lange Jahre Schriftführerin des Vereins für arme Wöchnerinnen und hat ihn in der letzten Zeit als Vorsitzende geleitet. Es ist das auch höchsten Orts anerkannt und es ist ihr als Ehrenzeichen das Verdienstkreuz verliehen.
Aber ihre Hauptwirksamkeit gehörte doch der eigenen Familie an, ihrem Mann und ihren Kindern. Was sie mir war, kann ich schwer sagen. Sie war nicht nur meine treue, liebe Gattin, sondern auch meine beste Freundin, Beraterin und Trösterin in allen leiblichen und geistlichen Nöten und Sorgen. Sie las auch vorzüglich gut und las gern. Ihr Vater sagte einmal: „Es gibt kein gutes Buch, das ich nicht gelesen hätte“. Dasselbe hätte auch sie von sich sagen können, es gab kein gutes Buch, das sie nicht gelesen hätte, und durch sie und ihr Vorlesen bin auch ich mit vielen guten Büchern bekannt geworden.
Und mit welcher Treue und Hingabe hing sie an ihren Kindern. Solange diese noch im Hause waren, wollte sie sich nicht von ihnen trennen. Sie lehnte es ab, etwa nur mit mir einen Sommeraufenthalt zu nehmen, die Kinder mussten dabei sein. Und sie hingen ihr auch so treu an, wandten sich in allen ihren Angelegenheiten immer zuerst an sie und fanden dort Verständnis und Gehör. Ich war meistens zu beschäftigt, um mich ganz den Kindern zu widmen. In ihrer Kindheit hatten sie wohl auch den Eindruck, als ob ich ziemlich unnütz sei. Wenn ich ihnen etwas erlaubte, sagten sie wohl: „Hast du auch die Mutter gefragt?“ Das schien mir kindliche Torheit zu sein; aber ich bin doch später zu der Überzeugung gekommen, dass es ihr voller Ernst war, dass die Mutter das Regiment im Hause zu führen habe. — Am Mittagstisch saßen meine Frau und ich, auch drei erwachsene Söhne. Da entstand die Frage, wer eigentlich in unserem Haus zu befehlen habe. Meine Frau sagte: „Natürlich der Vater“. Und die drei Söhne äußerten dazu: „Aber Mutter!“ Sie hatten also die Überzeugung, dass im Hause die Mutter das Regiment führe. Und ich war damit einverstanden. Auch wenn die Kinder aus dem Vaterhause hinausgezogen waren, nahm sie mir alle Korrespondenz mit ihnen ab, und sie war in diesem schriftlichen Verkehr von seltener Treue. Die Söhne, welche in den letzten Jahren im Felde standen, haben das besonders erfahren und ihr noch nach dem Heimgang gedankt.
Meine Dankbarkeit versuchte ich ihr dadurch zu zeigen, dass ich ihr alljährlich einen mehrwöchentlichen Erholungsaufenthalt ermöglichte; in den ersten dreißig Jahren mit den Kindern am Strande oder auf dem Lande in Nassawen, Löwenhagen, Domnau, dann entweder allein oder mit erwachsenen Kindern in der Schweiz mehrmals, in Tirol, in Italien, auch einmal im Schwarzwald, am Rhein, in Carlsbad mehrmals und in Marienbad. Sie hat große Freude daran gehabt, reiste sehr gerne und war dabei glücklich und dankbar. Der Weltkrieg setzte unserem Reisen ein Hindernis und dann auch ihre sich steigernde Krankheit. Es war Arterienverkalkung, von der mir gleich die Ärzte sagten, dass es keine Hilfe gäbe. Aber ich hatte doch immer noch Hoffnung. Es gab auch Pausen, in denen es ihr besser ging. Im vorigen Jahr 1917 sind wir noch in Cranz gewesen. Es ging ihr ganz gut, obwohl ich sie immer im Rollstuhl fahren musste. Auch im letzten Winter hatte sich ihr Zustand gebessert, so dass wir Vorbereitung zu unserer goldenen Hochzeit trafen. Aber dann, infolge einer Erkältung, setzte die Krankheit scharf ein. Großer Luftmangel quälte sie sehr, so dass sie selbst um Erlösung bat und uns riet, unser Gebet auch dahin zu richten. Der gnädige Gott und Heiland hat sie erhört und sie am stillen Freitag durch einen sanften Tod heimgerufen.
Ein reiches, glückliches, gesegnetes Leben hat die liebe Entschlafene geführt und beendet. Nicht durch eigene Schuld oder die Schuld ihrer Familienmitglieder wurde ihr Leben getrübt. Sie hatte ja Vergebung der Sünde gefunden und blieb immer in der Gewalt ihres Heilandes; aber durch schwere plötzliche Todesfälle ihrer Kinder war sie oft heimgesucht. Von unsern neun Kindern haben sie nur drei überlebt zwei Söhne, Otto und Arnold, dieser Pfarrer hier, vermählt mit Betty geb. Wermke, jener Rechtsanwalt in Berlin, vermählte mit Alice, geb. Becker; und eine Tochter Lena, vermählt mit Pfarrer Barth. Von unsern Söhnen starben zwei, Georg und Alfred jung, im ersten und siebenten Jahr, Ernst ertrank als Student, Erich starb als Militärarzt in Gumbinnen und Herbert fiel an der Front gegen Russland und hinterließ seine Gattin Paula, geb. Andersen und einen Sohn Heinz-Herbert, geboren am 2. Juli 1913, meinen einzigen Großsohn, der meinen Namen trägt. Seine Mutter hat sich zu unserer Freude nach vier Jahren wieder verheiratet mit Regierungsbaumeister Seeliger in Allenstein. Unsere zweite Tochter Lisbeth starb im Alter von neunzehn Jahren. Welch tiefer Schmerz ist dabei jedes Mal durch die Elternherzen gegangen.
In die erste Zeit meiner zweiten Ehe fällt das hochpatriotische Jahr 1870/1871. Ein Strom heiliger Begeisterung ergriff unser Volk, wie man es kaum je zuvor gesehen oder erhofft hatte. Deutschland war schon geeinigt vor unserem vollen Siege über Frankreich. Solche begeisterte Stimmung, das fühlte jeder, kam von oben, ihr konnte der Erfolg nicht fehlen. Und er kam bei Weißenburg und Wörth, kam überwältigend am 2. September bei Sedan. Wie ein elektrischer Schlag durchzuckte er alle Herzen: „Das Heer geschlagen, der Kaiser gefangen“. Unauslöschlich hat sich der erste Eindruck hiervon unserem Gedächtnis eingeprägt, ein nie gekanntes Wonnegefühl schwellte unsere Brust. Es war nicht bloß das patriotische Hochgefühl über die beispiellosen Erfolge; es war nicht bloß die Sicherheit, dass die Frucht dieses Riesenkampfes die langersehnte Einheit der deutschen Stämme sein möchte — es war zugleich eine tiefreligiöse Empfindung, dass man auf seine Knie sinken musste und anbeten: noch lebt ein Gott im Himmel, der die Geschicke der Völker lenkt, der Übermut straft, Demut begnadigt, Völker erhebt und Völker erniedrigt. Kurz, es war uns allen aus der Seele gesprochen, das Wort unseres Königs, voll heiliger Scheu und anbetender Gottesfurcht: „Welch eine Wendung durch Gottes Führung“. Nun lasse ich den weiteren Bericht über meine geistliche Amtstätigkeit folgen; zuerst über den Konfirmandenunterricht.
263 Konfirmanden
Ich hatte den Unterricht mit nur dreiundsechzig Kindern aus der Volksschule begonnen, und es blieb auch etwa drei Jahre bei dieser Zahl und bei diesen Schülern. Aber durch meinen Kindergottesdienst kamen mir Konfirmanden in wachsender Zahl aus allen Ständen zu, so dass ich bald 100 zählte, dann 150, 200 und als Höchstzahl 263, die ich in vier Abteilungen unterrichtete. Wie ich den Unterricht gestaltete, geht aus meinem Katechismus B hervor, den ich besonders für den Konfirmandenunterricht geschrieben habe. Zustimmende Äußerungen sind mir über ihn mehrfach von Amtsbrüdern zugegangen, für die ich dankbar war, da sie mich ermutigten und stärkten. Ergänzt habe ich den Unterricht noch durch Bibelkunde, die der Katechismus nicht bringt. Ich suchte die Konfirmanden mit dem wesentlichen Inhalt der biblischen Bücher Alten und Neuen Testaments bekannt zu machen, damit sie wüssten, wo etwas zu finden wäre, auch Kernstellen aus einzelnen Büchern sich gedächtnismäßig aneigneten. Den begabten und fleißigen Kindern machte das sichtliche Freude und sie waren wirklich soweit, dass sie in der Bibel tatsächlich Bescheid wussten. Ich richtete mich dabei nach dem Lehrgang des Professor Cosack, welchen, wie ich schon oben gesagt, meine Frau sorgfältig nachgeschrieben hatte. Und wenn schon durch den Kindergottesdienst Herzen für den Heiland gewonnen wurden, so war das in noch höherem Grade der Fall durch den Konfirmandenunterricht. Freilich sind mir auch solche traurigen Erfahrungen nicht erspart geblieben, dass selbst Töchter mir nach einigen Jahren sagten: „Wir haben doch umgelernt, wir denken jetzt in religiöser Hinsicht viel anders, als wir es im Konfirmandenunterricht empfangen haben“. Aber Gottlob, viele sind doch auch treu geblieben, ja durch sie sind selbst entfremdete Familien zur Kirche und zum Evangelium zurückgeführt, sie blieben treue Kirchgänger, und manche Jünglinge und Jungfrauen blieben nach der Einsegnung jahrzehntelang mit mir in Verbindung. Wenn es gelang, sie als Helfer und Helferinnen für einige Jahre für den Kindergottesdienst zu gewinnen, wurden sie befestigt und vertieft im Glauben, und der Heiland gewann Gewalt über sie. Spätere Besuche solcher gereiften, ehemaligen Konfirmanden oder deren Briefe gehören zu meinen freudigsten Amtserfahrungen.
So war es früher.
Was die Predigt anlangt, so waren die beiden Diakonen an der Altstadt sehr ungünstig gestellt. Jeder hatte nur alle vierzehn Tage am Nachmittag von 2 bis 3 Uhr zu predigen, während die Vormittagspredigt allein dem Pfarrer oblag, der zugleich Professor an der Universität war, aber keine Amtshandlungen zu vollziehen auch keine spezielle Seelsorge auszuüben hatte. Diese Einrichtung rührt von Herzog Albrecht her. Als durch den Tod des Pfarrers Meddigen 1547 die altstädtische Pfarrstelle erledigt war, suchte der Herzog nach „einem gescheiten, tapferen Mann“ für diese Stelle, der zugleich neben dem Predigtamte die inzwischen (1544) errichtete Universität „zieren halte und darin etwas lehren täte“. Bei der Knappheit der Mittel in damaliger Zeit kam es dem Herzog auch darauf an, dem Staate die Besoldung der Professoren zu erleichtern. Durch den Erlass vom Juni 1548 schuf er darum die Grundlage für die Verbindung von Pfarrämtern und theologischen Professuren, welche von da ab in Königsberg an den drei Hauptkirchen Altstadt, Dom, Löbernicht bis auf die jüngste Zeit, freilich mit mehrfachen Unterbrechungen, bestand. – Man fühlte wohl auf beiden Seiten, dass diese Verbindung etwas Missliches habe, sowohl für den Professor wie den Pfarrer. Niemals kann ein Pfarramt im Nebenamt verwaltet werden. An der Altstadt verstümmelte man es, nahm ihm den eigentlichen Kern, die Seelsorge, aber man fühlte doch auch, dass dieser Zustand nicht dauernd festgehalten werden könne. Als der Staat in materieller Hinsicht erstarkte, löste er am Dom wie am Löbenicht die unhaltbare Verbindung und berief Pfarrer und Seelsorger in die erste Stelle. Nur an der Altstadt blieb diese'.Einrichtung noch weiter bestehen. Die Gemeinde wünschte eine Änderung und bei jeder Erledigung der Pfarrstelle machte sie eine Eingabe an die Allerhöchste Stelle und bat um Lösung der unhaltbaren Verbindung von Professor und Pfarramt, machte namentlich geltend, dass den beiden Diakonen, den eigentlichen berufenen Seelsorgern der Gemeinde dadurch, dass dem Pfarrer der Vormittagsgottesdienst zufiele, aller Einfluss auf die religiöse Förderung der Gemeinde, die erfahrungsmäßig nur zu den Hauptgottesdiensten sich zahlreich versammele, abgeschnitten würde. Ähnliche Eingaben wurden bei jeder Pfarrvakanz an der Altstadt wiederholt, aber immer begründet oder auch ohne Begründung abgelehnt.
Ich hatte noch voll darunter zu leiden, denn die Pfarrstelle war eben neu besetzt und ich blieb in den ersten fünfundzwanzig Jahren an der Altstadt Nachmittagsprediger. Auf meine Initiative machten wir beiden Diakonen den Übelstand abzuhelfen durch Verlegung des Nachmittagsgottesdienstes von der ungünstigen Stunde von 2 bis 3, auf die Stunde von 5 bis 6 Uhr nachmittags. Das gelang uns auch nach kurzem Kampf mit dem Pfarrer, und der Besuch hob sich sichtlich. Freilich das Hauptziel war damit nicht erreicht, das ging immer dahin, den Vormittagsgottesdienst wie an den anderen Kirchen der Stadt, für die eigentlichen Seelsorger zu gewinnen. Als die Pfarrstelle im Jahre 1890 vakant wurde, begann der Kampf. Er dauerte sieben Jahre, endete aber mit einem vollen Siege. Die Verbindung zwischen Professur und Pfarramt ist auch an der Altstadt beseitigt und die beiden Diakone sind die zwei Pfarrer geworden und halten den Vormittagsgottesdienst, der erste an zwei Sonntagen, der zweite am dritten, jetzt alternieren sie.
Der Erfolg ist erreicht, nicht durch Worte und allerlei Gründe, sondern durch Taten. Wir sahen ein, dass unsere Eingaben mit den schönsten Begründungen erfolglos wären, darum machten wir folgenden Vorschlag: Wir wollten die Belastung, welche durch Gehalt und Wohnung des Pfarrers auf der Gemeinde ruhten, nicht loswerden, wir wollten beides leisten, nur sollte die Planstelle verlegt werden nach dem ländlichen Teil der Altstädtischen Gemeinde, den Hufen. Dieser Teil war in der letzten Zeit an Einwohnern erheblich gewachsen. Bei meinem Eintritt in die Gemeinde 1865, zählte der ländliche Teil noch nicht 1000 Seelen, mit einer einklassigen Schule; jetzt zählte er bereits 5000 und war im sichtlichen Wachstum begriffen. Der kirchlichen Aufsichtsbehörde, dem Konsistorium und dem Oberkirchenrat, kam dieser unser Vorschlag sehr erwünscht, sie griff zu und unterstützte uns bei der Staatsbehörde. Anfangs fanden wir dort kein Entgegenkommen, es lag das abweichende Votum der theologischen Fakultät wie des Generalkonzils der Universität vor, auch hatte Professor Dr. Zorn sein juristisches Gutachten dagegen abgegeben. Ich bin mehrmals persönlich im Kultusministerium gewesen, fand Entgegenkommen und Verständnis beim vortragenden Rat Steinhausen, dem jetzigen Präsidenten des dortigen Konsistoriums, auch hatten wir ein von Professor Dr. Hubrich verfasstes juristisches Gutachten gegen das Zornsche eingereicht. So gelang es. Die Pfarrstelle nach Gehalt und Wohnung wurde nach den Hufen verlegt und die beiden Diakonen wurden Pfarrer, 1898. Das Resultat wurde nicht nur vom Kirchenrat und von der Vertretung, sondern auch von der ganzen Gemeinde mit Dank aufgenommen.
Diese Neuordnung änderte und vermehrte nicht meine Amtshandlungen, Taufen, Trauungen, Begräbnisse, Konfirmationen. — Ich war damals schon genügend beschäftigt, hatte den Religionsunterricht in der Töchterschule bereits aufgegeben; aber meine Predigtfreudigkeit wurde gemehrt durch den erfreulichen Besuch, der bis zuletzt anhielt, und durch so freundliche, gütige Beurteilungen, die mir mündlich und schriftlich zugingen. Auch bin ich, nachdem einige Predigten in Sammlungen von mir gedruckt erschienen, ersucht, eine Sammlung herauszugeben. Aber ich habe dem widerstanden. Es sind so viele und so gute Predigten gedruckt vorhanden, dass ein Bedürfnis nach neuen nicht vorliegt. Nur einige Kasualreden werde ich am Schluss dieser Lebensschilderung beifügen.
An die Begründung der Luisengemeinde reiht sich auch die Erbauung der dortigen kostspieligen Kirche, bei der ich lebhaft habe mitwirken müssen. Der Gottesdienst auf den Hufen begann in den engen Klassen der dortigen Schule. Am Eröffnungstage fand ein Festessen in meinem Konfirmandensaal statt, an dem die Vertreter der Hufengemeinde teilnahmen unter anderem auch der Großindustrielle Kommerzienrat Großkopf, der eine Villa auf den Hufen besaß und sie bewohnte. Als bei Tisch das Gespräch auf den Bau einer Kirche kam legte er schon Zeichnungen vor, und es war erfreulich, dass er sich eingehend damit beschäftigt hatte. Gleich erbot er sich, nicht nur den Platz für Kirche und Pfarrhaus auf seinem günstig gelegenen dortigen Terrain herzugeben, sondern auch namhafte Summen, die er nach und nach steigerte bis auf 250 000 Mark. Damit war der Bau gesichert; aber er kostete doch das Doppelte, nämlich 500 000 Mark, und ich habe sehr werben müssen bei Banken und vermögenden Mitbürgern. Es gelang. Nicht einen Bittgang habe ich vergeblich gemacht. Ich nenne folgende Stifter, geordnet nach der Zeit ihrer Einzahlung: Albrecht & Lewandowski 10 000 Mark, Ungenannt durch Lackner 10 000 und 1000 Mark, Douglas 5000 Mark, A. Siebert 15 000 Mark, Königsberger Immobilien- und Baugesellschaft 10 000 Mark, Walzmühle 3000 Mark, Ziemer 1000 Mark, Königsberger Handelskompagnie 3000 Mark, Hufengemeinde 10 000 Mark, Kommerzienrat Bittrich 1000 Mark, Verein für Pferderennen 3000 Mark, Kommerzienrat Großkopf 220 000 Mark, Frau Kommerzienrat Großkopf 20 000 Mark, Frau Friedrich 5000 Mark, Direktor Claaß 1200 Mark, Exzellenz von Holleben 150 Mark, Radock 300 Mark, Provinzialsynode 1281 Mark, Konsul Gädicke 1000 Mark, G. F. Lemke & Schmidt-Lentzen 500 Mark, Eisenbahndirektor Krüger 300 Mark, Direktor Varena 1000 Mark, Ostdeutsche Bank 13 643 Mark, Altstädtische Kirchengemeinde 23 177 Mark, Landkreis Königsberg 1000 Mark, Geheimrat Professor Dr. Walter Simon 20 000 Mark, Generalkonsul O. Meyer 3000 Mark, Wilhelmsgymnasium 1000 Mark, Stadtrat Zechlin und Frau 2500 Mark, Oberamtmann Albrechtsche Armenstiftung 5000 Mark, Sängerverein 2000 Mark, Kommerzienrat Wessel 1000 Mark, Verschönerungsverein Hufen 1080 Mark, Regierungsrat Dultz 800 Mark, Frau Kommerzienrat Simon und Tochter 2000 Mark, Holzkomanditgesellschaft 2000 Mark, Ernst Liedtke 800 Mark, Präsident Simson 1000 Mark, Tiepoltstiftung 4371 Mark, Fritz Heumann 15 000 Mark.
Ein Komitee wurde gebildet unter dem damaligen Oberpräsidenten Wilhelm von Bismarck. Majestät übernahm das Protektorat, auch die Revision der Zeichnung. Es ging alles glatt vorwärts, denn Liebe hatte an der Wiege des Baues gestanden, wie das bei den Hammerschlägen zur Grundsteinlegung ein Mitglied der Altstädtischen Gemeinde, Zechlin, schön ausgedrückt hatte. Vaterlandsliebe gab den Namen, Bruderliebe sammelte die Mittel und der Gottesliebe zu dienen war ihr Zweck. An der feierlichen Einweihung nahmen Kaiser und Kaiserin mit großem Gefolge teil. Die Predigt hielt mein Sohn, Pfarrer Dr. Otto Lackner, über 1. Joh. 4, 9: Darin ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass seinen eingeborenen Sohn usw.
Von meiner sonstigen Tätigkeit hebe ich noch hervor meine Beteiligung an der Verwaltung und Leitung der Stiftung des Oberamtmanns Karl Albrecht, der am 3. November 1840 auf seiner Besitzung Albrechtshöh auf den Hufen verstorben ist. Er war mit seinen Verwandten zerfallen, hatte aber freundschaftliche Beziehungen zum Archidiakonus Laudin und durch denselben zur Altstädtischen Gemeinde. Darum setzte er in seinem Testament vom 15. Januar 1836 und Kodizill vom 25. Oktober 1840 die Altstädtische Kirchengemeinde zur Universalerbin ein und bestimmte zugleich seinen Nachlass zu einer Armenstiftung, welche aber erst dann ins Leben treten sollte, wenn das nachgelassene Vermögen auf 100 000 Taler angewachsen sein würde. Auch dann sollte ein Viertel der Einkünfte ausgeschieden und zur Bildung eines neuen Stammkapitals von 100 000 Talern verwandt werden und damit fortgefahren, bis alle und jede Not in der Gemeinde beseitigt sein würde??? Welche Illusion! Die Aufsichtsbehörde gestattete nur die Ansammlung von fünf Stammkapitalien. Das erste war 1870 gesammelt und da trat die Stiftung ins Leben nach einem Statut vom 22. April 1872, von der Königlichen Regierung genehmigt, dann aber 1890 revidiert und vom evangelischen Oberkirchenrat genehmigt. Nach diesem revidierten Statut werden die Zinsen der Stiftung so verwendet, dass
1. ein Hospital für zehn alte, arbeitsunfähige, unbescholtene Männer unterhalten wird,
2. acht bedürftige Witwen je 150 Mark Unterstützung beziehen,
3. zwei tugendsame Bräute mit je 600 Mark ausgestattet werden, wenn ihre Trauung am Todestage des Erblassers in der Altstadt oder in der Luisengemeinde stattgefunden hat,
4. je 300 Mark sollen an zwei Studierende verteilt werden,
5. 600 Mark sind zu einer musikalischen Aufführung ausgesetzt,
6. 300 Mark sollen zu gleichen Teilen an zehn Knechte und Mägde, verteilt werden, die fünf Jahre in demselben Dienst geblieben sind, und
7. 600 Mark sind für den Arzt bestimmt, welcher die Hospitanten behandelt.
Die Zugehörigkeit zur Altstadt oder Luisengemeinde nach ihrer Ausdehnung vom Jahre 1840 ist Voraussetzung für Empfang der Wohltaten dieser Stiftung.
Am Anfang dieses Jahrhunderts war das zweite Stammkapital angesammelt; aber die Benefizien sind nicht durchweg verdoppelt, sondern mit Rücksicht auf die Entwertung des Geldes durch Revision des Statuts nur erhöht. Die Zahl der Hospitaliten ist allerdings verdoppelt, weil die bisherige Zahl dem Bedürfnis nicht genügte.
In dem Kuratorium dieser gesegneten Stiftung habe ich fünfundzwanzig Jahre mitwirken dürfen, von 1890 bis 1915, und kann nur den großen Segen derselben bezeugen, an treuen Dienstboten, an unterstützten Witwen, an beglückten Bräuten und namentlich an den Hospitaliten. Die leitende Schwester dort ist seit 1895 Margarete Behrendt, eine erweckte, tief gegründete Christin. Sie hat es verstanden, die alten Männer, die vielfach der Kirche nicht nur, sondern auch ihrem Gott entfremdet waren, durch ihre schlichten täglichen Andachten in der Mehrzahl für den Heiland zu gewinnen. Es war mir immer eine besondere Freude, dort Weihnachten zu feiern oder das heilige Abendmahl auszuteilen oder einen Heimgegangenen zur letzten Ruhe zu begleiten. Ich hatte den Eindruck, als ob die Hospitaliten dort nicht nur eine irdische Zufluchtsstätte, sondern in der Mehrzahl auch eine ewige gefunden hätten.
Nicht minder segensreich ist eine zweite Stiftung der Gemeinde, das Kinderasyl, welches am 11. Oktober 1863 von dem damaligen Pfarrer der Altstadt, Professor D. Erdmann, begründet wurde. Dem Stifter war es vergönnt, ein halbes Jahr das Asyl zu leiten, bis April 1864, wo er von Königsberg schied und Generalsuperintendent in Schlesien wurde. Vorübergehend übernahm die Leitung sein Nachfolger im Amt, Professor D. Voigt, und sodann nach weiteren drei Jahren, da Pfarrer Sagelsdorff entschieden den Vorsitz ablehnte, ich als damaliger dritter Geistlicher und habe den Vorsitz etwa sechsundvierzig Jahre geführt bis zu meiner Imitierung am 1. April 1915.
Die Anstalt hat die Aufgabe, verwaisten ehelichen Mädchen, welche des Segens eines christlichen Hauses und Familienlebens entbehren und so schutzlos der Verwahrlosung ausgesetzt sind, Hilfe zu bringen durch eine geordnete christliche Anstaltserziehung. Um die dazu nötigen Mittel zu beschaffen, wurde ein Verein gegründet mit einem geschäftsführenden Ausschuss und einem Damenvorstand. Er erlangte Korporationsrechte auf Grund eines von mir entworfenen Status durch die Kabinettsordre Kaiser und Königs Wilhelm I. unter dem 11. Dezember 1878. Diese Anstalt war scheinbar sehr viel ungünstiger gestellt als die Albrechtstiftung, denn ihr standen gar keine Mittel zur Verfügung, sie war zwar ganz auf Wohltätigkeit angewiesen. Aber gerade diese Armut gereichte ihr zum Segen. Man fand für arme verwaiste Mädchen überall willige und freudige Herzen wie offene Hände. Laufende Beiträge der Asylfreunde, der Ertrag eines in der Weihnachtszeit alljährlich von dem Damenvorstand veranstalteten Bazars und sonstige freiwillige Geschenke ermöglichten nicht nur die dauernde Unterhaltung der Anstalt, sondern auch den Erwerb eines eigenen Heims. Im Jahre 1870 siedelte das Asyl, welches bisher nur verschiedene Mietswohnungen inne gehabt hatte, in ein für 8100 Mark erstandenes Grundstück Mitteltragheim 19 über. Durch verschiedene Zuwendungen gelang es, in zwanzig Jahren nicht nur die kaufschuld abzutragen, sondern auch einen Baugroschen von 12 000 Mark zurückzulegen; denn ein Neubau war bei der Baufälligkeit des alten Hauses von vornherein geplant. Im Jahre 1893 gingen wir damit vor. Unsere Zöglinge wurden während der Bauzeit durch die Güte des Pfarrers Götz in einem dem Krankenhause der Barmherzigkeit gehörigen Hause unentgeltlich aufgenommen.
Die Kosten des Neubaus betrugen 22 000 Mark und wurden allmählich abgetragen, ja, sogar die dem Asyl gegenüberliegenden Baracken wurden angekauft, ein Gemeindesaal mit Wohnungen für zwei Schwestern darauf errichtet und an die Altstädtische Gemeinde für mehrere Jahre vermietet. Die Vorstandsmitglieder in dieser entscheidenden Zeit waren neben den beiden Geistlichen Stadtrat Dr. Zechlin, Kaufmann Liesner (Schatzmeister) und Rentier Kloth. Dazu kamen drei Damen: meine Frau, Frau Stadtrat Zechlin und Fräulein Dägling (Schriftführerin). Im Damenvorstand wechselten wohl die Mitglieder, aber in guter Erinnerung sind mir als sehr tätige Mitglieder folgende geblieben: die drei genannten Damen des Hauptvorstandes, die zugleich Mitglieder des Damenvorstandes waren, sodann (alphabetisch geordnet) Frau Gymnasialdirektor Babucke, Frau Emilie Gamm, Frau Fabrikbesitzer Gebauhr, Frau Dr. Gutzeit, Frau Fritz Heumann, Frau Liesner, Frau Oberpostdirektor Rüdenburg, Frau Geheimrat Schröter, Frau Kommerzienrat Dr. Simon. Das Asyl beschränkt sich nicht auf den Sprengel der Altstädtischen Gemeinde, sondern nimmt verwaiste Mädchen der ganzen Stadt auf, in der Regel die elendesten. Der Magistrat zahlt ein mäßiges Pflegegeld. Einmal beschwerte ich mich beim Oberbürgermeister Hoffmann, dass uns immer die elendesten und verkommensten Mädchen vom Magistrat überwiesen würden. Schlagfertig entgegnete er: „Das ist ja die größte Ehre für das Asyl, wir bekunden doch damit, dass wir die Anstalt für die beste halten, welche auch aus solchen elenden Kindern noch etwas tüchtiges zu machen versteht“. Und in der Tat ist es uns durch treue Arbeit der Schwestern, namentlich der vorstehenden Schwester Emilie Wittke, gelungen, tüchtige, brauchbare Dienstmädchen zu erziehen. Im Wiederspruch mit einzelnen Vorstandsmitgliedern habe ich immer danach getrachtet, unsere Zöglinge zu tüchtigen Dienstmädchen zu erziehen. Es ist die beste Ausbildung für ihre Zukunft, wenn sie Kindermädchen, Stubenmädchen, Köchinnen werden. Zunächst schon erhalten sie in Familien gesundes kräftiges Essen, werden plötzlich stark im Unterschied von den Fabrik- und Ladenmädchen. Sodann lernen sie einen Haushalt führen und werden so vorbereitet zu einer tüchtigen Hausfrau, die, wie das Volk sagt, um sich weiß. Solch eine Persönlichkeit weiß sich auch zu helfen, wenn sie Witwe wird und Kinder zu erziehen hat. Sie kann arbeiten und findet solche Arbeit auch meist in den Häusern, denen sie einst gedient hat, ja, sogar anderweitige Unterstützung. Entwickelt sich solch ein Mädchen im Dienen, so dass sie eine höhere Stufe erreichen kann, habe ich nichts dagegen, nur soll sie zuerst dienen lernen. Die Kinder der Arbeiter unserer Stadt treten in der Regel nicht mehr in Dienste ein, suchen sich, wie sie und auch die Eltern meinen, etwas Besseres, Leichteres. Ich habe vergeblich dagegen gekämpft bei meinen Konfirmanden und deren Eltern und habe es dann als erfolglos aufgegeben. Aber meine lieben Asylmädchen mussten Dienstmädchen werden und sind dabei gut gefahren.
Was die spezielle Seelsorge anlangt, so lag sie zuerst auf den beiden Diakonen ausschließlich. Zur Unterstützung hatten sie weder einen Gemeindehelfer noch eine Gemeindeschwester. Das wurde mit der Zeit anders und besser. Auf mein wiederholtes Drängen wurde zunächst ein Gemeindehelfer angestellt. Er befriedigte nicht so, wie wir es erwartet hatten; wir stellten ihn als Hausvater in unserem Kinderasyl an und ließen für die Seelsorge zuerst eine, dann zwei Schwestern aus unserer hiesigen Diakonissenanstalt eintreten. Ihre Tätigkeit an Armen und Kranken erwies sich als ganz besonders gesegnet. Manch verschlossenes, verbittertes, der Kirche und dem Worte Gottes entfremdete Herz ist durch das stille Wirken der Schwestern wieder für Gott und sein Wort gewonnen. Durch sie kamen wir Geistliche auch an Kranken- und Sterbebetten, wohin wir sonst nicht gekommen wären. Gesteigert wurde diese seelsorgerische Tätigkeit an Armen und Kranken noch durch einen Frauenverein für diesen Zweck, den ich als erster Geistlicher mit des Herrn Hilfe begründen durfte. Er trat alle vier Wochen in meinem Hause zusammen. Nach dem Gesange einiger Verse legte ich jedes Mal ein passendes Gotteswort aus und suchte dadurch die Herzen zu erwärmen für diese Liebesarbeit. Scheinbar gelang es auch; denn der Eifer der Mitglieder wuchs, je mehr sie selbst vertieft wurden in christlicher Erkenntnis und in der barmherzigen Liebe. In wohltuender Weise ist mir das bezeugt von den Mitgliedern nicht nur während meiner Amtstätigkeit, sondern auch nach der Amtsniederlegung. Es waren zirka zwanzig Damen, die sich daran beteiligten. In dankbarer Erinnerung nenne ich ihre Namen in alphabetischer Reihe, zuerst die Frauen, dann die Jungfrauen: Frau Gebauhr, Frau Geilus, Frau Götte, Frau Kloth, Frau Lackner, Frau Luther, Frau Schwarck, Frau Schubert, Frau Suchkau, Frau Wien, Fräulein Brandt, Fräulein Dieckert, Fräulein Kloth, Fräulein Köhler, Fräulein Kraft, Fräulein Kremlin, Fräulein Selma Ruffmann, Fräulein Schröder, Fräulein Neumann, Schwester Petschat. Auch mein Vikar nahm an den Sitzungen teil. Jede Dame sollte belichten über ihre Pfleglinge, über ihre Erfahrungen und Anträge. Das geschah auch in befriedigter Weise. Fortsetzung folgt
Seite 7 Zu Hause im Winterwald. Von Armin Weinert
Schon vor Tagen hatte es zu schneien begonnen. Die Luft war voll wirbelnder Flocken, die sich auf die frosterstarrten Fluren legten und alles mit einer weißen Decke verhüllten. Der Himmel war grau und schwer, denn die Sonne hielt sich hinter riesigen Schneewolken verborgen und ihre Strahlen hatten nicht die Kraft, sie zu durchdringen.
Tag und Nacht fielen die großen und kleinen glitzernden Kristalle. Sie bedeckten Wiesen und Äcker, Bäume und Sträucher; Dörfer, Städte, und sie legten sich auf das Eis der Seen und Teiche; verzauberten die Forsten in Märchenwälder und überzogen die von den Rädern der Fahrzeuge zerfurchten Waldwege mit einem weichen Teppich.
Und dann hatte sich der Himmel scheinbar erschöpft. Immer spärlicher fielen die Flocken, um dann schließlich ganz aufzuhören: die Wolkendecke zerriss und am Nachmittag schien die Sonne. Sie verwandelte die oberländische, trübe Schneelandschaft in ein einzigartiges Panorama winterlicher Einsamkeit: Die kahlen, weißen Felder mit ihren zugeschneiten, kaum noch erkennbaren Feldwegen; die einsamen, eingeschneiten Dörfer mit ihren schneebeladenen Dächern, die von der Dorfkirche und hohen entlaubten Baumwipfeln überragt werden und schließlich die Stille, welche nur selten von schellenklingenden Schlitten mit stampfenden Rossen unterbrochen wird.
An einem solchen Tage — es war am frühen Vormittag, und die Sonne hielt sich noch hinter einer Dunstschicht verborgen — schnallte ich meine Skier an und glitt, von kräftigen Stockabstößen unterstützt, dem Dorfausgang zu.
Obgleich es windstill war, spürte ich die trockene Kälte die das Thermometer mit 15 Grad angezeigt hatte. Der eiskalte Pulverschnee rauschte knirschend unter den gewachsten Brettern. Er pulverte an der Bindung und von den Tellern der Stöcke. Ich bog in einen mit kahlen Weiden bestandenen Landweg ein, der zum Walde führte.
Weit und breit war niemand zu sehen. Überhaupt musste ich auf diesem Wege, der erste Mensch an diesem Wintermorgen gewesen sein, denn die Schneedecke war unversehrt bis meine Eschenbretter sie zerschnitten.
Die Entfernung vom Dorf zum Wald betrug etwa eine halbe Stunde Weg, und als ich die Hälfte hinter mir hatte, blieb ich stehen, um mich umzusehen. Das Dorf lag friedlich und still unter seiner weißen Hülle. Aus einzelnen Schornsteinen stieg pechschwarzer Rauch kerzengerade in die kalte Luft. Weder Hundegebell, noch das Krähen eines Hahnes war zu vernehmen — nichts. Dabei war das Leben dort in den Häusern schon lange erwacht, und doch hatte es den Anschein, als läge noch alles in tiefstem Schlummer.
Ich lief weiter. Die Skier furchten durch den hohen Schnee. Sie hatten mich bald an den Rand des Waldes gebracht.
Links von mir lag der Waldfriedhof mit seinen Kreuzen und Grabtafeln inmitten verschneiter Buchsbaumhecken. Hier ruhten die Toten des Dorfes, meine Verwandten und Bekannten, und viele die ich selbst nicht mehr gekannt hatte. Sie ruhten am Waldrand — umgeben von blühenden Feldern im Sommer, und in schneeiger Einsamkeit jetzt im Winter.
Der Weg führte nun etwas aufwärts und weiter gleitend gelang ich an die Stelle, wo der Weg sich gabelt; dort schlug ich die Richtung zum Hochwald ein.
Eine beinahe unheimlich anmutende Stelle nahm mich auf. Kraftvoll und majestätisch standen hier die großen Bäume nebeneinander im Schnee, der wie weiche Polster unter ihren Stämmen lag. Ebenmäßig wie ein frischgemachtes Bett die Schneedecke — völlig unberührt. Nicht einmal Hasenspuren konnte ich feststellen — nichts; der Wald schlief; und das seltene Piepsen einzelner Meisen, das nun hier und dort zu hören war, konnte ihn nicht erwecken.
Über eine Waldschneise, von der Turmspitze der Dorfkirche erblickte, einen kurzen Abhang hinunter und in eine Tannenschonung.
Fast bis zur Erde bogen sich die beladenen Zweige dieser immergrünen Bäume, so dass ich Mühe hatte, daran oder darunter vorbeizukommen, ohne dass mir der Schnee in den Kragen der Ski-Bluse stäubte; doch nicht immer konnte ich das vermeiden. Hier erblickte ich Hasenspuren. Manchmal waren es geradezu Tummelplätze; Pfotendruck an Pfotendruck — sie waren nicht zu zählen. Und während ich mir mit den Stöcken und Skiern einen Weg durch die immer dichter zusammenstehenden kleinen Bäume bahnte, stob plötzlich vor mir der Schnee von einem niedrigen Gestrüpp, und ein Hase schoss davon als ob eine Ladung Schrot hinter ihm her wäre. Dann war es still bis auf das hungrige Piepsen der Meisen.
Nach der Schonung stieg ich einen mit Mischwald bestandenen Hang hinauf, um auf der anderen Seite, die bedeutend steiler war, zwischen dicken Buchen und Fichten hinab zu jagen. Im Auslauf lag ein zugefrorener See mit breiten Schilfrändern von herrlichen hochstämmigen Bäumen umgeben. Ich betrat das unter einer tiefen, gleichmäßigen weißen Decke liegende Eis und glitt darüber hinweg zum anderen Ufer. Nicht weit von hier lag die Försterei.
Die Hunde mussten mich schon gewittert haben, denn nun erscholl ein vielstimmiges Gekläff, welches das feierliche Schweigen eine Zeitlang aufhob.
Das Dach des Försterhauses, idyllisch am Waldrand gelegen, hatte eine hohe Schneehaube aufgesetzt. Die Gehwege zu einem Holzschuppen sowie Hundezwingern waren geschaufelt, und in dem angrenzenden winzigen Obstgarten standen hinter durchsichtigen Hecken die mit Stroh verkleideten Bienenstöcke unter den kahlästigen Obstbäumen.
Kein Mensch war zu sehen noch zu hören; nur die Hunde gebärdeten sich wie wild.
Meine langen Bretter trugen mich nun über ein freies, weites Feld, das in einer großflächigen Waldschneise endete. Wieder ging es durch Misch- und Tannenwald; an einem anderen erstarrten Waldsee vorüber in das geheimnisvolle Schweigen. Weiter durch dichtes Unterholz und junge Schonungen, schlug ich einen großen Kreis. Als ich dann meine alte Fährte von der Hintour gefunden hatte, war ich wieder in der Nähe des Friedhofes. Dahinter verließ ich die Spur und lief über sanfte Hügel auf das andere Ende des Dorfes zu. Da brach die Sonne durch und tauchte die ausgedehnten Flächen in ein grelles, beinahe schmerzendes Licht. Und dann — der Wald lag schon weit in meinem Rücken — läuteten die Glocken der Kirche. Der Sonntags-Gottesdienst war zu Ende, und die Winterluft trug den Klang der Glocken über die weiten Felder bis zu den schlafenden Wäldern.
Seite 7 Heimwärts? Von Erminia v. Olfers-Batocki f aus Tharau, Ostpreußen.
Die felsigen Berge ragen,
Die Wasser schäumen zu Tal.
Mein Herze, kannst du es tragen,
Dies Leiden ohne zu klagen,
Die nie zu verwindende Qual?
Nun rieseln Bäche und Gräben
Zu Hause durchs flache Land
Und alles will heimwärts streben.
Viel tausend Flügel schweben
Gen Osten zum heimischen Strand.
Vieltausende, die vertrieben,
Die sehnen sich heiß zurück.
Ach, Heimat — Leben und Lieben —
Wo sind Deine Treusten geblieben?
Das Herze bricht Stück um Stück.
Seite 7 Im Rodelshöfer Wäldchen. Eine winterliche Erinnerung von Evelyn Dohnke.
Ein heimatliches Winterbild taucht in der Erinnerung auf: Unser „Rodelshöfer Wäldchen“, fünf Minuten vom Braunsberger Landgestüt entfernt gelegen. Tiefverschneite, hohe Bäume. Ich stehe als kleine „Marjell“ mit meinem Rodelschlitten oben auf dem Hauptweg, der steil zu den Schrebergärten (der Braunsberger Bürger) hin abfällt.
Tief atme ich die reine Winterluft ein und blicke mich um, bevor ich „zu Tal brause“. Niemand ist in dieser frühen Nachmittagsstunde hier zu sehen. Unten, zur rechten Hand, glitzert die blankgefegte Eisfläche des Schwanenteiches“. Einsam liegt er da. Die Schwäne, weiß ich, halten jetzt auf dem „Kämmereihof“ ihren Winterschlaf. — Durch das kahle Geäst der Bäume hindurch leuchtet weiß die weite Koppel. Auch sie ist unbelebt. — Aus der Ferne tönt das Rollen eines Eisenbahnzuges herüber. Ist das unsere kleine „Haffuferbahn“, mit der wir im Juni in die Sommerfrische zu fahren pflegen — oder der große D-Zug, der weit bis nach Berlin fährt, wo meine Verwandten wohnen?
Mein Blick schweift nach vorn. Dort, hinter den verschneiten verlassenen Schrebergärten mit ihren schneebemützten Zäunen und bunten Lauben, sind die Dächer von Braunsberg zu sehen. Hoch ragt der Schornstein von Berger's Lederfabrik an der „Passarge“ — unserem Fluss — zum blei grauem Himmel empor.
Jetzt — endlich! — geht es — heidi! — den „Berg“ hinunter. Bis zum Tor des zweiten Schrebergartens geht mein Schlitten, so gut ist der Schwung. Immer wieder ziehe ich den Schlitten herauf und fahre hinunter, — dann suche ich mir eine andere Rodelbahn. (Das „Rodelshöfer Wäldchen“ hat, wie schon der Name sagt, noch mehr schöne Hänge zum Schlittenfahren!)
Lange bleibe ich draußen. Meine Schularbeiten sind bereits erledigt — und hinter dem Ofen sitzt man an solch einem wundervollen Wintertage nicht gern. — Langsam dämmert es. Ich liebe diese Stunde ganz besonders, wenn sich die blauen Schatten auf die verschneiten Wege herabsenken und drüben in der Stadt ein Fenster nach dem anderen hell wird. Traulich grüßt der rote Lampenschein zu mir herüber. — Bald geht auch der Mond auf.
Viele Jahre hindurch durfte ich solche schönen Wintertage erleben, auch sie gehören zu dem verlorenen Paradies meiner Kindheit in der Heimat. — Nicht immer war der Rodelschlitten mein treuer Begleiter. Oft ergötzte ich mich auch am Schlittschuhlaufen auf dem „Schwanenteich“. Wie stolz war ich, als mir zum ersten Male — ohne Sturz — ein richtiger „Bogen“ gelang!
Als ich dann älter geworden war, bekam ich ein Paar richtige Skier zu Weihnachten geschenkt. Besonders diese haben mir viele unvergessliche Stunden bereitet. Ich erinnere mich heute noch deutlich an jenen spannenden Augenblick, als ich zum ersten Male auf den langen „Brettern“ zu Tal fuhr — mir verging fast Hören und Sehen dabei!
Ich brauchte gar keine oberbayerischen Berge zum „Wintersport“. Unser bescheidenes „Rodelshöfer Wäldchen“ war mir das schönste Winterparadies! — Wie es wohl heute dort aussehen mag?
Noch ein anderes Bild wird in mir erneut lebendig: Ich fahre mit meinen Eltern im großen Pferdeschlitten des Landgestüts nach dem „Stadtwald“ hinaus, wo wir im Gasthaus rasten wollen. Tief vermummt kauere ich zwischen meinen Eltern. Vor uns thront unser Kutscher mit Pelzmütze und Kragen. Die Pferde, zwei schöne Trakehner Braune, traben leicht auf der glatten Straße dahin. Der Schnee stiebt unter ihren Hufen. Lustig klingeln die Schellen am Geschirr. Wir fahren rasch und überholen mühelos die Schlitten der Bauern, die an diesem herrlichen Sonntagnachmittag ebenfalls mit Kind und Kegel einen Ausflug machen. — Ab und zu blicken wir uns um, soweit es uns die Vermummung gestattet, um zu sehen, ob sich vielleicht etwaige vorwitzige Kinder mit ihren Rodelschlitten hinten anhängen wollen ...
Der Stadtwald nimmt uns auf. Hohe Fichten ächzen unter ihrer Schneelast. Ein wenig zaghaft schimmert das Licht der Wintersonne zwischen den Stämmen hindurch. Ab und zu hoppelt ein Häslein über den Weg, stutzt, macht Männchen, — und verschwindet blitzschnell im Unterholz. Manchmal steckt auch ein Reh vorsichtig den feinen, edlen Kopf zwischen den Bäumen hervor, und äugt neugierig hinter uns her.
Am Spätnachmitttag kehren wir heim. Wir freuen uns schon auf die Bratäpfel, die es heute noch geben soll. Bald prasseln sie in der Ofenröhre und verbreiten ihren angenehmen Duft im Zimmer. Von der Küche her tönt das mahlende Geräusch der Kaffeemühle ....
Braunsberg.
Auf dem Gut Rodelshöfen werden — infolge des chronischen Mangels an Arbeitskräften — auf insgesamt 1400 ha seit drei Jahren nur vier Rinder gehalten.
Unter dem Titel „500 Jahre polnisches Küstenland“ brachte die polnische Post eine Serie neuer Briefmarken mit Bildern von Elbing, Marienburg, Allenstein und Danzig heraus.
Der redliche Ostpreuße“ 1955.
Ein Schmuckstück ist auch wieder der Hauskalender für 1955 „Der redliche Ostpreuße“ geworden. Auf 128 Seiten wird uns die Heimat in zahlreichen interessanten Beiträgen und durch dutzende seltene Aufnahmen lebendig und spürbar nahgebracht. Neben den Schilderungen ostpreußischer Eigenarten, Begebenheiten und Denkwürdigkeiten finden wir auch einen längeren Artikel von Walter von Sanden-Guja über seine Fahrt nach der Insel Grand-Bahama, der besonderes Interesse erregt. Der jetzt im 6. Jahrgang erschienene Kalender hat sich zu einem rechten ostpreußischen Jahr- und Familienbuch entwickelt. Verlag Rautenberg und Möckel, Leer/Ostfrsld. Preis nur 1,80 DM.
Seite 7 Rufer-Monatshefte.
Mit der Weihnachtsausgabe der „Rufer-Monatshefte“ (Nr. 12/1. Jahrgang) hat uns der Rufer-Verlag-Gütersloh eine besondere Freude bereitet. Dieses Heft enthält eine Fülle guter Beiträge für Familie und Haus. Ergreifend ist der Bericht „Kinder werden wieder zu Kindern“ von Karl Rauch. Er schildert einen Besuch im Steilhof bei Espelkamp, wo die spätzurückgeführten Kinder aus dem Osten Aufnahme gefunden haben. Hier lernen die deutschen Kinder aus Ostpreußen und den anderen ehemaligen deutschen Gebieten, dass sie dennoch Kinder sind trotz aller grauenhaften Erlebnisse. Diesen erschütternden Bericht sollte jeder Deutsche lesen. Andere wertvolle Beiträge sprechen weiter zu den Heimatvertriebenen. Eine gute, vorbildliche Zeitschrift, der man nur weiteste Verbreitung wünschen kann. Die Zeitschrift erscheint monatlich (1,20 DM).
Ostpreußen im Bild 1955.
Auch der diesjährige Postkartenkalender „Ostpreußen im Bild“ des Verlages Rautenberg und Möckel in Leer/Ostfrsld. vermittelt wieder ein Stück Heimat durch die schönen und seltenen Aufnahmen. Wer noch keinen Ostpreußen-Kalender besitzt, sollte sich diesen Kalender noch schnell bestellen. Preis 2,30 DM.
Seite 7 Vertriebenenfibel
In größerem Umfang (180 Seiten) ist nunmehr die zweite Auflage der Vertriebenenfibel, die, um es vorweg zu sagen, in die Hand jedes Heimatvertriebenen gehört, erschienen. Die Vertriebenenfibel enthält alles das, was der Vertriebene wissen muss. Sie enthält u. a. einen anschaulichen Wegweiser durch das Bundesvertriebenengesetz und das Lastenausgleichsgesetz. Aus der Fibel kann jeder entnehmen, wie er seine Interessen wahrzunehmen hat. Ein wichtiger Abschnitt ist auch der Altschuldenregelung gewidmet. Anschaulich und ausführlich sind alle Gesetze beschrieben, die das sozialrechtliche Gebiet behandeln. Auch die Anschriften der Behörden und Dienststellen sind angeführt, an die sich der Vertriebene zu wenden hat. Kurzum die Fibel ist ein sehr wichtiger Wegweiser für alle Heimatvertriebenen. Die Fibel wird vom Hilfswerk der Evangelischen Kirche herausgegeben. Bestellungen sind unmittelbar an das Zentralbüro des Hilfswerkes gegen Voreinsendung von 1 DM auf Postscheckkonto 34 470 Postscheckamt Stuttgart zu richten.
Seite 8 Otto Besch / Ein ostpreußischer Komponist. Zu seinem 70. Geburtstag am 14. Februar 1955. Von Dr. Erwin Kroll.
Foto: Otto Besch
Man findet oft die Meinung vertreten. Ostpreußen sei ein musikarmes Land. Aber was diese Siedlungsprovinz seit Herzog Albrechts Zeiten vom westlichen Mutterlande empfing, all das, was östlich, der Weichsel von Komponisten wie den Brüdern Kugelmann, Johannes Eccard, seinem Schüler Johann Stobaeus, Heinrich Albert ausgesät wurde, das hat reiche Frucht getragen. So bildete nach Albert, den Schöpfer des neueren deutschen Sololiedes, Johann Sebastiani die Passion aus, Johann Friedrich Reichardt begründete das volkstümliche Lied, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann schenkte uns die erste romantische Oper, deren komische Abart dann Otto Nicolai und Hermann Götz ausbildeten, Adolf Jensen bereicherte das von Robert Schumann übernommene Kunstlied. Ostpreußens Musikpflege war zunächst von Hof, Kirche und Schule bestimmt, bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts die alte Musikkultur sich wandelte und einem öffentlichen Musizieren in Konzert und Oper Platz machte, neben welchem aber auch die häuslichen Bemühungen jener „Kenner und Liebhaber“ gepriesen werden müssen, die uns E. T. A. Hoffmann so lustig spöttisch in seinen Novellen schildert. Dass schließlich Volkslied und Volkstanz in Ostpreußen bis zuletzt ihre Heimat hatten, lehrt ein Blick in Sammlungen wie Karl Plenzats „Liederschrein“.
Wie es keinen einheitlichen ostpreußischen Menschentypus gibt — in diesem Siedlungslande konnte ein Kant und ein Hamann, ein Gottsched und ein Zacharias Werner gedeihen —, wie hier also scharfes, nüchternes Denken neben Schwärmerei und Mystik wohnte, wie beides gelegentlich sogar in einem einzigen Menschen Platz fand, z. B. in dem genial vielseitigen Hoffmann, so ist auch die ostpreußische Landschaft mit Düne, Hochmoor, Wald, Nehrung, Half und Meer, mit Feldern und Seen ein wunderlich gemischtes Gebilde. Ihr Zauber lebte längst in Volksliedern, wurde aber kunstmusikalisch erst in neuerer Zeit entdeckt, nachdem früher schon die Kugelmanns, dann Heinrich Albert und Hoffmanns Musiklehrer Podbielski gelegentlich ein orts- oder landschaftgebundenes Stück geschrieben hatten. Bei Nicolai, Götz, Jensen und Bernecker sind aber musikalische Landschaftseindrücke noch selten. Erst der Insterburger Max Laurischkus gibt sich mit Vorliebe als Landschaftsmusiker, z. B. in seinem Bläserquintett op. 23, das den Titel „Aus Litauen“ führt. Zugereiste wie Karl Kämpf (mit seiner Orchestersuite „Aus Baltischen Landen“), Paul Scheinpflug (mit seinem Streichquartett op. 17 und dessen „litauischer“ Barkarole, ferner mit einigen Walter-Heymann-Liedern) reihen sich hier an, und von geborenen Ostpreußen müssen noch Heinz Tiessen (mit seiner Naturtrilogie op. 18), Ernst Schliepe (mit seiner Oper „Die Mette von Marienburg“), Herbert Brust (mit ostpreußisch betitelten Chorwerken) und — in gebührendem Abstände — Schreiber dieser Zeilen (mit Orcheste-rund Chorschöpfungen von leichter gewogener, auf ostpreußischem Lied- und Tanzgut fußender Art) genannt werden.
Damit sind wir endlich bei Otto Besch angelagt, der außer der Reihe all dieser Genannten steht. Denn in seiner Musik klingt nicht nur die Farbe und Form, sondern auch die Seele der ostpreußischen Landschaft auf. Er ist ostpreußischer Komponist im eigentlichen, im tiefsten Sinne. Sein Geburtsort ist das idyllische Neuhausen bei Königsberg. Dort amtierte sein Vater als Geistlicher, dort, inmitten einer kinderreichen, liebevoll erzogenen Familie, vor Schloss und Park des Heimatörtchens, empfing der Knabe die ersten Eindrücke. Er sollte Pastor werden wie sein Vater, und so erhielt er denn schon auf dem Königsberger Wilhelmsgymnasium, das er bis Ostern 1904 besuchte, hebräischen Unterricht. Als Schüler war er ein wenig weltfremd, eckig, hastig im Gehabe, scheu und verschlossen, wo er nicht mitwollte, jäh aufflammend, wo er Verwandtes witterte, stets seinen Stimmungen Untertan, je nachdem die Sonne lachte oder graue Nebel zogen. Besch war weder Musterknabe noch Lausbub, er wollte auch als Student nichts vom bunten Band, vom Biertisch und dem üblichen Budenbetrieb wissen. Aber dem Zauber nächtlichen Streifens durch mondbeglänzte Gassen und Felder (etwa am Königsberger Landgrauen entlang), der Schönheit blauer Sommertage am Samlandstrande war er schon damals verfallen. Es sang und klang in ihm, Töne und Farben rangen nach Leben. Wie sollte da der Theologe bestehen? Er zwang es immerhin bis zum ersten Staatsexamen, aber er litt grausam unter dem seelischen Zwiespalt zwischen Brotstudium und ersehntem Künstlerberuf. Dabei lockte die Welt der Farben nicht weniger als die der Töne. So wanderten eines Tages malerische Entwürfe zum Atelier Meister Fritz Dettmanns. Er sollte raten. Aber die Musik blieb schließlich Sieger. 1906 gelang es Besch, einen Freiplatz für die Bayreuther Festspiele zu erhalten. Eine italienische Reise im Stile Eichendorffscher Dichterfahrten schloss sich an. Unvergessliche Eindrücke! Man fuhr, wanderte und schaute. Das Herz war voll, der Beutel leer. Aber man war selig — trotz Wanzen, trotz Seekrankheit.
Schließlich ließ sich das Musikantenblut nicht länger eindämmen, es brauste, schäumte über. Schon lagen Stöße von Klavierliedern und richtige Orchesterwerke vor. Ernst Wendel führte eines von ihnen auf, ein ausschweifend sinfonisches Opus. Titel: „An der Bahre der Geliebten“, Schauplatz: sommerlicher Tiergarten, Publikum: Strümpfe strickende Damen vor der Muschel des Gesellschaftshauses. Auf dem Programm aber stand mit sinniger Symbolik: „Banditenstreiche“ von Suppé (!). Sich zur „Bahre der Geliebten“ öffentlich zu bekennen, hatte Wendel doch keinen Mut.
Nicht, als ob unser junger Komponist damals die zünftige Schulung scheute. Meister Otto Fiebachs erbarmungslos strenger Kontrapunkt wurde gründlich durchgeackert. Aber nun galt es endlich, Klarheit zu schaffen. Es war kurz vor dem Staatsexamen, Ende Januar 1907, da glückte es Besch, durch einen Liederabend die Öffentlichkeit zu überzeugen. Änne Lubenau, der (später gefallene) hochbegabte Sänger Hans Meier und Rudolf Winkler, der Pianist, waren die Helfer. Rudolf Kastner, damals Kritiker der Ostpreußischen Zeitung, fand in den Vertonungen Stormscher Lyrik „Goldkörner echtester Begabung“. Damit war der Weg ins gelobte Land der Frau Musica endgültig freigegeben. Besch trennte sich von der Gottesgelahrtheit und siedelte im Herbst 1909 nach Berlin über, um ein Jahr am Sternschen Konservatorium (hauptsächlich bei Philipp Rufer), dann mehrere Jahre als Meisterschüler der Akademie der Künste bei Engelbert Humperdinck kompositorischen Studien obzuliegen. Er hat diesem Komponisten später ein von liebevoller Sachkenntnis zeugendes Buch gewidmet. Auch sonst betätigte er sich schon damals nicht nur als Musiker, sondern griff auch zur Feder des Schriftstellers und schrieb für die Berliner Allgemeine Musikzeitung manchen feinsinnigen Aufsatz. Es waren fünf reichgenützte Jahre, die Besch in Berlin verbrachte. Dann griff die Hand des Krieges nach dem nicht felddienstfähigen Künstler. Vier Jahre verliefen zwischen Pferdestall, Rotem Kreuz und Postüberwachungsstelle.
Nach dem Zusammenbruch des Staates wurde die Berufsfrage für Besch dringend. Da eine Tätigkeit als praktischer Musiker für ihn nicht gegeben war und das Komponieren ihm nichts einbrachte, blieb einzig die dornenvolle Laufbahn des Kritikers übrig. Der Hartungschen Zeitung hat er seit dem 1. September 1918 neben dem Brahms-Apostel Gustav Doempke angehört. Am 1. Juli 1922 siedelte er zur Königsberger Allgemeinen Zeitung über, bei der er als ein ebenso maßvoller wie durch treffendes Urteil und anmutige Darstellungsgabe ausgezeichneter Kritiker wirkte. Schwer litt er unter dem Druck der Hitlerzeit. Es blieb ihm nichts erspart. Als Königsberger Bewohner beim Nahen der Russen flohen, musste er sein liebevoll eingerichtetes Heim in der Haarbrückerstraße im Stiche lassen. Er war nun ein Bettler, und das Schiff, das ihn und seine Gattin von Pillau nach Dänemark bringen sollte, wurde schwer von Bomben getroffen. Im dänischen Lager bei Frederikshavn wurde er bis zum Herbst 1947 festgehalten. Es waren Jahre tiefer Hoffnungslosigkeit.
Trost brachte ihm damals nur sein kompositorisches Schaffen. Nach Deutschland zurückgekehrt, fand er mit seiner Familie eine bescheidene Bleibe bei Verwandten in Neuengamme bei Hamburg. Aber nun begann ein zermürbender Kampf ums Dasein. Es war für den Fünfundsechzigjährigen nicht einfach, in Hamburg den Musikkritiker zu spielen und nach Konzerten den sieben Kilometer langen Heimweg zu Fuß zurückzulegen. Eine willkommene weitere Arbeitsmöglichkeit gab ihm damals der Nordwestdeutsche Rundfunk, der ihm ein musikalisches Lektorat übertrug. Nun fingen die Sender in Hamburg, Berlin und Köln an, sich für seine Kompositionen zu interessieren. 1951 wurde ihm endlich der sehnlichste Wunsch erfüllt: er konnte in Geesthacht bei Hamburg (Kirchenstieg 1) eine eigene Wohnung beziehen. Den Ruf an die Hamburger Musikschule schlug er aus, da er sich den Strapazen eines wöchentlichen Dreißigstunden-Unterrichts nicht mehr gewachsen fühlte. Er lebt nun nur noch seinem Schaffen, seiner Familie und den Erinnerungen an seine Freunde und seine Heimat. Eben hat er eine mehrsitzige Partita für Orchester, Bariton-Solo und Chor vollendet, die in Duisburg zur Siebenhundertjahrfeier Königsbergs ihre Uraufführung erleben wird. Hier erklingen am Schluss Agnes Miegels Verse:
„Doch wissen wir, die weinend Dich verlassen ...
dass noch in Dir, o Mutter, Leben ist
und dass Du, Königsberg, nicht sterblich bist“.
Otto Beschs kompositorisches Schaffen ist reich und vielgestaltig. So manches Stück hat er mit allzu strenger Selbstkritik ausgemerzt. Anderes, wie seine stimmungsreiche, farbenglänzende, melodienselige einaktige Oper „Arme Ninetta“ (1923), ferner ein Orgelkonzert und eine Auferstehungskantate ist in den Kriegswirren verloren gegangen, und von seiner gleichfalls vernichteten schönen Adventskantate (1928) lebt nur noch das innige Marienlied, das sein Schöpfer neu herausgab. Überschaut man das, was übrig blieb und was Besch selbst noch für gültig hält, so tritt uns hier Musik entgegen, die von Anfang an durch ihre Einfallskraft, ihre Innerlichkeit, ihren Stimmungszauber und ihre handwerkliche Gediegenheit ergreift. Besch will von einer Einordnung als „Spätromantiker“ nichts wissen. Für ihn ist Romantik selbstverständlicher Bestandteil jedweder Musik, und wenn er auch gewissen atonalen Versuchen der Jüngsten Ohr und Herz verschließt, so lässt sich doch innerhalb seines Schaffens eine Entwicklung von impressionistischer Stimmungskunst zu einer linear immer mehr aufgelichteten, kühnen und ganz persönlichen Schreibweise beobachten. Zwischen der fantastischen, in tausend Lichtern funkelnden E. T. A. Hoffmann-Ouvertüre (1913) bei Leuckart, München) und dem erregenden Linienspiel des „Triptychons“ für Klavier (1952) breitet sich ein Wundergarten von still blühender, zum Herzen sprechender Musik aus. Da sind zunächst heimatverbundene Schöpfungen von bezauberndem Stimmungsreichtum, wie das „Mittsommerlied“ für Streichquartett (1913 Leuckart), die „Kurische Suite“ für Orchester (1934 Leuckart), das „Ostpreußische Bilderbuch“ für Orchester (1938, Tischer und Jagenberg), die „Samländische Idylle“ für Orchester (1952, ebenda). Dazu kommen aus geheimnisvollen Tiefen aufklingende Lieder nach Gedichten von Dehmel (1927, Ries und Erler) und A. Miegel (1938). Im Mittelpunkte seines Schaffens stehen, von ihm selbst am höchsten bewertet, drei Streichquartette (1945, 1947 und 1952), deren Musik bei meisterlicher Prägung von visionärer Eindringlichkeit ist. Zu nennen wäre dann noch eine einsätzige Klaviersonate (1920, Leuckart), zwei Divertimenti, ein für fünf Bläser, das andere für kleines Orchester (1940, Bote und Bock), ein (noch nicht aufgeführtes) Konzert für Orchester (1940) und Beschs Hauptwerk, seine Oper „E. T. A. Hoffmann“. Dass sich für sie bis jetzt noch kein Verleger und keine Bühne gefunden hat, ist bedingt durch die Zeichen einer Zeit, die das Sensationelle und Verstiegene liebt, liegt aber auch an der fast sträflichen Bescheidenheit des Komponisten, der nie die Reklametrommel rührte, nie irgendeiner Moderichtung folgte, sondern still seinen Weg ging und nur auf die Stimmen seines eigenen Inneren horchte und auf den Herzschlag seiner Heimat.
Seite 8 Unsere Buchbesprechung. Albert Schweitzer und Du.
Waldemar Augustiny. Albert Schweitzer und Du. Ganzleinen. 228 S. 6 Kunstdrucktafeln und Facsimile eines Briefes. Witten-Ruhr, Luther-Verlag. 1954/1955. 9,80 DM.
Über Albert Schweitzer, den in tätiger Menschenliebe sich verzehrenden Urwaldarzt von Lambarene, der ebenso als Theologe und Philosoph wie als Musiker und Musikschriftsteller Außerordentliches geleistet hat und der trotz seiner bald 80 Lebensjahre uns, den Menschen dieser so zerfahrenen Zeit, so viel zu sagen hat, was uns das Herz wärmt, sind bei uns und im Auslande bereits zahlreiche Bücher erschienen; und auch die Presse, die Wochenschauen und sogar der Film haben sich der Darstellung seiner universellen Begabung bemächtigt. Es mag daher die Frage naheliegen, ob ein weiteres Buch denn überhaupt noch Neues bringen könnte. Neu ist in der Tat in dem vorliegenden Buch die besondere Beziehung, die der Verfasser, der bekannte norddeutsche Erzähler, seiner Darstellung zu Grunde legte, als er Albert Schweitzers Leben und Wirken in ihrer Bedeutung für den Menschen unserer Zeit darzustellen unternahm. Dass ihm dieses in hervorragender Weise gelungen ist, geht aus einem Brief hervor, den der Doktor an den Verfasser geschrieben hat, in dem es heißt: „Es bewegt mich tief, was Sie mir über die Beweggründe der Abfassung Ihres Buches schreiben. Möge es wirken, was Sie ihm als Auftrag gaben; denn was haben Sie sich für Mühe mit mir gemacht! Ich liebe Ihre ruhige Art der Schilderung und die Klarheit der Gedankenführung“.
Albert Schweitzer, der ehemalige Geistliche und Universitätslehrer, der mehrfache Doktor und Ehrendoktor, dem 1953 der Friedens-Nobel-Preis zuerkannt wurde, wendet sich mit dem Beispiel seines Lebens und seiner Lehre an Dich, den in Angst lebenden Menschen unserer Zeit, dem häufig kein Glaube und keine Philosophie mehr Halt zu geben vermögen; er überzeugt Dich durch einfaches redliches Denken und führt dies bis zu einem Punkt, da es übergeht in die überbegriffliche Erfahrung der jenseitigen Macht, und er ist damit, ohne ein Missionar für eine bestimmte Kirche oder ein bestimmtes Bekenntnis zu sein, ein Missionar für den Glauben an Gott. Er zeigt auch den Millionen, die außerhalb der Kirche leben, einen Weg, der sie zum Glauben führen kann. Und wenn immer mehr Menschen sich, wie Albert Schweitzer ihnen das vorlebt, wieder als ethische Person begreifen und auswirken werden, dann wird durch „Vergeistigung der Massen“ eine von ethischem Geist erfüllte öffentliche Meinung entstehen, die der Menschheit wenigstens eine Chance lässt, um mit den schweren Problemen fertig zu werden, welche die Zeit ihr auferlegt hat. Karl Andrée
Seite 8 Emmi Natorp 70 Jahre alt.
Frau Emmi Natorp, als Romanschriftstellerin bekannt unter ihrem Mädchennamen Emmi Hardt, wurde vor 70 Jahren, am 1. Januar 1885, in Königsberg geboren als Tochter eines Kavallerieoffiziers, besuchte dort eine höhere Mädchenschule und kam dann in Danzig in ein Pensionat. Schon damals mit 16 Jahren begann sie zu schriftstellern und ihre erste Novelle wurde von der „Danziger Zeitung“ gedruckt. 1904 vermählte sie sich in Berlin mit dem Kaufmann Natorp. Ihre Bücher sind gesunder Art, geschrieben von einer Frau die scharf beobachtet, klar denkt, tief empfindet und Natur und Menschen meist in sicheren Linien zeichnet. Genannt seien von ihr der Roman einer Großstadtehe „Maiensünde“, Der Geigerkönig“ und „Hart am Rande“. A. W.
Seite 9 Unser Park Luisenwahl. Von Herbert Meinhard Mühlpfordt.
Foto: Der Wrangelturm mit dem Wallgraben. Aufn.: Foto Marburg.
Innerhalb der alten Stadtmauern des Mittelalters gab es in Königsberg weder Grünanlagen, noch Parks. Denn damals waren die Städte klein und stark ummauert und innerhalb dieser sehr notwendigen Wehr war alles eng bebaut. Auch das gotische Lübeck oder Nürnberg hatte keine Grünanlage innerhalb der Stadtmauern, wenn man von den manchmal schönen Privatgärten absieht, die versteckt hinter den Häusern lagen. Dem Mittelalter wären Parks innerhalb der Mauern als unnötige Raumverschwendung erschienen, denn vor den Toren begann Feld, Wiese und Wald, zu denen an Feiertagen alles aus der Enge der Stadt herausströmte, wie das nirgends schöner geschildert ist, in Goethes „Faust“.
Als Gustav Adolf 1626 in Pillau gelandet war, rafften sich die drei Städte Königsberg zu gemeinsamer Tat auf und bauten in acht Jahren ein neues modernes Befestigungssystem, in das nun auch die Freiheiten und Vorstädte einbezogen wurden.
Damals lagen schon innerhalb der Stadt der Herzogliche Garten (später Königsgarten) sowie die großen Privatgärten am Schlossteich, der Garten des Alten Schützenhauses und die Friedhöfe der alten Kirchen.
Als dann im Jahre 1843 der dritte Festungsgürtel um Königsberg begonnen wurde, wurde auch der Volkspark in die Mauern einbezogen, während die Anpflanzungen der „Glacis“ einen neuen Grüngürtel um Königsberg legten.
Bis zu der wundervollen Parkstadt Königsberg des Jahres 1939, die sie zu einer der schönsten Städte Deutschlands machte, war aber noch ein langer Weg. Erst die Bresche in die Mauern und Wälle am Wrangelturm unter dem rührigen Oberbürgermeister Körte im Jahre 1910 schuf die Voraussetzungen dazu. Der Entfestigungsplan des Stadtbaurates Beuster rettete den größten Teil des nun schon 70 Jahre alten Baumbestandes der Glacis.
Und nun, lange Jahre unter dem Gartenbaudirektor Schneider, wurde Königsberg die Stadt im Grünen. Vom Königsgarten durch die Schlossteich- und Oberteichpromenaden bis zum Aschmannpark war eine einzige Grünanlage, vom Sackheimer Tor bis zum Holländer Baum führte ein ununterbrochener Park; auch vom Friedländer bis zum Brandenburger Tor entstanden die schönsten Anlagen. Darüber hinaus gab es im Osten den Kleistpark, einen schönen Gutspark, der als Gut „Kalthof“ neben Contienen und Spittelhof den Herzoglichen Haushalt mit Lebensmitteln zu versorgen hatte.
An dessen einstigen Besitzer, den Hauptmann a. D. Kleist, erinnerte ein Findlingsblock, auf den er selbst die Anfangsworte der Horazischen Ode hatte meißeln lassen: „Non omnis moriar“ (Ich werde nicht völlig vergehen) — er meinte nämlich, die Stiftung des Parks für die Allgemeinheit werde ihm ein dankbares Gedenken sichern. Er hatte, ähnlich wie einst der Kriegsrat Scheffner, diesen Besitz gegen eine Leibrente der Stadt vermacht bis zu seinem schon 1908 erfolgten Tode.
Im Westen brachte der Stadtpark Juditten Erholung. Näher der Stadt lag der Park Ratshof und die an Nachtigallen besonders reichen Anlagen von dort über den Hammerteich zum Fürstenteich. Im Süden befanden sich der Ponarther Park Friedrichsruh, der Schönbuscher Park und der Park Aweyden.
Die Krone jedoch von allen und ein wundervoller stiller Zufluchtsort war und blieb bis zuletzt der Park Luisenwahl.
Die meisten Königsberger brachten den Namen dieses herrlichen Gartens mit der edlen Preußenkönigin zusammen, die bekanntlich vom 16. Januar bis Dezember 1808 in Königsberg weilte und vom Frühjahr ab im „Luisenhäuschen“ wohnte.
Aber das ist nicht ganz richtig.
Einst war hier auf den „Huben“ ein Gut, Pojenters Hof, an das noch bis zum ersten Weltkrieg das „Milchhäuschen“ erinnerte, das sich in der südwestlichen Ecke des Parks erhalten hatte - ein Wirtschaftsgebäude des alten Gutes.
Dieses Gelände erwarb der Stadtpräsident Theodor Gottlieb von Hippel d. Ä., dessen für Königsberg segensreiches Wirken uns immer wieder in der Geschichte der Stadt begegnet, und schuf aus dem Gutsgarten einen mächtigen englischen Park. Doch standen in ihm schon damals die alten Linden und an einer derselben befand sich noch in meiner Jugendzeit an der Westgrenze, an der Louis-Ferdinand-Straße, eine Glocke, von der erzählt wurde, sie stamme noch aus der Zeit des Gutshofes Pojenters Hof und habe die Leute zur Vesper und zum Feierabend gerufen. Leider hat man nach 1933 einen Teil dieser herrlichen alten Linden abgeholzt, genau wie in den schönen Logengärten und andernorts.
Hippel hätte wohl keinen schöneren Park finden können, als dieses um die Hufenschlucht oder den „Freigraben“ gelegene Gelände, und oft mögen seine Freunde Scheffner, Kant und Kraus hier bei ihm zu Gaste gewesen sein.
Doch der Weg dahin war weit, vor den Toren des barocken Königsberg waren die Straßen schlecht — man kannte noch keine geschütteten „Chausseen“ und noch weniger geteerte Autostraßen, und gerade auf der Alten Pillauer Landstraße, die doch die Hauptstraße über Kaporn nach Fischhausen war, ist einmal der Wagen Friedrich Wilhelms III. und seiner Familie im bodenlosen Schmutz umgekippt. Ich glaube mich zu erinnern, dass es Zelter war, der dies in einem Briefe an Goethe berichtet.
Um also den Besuch der „Huben“ den Königsbergern zu erleichtern, und auch seine Freunde trockenen Fußes zu seinem schönen Park gelangen zu lassen, baute Hippel einen Bohlenweg vom alten Steindammer Tor, das da stand, wo zuletzt die Gaststätte „Zum Winkel am Tore“ war, bis zu seinem Park. Dieser Bohlenweg gehörte zu den Berühmtheiten des damaligen Königsberg; um ihn zu erhalten, gab es sogar eine „Bohlengesellschaft“, aus der dann der Dr. Kesseische Verschönerungsverein hervorging.
In diesem herrlichen Garten spielten auch oftmals des Stadtpräsidenten Neffe, der jüngere Theodor Gottlieb von Hippel, und sein skurriler Freund Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, dies sich schwärmerisch liebende Freundespaar, ihre wilden Jugendspiele.
Nach dem Tode Hippels kaufte der Regierungs- und Schulrat Busolt den Erben 1796 das Parkgrundstück ab. Seiner Ehefrau Louise zu Ehren nannte er den schönen Besitz „Louisenwahl“.
So entstand der Name, der freilich dann geadelt wurde durch die Anwesenheit der Königin Louise, die im Mai 1808 vom Schloss auf das Hufengut Busolts herauszog und im „Louisenhäuschen“ wohnte. Dieses war ein typischer Barockbesitz kleinster Art. Im Innern hatte es nur sieben Zimmer, die von Königsberger Bürgern möbliert wurden. Es war ganz bürgerlich und bescheiden eingerichtet, aber die Königin sagte: „Ich habe gute Bücher, ein gutes Gewissen, ein gutes Pianoforte, und so kann man unter den Stürmen der Welt ruhiger leben, als diejenigen, die diese Stürme erregen“. Anders dachte Napoleons Quartiermacher, sein Leibmameluk Rustan, der 1812 an die Bretterwand sein vernichtendes Urteil schrieb: „Misérable chàteau pour un roi!“ Napoleon aber zog es vor, im Königsberger Schloss zu wohnen.
Die Königin liebte im Park besonders das ganz stille Plätzcken, wo im Jahre 1874 auf einer Ruhebank ihre schöne Marmorbüste von Rauch aufgestellt wurde. Von diesem kleinen Hügel aus hatte sie einen weiten Blick über Felder, Wiesen und Strom bis zum Frischen Haff. Dort, unweit ihres Wohnhäuschens, pflegte sie auch ihre Briefe zu schreiben, die stets signiert waren mit dem alten Namen „Hippels Garten“ (Briefe an Scheffner).
Der alte Kriegsrat Johann George Scheffner, der Freiwillige des sieben jährigen Krieges, erzählt in seinem Buche „Mein Leben“, dass er hier oft mit der Königin, die gerne auf seinen klugen Rat und sein geistreiches Gespräch hörte, gewandelt sei: „Augen von freierem, reinerem Blick, eine frohere, fast die Kindlichkeit erreichende Unbefangenheit habe ich in keinem weiblichen Gesicht gesehen und wahrgenommen. Sie verstand alles, und alles Wahre, Gute und Schöne machte viel Eindruck auf sie“.
Die Jahre und Jahrzehnte vergingen. König Wilhelm I. kam zur Regierung und in Erinnerung an seine geliebte frühverlorene Mutter und seine eigene dort verbrachte Jugendzeit kaufte er den Busoltschen Erben den Park ab. Wir müssen uns den Garten auch zu dieser Zeit noch von der Alten Pillauer Landstraße bis zur Busoltstraße als einheitlichen Komplex denken; zwar ging vom Chausseehäuschen — es stand da, wo der Steingarten am Schillerdenkmal war — von der Alten Pillauer Landstraße, der Hauptstraße, bereits eine mit vereinzelten gartenreichen Landhäusern bebaute Nebenstraße ab — unsere Hufenallee —, doch hinter der Überschreitung der Freigrabenschlucht ist diese auf dem Plan von 1720 gerade am Bildrand nur als ganz dünner Strich gezeichnet, sodass anzunehmen ist, dass sie sich noch vor dem Park verlor oder ihn nördlich umschritt.
Später überließ König Wilhelm dann seinen Garten der Stadt, und nun erst, dürfen wir annehmen, wurde die spätere Hufenallee der Hauptweg nach Ratshof und Juditten, nachdem man den schmerzhaften Schnitt mitten durch den schönen Park geführt hatte, der das Luisenhäuschen bis zu den seltenen Spitzbuchen davor von dem übrigen Parkgelände abschnitt.
Aber war es nicht ein wahrhaft königliches Geschenk für die Königsberger?
Konnte man sich einen verträumteren Winkel denken, als diesen Park? Konnte man sich etwas Idyllischeres vorstellen, als den Weg am Bach entlang mit seinen alten Linden und zur Quelle, die mit ihrem ewig plätschernden eisenhaltigen Wasser die Steine ockergelb färbte? Und weiter am Bache entlang, wo das Erdreich mit Steinen abgestützt war, zum Milchhäuschen? Dickmauerig und kühl lag es in seinem weißen Kalkanstrich leuchtend da, während im Garten Holztische und Bänke standen, an denen man im Schatten der Bäume seine köstliche Schmand mit Glumse mit duftendem Schwarzbrot verzehren oder seine Berliner Weiße mit Saft trinken konnte. War etwas Idyllischeres denkbar?
Aber als der Festungsgürtel Königsbergs in allen Fugen knackte und das neue Jahrhundert, von dem man noch nicht ahnte, wieviel Unglück es über Königsberg bringen sollte, rücksichtslos seine Ansprüche auf Verkehr und Großstadthetze anmeldete, da fielen alle die „Etablissements“ auf den Hufen, die zwischen oder auch an Stelle der Landhäuser der reichen Königsberger entstanden waren — die Park-Villa Nova, Hufenterrasse, Flora, Villa Fridericia und später auch Julchental und Luisenhöh —.
Wie längst aus den „Huben“ die Hufen geworden waren — anders, als auf dem Haberberg, wo sich das alte b erhalten hatte — so entstanden hier neue Straßen und Reihenhäuser, die Brücke über die Hufenschlucht des Freigrabens wurde verbreitert und schließlich auch — 1913 — die Freigrabenschlucht parkartig ausgestaltet und dem herrlichen Park als wertvoller Zuwachs zugeschlagen. Herrlich war es hier am Bach, wenn die Rhododendren im Schatten der Bäume leuchteten!
Dann entstand 1928 eine Wiese mit Freilichtbühne und zu seinem hundertsten Todestage wurde hier dem gemütvollen Sänger so vieler köstlicher Lieder, Franz Schubert, eine bescheidene Herme gesetzt.
Im harten Winter 1929/1930, der die Ostsee weit hinaus in eine schweigende Eiswüste verwandelte, erfror in Luisenwahl ein gut Teil der am Wiesenhang stehenden Obstbäume, die diesen Hang in schönsten Blütenschnee gehüllt hatten; der Hang wurde aber nicht wieder bepflanzt, denn die Jugend Königsbergs eroberte ihn sich jetzt für ihre Skier und Rodelschlitten, und stundenlang konnte man sich hier an schönen Wintertagen an ihrem Jubel erfreuen. —
Später meinte man dann dem rücksichtslosen Auto alles schuldig zu sein: die Hufenallee wurde auch am Park Luisenwahl verbreitert und die herrlichen Spitzbuchen vom Luisenhäuschen, das zum Mütterheim geworden war, abgetrennt, sodass sie auf einer Insel, vom Verkehr umbraust, ihr Dasein fristen mussten. —
Doch der Park Luisenwahl, der dann später so viel Trauriges sah, und jetzt in „Kaliningrad“ als Vergnügungspark mit Karussells, Luftschaukeln und Tanzflächen dient, wird auch einmal wieder deutschen Menschen Erholung und Ruhe bieten und eine frohe deutsche Jugend sehen, die sich dort an der Schönheit des ostpreußischen Winters ergötzt!
Seite 9 Wir gratulieren.
Ingenieur Franz Lopp, früher Königsberg i. Pr./Allenstein, jetzt Hannover Kronenstraße 2 II, vollendet am 04.01.1955 sein 70. Lebensjahr in geistiger und körperlicher Frische.
Herr Friedrich Girrulat, Königsberg, vollendete im Altersheim des Spitals Waldsee/ Ravensburg am 24.12.1954 sein 86. Lebensjahr. Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1933 war er als Reichsbank-Oberzählmeister bei der Reichsbankhauptstelle Königsberg (Pr.) tätig und allen Reichsbänklern unter dem Namen „Landsmann Girrulat“ bekannt. Seine aktive Dienstzeit leistete er bei dem Königsberger Hundepaukenregiment, den 43ern, ab und lebt seit der Flucht mit seiner Ehefrau im Spital Waldsee.
Seite 9 Quartier für die 700-Jahr-Feier in Duisburg.
Skizze: Duisburg und seine Nachbarstädte im Umkreis von 1 Eisenbahnstunde.
Gibt es Königsberger, die keine Verwandten oder Bekannten in Essen haben? Zum mindesten hat fast jeder Königsberger, wenn nicht in Essen, dann in Duisburg, Oberhausen, Mülheim/Ruhr, Gelsenkirchen oder Bochum Verwandte oder Bekannte, und das nicht erst seit dem Zusammenbruch 1945, sondern bereits seit Jahrzehnten. Ostpreußen war neben Schlesien das Land, das dem Ruhrgebiet die meisten Menschen gegeben hat. Pfingsten 1955 wollen die Königsberger in ihrer Patenstadt Duisburg zusammenkommen, um die 700-Jahr-Feier ihrer Heimatstadt zu begehen und ein Wiedersehen zu feiern. Es ist an der Zeit, schon jetzt an die Einquartierung von Tausenden auswärtiger Gäste zu denken. Königsberger, die in Duisburgs Nachbarschaft wohnen, also im Ruhrgebiet und am Niederrhein, brauchen keine Herberge. Sie haben einen Reiseweg von höchstens einer Stunde und können bequem an einem Tage hin- und zurückfahren. Die Gäste mit weitem Anreiseweg können erfahrungsgemäß leider nicht alle in Duisburg unterkommen. Die Stadt war im Kriege stark zerstört und ist erst im Wiederaufbau begriffen. An alle Königsberger, die Pfingsten 1955 nach Duisburg kommen wollen, ergeht daher die Aufforderung: Besorgt euch nach Möglichkeit selbst schon jetzt Quartiere bei euren Verwandten und Bekannten im Ruhrgebiet. Bittet eure Freunde um Aufnahme. Wer Hilfe bei der Ermittlung, der genauen Anschriften braucht, wende sich an die Einwohnermeldeämter der Städte. Sind die Gesuchten Heimatvertriebene, so kann man die Anfrage auch an die Kreiskarteiführer der Landsmannschaft Ostpreußen richten, für Königsberger an die Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg.
Stadt Duisburg Patenstadt für Königsberg. Patenstadt für Königsber.
Verkehrsverein für die Stadt Duisburg e. V.
Seite 10 Die Artushöfe Königsbergs
Als es in Europa mit der Ritterlichkeit Ende gegangen war, als an Stelle der Phantasie und der Idealisierung bürgerliche Vernunft und wirtschaftliche Berechnungen in den Vordergrund traten, zeigte es sich, dass im Bereich des Handels und der Wirtschaft der Name einer ritterlichen Idealgestalt noch genug Anziehungskraft besaß: es bildeten sich die Artusbrüderschaften, an deren Artus- oder Junkerhöfen die vornehme Bürgerschaft zu geselligen Festen und gemeinsamer Tafelrunde zusammentrat. So auch in Königsberg.
König Artus von Britannien ist eine Königsgestalt, die die abendländische Phantasie nächst Karl dem Großen und seine Tafelrunde rankenden Märchen hat ein keltischer Geist durch die Jahrhunderte gewirkt. Die Sage hat ihn zum Sieger über die Sachsen, Iren, Isländer, Schotten und zum Herrn über Gotland und Gallien gemacht. In Kämpfen gegen den Kaiser von Rom und seinen aufständischen Neffen Mordret wird er schwer verwundet und schließlich nach der Insel der Seligen Avalun entrückt, von wo dereinst seine Wiederkehr erwartet wird.
Die Königsberger Großbürger gründeten in jedem alten Teile der Stadt einen Artushof mit einem Junkergarten. Der Altstädtische Junkerhof lag in der Wassergasse Nr. 35, im Westen von der Hofgasse begrenzt, da, wo später das Geschäftshaus der Firma Gebr. Siebert sich erhob. Dieser Hof war bereits im 14. Jahrhundert vorhanden und hat nach Neu- und Umbauten bis zum Jahre 1876 bestanden, zuletzt in seiner stolzen Vergangenheit unwürdiges Stillleben führend als Lagerraum von Pinnauer Mühlenfabrikaten.
Hier im Junkerhof wurden bei einem guten Trunk ernste Beratungen gepflogen und frohe Feste gefeiert. Den einzelnen Berufsklassen dienten für ihre Zusammenkünfte fünf Räume, die man Winkel nannte: der Ratswinkel, der Ritterwinkel, der Kannenwinkel und der Hölkenwinkel. Hölken ist von Holk abgeleitet und bedeutet Schiff. Alle wurden im Laufe der Zeit reich mit Bildern, Wappen, Statuen geschmückt, und launige Verse gaben Zeugnis von dem trunkfreudigen deutschen Sinne der Besucher. Da war z. B. im Ritterwinkel das Bild eines schwachen Greises, der das mit Bier gefüllte Horn hält und gleichsam die Worte spricht:
„Wenn ein junger Mann wüsst,
Wie einem alten der trunck lüst,
Er würde viel sparen in seinen jungen jahren.
Mit mannzucht und ehr
Soll ein jeder trinken seyn Bier,
Es ist zu warm an diesem ort,
Dass man muss trinken immerfort“.
Im Kannenwinkel, wo sich die Mälzenbräuer zusammenfanden, prangte als Wappen derselben eine Kanne mit zwei darüber kreuzweis gelegten Schlüsseln und im Hölkenwinkel, dem Versammlungsort der Kaufleute, ein Schiff unter kreuzweis gelegten Bootshaken.
Die Bildsäule Karls des Großen, König Artus Statue, und des Ritters Roland zeigten, welchen Wert man auf die, wenn auch unhistorischen Beziehungen zu Heroen der Vergangenheit legte; das Bildwerk des Moses im Schöffenwinkel, der heilige Sebastian im Hölkenwinkel und der hl. Georg im Ritterwinkel ließen den frommen Sinn erkennen, und zahlreiche allegorische Figuren, wie Statuen der Niedrigkeit, des Reichtums, des Glücks und Unglücks, der Gerechtigkeit und Ruhe lehren, wie hier dem Geschmack einer Allegorien süchtigen Zeit gehuldigt wurde.
Der Kneiphöfische und der Lobenichtsche Junkerhof waren mit dem Rathause verbunden. Sie waren ebenso eingerichtet wie der in der Altstadt und in demselben Geschmacke dekoriert, nur hieß bei den Kneiphöfern der Winkel für die Mälzenbräuer nicht Kannen-, sondern Rosenwinkel. Nach den Statuten dieses Hofes aus dem Jahre 1438 wurden zu seiner Verwaltung 12 Mitglieder gewählt, unter denen die beiden die Aufsicht führenden Älterleute und vier Ratsmänner waren. Sie hielten ihre Beratungen des Morgens; in Streitsachen bildete der Rat die höhere Instanz. Am Sonntage wurde der Hof um 12 Uhr, an Wochentagen meistens eine Stunde später geöffnet und um 9 Uhr abends geschlossen. Nur wenn getanzt wurde, blieb der Hof bis 11 Uhr geöffnet, wenn aber gar Mitglieder des Rats oder des Gerichts mit Gästen da waren, der Stadt zu Ehren, so hing der Schluss von ihrem Ermessen ab. Niemand durfte nach den Bestimmungen am Tanztage Jungfrauen oder Frauen, die sich zur Heimkehr wandten, zurückhalten wollen, bei Strafe einer Tonne Bier.
Der Hof war allen verboten, die Hökerwerk trieben, um Lohn dienten und die einem Manne nicht zu seinem Rechte helfen mochten. Fremden war der Zutritt gestattet, aber wer von ihnen an Werktagen nicht auf den Hof kam, der sollte auch nicht am Sonntage oder zur Tanzzeit zugelassen werden, und der Wirt war für seine Gäste verantwortlich. Gern nahmen die Höfe vornehme Herren als Mitglieder auf und rühmten sich ihrer Gemeinschaft.
Die dazugehörigen Junkergärten dienten ebenfalls den geselligen Zusammenkünften der Großbürger. Sie lagen von den Höfen getrennt, und zwar der von der Altstadt da, wo später das Altstädtische Gymnasium stand, der des Löbenichts in der Krönchenstraße und des Kneiphofs zwischen der Grünen und der Köttelbrücke. Von letzterem heißt es in den Statuten vom 25. August 1442: „desis garten czwischen beiden thorn an desir stat Koningisberg-Kneiphoff, der aws sente Ulaffs gilde orsprinclich ist gebuwet und begriffen“.
Auch in den Junkergärten galten feste Ordnungen wie in den Höfen.
Unsere Artushöfe gehören einer Vergangenheit an, aber gerade heute sind sie einer Betrachtung wert. Die Gestalt des fahrenden Ritters, der auszieht, um entführte Damen seines Herzens zu befreien, und selbst vor der Unterwelt nicht zurückschreckt — andererseits die Zauberfee, die Ritter in ihr Reich lockt und nicht wieder freigeben will, sind zwei keltische Märchenmotive, die in der hochmittelalterlichen Märchendichtung der europäischen Völker eine hervorragende Rolle spielen.
Über den französischen Dichter Chrètien de Troyes gelangten die Sagenstoffe der Artusrunde nach Deutschland und boten das Material für die meisten Epen unserer drei großen mittelalterlichen Dichter Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und zahlreicher anderer Poeten. Das Keltentum, das dem Bewusstsein der neueren Zeit solange fast verloren gegangen war, von dem noch heute Millionen meinen, dass es einer längst untergegangenen Zeit angehöre, hat in Wahrheit unblutige Siege des Geistes und der Phantasie errungen, die sich als dauerhafter erwiesen haben denn die Ereignisse aller Feldschlachten der Vergangenheit. Wenn Parzival und Lohengrin durch die Opern Wagner schreiten, wenn die Sage von Barbarossa im Kyffhäusergebirge unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert bewegte, so treffen uns letzte Wirkungen geistiger Kräfte, die einst von Cornwall (dem Lande König Artus) und Wales ausgegangen sind. So die Meinung von Dr. Mai und Dr. Thierfelder.
Und wiederum: längst hat die Forschung glaubhaft gemacht, dass die Tafelrunde des Königs Artus auf die Runde Karls des Großen und seiner zwölf Pairs zurückgeht, so dass es sich hier um den Widerschein eigenen fränkisch-deutschen Erlebens handelt. Die ganze westliche Welt von Cornvall bis Sizilien, vom britischen Westen über Frankreich und Deutschland bis zu den Pyrenäen und darüber hinaus in die maurisch-arabische Welt wird in der keltischen Artussage zu einer Einheit erklärt, die in unseren Tagen merkwürdige Aktualität erhalten hat. Hermann Bink
Seite 10 Ostlandkunde im Unterricht.
Auf der Arbeitstagung der Kulturbeauftragten der BVD-Landesverbände im KVD sprach der Geschäftsführer der Dt. Pestalozzigesellschaft, Schulrat Jahns, über die Gestaltung der Ostlandkunde als Unterrichtsprinzip. In einer sehr ausführlichen Darstellung zeigte er, wie in den einzelnen Bundesländern verschiedene Wege beschritten wurden, vor allem durch die Initiative der heimatvertriebenen Erzieher, um die Schuljugend zu einer gerechten Wertung der Ostprobleme zu führen und sie mit einem gründlichen Wissen um den deutschen Osten zu versehen.
Das Kulturwerk der vertr. Deutschen-KVD- und die Dt. Pestalozzi-Gesellschaft als pädagog. Arbeits- und Forschungsstelle ostdeutscher Erzieher erachten folgende Maßnahme für die Aktivierung der Ostlandkunde im Unterricht für dringend erforderlich und werden sie in den kommenden Arbeitstagungen in Angriff zu nehmen versuchen:
1. Schaffung von ostlandkundlichen Anschauungsmaterial;
2. Sachlesehefte-Bildbänder-Lichtbildreihen für den Unterricht;
3. Informationen für die Lehrer über ostlandkundliche Fragen und Probleme;
4. Förderung der Ostdeutschen Jugendbücher;
5. Berücksichtigung der Ostlandkunde in den Lehrplänen, den Stoffplänen und bei der Stoffauswahl und -beschaffung;
6. Gestaltung ostlandkundl. Stoffe in den Lesebüchern und Lehrbüchern;
7. Ostlandkundliche Arbeitstagungen auf Landesund Bundesebene.
Das KVD und die Dt. Pestalozzi-Gesellschaft haben mit einer Sonderschrift „Ostlandkunde als gesamtdeutscher Bildungsauftrag“ unter der Schriftleitung des Vorsitzenden der Dt. Pestalozzi-Gesellschaft, Univ.-Prov. Dr. K. Bittner und Mitarbeit anderer Fachkollegen die bisherigen Erfahrungen und Arbeitsergebnisse der verschiedensten Arbeitskreise zur Ostlandkunde im Unterricht zusammengetragen und werden sie als Grundlage weiterer Arbeitstagungen und gemeinsamer Behandlung dieser ostlandkundlicher Fragen den Kultusministern und Erzieherverbänden der Bundesländer zuleiten.
Die bisherigen Erlasse der Kultusminister der Bundesländer über Ostlandkunde im Unterricht gaben den Lehrern aller Schularten die verpflichtende Aufgabe für den Unterricht und sind dazu angetan, alle ostlandkundlichen Arbeiten der Schulen zu unterstützen.
Zur weiteren Aktivierung der Ostlandkunde ist es jedoch notwendig, dass es im Unterricht der Schulen gelingt, Ost- und Westdeutschland gleichberechtigt und ohne besondere Hervorhebung im Unterricht zu berücksichtigen. Ostlandkunde ist ein gesamtdeutsches Anliegen, das eine ganz neue Gesinnung fordert und den Lehrern aller Schulen einen verpflichtenden Bildungsauftrag erteilt hat.
Holzner-Verlag jetzt in Würzburg
Seite 10 Holzner-Verlag jetzt in Würzburg.
Der bekannte Holzner-Verlag, Kitzingen/Main (früher in Tilsit) ist am 1. Januar nach Würzburg, -Neubaustr. 22 umgesiedelt. Der Verlag widmet sich mit großem Erfolg der Pflege ostdeutscher Literatur. So erschien im Holzner-Verlag auch die Schriftenreihe des Göttinger Arbeitskreises.
Seite 10 Landsleute, bitte herhören!
Am 21.09.1954 verstarb unser lieber Arbeitskamerad Diplombeamter und Stadt-Insp. Albert Thimm.
Am 25.10.1954 ist Stadtoberbausekretär i. R. Karl May für immer von uns gegangen.
In beiden Kollegen verlieren wir zwei Landsleute, die mit der Anschriftensammelstelle eng verbunden waren. Wir werden das Andenken an diese hilfsbereiten Arbeitskameraden stets in Ehren halten.
Am 6. Januar 1955 beging unser in Ruhe lebender Arbeitskamerad Oberfeuerwehrmann Johann Sawitzki seinen 80. Geburtstag. Wir gratulieren herzlichst an dieser Stelle und wünschen ihm für's weitere Lebensjahr alles Gute.
Frau Christel Lemke in Kanada sucht folgende Arbeitskameraden der Stadtgärtnerei:
Die Gärtner Fritz Weiß, Gustav Blum, Bruno Gnuschke;
die Gärtnerlehrlinge Franz Petrusen und Edith.
Ferner den Schreiber der Stadtgärtnerei Heinrich Mantre.
Angaben über den Verbleib der Vorgenannten oder deren Anschriften sind an uns zu richten, die wir dann geschlossen an Frau Lemke weiterleiten werden.
Für die Berichterstattung danken wir folgenden Landsleuten:
Siegfried Neumann,
Fritz Mey,
Erna Borreck,
Christel Thimm,
Emil Kolberg,
Erna Waschuleit,
Friedrich Klein.
Aber auch derer soll dabei gedacht werden, die uns einen kleinen Hinweis gaben und hier namentlich nicht veröffentlicht werden.
Die vielen Weihnachts- und Neujahrsgrüße beweisen uns immer wieder, dass ein großer Teil Arbeitskameraden sich mit uns verbunden fühlt. Leider können wir aus Portoersparnisgründen keinem persönlich danken. An dieser Stelle wünschen wir allen Arbeitskameraden ein gesundes, neues Jahr.
Wir suchen und wer berichtet:
Die Anschriftensammelstelle (Personalabteilung) der Kreisverwaltung Königsberg:
Fritz Stange (Druckerei),
Stenotypistin Stolzenberg, geb. Lofski,
Witwe Lotte Steffenhagen,
Otto Steinke,
Maria Steinbacher (Wi. A.),
Arbeiter Steinhöfer (Hafen),
Steindorf,
Fürsorgerin Dora Steckel,
Spark.-Angest. Hans Stallbaum,
Kutscher Gustav Stiemer (Fuhrges.),
St.-Insp. Steiner (Bauamt),
Techn. Waldemar Steiner,
Techn. Heinz Thulke,
St.-Insp. Emil Tollkühn,
St.-O.-Insp. Tiedtke (Rechn.-Pr.-Amt),
St.-Amtm. Hermann Thiele,
St.-Insp. Bruno Tresp,
Taucher und Schiffszimmermann Richard Thiel,
Angest. Tahl (Fuhrges.),
Stenotypistin Erna Irene Thimm,
Familie Teschner von der verstorbenen Margot Thimm,
Staatsanwältin Frau Dr. Tietze,
Frau Erika Theulieres,
Angest. Anna Thieler,
Hauptkass. Walter Tobies,
Kfm. August Thulke,
Gumbinnen, Brückenmeister Werner Tobies,
Verw.-Lehrling Fritz Thiel,
Arbeiter Unger (Hafen),
Otto Urmoneit (Standesamt),
Straßenreiniger Vogel,
Stenotypistin Ilse Voigt,
Arbeiter Voß (Hafen).
Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten, -Angestellten und -Arbeiter (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1
Seite 10 Wir gratulieren!
Seinen 80. Geburtstag feierte am 6. Januar 1955 Herr Johann Sawitzki, Oberfeuerwehrmann a. D. aus Königsberg. Er wohnt bei seiner Tochter Elfriede Neumann in Büchen/Lbg.
Ihren 75. Geburtstag beging am 4. Januar 1955 Frau Elsbeth Christeleit, geb. Gronwald, Witwe des Kaufmanns Otto Christeleit aus Königsberg und Ostseebad Rauschen. Nach ihrer Flucht wohnt sie nun in Deggendorf (Donau), Westl. Graben 6, mit ihrer Tochter Eva Hurtig, Witwe des Oberstrichters Georg Hurtig.
Karl-Heinz Budinski, aus Königsberg i. Pr., jetzt Seesen a. H., Kurparkstr. 1149, hat vor der staatlichen Prüfungskommission das Mittelschullehrerexamen bestanden.
Rektor a. D. Walther Hardt, früher Heiligenbeil, Königsberg und Kreuzburg, feiert am 22. Januar 1955, seinen 81. Geburtstag. Er ist noch als Sprecher der Ostpreußischen Landsmannschaft, als Mitglied des Kreisostvertriebenenbeirates, als Kreistagsabgeordneter und als Mitglied unserer Landesausschüsse seiner Partei tätig; arbeitet auch in Kulturverbänden mit und ist noch schriftstellerisch stark beschäftigt. Er wohnt in Lübbecke (Westf.), Andreasstr. 30.
Seite 10 Sondertreffen und Wiedersehensfeiern. Anmeldungen bis zum 10. Februar 1955.
Nachstehend wird eine neue Aufstellung derjenigen Berufsgruppen, Vereinigungen, Betriebs- und Schulgemeinschaften bekanntgegeben, die sich Pfingsten 1955 in Duisburg treffen wollen. Die Sprecher oder Beauftragten der Gruppen sind daneben genannt. Träger dieser Sondertreffen sind weder die Patenstadt Duisburg noch die Landsmannschaft Ostpreußen, sondern die einzelnen Gruppen selbst. Die Stadtverwaltung Duisburg ist bereit, die Trefflokale zu vermitteln und die Sondertreffen mit Zeit- und Ortsangabe in das Festprogramm aufzunehmen.
Damit Lokale vermittelt werden, die die erwartete Teilnehmerzahl aufnehmen können,
werden die Angehörigen der Gruppen gebeten, ihrem Sprecher oder Beauftragten die voraussichtliche Teilnahme möglichst sofort mitzuteilen,
werden die Sprecher oder Beauftragten der Gruppen gebeten, der Stadt Duisburg, Amt für Stadtwerbung und Wirtschaftsförderung, bis zum 10. Februar 1955 die voraussichtliche Teilnehmerzahl mitzuteilen.
Andere Gruppen, die sich ebenfalls in Duisburg treffen wollen, werden gebeten, sich mit der vorraussichtlichen Teilnehmerzahl bis zum 10. Februar 1955 bei der Stadt Duisburg, Amt für Stadtwerbung und Wirtschaftsförderung, anzumelden. Gruppen, die sich in Duisburg zu spät oder überhaupt nicht anmelden, können nicht damit rechnen, ein Lokal für ihre besondere geschlossene Veranstaltung vorzufinden. Zu Quartierbestellungen wird unter Angabe der Quartiermöglichkeiten noch besonders aufgerufen werden. Stadt Duisburg Patenstadt für Königsberg
Stadtverwaltung Königsberg. Stadtverwaltung Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg.
Königsberger Werke und Straßenbahn GmbH, Otto Laaser, Duisburg, Alte Schanze 67.
Berufsfeuerwehr Königsberg, Oberbrandmeister Ernst Monien, Düsseldorf, Stoffeler Broich 50.
Städtisches Gesundheitsamt Königsberg (Pr.), Amtsrat a. D. Fritz Sommer, Hamburg 39, Lorenzengasse 11.
Regierung und Oberpräsidium Königsberg, W. Nöckel, Düsseldorf-Oberkassel, Barmer Str. 23.
Provinzialverwaltung und Landesversicherungsanstalt Ostpreußen, Landeshauptmann z. Wv. v. Wedelstädt, (22a) Mühlheim/Ruhr, Weißenburger Straße 12.
Königsberger Handwerk, Bäckermeister Heinrich Berg, Vorsitzender der Vertretung des ostpreußischen Handwerks, (20a) Leese Nr. 5, Kreis Nienburg/Weser.
Industrie- und Handelskammer Königsberg, Hauptgeschäftsführer, Dr. Georg Olschinka, Bonn, Markt 26 - 32.
Kreissparkasse Samland, 50 Jahre, Sparkassenrendart Helmut Ratensperger, Arnsberg, Nordring 11.
Bank der Ostpr. Landschaft Königsberg. Elfriede Stein, Bonn, Julius-Plücker-Str. 12.
Stadtgymnasium Altstadt — Kneiphof, 1. Pastor Werner Weigelt. Hamburg-Bergedorf, Hermann-Löns-Höhe 23; 2. Horst Hilger, Duisburg, Hohe Straße 60.
Friedrichskollegium, Dr. Hanswerner Heincke, Düsseldorf, Karolingerstr. 89.
Vereinigung ehemaliger Schüler und Lehrer des Löbenicht’schen Realgymnasiums (später Oberschule für Jungen) Königsberg (Pr.) e. V. Rechtsanwalt Dr. Kurt Schubert, Hamburg 11, Gr. Burstah 31.
Hufengymnasium, Oberstudienrat Dr. Erich Peschties, (21b) Soest/Westf., Brüderstr. 37.
Bessel-Oberschule, 90 Jahre, Oberstudiendirektor i. R. Max Dehnen, (23) Diepholz, Eschfeldstraße 21.
Burg-Oberschule, Regierungsrat Kurt Erzberger, Düsseldorf, Regierung.
Körte-Oberschule, 30 Jahre, Oberstudienrat Heinrich Klingenberg, (22a) Essen, Billrothstraße 20.
Vereinigung ehemaliger Sackheimer Mittelschüler, 35 Jahre, Vorsitzender Herbert Minuth, Düsseldorf, Suitbertusstraße 34.
Staatsbauschule Königsberg, 1. Staatl. Ingenieurschule für Bauwesen, Essen, Robert-Schmidt-Straße 1 (Patenschule), 2. Stadtbaumeister a. D. Karl Kaiser (24a) Winsen/L., Tönnhäuserweg 8a.
Königsberger Allgemeine Zeitung, Lisbeth Hensel, Bückeburg, Herminenstraße 18a.
Königsberger Wach- und Schließgesellschaft, Franz Ranglack, Gundelfingen/Donau, Gänseiweg 8.
Waggonfabrik L. Steinfurt, Horst Hilger, Duisburg, Hohe Straße 60.
Fa. Walter Bistrick, Uhrenhaus Walter Bistrick, (14a) Stuttgart-O, Haußmannstraße 70.
Spielvereinigung Rasensport Preußen 05 e. V., 50 Jahre, Ernst Witt, (23) Aurich, Fischteichweg 2.
ASCO Königsberg, Hans Schemionek, (23) Sulingen, Lange Straße 75.
Sportvereinigung Prussia-Samland, Bruno Romahn, Hamburg 39, Heidberg 19.
VfK, Franz Schierwagen, Benthe über Hannover, Waldstraße 112.
Königsberger Männerturnverein von 1842, Wilhelm Alm, (23) Oldenburg i. O., Gotenstr. 33.
ehem. Generalkommando I. A. K. Dr. G. Bülle, (22a) Kempen (Niederrhein), Bahnhofsplatz 1.
ehem. Luftgaukommando I und Außenstellen, Wilhelm Gramsch, Celle, Waldweg 83.
ehem. 1. Infanterie-Division, General der Inf. a. D. Grase, Einbeck, Fr.-Ebert-Straße 1/3.
ehem. Inf.-Regt 1 (Traditionsträger des Gren.Regt. Kronprinz, 300 Jahre), Oskar Weiß, Düren, Rütger-von-Schewen-Straße 64.
ehem. Gren.-Regt. Kronprinz, C. E. Graf zu Eulenburg, Brunkensen, Bezirk Hannover.
ehem. ostpreuß. Heeresartillerie, Werner Münk, Duisburg, Felsenstraße 91b.
Kameradschaft Sanitätskorps, Artur Gerigk, Düsseldorf, Ringelsweide 7.
ehem. 3. Batterie Leichte Flakabt. 71 Königsberg-Neuendorf Joachim Biedekarken, Göttingen, Düsterer Eichenweg 60.
Pillauer, Hugo Kaftan, (22a) Vluyn, Kr. Moers, Feldstraße 21.
Seite 10 Hufenoberschule für Mädchen.
Ehemalige Lehrer und Schülerinnen. Wer hat Interesse an einer Zusammenkunft in Duisburg Pfingsten 1955? Wer übernimmt die Leitung der Schulgruppe? Anschriften erbeten bis 15. Februar 1955 an: Oberschullehrerin H. Schmidt, Soest-Westfalen, Wilhelm-Morgner-Weg 16.
Seite 11 Neujahrslied. Von Paul Gerhard 1853 oder 1863 (3. Ziffer unleserlich)
Nun lasst uns gehn und treten
mit Singen und mit Beten
zum Herrn, der unserm Leben
bis hierher Kraft gegeben.
Wir gehn dahin und wandern
von einem Jahr zum andern,
wir leben und gedeihen
vom alten bis zum neuen,
durch so viel Angst und Plagen
durch Zittern und durch Zagen,
durch Krieg und große Schrecken,
die alle Welt bedecken.
Denn wir von treuen Müttern
in schweren Ungewittern
die Kindlein hier auf Erden
mit Fleiß bewahret werden,
also auch und nicht minder
lässt Gott ihm seine Kinder,
wenn Not und Trübsal blitzen,
in seinem Schoße sitzen.
Ach Hüter unsres Lebens,
fürwahr, es ist vergebens
mit unserm Tun und Machen,
wo nicht dein Augen wachen.
Gelobt sei deine Treue,
die alle Morgen neue,
Lob sei den starken Händen,
die alles Herzleid wenden.
Lass ferner dich erbitten,
o Vater, und bleib mitten
in unserm Kreuz und Leiden
ein Brunnen unsrer Freuden.
Gib mir und allen denen,
die sich von Herzen sehnen
nach dir und deiner Hulde,
ein Herz, das sich gedulde.
Schleuß zu die Jammerpforten
und lass an allen Orten
auf so viel Blutvergießen
die Freudenströme fließen.
Sprich deinen milden Segen
zu allen unsern Wegen,
lass Großen und auch Kleinen
die Gnadensonne scheinen.
Sei der Verlass'nen Vater,
der Irrenden Berater,
der Unversorgten Gabe,
der Armen Gut und Habe.
Hilf gnädig allen Kranken,
gib fröhliche Gedanken
den hochbetrübten Seelen,
die sich mit Schwermut quälen.
Und endlich, was das meiste,
füll uns mit deinem Geiste,
der ans hier herrlich ziere
und dort zum Himmel führe.
Dies alles wollst du geben,
o meines Lebens Leben,
mir und der Christen Schare
zum sel'gen neuen Jahre.
Seite 12 Komm schusche … Von Elli Treinies-Krogh.
Wetst nich, wo dend miene Wusche …?
eck häb so kohle Feet …
Un denn, Merjellke, komm schusche, komm schusche …
eck sie nu ock schon meed …
Watt sull wie ok noch lure,
morje mott eck freeh wedder rut!
Du kannst mie noch e beske dem Puckel schure,
un denn pust man dem Lampke ut …
Seite 12 Urenkel Herders geht stempeln. 1945 bei Nacht und Nebel aus der Sowjetzone geflohen. Von Friedrich K. Kurylo.
Einem Manne in Fulda, der heute zweimal in der Woche auf das Arbeitsamt stempeln geht, gehörte noch vor neun Jahren eine Burg mit 50 Zimmern in Sachsen. Es ist Freiherr Gottfried von Herder, Ururenkel des großen deutschen Geschichtsphilosophen und Schriftstellers Johann Gottfried Herder, der vor 150 Jahren in Weimar zu Grabe getragen wurde und aus Mohrungen (Ostpreußen) stammte.
Sein Nachkomme Gottfried von Herder hätte sich, als er noch als Burgherr auf dem 420 ha großen Waldgut Rauenstein bei Chemnitz saß, niemals träumen lassen, dass er einmal Arbeitslosenunterstützung beziehen würde. Er hätte sich aber auch niemals träumen lassen, dass er dort, von wo er 1945 bei Nacht und Nebel fliehen musste, um sein Leben zu retten, acht Jahre später als prominenter Gast wieder mit allen Ehren aufgenommen werden würde.
Gottfried von Herders Schicksal spiegelt das Schicksal unserer wildbewegten Zeit. Als Erbe und Besitzer der von seinem Urgroßvater Wilhelm, einem der sechs Söhne Herders, erworbenen Waldgutes Rauenstein musste er 1945, als im Zuge der Enteignung schlagartig die Verhaftung von 3000 Großgrundbesitzern angeordnet wurde, bei Nacht und Nebel über die Rhön nach Westdeutschland fliehen. Er landete mit Frau und Tochter in Künzell bei Fulda, wo er das bittere Los der Arbeitslosigkeit und der materiellen Armut erleidet. Umso erstaunlicher war es, als er Ende 1953 eine Einladung zur Herder-Ehrung im sowjetzonalen Weimar erhielt. „Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht, weil ich kein Geld habe, um die Fahrt zu bezahlen“, schrieb er seiner Cousine Freiin von Buttlar-Belo. Aber die Sowjetzonenregierung trug die Reisekosten und die Aufenthaltskosten in Weimar.
So kam es, dass Herder, der aus einem Gemisch von Verpflichtung seinen toten Ururgroßvater gegenüber und Neugier zusagte, als einer der einzigen drei noch lebenden Namensträger der zahlreichen Nachkommen Johann Gottfried Herders unter den 300 aus aller Welt in Weimar zusammengekommenen Herder-Forschern — unter ihnen 120 Wissenschaftler von Rang und Namen aus dem Westen — lebhaft bestaunt wurde.
Der Empfang für Herder, der acht Jahre vorher aus der Sowjetzone fliehen musste, um sein Leben zu retten, war ehrenvoll und korrekt. Zwischen den zahlreichen wissenschaftlichen Vorträgen, die die Tage der Weimarer Herder-Ehrung ausfüllten, hatte der ehemalige Besitzer der durch die Russen bis auf die nackten Wände ausgeplünderten Burg Rauenstein sogar Gelegenheit, für 50 Pfennige Eintritt im Museum von Chemnitz Bilder zu bewundern, die bis zur Plünderung 1945 auf seiner Burg gehängt hatten.
Seite 12 Nach Nijaohr / Von Wanda Wendlandt.
„Herrjemersch nä – Kinder, maokt doch bloßig dem Där to! Dao drelle unk riesle se söck röm wie e Forz oppe Joahrmarkt zu kein Krät maokt doch dem Där to – als wenn se bie schwarte Moores opjewasse sön, wo se bloßig Pardelschneere vor äre Harems to bammle hebbe sulle edder bide ohle Pollacke, wo dorche ohl terräte Kartoffelsack krupe ut ehre ohle Lehmlächer ruter, wo se dao Hieser benenne un wo nich maol ohl Fido rönjekraope weer, wenn se söck seine Höpsflöje awscheddre wull! – Maokt bloßig de Där to, segg eck floßig, sonst könn Ju mi glieks wedder von hinde bekicke, denn mascheer eck glieks widder tohuus, denn bi Ju schient mi dat jao öffentliches Haus to sön, wi se dat benenne! Dat ös jao Kold bi Ju wi oppe Föschbrick ön Kenigsbarg öm dis Tied ömma, un e Dorchtoch ös dat, als wenn de Diewel möt sien groot Praatz e Schniefke jenaeme hadd un nu Hapschieh maokt — na good Hapschieh und Prostke ook, mien Dochter! Eck seh all, un bruuk gaonich mehr to fraoge, wi Se önne nie Jaor rönjekaome sön — möt e doll Verkilling, wie mi schient? Na dat ös jao ook op eenmaol e Peerdskill, dat ös eener jao ook gaenich mehr jewennt!“
Ja, Mutter Leneit, mich hat es mal wieder erwischt — am schlimmsten das olle Reißen, was man sich auf der Flucht“ — „Na, wenn die Böxe all äwer Jestank klaoge, wat sull denn erscht de Hemd sejje! Wat sull eck denn erscht sejje, eck doch nu all hoch in das biblische Alter sie, wi de Herr Pfarr ömma jejjt — erscht an Sylvester hewt he doch so väl von dat jekost, were Se ook önne Körch? Aower eck kann mi nich helpe, eck kaom mit gaonich so biblisch vär — on wenn eck denn so schabber, wi mi de Muul jewasse ös un mi ackraid so ömme Hard ös, denn ward mi dat woll ook graods keiner fär biblische Rede awnähme wölle! Denn et häwt alles sien Wetenschaft, säd jen Marjell un pust de Nachtlicht möt ehrem Hinderschte ut!
Jao, eck kunn jao nu ook elang Jeweimer anfange, denn mien Schoft wöll gaenich mehr Ton anjäwe un pareere un eck schuuw man bloßömma wi e ohl halwkrepiert Krahj röm un önne Nacht weet eck nich mehr, wie eck lijje un mi kehre sull, aower eck sejj man bloß: De Mönsch mott jepisackt wäre, dat he Lost kröjt to Starwe!! — Na aower wat fehlt Di denn, mien Dochterke, Du kröpst jag dao röm wie e laohm Höpsfleej, hast Du Di vleicht dienem Hinderbeen jebraoke?“ — „Na, ganz so schlimm nicht, Mutter Leneit, aber doll hingeflogen bin ich beim Rodeln und hab mir das Knie aufgeschlagen. Und der Hals tut mir weh — und sehen Sie, hier an der Hand“. — „Marie, Marie, Marickelke — ope Naosch e Pickelke — oppe Buuk e Blaoske — dat ös e munter Haoske! — Wenn Di wieder nuscht fehlt. — „Ach, ich erzähle Ihnen lieber gar nichts mehr, Mutter Leneit, wenn Sie mich doch bloß immer auslachen — da geh ich lieber rodeln — darf ich, Mutti?“ — „Zieh Dir aber erst was Warmes an“. — „Jao, teh di bloßig wat Andert an — et ös jao e rein Schand, wi Se der Marjellke römrenne laote, mien Dochter! Herrjemersch nä, de lange naockte Beenes, rein wi bei em Haodebaohr so lang, un denn de Rocke, wo knapp de Naosch bedeckt: Pipita hat e Röckschen an — der reicht nich anne Knie — und wenn se sich nu bücken tut — denn sieht man die Pipi — ta hat ein Röckchen an!“ — „Sie werden ja noch fast frivol auf Ihre alten Tage, Mutter Leneit!“ — „Wat ös dat nu wedder fär e niemodsch Word? — Na jao, ömma nije Mode: Dammlije Wörd, wo kein Mösch weet, wat daohinder ös — un korte Keddels — de Tiede ware ömma varöckta! Dat weer öm ohle Jaohr so un dat ward öm nije ook nich bäter ware — de vanöftije ohle Tiede sön vabie un kaome nih widder“.
Na, denn prost Niejaohr ook noch un wie sön Se denn rönjehopst önne nieje Jaohr? Keem denn bei e Niejaohrschbock bi Ju? — Na aower wo wart ook! Dao ös jao kein Dsching nich mehr bönne ön ons Jujend hiedjedaogs, kein Lost und kein Läwe ös mehr to finde — nä nä! — Eener mott all prosche un pranzle, dat se man bloß noch e Leedke singe undre Wihnachtsboom, na un e Jedichtke to lehre un optesejje, wi wi dat ömma mussde — Herrjemersch! dao sön se all rein ganz to fuul! — Eener wöll jao nu nich sejje, dat eenem in sien Kindertied dat Lehre ömma wi pure Honniglöcke värjekaome ös un wi de reinste Halleluja-Engelkes jewese sön — nä nä, dat jeew all daomaols ook fuule Laudons jenooj, wo lewer önne Moosschaol kickde als önne Fibel un lewer Schpinkelwinkel un Griepke spälde als hindre Boock huckde. Eck besönn mi noch ganz good, wi ons ohl Hehner-Karlin äwer ehrem Dochtersähn klaogt bi ons Mutterke: „Eck sejj dem Krät alle Dag, he sull lehre: Unser Gott is im Himmel — ös he — he kann schaffen was er will — kann he! Aower de krätsche Lorbaß will doch nich heere — herd he nich!“ Aower dat wöll eck man sejje, renne kunn de Krät, wie ee Wöppsteert — un dat mussd he ook, denn de mussd de Vöh höde, von halw Nacht bät spaod önne Aowend. On riede kunn he wi de leibhaftje Gottseibeiuns, wenn e man bloßig e Peerd mangke Beene kreej!
Na un wi de so ranwuss, na, dao weer Ju vleicht wat jefällig to Sylvester möt Raosmock-jaoge un aller sone Wöppkes: Eenmaol dao wull mi doch de Fier partu nich brenne, wie eck Niejahrsch-Morje Fier önne Kachel maoke wöll, et qualmt un qualmt, dat mi de Ooge traende, un buute weer ganz klaor Loft. Et weer rein als hadd de Diewel sienem Zaogel önne Schorrsteen to stecke und eck hadd all mien ganz Kleenhold von hindre Kachel verpesserd. Wi eck nu ruutgoh on wöll ute Schuer hindre Partemang noch e böske dreej Kaddick haole (vleicht dat dat bäter anposert!), dao kickd eck doch so valaore op e Schorrsteen — un wat denk Ju, wat dao to kicke weer? — Na eck mussd jao ook erescht noch emaol motte Ooges knöple, bät eck glowe kunn, wat se dao seeje: Dao weer doch e ganz Värdeel vonne Austwaoge oppe Dack jeschleppd on de Diessel stöckd önne Schorrsteen un de Räder staokte önne Loft und drel de söck rein to Spöcktaokel wi Windmählflochte önne Wind.
Na un e Niejaohrsbock weer dat ömma Kinder! Kinder! dao vakrope söch de Marjelles all ömma värher önne Schaff on undre Himmelbed, sunst kunne so söck äwerhaupt nich terwehre! — Jao jao — dat weere noch Tiede!! — Nä Kinder, eck wöll jao man bloßich sejje: Dao weer noch Läwe bönne en Läwensmoot! Un dao ös dat hiedjendaogs gaonuscht mehr — rein bloß noch to Bekacke! — Dao hucke se bloßig hindre warm Kachel un laote dem Radijo dudle, odder se krupe önnem Kino un hucke dao tohop önnem ohle Miew öm Diestre wi e Schow Ratte un pliere oppe Leiwend möt groote Ooges wi e Uhl önne Nachtjeschörr! — Nä Kinder, kein Läwe ös dao nich mehr — un eener mott söck bloßig wundre, dat ömma noch Kinder jungware! — Aower vleicht erfinde se denn dafär ook e nie Apperaod — na prost Niejahr ook!“
Seite 12 Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (18)
Liebe ostpreißische Landsleite! Nu is wieder mal Weihnachten vorbei und der Willuweit is auch weg, das heist, er fuhr all e paar Wochen vor Weihnachten weg, aber er missd zweimal abfahren, auf einmal hat er es nicht geschafft. Dabei hädd ich ihm dreimal gefragt, ob er sich auch genau dem Fahrplan angekickt hat. Aber er war ganz empeert und meind, er könnd doch noch Zahlen lesen! Und seine Uhr ging auch richtig. Auf die Uhr ist er besonders stolz, denn die hat er von seinem Großvater geerbt, und der hädd se bestimmt auch all vom Großvater gekriegt. Die Uhr is so groß und dick wie e ausgewachsene Semmel vom Bäcker Epha aus Insterburg. Wenn Se dem seine Semmel gekannt haben, denn wissen Se auch, wie groß dem Willuweit seine Uhr is… Dass kein Dreck nich reinkommt, hat er se in eine große Kapsel mit Schelantine-Fenster verpackt. Se rennt wie verrickt, und dass se ihm nich wegrennt, hat er se anne große eiserne Kett angetiedert. Die war frieher aus Gold, sagt er, er hat se im ersten Weltkrieg abgeliefert und e eiserne dafier gekriegt. Nu bammelt se ieber seinem dicken Bauch, und er erzählt jedem, dass se all dem deitsch-franzeesischen Krieg 1870/1871 mitgemacht und seinem Urgroßvater das Leben gerettet hat. Das solld nämlich nich weit von Grawelott auf Posten ziehen und verschlief de Zeit, weil die Uhr stehen geblieben war. Und mit eins fingen de Franzosen an zu schießen, und da traud er sich nich mehr raus … Wär de Uhr nu nich stehen geblieben, denn wär er in die Schießerei reingeraten, und denn hädden se ihm de Lebensfunzel ausgepust, sagt er. Na jedenfalls hat er sich heeflich verabschiedet, — nich der Urgroßvater, sondern der Willuweit perseenlich —, und denn schob er los, dem Rockkragen hochgeschlagen, denn es goss wie mit Eimers. Bald hädd ihm der Sturm innem Schosseegraben reingeblasen, denn er tobd ganz aasig, aber der Willuweit stemmd sich gegen und kam nach zwei Stunden aufem Bahnhof an. Da kam auch all der Zug, und mein Willuweit stieg ein. Wie denn nach e Virtelstund der Schaffner durchging de Fahrkarten knapsen, da huckd der Willuweit genau innem falschen Zug und fuhr inne verkehrte Richtung. Nu missd er wieder raus aufe nächste Statzjohn, und weil er nu nich wussd, wo er bleiben solld, kam er in Sturm und Regen wieder bei uns zurickgeschaukelt. Es war all spät und ganz diester, und de Emma dachd, das is dem Willuweit sein Geist, aber wie er denn inne Stub war und sich gleich umkickt, ob nich noch was inne Buddel war, da wussd se mit eins, dass es wirklich der richtige Willuweit war. Nu haben wir sich natierlich sehr gefreit, und ich dachd, er hädd all wieder emal sein Gebiss versiebt, aber er hädd nich, er hädd bloß dem falschen Zug zergrabbelt. Sehn Se, so kann es einem gehn, wenn einer sich auf e Uhr äußem Krieg 1870/1871 verlässt, oder, wie in diesem Fall, auf seine sogenannte Intelligänz. Ich hab mir deshalb dotgelacht, wie der Willuweit von sein Abenteier erzählen tat. Am nächsten Morgen probierd er es denn noch emal, aber da hab ich ihm beglitten und im richtigen Zug reingehuckt. Nu is er denn auch gut zu Haus angekommen und hat uns auch all e Weihnachtskart mit zwei Engelchens und einem großen Tannenbaum geschickt. Die sieht so hibsch aus, dass de Emma ihr einrahmen und anne Wand hängen wolld. Aber die Engelchen sind nich orndlich angezogen —, darauf hab ich de Emma ausdricklich aufmerksam gemacht, — und da war se mit eins nich mehr fieres Aufhängen. Sonst is der Heiligabend aber ohne weitere Steerungen und Meinungsverschiedenheiten vergangen. Der Baum war scheen gerad gewachsen, und hädd mir der Förster nich beis Besorgen erwischt und mir verpflichtet, ihm nache Feiertage wieder abzuliefern, denn hädden wir auch dies Jahr e eignem Weihnachtsbaum gehabt, nu hädden wir bloß einem gepumpten. De Emma ihre Feffernisse waren hart wie kleine Steinerchens. Die hab ich einzelnt mittem Hammer zerkloppt und innem Kaffee reingestippt, sonst hädd ich ihnen verheizen missen. Schad denn um das scheene Hirschhornsalz! Zu essen hädden wir e Stickche geschmortes Kalbfleisch und zu trinken zwei Flaschen Schlimmenas, auf hochdeitsch Limmenad, also sozusagen alkoholfrei wie de Blaukreizler. Aber scheen war es doch, denn ich trank bloß e kleines Schluckche, und de Emma dem ganzen Rest, weil se von das Kalbfleisch e ganz geheerigem Brand hädd und de Limmenad ganz kalt war. Dafier kriegd se inne Nacht Bauchschmerzen, und ich missd ihr wieder mal de Beine lang ziehen. Das is, wie Se ja all wissen, ihr altes Hausrezept gegen alle meeglichen und unmeeglichen Beschwerden. Dem ersten Feieertag fiel viel Schnee, und dem zweiten war er all wieder weggetaut. Aber abends hädd der Gesangverein innem Krug e große Weihnachtsfeier. Und weil fier Rentners blos fimf Dittche kostd, die andern mißden jeder e ganze Mark bezahlen, gingen wir auch hin. De Emma meind, so schnell und so leicht können wir sobald nich wieder a ganze Mark verdienen. Aber wir verdienen garnuscht, denn „der scheenste Platz is immer an der Teke“, De Emma sagt, das wird mit h geschrieben, aber mich is das eingal. Ob mit oder ohne h, der scheenste Platz is es so auch so. De Emma hat drei Tassen Kakao getrunken und Torte gegessen. Dafier hab ich noch drei Blumchens fierem Strohhut zum Anstecken geschossen. Ich hädd noch viel mehr geschossen, dem ganzen Gemieseladen hädd ich einkassiert, aber jeder Schuss kostd e Dittche, und das war fier die Blumchens mit die Zeit e bißche zu teier. Auf die Biehne haben se vierstimmig gesungen, dass in alle Heiser, wo rundum standen, de Milch sauer wurd. Gott sei Dank hädden wir unsre Milch all vorher ausgetrunken. Denn kamen sechs Turners und verrenkden sich de Knochen, dass de Emma ganz iebel wurd. Ich hab ja starke Närven, so dass mir das nuscht ausmachd. Zuletzt spielden se einem Theaterstick, wo der junge Graf die Mergell von seinem Melker haben wolld und nich kriegd, und wo se ihm auch nich kriegen tat, bis mit eins der alte Graf die Mergell bei die Jagd aus Versehen inne Waden schoss, dass foorte Blutt kam. Und von diese Schrotladung war er so geriehrt, dass es ihm leid tat. Deshalb hat er ihr im Wald iebre Backen gestreichelt und gesagt, se soll sich was winschen, indem dass nich weit bis Weihnachten war. Und die Mergell war nich dammlich, kickd ihm tief und heiß inne Augen und winschd sich dem jungen Graf. Nu wolld der Alte zurickzoppen, aber es ging nich mehr, indem dass er sein Ehrenwort gegeben hädd! Zuletzt war denn Heiligabend, am Weihnachtsbaum wurden drei Wunderkerzen abgebrannt, und die beiden jungen Leite umärmelden sich und kriegden dem alten Graf seinem Segen. Wozu doch Heiligabend und e Schrotladung manchmal gut und nitzlich sind! Das heist, bei die Waden konnd er gar nich vorbeitreffen! Natierlich haben nu alle Frauen im Saal geheult und geschluchzt, dass einem untre West ganz wehmietig wurd. Am dollsten schluchzd natierlich wieder de Emma, und wie ihr und mein Taschentuch nich mehr reichden, nahm se dem Unterrock, weil indem dass im Saal ganz diester war. Aber gerad in dem Momumang ging das Licht an, und seitdem hat de Emma sich geschworen, zum Weinen niemals nich mehr dem Unterrock zu benutzen. Nachdem wurd denn noch ganz geheerig gescherbelt, und die Musikanten machden dazu einem Schkandahl, dass ich inne andre Eck vonnem Saal ritterierd, weil indem dass ich um mein Trommelfell besorgt war. Getanzt hab ich nich, de Emma auch blos dreimal, weil ihr de Schuhe kniffen. Aber se hädd auch zwei Paar Strimfe an und außerdem noch e Haufen Stroh inne Schuhe gelegt, weil indem dass das warmhält und se sich nich verkiehlen wolld. Morgens um drei kam der Bauernochse auf mir zu und gab einem aus. Dabei winschd er mir e gutes neies Jahr, denn er war all im Stiehm. Heeflich, wie ich bin, hab ich das nich bemerkt. Wie wir denn so gegen Morgen wieder zu Hause gingen, hädd der Bauerochse de Emma untergeärmelt, und einmal heerd ich, wie er ihr mit gnädige Frau anreden tat. Aber de Emma hat de Gelegenheit benutzt, bei ihm e greeßerem und wärmerem Stall fier unsern Pochel einzuhandeln. Manchmal hat se doch noch alle Tassen im Schrank! Silvester haben wir uns all um nein Uhr inne Posen begeben und sind erst innem neien Jahr wieder aufgewacht. Wir hädden de letzte Zeit ja auch gerade genug gefeiert und mißden uns endlich auch emal ausschlafen. So wurd es nuscht mit Bleigießen und Kohlcheschwimmen und Schlorrcheschmeißen, und schon gar nuscht mit Punsch und Fannkuchen. Aber wozu soll einer auch auf so umständliche Art de Zukunft befragen, wo es doch in alle Zeitungen die scheene Horoskope giebt, wo einer alles genau ablesen kann, ohne sich de Fingers zu verbrennen und das Kreiz zu verbiegen. Blos dem Punsch kriegt einer leider nich mitte Zeitung geliefert, was diräkt e Scheenheitsfehler is. — Aber nu sind wir endlich drin innes neie Jahr, und wie immer hoffen wir, dass es besser wird wie das alte. Deshalb wollen wir niemals nich verzagen, auch wenn mal was schief geht, sondern mit alle meine gute Winsche rufe ich Ihnen von ganzem ostpreißischem Herzen zu: „Prost Neujahr!“
Viele Grieße Ihr alter Ernst Trostmann Landbriefträger z. A.
Seite 13 Eltern suchen ihre Kinder.
Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg-Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939, Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.
Gesucht werden aus:
Geldau, Kr. Samland: der Bruder Wolfgang Max Gronau, geb. 22.04.1941, und die Mutter Martha Gronau, geb. 30.06.1897, von Brigitte Gronau, geb. 17.06.1939 in Geidau, Kr. Samland
Gronden, Kreis Angerburg: Wolfgang Rega, geb. 01.01.1934 in Popiollen, Ostpreußen, von seiner Mutter: Liesbeth Rega, geborene Schmeil, geb. 23.10.1902.
Groß Söllen, Kreis Bartenstein: Manfred Heister, geb. etwa 1938, und Eva Heister, geb. 30.12.1941, von ihrer Großtante: Anna Trops.
Heilsberg, Ziethenstraße 3: Gerhard Schulzki, geb. 24.05.1937, und Reintraud Schmeier, geb. 26.07.1941, von ihrer Pflegmutter: Dora Fischer, geborene Brückmann
Klein Schläfken, Kreis Neidenburg: Helga Godinski, geb. 19.01.1934, und Ruth Godinski, geb. 08.07.1940 in Klein Schläfken, von ihrem Vater: Albert Godinski, geb. 02.04.1907. Helga Godinski und Ruth Godinski gingen den Eltern auf der Flucht verloren. Die Kinder waren zuletzt auf dem Wagen der Nachbarfamilie Hugo Fritz.
Königsberg: Die Geschwister Gertrud Annert, geb. 19.04.1939, und Werner Annert, geb. 1943, von ihrem Onkel: Gerhard Annert. Die Kinder wohnten mit ihren Eltern Walter Annert und Käthe Annert in Königsberg in einer Stadtrandsiedlung, die an der Straße nach Galtgarben gelegen haben soll. Der Vater Walter Annert war von Beruf Schmied und arbeitete in Königsberg.
Königsberg-Ponarth, Ahornweg 11: Günther Brunke, geb. 25.01.1935 in Königsberg, von seiner Mutter: Frieda Brunke, geborene Hüll.
Königsberg, Berliner Straße, bei Frau Elise Winterfeld: Ingrid Bressau, geb. 08.07.1942 in Königsberg, von ihrer Mutter: Zwöck, geborene Bressau.
Königsberg, Blücherstraße 24: Erna Gnass, geb. 1935, von ihrem Onkel: Franz Bittrich, geb. 21.01.1893. Das Kind war mit seiner Mutter: Elise Gnass, geborene Zander, auf der Flucht.
Königserg, Cranzer Allee 177, bei der Pflegemutter Grete Prawitz: Hans-Georg Kegel, geb. 1938, von Fritz Reinhardt, geb. 10.12.1894. Die Mutter Elsbeth Kegel wohnte ebenfalls in Königsberg, Cranzer Allee 177.
Königsberg, Dohnastraße 16: Gert Lenkeit, geb. 1934 in Königsberg, von seiner Tante: Lisbeth Hellwig, geb. 25.11.1909
Königsberg-Prappeln, Dorstraße: Ekkehard Thülke, geb. 12.05.1937, und Annelore Thülke, geb. 03.03.1938 in Königsberg-Prappeln, von Gertrud Jaquet, geborene Vater.
Königsberg, Gneisenaustraße 23: Horst Clement, geb. 22.11.1933 in Königsberg, von seiner Tante: Grete Schwärmer, geb. 16.06.1899
Königsberg, Große Sandgasse 20: Gisela Grohs, geb. 22.10.1934 in Königsberg, von Gertrud Roobe, geborene Schmidtke
Königsberg, ehemalige Horst-Wessel-Straße 87 oder Haberberger Grund 30: Gerda Kasper, geb. 03.02.1934 in Königsberg, und Dieter Kasper, geb. 20.06.1938 in Königsberg, von ihrem Vater: Julius Kasper, geb. 22.02.1905. Die Kinder waren zuletzt mit der Mutter, Kasper, geborene Eisenblätter, zusammen.
Königsberg, Hans-Sagan-Straße 82 oder 84: Joachim Böttcher, geb. 16.12.1934, von Herta Bubat, geborene Bogé.
Königsberg, Hans-Sagan-Straße 110: Heinz-Dieter Müller, geb. im April 1938 in Königsberg, von seiner Tante: Elfriede Supply, geborene Paukstadt, geb. 23.08.1902
Königsberg, Rudauerweg 2: Cäcillie Sumionka, geb. 12.02.1939, und Marianne Sumionka, geb. 15.11.1940 in Königsberg, von ihrem Vater: Alfred Sumionka
Rotenkamp, Kreis Gumbinnen: Walter Spazier, geb. 24.01.1935 in Rotenkamp, von Berta Diedrigkeit, geborene Engelhardt.
Schönlinde, Kreis Gerdauen: Oskar Flath, geb. 13.03.1941 in Gerdauen, von seinem Onkel: Harthmuth Flath.
Steinsee, Kreis Insterburg, Post Bärensprung: Waltraud Preugschat, geb. 09.05.1941, von ihrer Mutter: Emma Preugschat geb. 16.06.1899. Das Kind Waltraud Preugschat wurde von der Mutter am 21. Januar 1945 in das Krankenhaus Mohrungen eingeliefert. Es hat über dem rechten Auge und an den Füßen Brandnarben. Bekleidet war Waltraud mit einem dunkelblauen Mantel, hellblauem Strickkleid, einer weißen Strickjacke und mit einem schwarz-weißen Schal. Welche Schwester des Krankenhauses Mohrungen hat Waltraud Preugschat betreut und kann Auskunft geben?
Welche NSV-Schwester hat im Januar 1945 auf der Flucht bei Kalau, Kreis Mohrungen, zwei Knaben auf einem Wehrmachtswagen an sich genommen? Es handelt sich um die Brüder Hermann Stritzke, geb. 1942, und Hans-Georg Stritzke, geb. 1938. Sie werden von ihrem Vater: Hans Stritzke gesucht.
Gesucht werden aus:
Aluwönen, Kreis Insterburg: Hans-Dieter Schillat, geb. 1937, von Johann Scherwiks, geb. 18.06.1913
Freienfelde, Kreis Tilsit-Ragnit: Gerhard Rübensaat, geb. 27.04.1937 in Freienfelde, von seinem Vater: Emil Rübensaat, geb. 06.03.1911. Gerhard ist Ende Oktober 1944 mit seinen Großeltern nach Rogehnen, Kreis Preußisch-Holland, geflüchtet.
Groß-Hubnicken, Kreis Samland: Martin Klinger, geb. 17.10.1933, und Barbara Klinger, geb. 24.01.1935, von Max Klinger, geb. 24.09.1904. Martin Klinger und Barbara Klinger waren von Dreihornswalde, Kreis Schloßberg, nach Groß-Hubnicken, Kreis Samland, evakuiert.
Groß-Kuhren, Kreis Samland: Die Geschwister Hans Luick, geb. 23.02.1933, Martin Luick, geb. 04.03.1935, Rudi Luick, geb. 08.03.1939, und Manfred Luick, geb. 06.08.1941 in Groß-Kuhren, von ihrem Vater: Emil Luick, geb. 15.03.1902
Karkeln, Kreis Elchniederung: Helga Urban, geb. 02.12.1936 in Karkeln, von ihrer Tante: Käte Puzicha, geborene Radau
Königsberg: Siegfried Jurr, geb. 1941, Gerhard Jurr, geb. 1935 und Werner Jurr, geb. 1938, von ihrem Vater: Fritz Jurr. Im Jahre 1946 waren die Brüder Jurr im Waisenhaus Königsberg-Ponarth
Königsberg-Kalgen, Bachweg 7: Edeltraut Wenk, geb. 18.11.1942, von ihrem Vater: Karl Wenk, geb. 14.07.1908. Edeltraut Wenk wurde zusammen mit Erna Rautenberg, geb. 1935, die aus Osterode kam, am 24. Februar 1945 in das NSV-Kinderheim eingeliefert. Der weitere Verbleib der Kinder ist unbekannt.
Königsberg, Briesener Straße 21, bei Familie Holz: Ingrid Weller, geb. 21.08.1937 in Königsberg, von ihrer Mutter: Eva Luntke, geb. 13.03.1911. Das Kind könnte eventuell auch Irmgard Holz genannt werden.
Königsberg, Dreysestraße: Die Geschwister Inge Feldmann, geb. 11.03.1938, Werner Feldmann, geb. 17.08.1941, und Manfred Feldmann, geb. 11.09.1943, von ihrem Onkel: Alfred Feldmann, geb. 11.12.1895.
Königsberg, Freistraße: Egon Kinder, geb. 26.02.1936, von Emil Budnik, geb. 27.07.1907. Das Kind Egon Kinder hat bis Oktober 1948 noch in Königsberg-Liep, Olmützer Weg 10, zusammen mit seiner Mutter und Großmutter gewohnt.
Königsberg, Friedmannstraße 38: Inge Rakowski, geb. 04.08.1935, von ihrer Tante: Erna Schirrmacher, geborene Rakowski. Inge soll mit ihrer Mutter Martha Rakowski im Januar 1945 in Pillau-Neuteief an Bord des Marinedampfers „Nettelbeck“ gegangen sein.
Königsberg, Haberberger Neue Gasse 15: Doris Sand, geb. 13.08.1936 in Königsberg, von Arthur Schöttke, geb. 07.12.1904
Königsberg, Hammerweg 72: Erich Grossert-Mertsch, geb. 19.01.1937 oder 1938 in Striegau (Schlesien), von Paul Fiebig.
Königsberg, Nasser Garten 25: Günther Hill, geb. 21.11.1937, von seinem Vater: Alfred Hill.
Königsberg, Sofienstraße 8: Hans-Joachm Schilling, geb. 25.07.1935, von seiner Tante: Charlotte Berndt, geborene Groß. Hans-Joachim Schilling war 1947 noch in Königsberg und wollte in ein Waisenhaus gehen.
Königsberg-Spandienen Straße 1757: Dieter Gestigkeit, geb. 27.12.1935 in Ernstealde, von seinem Vater: Robert Gestigkeit, geb. 17.09.1904. Dieter wurde zuletzt im Juli 1947 in Norkitten, Ostpreußen, gesehen.
Kortau, Kreis Allenstein: Hedwig Klaws, geb. 03.07.1937 in Memel, von ihrer Mutter: Herta Klaws. Hedwig war seit Juli 1944 in der Bethesda-Anstalt in Angerburg, die im Oktober 1944 nach Kortau verlegt wurde.
Lobitten, Kreis Samland: Die Geschwister Ulrich Hinz, geb. 06.11.1933 in Kingitten. Christel Hinz, geb. 23.12.1934 in Kamnicken, Kurt Hinz, geb. 19.03.1937 in Rachsitten. Sieglinde Hinz, geb. 06.10.1939 in Stammbeck, und Ingrid Hinz, geb. 21.07.1941 in Lobiten, von ihrer Mutter: Maria Hinz, geborene Weidemann, geb. 15.11.1904
Mehlsack, Kreis Braunsberg, Sankt-Georgi-Krankenhaus: Bernd Czitzniwski, geb. 01.09.1944 in Angerburg, von seiner Mutter: Emma Czitzniwski. Bernd kam mit mehreren Säuglingen im Januar 1945 in das Sankt-Georgi-Krankenhaus und wurde kurze Zeit darauf mit einem Lazarettzug verlegt, vermutlich nach Königsberg oder nach Heiligenbeil. Den Transport stellten die in Mehlsack stationierten Stabsärzte der Wehrmacht zusammen. Wer begleitete im Januar oder Februar 1945 einen Lazarettzug aus Mehlsack, mit dem auch Kinder verlegt wurden?
Regitten, Kreis Samland: Die Geschwister Christel Broschinski, geb. 01.01.1934, Manfred Broschinski, geb. 12.03.1939, und Elsa Broschinski, geb. 13.02.1940, von ihrem Vater: Fritz Broschinski.
Sandenwalde, Kreis Angerapp, bei Familie Fischer: Else Ingrid Rosinski, geb. 25.06.1936 in Eibenburg, Kreis Angerapp, von ihrem Onkel: Heinrich Degwitz, geb. 12.04.1923
Wolfshöhe, Kreis Gerdauen: Kurt Gräwert, geb. 18.10.1934 in Wolfshöhe, von seiner Tante: Hildegard Keiwel, geborene Frohnert, geb. 13.02.1919. Kurt Gräwert soll zuletzt in Litauen gewesen sein.
Heiligenbeil, Krankenhaus: Siegried Marienberg, geb. 21.07.1935 in Domnau, Kreis Bartenstein, von seiner Mutter: Minna Marienberg, geb. 02.09.1901. Siegried Marienberg wurde am 13. Februar 1945 mit einem Knöcheldurchschuss in das Krankenhaus Heiligenbeil eingeliefert.
Knöppelsdorf, Kreis Samland: Ursula Seifert, geb. 31.05.1934 in Knöppelsdorf, von ihrer Schwester: Grete Seifert, geb. 01.03.1932. Ursula Seifert soll 1946 nach Litauen gegangen sein.
Königsberg, Siedlung Gartenstadt: Die Geschwister Ingeborg Kubb, geb. 16.10.1939, Lothar Kubb, geb. 18.06.1941, und Hannes Kubb, geb. 28.03.1943 in Königsberg, von Elisabeth Gerlach, geborene Wöllhaf.
Königsberg-Lauth: Grete Steffler, geb. 07.06.1933 in Königsberg-Lauth, von ihrem Vater: Richard Steffler, geb. 15.03.1903
Königsberg-Ponarth, Katholisches Kinderheim: Ingrid Krause, geb. Anfang Februar 1935 in Königsberg, von ihrer Tante: Johanna Grannaß, geborene Krause.
Königsberg-Quednau: Günther Schwarz, geb. 18.02.1933 in Königsberg-Quednau, von seinem Vater: Robert Schwarz, geb. 18.05.1904
Königsberg, Altstädtische Langgasse 23 oder Oberrollberg 17: Dietmar Skoppeck, geb. 09.05.1938 in Königsberg, von seinem Onkel: Hans Skoppeck, geb. 26.04.1916
Königsberg, Artilleriestraße 25: Eva Grieß, geb. 1938 in Königsberg, von ihrem Vater: Erich Grieß, geb. 10.02.1906
Königsberg, Blücherstraße 13: Doris Haak, geb. 1938, und Werner Haak, geb. 1942 in Königsberg, von ihrer Tante: Liesbeth Hellwig, geb. 25.11.1909
Königsberg, Bozener Str. 29 – 31: Marianne Hinz, geb. 18.02.1937 und Dietrich Hinz, geb. 24.10.1941 in Königsberg, von Herta Hellmert, geborene Neumann, geb. 06.05.1921.
Königsberg, Cranzer Allee 104: Die Geschwister Karin Gruschke, geb. im Juli 1937, Christa Gruschke, geb. im Jahre 1938, von ihrem Onkel: Kurt Gruschke, geb. 05.04.1916. Die Mutter der Kinder, Charlotte Gruschke, wird auch vermisst.
Königsberg, Schrebergarten Glückauf, Dahlienweg: Helga Streibel, geb. 25.11.1937 in Königsberg, von ihrer Tante: Hildegard Streibel, geb. 24.09.1926
Königsberg, Domnauer Straße 3E: Rotraut Ballasus, geb. 1936. Hans-Jürgen Wächter, geb. 1938, von ihrer Tante: Helene Wohlgemuth, geborene Wächter, geb. 10.02.1908
Königsberg, Finkenweg 1: Eberhard Butkewitz, geb. 13.05.1935 in Wiensdorf, von seinem Vater: Arthur Butkewitz, geb. 16.08.1905. Eberhard wollte Ende Dezember 1947 nach Litauen zu einem Förster in Stellung gehen.
Königsberg-Metgethen, ehemaliger Franz-Seldte-Weg 90: Edelgard Zinserling, geb. 23.04.1936 und Ingrid Zinserling, geb. 12.03.1940 in Königsberg-Metgethen, von ihrem Vater: Edwin Zinserling, geb. 12.08.1906
Königsberg, Gerichtstraße 152 bei Hübner: Edeltraut Jewski, geb. 20.09.1936 in Bartenstein, von ihrer Mutter: Berta Jewski
Königsberg, Heidemannstraße 15: Helmuth Müller, geb. 30.06.1936 in Königsberg, von seiner Tante: Ella Weiß, geborene Müller, geb. 21.10.1905. Helmuth war bei seinen Großeltern, Familie Franz Müller.
Osterode, Ostpreußen, Bahnhofstraße 8, Bäckerei Fritz Balk: Winfried Meier, geb. etwa 1939 in Königsberg, von Gertrud Balk, geb. 17.09.1893. Winfried flüchtete mit seiner Großmutter, Anna Meier, am 20.01.1945 von Osterode.
Otterwangen, Kreis Insterburg: Günther Bode, geb. 03.04.1938, von seiner Mutter: Magdalene Bode, geborene Fischer. Günther soll in Königsberg von einer russischen Familie aufgenommen worden sein.
Rogehnen, Kreis Preußisch-Holland: Irmgard Lange, geb. 01.09.1935 in Marwitz, von Adolf Friedrich, geb. 25.05.1874
Roßlinde, Kreis Gumbinnen: Annemarie Hahn, geb. im Februar 1937 in Roßlinde, von ihrer Tante: Magdalena Hoffmann, geborene Warskulat.
Sodrest bei Neuhoff, Kreis Lötzen: Max Radau, geb. 01.08.1935 von seinem Bruder: Otto Radau, geb. 29.06.1925
Wartenburg, Kreis Labiau: Herta Schulz, geb. 24.02.1941 in Wartenburg, von ihrer Mutter: Anna Schulz, geboren am 07.09.1907. Die Mutter verlor am 19.01.1945 ihr Kind, Herta Schulz auf der Flucht. Das Kind war auf dem Pferdewagen der Frau Emilie Salecker geborene Unterbringer, geb. 30.12.1905. Der Wagen fuhr in Richtung Gutfließ, und soll bis Gründann, Kreis Elchniederung, gekommen sein.
Eltern oder Angehörige eines etwa 1939 geborenen Mädchens Irene, das an den Folgen einer Kinderlähmung gelitten hat. Es ist möglich, dass das Mädchen Irene, geb. etwa 1939, vor 1945 in einer Kinderklinik in Frauenburg, Ostpreußen, gelegen hat. Irene hat beim Kindersuchdienst die Kenn-Nr. 285.
Für einen etwa 1942 geborenen Knaben, der vielleicht Joachim Grönke oder Gröning heißt, die Eltern oder Angehörigen. Der Knabe stammt vermutlich aus Königsberg. Eine Tante von ihm soll in Königsberg eine Süßwarenfabrik besessen haben. Beim Kindersuchdienst wird Joachim Grönke oder Gröning, geb. etwa 1942 mit der Kenn-Nr. 2846 geführt.
Eltern oder Angehörige des Werner Lembke, geb. etwa 1942. Werner hat blaugraue Augen, hellblondes Haar. Er soll 1945 mit einem Transport aus Ostpreußen gekommen sein. Werner Lembke, geb. etwa 1942, hat beim Kindersuchdienst die Kenn-Nr. 01 198.
Eltern oder Angehörige der Hannelore Paetsch, geb. etwa 1943. Hannelore wurde im Februar 1945 in Königsberg den jetzigen Pflegeeltern übergeben. Sie kam aus einem Sammeltransport und hatte eine Kleiderkarte bei sich mit folgenden Personalangaben: Hannelore Paetsch, geb. am 21. Dezember 1943 in Insterburg. Das Kind wird unter der Kenn-Nr. 0588 geführt.
Seite 13 Verschleppte aus Ostpreußen
Gesucht werden aus:
Königsberg, vermutlich auch Litauen: Die Angehörigen der Hanna Patlowsky oder Padlowsky, geboren etwa 1915, vermutlich Landarbeiterin.
Ostpreußen: Die Angehörigen des Willi Pürschel, geb. etwa 1891, Schweizer.
Seite 13 Zivilgefangene aus Ostpreußen
Gesucht werden:
Die Angehörigen des Ernst Brese, geb. etwa 1929.
Gesucht werden aus:
Königsberg: Die Angehörigen des Bruno Schlage, geb. etwa 1893, Maurerpolier
Die Angehörigen des Ernst Brese, geb. etwa 1929
Die Angehörigen des Herrn Knittel, geboren etwa 1896
Die Angehörigen der Inge Rex, geboren etwa 1925. Inge Rex soll aus Königsberg oder Berlin stammen.
Seite 13 Gefallene oder gestorbene Wehrmachtsangehörige
Anfragen und Mitteilung zu dieser Liste sind unter Angabe des Namens und Vornamens des Gemeldeten (zweiter Name in der Suchmeldung) an den Suchdienst München, Rundfunkauskunft München 13, Infanteriestraße 7a, zu richten.
Gesucht werden:
Maria Schreiber, aus Klarheim, Johannisburg, für Wilhelm Schreiber, geb. 29.10.1900 in Ressengen.
Familie Stachelek, aus Klein-Kurwin, Kr. Allenstein, für August Stachelek, geb. 02.09.1908 in Seniezic.
Amanda Schulz, aus Königsberg, Altstadt. Langgasse 9, für Hans Schulz, geb. 02.05.1909 in Königsberg.
Familie Schwarz, aus Königsberg, Hardenbergstraße 23, für Siegfried Schwarz, geb. 26.04.1926 in Königsberg.
Erna Steinbeck, aus Königsberg, Kohlhof, für Kurt Steinbeck, geb. 18.01.1906 in Königsberg.
Karl Schwarz, aus Königsberg. Lieperweg 55, für Karl Schwarz, geb. 10.06.1920 in Königsberg.
Franz Braun, aus Königsberg, für Manfred Braun, geb. 30.12.1923 in Königsberg.
Lisbeth Stahl, aus Königsberg, Qudenau, Wehrmachtsiedlung 60, für Max Stahl, geb. 16.06.1907 in Neudrienen.
Maria Steidinger, aus Kulmsee, Kulmer Vorstadt 40b, für Leo Steidinger, geb. 04.10.1912 in Thorn
Berta Schulz, aus Lawa, Kr. Bartenstein, für Heinrich Schulz, geb. 25.05.1905.
Hedwig Worm, aus Liebenfelde, für Walter Worm, geb. 30.01.1927 in Wilhelmsburg.
Familie Steffen, aus Liewenberg, Kr. Heilsberg, für August Steffen, geb. 18.12.1926 in Liewenberg.
Familie Schwiderski, aus Lyssuhnen. Kr. Johannisburg, für Gustav Schwiderski, geb. 04.11.1903 in Lyssuhnen.
Frau Schweizer, aus Mardefelde, Kreis Schloßberg, für Ernst Schweizer, geb. 25.11.1917 in Sühlendorf.
Emil Steiner, aus Martersdorf, Kr. Osterode, für Helmut Steiner, geb. 11.03.1926 in Martersdorf.
Luise Makowka, aus Ostelsburg, Kr. Ortelsburg, Hindenburgstraße 7, für Gustav Schweda, geb. 24.12.1913 in Muschaken.
Familie Schwalkowski, aus Pilkallen, für Fritz Schwalkowski, geb. 01.03.1902.
Helmut Sinz, aus Poetschwalde, Kreis Gumbinnen, für Horst Stamm, geb. 20.11.1916 in Laukwangen.
Martha Stebner, aus Schloß-Schlodien über Mühlhausen, Kr. Preuß.-Holland, für Erich Stebner, geb. unbekannt.
Frau Jannowitz, aus Seeag, Kr. Neidenburg, für Franz Jannowitz, geb. 08.10.1911 in Grünau.
Adolf Schwarz, aus Siemen, Kreis Angerburg, für Kurt Schwarz, geb. 12. 12. 1917 in Grünwalde.
Margarete Schulzki, aus Sonntag. Kr. Sensburg, für Adolf Schulzki, geb. 15.04.1906.
Wilhelm Schulzki, aus Süßnick. Kr. Rastenburg, für Willi Schulzki, geb. 03.03.1926 in Süßnick.
Elfriede Wallup, aus Tilsit, Grünes Tor 1, für Alfred Stascheit, geb. 17.07.1923 in Karnas.
Elisabeth Schulzki, aus Tollnigk. Kr. Heilsberg, für Anton Schulzki, geb. 23.04.1900 in Tollnigk.
Käthe Steffen, aus Wiesenfeld, Kreis Neidenburg, für Leonhard Steffen, geb. 28.12.1901 in Rauschken
Seite 13 Heimkehrer-Aussagen über Vermisste. Wer kennt die Angehörigen?
Heimkehrer haben beim Suchdienst Aussagen über Vermisste gemacht. Die Angehörigen dieser Vermissten konnten bisher nicht ermittelt werden. Erkennen Sie aus den nachstehend aufgeführten Personalangaben einen der Vermissten und können Sie Auskunft über dessen Angehörige geben? Helfen auch Sie, die Angehörigen ausfindig zu machen. Jede zutreffende Meldung bedeutet ein geklärtes Vermisstenschicksal! Geben Sie Ihren Hinweis zur Auffindung der Angehörigen bitte unverzüglich unter Angabe der Befragungsnummer der Liste (jeweils am Ende der Suchanzeige) an das Deutsche Rote Kreuz, Suchdienst München, Abt. Nachforschungsstelle für Wehrmachtsvermisste München 13, Infanteriestraße 7a
Gesucht werden aus:
der Umgebung von Lyck: die Angehörigen von Emil, Alexander, geb. etwa 1925, Beruf Tischler, III/82811.
Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Adomeit, geb. etwa 1890, Oberzahlmeister beim Kosakenkorps, III/87837.
Ostpreußen: die Angehörigen von Rudi Ansorge, geb. etwa 1921. HI/55455 .
Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Ausländer, geb. etwa 1902, verh., Hauptwachtmeister bei der Gendarmerie, III/83342.
Ostpreußen: die Angehörigen von Horst Bachanowitz, geb. unbekannt, III/52897.
Ostpreußen: die Angehörigen von Zilly Baran, geb. etwa 1920/1925, DRK-Schwester, III/96526.
Ostpreußen: die Angehörigen von Klaus Bartsch, geb. 1922, Student, III/82827.
Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Bauer, geb. etwa 1890, Major, III/22970.
Ostpreußen: die Angehörigen von Walter Baumann, geb. 1922, III/87150.
Deutsch-Krone: die Angehörigen von Fritz Baldes, geb. unbekannt, III/62461.
Königsberg: die Angehörigen von Theodor Arendt, geb. etwa 1900, Beruf Schachtmeister, III/52422.
Königsberg, Ponarterstraße: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Arnold, geb. etwa 1890/1895, verh., Beruf Gastwirt, III/71593.
Gumbinnen oder Insterburg: die Angehörigen von Dr. Werner Geu, geb. unbekannt, Beruf Tierarzt, III/72667.
Insterburg: die Angehörigen von Otto Gerwin oder Gerwien, geb. etwa 1900, Beruf Landwirtverwalter, III/43487.
Königsberg: die Angehörigen von Fritz Gawlick, geb. 01.07.1906, Hausmeister, III/11694.
Königsberg-Ponarth: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Gehring, geb. etwa 1900, III/103 992.
Königsberg: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Goerke, geb. etwa 1908/1910, Beruf Vertreter in Spirituosen, III/55241.
Königsberg: die Angehörigen von Gg., Götting, geb. etwa 1900/1904, Beruf Viehhändler, III/88431.
Schulkeim, Kreis Labiau: die Angehörigen von Otto Gehrmann, geb. etwa 1887, Beruf Landwirt. III/37322.
Schulkeim, Kreis Labiau: die Angehörigen von Hermann Gehrmann, geb. etwa 1892, Beruf Landwirt, III/37323.
Ostpreußen: die Angehörigen von Artur Gabert, geb. etwa 1917, ledig, Beruf Landwirt, III/21952.
Ostpreußen: die Angehörigen von Karl Gahl, geb. unbek., III/19325.
Vermutlich aus Ostpreußen: die Angehörigen von Bruno Ganz, geb. 1913, Beruf Kaufmann, SS-Scharführer, III/105071.
Ostpreußen: die Angehörigen von Willi Görk, geb. etwa 1910, III/55555.
Königsberg/Ostpreußen: die Angehörigen von Erich Baeslek, geb. etwa 1914/1915, ledig, Beruf: kaufmännischer Angestellter — III/103042
der Gegend von Königsberg: die Angehörigen von Bruno Baron, geb. etwa 1902/1907, Beruf: Schneider — III/19543
Skeisgirren: die Angehörigen von: Vorname unbekannt Augustin, geb. etwa 1909/1910, Beruf: Landwirt — III/5291
vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von: Adam oder Adams, geb. etwa 1909, Oberleutnant — III/72819
Ostpreußen: die Angehörigen von Helmut oder Artur Adumeit, geb. etwa 1924/1925, Beruf: Jungbauer — III/12471
Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Amann, geb. etwa 1911 — III/103157
Ostpreußen: die Angehörigen von Otto Arndt, geb. etwa 1905 — III/73248
Ostpreußen: die Angehörigen von Josef Axnik, geb. 1907, Beruf: Landwirt — III/87986
Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Bauer oder Frank, geb. etwa 1885/1890, - III/22610
Ostpreußen: die Angehörigen von Otto Bauer, geb. etwa 1931. — III/93751
Ostpreußen: die Angehörigen von Albert Plitt, geb. etwa 1924, Student — III/16932
Diese Listen sind bereits im Rundfunk verlesen worden. Es kann daher in Einzelfällen vorkommen, dass eine hier aufgeführte Heimkehrer Nachricht den Angehörigen vom Suchdienst schon bekanntgegeben wurde. Wenn Angehörige der Vermissten in den hier aufgeführten Listen in jüngerer Zeit bereits vom Suchdienst eine Heimkehrer Nachricht erhielten, so ist daher eine neuerliche Anfrage unnötig, da es sich um dieselbe Nachricht handelt.
Seite 14 Foto: Bank der Ostpreußischen Landschaft in Pillkallen
Seite 14 Die Starfingers aus Klein-Szabienen. Pastor Helmut Walsdorff.
Die Starfingers hatten fast zweihundert Jahre hindurch die Schmiede in Klein-Szabienen besessen. Sie waren strebsame Leute gewesen. Hatte der Ahnherr nur eben die Schmiede gepachtet, so konnte sein Sohn sie sich bereits erwerben, und der Enkel kaufte sich dann schon ein Stück Land dazu. Von Generation zu Generation wuchs das stattliche Grundstück, bald gehörte ein großer Teil der gesamten Ländereien des freilich nicht großen Dorfes den Starfingern, und als sie auch noch die Konzession des ehemaligen adligen Kruggrundstücks für ihren Hof erwerben konnten, hatten sie ihren Besitz nach allen Seiten hin abgerundet. Ich weiß nicht, ob sie schon die Meierei auf dem Hof eingerichtet hatten, oder erst der neue Stuhlbesitzer. Waren nun früher die jüngeren Söhne in die kleinen Städte der Nachbarschaft gegangen, nach Darkehmen, Angerburg oder Nordenburg, so wollte jetzt keiner mehr in dem abgelegenen Dörflein bleiben. Was sollte da auch ein Tierarzt? Er konnte sich hier doch nicht halten. Und was sollte hier ein Färbermeister? Selbst der gelehrte Medicus hätte sich dann schon in Darkehmen niederlassen müssen, — aber da saßen schon Kollegen, die ihre Praxis hatten. Also musste er weiter fortgehen. Indessen blieb Klein-Szabienen immer die Heimat der Starfinger, und sie wussten, wenn sie von ihrem Vater-Haus sprachen, auch immer von jenem Ahnherrn zu erzählen. der unter dem Soldaten-König von Salzburg hergekommen war.
Das war aber gar nicht der alte Starfinger, der zu den Salzburgern zählte. Der war wie mancher Siedler in den Jahren nach der Pest aus dem sächsischen Gebiet gekommen, aus dem Magdeburger Raum.
Aber er hatte in Klein-Szabienen geheiratet, und seine Frau war als junges Mädchen den weiten Weg von den schönen Bergen der Heimat bis an die Angerapp gewandert. Damals waren gerade auf die Angerapper Begüterungen allerlei Salzburger Familien gekommen. Die Pest hatte hier viele Häuser ausgeräumt, — es war Platz und Arbeit genug da. Aber es kam mit den Flüchtlingen auch Elend genug, und manch einer musste in der neuen Heimat sterben, ehe er auch nur ein wenig Heimatgefühl hatte finden können, ja, ehe sein Name nur richtig bekannt geworden war. Da hieß es denn einfach im Totenregister ein alter Salzburger oder allenfalls „Philipp, ein Salzburger Schweinehirt“. Indessen saßen jetzt noch Familien dort, die wohl wussten, dass ihre Ahnen einen weiten Weg gemacht hatten, — die Thielers in Wantischken oder die Ramsauers in Jodschinn oder die Eders in Klein-Angerapp, um nur einige zu nennen. Die Weyers waren ausgestorben, — vielleicht hatte der alte Weyer nur eine Tochter gehabt, die den jungen Schmied Starfinger geheiratet hatte, — jedenfalls war von hier her die starke Salzburger Tradition bei den Starfingers zu erklären.
Und diese Tradition war stark. Sie hatte von Vater und Kind zwei ehrwürdige Stücke weitervererbt, — eine alte Bibel und einen kaum jüngeren Wanderstab. Wir kennen Bilder vom Salzburgerzug, — wie vor den einzelnen Trecks die Väter einher zogen, die aufgeschlagene Bibel in der einen, den Stock in der anderen Hand. Die Starfinger besaßen noch solch eine Bibel, und der Stock, der den Vater ihrer Ahnfrau viele Hunderte von Kilometern weit geführt hatte, war ihr kostbares Erbe. An einem bestimmten Tag im Jahr versammelte der Hausvater seine Kinder und das ganze Gesinde, wie es von dem Volk des Alten Testaments erzählt wird, da sie des Auszugs aus Ägypten gedachten, und dann wurde die Bibel aufgeschlagen: hier sind wir zu Hause. Der Stock aber mahnte daran, dass es ein weiter Weg ist, den man zu gehen hatte. Beides gehörte zusammen, der Wanderstab und das Wort von des Vaters Hause mit seinen Wohnungen. Beides hatte den Vätern geholfen, — beides sollte den Kindern helfen.
Als schon vor dem ersten Weltkrieg bei einer Feuersbrunst mit dem ganzen Haus diese beiden Stücke verbrannten, war ihr Verlust fast schwerer als der des Gebäudes. Aber die Erinnerung ist wach geblieben und soll wach bleiben, nun erst recht, da die Kinder beider, Bibel und Wanderstab, brauchen, — die Erinnerung an das Salzburger Blut.
Zwölf Jahre Zwangsarbeit für 15-jährige.
Emsdetten.
15 Jahre war Elfriede Porschke damals alt, als sie aus Ostpreußen verschleppt wurde. 12 Jahre Zwangsarbeit für sie und 15 Jahre für ihre Mutter, so lautete das Urteil. Die Mutter starb in Russland. Elfriede Porschke konnte erst am 6. Dezember 1953 ihre erste Nachricht in die Heimat senden. Ein Jahr später kehrte sie heim. Im letzten Jahr war sie als „freie Arbeiterin“ in einer Moskauer Fabrik beschäftigt. Sie musste solange dort bleiben, bis sie die 500 Rubel für das Fahrgeld zusammengespart hatte.
Seite 14 Mit Foto: Friedrich-Karl Nöthel gestorben.
Dipl. rer. oec. Friedrich-Karl Nöthel, der Senior-Chef der Fa. Nöthel & Co., Göttingen, ist kürzlich an einem schweren Leiden verschieden. Er wurde 1892 in Braunschweig geboren, studierte in Breslau- und kam als Offizier im Kriege 1914/1918 nach Königsberg/Pr. Dort heiratete er die Tochter des Geheimen Regierungsrates Passarge. — Er war von 1920 bis Kriegsende als Diplom-Handelslehrer tätig. — Neben seinem Beruf betätigte er sich sehr stark auf künstlerischem Gebiet und war jahrelang im Aufsichtsrat des Königsberger Schauspielhauses.
Nach schwerem Erleben kam er 1945 nach Göttingen und gründete hier — sich den Verhältnissen der Zeit anpassend — die Fa. Göta KG. — Nach Stabilisierung der Marktlage baute er mit seinen beiden Söhnen die Fa. Nöthel & Co., Spezial-Fachgeschäft für Büromaschinen, auf. Hierbei ist besonders anzuerkennen, dass der ganze Aufbau ohne irgendeine fremde Hilfe nur aus eigener Initiative und unermüdlichem Fleiß erfolgt ist. — In etwa fünf Jahren entwickelte sich das Unternehmen von einer Angestellten in eine Belegschaft von heute über 30 Mitarbeitern. Dem Einzelhandel wurde der Großhandel und der Versand angeschlossen, so dass die Fa. Nöthel & Co. heute das größte Spezial-Fachgeschäft Südhannovers ist. Nur seiner unermüdlichen Arbeit, bis oft in die frühen Morgenstunden, ist dieser Aufbau zu verdanken.
Auf der Höhe seines Schaffens wurde er abgerufen. Seine beiden tatkräftigen Söhne werden den Betrieb ganz in seinem Sinne weiteraufbauen.
Seite 14 Grenzdörfer in Masuren verschwinden.
Durch die stille Landschaft am Borow-See hallen Sprengungen. Schwarze Pulverpilze verdüstern den winterlichen Himmel an der ostpreußisch-polnischen Grenze. Seit Wochen sind Pionier-Kompanien dabei, die noch erhaltenen Grenzdörfer, Höfe und Förstereien zu vernichten. Nach dem Beispiel der tschechischen Praxis werden jetzt auch die ehemaligen Grenzzonen „deutschfrei“ gesprengt.
Zwischen Johannisburg und Lyck sind schon zehn Dörfer dem Erdboden gleichgemacht worden: Gutten, Bialla, Drygallen, Bautkoven, Neuendorf, Sokollen, Falkenberg, Gr.-Rosinsko, Andreaswalde und Prostken. Zurzeit werden die Häuser von Schwiddern nach gründlicher Plünderung für die Sprengung vorbereitet. Da sich diese Vernichtungsaktionen auf die unmittelbare Grenznähe konzentrieren, besteht die Vermutung, dass die ehemalige Landstraße Johannisburg - Lyck als nordöstliche Abgrenzung der toten Zone angesehen wird.
Die Bahnlinie, die etwa dem Straßenverlauf entspricht, wurde bereits vor drei Jahren abmontiert, nachdem Widerstandsgruppen ganze Streckenteile in der Johannisburger Heide gesprengt hatten. Für die Pionier-Kompanien des Grenzkommandos gelten nach wie vor die diversen Alarmbestimmungen für den Aufenthalt in Partisanengebieten. Nach Augenzeugenberichten kam es erst vor wenigen Wochen zu einem mehrstündigen Feuerwechsel zwischen Soldaten und Freischärlern in unmittelbarer Nachbarschaft der Oberförsterei Kullik am Pogebier-See. Zur Durchführung der Sprengaufträge im Grenzstreifen wurde in Ortelsburg eine „Vermessungs-Kommission“ einquartiert. Sie setzt sich aus Regierungsbeauftragten, Offizieren und Woiwodschaftsvertretern zusammen.
Nach den Beobachtungen der Bevölkerung werden jetzt auch zwischen Ortelsburg und Johannisburg in westlicher Richtung gewisse Vorbereitungen getroffen, die darauf schließen lassen, dass auch diese Gebiete für die Sprengungsmaßnahmen ausersehen sind. Alle verkehrswichtigen Anlagen werden abtransportiert, selbst auf die Mitnahme der Telegraphenmasten an Schienen und Straßen legen die Pionierkolonnen großen Wert.
Allenstein.
Der Direktor der Zentralverwaltung der polnischen Staatswälder beanstandete, dass die als Förster eingesetzten Polen keinerlei Fachausbildung besitzen, dass sie jedoch „wegen des großen Fachleutemangels weiterhin in ihren Stellungen belassen werden müssen“.
Wormditt.
Die hiesige Staatsgüter-Gemeinschaft, die in den Kreisen Braunsberg, Deutsch-Eylau und Preußisch-Holland insgesamt 60 000 Hektar Land verwaltet, erfährt in der „Zycie Warszawa“ eine scharfe Kritik, weil sie auch in diesem Jahre „6000 ha Brachland wieder liegengelassen hat“.
Allenstein.
Nach einer polnischen Verlautbarung wurden im Laufe dieses Jahres nahezu 15 000 Bauernfamilien ohne Grundbesitz aus Zentralpolen in die „Wojewodschaften“ Allenstein, Köslin und Breslau umgesiedelt.
Gerdauen, Ostpreußen.
Im Zuge der Berichtigung der Demarkationslinie zwischen dem sowjetisch besetzten Gebiet Nord-Ostpreußen und dem polnisch verwalteten Süd-Ostpreußen wurden im Landkreis Gerdauen die Ortschaften Dogen und Schiffus, im Kreise Angerapp die Ortschaften Oberhofen und im Kreise Goldap die Gemeinden Kränterwiese und Spechtsboden dem sowjetischen Besatzungsgebiet einverleibt.
Seite 14 Grab des Mannes in Russland gefunden.
Nach 10-jähriger Gefangenschaft kehrte Frieda Jopien nach Heinsen (Kreis Holzminden) zurück. Sie war 1945 aus Ostpreußen 6000 km östlich Moskau an die mongolische Grenze verschleppt worden. Sie lebte dort als einzige Deutsche. Auf dem Rücktransport musste sie in Minsk auf einem Friedhof übernachten. Dort fand sie das Grab ihres gefallenen Mannes.
Seite 14 Weil sie Kartoffeln auflas …
Um ihre Kinder vor dem Hungertod zu bewahren, las die 52-jährige Elisabeth Faust aus Leese bei Nienburg im Frühjahr 1947 in einem kleinen Dorf in Ostpreußen, wo sie nach dem Tod ihres Mannes lebte, Kartoffeln von einem fremden Acker auf. Russische Polizei schleppte die verzweifelte Frau vor den Augen ihrer Kinder nach Labiau und verurteilte sie in einem Schnellgerichtsverfahren zu fünf Jahren Zuchthaus. Bis sie endlich entlassen wurde, schrieb man Juli 1954. Sie kam heim nach Westdeutschland, völlig verzweifelt und heruntergekommen. Und hier versetzten ihr die Behörden einen entsetzlichen Schlag: sie verweigerten der Frau jegliche Entschädigung, da sie „als Verschleppte nur dann einen Anspruch auf Entschädigung habe, wenn die Verschleppung mit den Kriegsereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehe“. Wörtlich heißt es: „Die nach Paragraph 2, Absatz 2, Ziffer 1 KgfEG für die Anerkennung des Entschädigungsanspruches erforderliche Voraussetzung des ursächlichen Zusammenhanges mit den Kriegsereignissen ist nicht als gegeben anzusehen. Nach eigenen Angaben wurden Sie am 09.06.1947 wegen Auflesens der Kartoffeln von der russischen Polizei verhaftet und in Gewahrsam genommen“.
„Wir konnten leider nicht anders entscheiden“, sagte der zuständige Sachbearbeiter Meyer. Er räumt ein, das sei nicht recht gewesen. Fährt aber nach dem alten Satz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, fort: „Was sollen wir tun? Ein solcher Tatbestand ist in unseren Durchführungsverordnungen zum Gesetz nicht vorgesehen“.
Elisabeth Faust bekam jetzt als Vorschuss auf ein „besseres neues Jahr“ vom Deutschen Beamtenbund eine Geldspende und einen Strauß roter Nelken. „Eine Unterstützung aus diesen Kreisen habe ich am wenigsten erwartet“, sagt die Frau, die völlig am Ende ist.
Elisabeth Faust erzählt: „Damals, 1947, lebten nur noch wenige Deutsche in Ostpreußen, und die standen alle kurz davor, zu verhungern. Ich musste für die Russen arbeiten, und ich bekam im Monat 90 Rubel. Ein Brot kostete damals 120 Rubel. Ich konnte nicht mehr mit ansehen, wie meine Kinder fast zugrunde gingen. Da nahm ich von einem Feld, das zu einer russischen Kolchose gehörte, einige Kartoffeln. Die sowjetische Militärpolizei legte mir vor den Augen meiner Kinder Handschellen an, warf mich auf einen Lastwagen und schleppte mich vor ein Gericht. Ich wurde zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt“.
Aus den fünf Jahren Zwangsarbeit wurden sieben Jahre. Nach den fünf Jahren — Elisabeth Faust arbeitete im Lager Solokamsk im Ural und musste auf der Kolchose, im Wald und auf dem Bau Dienst tun — stand sie vor der Lagereinfahrt. Der Posten lachte: „Nix Deutschland — Du frei, aber Du nix nach Hause!“ Elisabeth Faust lebte in Dünaburg zwei weitere Jahre und bemühte sich in Moskau persönlich um die Papiere. Endlich bekam sie die Heimreisegenehmigung.
Im Lager Friedland wurde sie am 14. Juli 1954 registriert, bevor sie nach Leese (Kreis Nienburg) kam, wo ihr Sohn eine neue Heimat gefunden hatte. In Friedland wurde sie durch die Bescheinigung 10 293 als Heimkehrerin offiziell anerkannt und kam in den Besitz der ersten Zahlung von 300 Mark.
Beim Landkreis Nienburg meldete sie sich an. Dort hatte sie Pech. Sie erhielt das Schreiben Wo H K 32/54: „Ihr Antrag auf Entschädigung wird abgelehnt!“ hieß es, und das ist es, was Elisabeth Faust einfach nicht fassen kann. Als offiziell anerkannte Spätheimkehrerin soll sie keine Entschädigung erhalten.
Elisabeth Faust ist krank, und mit Hilfe des Krankengeldes hat sie sich bisher auch über Wasser halten können. Aber ab Januar wird nichts mehr bezahlt. Dann ist sie wieder so weit, dass sie nach fremden Kartoffeln Ausschau halten muss.
Es erhebt sich die Frage, ob diese Entwicklung nötig war. Schöne Worte allein und Rechtsbelehrungen darüber, dass die Entscheidung des Sachbearbeiters Meyer durch eine Beschwerde anfechtbar ist, helfen der Frau, die doch weiß Gott lange genug gelitten hat, nicht wieder auf die Beine.
Seite 14 Schaulen
Von den im Jahre 1945 aus dem nördlichen Ostpreußen vor den Sowjets ausgewichenen Deutschen leben hier noch etwa vierhundert, die sich der besonderen Hilfsbereitschaft der Litauer erfreuen.
Seite 15 Familienanzeigen
Am 17.12.1954 entschlief sanft im Alter von 62 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit mein über alles geliebter Mann und unser Vater: Dipl. rer. oec. Friedrich-Karl Nöthel. Sein Leben bestand bis zuletzt aus unermüdlicher Arbeit und treusorgender Liebe für die Seinen: In tiefer Trauer: Dora Nöthel, geborene Passarge. Frank Nöthel. Ernst-Reinhart Nöthel. Göttingen, im Januar 1955. Früher: Königsberg, Preußen, Königstraße 58. Jetzt: Göttingen, Weender Straße 40
Am 29. Dezember 1954 entschlief nach langem, schwerem Leiden mein lieber Mann, Vater, Schwiegervater, Opa, Bruder, Schwager und Onkel, Reichsbahnobersekretär a. D. Gustav Drescher, im 70. Lebensjahre. In tiefer Trauer: Elisabeth Drescher, geb. Wermke. Hildegard Bittihn, geb. Drescher. Ernst Bittihn und 3 Enkelkinder. Sattenhausen. Früher: Ebenrode, Ostpreußen.
Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten was man hat, muss scheiden. Am 21. November 1954, um 3 Uhr, verschied plötzlich und unerwartet infolge eines Unfalles mein geliebter, herzensguter Mann, unser guter, treusorgender Vater, mein lieber Sohn, Schwiegersohn, Bruder, Schwager und Onkel, Hans Heldt, früher: Bertung, Kreis Allenstein, Ostpreußen, im Alter von 36 Jahren. In tiefem Schmerz: Hildegard Heldt, geb. Oppenkowski. Ursula, Peter und Margret, als Kinder. Helene Heldt, geb. Kluwe, als Mutter. Auguste Oppenkowski, geb. Orlowski, als Schwiegermutter. Fritz Heldt und Frau Gertrud, Hattorf/Harz. Anna Hellmig, geb. Held, als Schwester. Margret Klede, geb. Heldt, als Schwester. Karl Helmig, als Schwager, früher Jäglack, Kreis Rastenburg. Albert Klede, als Schwager, früher: Jäglack, Kreis Rastenburg. Josef Oppenkowski, als Schwager, früher Bertung. Elfi Oppenkowski, geb. Döring, früher: Bertung. Möllenbeck, den 22. November 1954. Die Beerdigung fand am Donnerstag, dem 25. November, um 14 Uhr, von der Kirche aus statt.
Seite 15 Suchanzeigen.
Wer kann mir etwas über das Schicksal meines Bruders, des Kaufmanns Fritz Hinzer und seiner Ehefrau Amanda Hinzer, geb. Neumann, mitteilen. Letzte Nachricht Januar 1945 von Königsberg, Metgethen, Horst-Wessel-Weg 45/49, erhalten. Nachr. erb. an Frau M. Liebrucks, Hannover-Limmer. Ehrhardtstraße Nr. 8 A. Unkosten werden ersetzt.
Ich suche meinen Schwiegersohn, Oberzahlmeister Willi Brombach, d. Res., geb. 22.07. 902 in Osterode (Ostpreußen), letzte Feldpostnummer 44 392a, zuletzt war er in Galizien (Gr. Weichselbogen). Mitte Januar 1945 die letzte Nachricht. Heimatanschrift: Königsberg/Pr., Selkestraße 14 I. Nachr. erbittet Frau Hedwig Groß, Neumünster/Holst., Glückstädterstr. 7.
Wer kann Auskunft geben: 1. über den Steuerinspektor Fritz Dzewas vom Landesfinanzamt Königsberg, zuletzt wohnhaft in Königsberg/Pr., Hagenstraße 47 a; Dzewas gehörte dem Volkssturm an; 2. über den Steuerinspektor Otto Neumann, vom Landesfinanzamt Königsberg, zuletzt wohnhaft in Königsberg, Scharnhorststraße. Neumann war Kameradschaftsführer des Vereins ehemaliger 3. Grenadiere; 3. über Fräulein Fridel Littfiehn, wohnhaft in Königsberg/ Pr., Vorder Roßgarten 42. Beschäftigungsstelle: Gauschatzamt Königsberg, die nach Ludwigsort verlegt wurde. Gefl. Auskunft erbeten an Frau Gerda Seifert, geb. Stebbe, Göttingen, Feuerschanzengraben 11, früher: Königsberg, Hagenstr. 47 a.
1. Wer weiß etwas über den Verbleib meines Vaters, des Landeskontrollinspektors a. D. Schulz aus Goldap, der Anfang März 1945 aus meiner Wohnung, Königsberg, Hindenburgstraße 73, nach Pillau gebracht und dort von seinen Betreuern getrennt wurde.
2. Wer weiß, dass mein Onkel Ernst Rugowski, aus Königsberg. Gesecusstraße 17/18, Ende Januar 1945 in seiner Wohnung gemeinsam mit seiner Frau gestorben ist und ich vergeblich zur Nachlassregelung gesucht wurde.
Nachr erb. an: Hertha Berenthien, (20a) Celle, Mühlenstr. 8 a
Seite 16 Erminia von Olfers-Batocki gestorben. Unsere ostpreußische Heimatdichterin starb in Bad Harzburg.
Foto: Erminia von Olfers-Batocki in ihrem Harburger Heim.
Ostpreußen und seine Menschen trauern: Erminia von Olfers-Batocki, unsere geliebte Heimatdichterin, ist nicht mehr! Nach schwerem Leiden starb sie am 14. Dezember 1954, im Alter von 78 Jahren in ihrem Harzburger Stübchen. Mit der Schriftstellerin und Dichterin unseres Landes ist ein Stück unserer Heimat für immer dahin gegangen. Bis zum letzten Atemzuge galt ihr wertvolles und erfolgreiches Schaffen der über alles geliebten Heimat, der sie sich über alle Maßen verpflichtet fühlte. Erminia von Olfers-Batocki hat den ostpreußischen Menschen unendlich viel gegeben: ihre zahlreichen Erzählungen und Gedichte, vor allem auch ihre plattdeutschen Dichtungen und Märchen — in denen allen die Kraft der ostpreußischen Erde spürbar ist — haben uns alle zutiefst bereichert und in unserer Liebe zur Heimat gestärkt. Unseren Lesern war die Dichterin besonders ans Herz gewachsen, ihre zahlreichen Veröffentlichungen aus ihrem Schaffen in unserer Zeitschrift erfreuten immer wieder und fanden großen Widerhall. Seit Anbeginn war Erminia von Olfers-Batocki eine der treuesten Mitarbeiterinnen der Ortspreußen-Warte. Dank, nur Dank gebührt dieser großen Ostpreußin!
Erminia von Olfers-Batocki — die Zeitlose, nannte Frieda Magnus-Unzer die Dichterin anlässlich ihres 75. Geburtstages im Jahre 1951 und schrieb dazu:
„Das Gemmen zarte Gesicht östlicher Prägung, der steil aufstrebende Körper, die hohe Stirn und der sinnende Blick, verbargen von Jugend auf das glühende Temperament, die stählerne Energie und den durchdringenden Spürsinn ihres Wesens.
In festlichen Sälen, unter künstlichem Licht, stand sie wie eine hineingewebte Wiesenblume. Sie gehörte unter Gottes freien Himmel und in ein schlichtes selbstgewebtes Kleid, das sich den Farben des tiefen Waldes und des weiten Feldes anpasste in der Landschaft Ostpreußens. Sie atmete die Heimat ein und aus.
Von den ersten Kinderreimen an war alles von dem angeregt, was sie der Umgebung ablauschte. Ihrem feinfühligen Ohr klang in allem der Urton des Windes und des Meeres mit, und sie sah alles wie auf Bernsteingrund. Das war zuerst ganz unbewusst, denn sie lebte ja das allgemeine Land- und Dorfleben mit, in dem der Klang des ostpreußischen Plattdeutsch sie ins Herz traf.
Erminias Verstand saß immer im Herzen und so spürte sie der Heimatsprache mit dem Herzen nach. Sie hörte durch die Kinderspiele den Rhythmus der Jahrtausende und durch die Erzählungen alter Frauen Glauben und Aberglauben des Volkes. Der Name des Heimatortes „Tharau“ und der Rückblick in die plattdeutschen Werke ihrer Vorfahren schloss ihr Kultur und Geschichte des Landes auf. So musste sie singen und sagen, was „unst leewet Platt“ ausdrücken konnte und überraschte alle, die es hörten, dass sich so vieles klangvoll damit sagen lässt.
Wer mit ihr längst des Frisching-Tales unter blühenden Kruschke Bäumen gegangen ist, wer der Dorfjugend bei den Freilichtspielen der Dichterin am Wiesenhang zugesehen hat und im Schatten des Pfarrhauses das Ankelied mitgesungen hat, der kennt die Quellen der Kraft dieses, trotz allem schwerem Erleben, gesegneten Daseins.
Und die Früchte genossen und genießen wir Ostpreußen damals wie heute. Kaum eine Gemeinde, in der nicht ihr Spiel von ihr aufgeführt wird, kaum ein festliches Zusammensein, bei dem nicht eins ihrer Gedichte gesagt wurde und wird; auch jetzt in der Zerstreuung. Auch das pflichtbewusste Weiterwirken unserer Heimatkünderin in so anderer Umgebung und unter so anderen Bedingungen zeigt uns, dass sie schon zu Lebzeiten zeitlos geworden ist“.
Ja, zeitlos war unsere Dichterin geworden! Und ist es nicht merkwürdig, dass wenige Tage vor ihrem Tode ihr plattdeutsches Gedicht „Min Kaffetopp“ in unserer Dezember-Ausgabe erschien, das mit dem Vers endete:
Denn flick ju Ros' un Astre aff
Un jreenet Bohnekrut,
Denn stait met Bloome stramm und straff
Min Kaffetoapke up min Graff, —
Ek schlaop mi drunter ut.
Als liebe Erinnerung an ihr Schaffen von dem vieles für immer verloren ist, erwähnen wir: „Tropfen im Meer“, hochdeutsche Jugendgedichte; „In Neuaust und Spinnstube“, gesammelte alte ostpreußische Volkslieder; „Tohus is to hus“, Märchen in samländisch-natangischer Mundart; „Unst lewet Platt“, mundartliche Gedichte; etwa 30 hoch- und plattdeutsche Heimatspiele. Noch nicht veröffentlicht ist der Familienroman „Wunsch und Wille“, der in und um Königsberg, 1760 - 1860, spielt.
Große Freude erlebte die Heimatdichterin noch im vergangenen Jahre, als der Verlag Rautenberg und Möckel ihre ostpreußischen Dorfgeschichten herausbrachte. Noch manches Manuskript schlummert sicherlich in ihrer Schublade und noch so manches Gedicht und so manche Erzählung wollte sie schreiben, aber der Tod beendete ihr Wirken und Schaffen, das nur unserer Heimat gilt.
Erminia von Olfers-Batocki war am 29. Mai 1876 auf dem damaligen Gut Gr.-Ratshof bei Königsberg geboren und lebte mit Unterbrechungen auf dem großelterlichen Gut Tharau.
Als der Sturm über Ostpreußen hereinbrach, musste sie ihren gerade verstorbenen Mann im Hause zurücklassen und im Treck über das Haff fliehen. In Bad Harzburg fand sie im Herbst 1945 bei Tochter und Enkel Aufnahme.
Seite 16 Aus Sibirien heimgekehrt.
Gerade recht zum Heiligen Abend kam die 53-jährige Lisbeth Schulz nach neunjähriger Trennung aus Sibirien zu ihrer Mutter nach Würzburg. Lisbeth Schulz war 1948 von Königsberg/Ostpreußen in ein südsibirisches Straflager deportiert worden und arbeitete in den Wäldern als Holzfällerin. Im Mai 1953 wurden die ostpreußischen Häftlinge amnestiert und „freigelassen“. Frau Schulz kam nach Tscherkassy und verdiente dort im Torfgebiet 250 bis 280 Rubel im Monat, von denen sie schon etwas für die Heimreise sparte. Im Februar 1954 erhielt sie die Nachricht, dass sie sich wegen der Heimreise an die Botschaft der Sowjetzone in Moskau wenden könne.
Fünf Fragebogen, drei Lebensläufe und fünf Fotos musste sie einsenden. Im Juli wurden nochmals sechs Bilder und vier Rubel verlangt. Am 17. Dezember traf die Ausreisegenehmigung ein. Frau Schulz musste Kleider, Wäsche und Geschirr verkaufen, um die dreihundert Rubel Fahrgeld aufzubringen.
Seite 16 Die Blutauffrischung. Von Erminia von Olfers-Batocki.
Es war im Hochwasserfrühling des Jahres 1888. — Mein Vater, rauchend seinem Gast gegenübersitzend, klagte, dass so viele Junghasen eingegangen seien, dass die Hasenjagd zum Winter einfach abgeblasen werden könnte, auf allen Gütern rundum sei kein Krummer mehr zu sehen. „Lieber Freund“ tröstete der alte Corps Bruder, dessen Dialekt den Deutschbalten verriet, „da fehlt Blutauffrischung. Glaube, dass ich Deinen Hasenbestand in wenig Monaten so hoch bringe, dass Du im Winter eine Treibjagd wie noch nie geben wirst“. — Zweifelnd sah mein Vater sein Gegenüber an — wie sollte das geschehen? — „Du weißt, teurer Freund“, erklärte der Balte, „dass es in meinen Begüterungen von Hasen wimmelt —, man tritt auf weiße Hasen! Wenn ich jetzt nach Kurland zurückfahre, werde ich meine Leute sammeln. Mit Netzen und Säcken werde ich Dir — es ist mir eine Kleinigkeit — einige Hundert Hasen fangen lassen und, gut in Kisten verpackt, zusenden“. „So. Und wie teuer wäre der Spaß“ — „Nur ein wenig Fracht von der Grenze an. Bis dahin übernehme ich alles, wenn Du erlaubst“. — „Und Gegengabe?“ — „Aber teurer Freund, für solche Bagatelle!?! Willst Du Dich aber durchaus revanchieren, nun, so lade mich, wenn ich wieder Königsberg passiere, ins Blutgericht ein“.
Wer war glücklicher als wir Kinder. Weiße Hasen! Einige hundert Stück! Quicklebendig! Wir sahen sie förmlich schon herumhoppeln, so wie der "baltische Onkel es mit seinen langen Fingern auf der Tischdecke vorgemacht hatte.
Nun war der Onkel lange weg. Es kam auch keine Nachricht, und wenn wir unseren Vater daran erinnerten, meinte der: „Es wird eines Tages eine Depesche kommen, dass die Sendung unterwegs ist“. Aber es vergingen Monate, es wurde Herbst. Eines Abends saßen wir, die dicke Milch löffelnd, um den langen Esstisch: Eltern, Kinder, Gouvernante, Inspektor, Tante Lischen und anderer Hausbesuch. Das Telefon schrillte, meine Schwester meldete zurückkehrend, hochrot im Gesicht, die Hasensendung sei da, der Bahnhofsvorsteher riete zu sofortiger Abholung. Schon schorrten die Stuhlbeine meines Vaters und des Inspektors zurück. Sie sprachen von Langmachen eines Leiterwagens: erster Gespannführer, vier Pferde, viel Stroh, damit die Kisten nicht schütteln, ganz langsam fahren. Aber erst zum Förster heran, damit der mitkäme, den Umweg um Groebensbruch könne man schon machen. Und zu meiner Mutter gewandt, meinte der Vater, der Förster müsse hier nachtbleiben und Abendbrot könne ihm verwahrt werden. Es sei nötig, dass der Förster dabei sei, wenn auf dem Felde die Kisten geöffnet würden, er müsse dazu morgens im Revier herumfahren. „Wir fahren mit!“ riefen mein Bruder und ich einstimmig. „Aber Kinder, morgens um drei?“ – „Ja, der Kuhschweizer kann an unser Fenster klopfen.
Wir sammelten uns vor der Haustür unter der Linde. Die Hufschläge verhallten mit dem Wagenrollen auf der fernen Landstraße. Es wurde kalt, man holte Decken. Nur Tante Lieschen zog sich frierend zurück: „I, Kinderchens, all das von wegen den kleinen Tieren — und nachher schießt Ihr die armen Viecher doch blos tot!“ — Wir warten. Wir gingen ans Hoftor und sahen den Weg hinab. Alles war still. Wir suchten vom Grünfutter am Kutschstall den schönsten Rotklee aus, um den Hasen gleich etwas vorzusetzen. Und warteten weiter. Dann glaubte jemand Hufschlag zu hören und der kam näher, wurde lauter. „Der trabt“, bemerkte mein Vater, „soll doch Schritt fahren, damit die Hasen nicht durcheinander schlackern.“— Im Schritt kam das Fuhrwerk den Hügel hinauf und hielt vor dem Kücheneingang. Wir eilten hin: „Nun? Alles lebendig?“ Der Förster schüttelte mit Kopf und Hand: „Is man eines!“ und reichte ein hölzernes Vogelbauer vom Wagen herab. Der Sattelreiter grinste: „Wenn dieser eene nich jewese wär, denn wäre wi ganz umsonst jefoahre“. — „Ja, vergebens ist die ganze Sache“, grollte mein Vater, „was sollen wir mit einem einzigen weißen Hasen!“ — „Is en Ramler“, bemerkte der Förster, „amend vererbt er sich doch und es jibt Schecken“. „Juis sieht der aus“ sagte das Küchenmädchen. „Verfärbt sich zum Winter“ tröstete jemand. „In den Kaninchenstall!“ jubelte bittend mein Bruder. „Nein“, war die schwesterliche Gegenrede, „nicht einsperren, er kann doch im Garten frei herumlaufen“. „Das geht nicht“, bestimmte die Hausfrau, „bedenkt die Salatbeete“. Nun war das Vogelbauer bis in die Küche begleitet worden. Dort wärmte die Mamsell des Försters Schmantkartoffeln und strahlte: „Wir wollen ihm schlachten zum Sonntag“. — „Pfui, Mamsellcken, schlachten, das wäre nicht weidgerecht“. — Ein Mädchen meinte: „Feines Fell zu Pelzhandschkes“ und das andere setzte neckend hinzu: „Far dinem Schatz“. Da kam Tante Lischen in die Küche geeilt: „Na, Rudolf, ist die Freude groß? Versteht sich, die weißen Hasen sind da! Gratuliere, Rudolf. Sieh, was für schöne, lange Ohren der hat!“ — „Löffel“, korrigierte der Gutsherr. „Und so trautste Augchens!“ „Lichter“, verbesserte der Gutsherr, brummte noch etwas in seinen Vollbart, gab dem Waldi, der sich an das lebendige Wild heranmachen wollte, einen Fußtritt und verließ die Küche.
Als der Kuhschweizer früh um drei an unser Fenster geklopft hatte, zogen wir uns eilig an und schlichen nach oben. Der alte Förster lag noch im Bett, auf dem Kanapee saß unser Häschen. In die hohen Stiefel gefahren, ergriff der Weidmann den Importierten an seinen langen Löffeln und freute sich unserer Begleitung dem Sonnenaufgang entgegen. Das Gras, die Stoppeln, waren taunass. Wer achtete darauf? Wir gingen durchs Kleefeld einer jungen Schonung entgegen. „Hier ist eine nahrhafte Stell, hier setz ich ihn in den Klee“ bestimmte der Forstmann. Ehe wir unserem Hasen Lebewohl sagen konnten, war er schon zwischen den roten Kleeblüten verschwunden. Wir sahen ihn nie wieder — auch kamen in den folgenden Jahren keine weißen oder gescheckten Hasen vor obgleich die braunen Hasen sich wieder „wie die Kaninchen“ vermehrten. Es war also doch nichts mit der Blutauffrischung von jenseits der Grenze.
Seite 16 Anklage gegen Knuth erhoben.
Wie wir erfahren, hat die Staatsanwaltschaft in Osnabrück nunmehr gegen den früheren Kreisleiter Kurt Knuth, der als Kurt Quedenfeld in Krukum bei Melle lebte, Anklage wegen Betruges und Unterschlagung sowie wegen Konkursvergehen erhoben. Knuth, der in Ostpreußen übel berüchtigt war, hatte es verstanden, unter falschem Namen sich Kredite in Höhe von etwa 500 000 DM zu beschaffen.
Knuth lebt heute in Süddeutschland. Voraussichtlich wird die Verhandlung gegen Knuth in Kürze stattfinden.
Seite 16 Goldene Hochzeit
Am 20. Januar 1955 feiern die Eheleute Martin Wallat und Frau Marie, geborene Pempe das Fest der goldenen Hochzeit. In der Kirche zu Prökuls im Kreis Memel wurden sie getraut; ihre silberne Hochzeit feierten die Jubilare in Königsberg. Bis zum Jahre 1928 hat Herr Wallat als Bauunternehmer im Memelland gearbeitet und war dann in Königsberg bei der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft bis zum Januar 1945 als Bauhandwerker tätig. Zu Fuß flüchtete das Ehepaar über Pillau bis Danzig, von wo aus ein Torpedoboot sie nach Saßnitz brachte. Nach einem Aufenthalt in Sachsen kamen sie dann nach Heidkamp, Post Metjendorf über Oldendorf, wo die beiden Jubilare heute noch wohnen.
Seite 16 Sie musste das Fahrgeld selber zahlen.
Als zwölfjähriges Mädchen wurde Herta Boy aus Ostpreußen verschleppt. Vor wenigen Tagen kehrte sie heim. Erst vor einem Jahr hatten die jetzt in Hagen wohnenden Eltern das erste Lebenszeichen erhalten. Vorher hatte Herta Boy sieben Jahre in Sibirien Zwangsarbeit leisten müssen. Sie musste sich das Fahrgeld für ihre Rückreise sparen.
Seite 16 „Freie Arbeiterinnen“.
Die Heimkehrerin Balzuweit machte am 23.11.1954 folgende Aussage: Sie legte einen Entlassungsschein der „Deutschen Demokratischen Republik“ vor, der in Moskau ausgestellt war. Frieda Balzuweit wurde 1946 in Ostpreußen verhaftet und zu 10 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Später wurde sie aus einem Gefangenenlager „entlassen“ und durfte als „Freie Arbeiterin“ in einer Maschinenfabrik, zusammen mit 8 anderen Ostpreußinnen arbeiten. Sie schufteten dort nur für ein Ziel: die 700 Rubel Fahrgeld von Moskau bis Friedland zusammenzusparen. Nach endlosen Gesuchen erhielt sie und zwei weitere Leidensgefährtinnen Ausreisevisen von der Botschaft der „Deutschen Demokratischen Republik“ in Moskau. Wenige Tage darauf gelang Freunden eine Geldtransferierung aus der Schweiz. Dieses Geld und die ersparten Rubel reichten für 3 Fahrkarten. 6 deutsche Frauen mussten in der Maschinenfabrik Kochma, 200 km hinter Moskau, zurückbleiben. Sie besaßen das Fahrgeld noch nicht. Frieda Balzuweit kehrte zu ihrem bereits seit 1940 in Stuttgart wohnenden Mann und zu ihrem Sohn zurück.
Seite 16 An die Heimat. Von Dr. Graf von Brünneck. Landeshauptmann von Ostpreußen i. R.
Könnt' ich noch einmal, wenn die Amsel schlägt,
im herben Frühlingsdult den Wald durchreiten,
wenn sich die junge Saat im Boden regt,
die Blicke über meine Fluren breiten,
vom Bruche her am fernen Felderrain
dem wachen Ruf des Kranichs wieder lauschen
und mit der Mondessichel bleichem Schein
mein Wünschen für die Zukunit grüßend tauschen.
Noch einmal, wenn die Sommernäclile blau'n,
von süßem Lindenblütendult umwittert,
hinwandeln über taugetränkte Au'n,
darüber noch des Tages Nachglanz zittert,
wenn schon der Elfenschar im Reigengang
um mondbeglänzte Büsche schwebend schreitet,
vom dunkelmatten Herdenglockenklang
der nahen Weiden geisterhaft begleitet.
Noch einmal, wenn des Herbstes bunte Pracht
die Wiesen säumt, darauf die Nebel wallen,
die Flur durchstreifen, wenn beim Nah'n der Nacht
der Hirsche Schreie kämpferisch erschallen,
oder wenn hellen Tags wie weiche Schleier
Marienfäden still die Luft durchziehn
und in der Dämmerung dann die Hirtenfeuer
durch weißen Qualmes Schwaden düster glühn.
Noch einmal, wenn am bläulich-tiefen Dunkel
des Firmamentes Stern um Stern erglänzt,
von der Terrasse schaun in das Gefunkel,
das meiner Heimat Winterhimmel kränzt,
oder im Sonnenglanz, der in dem Flimmern
des Rauhreifs hundertfält‘ge Farben weckt,
davon die kleinsten Zweige glitzernd schimmern,
gleichwie mit Diamantenstaub überdeckt.
Niehl weiter! War doch dies letzte Bild,
das in mir blieb, als die erzwung‘ne Flucht
mich heimatlos gemacht. — Die Träne quillt,
da nun ein ungestilltes Sehnen sucht
was ich verlor. Wer könnte es vergessen
dem schon, wie mir, der Rest der Zeit enteilt,
die Gott dem Menschenleben zugemessen?
So bleibt s im Schmerz, den keine Zeit mehr heilt.
Doch einer lebt, der jenseits aller Zeiten
weil über unser Bitten und Verstehn
uns eine ewige Heimat wird bereiten,
wenn wir von unserer Erdenheimat gehen.
Dann folgt sehnsüchtiger Bitte die Erhörung,
wenn zwischen hier und dort die Schranke fällt,
dann finde ich in himmlischer Verklärung
die Heimat wieder in der anderen Welt.
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